Читать книгу Der exzellente Butler Parker 19 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

Оглавление

»Ich werde Ihnen jetzt mal zeigen, was man aus diesem Wagen herausholen kann«, sagte Agatha Simpson und trat näher an den Flitzer heran. »Helfen Sie mir ins Cockpit, junger Mann, ich gedenke einen neuen Rundenrekord aufzustellen!«

»Aber Mylady, ich bitte Sie!« Rupert Warner starrte die ältere Dame erschrocken an und sah hilfesuchend zu Parker, dessen glattes, ausdrucksloses Gesicht keinerlei Regung zeigte. Warner schüttelte den Kopf und breitete bedauernd die Arme aus. Seit einigen Jahren betrieb er mit beachtlichem Erfolg seinen eigenen Rennstall in der Nähe von London und konstruierte Formel-Eins-Rennwagen, die bereits eine Reihe von Siegen eingefahren hatten.

»Wirklich, Mylady, ich fürchte, das ist nur möglich, wenn wir die Verkleidung abmontieren.«

»Dann tun Sie es«, verlangte die Lady kurzerhand.

Josuah Parker nickte Warner freundlich zu. »Möglicherweise sollte man Myladys Vorschlag befolgen, Sir.«

Nach einer halben Stunde war das Werk getan und Warners Konstruktionsehre gerettet. Agatha Simpson fand die richtigen Schalter und Hebel, die Maschine des schlanken Renners röhrte wütend auf...

Aus den armdicken Auspuffrohren schlugen die Flammen. Mylady gelang es, die Kupplung zu betätigen und einen Gang einzulegen. Der Renner machte einen gewaltigen Satz nach vorn, schoß auf die Piste und verschwand um die erste Kurve, nicht ohne die Seitenbegrenzung zu überfahren und einige zur Sicherheit dort gestapelte Strohballen durch die Luft zu wirbeln.

Während in der Ferne allmählich das Brüllen des Motors leiser wurde und auch das Krachen der von Mylady mißhandelten Kupplung kaum noch zu hören war, starrte Rupert Warner kopfschüttelnd auf die dicken, schwarzen Streifen, die von den Reifen stammten, und konnte es nicht fassen.

Vor wenigen Tagen hatte er Mike Rander angerufen und um Hilfe gebeten, da es immer wieder zu unerklärlichen Pannen kam, die eindeutig auf Sabotage zurückzuführen waren. Warner hatte zusammen mit Mike Rander, Myladys Anwalt und Vermögens Verwalter, ein Jurastudium begonnen, es aber sehr rasch als zu trocken empfunden und sich dem Ingenieurberuf zugewandt.

»Hoffentlich passiert dem Wagen nichts, Mister Parker. Haben Sie eine Ahnung, was so’n Ding kostet?«

»Man kann es sich durchaus vorstellen, Sir«, ließ sich Parker vernehmen. »Sie sollten sich jedoch keine unnötigen Sorgen machen. Mylady pflegt im allgemeinen ein sehr inniges Verhältnis zur Technik, wie man Ihnen versichern darf.«

»Man hört es.« Warner stöhnte gequält auf, als wieder das Krachen der Kupplung zu ihnen herüberdrang. Agatha Simpson hatte offensichtlich nach wie vor gewisse Probleme, die Schaltung des Renners zu »überreden«.

Einen Moment später kam sie wieder am Werkstattgebäude vorbei. Während sie haarscharf an dem Reifenstapel vorbeidonnerte, auf dem Warner noch vor wenigen Augenblicken gesessen hatte, winkte sie den beiden Männern am Pistenrand freundlich zu. In der Kurve räumte sie diesmal die Strohballen auf der anderen Seite weg und entschwand dann wieder Warners und Parkers Blicken.

»Es ist ja nicht nur das viele Geld, das in so einem Wagen steckt, Mister Parker«, setzte Rupert Warner seine Klage fort. »Man muß dabei auch an die Arbeit und den Erfindergeist denken, die in ein solches Fahrzeug investiert wurden. Außerdem haben wir es auf Myladys Maße schnell zurechtgestutzt.«

»Man kann Sie voll und ganz verstehen, Sir«, versicherte Parker, während seine Herrin gerade wieder vorbeijagte. »Ist der Wagen – mit Verlaub – voll getankt?«

Warner hob hoffnungsvoll den Kopf und sah den Butler lächelnd an. »Daß ich daran nicht gedacht habe!« Er baute sich vor Parker auf, legte ihm die Hände auf die Schultern und sah ihm gerührt in die Augen. »Ich danke Ihnen, Mister Parker, Sie haben mir neuen Mut gegeben. Ich glaube, der Sprit reicht höchstens für vier Runden, länger auf keinen Fall.«

»Eine durchaus glückliche Fügung, Sir«, fand Parker und befreite sich diskret von den Händen des Rennstallbetreibers.

*

»Das war doch pure Absicht, Mister Parker«, beschwerte sich Lady Agatha etwas später, als sie zu Fuß zum Werkstattgebäude zurückkam. »Ich rede vom fehlenden Sprit«, erregte sie sich und maß ihren Butler mit eisigem Blick. »Sie haben bestimmt gewußt, daß der Tank so gut wie leer war.«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zerknirscht«, gestand Parker und deutete eine Verbeugung an. »Man hätte sich vor Fahrtantritt vergewissern müssen, daß der Tank gefüllt ist.«

Bevor Lady Agatha näher darauf eingehen konnte, rollte der Renner mit dem Geheimfavoriten der Saison am Steuer heran, und der junge Brasilianer wand sich geschmeidig aus dem Cockpit. Wütend baute er sich vor Lady Agatha auf und musterte sie mit funkelnden Augen von oben bis unten, dann drehte er sich zu seinem Chef um und fauchte: »Was soll das, Rupert, wie kannst du dieser alten Schachtel einen Wagen geben und sie damit auf die Piste schicken? Fast hätte sie mich gerammt und meinen Wagen zu Schrott gefahren.«

Bevor der etwas unglücklich dreinblickende Rennstallbesitzer antworten konnte, meldete sich schon die ältere Dame zu Wort.

»Das war doch eben eine Beleidigung, Mister Parker?« vergewisserte sie sich und wippte erwartungsvoll auf den Fußballen. »Ich habe mich auf keinen Fall verhört...«

»Mister Lopez ist wohl etwas das Temperament durchgegangen, Mylady«, entschuldigte Parker den Brasilianer. »Sicher bedauert er seine Bemerkung bereits und möchte Mylady um Entschuldigung bitten.«

»Ich habe nicht die Absicht, mich zu entschuldigen!«

Der junge Champion wirbelte zu Parker herum und maß ihn wütend von oben bis unten. »Ich habe es genauso gemeint, wie ich es gesagt habe! Wie kann man denn diese unmögliche Fahrerin auf die Menschheit loslassen? Fast hätte mich diese Dilettantin umgebracht!«

»Genug der Worte, jetzt müssen Taten sprechen!« Lady Agatha war nicht bereit, ihren Einsatz länger hinauszuschieben. Sie nahm Maß, holte aus und versetzte dem Brasilianer eine Ohrfeige.

Bevor sich der junge Mann davon erholen konnte, verpaßte ihm die Lady aus Gründen der Symmetrie eine zweite, so daß auf beiden Wangen ihre Finger zu sehen waren. Der Brasilianer schnappte hörbar nach Luft und rieb sich verdutzt die schmerzenden Stellen.

Lady Agatha sah sich tatendurstig nach anderen Waffen um und entschied sich für einen breiten Rennreifen. Sie hob ihn mit erstaunlicher Leichtigkeit, zielte kurz und ... hängte den Reifen dem Rennfahrer um den Hals, der sich dieser Belastung jedoch nicht gewachsen zeigte. Er knickte leicht in den Knien ein, geriet ins Schwanken und versuchte verzweifelt, sich von dem seltsamen Halsschmuck zu befreien.

Agatha Simpson mißverstand seine Bemühungen gründlich und fehlinterpretierte sie als Bitte um einen zweiten Pneu. Diesem Wunsch kam die Detektivin unverzüglich nach. Sie ergriff einen weiteren Reifen und streifte ihn dem Champion über den Kopf. Daraufhin beschloß er, sich auf dem Asphalt vor der Werkstatt niederzulegen und die Entfernung seines Halsschmucks zu betreiben.

Rupert Warner starrte verblüfft auf die seltsame Szene. Er wußte offensichtlich nicht, wie er reagieren sollte. Endlich raffte er sich dann auf, seinen Protest anzumelden.

»Aber Mylady, ich bitte Sie!« Warner griff sich an den Hals und schien unter Schluckbeschwerden zu leiden. Er räusperte sich energisch und konnte nach mehreren Anläufen endlich weitersprechen. »Sie stürzen meinen besten Fahrer ins Unglück, Mylady. Bitte lassen Sie ihn in Ruhe.«

»Dieser Lümmel hat mich beleidigt, das haben Sie selbst gehört!« Lady Agatha musterte den Rennstallbesitzer empört und schüttelte energisch den Kopf. »So etwas lasse ich mir grundsätzlich nicht bieten, das sollten Sie sich für die Zukunft merken.«

»Sicher, Mylady ... werde ich, ganz bestimmt.« Rupert Warner nickte eifrig und half seinem Fahrer auf die Füße, der nach wie vor einen verwirrten Eindruck machte und die Lady scheu von der Seite musterte.

»Nun gut, junger Mann, ich will nicht so sein«, gab sich Lady Agatha großzügig. »Dafür werde ich ein andermal auf Ihr Angebot zurückkommen, Ihren Rennwagen gründlich zu testen.«

»Ich werde Sie anrufen und Ihnen Bescheid geben, wenn wir diesen äh ... Test einrichten können«, versprach Warner. »In der nächsten Zeit wird das allerdings kaum möglich sein, Mylady, die Saison hat gerade begonnen, und da haben wir viel Arbeit, um endlich mal vorne mitfahren zu können. Aber wie gesagt, sobald es sich einrichten läßt...«

Warner brach ab und sah Parker hilfesuchend an, der jedoch nicht darauf reagierte und mit unbewegtem Gesichtsausdruck einen imaginären Punkt in der Ferne anvisierte.

»Natürlich könnte ich auch ein Rennen für Sie bestreiten, mein Lieber, das wäre eigentlich noch viel besser als eine kleine Probefahrt«, überlegte Lady Agatha. »Ehrlich gesagt, der Gedanke imponiert mir noch viel mehr.«

»Das ist leider unmöglich, Mylady, dazu brauchen Sie eine Lizenz«, bedauerte Warner und bemühte sich, nicht allzu deutlich aufzuatmen.

»Dann beschaffen Sie mir eben eine, das kann doch wohl nicht so schwer sein«, fuhr sie ihn an. »Ich erwarte, diesen Wisch in den nächsten Tagen in meiner Post zu finden.«

»Sorry, Mylady, die Fristen dafür sind bereits abgelaufen. Außerdem muß man eine Reihe von Straßenrennen nachweisen, bevor man die Lizenz erhält.«

»Ich sehe schon, Sie wollen nicht«, reagierte die Lady aufgebracht. »Aber eigentlich brauche ich Sie auch gar nicht dafür. Mister Parker, kümmern Sie sich um diese lächerliche Lizenz, ich werde all diesen Möchtegern-Rennfahrern mal zeigen, wie eine Könnerin fährt.«

»Man wird sich bemühen, Mylady«, versprach Parker und verneigte sich höflich. »Mylady werden die Branche auf den sprichwörtlichen Kopf stellen, wie man vorhersagen darf.«

*

»Da kommen ja die beiden Amateurschnüffler«, bemerkte der Mann in dem silbrig glitzernden Overall, der an der kantigen Kühlerhaube von Parkers hochbeinigem Monstrum lehnte.

»Kann mir gar nicht vorstellen, daß diese Schießbudenfiguren wirklich was draufhaben«, erklärte ein grellrot gekleideter Mann.

»Die können doch jeden Augenblick vor Altersschwäche zusammenbrechen«, sorgte sich ein dritter, der sich für einen grasgrünen Overall entschieden hatte und Lady Agatha und Josuah Parker langsam entgegenkam. Er hielt einen riesigen Schraubenschlüssel in der Hand und schlug diesen immer wieder mit rhythmischem Klatschen in die Fläche der anderen.

»Und dann wollen die sich auch noch mit uns anlegen«, wunderte sich der Mann in Rot und schüttelte heftig den Kopf. »So alt und immer noch so unvernünftig.« Er baute sich hinter seinem »grünen« Kollegen auf und zog ein Messer aus dem Hosenbund, das er in die Luft warf und geschickt wieder auffing.

»Was sind das für Lümmel?« wollte die Lady wissen und musterte die drei Overall-Träger interessiert. »Ich hoffe doch sehr, Mister Parker, daß sich die Subjekte mit mir anlegen wollen.« Sie ließ probeweise ihren Pompadour mit dem darin befindlichen Hufeisen durch die Luft sausen und stoppte kurz vor dem Mann in Grün.

»Ganz schön keß, die Oma«, ärgerte der sich umgehend und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück.

»Aber nicht mehr lange«, wußte der Mann im silbernen Anzug und stieß sich von Parkers Wagen ab. Er griff in seine Innentasche und brachte eine Stahlrute zum Vorschein, die er ein paarmal durch die Luft schlug.

»Die Herren haben die Absicht, Mylady und meiner bescheidenen Wenigkeit Harm anzutun?« erkundigte sich Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Häh?« entgegnete der Mann in Rot wenig geistreich und sah seine Kollegen hilfesuchend an. »Was hat er gesagt?«

»Er hat sich erkundigt, ob wir ihm und seiner Lady was auf den Pelz brennen wollen«, übersetzte der »Grüne« recht frei, »nur hat er es etwas vornehmer ausgedrückt.«

»Versteh’ ich nicht, dieses vornehme Getue«, stellte der Silberoverall fest. »So was geht mir auf den Keks.«

»Ich verlange eine Erklärung, Mister Parker«, forderte die Lady energisch und schob sich weiter auf die Overallträger zu. »Wollen sich diese Lümmel nun mit mir anlegen oder nicht? Ich bitte mir etwas mehr Schwung aus, ich beginne mich zu langweilen.«

»Wir werden dir jetzt zeigen, was wir davon halten, wenn du in fremden Angelegenheiten schnüffelst, Oma«, kündigte der rote Overallträger an und rückte mit dem Messer vor. »Ich werd’ dich jetzt ’n bißchen ritzen, damit du es auch wirklich begreifst.«

»Sie wollen mich mit dem Messer angreifen?« Lady Agatha musterte den Mann und lächelte fast wohlwollend.

»Genau das will ich«, bestätigte der und sprang blitzschnell mit hochgerecktem Arm vor.

Agatha Simpson trat etwas zur Seite und ließ den Messerhelden vorbeisausen. Dabei zeigte es sich, daß sie zu schnellen Reaktionen fähig war. Bevor der Mann sie passiert hatte, klatschte ihm Myladys Handbeutel nachdrücklich ins Genick und beschleunigte ihn wie eine gerade abgeschossene Rakete.

Er setzte zu einem kleinen Flugmanöver an und testete, ob ihn die Luft wohl tragen würde, was jedoch nicht der Fall war. Aus diesem Grund segelte er auch nur ein relativ kurzes Stück, bevor er zu einer Bruchlandung ansetzte und schreiend über den rauhen Asphalt rutschte.

»Donnerwetter, das war nicht schlecht«, stellte der Silberoverall fest und applaudierte spöttisch. »Hätte ich dir gar nicht zugetraut, Oma.«

»Man tut, was man kann, junger Mann.« Lady Agatha nickte huldvoll und rieb sich die Hände. »Was ist mit Ihnen, Sie Subjekt, hätten Sie nicht auch gern eine kleine Kostprobe?«

»Warum nicht? Aber diesmal mußt du dran glauben!« Der Silberoverall täuschte einen Sprung vor, wartete, bis Lady Agatha reagierte und nach der anderen Seite auswich und wollte dann mit der Stahlrute auf sie eindringen. Er hob den Arm, schrie aber im nächsten Augenblick in den höchsten Tönen.

Die Stahlrute landete klirrend auf dem Boden und wurde von Parkers Schirmspitze zur Seite gefegt.

Der Mann im Silberoverall ließ sich zu Boden fallen, zog den Helm mit dem Visier vom Kopf und widmete sich greinend dem kleinen bunten Pfeil, der in seinem rechten Bizeps steckte.

»Ein Pfeil«, beschwerte er sich. »So was ist doch unfair! Wo sind wir hier denn?« Vorsichtig fingerte er an dem ungewöhnlichen Geschoß herum und zeigte dabei deutlich seine Abscheu.

»Man rät von allzu heftigen Bewegungen ab«, ließ sich der Butler vernehmen. »Dies würde das Gift nur schneller im Blutkreislauf verteilen.«

»Gift?« Der Getroffene starrte den Butler entsetzt an. »Der Pfeil war vergiftet?«

»Man verfügt selbstverständlich über ein entsprechendes Gegenmittel, Sir«, tröstete Parker, »und wird es umgehend verabreichen, nachdem Sie einige Fragen beantwortet haben.«

»Ich sage Ihnen alles, was Sie wissen wollen«, wimmerte der Silberoverall, »aber geben Sie mir zuerst das Gegenmittel. Ich spür’ schon, wie das verdammte Gift zu wirken anfängt.«

»Es handelt sich in der Tat um ein außergewöhnlich schnell wirkendes Präparat«, räumte Parker gemessen ein. »Sie sollten sich aber dennoch nicht unnötig aufregen, Sir.«

Der Mann in Grün schüttelte ungläubig den Kopf und ließ den Schraubenschlüssel fallen. Er hatte es sich anders überlegt und wollte nun doch nicht mehr mit Lady Agatha die Klingen kreuzen. Statt dessen wollte er sich unauffällig wegschleichen und den Schauplatz der kleinen Auseinandersetzung verlassen.

Doch damit war die ältere Dame nicht einverstanden. Sie hatte wieder alte Rennreifen entdeckt und sich versorgt. Während sich der Mann in Grün mit raschen Schritten entfernte, hob die Lady einen Reifen und zielte kurz. Dann schwang sie ihn auf den Asphalt und gab ihm Fahrt.

Der Reifen hüpfte hinter dem Flüchtenden her und holte ihn ein. Der Mann kiekste überrascht auf, als ihn der Pneu in die Beine traf und zu Boden fegte.

Der Reifen rumpelte über ihn hinweg und wurde erst später gestoppt, als er ein Fenster zertrümmerte und in die Werkstatt flog.

»Nicht schlecht, dieser Wurf«, fand die Lady und nickte zufrieden. »Ich denke, ich werde noch etwas üben, Mister Parker.«

Sie ergriff einen zweiten Reifen, richtete ihn aus und schickte ihn auf die Reise. Wie an einer Schnur gezogen schoß er zielsicher auf ein weiteres Werkstattfenster zu und donnerte hindurch.

»Genau, wie ich es geplant habe, Mister Parker«, freute sich Lady Agatha. »Gekonnt ist eben gekonnt, pflege ich immer zu sagen.«

»Mylady sind einfach unübertrefflich«, ließ sich Parker etwas zweideutig vernehmen. »Es scheint übrigens, daß Myladys Zielübungen nicht unbedingt Mister Warners Beifall finden.«

»Darauf gebe ich nichts, Mister Parker, reichen Sie mir lieber einen neuen Reifen«, gab sie zurück und konzentrierte sich auf ihren nächsten Wurf.

*

»Sie haben die drei Leute in den Overalls doch sicher verhört, Mylady?« erkundigte sich am nächsten Morgen Mike Rander.

Der Anwalt und Vermögens Verwalter der Lady, um die vierzig, schlank und durchtrainiert und an einen bekannten James Bond-Darsteller erinnernd, war auf einen Sprung aus der Kanzlei in der nahen Curzon Street herübergekommen, um mit Mylady über eine ihrer zahlreichen Firmenbeteiligungen zu sprechen. Gleichzeitig wollte er bei dieser Gelegenheit auch erfahren, wie sich der Fall angelassen hatte, in den sein alter Studienkamerad Rupert Warner verwickelt war.

»Natürlich habe ich das, mein lieber Junge.« Lady Agatha schob ihr Gedeck zurück und blickte Josuah Parker, der würdevoll und gemessen neben dem Tisch stand, strafend an. »Aber Sie kennen ja Mister Parker und sein weiches Herz. Er hat wieder mal nicht zugelassen, daß ich die Strolche intensiv verhören konnte.«

»Die Herren waren nur unbedeutende Handlanger, die mit Sicherheit nichts Substantielles zu berichten gehabt hätten«, äußerte sich Parker höflich. »Mylady haben dies natürlich sofort erkannt und deshalb auf eine eingehende und zeitraubende Befragung verzichtet.«

»Nun ja, das stimmt natürlich.« Agatha Simpson nickte bestätigend und lehnte sich nachdenklich auf ihrem Ledersofa zurück. »Man muß ganz einfach einen Riecher dafür haben, welches Vorgehen etwas einbringt und welches reine Zeitverschwendung ist, Mister Parker, etwas, was mich schon immer ausgezeichnet hat, Ihnen jedoch völlig abgeht. Aber keine Angst, das bringe ich Ihnen schon noch bei.«

»Meine bescheidene Wenigkeit darf sich schon im voraus bedanken, Mylady.« Parker verneigte sich würdevoll und zeigte sich ob der Großzügigkeit seiner Herrin tief bewegt. »Man wird alles tun, um sich als gelehriger Schüler zu erweisen.«

Kathy Porter, die etwa dreißigjährige, attraktive Gesellschafterin und Sekretärin mit hochangesetzten Wangenknochen und leicht ins Rötliche gehendem Haar, wandte sich ab, um einen Lachkrampf zu unterdrücken. Sie preßte ihre kleine Faust gegen den Mund und bemühte sich, sich zu beherrschen.

Die junge Frau wirkte auf den ersten Blick wie ein scheues Reh, verwandelte sich im Bedarfsfall aber in eine Pantherkatze und war dank Parkers intensiver Schulung mit allen Arten fernöstlichen Kampfsports vertraut. Über ihre Funktion hinaus genoß sie fast den Status einer Tochter des Hauses.

Es war Myladys innigster Wunsch, die beiden Kinder, wie sie Kathy Porter und Mike Rander nannte, miteinander zu verheiraten. Um dieses Ziel zu erreichen, zog sie alle Register einer Kupplerin und war fest davon überzeugt, eines Tages ihren Wunsch erfüllt zu sehen.

Wie Mike Rander genoß sie die Rededuelle, die sich die Hausherrin und ihr Butler täglich lieferten und wußte natürlich ebenso wie der Anwalt, daß diese rhetorischen Gefechte von einem tiefen, gegenseitigen Respekt geprägt und nicht wirklich ernst gemeint waren.

»Konnten die Schläger denn nichts zur Sache aussagen, Mylady?« fragte Kathy Porter, als sie wieder in der Lage war, ruhig und beherrscht aufzutreten und zu sprechen.

»Sie erwähnten einen Buchmacher, der sie angeblich geschickt hat«, erinnerte sich die Lady prompt. »Ich denke, es handelt sich um ein Subjekt namens Butcher, nicht wahr, Mister Parker?«

»In der Tat, Mylady.« Parker wandte sich an Kathy Porter und Mike Rander und setzte das Informationsgespräch fort. »Mister Baker soll hier in der City eine kleine Wettannahme betreiben und die drei Herren auf Mylady angesetzt haben.«

»Genau, wie ich es sagte«, freute sich die ältere Dame und ging über die kleine Namenskorrektur hinweg. »Ich denke, ich werde nachher den Wettschwindler aufsuchen und mich ein wenig mit ihm unterhalten. Vielleicht werde ich sogar eine Wette bei ihm abschließen, schließlich muß ich das Geld, das Mister Parker leichtsinnigerweise ausgegeben hat, wieder hereinholen.«

»Welcher Art war denn die Verschwendung, der sich Mister Parker wieder mal schuldig gemacht hat?« erkundigte sich Mike Rander lächelnd und zwinkerte Kathy vergnügt zu. Er kannte nur zu gut die Sparsamkeit der Lady, die manchmal an Geiz grenzte und auch bei echten Schotten ihre Anerkennung gefunden hätte.

»Mister Parker hat Ihrem Freund viel Geld dafür gegeben, daß ich versehentlich eines seiner Fenster zertrümmerte«, verbreitete sie sich über das Thema und sah Parker strafend an. »Mit soviel Geld kann man die ganze Werkstatt renovieren lassen.« Sie seufzte und blickte ergeben zur Decke. »Nun ja, ich werde mich eben in den nächsten Wochen etwas einschränken und Mister Parker dazu anhalten, auf Sonderangebote zu achten.«

»Vielleicht sollte Mister Parker auch nicht mehr so viele Videofilme ausleihen, Mylady, ein halbes Dutzend pro Woche würde unter Umständen reichen«, witzelte Mike Rander und spielte damit auf ein Hobby der Agatha Simpson an, dem sie mit Leidenschaft frönte.

Die Dame des Hauses pflegte sich oft zur Meditation, wie sie es nannte, zurückzuziehen, um dann einen Videofilm nach dem anderen anzusehen. Um diese harmlose Liebhaberei zu kaschieren, schützte sie jedesmal vorbereitende Arbeiten für ihren ersten Roman vor, den sie in Kürze zu schreiben gedachte.

»Nun, die Filme kosten nun wirklich nicht die Welt, mein lieber Junge«, protestierte sie umgehend. »Außerdem brauche ich sie als Studienmaterial, sozusagen zur Recherche für meine eigenen Arbeiten. Man möchte schließlich wissen, was die Konkurrenz herausgebracht hat.«

»Wobei außer Frage steht, daß Mylady keinerlei Konkurrenz zu fürchten hat«, äußerte Parker höflich. »Mylady werden die Kunstszene völlig verändern und auf ein bis dahin nie dagewesenes Niveau heben.«

»Das haben Sie sehr schön gesagt, Mister Parker, und so treffend«, freute sich Lady Agatha. »Besser hätte sogar ich es nicht formulieren können«, fügte sie anerkennend hinzu und musterte den Butler mit unübersehbarem Wohlwollen.

»Wie kam es denn dazu, daß Sie versehentlich ein Fenster zertrümmerten, Mylady?« wollte Kathy Porter wissen und sah ihre Chefin gespannt an.

»Nur ein kleines Versehen, mein Kind, weiter nichts.« Mylady winkte lässig ab und breitete bedauernd die Arme aus. »Mir rutschte ein Rennreifen aus der Hand, rollte davon und zerschlug die Scheibe, so war das.«

»Ihnen rutschte ein Reifen aus der Hand?« erkundigte sich Mike Rander lächelnd. »Was wollten Sie denn damit, Mylady?«

»Mylady stoppte einen Schläger, der sein Heil in der Flucht suchen wollte«, erklärte Parker anstelle seiner Herrin. »Dabei geriet besagter Reifen durch widrige, nicht vorhersehbare Umstände aus der Richtung und richtete leichten Schaden an.«

»Sagten Sie vorhin nicht, es wären mehrere Fensterscheiben gewesen?« bohrte Mike Rander nach.

»In der Tat, Sir.« Parker nickte dem Anwalt höflich zu, schwieg dann aber, um seiner Herrin die Erklärung zu überlassen.

»Zieren Sie sich nicht, Mister Parker, sagen Sie schon, wie es war«, forderte sie und seufzte erneut. »Ich hoffe, Sie wissen noch, wie es passierte«, fügte sie hinzu und sah Parker gespannt an.

»Wie Sie wünschen, Mylady.« Parker verbeugte sich höflich und lieferte die Erklärung. »Mylady führten nach diesem kleinen Malheur einige ergänzende Tests durch, da man sich nicht erklären konnte, wie der erste Reifen derart außer Kontrolle geraten konnte. Im Verlauf dieser Tests wurden zwangsläufig weitere Scheiben in Mitleidenschaft gezogen, diesmal jedoch aus rein wissenschaftlichen Erwägungen und sozusagen geplant.«

Agatha Simpson sah ihren Butler verblüfft an, auf eine derartige Erklärung war sie nicht gefaßt gewesen. Sie räusperte sich lautstark und nickte energisch. »Richtig, Mister Parker, genauso war der Hergang. Ich hoffe, damit ist diese Angelegenheit hinreichend erklärt«, wandte sie sich an die »Kinder«.

»Nur noch eine Frage, Mylady.« Mike Rander lächelte sie entwaffnend an und zwinkerte diesmal Parker zu. »Was hat Sie dieser... äh... wissenschaftliche Test gekostet?«

»Erinnern Sie mich nicht daran, mein lieber Junge ...« Lady Agathas Stirn umwölkte sich sorgenvoll. In ihre Augen trat unübersehbare Traurigkeit. »Mister Parker war wie immer in solchen Situationen wieder mal alles andere als maßvoll. Was haben Sie diesem Rennstallunternehmer in den gierigen Rachen geworfen?«

»Lediglich hundert Pfund, Mylady«, berichtete Parker würdevoll, »ein Betrag, der sich gemessen am Schaden durchaus in Grenzen hält.«

»Mein Gott! Solches Denken bringt mich noch an den Bettelstab!« Lady Agatha sackte förmlich in sich zusammen und griff verzweifelt an die Stelle, wo sie ihr Herz vermutete. »Das halte ich nicht aus«, stöhnte sie. »Das macht mein Kreislauf nicht mit.«

»Darf man Mylady die Medizin reichen?« Parker stand bereits neben seiner Herrin und verabreichte ihr ein hochwirksames Mittel. Lady Agatha griff nach dem Schwenker mit dem alten französischen Cognac und trank ihn leer.

Wie sich einen Moment später zeigte, war dies genau die richtige Rettungsmaßnahme gewesen. Myladys Wangen bekamen wieder Farbe, sie richtete sich mit einem Ruck auf und sah sich mit blitzenden Augen um.

»Und jetzt werde ich diesen Wettschwindler aufsuchen«, verkündete sie voller Energie. »Mister Parker, treffen Sie alle Vorbereitungen für die Abfahrt.«

*

»Nun, Mister Parker, das sieht ja recht passabel aus.« Lady Agatha sah sich animiert in dem kleinen Wettbüro in Soho um, das laut Leuchtreklame über dem Eingang von einem gewissen Sol Baker betrieben wurde.

An einer Längswand befanden sich verglaste Verschläge, hinter denen die Wetten angenommen wurden. Sämtliche Wände waren mit Plakaten von Sportveranstaltungen und mit Ankündigungen und Ergebnistabellen bedeckt. An den Schmalseiten des Büros standen zerschlissene Sessel an kleinen Tischen, wo die Wettscheine ausgefüllt wurden, Deckenlautsprecher übertrugen ohne Unterbrechung Rennen und Durchsagen, die mit den Stimmen der Wetter zu ohrenbetäubender Lärmkulisse anschwollen.

»Na, willste deine Haushaltskasse ’n bißchen aufbessern?« erkundigte sich ein abgemagerter, älterer Mann in zerschlissenem Anzug bei Lady Agatha und grinste, »dann würde ich im nächsten Rennen ›Lady Windsor‹ auf Sieg setzen, ’n todsicherer Tip, auf Ehre und Gewissen!«

Lady Agatha musterte den vorlauten Wetter nachdenklich und wandte sich an ihren Butler. »Was sagen Sie zu diesem Tip, Mister Parker?« erkundigte sie sich stirnrunzelnd. »Sollte ich tatsächlich ein Pfund auf dieses Pferd setzen?«

»Die Voraussagen für dieses Rennen nennen ›Lady Windsor‹ in der Tat als den großen Geheimfavoriten, Mylady«, wußte Parker, der wie immer gut informiert war und vor dem Besuch des Wettbüros einschlägige Fachblätter studiert hatte.

»Ach, wirklich?« Agatha Simpson machte einen ausgesprochenen unternehmungslustigen Eindruck. »Sie glauben also auch, daß ich damit ein paar Pfund gewinnen könnte?«

»Möglicherweise, Mylady.« Parker wiegelte vorsichtig ab. »Da ›Lady Windsor‹ als Geheimfavorit gilt und dementsprechend stark gesetzt werden wird, dürfte die Quote nicht allzuhoch sein. Bei einem Pfund Einsatz dürften Mylady wahrscheinlich nur drei Pfund zurückbekommen.«

»Und so was nennt sich Gewinn?« Die ältere Dame war aufrichtig empört.

»Auf Einlauf müssen Sie setzen, das bringt Geld in die Kasse!« ließ sich ein anderer Wetter vernehmen, der in Myladys Nähe stand und sich einen sogenannten »Flachmann« mit Whisky einverleibte. »Nur mit ’ner Einlaufwette kommt man zu was, glauben Sie mir das!«

»Eine Einlaufwette, Mister Parker?« Lady Agatha wiegte nachdenklich den Kopf und gab sich den Anschein sorgfältigen Abwägens. »Na, Mister Parker, was sagen Sie dazu? Wissen Sie, was das ist oder soll ich es Ihnen kurz erklären?«

»Mylady sprechen möglicherweise von einer Wette, bei der die ersten drei Pferde in der richtigen Reihenfolge gesetzt werden müssen«, sagte Parker erklärend. »Eine nicht ganz einfache Vorhersage, dafür aber entschieden lukrativer, wenn man gewinnt.«

»Richtig, Mister Parker, Sie haben es erfaßt!« Lady Agatha nickte gewichtig und baute sich vor den Tabellen mit den Ergebnissen auf, um sie eingehend zu studieren.

In diesem Augenblick kam eine neue Durchsage, die die Leute im Büro förmlich elektrisierte. »Das Rennen in Ascot startet in fünf Minuten«, plärrte der Lautsprecher. »Letzte Gelegenheit, um Wetten zu plazieren!«

Im Nu waren die Wettschalter von gestikulierenden Männern und Frauen belagert, die unbedingt noch ihre Einsätze tätigen wollten, bevor es zu spät war.

Lady Agatha ließ sich von der allgemeinen Hektik und Aufregung anstecken und pflügte sich energisch durch die Menschenansammlung vor einem der Schalter.

»Fünfzig Pfund auf Einlauf, junger Mann«, verlangte sie, »und zählen Sie schon mal meinen Gewinn ab, wenn ich bitten darf.«

»Haben Sie keinen Wettschein ausgefüllt?« Der »junge Mann« hinter dem Schalter, ein gut Sechziger mit ausgeprägter Stirnglatze, sah die Lady vorwurfsvoll an.

»Papperlapapp! Das werden Sie selbstverständlich für mich erledigen«, entschied Agatha Simpson und sah ihn entschlossen an.

»Na schön, wenn Sie meinen ... Auf welche Gäule wollen Sie setzen?«

»Das ist gar nicht so einfach.« Lady Agatha rieb sich nachdenklich das Kinn und starrte auf ein großes Plakat neben dem Schalter, das für ein Rennen in Paris warb.

»Was meinen Sie, junger Mann, was ist Ihr Tip?« erkundigte sie sich schließlich bei dem hinter ihr stehenden Mann und sah ihn erwartungsvoll an.

»Das gibt’s doch wohl nicht!« Ein anderer Wetter aus der Schlange hinter der Lady wurde ungeduldig und schob sich drohend näher. »Erst drängelt sich die komische Alte vor, dann hat ’se nich’ mal ’n Schein ausgefüllt, und jetzt weiß ’se nich’ mal, auf welche Gäule sie setzen soll, das is’ doch der Gipfel!«

»Meinen Sie mich, Sie Subjekt?« Lady Agatha ließ sich gern ablenken und ignorierte souverän das drohender werdende Gemurmel. Sie winkte den aufmüpfigen Mann näher und musterte ihn erfreut.

»Na klar, wen denn sonst?« Der Leichtsinnige, dem eine Gin-Fahne voranwehte, starrte die Lady wütend an und fuchtelte mit einer Rennzeitung vor ihrer Nase herum.

»Was sind denn das für Manieren, geht man so mit einer Dame um?« Lady Agatha schnalzte mißbilligend mit der Zunge, entriß dem verdatterten Mann die Rennzeitung und schlug sie ihm um die Ohren.

Dann wandte sie sich wieder dem Schalter zu, um sich ihrer Wette zu widmen, aber der zurechtgewiesene Mann mit der Gin-Fahne machte sich wieder bemerkbar. Er ergriff den Oberarm der resoluten Dame und wollte sie aus der Schlange der Wartenden ziehen, aber damit war sie natürlich nicht einverstanden.

Agatha Simpson drehte sich zu dem aufdringlichen Menschen um und sah ihn strafend an. »Sie schon wieder?« erkundigte sie sich und drohte ihm scherzhaft mit dem Zeigefinger. Dann schnellte ihre Hand vor, ergriff den Hosengürtel des überraschten Mannes, und Mylady beförderte den Zappelnden unter Beifallskundgebungen der übrigen Wetter mit Schwung auf die Straße.

Parker lüftete höflich die Melone, als seine Herrin in den Laden zurückkam und zum Wettschalter zurückeilen wollte.

»Bedauerlicherweise hat das Rennen schon begonnen«, meldete er, »ein Einsatz dürfte nicht mehr möglich sein.«

»Das werden wir ja sehen«, grollte sie und baute sich vor dem leeren Schalter auf. »Was kann ich denn dafür, daß mich der aufdringliche Mensch daran gehindert hat, rechtzeitig zu setzen? Junger Mann, fünfzig Pfund auf Einlauf, wenn ich bitten darf!« verlangte sie und trommelte ungeduldig auf die Theke.

»Welches Rennen?« Der Mann hinter dem Tresen grinste sie herausfordernd an.

»Na, für das in Ascot natürlich. Beeilen Sie sich, junger Mann, sonst ist es vorbei!«

»Für Sie ist es leider vorbei«, stellte der Angestellte hinter dem Tresen sachlich fest. »Es dürfte doch wohl sonnenklar sein, gute Frau, daß keine Wetten mehr angenommen werden können, wenn das Rennen bereits läuft.«

»Was sagen Sie dazu?« Lady Agatha sah Parker aufgebracht an. »Dieser Lümmel ist doch wohl die Unverschämtheit in Person. Ich überlege ernsthaft, ob ich ihn ohrfeigen soll!«

Bevor Parker sich dazu äußern konnte, machte sich wieder der Lautsprecher bemerkbar und brachte einen Zwischenstand vom laufenden Ascot-Rennen.

»Es führt ›Lady Windsor‹ mit zwei Längen Vorsprung vor ›Charlston‹, die drei Längen vor ›Hazeltime‹ liegt«, schilderte der Sprecher erregt. »Man kann davon ausgehen, liebe Pferdesportfreunde, daß dies auch der endgültige Einlauf sein wird.«

»Na also, wie ich es vorhersagte.« Lady Agatha nickte zufrieden und griff nach einem Wettschein, den sie lächelnd ausfüllte.

»Meine Einlaufwette, junger Mann«, bemerkte sie, als sie dem Mann hinter dem Schalter den Schein zuschob. »Heute werde ich mal leichtsinnig sein und tausend Pfund riskieren. Also, ›Lady Windsor‹ vor ›Charlston‹ und ›Hazeltime‹, das ist mein Tip!«

»Was Sie nicht sagen!« Der Mann musterte sie grinsend und schüttelte ungläubig den Kopf. »Sagen Sie mal, meinen Sie das ernst oder wollen Sie mich nur veralbern? Ziehen Sie endlich Leine, mein Bedarf an humoristischen Einlagen ist für heute vollauf gedeckt.«

»Sie weitern sich doch nicht etwa, meine Wette anzunehmen?« Lady Agatha sah den Mann vor sich mehr als nur grimmig an, wurde aber dann von einer neuerlichen Durchsage abgelenkt, die ihren Tip bestätigte.

»Da hören Sie’s, ich liege voll im Trend«, freute sie sich und wedelte ungeduldig mit ihrem Wettschein. »Etwas Beeilung, junger Mann, das Rennen ist gleich vorbei, oder wollen Sie lieber gleich meinen Gewinn auszahlen?«

»Jetzt reicht’s mir aber. Verschwinden Sie!« Der Schalterangestellte ließ eine Art Rollo vor seinem Verschlag herunter und entzog sich damit Myladys Blicken.

Agatha Simpson starrte einen Moment indigniert auf dieses Rollo, dann hob sie ihren perlenbestickten Handbeutel, um dezent anzuklopfen und sich bemerkbar zu machen. Leider hatte sie dabei wohl die Dosierung falsch eingeschätzt.

Der Pompadour mit dem darin befindlichen Glücksbringer in Form eines veritablen Hufeisens krachte zunächst gegen die dünne Scheibe, die den Verschlag gegen den Besucherraum abgrenzte, und ließ einen Splitterregen vor Lady Agathas Füße niedergehen.

Anschließend bohrte sich der Pompadour durch das dahinter befindliche Rollo und löste es förmlich in seine Bestandteile auf. Ein weiteres Splittern, diesmal jedoch aus Holz, war die Folge.

Plötzlich hatte die resolute Lady wieder den Schalterangestellten vor sich, der sie ungläubig und überrascht ansah. Er hielt eine Teetasse in der Hand und hatte sich wohl beim Zersplittern der Scheibe und des Rollos so hastig umgedreht, daß er einen Teil des Tees auf seinem Hemd verschüttet hatte.

»Da sind Sie ja wieder«, freute sich Agatha Simpson. »Nun aber hurtig, junger Mann, beenden Sie Ihre Pause und nehmen Sie mir endlich meinen Wettschein ab. Was ist das eigentlich für ein Service hier?«

Bevor sich der aus der Fassung geratene Angestellte dazu äußern konnte, folgte eine neuerliche Lautsprecherdurchsage. »Und hier ist wieder Ascot mit dem endgültigen Ergebnis«, verkündete der Sprecher mit enthusiastischer Stimme. »Es bleibt dabei, liebe Pferdesportfreunde, es siegte ›Lady Windsor‹ mit gut drei Längen Vorsprung vor ›Charlston‹, die zwei Längen vor ›Hazeltime‹ durchs Ziel ging!« Der Sprecher fuhr in seinem Bericht fort und nannte die später eingelaufenen Pferde, aber das interessierte Mylady schon nicht mehr.

Zufrieden lächelnd wandte sie sich an den Butler. »Haben Sie gehört, Mister Parker, genau, wie ich es vorausgesagt habe. Tja, für so was muß man einen Riecher haben. Wie lautet übrigens die Quote?«

»Acht zu eins, Mylady, wie jene Tafel dort ausdrücklich bestätigen dürfte«, bemerkte Parker höflich und wies auf eine große Schrifttafel, auf der mit Kreide die jeweiligen Quoten vermerkt wurden.

Die passionierten Wetter stürzten zu den Schaltern und wedelten dort aufgeregt mit ihren Tippscheinen. Sie wollten die Gewinne kassieren und drängten wild durcheinander, um so schnell wie möglich an ihr Geld zu kommen.

»Nun sehen Sie doch nur, wie sich diese armen Menschen aufführen, nur um ihre paar Pfund in Empfang zu nehmen«, bemerkte Lady Agatha ein wenig mitleidig, »Sie sagten acht zu eins, Mister Parker, das habe ich doch richtig verstanden?«

»Durchaus, Mylady, das ist durch Aushang ausdrücklich zugesichert worden.«

Lady Agathas Augen bekamen einen nahezu unnatürlich intensiven Glanz, und sie räusperte sich aufgeregt. »Dann habe ich ja achttausend Pfund verdient, Mister Parker, ich muß schon sagen, dieser Besuch hier hat sich wirklich gelohnt.«

»Es gelang Mylady, eine Wette zu plazieren?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen, der wieder mal gewisse Mißverständnisse und Verwicklungen voraussah.

»Eben nicht, Mister Parker, das ist es ja!« Die ältere Dame befand sich in einem ausgesprochen euphorischen Zustand. »Hätte ich setzen können, hätte ich natürlich nur siebentausend Pfund gewonnen, denn Sie müssen ja vom Gewinn den Einsatz abziehen. So aber ist mein Gewinn rein netto, da ich erfreulicherweise nichts einzusetzen brauchte!« Sie rieb sich die Hände in dem Bewußtsein, ein außerordentlich lukratives Geschäft getätigt zu haben.

»Möglicherweise wird man Myladys Gewinn nicht anerkennen«, machte Parker gemessen auf ein kleines, aber sehr reales Problem aufmerksam. »Die Geschäftsleitung wird unter Umständen den Standpunkt vertreten, daß ohne Einsatz auch kein Gewinn möglich ist.«

»Ich muß doch sehr bitten, was soll diese kleinliche Prinzipienreiterei, Mister Parker?« empörte sich Agatha Simpson umgehend und sah ihren Butler mit flammenden Augen an. »Also gut, das werden wir gleich feststellen.«

Sie drängte einige Wettlustige beiseite, die wegen ihrer bescheidenen Gewinne noch immer anstanden, und schob sich energisch zum Schalter vor. »Achttausend Pfund, junger Mann!« verlangte sie und schwenkte munter ihren Tippzettel, den sie nicht abgegeben hatte. »Bitte in kleinen, gebrauchten Scheinen, die großen lassen sich immer so schwer ausgeben.«

Der Angestellte hinter dem Tresen seufzte vernehmlich und drehte sich zu seinem Kollegen um, der Geldbündel sortierte.

»Sag’ dem Boß Bescheid«, befahl er gereizt. »Diese komische Tante scheint Ärger machen zu wollen.«

Dann wandte er sich an Agatha Simpson, die vor ihm stand und ungeduldig auf ihren »Gewinn« wartete. »Einen Augenblick, Mylady, der Chef kommt gleich selbst und kümmert sich um sie. Wissen Sie, bei Gewinnen dieser Größenordnung wird der glückliche Wetter vom Chef selbst bedient und zu einem Glas Schampus eingeladen.«

»Eine durchaus erfreuliche Tatsache«, kommentierte Lady Agatha zufrieden. »Ich hoffe nur, man kredenzt hier keinen Tropfen aus dem Sonderangebot, sondern etwas Anständiges.«

»Selbstverständlich wissen wir, was sich gehört. Bei solchen Gewinnen gibt’s nur vom Feinsten, glauben Sie mir. Nehmen Sie inzwischen einen Augenblick Platz. Man wird Sie gleich abholen und zur Geschäftsleitung bringen.«

»Haben Sie gehört, Mister Parker?« wandte sie sich an den Butler und nickte ihm lächelnd zu. »Man wird mir meinen Gewinn bei einem Glas Champagner überreichen. Scheint ein anständiges Haus zu sein, meinen Sie nicht auch? Weshalb waren wir eigentlich hergekommen, wollte ich hier nicht ein kriminelles Subjekt treffen?« fuhr sie fort und runzelte nachdenklich die Stirn.

»Im Prinzip schon«, lautete Parkers salomonische Antwort. »Mylady gedachten, den Geschäftsinhaber wegen einiger Herren zu befragen, die Mylady im Rennstall des Mister Warner belästigten.«

»Tatsächlich?« wunderte sie sich und sah ihn kopfschüttelnd an. »Das war doch Ihre Idee, Mister Parker! Warum sollte ein Mann, der sein Geschäft in derart vorbildlicher Weise führt und die Gewinner größerer Summen sogar zu einem kleinen Umtrunk einlädt, schon mit Kriminellen zu tun haben? Nein, Mister Parker, diesmal sind Sie auf dem Holzweg, das müssen Sie einsehen. Aber gut, ich will dieses Thema nicht weiter vertiefen, ich möchte Sie schließlich nicht deprimieren.«

»Mylady sind einfach zu gütig.« Parker bedankte sich durch eine angedeutete Verbeugung. »Möglicherweise ist meine bescheidene Wenigkeit einer Fehlinformation zum Opfer gefallen.«

»Macht nichts, Mister Parker.« Lady Agathas gute Laune war fast körperlich spürbar. Die ältere Dame sprühte nahezu vor Glückseligkeit in Anbetracht des zu erwartenden Gewinns. »Jeder kann sich irren, Mister Parker, sogar mir ist das schon passiert!« lächelte sie und korrigierte sich gleich darauf: »Wenn auch sehr selten, Mister Parker, eigentlich so gut wie gar nicht...«

»Sind Sie die glückliche Gewinnerin?« erkundigte sich in diesem Augenblick ein bullig aussehender junger Mann um die dreißig, der aus einer Seitentür gekommen war und nun neben dem Tisch der Lady stand. »Der Boß sagt, ich soll Sie zu ihm bringen.«

Der Kompakte steckte in einem dunkelblauen Nadelstreifenanzug, in dem er eher verkleidet als gut angezogen wirkte. Man sah ihm den Schläger nur zu deutlich an. An diesem Eindruck änderten auch sein etwas verkrampft wirkendes Lächeln und die weiße Nelke im Knopfloch nichts.

Parkers geschultem Blick entging auch keinesfalls die Handfeuerwaffe, die der Mann unter der linken Achsel trug.

Hinter dem Kompakten stand ein zweiter Mann ähnlichen Kalibers, der sich in einen grauen, genauso unpassend wirkenden Anzug gezwängt hatte und beim Grinsen eine beachtliche Zahnlücke präsentierte.

»Hat Ihr Chef mein Geld schon bereitgelegt?« erkundigte sich Agatha Simpson besorgt, während sie sich erhob und zur Tür steuerte, durch die die beiden »Gentlemen« gekommen waren. »Ich hoffe, ich kann es sofort entgegennehmen.«

»Aber klar, Lady, der Boß weiß doch, was er einem guten Kunden schuldig ist.«

Der Mann im Nadelstreifenanzug wollte die Tür hinter sich zuwerfen, als Parker sich diskret hinter ihm in den Gang schob und ihm höflich zunickte.

»He, was wollen Sie denn?« blaffte der Mann und musterte den Butler ärgerlich. »Sie hat niemand eingeladen, wir sind auf dem Weg zu ’ner ganz privaten Party.«

»Selbstverständlich wird Mister Parker mich begleiten«, meldete sich Lady Agatha zu Wort und sah die beiden »Gentlemen« lächelnd an. »Mister Parker ist da, wo ich auch bin, aber das können Sie ja nicht wissen, meine Herren!«

*

»Sie scheinen ja nicht schlecht von Ihren Wettern zu leben«, kommentierte Lady Agatha das luxuriöse Büro, in dem Mahagoni und Leder dominierten und den Eindruck äußerster Gediegenheit vermittelten.

»Man kann davon leben«, bestätigte der Mann hinter dem riesigen Schreibtisch und erhob sich, um seinerseits der Lady neugierig entgegenzusehen. Der Hausherr war ein kleiner, untersetzter Mann um die fünfzig, der auch an der eigenen Person seinen Wohlstand zur Schau stellte.

Eine nicht eben kleine, rosig schimmernde Perle steckte an seinem Revers und leuchtete dem Betrachter förmlich entgegen. Die korrekt etwas aus den Ärmeln hervorstehenden Manschetten wurden von riesigen, zu Manschettenknöpfen umgearbeiteten Rubinen zusammengehalten, und an seinen Fingern prangten diverse auffällige Ringe. Der ganze Mann war eine einzige Demonstration von Geschmacklosigkeit und hemmungsloser Prunksucht.

»Ihre Kunden verlieren wohl in der Regel«, fuhr die passionierte Detektivin munter fort und betrachtete den aufgeblasenen Geck hinter dem polierten Riesenschreibtisch. »Aber ab und zu geraten natürlich auch Sie an den Falschen, mein Lieber. Ich jedenfalls habe eine erkleckliche Summe gewonnen und freue mich, daß Sie sich als anständiger Verlierer zeigen und mir mein Geld persönlich aushändigen wollen.«

»Darf ich Ihnen ein Glas Champagner anbieten lassen?« erkundigte sich der Hausherr mit erstaunlich hoher Fistelstimme, die gar nicht so recht zu dem gedrungenen Körper passen wollte. »Ein ausgezeichneter Tropfen, den ich für mich ganz persönlich in Frankreich keltern lasse.«

»Kein schlechter Gedanke.« Agatha Simpson nickte ihm freundlich zu und nahm sich ihr Glas von einem Silbertablett, das ihr einer von den beiden Männern, die sie hergebracht hatten, entgegenhielt.

»Eigentlich mache ich mir ja nichts aus Alkohol«, fuhr sie fort und nippte an dem wirklich ausgezeichneten Getränk, »aber unter diesen Umständen kann man wohl ein wenig großzügig sein, denke ich.«

»Sehr richtig, man muß auch mal seinen eigenen Prinzipien untreu werden«, lächelte Sol Baker und zeigte bei dieser Gelegenheit, daß er einen Großteil seiner Einnahmen in die Vergoldung seines Gebisses investiert hatte.

»Dann wollen wir mal zur Sache kommen«, erklärte er und ließ sich wieder in seinen Sessel fallen, nachdem er sein Glas geleert hatte. »Es scheint da ein kleines Mißverständnis vorzuliegen, befürchte ich.«

»Haben Sie mein Geld etwa nicht zur Hand?« sorgte sich Lady Agatha umgehend und sah ihn stirnrunzelnd an. »Achttausend Pfund dürften doch für einen Mann wie Sie eine Kleinigkeit sein. Nun ja, ich würde notfalls auch einen Scheck annehmen, in dem Fall hätte ich bis zur Gutschrift allerdings gern ein Pfand, sagen wir mal, einer Ihrer Ringe oder Ihrer Manschettenknöpfe. In Gelddingen muß man ja heutzutage sehr vorsichtig sein, aber das wissen Sie sicher selbst, junger Mann.«

Der exzellente Butler Parker 19 – Kriminalroman

Подняться наверх