Читать книгу Butler Parker 118 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Butler Parker genierte sich. Er hielt es für äußerst exaltiert, daß Lady Agatha Simpson mit ihm Schlitten fahren wollte, denn er war der Ansicht, daß die Dame nicht mehr auf den Rodelhang gehörte. Zudem hatte Lady Agatha sich für seinen Geschmack etwas zu bunt gemustert. Die majestätische Frau trug einen Skidreß, in dem sie wie ein Astronaut aussah.

Natürlich fiel Agatha Simpson in dieser Kleidung auf. Die Wintersportler winkten ihr lachend zu und freuten sich offensichtlich über ihren Sportsgeist. Mylady winkte zurück und stampfte durch den tiefen Schnee hinauf zum Start. An sich war es überraschend, wie mühelos sie die Steigung nahm. Es zeigte sich, daß Lady Agatha körperlich noch durchaus fit war. Sie fühlte sich auch pudelwohl.

Am Vortag war sie mit ihrem Butler und ihrer Gesellschafterin in Aviemore in Zentral-Schottland, nicht weit vom berühmt-berüchtigten Loch Ness entfernt, angekommen. Der Winter hatte viel Schnee gebracht und das »Aviemore-Zentrum« war überfüllt. Es handelte sich um ein Ferienparadies, das immer sehr gut frequentiert wurde. Lady Agatha wollte sich keineswegs kriminalistisch betätigen, sondern nur amüsieren ...

Sie hatte auf ihre übliche Reise in die Schweiz verzichtet, um die heimische Wirtschaft und Fremdenindustrie zu unterstützen. Sie wohnte zusammen mit Parker und Kathy Porter in einem Holzhaus, das an ein Schweizer Chalet erinnerte. Versorgt wurden sie von einer ausgezeichneten Hotelküche, die jeden noch so ausgefallenen Wunsch erfüllte.

»Sie bewegen sich wieder mal wie eine Schnecke«, tadelte sie ihren Butler, der in dieser weißen Schneepracht deplatziert aussah. Josuah Parker trug selbstverständlich seinen dunklen Zweireiher, derbe, schwarze Schuhe, seinen schwarzen Covercoat und die obligate Melone. Selbst auf seinen altväterlich gebundenen Regenschirm hatte er nicht verzichtet. Korrekte Kleidung ging ihm stets über alles. Nachlässigkeiten auf diesem Gebiet hätte er sich niemals geleistet.

Er zog einen Rennrodelschlitten hinter sich her, den Lady Agatha später zu benutzen gedachte. Da der Hang hier präpariert worden war, ließ es sich relativ leicht gehen. Dennoch drang Schneewasser in Parkers Schuhe. Der Butler wußte dieses Schmelzwasser überhaupt nicht zu schätzen. Und ihm graute schon jetzt davor, sich zusammen mit Lady Agatha in die Tiefe zu stürzen. Sie hatte sich nämlich vorgenommen, ihrem Butler die Schönheiten des Rodelns zu zeigen.

Der Betrieb auf dem Rodelhang war beträchtlich. Kinder, Halbwüchsige und Erwachsene rauschten an ihnen vorüber und erfüllten die Luft mit fröhlichem Geschrei. Links und rechts von der Rodelbahn standen große und kleine Schneemänner. Und immer neue kamen hinzu. Eine Art Seuche schien da ausgebrochen zu sein. Man schien sich zu bemühen, recht abenteuerliche Gebilde aus Schnee zu formen, Gestalten, die mit einem normalen Schneemann überhaupt nichts mehr zu tun hatten.

»Erinnern Sie mich daran, daß wir auch noch einen Schneemann bauen müssen«, sagte Lady Simpson, zu ihrem Butler gewendet.

»Wie Mylady befehlen«, erwiderte Parker und lüftete seine schwarze Melone. Parker erinnerte sich, daß die Ferienbetreuer zu einem großen Wettbewerb ausgerufen hatten. Der schönste oder eigenwilligste Schneemann sollte prämiert werden.

Einen sinnloseren Wettbewerb hätte Parker sich nicht vorstellen können. Daß seine Herrin mitmachte, wunderte ihn kaum, denn da waren einige Preise ausgesetzt worden, Nichtigkeiten, die kaum einen materiellen Wert besaßen. Auf solch einen Preis aber spekulierte Lady Simpson, die immens vermögend war und sich natürlich jede Extravaganz leisten konnte. Sie hatte nichts dagegen, mit kindlicher Freude sich an einem Wettbewerb zu beteiligen, sofern Preise winkten.

Ergeben stapfte der Butler hinter Lady Agatha Simpson her und stellte dann weit oben auf der Startlinie den Rennrodel zurecht.

»Ist das nicht ein wunderschöner Tag, Mister Parker?« Die energische Dame warf sich in die nicht gerade unterentwickelte Brust und deutete dann mit der Armbewegung eines Feldherrn auf die verschneiten Hügel, Hänge und Wälder.

»Ich hatte Sie etwas gefragt, Mister Parker«, erinnerte Lady Agatha, während ihr Butler konstant schwieg.

»Ein wahrhaft weißer Traum, Mylady, wenn ich es so ausdrücken darf«, antwortete Josuah Parker jetzt höflich.

»Eben«, sagte Lady Agatha. »Und jetzt wollen wir den Hang nehmen, Mister Parker. Ich möchte eine rasante Abfahrt erleben.«

Sie ließ sich auf den Rodelschlitten krachen, der daraufhin weitere zehn Zentimeter im Schnee verschwand. Lady Simpsons Körpergewicht war keineswegs als leicht zu bezeichnen. Sie rückte sich auf dem schmalen Schlitten zurecht und wandte sich dann ungeduldig nach ihrem Butler um.

»Worauf warten Sie noch?« fragte sie grimmig.

»Mylady bestehen darauf, daß meine bescheidene Wenigkeit sich an der Schußfahrt beteiligt?«

»Was dachten denn Sie? Der Schlitten muß ja wieder an den Start hochgebracht werden.«

»Mylady haben dann möglicherweise übersehen, daß das Raumangebot des Gleitinstrument.es nicht ausreicht.«

»Du lieber Himmel, stellen Sie sich doch nicht so an! Für Sie wird schon noch ein Plätzchen abfallen. Ich rücke ein Stück nach vorn. Mister Parker, ich merke, daß Sie wenig Sportsgeist haben.«

Josuah Parker nahm von einer Antwort Abstand. Er beugte sich hinunter und versuchte ernsthaft, den schwer belasteten Rodelschlitten in Bewegung zu setzen. Es war ihm ein wenig peinlich, daß seine Versuche in dieser Richtung von aufmerksam gewordenen Wintersportlern beobachtet und kommentiert wurden. Sie feuerten ihn sogar mit mehr oder weniger passenden Zurufen an.

Der Butler schaffte es nach einigen Versuchen, den Rennrodelschlitten in Fahrt zu bringen. Dabei erwies sich sein Universal-Regenschirm allerdings als ein wenig hinderlich.

»Schneller, schneller!« Lady Agatha geriet jetzt in Begeisterung. Sie feuerte ihren Butler ebenfalls immer wieder an, der sich ehrlich abmühte, den Schlitten zu beschleunigen. Er wollte nämlich so schnell wie möglich aus der Nähe der frotzelnden Wintersportler.

Plötzlich gerieten die Kufen auf eine feste, glatte Schneedecke. Der Schlitten tat förmlich einen Sprung nach vorn und sauste los. Parker hielt sich die schwarze Melone fest und schaffte es im letzten Augenblick, dicht hinter Lady Agatha Platz zu nehmen. Viel konnte er nicht sehen, denn Lady Agathas Schultern nahmen ihm jede Sicht. Er mußte sich allein auf ihre Steuerkünste verlassen.

In Josuah Parker stieg allmählich der häßliche Verdacht auf, daß Lady Simpsons Fertigkeiten im Steuern eines Rodelschlittens nicht besonders groß waren. Der Schlitten schlingerte, beschrieb abenteuerliche Kurven und raste dann auf einen Steilhang zu, der mit der Rodelstrecke leider überhaupt nichts mehr zu tun hatte.

Trotz der kalten Luft bildeten sich kleine Schweißperlen auf Parkers Stirn. Lady Simpson schien sich in den kleinen Bergwald rechts der Piste verliebt zu haben und schlingerte auf die ersten Bäume zu. Dann legte der Schlitten sich auf die linke Seite, passierte diese Bäume und schoß über einen Steilhang hinunter zum Ufer eines kleinen Waldsees, wo sich eine Allee der Schneemänner befand. Dicht nebeneinander standen hier die Gebilde aus Schnee und Eis. Sie warteten nur darauf, von der Preisjury beurteilt zu werden.

Plötzlich stieß Lady Simpson einen Schrei aus und visierte ungewollt einen dieser Schneemänner an. Ein Zusammenstoß ließ sich nicht mehr verhindern. Parker schloß ergeben die Augen und wartete.

*

»Mann, das darf doch nicht wahr sein«, sagte der untersetzte und etwa dreißigjährige Mann in einem etwas altmodischen Skidreß. Er sprang auf und beugte sich weit über die Brüstung der kleinen Veranda. Er schaute durch ein Fernglas zum See hinunter.

»Was liegt denn an, Pete?« erkundigte sich ein zweiter Mann, der in einem Liegestuhl lag und die Sonne genoß. Er war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, schlank und wirkte durchtrainiert. Er trug einen brandneuen Skianzug und sah darin aus wie ein Sportas.

»Da hat gerade einer unseren Schneemann gerammt! Ist denn das zu fassen! Ausgerechnet unseren!« Petes Aufregung steigerte sich noch. Sein volles, rundes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.

»Wie war das?« Der Mann sprang aus dem Liegestuhl und riß Pete das Fernglas aus den Händen. Er korrigierte die Scharfeinstellung und beobachtete nun ebenfalls das Seeufer. Dabei preßte er die Lippen fest aufeinander.

»Wir müssen sofort runter, Hale«, sagte Pete, der rundliche Mann, nervös.

»Wie stellst du dir das vor?« fragte Hale und setzte das Glas ab. »Wir dürfen uns da unten nicht blicken lassen, Pete.«

»Saudummer Zufall«, stellte Pete fest. »Was machen wir jetzt?«

»Laß mich nachdenken. Die beiden Leute da unten werden bestimmt die Polizei alarmieren.«

»Scheinen schon verdammt betagte Leute zu sein, Hale.« Pete zündete sich eine Zigarette an. »Wenn du die Ski nimmst, bist du in ein paar Minuten unten.«

»Aber wir haben doch Befehl, uns nicht wegzurühren.« Hale blieb bei seinen Bedenken.

»Jetzt herrscht Ausnahmezustand«, meinte Pete nachdrücklich. »Ich nehm’s auf meine Kappe, Hale. Schnall dir die Bretter unter und zisch nach unten. Schau mal, was da jetzt läuft.«

Der rundliche Pete nahm wieder das Fernglas hoch und beobachtete das Ufer des kleinen, zugefrorenen Sees. Nach wenigen Sekunden nickte er seinem Partner Hale zu.

»Schwirr ab, denn wenn wir nichts tun, werden wir bestimmt Ärger bekommen.«

»Und ... Und was soll ich tun?« Hale wußte es ganz sicher, doch er wollte noch die letzte Bestätigung seines Partners Pete. Der Rundliche grinste vielsagend, sagte aber kein Wort.

»Komm mit«, forderte Hale ihn auf.

»Ich bleibe wegen des Telefons hier oben. Außerdem kann ich nicht besonders gut mit Skibrettern umgehen. Das weißt du doch. Beeil dich jetzt, bevor die da unten verschwinden!«

Hale hatte sich entschieden. Er lief in das kleine Holzhaus, kramte dort in seinem Gepäck herum und ging dann nach draußen. Wenig später erschien er vor der fast ebenerdigen Veranda und schnallte sich die Bretter unter. Er nickte seinem Partner Pete knapp zu und stieß sich dann mit den Skistöcken kraftvoll ab.

Pete beobachtete ihn durch das Glas, wechselte dann den Blickpunkt und konzentrierte sich auf die beiden Rodelfahrer. Sie waren inzwischen deutlicher zu erkennen, hatten sich den Schnee von ihrer Kleidung geklopft und sahen recht unterschiedlich aus. Es handelte sich da um eine sehr stämmige und große Frau, die doch tatsächlich von einem richtigen Butler begleitet wurde. Ein komisches Paar. So etwas hatte Pete schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Er grinste unwillkürlich und war natürlich beruhigt. Dieses Duo konnte für Hale nur einen Klacks bedeuten.

Die Allee der Schneemänner war um diese Zeit völlig leer. Hale brauchte nur schnell und entschlossen zu handeln.

Pete ging in das kleine Ferienhaus zurück und langte nach dem Telefonapparat. Es wurde höchste Zeit, den »Falken« zu informieren. Anschließend wollte er sich dann auf den Weg machen, um Hale bei der Beseitigung zweier Winterurlauber zu helfen. Es galt, noch ein paar zusätzliche Schneemänner zu bauen.

*

Agatha Simpson stand zwischen den Trümmern des Rodelschlittens und schaute auf die Reste jenes Schneemannes, den sie über den Haufen gefahren hatte. Sie war sehr beeindruckt.

»Nun sagen Sie schon endlich etwas«, forderte sie ihren Butler auf, der die Reste des Schneegebildes mit der Spitze seines Universal-Regenschirms untersuchte. »Hatten Sie damit gerechnet?«

»Diese Frage, Mylady, kann ich mit dem besten Gewissen verneinen«, gab Josuah Parker würdevoll zurück. »Daß der Schneemann eine männliche Leiche enthielt, stand kaum zu erwarten.«

Parkers Worte entsprachen den Tatsachen.

Inmitten der Reste des Schneemannes lag ein Mann, der völlig normale Straßenkleidung trug. Er mochte vielleicht dreißig Jahre alt sein, war schlank und etwas über mittelgroß. Äußere Verletzungen ließen sich nicht erkennen.

»Wie lange mag die Leiche bereits im Schneemann gewesen sein?« fragte die Detektivin. »Ich glaube, Mister Parker, ich könnte jetzt einen Kreislaufbeschleuniger brauchen. Diese Überraschung ist mir doch in die Glieder gefahren.«

Josuah Parker war auf alle Eventualitäten eingerichtet. Er griff in die linke Innentasche seines schwarzen Covercoats und holte eine lederumhüllte, flache Flasche hervor, deren Verschluß als Becher diente. Parker servierte seiner Herrin ohne Hast einen guten, weichen Kognak, den Lady Agatha sehr gekonnt kippte.

»Der Mann ist natürlich ermordet worden«, stellte die Sechzigjährige dann fast erfreut fest. »Hätte man ihn denn sonst in einen Schneemann verpackt?«

»Ich möchte mir die Freiheit nehmen, mich Myladys Ansicht anzuschließen«, antwortete der Butler gemessen.

»Und was machen wir jetzt weiter?« Agatha Simpson baute sich neben der Leiche auf und beugte sich über sie. »Wann mag der Mann umgebracht worden sein?«

»Die Kälte dürfte genaue Schlüsse vorerst nicht zulassen«, antwortete Parker bedauernd. »Sie wirkt unfreiwillig als Konservator, was der oder die Mörderin wahrscheinlich mit einkalkuliert haben.«

»Ich möchte der Polizei nicht ins Handwerk pfuschen«, meinte Lady Simpson. »Nachdem Sie mir noch eine kleine Erfrischung gereicht haben, sollten Sie die Taschen des Toten untersuchen, Mister Parker.«

»Ich möchte nicht direkt widersprechen«, erwiderte Parker. »Mylady sollte aber den Skiläufer zur Kenntnis nehmen, der sich für meine Begriffe ein wenig zu verstohlen nähert.«

»Das klingt gut, Mister Parker. Wo steckt der Lümmel?« Die Detektivin hatte überhaupt keine Angst. Sie wirkte sogar äußerst unternehmungslustig. Sie hoffte auf eine Abwechslung, wandte sich um und suchte das Wäldchen oberhalb des Seeufers ab.

»Der bewußte Skiläufer ging gerade hinter einem Baum in Deckung, Mylady.« Auch der Butler ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Man sollte vielleicht hinter den Schneemännern in Deckung gehen, wenn ich mir diesen Vorschlag erlauben darf.«

Bruchteile von Sekunden später war ein schwaches Geräusch zu vernehmen, als sei eine Weinflasche geöffnet worden. Gleichzeitig zischte dicht vor Lady Simpsons Füßen ein Geschoß auf das Eis, prallte ab und jaulte als Querschläger weiter in die winterliche Landschaft hinein.

Die Lady aber erwies sich als äußerst schnell. Sie schnaufte gereizt auf und hastete dann hinter einen noch intakten Schneemann, der ganz in ihrer Nähe stand. Es war glücklicherweise ein großer Schneemann, der sie zu schützen vermochte.

Josuah Parker wählte ein Schneegebilde aus, das aus quadratischen Blöcken bestand und ebenfalls ein Schneemann sein sollte. Hier mußte ein eigenwilliger »Bildhauer« am Werk gewesen sein. Parker präparierte seinen Universal-Regenschirm, der es im wahrsten Sinn des Wortes in sich hatte. Mit diesem Schirm ließen sich auch kleine Pfeile verschießen, die an Stopfnadeln erinnerten und deren Schaft zur Stabilisierung mit kleinen, bunten Federn besetzt war. Angetrieben wurden diese Geschosse mit komprimierter Kohlensäure, die sich in einer Stahlpatrone befand. Parker wartete nur darauf, daß der tückische Schütze sich zeigte.

Nun, er zeigte sich nicht, aber er schoß erneut.

Diesmal hatte er es auf Josuah Parker abgesehen. Das Geschoß riß ein Stück aus dem Schneemann und zwang den Butler in die Knie. Josuah Parker gefiel das gar nicht. Er haßte unnötige Anstrengungen.

»Hoffentlich tun Sie endlich etwas, Mister Parker«, ließ Lady Simpson sich unwillig vernehmen. »Zahlen Sie es diesem Flegel zurück!«

»Ich werde mich bemühen, Mylady«, antwortete der Butler und überlegte, wie er den Schützen, der mit einem Schalldämpfer arbeitete, überlisten könnte.

Alle erdenklichen Vorteile waren auf der Seite dieses Mannes dort oben zwischen den Bäumen. Er beherrschte von seinem Platz aus das Seeufer und auch die Allee der Schneemänner. Die Sicht war leider zu ausgezeichnet.

Mit Störungen war ebenfalls nicht zu rechnen. Um diese frühe Morgenzeit tummelten sich die Wintersportler auf den Hängen. Mit dem Bau weiterer Schneemänner war erst gegen Mittag zu rechnen. Solange aber konnte der Butler nicht warten.

Butler Parker war ein Mann, der auch auf eine gewisse Grundausstattung nie verzichtete. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, stets gerüstet zu sein. Zu dieser Grundausstattung gehörten unter anderem die vielen Kugelschreiber, die er mit sich trug. Sie sahen völlig normal aus, doch sie hatten es in sich. Sie waren von ihm in seiner »Bastelstube« in London präpariert worden. Es handelte sich um kleine Meisterwerke der Verteidigungstechnik.

Da die Sicht gut war, mußte das eben geändert werden. Josuah Parker knöpfte seinen schwarzen Covercoat auf, dann den Zweireiher und wählte mit Bedacht einen der Kugelschreiber aus, die ihm zur Verfügung standen. Daß er dabei von einem weiteren schallgedämpften Geschoß gestört wurde, mußte er hinnehmen. Schnee- und Eisbrocken flogen ihm um die Ohren, was ihn aber nicht weiter störte.

Endlich hatte er gefunden, wonach er suchte. Er löste den Kugelschreiber aus einer der Westentaschen und verdrehte beide Hälften gegeneinander. Er drückte auf den Halteclip und warf das seltsame Schreibgerät dann ein paar Meter vor seinem Schneemann in den Schnee.

»Mylady sollen den jetzigen Standort tunlichst nicht wechseln«, rief er der älteren Dame zu. »Der Attentäter wird davon ausgehen, daß die Positionen geändert werden. Das Gegenteil dürfte ihn verunsichern.«

Der Butler hatte seinen Hinweis noch nicht ganz beendet, als der Kugelschreiber eine überraschend große und dichte Nebelwolke produzierte.

Sie breitete sich sehr schnell aus und wurde zu einer hohen Wand, die jede Sicht nahm. Der Schütze oben im Wäldchen reagierte wütend. Er setzte Schuß auf Schuß ab, doch sie waren jetzt nicht mehr gezielt. Der Attentäter verließ sich nur noch auf sein Glück und hoffte auf einen Zufallstreffer.

Parker hatte seine Herrin nicht umsonst gebeten, hinter ihrem Schneemann zu bleiben, denn auch er rührte sich nicht vom Fleck. Lange hielt die Nebelwand ohnehin nicht vor. Zudem wurde so der vom Schützen erwartete und erhoffte Zufallstreffer vermieden.

Um den Attentäter aber noch weiter zu verunsichern, langte der Butler nach einer zusätzlichen Waffe, die fast an ein Spielzeug erinnerte. Es handelte sich um eine schlichte Gabelschleuder, mit der man nur zu gern Kirschkerne, Tonmurmeln oder auch kleine Steine zu verschießen pflegte. In den Händen eines Josuah Parker aber war solch eine Gabelschleuder imponierend.

*

Hale war vom Jagdfieber erfaßt worden und hatte das gute Gefühl, diese beiden komischen Wintersportler zu erwischen. Sie hatten sich hinter den Schneemännern versteckt, doch dieser Schutz reichte nicht aus. Es war für ihn nur noch eine Frage der Zeit, bis er das Duo dort unten auf dem Eis endgültig erledigt hatte.

Ja, und dann fluchte er plötzlich, als ihm die Sicht genommen wurde. Er begriff einfach nicht, woher dieser Nebel kam. Wie eine dichte Wand stand er vor den Schneemännern, und alles tauchte in undurchsichtiges Grau-Weiß.

Hale rechnete damit, daß die beiden Wintersportler ihre Chance nutzen würden, um ihre bisherige Deckung zu verlassen. Sie mußten sich einfach einen besseren Schutz suchen, wenn sie überleben wollten. Da der junge, drahtig und sportlich durchtrainierte Mörder über ausreichend Munition verfügte, setzte er Schuß auf Schuß in die vermeintliche Fluchtrichtung. Seine Lippen bildeten nur noch den schmalen, energischen Strich, wie er in einschlägigen Romanen immer geschildert wird. Hale rechnete fest mit einem Treffer.

In seinem Eifer bekam er überhaupt nicht mit, daß in seiner Nähe ein seltsamer Gegenstand im Schnee landete. Es handelte sich um eine längliche Medikamentenkapsel, wie sie in Arzneimittelpackungen anzutreffen ist. Sie sah völlig naturgetreu aus und hätte niemals Verdacht erregt.

Da diese längliche Kapsel aber von Josuah Parker mittels seiner Gabelschleuder verschossen worden war, mußte sie es in sich haben. Sie konnte einfach nicht harmlos sein. Und genau das bestätigte sich Sekunden später.

Während Hale immer noch munter schoß und auf einen Glückstreffer hoffte, platzte diese kleine Kapsel und ließ einen dünnen, milchigen Rauch hochsteigen. Eine zweite Kapsel landete im Schnee und spuckte ebenfalls diesen milchigen Rauchschleier aus. Hale wechselte seinen Standort und geriet ungewollt noch näher an die Rauchschwaden.

Es zahlte sich aber nicht für ihn aus. Zuerst hüstelte er, räusperte sich und hatte plötzlich das Gefühl, von einer Erkältung überfallen zu werden. In seiner Nase spürte er ein heißes Brennen. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Hale nieste und hüstelte nicht mehr, er litt unter momentaner Luftnot und hatte keine Lust mehr, seine Munitionsvorräte weiter zu mindern. Eine lähmende Schwäche erfaßte ihn. Hale fühlte sich speiübel, setzte sich in den tiefen, weichen Schnee und mußte eine erste Hitzeanwandlung über sich ergehen lassen. Er riß sich den Reißverschluß seines Skianzugs auf, lockerte den Schal und schnaufte wie eine Lokomotive. Nein, er fühlte sich gar nicht wohl.

Hale spürte Angst in sich hochsteigen, eine hundsgemeine Angst, die ihn zusätzlich noch schüttelte. Er wollte weg von hier, sich irgendwo verkriechen und mit dieser grausamen Welt nichts mehr zu tun haben. Er konnte nicht wissen, daß sein Zustand mit den milchigen Schwaden zusammenhing, die sich schon zu verflüchtigen begannen. Josuah Parker hatte sich die chemische Grundsubstanz auf geheimnisvollen Wegen verschafft. Sie enthielt Reizstoffe, die Übelkeit und Angst hervorriefen, Chemikalien, wie sie von der Polizei bereits in vielen Ländern verwendet werden. Gesundheitliche Schäden waren ausgeschlossen. Übelkeit und Angst verflüchtigten sich nach einer halben Stunde und ließen nur eine böse Erinnerung zurück.

Hale hörte seinen Namen rufen. Es kostete ihn schon große Anstrengung, allein den Kopf zu heben. Er hatte die Stimme seines Partners Pete erkannt. Hale wollte ihn warnen, doch Pete erschien bereits auf der Bildfläche und stapfte durch den tiefen Schnee auf ihn zu.

»Was läuft denn hier?« fragte Pete entgeistert, als er seinen Partner im Schnee sah.

Hale wollte zwar antworten, doch sein Husten hinderte ihn daran. Neugierig und leichtsinnig kam Pete näher. Der Gangster mit der rundlichen Figur und dem vollen Gesicht lief genau noch in die restlichen Schwaden hinein.

Sekunden später saß auch er im Schnee, und dicke Tränen kullerten über seine Wangen. Die beiden Männer weinten sich gründlich aus und vergaßen darüber ihre Absicht, einen Doppelmord auszuführen.

*

»Das paßt mir aber ganz und gar nicht«, grollte Agatha Simpson. Ihr Butler hatte ihr gerade vorgeschlagen, das Feld zu räumen. Die energische Dame hätte sich nur zu gern mit dem Schützen oben im Bergwäldchen befaßt.

»Darf ich mir erlauben, Mylady noch mal auf das allzu große Risiko hinzuweisen?« erwiderte Josuah Parker gemessen. »Das Unwohlsein des Schützen wird nicht lange Vorhalten. Man könnte also unter Umständen genau in die Schußlinie dieser Person laufen.«

»Haben Sie vergessen, daß dort ein Subjekt ist, das auf uns geschossen hat?« Die Detektivin war noch immer nicht überzeugt.

»Dieses Subjekt, um Myladys Worte zu gebrauchen, wird sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit früher oder später wieder anbieten«, gab der Butler zurück. »Man müßte nur dafür sorgen, daß die Leiche verschwindet.«

»Und wohin damit?« Agatha Simpson sah auf den Toten hinunter.

»Vielleicht, Mylady, ließ sich an anderer Stelle ein weiterer Schneemann errichten.«

Lady Simpson hatte sofort verstanden und nickte. Dieser Vorschlag paßte ihr. Sie gab ihren Widerstand auf und begutachtete die Nebelwand, die sich bereits zu lichten begann. Es wurde Zeit, diesen Punkt der »Schneemännerallee« zu verlassen. Der Nebel hielt höchstens noch wenige Minuten vor.

Es zeigte sich, daß die ältere Dame durchaus noch zuzupacken wußte. Zusammen mit ihrem Butler räumte sie das Feld, wobei das skurrile Duo nicht den Toten mitzunehmen vergaß. Die vielen Schneemänner, die in Einer- und Doppelreihen errichtet worden waren, sorgten für die nötige Deckung. Hinzu kamen noch die Reste der sich auflösenden Nebelwand. Vom Bergwäldchen aus waren sie wohl kaum auszumachen.

Agatha Simpson war eben doch eine zupackende Dame. Daß sie zusammen mit ihrem Butler einen Toten transportierte, machte ihr nichts aus. Seelisch und körperlich verkraftete sie diese etwas makabre Fracht. Der Zufall hatte ihr schließlich einen neuen Fall zugespielt. Sie war fest entschlossen, ihn freiwillig nicht mehr aus den Händen zu geben.

Die Lady widmete sich gern der Aufklärung von Verbrechen. Sie war eine Amateurdetektivin aus Leidenschaft. Zusammen mit Butler Parker und Kathy Porter, ihrer Gesellschafterin, hatte sie in der Vergangenheit schon manch verzwickten Fall lösen können. Wegen ihrer ungewöhnlichen Methoden war sie sowohl bei der Polizei als auch bei den Gangstern »sehr beliebt«. An dieser Frau ließ sich nämlich nichts mit Logik erklären. Sie reagierte stets anders, als man es erwartete.

»Wie lange wollen Sie mich noch durch den Schnee hetzen?« fragte sie bei ihrem Butler an. »Ich bin schließlich kein junges Mädchen mehr.«

»Darf ich Myladys Aufmerksamkeit auf den kleinen Taleinschnitt lenken?« Parker deutete vorausschreitend mit dem Kopf auf einen tiefen, schmalen Einschnitt hinüber.

»Gut, die paar Meter werde ich noch schaffen«, antwortete die sehr energische Dame. »Aber dann muß ich noch etwas für meinen Kreislauf tun, Mister Parker.«

Der Butler schritt jetzt ein wenig schneller und erreichte das kleine, schmale Tal. Nachdem sie den Toten im Schnee niedergelassen hatten, servierte der Butler seiner Herrin einen weiteren Kognak. Nachdem er die Flasche wieder zugeschraubt hatte, nickte er zufrieden. Von der Seeseite her trieben leichte Schneeschauer heran. Die Sicht verschlechterte sich rapide. Mehr konnte man vom Wetter im Augenblick nicht erwarten. Die Spuren, die Lady Simpson und er im weichen Schnee hinterlassen hatten, wurden zugeweht.

»Hoffentlich haben Sie sich inzwischen brauchbare Gedanken gemacht«, sagte Agatha Simpson und deutete auf den Toten. »Warum verpackt man eine Leiche in einen Schneemann? Woran ist der Mann gestorben? Warum wollte man uns umbringen?«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit noch in der Phase des aktiven Nachdenkens.«

»Ich werde Ihnen meine Fragen beantworten«, redete die Lady weiter. »Der Mann hier wird bewacht, und wissen Sie auch, warum, Mister Parker? Kommen Sie nicht drauf? Das sieht Ihnen wieder mal ähnlich. Sie haben eben keine Phantasie.«

»Wie Mylady zu belieben meinen.« Parker deutete eine höfliche und korrekte Verbeugung an.

»Der Tote muß erst vor wenigen Stunden in den Schneemann verpackt worden sein«, mutmaßte die Lady ins Blaue hinein. »Sehen Sie mich gefälligst nicht so ungläubig an. Ich habe gute Gründe für diese Annahme.«

»Mit Sicherheit, Mylady.«

»Der Mörder mußte den Toten erst mal von der Bildfläche verschwinden lassen. Er fand noch nicht die Zeit, nach gewissen Dingen zu suchen, die der Tote bei sich haben muß. Das wollte er wahrscheinlich in der Dunkelheit nachholen. Und jetzt haben wir ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.«

Josuah Parker mußte innerlich zugeben, daß Lady Simpsons Vermutungen nicht von der Hand zu weisen waren. Sie hatten etwas für sich.

»Und Sie waren natürlich gegen das Rodelvergnügen«, stichelte sie weiter. »Ohne mich, Mister Parker, wäre dieser Mord nie entdeckt worden. Wollen Sie das etwa abstreiten?«

»Keineswegs, Mylady, das würde ich mir niemals erlauben.«

»Haben Sie etwa eine andere und bessere Theorie? Ich sage Ihnen gleich, daß Sie die gar nicht haben können!«

»Ich möchte mir die Freiheit nehmen, mich Myladys Standpunkt anzuschließen.«

»Also, worauf warten wir noch?«

»Mylady meinen etwas Bestimmtes?«

»Wir werden den Toten durchsuchen, Mister Parker. Wir werden das finden, wonach der Mörder gegen Abend suchen wollte. Und wir werden es finden.«

»Mylady haben möglicherweise den Schützen im Wald vergessen.«

»Und? Haben Sie etwa Angst?«

»Ich erlaube mir, Mylady, gewisse Befürchtungen zu hegen. Dieser Schütze könnte zurückkommen.«

»Dann tun Sie gefälligst etwas dagegen. Sagen Sie, was könnte der arme Bursche hier bei sich haben? Groß kann der Gegenstand nicht sein, hinter dem der Mörder her ist.«

»Es müßte sich sogar um einen sehr kleinen Gegenstand handeln, Mylady, sonst wäre er bereits gefunden worden.«

»Natürlich! Das ist es!« Agatha Simpsons Phantasie arbeitete auf Hochtouren. »Dieser Mann schleppt ein Stückchen Mikrofilm mit sich herum.«

»Mylady sind sich da vollkommen sicher?« wunderte sich Parker.

»Ich habe so etwas mal in einem tollen Kriminalfilm gesehen«, redete die Detektivin eifrig weiter. »Ein Stückchen Mikrofilm läßt sich erstklassig verstecken. Wir haben es mit Agenten zu tun, Mister Parker, mit Spionage. Ich fühle es in den Fingerspitzen. Wir werden jeden Millimeter der Kleidung durchsuchen müssen!«

»Jetzt und hier, Mylady?«

»Papperlapapp, Mister Parker. In der kommenden Nacht. Dann werden wir den Toten nämlich holen und hinauf ins Haus schaffen. Und bis dahin stecken wir ihn einfach in einen neuen Schneemann. Was der Mörder kann, können wir schon lange.«

*

Die beiden Mordschützen Pete und Hale befanden sich in dem kleinen Ferienhaus und hingen erschöpft in ihren Sesseln. Sie wohnten hier allein und brauchten keine neugierigen Menschen zu fürchten.

Sie hatten völlig verweinte und stark gerötete Augen. Hin und wieder husteten sie und röchelten anschließend noch eine Weile herum. Nach der Panne unten im Bergwald hatten sie sich unter dieses schützende Dach zurückgeflüchtet, um erst mal Kriegsrat zu halten.

»Das verdammte Mistzeugs muß von dem komischen Duo gestammt haben«, stellte der rundliche und untersetzte Pete fest. »Hast du denn gar nichts mitbekommen?«

»Die beiden komischen Typen waren eigentlich schon tot«, beschwerte sich der schlanke, sportliche Hale und schüttelte den Kopf. Er wischte sich eine dicke, nachrollende Träne von der Wange. »Ich hatte sie genau im Visier, als sie hinter den Schneemännern verschwanden. Und dann konnte ich plötzlich nichts mehr sehen.«

»Wir werden Ärger mit dem ›Falken‹ bekommen.« Pete schnaufte erregt. »Wie wollen wir ihm diese Pleite erklären?«

»Erklären? Wir sagen, was wirklich passiert ist.« Hale nickte nachdrücklich.

»Die beiden Typen unten am See haben die Leiche gefunden. Sie werden sofort die Polizei alarmieren.« Pete versuchte, klare Gedanken zu fassen. »Die Bullen werden auf der Bildfläche erscheinen und Larry abtransportieren.«

»Und genau da liegt unsere Chance«, fiel Hale ihm ins Wort. »Die Polizei wird Larry entweder nach Newtonmore schaffen oder nach Inverness. Und irgendwo da wird sie im Leichenschauhaus landen. Muß doch ’n Klacks sein, da reinzukommen, oder?«

»Das ist die Lösung, Hale«, pflichtete Pete seinem Partner fast erleichtert bei. »Noch ist nichts verloren.«

»Eben. Und jetzt habe ich noch ’nen Vorschlag, Pete. Muß der ›Falke‹ überhaupt wissen, was sich hier getan hat? Müssen wir ihn dauernd anrufen? Warten wir doch, bis wir’s hinter uns haben. Der ›Falke‹ ist doch nur an ’nem Resultat interessiert.«

»Er rechnet tatsächlich damit, daß wir erst am Abend nach Larry sehen.« Pete nickte und dachte angestrengt nach. Der Vorschlag seines jüngeren Partners gefiel ihm sehr.

»Dann ist doch alles klar, Pete.« Hale wischte sich weitere Tränen von den Backen und hüstelte. »Erkannt haben uns die Typen unten bei den Schneemännern bestimmt nicht. Wir haben also gar nichts zu befürchten.«

»Einverstanden, wir werden’s so machen«, sagte Pete vom Husten gequält. »Aber jetzt geh’ ich raus auf den Balkon und schau’ mir das Ufer an. Inzwischen müßten die Bullen schon aufgetaucht sein.«

»Bei dem Wetter wirst du kaum was sehen, Pete.« Hale zeigte durch das Fenster nach draußen. Die Schneeschauer waren noch stärker und dichter geworden. Der Rodelhang versank in weißen Flocken.

»Dann muß ich eben näher ran«, entschied der rundliche Pete. »Ich muß rausbekommen, was da unten am See läuft. Komm, wir machen auf Winterurlauber und sehen uns die Gegend an. Aber laß gefälligst die Kanone zu Hause.«

Die beiden Mordschützen warfen sich wadenlange Mäntel über, setzten sich Pelzkappen auf und gingen hinaus in den wirbelnden Schnee. Sie hatten sich inzwischen leidlich erholt und kamen recht gut voran. Sie benutzten den geräumten, offiziellen Weg, der in vielen Kurven hinunter zum Waldsee und zur »Schneemännerallee« führte.

Sie waren nicht allein, was ihnen nicht ungelegen kam.

Zwei Hotelhostessen marschierten mit gut zwei Dutzend munter plappernder Kinder hinunter zu den Schneemännern, um weitere Kunstwerke aus Schnee und Eis zu formen. In einigem Abstand folgten Eltern, die die künstlerischen Fähigkeiten ihrer Sprößlinge aus nächster Nähe begutachten wollten. Die beiden Mordschützen fielen überhaupt nicht auf. Eine bessere Tarnung hätten sie sich gar nicht ausdenken können.

»Seit wann gibt’s Blasmusik, wenn die Bullen ’ne Leiche abholen?« wunderte sich der schlanke Hale und blieb plötzlich stehen.

»Die Musik kommt unten vom Seeufer her«, staunte auch der rundliche Pete.

»Die müssen Larry doch längst entdeckt haben.« Hale beschleunigte seine Schritte. Pete keuchte hinter seinem Partner einher und wurde von Schritt zu Schritt immer nervöser. Alles hatte er dort unten am See erwartet, nur nicht heitere Blasmusik.

Und dann hatten die beiden Mordschützen die Schneemänner erreicht. Weit und breit war nichts von Polizei zu sehen. Friedlicher hätte kein winterliches Seeufer sein können.

Zwischen den Schneemännern standen die Mitglieder einer kleinen Kapelle und spielten gerade einen zündenden Militärmarsch. Die Kinder rannten eifrig auf die Kapelle zu und begannen mit einer Schneeballschlacht.

»Larry is’ weg«, stellte Hale verdutzt fest und deutete verstohlen auf den Schneemann, der vom Rodelschlitten Lady Simpsons gerammt und zerstört worden war.

»Das gibt’s doch nicht!« Pete schnaufte und wischte sich einige Nachzüglertränen von den kalten Wangen. »Oder... Oder sollten die beiden Typen ihn weggeschafft haben?«

»Wie denn? Und wohin?« Hale schüttelte den Kopf.

»Über den See. Dort rüber in die Wälder.«

»Weißt du, was das bedeuten würde, Pete?«

»Im Moment nicht, Hale.«

»Dann können das keine normalen Winterurlauber gewesen sein. Geht dir nicht ’n Licht auf? Dann sind die aus der Branche! Normale Urlauber verstecken doch keine Leiche, die rennen sofort zum nächsten Bullen.«

»Da is’ was dran, Hale.«

»Ich hab’s!« Hale hatte eine Erleuchtung. »Die haben Larry zurück in ’nen anderen Schneemann gesteckt. Das ist die Lösung! Auch für die beiden Typen wäre es zu riskant, ’ne Leiche durch diese belebte Gegend zu schleppen. Wir müssen uns die Schneemänner mal genauer ansehen. Ich wette, wir werden Larry in einem finden.«

»Das wär’ ja glatt geistiger‘ Diebstahl«, erregte sich der rundliche Pete, der die Idee mit dem Schneemann gehabt hatte und stolz darauf war. Er setzte sich sofort in Bewegung und zuckte zusammen, als ein ziemlich hart zusammengepreßter Schneeball auf seinem Hinterkopf landete.

Wütend fuhr er herum und sah sich einer Gruppe lachender und ausgelassener Kinder gegenüber. Pete rang sich ein Lächeln ab, um nicht aufzufallen, und nahm dann entschlossen die Parade der Schneemänner ab.

Hale holte auf und präsentierte ihm einen Skistock. Er riß gerade den geflochteten Schneeteller unten vom Stock und zwinkerte seinem Partner dann zu.

»Damit pieken wir in die Figuren, die uns verdächtig Vorkommen«, sagte er triumphierend.

»Wo hast du denn das Ding her?« wollte der rundliche Hale wissen.

»Geklaut, was sonst! Los, Hale. Wenn wir uns beeilen, wissen wir bald Bescheid.«

Hale hatte keine Ahnung, auf welch unglückseligen Gedanken er da gekommen war. Er wußte nichts vom künstlerischen Stolz jener, die Schneemänner bauen.

*

Pete und Hale glaubten sich unbeobachtet, zumal sie weit hinten am Ende der »Schneemännerallee« mit ihrer Arbeit begannen. Hale hatte den ersten Schneemann angepiekt und schüttelte den Kopf in Richtung Pete, der die Sicherung dieses Unternehmens übernommen hatte.

»Nichts«, sagte Pate. »Habe ich schon gesehen. Der Stock ging wie durch Butter.«

»Irgendwo muß Larry sein.« Hale bohrte den zweiten Schneemann an, einen sehr hübschen Burschen, dessen Nase aus einer Rübe bestand. Hale drückte den Skistock in den dicken, runden Leib und stocherte herum.

»Fehlanzeige«, meldete er Pete.

»Macht ja nichts«, sagte Pete. »Sind ja noch genügend Schneemänner da.«

Sie fühlen sich völlig unbeobachtet, doch eben darin täuschten sie sich gewaltig. Sie ahnten nicht, daß ihr Tun von einer Gruppe Halbwüchsiger verfolgt wurde. Es handelte sich um sechs etwa vierzehnjährige Knaben, die bereits miteinander Kriegsrat hielten.

Hale befaßte sich gerade mit einem dritten und einem vierten Schneemann, als die Halbwüchsigen zur Attacke übergingen. Sie hatten sich einen ansehnlichen Vorrat an Schneebällen zugelegt. Sie pirschten sich im Schutze der Schneeflocken und Schneemänner an die beiden Mordschützen heran und eröffneten dann ein durchaus gekonntes Störfeuer.

Hale kassierte den ersten Volltreffer. Ein Schneeball zerplatzte auf seiner Nase. Da die Halbwüchsigen ihre Wurfgeschosse ausgiebig zusammengeknetet hatten, war der Schneeball wirklich hart. Hales Nase legte sich ein wenig schief. Hale stöhnte auf und ließ den Skistock fallen. Er griff nach seiner sofort blutenden Nase und beugte sich unwillkürlich vor.

Dadurch ließ er einem anderen Schneeball freie Fahrt. Das Geschoß zischte knapp über ihn hinweg und klatschte auf das rechte Auge von Pete, das sich sofort schloß. Pete gluckste, wischte sich den wäßrigen Schnee aus dem Gesicht und zuckte erneut zusammen, als ihn ein weiterer Schneeball traf.

Diesmal wurde sein linkes Auge geschlossen.

Hale hatte sich aufgerichtet, doch das hätte er besser nicht getan: Zwei, drei Schneebälle trafen in kurzen Abständen hintereinander auf seinem Gesicht ein. Die Nase legte sich in die andere Richtung und schmerzte noch mehr. Bevor Hale sich die weiße Pracht vom Gesicht fegen konnte, wurde er von einer Vielzahl von Schneebällen erwischt.

Die Halbwüchsigen hatten sich eingeworfen und eröffneten nun das volle Bombardement. Hale und Pete fuchtelten mit ihren Armen in der Luft herum, verloren jede Orientierung und ergriffen jetzt sicherheitshalber die Flucht.

Ihnen war allerdings entgangen, daß die Halbwüchsigen nach einer genau festgelegten Taktik vorgingen. Sie hatten die beiden Schneemannschänder eingekesselt und ließen sie im Kreis herumlaufen.

Der rundliche Pete stieß wilde Verwünschungen aus, wollte den Sperrkreis durchbrechen und rutschte dabei auf dem glatten Boden aus. Im Fallen umarmte er einen Schneemann, der seinem Gewicht nicht gewachsen war. Zusammen mit dem auseinanderbrechenden Schneegebilde krachte der Rundliche zu Boden und wurde von Schneemassen begraben. Als er sich wieder hocharbeitete, standen drei Halbwüchsige knapp neben ihm und drückten ihn wieder zurück in den Schnee.

Pete fluchte und schimpfte. Er schlug um sich und machte dabei alles nur noch schlimmer. Die Erwachsenen, die bisher in der Nähe der Blaskapelle gewesen waren, hörten natürlich den Lärm und hatten den Eindruck, daß ihren Kindern übel mitgespielt wurde. Zusammen mit den Mitgliedern der Kapelle eilten sie herbei, um eine weitere Lagebereinigung vorzunehmen.

Hale war von den drei anderen Halbwüchsigen aufs Korn genommen worden. Sie beschäftigten sich fast »liebevoll« mit ihm. Sie hatten ihm bereits ein Bein gestellt und rücklings in den Schnee fallen lassen. Sie schmetterten ihre Schneegeschosse auf ihn hinunter und deckten ihn damit völlig ein. Hale hatte schützend die Arme hochgenommen und schirmte sein Gesicht ab.

Dann aber schnellte er hoch. Er war ja schließlich ein sportlich durchtrainierter Mann. Er beging dabei den Kardinalfehler, nach einem der Halbwüchsigen zu schlagen. Er erwischte den Jungen an der Schulter, der darauf in hohem Bogen zurückgeworfen wurde.

Das mißfiel einem der Blasmusiker, der eben noch Posaune geblasen hatte. Der Mann, ein stämmiger Einheimischer, langte mit seinem Musikinstrument zu und traf die Magenpartie des Mordschützen.

Hale vermißte dadurch die so notwendige Luft zum Atmen, er kickste und fiel dann auf die Knie. Ein Klarinettist beendete das Werk und langte mit seinem Holzinstrument zu. Er traf das Genick des Gangsters, der daraufhin flach und regungslos im Schnee liegenblieb.

Pete war inzwischen in Wut geraten. Er befand sich in dem Zustand, einen Mord zu begehen. Er schlug wie wild um sich und übersah den Tubabläser, der sich listig von hinten an ihn heranpirschte. Als Pete das Feixen seiner halbwüchsigen Gegner sah, witterte er Unheil, drehte sich um und sah sich dem weit geöffneten Trichter der Tuba gegenüber.

Zu einer Abwehrreaktion war es jedoch zu spät. Der Musiker stülpte den weiten Schalltrichter nachdrücklich und vehement über Petes Kopf. Um Pete wurde es sehr dunkel. Sein Kopf dröhnte wie eine Pauke. Er setzte sich zurück in den Schnee und griff nach dem Rand des Schalltrichters. Er wollte sich das lästige Instrument vom Kopf zerren, doch das gelang ihm nicht recht. Seine Ohren bildeten eine Sperre, die nicht so leicht zu überwinden war.

Inzwischen hatten sich auch die aufgebrachten Eltern eingeschaltet. Sie waren übereinstimmend der Ansicht, daß diesen beiden erwachsenen Wüstlingen eine derbe Lektion erteilt werden mußte. Wie konnten sie sich nur erfrechen, die Schneemänner anzubohren und sogar umzuwerfen? Die Eltern solidarisierten sich also mit ihrem Nachwuchs und langten nun auch herzhaft zu.

Nachdem die beiden Mordschützen nach allen Regeln der Kunst mit Schnee abgewaschen worden waren, nachdem man ihre Anzüge mit der weißen Pracht gefüllt hatte, verwendete man Pete und Hale als überdimensional große Eisstöcke.

Derb an Händen und Füßen ergriffen, wurden sie durch Schwenken in die erforderliche Grundgeschwindigkeit gebracht und dann hinaus auf das Eis des Waldsees befördert.

Dicht hintereinander trudelten sie über das blitzblanke Eis. Zuerst schien Hale das Rennen zu machen, denn er hatte einen kleinen Vorsprung. Doch dann wurde er von dem rundlichen Pete überholt, der durch die Schneefüllung eines Skidresses wie eine große Kugel aussah. Pete zischte also an seinem Partner vorüber und übernahm die Spitze.

Dazu spielte die Blasmusik muntere Weisen. Hier draußen im Ferienparadies Aviemore wußte man wirklich noch Feste zu feiern.

*

»Ich möchte auf keinen Fall aufdringlich erscheinen, Mylady«, sagte Josuah Parker würdevoll, »doch ich möchte nicht verhehlen, daß mit gewissen Schwierigkeiten zu rechnen ist.«

Butler Parker 118 – Kriminalroman

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