Читать книгу Butler Parker 182 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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»Könnten Sie Ihr Angebot freundlicherweise wiederholen?« fragte Josuah Parker höflich. »Vermutlich hat sich hier ein kleines Mißverständnis eingeschlichen.«

Butler Parker sah sich zwei jungen Männern gegenüber, die einen durchaus seriösen Eindruck machten.

Sie waren vielleicht so um die fünfundzwanzig, mittelgroß und schlank. Einer von ihnen trug einen flachen Aktenkoffer, den er gerade öffnete.

»Wir versichern Fensterscheiben«, erklärte dieser Mann und legte eine Art Prospekt heraus, »aber Sie können sich bei uns auch gegen Brand, Diebstahl und sonstige Schäden versichern.«

»Das Leben ist voller Überraschungen«, fügte sein Kollege hinzu und blickte sich in der großen Wohnhalle um, »Sie haben hier etliche Werte. Stellen sie sich nur mal vor, das alles hier würde in Flammen aufgehen.«

»In der Tat, das könnte man nur als bestürzend bezeichnen«, antwortete der Butler, »leider ist die Kompetenz meiner Wenigkeit nicht ausreichend, um Abschlüsse zu tätigen. Wie Sie sehen, bin ich nur der Butler dieses Hauses.«

»Das sieht man ganz deutlich«, bestätigte der junge Mann, »sowas wie Sie gibt’s eigentlich nur noch im Fernsehen oder im Kino.«

Diese Feststellung war keineswegs übertrieben. Josuah Parker, ein Mann unbestimmbaren Alters, war die Verkörperung des hochherrschaftlichen englischen Butlers. Er trug einen schwarzen Zweireiher, einen weißen Eckkragen und einen schwarzen Binder. Sein Gesicht war glatt und ausdruckslos.

»Welche Versicherung vertreten die Herren?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Wir sind ’ne Privatversicherung«, schaltete der zweite Besucher sich ein, ich würde Ihnen raten, erst mal ’ne Scheibenversicherung abzuschließen. Auf dem Gebiet tut sich momentan eine ganze Menge.«

»Man wird Lady Simpson entsprechend informieren.«

»Wer ist Lady Simpson?« fragte der junge Mann, der seinen flachen Aktenkoffer schloß.

»Die Hausherrin«, erläuterte Josuah Parker, »meine Wenigkeit sollte Ihnen nicht verhehlen, daß man hier in Shepherd’s Market ungemein sicher lebt.«

»Wir hätten nie gedacht, daß es so was noch gibt«, räumte der zweite Besucher ein, »so viele alte Fachwerkbauten auf einem Fleck habe ich hier in London noch nie gesehen.«

»Fachwerk brennt wie Zunder«, warnte sein Kollege eindringlich, »Sie sollten sich schnell entscheiden.«

»Wie hoch wäre der monatliche Beitrag für eine Scheibenversicherung?« wollte der Butler wissen.

»Na ja, in diesem Fall hier gut und gern fünfzig Pfund pro Monat.«

»Würden Sie das freundlicherweise wiederholen?«

»Fünfzig Pfund«, lautete die Antwort, »und denken Sie auch an ’ne hübsche kleine Brandversicherung. Sie haben doch bestimmt in den Zeitungen gelesen, daß eine Street-Gang unterwegs ist, die alles zusammenschlägt, was ihr unter die Finger kommt.«

»Und die auch Brände legt und Wagen demoliert«, fügte der zweite Vertreter hinzu.

»Mylady kommt erst gegen Abend wieder zurück.«

»Okay, dann lassen wir uns noch mal sehen«, kam der Bescheid, »wir können nur hoffen, daß bis dahin nichts passiert.«

»Wir drücken Ihnen sogar die Daumen«, meinte der erste Mann, »wie sieht das mit den Leuten hier am Platz aus?«

»Sie sprechen von den Bewohnern der benachbarten Fachwerkhäuser?«

»Richtig. Die sind doch ebenfalls gefährdet.«

»Diese Herrschaften sind auf dem Land«, erklärte Parker.

»Scheint ’ne ziemlich finanzstarke Ecke zu sein.«

»Dies möchte meine Wenigkeit nicht ausschließen.«

»Gut, also bis gegen Abend.« Die beiden jungen Versicherungsvertreter gingen auf den verglasten Vorflur zu. »Drücken Sie die Daumen, damit bis dahin nichts passiert.«

»Meine Wenigkeit wird sich erlauben, Ihrer Anregung Folge zu leisten«, antwortete der Butler und öffnete die schwere Haustür. Die beiden Männer verließen das altehrwürdige Fachwerkhaus und gingen zu ihrem Morris, den sie neben Parkers hochbeinigem Monstrum abgestellt hatten.

Der Butler merkte sich selbstverständlich das Kennzeichen und deutete eine knappe Verbeugung an, als der Wagen wenig später den säulengetragenen Vorbau des Hauses passierte. Bald darauf war der Morris auf der nahen belebten Durchgangsstraße verschwunden.

Josuah Parker, der die beiden Vertreter nicht ohne Grund eingelassen hatte, öffnete einen Wandschrank neben dem verglasten Vorflur und betätigte dort einen der vielen Schalthebel. Daraufhin senkten sich engmaschige Rollgitter und sicherten die bleiverglasten Scheiben im Erd- und Obergeschoß des Hauses.

Parker rechnete fest mit Glasbruch.

*

»Und Sie haben diese Lümmel nicht sofort an die frische Luft gesetzt?« wunderte sich Lady Agatha Simpson. Sie war eine majestätische Erscheinung, hatte das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten und machte dennoch einen energischen Eindruck. Mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, galt die passionierte Detektivin in ihren Kreisen als eine Art Paradiesvogel, der allerdings ein wenig füllig ausgefallen war. Sie war sehr reich, pfiff auf alle Konventionen, konnte höchst drastisch werden und betätigte sich als Kriminalistin. Agatha Simpson bekämpfte das Verbrechen auf ihre spezielle Art. Begriffe wie Logik oder Vorsicht waren ihr fremd. Sie sagte stets ungeniert das, was sie gerade dachte. Vielleicht verunsicherte gerade das ihre Gegner immer wieder. Hinzu aber kam Josuah Parker, der diskret seine schützende Hand über die ältere Dame hielt und sie vor Schaden bewahrte.

»Die beiden jungen Vertreter dürften mit Sicherheit bald erneut in Erscheinung treten, Mylady«, prophezeite Josuah Parker, »mit einem Anschlag auf die Fensterscheiben von Myladys Haus ist fest zu rechnen.«

»Aha, man will mich also unter Druck setzen, nicht wahr?«

»In der Tat, Mylady«, sagte der Butler, »Mylady haben es mit einer neuen Form der Erpressung von Schutzgeldern zu tun.«

»So etwas werde ich selbstverständlich nicht dulden, Mr. Parker. Was werde ich dagegen unternehmen?«

»Mylady werden die Steinwerfer zur Rechenschaft ziehen.«

»Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Parker.« Sie nickte nachdrücklich, »treffen Sie alle Vorbereitungen. Sie wissen hoffentlich, worauf es mir ankommt.«

»Auf Effizienz, Mylady.«

»Aha.« Sie sah ihn ein wenig irritiert an. »Ich lasse Ihnen freie Hand, Details interessieren mich nicht.«

»Darf man Mylady jetzt einen kleinen Imbiß servieren?«

»Aber ja doch, Mr. Parker.« Sie nickte huldvoll: »aber nur ein paar Kleinigkeiten.«

Sie begab sich in den kleinen Salon neben der großen Wohnhalle und hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als plötzlich das aufreizende Knattern von schweren Motorrädern zu vernehmen war. Lady Agatha wechselte die Richtung und baute sich vor einem der Fenster eines kleinen Erkers auf. Sie machte zwei Maschinen aus, auf deren Rücksitzen Beifahrer saßen. Mit großer Geschwindigkeit jagten die beiden Motorräder auf die Frontseite des Hauses zu. Dann holten die Mitfahrer weit aus und warfen pflastersteingroße Würfel auf die Fenster.

Mylady fuhr unwillkürlich zurück und nahm schützend die Arme hoch.

Parker, der neben seiner Herrin erschien, zuckte mit keiner Wimper. Er setzte fest auf das feine, engmaschige Schutzgitter, das die Wurfgegenstände auffing und federnd zurückwarf.

»Eine Unverschämtheit«, grollte die ältere Dame, »Mr. Parker, ich warte auf Ihre Reaktion.«

»Die beiden Motorräder kehren noch mal zurück, Mylady«, meldete Josuah Parker. Er beobachtete weiter die Maschinen, deren Benutzer tiefschwarze Jet-Schutzhelme trugen. Die Soziusfahrer holten erneut aus und warfen zum zweiten Mal. Und wieder ließ das Schutzgitter die Wurfgegenstände zurückfedern.

Danach kurvten die Fahrer mit ihren Maschinen ein und jagten zurück zur nahen Durchgangsstraße. Dazu mußten sie aber das hohe Tor aus Schmiedeeisen passieren, das den weiten Vorplatz vor dem Haus zur Straße hin begrenzte und abschloß.

Dieses Tor schloß sich bereits erstaunlich schnell.

Bei der Einfahrt hatten die Fahrer eine Lichtschranke passiert und den Mechanismus zur Schließung ausgelöst. Wenige Augenblicke später mußten sie eine gewagte Notbremsung vornehmen. Sie schafften es nicht mehr, den weiten Innenhof mit seinen gepflegten Blumenrabatten zu verlassen, kamen aus dem Gleichgewicht, verloren die Balance und flogen von den Maschinen, die haltlos über das Pflaster glitten und krachend an der Tormauer landeten.

Die Motorradfahrer hatten sich ihren Maschinen nach und konnten von Glück sagen, daß sie Lederkleidung trugen. Sie blieben benommen liegen und begriffen erst mit einiger Verspätung, was passiert war.

»Sehr schön«, lobte die ältere Dame, die alles beobachtet hatte, »das wird diesen Lümmeln eine erste Lehre sein. Sorgen Sie dafür, Mr. Parker, das ich die Kerle verhören kann.«

»Die Motorradfahrer hatten sich hochgerappelt und standen vor dem geschlossenen Gittertor. Dann blickten sie zum Fachwerkhaus hinüber, kletterten am Gitter hoch und mühten sich ab, auf die Durchgangsstraße zu kommen. Verständlicherweise kümmerten sie sich nicht weiter um ihre Maschinen. Parker sah deutlich, daß die vier jungen Leute in ihren Bewegungen mehr als nur leicht gehemmt waren. Die Rutschpartie über das Kopfsteinpflaster des Vorhofes schien sie doch mitgenommen zu haben.

»Mylady brauchen sich nicht zu sorgen«, sagte Josuah Parker, »man wird versuchen, die beiden Maschinen zu bergen. Dann wird Gelegenheit sein, sich mit den Werfern näher zu befassen.«

»Ich habe es natürlich mit einer Bande zu tun«, stellte Agatha Simpson fest und nickte nachdrücklich, »und ihr werde ich das Handwerk legen, Mr. Parker. Schließlich wollte man mir die Fensterscheiben einwerfen.«

»Die von Mylady angesprochene Bande wird versuchen, die Scharte auszuwetzen«, versicherte Parker, »die bald zu erwartende Dunkelheit dürfte die Täter animieren, aktiv zu werden.«

»Hoffentlich«, entgegnete die Detektivin, »im Fernsehen läuft ohnehin nichts, was mich interessieren könnte. Sie wissen, Mr. Parker, ich hasse Langeweile.«

Parker wußte es nur zu gut.

*

»Natürlich hat sich bisher nichts getan«, meinte Anwalt Rander, der sich mit Kathy Porter im Haus der Lady Simpson eingefunden hatte, »diese Knaben dürften inzwischen wissen, mit wem sie sich anlegen wollten.«

Mr. Mike Rander, um die vierzig, erinnerte – was sein Äußeres betraf – an einen bekannten James-Bond-Darsteller. Er war Anwalt, hatte in der nahen Curzon Street seine Kanzlei, über der er auch wohnte, und verwaltete neben seiner Tätigkeit als Verteidiger das Vermögen der Agatha Simpson.

Vor Jahren war er zusammen mit Butler Parker in den Staaten gewesen und hatte dort mit ihm eine Serie von Abenteuern erlebt. Seinerzeit hatte Parker noch als Butler für Mike Rander gearbeitet.

Kathy Porter war die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Agatha. Sie war eine sehr attraktive Erscheinung, hatte rotbraunes Haar und den mandelförmigen Augenschnitt einer Exotin. Sie wirkte vielleicht auf den ersten Blick hin wie ein scheues Reh, doch wenn es darauf ankam, konnte sie sich blitzschnell in eine Pantherkatze verwandeln. Kathy Porter wußte sich durchaus ihrer Haut zu wehren und war in fast allen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung beschlagen.

Zwischen ihr und Mike Rander herrschte ein mehr als nur freundschaftliches Verhältnis. Lady Simpson wartete nämlich darauf, endlich für die beiden die Hochzeit ausrichten zu können. Sie tat alles, um diesen Vorgang zu beschleunigen und sah es mehr als gern, daß Kathy inzwischen für Mike Rander drüben in der nahen Kanzlei arbeitete.

»Sie haben das Kennzeichen dieses Morris«, warf Kathy Porter ein und blickte Parker an, »könnte man über diesen Wagen nicht an die beiden Vertreter herankommen?«

»Genau das, meine Liebe, wollte auch ich gerade sagen«, lobte Lady Simpson wohlwollend, »ich denke nicht daran, die Hände in den Schoß zu legen, Mr. Parker.«

»Man wird sicher versuchen, Mylady, im Schutz der Nacht die beiden Motorräder zu bergen«, antwortete Josuah Parker. Nach dem Dinner reichte der Butler vorn in der großen Wohnhalle den Mokka.

»Wie ich Sie kenne, haben Sie die Motorräder natürlich besonders gesichert, wie?« erkundigte sich der Anwalt.

»Mittels einer soliden Stahlkette, Sir«, bestätigte Parker.

»Das Tor ist einladend weit geöffnet«, sagte Kathy Porter.

»Wenn die Burschen klug sind, werden sie auf die beiden Maschinen verzichten«, erklärte der Anwalt, »tun sie es, dann dürfte erwiesen sein, daß sie von einem Profi geführt werden««

»Eine Ansicht, Sir, die mit Ihnen zu teilen ich mir erlaube«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Falls man sich mit dem Besitzer des Morris beschäftigt, könnte man eine erste Klärung der Dinge bewirken.«

»Das denke ich auch, Mr. Parker.« Lady Agatha nickte. »Und was werde ich damit abklären?«

»Ob man es mit einer sogenannten Street-Gang zu tun hat, Mylady, oder aber mit einer profihaft geführten Gang.«

»Und worin besteht der Unterschied? Ich weiß es natürlich, aber wissen auch Sie es?«

»In einer Street-Gang, Mylady, schließen sich junge Leute zusammen, die im Sinn der Gesetze erst noch kriminell werden können. Man könnte sie auf den sprichwörtlichen Pfad der Tugend zurückgeleiten. Bei einer Profi-Gang dürfte man tauben Ohren predigen, um es mal so auszudrücken.«

»Sollte man sich nicht mal mit Chief-Superintendent McWarden in Verbindung setzen, Mylady?« fragte Kathy Porter. »Vielleicht weiß er bereits etwas von diesen Pflastersteinwerfern.«

»Er wird dann nur wieder meine Kreise stören«, wehrte die ältere Dame umgehend ab, »Sie wissen doch, Kindchen, wie ungeschickt der gute McWarden ist.«

»Also warten wir erst mal ab«, faßte Mike Rander zusammen.

»Aber keineswegs, mein Junge«, lautete Lady Simpsons Antwort, und die Detektivin reagierte genau so, wie Mike Rander es gewünscht hatte, »selbstverständlich werde ich die Initiative ergreifen. Mr. Parker, verschaffen Sie mir die Adresse der beiden Lümmel, die im Morris gekommen sind. Ich bin es gewöhnt, den Dingen stets auf den Grund zu gehen. Daher rühren ja schließlich auch meine Erfolge.«

Parker, Kathy Porter und Mike Rander tauschten schnell einen Blick. An Unbescheidenheit hatte Lady Agatha noch nie gelitten.

*

»Natürlich fahre ich einen Morris«, sagte Ken Kogan, ein dicklicher Mann von etwa fünfzig Jahren und starrte Agatha Simpson respektvoll an, »das habe ich ja gar nicht abgestritten.«»

Ken Kogan stand in der Haustür zu seinem schmalbrüstigen Eigenheim im Stadtteil Clerkenwell und fuhr sich nervös über das schüttere Haar. Er sah sich Lady Agatha gegenüber, hinter der Butler Parker Aufstellung genommen hatte.

»Leugnen wäre auch sinnlos gewesen, junger Mann«, meinte die ältere Dame mit ihrer baritonal gefärbten Stimme, »und an wen haben Sie Ihren Wagen ausgeliehen?«

»Ausgeliehen?« Der Mann, der Ken Kogan hieß, schluckte vor Aufregung.

»Ich habe meinen Wagen nicht ausgeliehen.«

»Sie sollten Mylady vielleicht ins Haus bitten«, schlug Josuah Parker höflich vor.

»Mylady? Guter Gott, eine echte Lady! Natürlich, treten Sie näher. Warum interessieren Sie sich für meinen Morris?«

»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet, junger Mann«, erinnerte die ältere Dame und schob ihre majestätische Fülle durch die schmale Haustür. Ken Kogan ging voraus und führte sie in ein kleines Wohnzimmer, in dem ein Fernsehgerät lief. Die Einrichtung bestand aus Plüsch. »Ich habe meinen Wagen nicht ausgeliehen«, wiederholte Kogan, »auf solch einen Gedanken würde ich nie kommen. Wer verleiht schon seinen Wagen?«

»Sie, um nur ein Beispiel zu nennen, junger Mann«, grollte Lady Agatha, »Ihr Wagen ist in der Nähe von Hyde Park unangenehm aufgefallen. War es nicht so, Mr. Parker?«

»In der Tat«, bestätigte der Butler und korrigierte ein wenig die Wahrheit, »Ihr erwähnter Morris soll an einem kleinen Verkehrsunfall beteiligt gewesen sein.«

»Das ist ausgeschlossen«, sagte Ken Kogan, »ich bin seit gestern überhaupt nicht mit dem Wagen unterwegs gewesen. Auch vorgestern nicht. Ich fahre eigentlich nur samstags oder sonntags.«

»Haben Sie etwa einen entsprechenden Schwur geleistet?« erkundigte sich die ältere Dame.

»Nein, aber ich denke schließlich an die Kosten. Verstehen Sie? Ich verdiene einfach nicht genug, um jeden Tag zur Arbeit zu fahren. Ich habe es ohnehin nicht weit, ich gehe zu Fuß.«

»Darf man sich nach Ihrem Beruf erkundigen?« fragte Josuah Parker.

»Ich bin in einer Autowaschanstalt beschäftigt«, lautete prompt die Antwort, »ich erledige da die Buchung. Besonders viel verdiene ich nicht, aber ich bin ja allein. Junggeselle, verstehen Sie?«

»Und wo befindet sich Ihr Wagen zur Zeit?« erkundigte sich der Butler höflich weiter, während die Detektivin Bilder und Fotos links und rechts des kleinen Kamins betrachtete. In dem vorgetäuschten Kamin gab es eine Gasheizung, die trotz der warmen Außentemperaturen eingeschaltet war.

»Ich möchte jetzt endlich wissen, wer Sie, sind und warum Sie diese Fragen stellen?« Ken Kogan hatte sich aufgerafft und wollte energisch wirken, fiel aber nach seiner Frage wieder förmlich in sich zusammen. Er hüstelte nervös.

»Meine Wenigkeit war so frei, Mylady bereits vorzustellen«, gab Josuah Parker zurück, »würden Sie sich freundlicherweise zu Ihrem Wagen äußern?«

»Mein Morris steht in einer Sammelgarage hinter dem Block«, erwiderte Ken Kogan, »und wenn Sie wollen, können Sie sich den Wagen ja mal ansehen.«

»Und ob ich will, junger Mann!« Agatha Simpson setzte sich in Bewegung. Ken Kogan drückte sich an ihrer Fülle vorüber und übernahm die Führung. Es ging durch eine kleine Küche, dann über eine Hintertreppe hinaus in einen winzigen Garten. Hier öffnete Kogan eine ebenfalls schmale Tür in der Mauer und führte seine Besucher dann zur Sammelgarage. Unter einem Wellblechdach standen etwa acht bis zehn Wagen, die voneinander nur durch Maschendraht getrennt wurden. Ken Kogan deutete auf einen Wagen und ... stutzte.

»Mein Morris«, sagte er dann mit heiserer Stimme, die immer schriller wurde, »mein Morris ... mein Morris ist weg ... Er ist gestohlen worden! Mein Morris ist weg!«

»Sie sagten es bereits mehrfach und geradezu überdeutlich«, gab Josuah Parker zurück, »wann sahen Sie ihn zum letzten Mal?«

»Heute nachmittag. Vor ein paar Stunden erst. Ich hatte die Polster abgesaugt und die Scheiben gewaschen.«

»Sie sollten sich wegen des bedauerlichen Verlustes an die zuständige Behörde wenden«, schlug Parker vor, »man wird Ihren Wagen mit einiger Sicherheit finden.«

»Aber in welchem Zustand?« Kogan war zutiefst erschüttert und den Tränen nahe. Er nahm kaum wahr, daß Lady Simpson und Butler Parker den schmalen Fußweg hinter den Reihenhäusern benutzten, um zum hochbeinigen Monstrum des Butlers zurückzugehen.

»Schuldig, Mr. Parker, oder nicht schuldig?« fragte die Detektivin, »ich bin doch.sehr gespannt, was Sie dazu sagen.«

»Meine Wenigkeit möchte Mylady den Vortritt überlassen«, gab Josuah Parker zurück. »Und bei dieser Gelegenheit sollte man darauf verweisen, daß Mylady wahrscheinlich mit einem Zwischenfall zu rechnen haben.«

»Zwischenfall?« Sie runzelte die Stirn.

»Meine Wenigkeit möchte auf die Gruppe Jugendlicher verweisen, die sich augenscheinlich zusammengerottet hat, um Mylady den Weg zu versperren.«

Parkers Stimme klang höflich-diszipliniert wie stets.

*

Es waren vier junge Schläger, die Lady Simpson und Butler Parker eindeutig im Weg standen. Sie hatten sich nebeneinander aufgebaut und führten erstaunlicherweise Hockeyschläger mit sich, die in ihren Händen sehr gefährlich aussahen.

»Geht man vielleicht recht in der Annahme, daß Sie die Absicht hegen, physisch auf Lady Simpson und meine Wenigkeit ein wirken zu wollen?« erkundigte sich Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. Er hatte die vier jungen Männer erreicht, die im Schnitt wohl achtzehn Jahre sein mochten. Sie trugen ausgewaschene Jeans, überweite Herrensakkos und ziemlich ausgefranste Tennisschuhe.

»Ich hab’ kein Wort verstanden«, bekannte der Anführer der jungen Männer. Er war muskulös, wie die nackten Unterarme zeigten, gedrungen und hatte gut entwickelte O-Beine.

»Könnte es sein, daß Sie Mylady und meine Person mit Gewalt daran hindern wollen, weiterzugehen?« übersetzte Parker.

»Das stimmt«, erwiderte der Wortführer und nahm seinen Hockeyschläger hoch. Bevor er allerdings gewalttätig werden konnte, hatte Parker bereits seine Reserve aufgegeben und wurde aktiv. Mit der Außenwölbung seiner schwarzen Melone, die er noch in der rechten Hand hielt, tippte der Butler kurz auf die fleischige Nase des Wortführers, der daraufhin überrascht aufschrie, um dann allerdings ein sattes Gurgeln zu produzieren.

Dem zweiten Mann erging es kaum besser.

Parker hielt seinen Universal-Regenschirm bereits stoßbereit in der linken Hand und piekste damit in die Magengegend des Gegners, der im Gegensatz zu seinem Wortführer allerdings nicht aufschrie, sondern verzweifelt nach Luft rang. Dann ließ er sich auf die Knie nieder und legte seinen Hockeyschläger erst mal ab. Anschließend kippte er nach vorn und stützte sich mit der Stirn ab.

Die beiden anderen Wegelagerer waren wie erstarrt.

So etwas hatten sie noch nie erlebt. Für sie waren der Butler und Lady Agatha hilflose Opfer gewesen. Und jetzt kam alles anders, denn die wehrlose Dame war ebenfalls zum Gegenangriff übergegangen. Sie schwang ihren perlenbestickten Pompadour und setzte den sogenannten Glücksbringer darin auf das rechte Ohr des dritten Gegners.

Er schien von einem unsichtbaren Pferd getreten worden zu sein, rutschte haltlos nach links und landete in einem reichlich verstaubt aussehenden Strauch. Der Glücksbringer, nämlich ein echtes und großes Pferdehufeisen, hatte wieder mal seine Pflicht getan und die Lage so gut wie bereinigt.

Der vierte Gegner dachte nämlich nicht im Traum daran, seinen Begleitern zu Hilfe zu kommen. Er gab bereits Fersengeld und rannte in langen Sätzen davon. Zwischendurch schaute er sich um und verlor dadurch seinen bisher geradlinig gehaltenen Kurs. Er stolperte über ein Wegeband aus Stahlblech, schlug der Länge nach hin, raffte sich wieder auf und rannte weiter, wenn auch hinkend.

»Sie wollen doch nicht etwa schon weitergehen, Mr. Parker?« fragte die ältere Dame fast entrüstet, »immerhin bin ich schamlos angegriffen worden. So etwas läßt eine Lady Simpson sich nicht bieten.«

»Mylady haben besondere Wünsche?« fragte Parker gemessen zurück.

»Natürlich«, meinte Lady Agatha, und ein boshafter Glanz erschien in ihren Augen, »ich könnte zum Beispiel einen der Hockeyschläger dazu benutzen, diesen Lümmeln Manieren beizubringen.«

»Mylady wissen aber sehr wohl, daß mit dem Erscheinen weiterer Schläger fest zu rechnen ist?«

»Das macht doch nichts«, gab sie erfreut zurück, »dann werde ich auch diesen Subjekten klarmachen, was eine gute Erziehung ist.«

»Mylady würden sich aber um das Vergnügen einer Autoverfolgung bringen«, behauptete der Butler. Er war keineswegs daran interessiert, sich mit diesen Schlägern noch weiter zu befassen.

»Eine Autoverfolgung?« Mylady spitzte die Ohren.

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dürfte damit zu rechnen sein.«

»Das ist selbstverständlich etwas anderes«, räumte die abenteuerlustige Dame ein, »nun gut, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Kommen Sie, Mr. Parker! Die Dinge nehmen einen recht angenehmen Verlauf.«

*

Parker lüftete höflich die schwarze Melone, als ihnen ein älterer Mann entgegenkam, der eine Art Freizeitanzug trug und dem Butler zugenickt hatte.

»Ich kenn’ diese Rocker«, sagte der Mann im Vorübergehen und bewegte kaum die Lippen, »beeilen Sie sich, es gibt noch mehr davon.«

Parker verzichtete darauf, Fragen zu stellen. Er wollte den Mann, der etwa sechzig sein mochte, nicht in Verlegenheit bringen. Lady Agatha hatte nichts von diesem geflüsterten Hinweis mitbekommen. Sie eilte trotz ihrer Fülle erstaunlich leichtfüßig auf Parkers hochbeiniges Monstrum zu. Sie freute sich eindeutig auf eine kleine Verfolgungsjagd.

Agatha Simpson saß bereits im Fond von Parkers Wagen, als er am Steuer Platz nahm. Sie wandte sich um und suchte nach einem verdächtigen Wagen. Parker ließ das ehemalige Londoner Taxi anrollen und erregte das. Mitleid einiger Passanten und Eckensteher, die wohl nur darauf warteten, daß der Wagen seinen Geist aufgab.

Dieser Eindruck täuschte selbstverständlich.

Lady Agatha und Parker saßen in einem Fahrzeug, das Eingeweihte eine gut gefüllte Trickkiste auf Rädern nannten. Unter der eckigen Haube verbarg sich ein Motor, der einem Rennwagen alle Ehre gemacht hätte. Darüber hinaus war die gesamte Technik nach Parkers Vorstellungen auf einen Höchststand gebracht worden.

»Ich sehe immer noch keinen Wagen«, räsonierte Lady Agatha bereits nach wenigen Minuten.

»Die Verfolger werden sich wohl erst noch formieren müssen, Mylady«, beruhigte der Butler seine Herrin.

»Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben«, gab sie ungeduldig zurück, »oder Sie, Mr. Parker, haben die Lage wieder mal falsch beurteilt.«

»Mylady sehen in meiner Wenigkeit einen Menschen, der sich seiner vielen Schwächen durchaus bewußt ist.«

»Wem sagen Sie das!« Sie nickte zufrieden und ließ sich entspannt in die Polster sinken. »Hoffentlich legt man mir diese Fahrt nicht als Flucht aus.«

»Dies brauchen Mylady auf keinen Fall zu befürchten«, gab Josuah Parker zurück, »man wird davon ausgehen, daß Mylady eine taktische Variante präsentieren, die die Gegner nicht zu überschauen vermögen.«

»Das ist richtig.« Sie nickte. »Ich bin ja schließlich bekannt dafür, daß ich meine Gegner stets vor vollendete Tatsachen stelle. Ich denke, ich werde noch etwas unternehmen, bevor es völlig dunkel ist.«

»Haben Mylady besondere Wünsche?«

»Schlagen Sie mir etwas Hübsches vor, das mich anregt«, antwortete die ältere Dame, »Sie dürfen da völlig frei entscheiden.«

»Man könnte vielleicht einen bekannten Rocker-Club aufsuchen, der hier in der Region zu finden ist.«

»Rocker, Mr. Parker?« Diese Vorstellung paßte ihr. Sie nickte wohlwollend.

»Meine Wenigkeit hatte vor geraumer Zeit Kontakt mit solchen Leuten.«

»Vielleicht sind es genau die, denen ich das Handwerk legen will.« Agatha Simpson kümmerte sich nicht weiter um mögliche Verfolger. Josuah Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum die Farrington Street hinunter und hielt dann in einer Seitenstraße vor einer Spielhalle.

Auf dem Parkplatz links vom Eingang standen Motorräder aller Hubraumklassen, doch die schweren Maschinen überwogen. Parker öffnete den hinteren Wagenschlag und ließ Mylady aussteigen. Sie reckte sich, brachte ihren perlenbestickten Pompadour in leichte Schwingung und bewegte ihre majestätische Fülle in Richtung Eingang.

Hier standen Motorradfahrer in meist schwarzer Lederkleidung, die sich phantasievoll kostümiert hatten. Ihre Lederhosen und Westen waren mit verchromten Ziernieten übersät. Dazu trugen viele von ihnen Orden aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Kopfbedeckung bestand aus Ledermützen mit schwarzgelackten Schirmen. Die Gruppe dieser zumeist jungen Männer bot einen martialischen Anblick.

Und man lachte natürlich ungeniert, als die ältere Dame zielstrebig den Eingang ansteuerte. Man amüsierte sich vor allen Dingen über Josuah Parker, der – die Würde in Person – gravitätisch hinter Mylady einherschritt.

»Hat euch das Museum Ausgang gegeben?« fragte einer der Rocker, ein großer, muskelbepackter Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren.

»Richtig, junger Mann«, dröhnte Myladys sonore Stimme, »ich will das Kinderheim hier besuchen.«

Gelächter brandete auf.

Der Muskelbepackte verzog das Gesicht und wollte sich vor Mylady aufbauen. Man hatte auf seine Kosten gelacht. Da er sein Gesicht nicht verlieren wollte, suchte er nach einer Möglichkeit, seine Stärke zu beweisen.

Bevor es jedoch zu einem Zwischenfall kam, auf den die ältere Dame nur wartete, erschien ein schlanker, gerade mittelgroßer Mann in der Tür. Er war etwa dreißig und trug nur einen schwarzen Leder-Overall. Verzierungen waren an seiner Montur nicht angebracht.

»Stop, Marty«, sagte er knapp zu dem Muskulösen, »das da sind meine Gäste, ist das klar?«

»Okay, Ritchie«, antwortete der Angesprochene, »ich kann ja warten.«

*

»Wir hätten uns ja irgendwo treffen können«, sagte Ritchie Dawson einige Minuten später fast vorwurfsvoll, »mußten Sie unbedingt hier aufkreuzen, Mr. Parker?«

»Es war keineswegs meine Absicht, Sie vor Probleme zu stellen, Mr. Dawson«, erwiderte der Butler, »es haben sich Schwierigkeiten in der sogenannten Hackordnung Ihrer Gruppe ergeben?«

»Und ob, Mr. Parker!« Ritchie Dawson nickte. »Es gibt da Typen, die wieder Stunk machen wollen.«

»Will man Sie ausbooten, junger Mann?« fragte Lady Agatha und musterte Ritchie Dawson. Sein Gesicht war leicht entstellt. Ein schlecht vernarbter Messerstich unter dem rechten Auge gab Dawson ein wildes Aussehen.

»Und ob man mich ausbooten will, Lady«, erklärte Dawson, »das will man ununterbrochen. Marty ist einer davon, Sie haben ihn ja eben erst kennengelernt. Für Marty läuft das hier alles zu friedlich ab.«

»Womit man bereits beim Thema sein dürfte, Mr. Dawson«, schaltete Josuah Parker sich höflich ein, »nach Lage der Dinge muß sich in Ihren Kreisen eine Organisation gebildet haben, die Versicherungen gegen Glasbruch, Feuer und möglicherweise auch gegen Wasserschäden abschließt, wobei die Werbemethoden nur als ungemein massiv bezeichnet werden können.«

»Die Masche mit den Schutzgeldern.« Ritchie Dawson nickte. »Das ist doch im Grund ein alter Hut.«

»Aber leider immer wieder aktuell«, warf Parker ein.

»Stimmt, Mr. Parker«, bestätigte Dawson, »die Verlockung ist einfach zu groß, ein schnelles Pfund machen zu können. Sie wissen doch noch, als man uns Erpressung von Lokalbesitzern anhängen wollte.«

»Sie wissen nichts von einer konkreten Neugründung, was den Verkauf von Versicherungen betrifft?«

»Im Augenblick nicht. Und das ist die Wahrheit.«

»Diese sogenannte Street-Gang soll in Clerkenwell beheimatet sein.«

»Da gibt’s ’nen Club der ›Fünfhunderter‹, das stimmt.«

»Was ist denn das?« erkundigte sich die Detektivin.

»Fünfhundert Kubik, Lady«, erklärte Ritchie Dawson, »das bezieht sich auf die Maschinen.«

»Ich weiß«, wehrte sie umgehend ab, »ich selbst habe schließlich ein Motorrad gefahren, ich kenne mich aus.«

»Traut man Ihnen ohne weiteres zu«, sagte Dawson.

»Sie haben einen guten Blick für Tatsachen, junger Mann«, antwortete die ältere Dame und nickte freundlich »Aber was ist nun mit diesem Club der Fünfhunderter?«

»Wer ist der Clubvorstand?« fragte Parker zusätzlich.

»Billy Brandon«, lautete die Antwort. »Er ist scharf wie ein Fleischermesser, das kann ich Ihnen sagen. Dagegen sind wir hier nur friedliche Lämmer.«

»Sie neigen neuerdings zu gewissen Übertreibungen, Mr. Dawson?« fragte der Butler höflich

»Stimmt.« Ritchie Dawson lachte breit. »Aber wirklich, Billy Brandons Club ist knochenhart. Leider wechseln viele von uns hier zu ihm. Er hat angeblich mehr zu bieten.«

»Wie würden Sie den erwähnten Mr. Billy Brandon einstufen, Mr. Dawson?«

»Er schlägt schnell zu, denkt aber langsam«, meinte Ritchie Dawson abfällig, »und das wird ihm eines Tages das Genick brechen.«

»Könnte er fähig sein, eine Art Versicherung in der eben beschriebenen Art zu betreiben?«

»Niemals Mr. Parker«, gab Ritchie Dawson zurück, »wenn er so einen Laden führt, dann denken andere für ihn, das ist ganz klar.«

»Sie wissen natürlich, wo man Mr. Billy Brandon finden kann, nicht wahr?«

Ritchie Dawson nannte die Adresse und fügte noch eine Warnung hinzu.

»Falls Sie da wirklich aufkreuzen, Mr. Parker, sollten Sie verdammt vorsichtig sein. Billy Brandon ist ein gemeiner Hund, ich kenne ihn von früher her. Der wird erst richtig munter, wenn er Leute quälen kann. Ich glaube, daß er so etwas wie ein Sadist ist.«

»Hier wären die Kennzeichen von zwei Motorrädern«, sagte Parker und schob Ritchie Dawson einen Zettel zu, »es wäre durchaus hilfreich, wenn man in Erfahrung bringen könnte, wer die Besitzer dieser Maschinen sind und wo sie wohnen.«

»Okay, ich werde mich darum kümmern«, versprach Ritchie Dawson, »und jetzt werde ich Sie mal aus dem Laden hier befördern. Marty ist ausgelacht worden und wartet jetzt nur darauf, den wilden Mann spielen zu können.«

»Ich habe nichts dagegen«, warf Agatha Simpson ein, »ich werde ihm zeigen, wer Lady Simpson ist.«

*

Marty war nicht allein.

Um ihn herum standen einige ebenfalls nicht gerade körperlich unterentwickelte Männer, die sich wie Marty mit dachlattenähnlichen Holzprügeln bewaffnet hatten. Sie alle tauchten plötzlich hinter einem Wagen auf, der in der Nähe von Parkers Gefährt stand.

»Und jetzt?« fragte Marty süffisant, »wie sieht’s denn jetzt aus, ihr Museumstypen?«

»Sie scheinen offensichtlich einen gewissen Groll zu hegen«, stellte der Butler fest. Mit dem Eingreifen von Ritchie Dawson war nicht mehr zu rechnen. Er war in der Spielhalle zurückgeblieben, nachdem er die Lady und Parker durch einen Seitenausgang hinausgelassen hatte.

»Ich hab’ nicht gern, wenn man mich lächerlich macht«, sagte Marty und rückte langsam auf.

»Sie wollen sich doch wohl nicht an einer wehrlosen Frau vergreifen, wie?« erkundigte sich die ältere Dame.

»Wer hat denn eben von ’nem Kindergarten gequasselt?« wollte Marty wissen. »Und Kinder vergreifen sich nicht an Erwachsenen, oder?«

»Nein, Kinder brauchen Liebe und Verständnis, junger Mann«, sagte Agatha Simpson. Marty, der sich dicht vor ihr aufgebaut hatte, grinste ausgesprochen tückisch. Doch dann tat er es schon nicht mehr. Er hatte keineswegs mit der ungezwungenen Art der älteren Dame gerechnet. Sie tat etwas, was eine Dame von Welt wohl kaum getan hätte. Mylady setzte nämlich die Spitze ihres nicht gerade kleinen Schuhs auf das linke Schienbein von Marty, der völlig überrascht war. Und da Mylady vehement zugetreten hatte, brüllte Marty entsetzt und stellte sich auf das gesunde Bein. Er hüpfte herum und wartete im Grund nur darauf, endgültig aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden.

Er brauchte nicht lange zu warten.

Lady Agatha, die ihren perlenbestickten Pompadour bereits aktiviert hatte, schlug herzhaft zu und setzte den sogenannten Glücksbringer genau auf die rechte Backe des Hüpfenden. Marty kippte sofort zur Seite und landete in den Armen von zwei Begleitern, die ihn im letzten Moment gerade noch vor dem Sturz bewahren konnten.

Dieser Aufschub währte allerdings nicht lange.

Josuah Parker hatte den linken, angewinkelten Unterarm hochgeruckt und den Universal-Regenschirm senkrecht in die Luft steigen lassen. Als der mit Blei gefütterte Bambusgriff seinen Gipfelpunkt erreichte, faßte Parker mit der rechten, schwarz behandschuhten Hand nach dem unteren Drittel des Schirmstocks und verfügte plötzlich über eine ungemein wirkungsvolle Defensivwaffe, die er nun offensiv einsetzte.

Blitzschnell klopfte er bei Martys Begleitern an und setzte den schweren Bambusgriff auf die Stirn der Männer. Sie verdrehten daraufhin ihre Augen, ließen Marty zu Boden fallen und folgten ihm unmittelbar. Es dauerte nur wenige Wimpernschläge, bis drei muskulöse und entschlossene Schläger sich durchaus friedlich auf dem harten Beton der Gehwegplatten vereinten.

Zwei junge Schläger starrten entgeistert auf die Szene und verstanden die Welt nicht mehr. Als Parker sich ihnen zuwandte, holten sie erst mal tief Luft, besannen sich auf ihre Beine und ergriffen die Flucht. Sie verschwanden nach wenigen Augenblicken in der nahen Spielhalle.

»Wenn Mylady einsteigen wollen?« Parker öffnete die hintere Tür seines hochbeinigen Monstrums. Agatha Simpson nickte hoheitsvoll, benutzte Martys Rücken als Trittstufe und begab sich dann in den Fond des Wagens. Parker schloß die Tür ohne jede Hast, ging gemessen um den Wagen herum, setzte sich ans Steuer und fuhr langsam an. Als das Heck des Wagens die drei auf dem Gehweg Liegenden erreichte, betätigte der Butler einen der vielen Kipphebel auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett. Daraufhin schoß eine Rußwolke aus einer Düse, die neben dem Auspuff angebracht war. Diese fette Wolke legte sich wie ein Trauerschleier über die drei Schläger, die nicht ahnten, wie sie später aussehen würden.

»Sehr hübsch, wirklich«, meinte die ältere Dame wohlwollend. Sie hatte durch das Rückfenster die kleine Szene beobachtet, »hoffentlich dauert es einige Zeit, bis man den Ruß von den Gesichtern bekommt.«

»Mylady können davon ausgehen, daß wenigstens zwei Tage dazu benötigt werden«, versicherte Josuah Parker, »man wird sich an Mylady also intensiv erinnern.«

*

»Bisher hat sich nichts getan«, berichtete Mike Rander, als die Detektivin und Butler Parker nach Hause kamen.

»Man scheint die beiden Motorräder aufgegeben zu haben«, vermutete Kathy Porter, die mit dem Anwalt im Haus der Lady zurückgeblieben war.

»Was nicht ist, meine Lieben, kann vielleicht noch werden«, hoffte die ältere Dame, »ich gebe die Hoffnung nie auf.«

»Und wie war es mit der kleinen Informationsfahrt?« fragte Mike Rander.

Josuah Parker lieferte einen knappen Bericht, während Lady Agatha sich erst mal mit ihrem Kreislauf befaßte, von dem sie behauptete, er habe gelitten. Während Parker informierte, ließ sie sich von ihm einen mehr als doppelten Kognak servieren.

»Diesen Namen sollte man sich wohl genau merken«, meinte Rander, als der Butler seine Schilderung beendet hatte, »der Club der Fünfhunderter also. Ob die Knaben dazu gehören, die sich in Clerkenwell eine Abfuhr geholt haben?«

»Sie sprechen von den Lümmeln, die mich nach dem Besuch bei diesem Morris-Besitzer überfallen wollten?« erkundigte sich Lady Agatha.

»Genau die, Mylady.« Rander nickte. »Erstaunlich, daß die hinter dem Haus von Ken Kogan warteten, wie?«

»Darüber habe auch ich schon intensiv nachgedacht, mein Junge«, behauptete die ältere Dame, »und auch über den jungen Mann in der Spielhalle. Wie heißt er noch, Mr. Parker?«

»Es handelt sich um Mr. Ritchie Dawson, Mylady«, erinnerte der Butler in seiner diskreten Art.

»Eine schillernde Person, nicht wahr, Mr. Parker?«

»Dem kann man in der Tat nicht widersprechen, Mylady.«

»Er ist selbstverständlich der eigentliche Drahtzieher«, erklärte die ältere Dame, »das wußte ich sofort. Sie sind hoffentlich ebenfalls meiner Ansicht, Mr. Parker.«

»Nur partiell, Mylady, mit Verlaub zu sagen.«

»Dann eben nicht«, redete sie munter weiter, »ich fragte mich nämlich, warum er verschwand, als er mich aus seiner Spielhalle führte. Er wußte genau, daß dieser Manuel, oder wie immer er auch heißen mag, draußen auf dem Parkplatz auf mich wartete.«

»Mylady beziehen sich auf den jungen Mann namens Marty?« fragte der Butler.

»Ich klammere mich grundsätzlich nicht an Namen«, gab sie unwillig zurück, »ich halte mich an Tatschen, Mr. Parker. Dieser junge Mann also ist der Drahtzieher, um das noch mal zu wiederholen.«

»Verwies dieser Marty nicht auf einen Billy Brandon, der den Club der Fünfhunderter aufgezogen hat?« warf Mike Rander ein.

»Und der in Clerkenwell residiert?« fügte Kathy Porter hinzu.

»Nichts als ein Ablenkungsmanöver«, wischte Lady Agatha diese Einwände hinweg, »erinnern Sie mich daran, Mr. Parker, daß ich mir diesen Kubikmeterclub so bald wie möglich ansehe.«

»Sehr wohl, Mylady.« Parker verzichtete auf eine Korrektur.

»Vor dem Dinner werde ich noch ein wenig meditieren«, erklärte Agatha Simpson und setzte ihre Fülle in Richtung Treppe in Bewegung, »ich möchte in einer Stunde etwa geweckt ... äh, benachrichtigt werden.«

Mike Rander, Kathy Porter sahen die ältere Dame lächelnd an, bis sie im Korridor verschwunden war. Dann wandten sie sich Parker zu, der ihnen einen Sherry servierte.

»Wie beurteilen Sie denn die Lage, Parker?« erkundigte sich Mike Rander.

»Das gesamte Umfeld, Sir, dürfte noch weitgehend unbekannt sein«, gab der Butler zurück, »der Hinweis auf Billy Brandon ist allerdings als beachtenswert zu bezeichnen.«

»Wer ist Ritchie Dawson, Mr. Parker?« warf Kathy Porter ein.

»Meine Wenigkeit ist geneigt, seinen Worten Glauben zu schenken«, erwiderte Josuah Parker, »Mr. Dawson ist selbstverständlich kein unbeschriebenes Blatt, um es so zu umschreiben, Miß Porter. Auf sein Konto gehen einige Vorstrafen wegen Diebstahls, Körperverletzung und Erpressung. Meine Wenigkeit konnte ihn seinerzeit vor einer Mordanklage bewahren.«

»Gehört ihm diese Spielhalle?« fragte Mike Rander.

»Seinem Onkel, einem gewissen John Dawson.«

»Der wahrscheinlich auch kein unbeschriebenes Blatt ist, wie?«

»In der Tat, Sir. Mr. John Dawson ist ein Hehler, wie aktenkundig gemacht werden konnte.«

»Ist diesem Onkel zuzutrauen, daß er diese Versicherung aufgezogen hat?«

»Kaum, Sir, dazu fehlt es Mr. John Dawson an Härte, um es mal so auszudrücken.«

»Wollen Sie noch in dieser Nacht zu Billy Brandon nach Clerkenwell fahren?« warf Kathy Porter ein.

»Solch eine Fahrt bietet sich an, Miß Porter«, lautete Parkers Antwort, »aber dabei sollte es in erster Linie um Mr. Ken Kogan gehen.«

»Sprechen Sie jetzt von dem Besitzer des Morris, Mr. Parker?«

»Von einem Mann, Miß Porter, der seinen Wagen über alles liebt und ihn nur an den Wochenenden zu benutzen pflegt.« Parker nickte.

»Fahren wir in großer Besetzung nach Clerkenwell?« wollte der Anwalt wissen.

»Wohl kaum, Sir«, gab der Butler zurück, »Mylady wird sicher einen kritischen und ausgedehnten Blick auf einen Kriminalfilm werfen, den das Fernsehen in zwei Stunden präsentiert.«

*

Kathy Porter hatte sich gründlich gemausert.

Sie trug eng anliegende schwarze Lederhosen, passende Stiefel und eine ebenfalls schwarze Lederweste. Auf ihrem dunkelbraunen Haar mit dem leichten Rotstich saß eine Ledermütze, die recht verwegen wirkte. Noch hatte Kathy neben Parker im hochbeinigen Monstrum ihren Platz, doch schon bald sollte sie ausgesetzt werden.

»Machen Sie sich wirklich keine Sorgen, Mr. Parker«, meinte sie lächelnd, »ich bin schließlich nicht zum ersten Mal dabei. Ich kann mich schon wehren.

»Daran besteht erfreulicherweise nicht der geringste Zweifel«, antwortete Josuah Parker, »aber vielleicht sollten Sie noch generell ein wenig mehr Farbe auftragen, was Ihr Makeup betrifft. Es wirkt noch zu diskret.«

»Dem kann leicht abgeholfen werden«, sagte sie auflachend und machte sich sofort an die Arbeit. Dann wandte sie ihr Gesicht Parker zu, der ihren Blick kurz und prüfend erwiderte.

»Ausgezeichnet«, stellte der Butler fest, »jetzt sehen Sie einer sogenannten Rockerbraut sehr ähnlich.«

»Den Rest schaffe ich vor Ort«, beruhigte Kathy Porter den Butler, »ich stamme also aus Liverpool und besuche hier in London meinen Onkel.«

»Der Horace Pickett heißt«, führte Parker weiter aus, »Sie haben sich von einem Autofahrer mitnehmen lassen und sind in Clerkenwell rein zufällig angekommen.«

»Wie wir es verabredet haben, Mr. Parker.« Kathy Porter war von Parker genau instruiert worden. »Ich werde während meines Ausflugs von Mr. Pickett und einigen seiner Freunde beschattet.«

»Meine Wenigkeit sieht den kommenden Stunden mit Freude entgegen«, sagte Josuah Parker, »darf man Sie noch mal daran erinnern, daß Sie jegliches Risiko vermeiden sollten, Miß Porter?«

Sie nickte und wartete darauf, endlich abgesetzt zu werden. Sie wollte sich als Lockvogel betätigen und Bekanntschaft mit dem Club der Fünfhunderter schließen. Kathy traute sich solch eine Aufgabe ohne weiteres zu. Aus dem Stand konnte sie Slang sprechen.

Nachdem sie ausgestiegen war, fuhr der Butler noch ein Stück weiter und holte dann ein Sprechfunkgerät aus einer Halterung unter dem Armaturenbrett. Er schaltete es ein und rief den Namen eines gewissen Mr. Horace Pickett.

»Mr. Pickett«, meldete sich die Gegenstelle umgehend.

»Sie haben zur Kenntnis genommen, daß Miß Porter bereits ausgestiegen ist?« fragte Parker.

»Alles unter Kontrolle, Mr. Parker«, bestätigte Horace Pickett, »wir lassen sie nicht aus den Augen. Ich habe übrigens den Mann aufgespürt, der Sie nach Ihrem Besuch bei Kogan gewarnt hat.«

»Die Zusammenarbeit mit Ihnen, Mr. Pickett, ist stets erfreulich und gewinnbringend.«

»Der Mann heißt Dave Davids und wohnt vier Häuser neben Mr. Kogan. Er ist Nachtportier in einer Hotelpension.«

»Dave Davids«, wiederholte Butler Parker den Namen, »man wird auch ihm einen Besuch abstatten müssen.«

»Ich habe mir die Hotelpension angesehen, Mr. Parker, ich kenne sie von früheren Zeiten her. Es ist kein renommiertes Haus.«

Parker bestätigte die Durchsage, schaltete sein Gerät ab und suchte nach einem passenden Parkplatz. Er fand ihn in einer ruhigen Seitenstraße, stieg aus und lustwandelte dann zu jenem schmalbrüstigen Reihenhaus, in dem Ken Kogan wohnte, der Besitzer des gestohlenen Morris.

Als Parker in die bewußte Straße bog, meldete sich plötzlich seine innere Alarmanlage, wie er dazu sagte. Er besaß ein feines Gespür für Gefahr. Sein Instinkt war in dieser Hinsicht hervorragend ausgebildet. Parker blieb an der Ecke stehen und spähte die fast dunkle Straße hinunter. Links und rechts parkten Wagen in dichter Folge. Die Straßenbeleuchtung war mehr als mangelhaft. Parker ging die Bogenlampen genau durch und fand heraus, daß zwei im Bereich jenes Hauses nicht mehr brannten, in dem Ken Kogan wohnte.

Butler Parker 182 – Kriminalroman

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