Читать книгу Butler Parker 124 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
ОглавлениеLady Agatha Simpson fühlte sich belästigt.
Die majestätisch aussehende, schon ein wenig angejahrte Dame, die ihr Alter seit Jahren konstant mit sechzig bezifferte, saß auf der Terrasse eines kleinen Strandcafés und wollte sich gerade intensiv mit einem Stück Torte befassen. Die drei jungen Rowdies aber hinderten sie daran.
Sie standen hinter Lady Agatha und führten ein wenig anzügliche Reden. Sie ließen sich über das vermutliche Körpergewicht der Dame aus, diskutierten über ihren Hut, der ein wenig an den Südwester eines Fischers erinnerte, und kamen zu dem kühnen Schluß, die resolute Frau sei mit einer Schreckschraube durchaus zu vergleichen.
Lady Agatha ließ sich nicht leicht aus der Ruhe bringen, wie sie stets behauptete. In Wirklichkeit verfügte sie über ein rassiges Temperament und wartete stets auf ihre Stunde, die immer wieder kam ...
Sie saß allein am Tisch, obwohl zwei Stücke Sahnetorte serviert worden waren. Ihre Gesellschafterin Kathy Porter hatte sich vor wenigen Minuten entschuldigt, um einige Ansichtskarten zu kaufen. Agatha Simpson geriet wegen der drei Flegel keineswegs in Panik, schaute allerdings indigniert hoch, als einer der jungen Männer ohne jede Erlaubnis nach ihrem Tortenstück griff, um es sich in den Mund zu schieben.
Fremde Hilfe war in dieser Ecke der weiten Terrasse nicht zu sehen. Lady Simpsons Tisch stand verborgen hinter großen Topfpalmen und dicht gefüllten Blumentöpfen. Sie war vom eigentlichen Café aus nicht zu sehen. Das nutzten die drei Rowdies aus, die über die Begrenzungsmauer gekommen waren.
Leicht angetrunken suchten sie Streit, wollten sich zumindest einmal wirklich überlegen und stark fühlen, Widerstand war von dieser Dame nicht zu erwarten, meinten sie.
Lady Simpson reagierte auf den Mundraub beherrscht und souverän. Ihre rechte Hand griff nach dem perlenbestickten Pompadour, der vor ihr auf dem kleinen runden Tisch lag. Bruchteile von Sekunden später schwang dieser Pompadour über Agatha Simpsons Schulter hinweg und landete auf dem Handrücken des völlig überraschten Tortenräubers. Da der perlenbestickte Handbeutel an starken Schnüren hing, hatte er viel Energie mitbekommen, die er an den Handrücken weitergab.
In der Hand des Flegels aber befand sich nun das bereits erwähnte Tortenstück. Die Katastrophe war also unvermeidlich. Die Sahne legte sich wie eine Schönheitsmaske auf das Gesicht des jungen Mannes und wurde teilweise auch in die Mundhöhle getrieben.
Ein mittelschwerer Erstickungsanfall war das erste Resultat. Dann jaulte der Flegel auf und fühlte sich für einige Augenblicke blind. Die Sahne verklebte ihm nämlich auch die Augen. Der Rowdy fuchtelte mit den Händen verzweifelt in der Luft herum und fühlte sich gedemütigt.
Die beiden anderen Flegel brüllten vor Schadenfreude und lachten. Mit dieser Reaktion hatten sie gewiß nicht gerechnet. Sie fanden sie neckisch. Dann aber besannen sie sich auf ihre ursprüngliche Absicht und warfen sich auf die ältere Dame. Sie wollten ihr mal kurz zeigen, wer hier das Sagen hatte.
Doch Lady Simpson machte es ihnen deutlich klar. Sie hatte sich bei der Bedienung für Kaffee entschieden, in Anbetracht der Situation verzichtete sie aber auf ihn. Er wurde nun für andere Dinge gebraucht.
Dem zweiten Rowdy goß sie den Inhalt der Kaffeetasse kurzerhand ins Gesicht. Während der junge Mann aufheulte, ergriff Agatha Simpson das Tortenstück, das für Kathy Porter gedacht war. Sie drückte es samt dem Teller ins Gesicht des dritten Rowdy.
Der Mann glaubte zu ersticken, ruderte ebenfalls mit den Armen in der Luft und bekam nicht mit, daß die Aktivitäten seiner Gegnerin noch lange nicht erschöpft waren. Lady Simpson ergriff einen der Blumentöpfe und benutzte ihn als eine Art Dampframme. Sie setzte den nicht gerade kleinen Topf auf die Köpfe der drei Flegel, die dieser Beanspruchung nicht gewachsen waren. Sie gingen nacheinander in die Knie und ließen sich auf dem weißschwarzen Kies nieder.
Agatha Simpson nahm wieder Platz. Sie kümmerte sich nicht weiter um die Nichtsnutze, die diese Burschen in ihren Augen waren. Sie nickte der zurückkehrenden Kathy Porter freundlich zu.
»Mylady«, sagte Kathy überrascht und deutete auf die drei Tiefschläfer. »Sind Sie belästigt worden?«
»Wir wollen doch nicht übertreiben, Kindchen«, meinte die selbstbewußte Dame gelassen. »Sie wollten ihren Spaß haben und bekamen ihn. Reden wir nicht mehr darüber. Bestellen Sie zwei neue Stückchen Sahnetorte, Kathy. Vielleicht auch drei. Die körperliche Bewegung scheint meinen Appetit geweckt zu haben.«
*
Josuah Parker durchfuhr so etwas wie ein elektrischer Schlag. Er blieb selbstverständlich beherrscht und verlor nicht für eine Sekunde die Selbstbeherrschung. Sein glattes Gesicht zeigte keine Regung.
Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und näherte sich dem Strandcafé, um Lady Simpson und Kathy Porter abzuholen. Vor dem Café aber hatte er gerade einen Krankenwagen entdeckt, der von neugierigen Passanten umringt wurde. Parker entdeckte auch einen Streifenwagen der Polizei und ahnte, daß im Bannkreis seiner Herrin etwas geschehen sein mußte.
Josuah Parker arbeitete nun schon seit geraumer Zeit als Butler für die skurrile, immens reiche Dame. Sie war für jede Überraschung gut. Lady Simpson ging mit sehr viel Freude ihrem Hobby nach, Kriminalfälle aufzuklären, an denen die zuständigen Behörden sich die Zähne ausbissen. Darüber hinaus plante die aktive Dame, so schnell wie möglich einen Kriminal-Bestseller zu schreiben. Es war ihr Ehrgeiz, eine gewisse Agatha Christie nach allen Regeln der Kunst in den Schatten zu stellen.
Bisher hatte die Lady sich allerdings noch nicht für einen bestimmten Stoff entschieden. Sie suchte weiter nach ihm und geriet dabei von einem Kriminalfall in den anderen. Sie nahm jede noch so geringe Herausforderung an und hatte dementsprechend ihre Schwierigkeiten.
Als Parker den Krankenwagen und das Polizeifahrzeug sah, sorgte er sich verständlicherweise um seine Herrin. Hatte sie es wieder mal geschafft, in ein Fettnäpfchen zu treten? War sie diesmal an die falschen Leute geraten? Sollte sie jetzt in ein Hospital geschafft werden?
Josuah Parker hielt seinen Privatwagen an. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach seinen Wünschen und Vorstellungen aufgewertet worden war. Nach außen hin war es ein Taxi geblieben, doch unter der eckigen Karosserie war dieser Wagen ein wahres Wunderwerk der Technik geworden. Es handelte sich im Grund um eine fahrbare Trickkiste, vor der selbst routinierte Gangster immer wieder zurückschreckten.
Der Butler nahm den Umweg durch das Café, erreichte die Terrasse und atmete erleichtert auf. Agatha Simpson saß vor dem kleinen Tisch und befaßte sich gerade mit einem Stück Sahnetorte. Kathy Porter war ebenfalls nichts geschehen. Sie unterhielt sich mit einem uniformierten Sergeant.
»Mylady hatten Ungemach?« erkundigte sich Parker, während er seine schwarze Melone lüftete.
»Wieso ich?« gab die ältere Dame heiter zurück. »Fragen Sie lieber diese Flegel!«
»Mylady wurden belästigt?«
»Kaum«, lautete ihre Antwort. »Die Kerle wurden aufdringlich, und jetzt freuen sie sich auf ärztliche Behandlung.«
Nein, sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie schob sich das letzte Stück Torte in den Mund und sah desinteressiert auf die Krankenträger, die die drei jungen Rowdies gerade transportfähig machten.
Völlig verstört musterten die ihre Gegnerin mit größter Scheu. Sie wirkten nicht mehr angetrunken. Lady Agathas Therapie hatte sie vollkommen ernüchtert.
»Darf ich mich erkühnen, eine weitere Frage zu stellen?« Parker deutete eine knappe, respektvolle Verbeugung an.
»Erkühnen Sie sich!« Agatha Simpson nickte gewährend.
»Glauben Mylady an eine gezielte Belästigung?«
»I wo, Mr. Parker. Diese Burschen stach einfach der Hafer. Vergessen wir sie. Sie bringen gute Nachrichten?«
»In Myladys Sinn mit größter Wahrscheinlichkeit. Sir Paul ist unverständlicherweise während einer Segelpartie durch Ertrinken ums Leben gekommen, wie der hier zuständige Chief-Inspektor berichtet.«
»Unverständlicherweise?« Die Augen der passionierten Detektivin funkelten interessiert.
»Sir Paul, Mylady war, wenn ich erinnern darf, ein ausgezeichneter Schwimmer. Ferner herrschten am Unglückstag beste Wetterbedingungen, wie man meiner bescheidenen Wenigkeit versicherte. Es bleibt rätselhaft, wieso Sir Paul über Bord seines Segelbootes fallen und dann ertrinken konnte.«
»Also ein Verbrechen!« Agatha Simpson lächelte erstaunlicherweise, obwohl Sir Paul schließlich ein entfernter Verwandter von ihr war.
»Die letzte Wahrheit, Mylady, wird man wohl kaum in Erfahrung bringen können.«
»Papperlapapp, Mr. Parker! Wir werden dieses Verbrechen aufklären, verlassen Sie sich darauf! Mir streut man keinen Sand in die Augen! Sir Paul ist umgebracht worden. Stellen Sie fest, wer an seinem Tod verdient! Das ist wahrscheinlich schon der Schlüssel zu meinem neuen Fall.«
»Wie Mylady wünschen.« Josuah Parker seufzte innerlich auf. Ihm war klar, daß die nächsten Tage und Wochen mit Sicherheit nicht ruhig verliefen.
*
»Die Morgenpost, Mylady.«
Butler Parker hatte das große Frühstückszimmer betreten und präsentierte das Silbertablett, auf dem die Briefe und Prospekte lagen. Agatha Simpson frühstückte gerade zusammen mit ihrer Gesellschafterin und Sekretärin Kathy Porter. Das ungleiche Paar war zurück nach London gekommen und zur Tagesordnung übergegangen. Die Nachforschungen in Sachen Sir Paul hatten leider kein Ergebnis gezeigt.
Seit dem Aufenthalt an der Küste war gut eine Woche verstrichen. Dennoch war der Fall Sir Paul nicht zu den Akten gelegt worden. Genau das Gegenteil war sogar der Fall. Es zeichneten sich unheimliche Dinge ab, die mehr sein mußten als eine unglückliche Verkettung sonderbarer Umstände.
»Haben Sie die Post bereits durchsortiert, Mr. Parker?« fragte die Detektivin, während sie nach der Post griff.
»Offensichtlich ein weiterer Trauerfall, Mylady.« Butler Parker deutete auf einen schwarz umrandeten Brief. »Er stammt aus dem Hause Putnam, wie es der Absender aus weist.«
»Du lieber Himmel!« Die ältere Dame öffnete den Umschlag und holte die Todesanzeige hervor. Sie überflog den Text und reichte das Papier an ihren Butler weiter. »Sir George ist nun auch gestorben. Das stimmt mich nachdenklich, Mr. Parker.«
»Sehr wohl, Madam.« Parker enthielt sich jeden Kommentars.
»Zuerst Sir Paul, dann Walter Lesterfall und nun Sir George. Wie finden Sie das, Mr. Parker?«
»Eine, wenn ich es so ausdrücken darf, bestürzende Folge von schlechten Nachrichten, Mylady.«
»Überraschend verschieden...« Agatha Simpson ließ sich noch mal die Todesanzeige reichen. »Das sagt mir gar nichts. Ich werde Lady Putnam anrufen, obwohl ich sie nicht ausstehen kann.«
»Das Telefon, Mylady.« Parker holte den Apparat vom Sideboard und baute das Telefon vor seiner Herrin auf. Er suchte im Verzeichnis nach der Rufnummer und wählte sie. Nachdem die Verbindung hergestellt worden war, reichte er der Lady den Hörer.
Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten.
Als Agatha Simpson den Hörer auflegte, funkelten ihre Augen.
»Sie werden es nicht glauben, Mr. Parker«, sagte sie und machte dabei einen zufriedenen Eindruck. »Sir George kam bei einem Sportunfall ums Leben.«
»Das ist in der Tat erstaunlich, Mylady. Darf ich mich erkühnen, nach der speziellen Sportart zu fragen?«
»Sir George rutschte bei seinem üblichen Morgenlauf eine Böschung hinunter und brach sich das Genick.«
»Sportler scheinen meiner bescheidenen Ansicht nach sehr gefährlich zu leben, Mylady.«
»Das denke ich allerdings auch, Mr. Parker. Fassen Sie noch mal zusammen!«
»Sir Paul ertrank während einer Segelpartie, Mr. Lesterfall verschied tragischerweise vor wenigen Tagen während einer Motorradfahrt, und Sir George rutschte den bereits erwähnten Abhang hinunter.«
»Und das alles läßt Sie kalt, Mr. Parker?« Leichte Empörung klang in Lady Simpsons Stimme.
»Erfreulicherweise, Mylady huldige ich keiner Sportart«, sagte der Butler ausweichend.
»Papperlapapp, Mr. Parker. Sie wissen genau, was ich meine.«
»Gewiß, Mylady. Zufall oder Absicht, das dürfte die entscheidende Frage sein.«
»Und ob, Mr. Parker! Und wenn Sie mich fragen, so glaube ich an Absicht.«
»Zumal die so bedauerlich Verschiedenen größere Vermögen hinterlassen.«
»Na, endlich haben Sie begriffen«. Agatha Simpson nickte erleichtert. »Manchmal sind Sie ziemlich begriffsstutzig, Mr. Parker.«
»Wie Mylady wünschen.«
»Gezielte Morde wurden als Sportunfälle getarnt, Mr. Parker.«
»Dieser Verdacht, Mylady, bietet sich in der Tat an.«
»Und alles geschieht nach einem ganz bestimmten System, Mr. Parker.«
»Eine erregende Vorstellung, Mylady.«
»Nur eine Person scheint alle diese Morde inszeniert und ausgeführt zu haben.«
»Ich möchte nicht widersprechen, Mylady.«
»Das möchte ich Ihnen auch nicht raten.« Sie sah ihn grimmig an. »Vielleicht haben wir es aber auch statt nur mit einem mit mehreren Tätern zu tun, die aber alle zentral gesteuert werden.«
»Durchaus vorstellbar, Mylady.« Parker blieb zurückhaltend.
»Diese Zentrale werden wir finden und ausheben, Mr. Parker.«
»Ein äußerst schwieriges Unterfangen, Mylady, wenn ich es so umschreiben darf.«
»Wenn schon, Mr. Parker. Lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen, wie man die Sache angehen könnte! Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab.«
»Wie Mylady befehlen.« Parker deutete eine Verbeugung an. »Ich werde, Myladys Einverständnis vorausgeschickt, mit zuständigen Kontaktleuten Gespräche führen. Mylady sollten aber keine Wunder erwarten.«
»Ich erwarte Ergebnisse, Mr. Parker.« Sie wirkte etwas versöhnlicher. »Ich bin gespannt, wann wir die nächste Todesanzeige erhalten.«
*
Patricia Smithonian war eine sportliche Dame, die viel von körperlicher Ertüchtigung hielt.
Sie war schon seit geraumer Zeit Witwe, lebte auf einem herrlichen Landsitz in Sussex und ließ sich von den aufmerksamen Mitbürgern ihrer großen Familie verwöhnen.
Man tat das gern, denn sie besaß viel Geld und war das, was man eine reiche Erbtante nannte. Lady Patricia war mittelgroß und schlank. Sie wurde hinter der vorgehaltenen Hand ihrer Familienmitglieder ein ungemein zähes Luder genannt. Weit über fünfundsechzig Jahre alt, erfreute sie sich bester Gesundheit.
An diesem Morgen verlief erst mal alles wie üblich.
Lady Patricia stand um sechs Uhr auf, streifte ihren Badeanzug über und warf dann den bis zu den Fußknöcheln reichenden Bademantel über. Sie schlüpfte in Sandalen und verließ ihr Schlafzimmer.
Es gehörte zu den ungeschriebenen Regeln ihres Lebens, vor dem Frühstück im kleinen See zu schwimmen. Sie haßte Swimming-pools und temperaturgeregeltes Wasser. Selbst im kalten englischen Winter, der allerdings kaum Schnee brachte, verzichtete sie nicht auf dieses Training.
Der kleine See lag hinter einer übermannshohen Hecke am Ende des Parks. Es gab hier ein kleines Badehaus, einen Landesteg für das Boot und einen Uferstreifen, der nicht mit Schilf bewachsen war. Das war genau die Stelle, wo Lady Patricia jeden Morgen anzutreffen war.
Im leichten Dauerlauf lief die schlanke, zähe Frau hinunter zum See, streifte den Bademantel ab und stieg ins Wasser. Sie fühlte sich ausgezeichnet an diesem Morgen und im Vollbesitz ihrer Kräfte. Als sie bis zu den Hüften im Wasser war, beugte sie sich vor und glitt schwimmend weiter. Etwa hundert Meter lang war der kleine See. Sie wollte hinüber zu den Weiden und dann wieder zurück. Das entsprach einer Strecke von etwa zweihundert Metern, leicht zu schaffen für sie, denn sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin.
Als sie am Schilfgürtel entlangschwamm, stoben zwei Enten hoch, protestierten quarrend und verschwanden im Ufergebüsch. Lady Patricia achtete nicht weiter darauf und schöpfte auch dann noch kein Mißtrauen, als sich einige Schilfbüschel heftig bewegten. Ruhig und erstaunlich kraftvoll schwamm sie weiter.
Doch schon nach wenigen Sekunden spürte sie eine seltsame Berührung an ihrem linken Fuß. Er war gegen etwas Weiches gestoßen. Lady Patricia dachte selbstverständlich an einen Karpfen, die hier im kleinen See schwammen, aber eine gewisse Unruhe erfaßte sie doch. Normalerweise wichen Fische ihr aus.
Dann spürte sie die Hand, die sich um ihren linken Fußknöchel legte. Patricia Smithonian dachte sofort an einen ihrer Gäste im Landsitz und wurde wütend. Das war ein mehr als schlechter Scherz. Sie trat mit dem freien Fuß nach der Hand und... spürte eine zweite Hand. Dann ein harter und energischer Ruck, und Lady Patricia wurde unter Wasser gezogen.
Sie schluckte mehr Wasser, als sie wollte. Sie strampelte, versuchte freizukommen, empfand eine schreckliche Todesangst und wehrte sich mit der Kraft der Verzweiflung.
Lady Patricia bekam ihren rechten Fuß noch mal frei, trat gegen einen Körper, von dem der Fuß abrutschte, traf auf etwas Stählernes und riß dann verzweifelt den Mund auf. Sie schluckte Wasser, verlor die Besinnung und merkte nicht mehr, daß sie immer tiefer nach unten gezerrt wurde.
Minuten später stieg ihr Körper wieder zurück an die Wasseroberfläche. Er trieb unmerklich zum Bootshaus. Der kleine Bach, der durch den Teich floß, besorgte das langsam und fast zögernd. In der Höhe des Bootsstegs verfing ihr Körper sich im dichten Schilf.
*
Josuah Parker lüftete höflich die schwarze Melone, als er aus dem Fahrstuhl trat.
Er sah sich einem jungen, stämmigen Mann gegenüber, der ihn kühl und kritisch musterte. Dieser junge Mann saß hinter einem kleinen Tisch vor der Korridortür und schien sich bisher gelangweilt zu haben. Er stand jetzt schnell und geschmeidig auf.
»Sie wünschen?« fragte er ein wenig herablassend.
»Parker, mein Name«, stellte der Butler sich vor, »Josuah Parker. Ich möchte Mr. Lordans sprechen.«
»Das stellen Sie sich aber ziemlich leicht vor«, erwiderte sein Gegenüber. Herablassend schien seine zweite Natur zu sein.
»Ich stelle es mir keineswegs vor«, gab Parker gemessen zurück. »Es ist einfach, wenn ich es so umschreiben darf. Melden Sie mich freundlichst an!«
»Haben Sie einen Termin? Sind Sie telefonisch angemeldet?«
»Weder noch, wie ich einräumen. möchte.«
»Dann erledigen Sie das erst mal, Mr. Parker, Mr. Lordans ist ein vielbeschäftigter Mann, verstehen Sie?«
»Sie sollten ihn verständigen.«
»Scheren Sie sich endlich zum Henker«, sagte der junge Mann verärgert. »Sie stehen nicht auf meiner Anmeldeliste, das weiß ich genau.«
»Ich möchte meine bescheidene Bitte noch mal wiederholen.« Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf den Telefonapparat, der auf dem kleinen Tisch stand. Dann aber änderte sich jäh die Richtung dieser Spitze und bohrte sich in die Magenpartie des überraschten Mannes.
Die Wirkung war verblüffend.
Der Arrogante verbeugte sich tief vor dem Butler und zelebrierte fast so etwas wie einen echt chinesischen Kotau. Ja, er trieb die Dinge sogar noch unnötigerweise auf die Spitze. Er kniete jetzt vor dem Butler und fegte mit seiner Nasenspitze den weichen Teppich. Dann rollte er auf die Seite und blieb, nach Luft schnappend, liegen.
»Mich dünkt, Ihnen ist nicht ganz wohl«, sagte Parker. »Sollten Sie meine Hilfe benötigen, so lassen Sie es mich wissen.«
Parker beugte sich kurz über den jungen Mann, dessen Gesicht rot angelaufen war, richtete sich wieder auf und ging dann auf die sperrende Tür zu. Er wollte den Türknauf bewegen, doch die Tür war gut verschlossen.
Josuah Parker ließ sich von solch unwichtigen Hindernissen keineswegs stören.
Er griff in eine seiner vielen Westentaschen, holte einen Gegenstand hervor, der fast an einen Pfeifenreiniger erinnerte, schob ihn ins Schloß und sperrte die Tür innerhalb weniger Sekunden auf. Dann öffnete er und betrat den langen Korridor.
Vor einer dick wattierten Tür blieb er stehen, benutzte den geheimnisvollen Gegenstand noch mal und sperrte auch diese Tür auf. Er drückte sie um einige Zentimeter nach innen und blickte in ein üppig eingerichtetes Büro.
Es gab hier zwar einen Schreibtisch, und hier schien auch wirklich gearbeitet zu werden. Doch der Besitzer dieses Büros lag auf einem Ledersofa und schlief offensichtlich. Parker trat an die Couch heran und tippte mit der Spitze seines Regenschirms auf den Bauch des Mannes.
Dieser mochte vielleicht fünfzig sein. Er war untersetzt und rundlich. Er hatte das Gesicht einer Bulldogge, die selbst im Schlaf noch zu knurren schien. Es war ein unerfreulich aussehender Mann, mit dem sicher nicht gut Kirschen zu essen war.
Die Bulldogge fuhr bei der leisen Bewegung hoch, öffnete weit die Augen und ... grinste dann überrascht-irritiert.
»Mr. Parker?« fragte er ungläubig.
»Ich erlaube mir, Ihnen einen wunderschönen Tag zu wünschen«, begrüßte Parker ihn. »Ich muß Ihre sicher kostbare Zeit für wenige Augenblicke in Anspruch nehmen.«
»Wie ... Wie, zum Teufel, sind Sie hier reingekommen, Mr. Parker?« Lordans stand auf und schüttelte nichtverstehend den Kopf.
»Halten wir uns nicht mit Details auf«, schickte Parker voraus. »Ich brauche einige diskrete Auskünfte von Ihnen, Mr. Lordans.«
»Sie haben den Burschen da draußen vor der Tür aufs Kreuz gelegt?«
»Ein junger Mann, der noch Manieren lernen muß.«
»Wissen Sie, wer dieser Bursche ist?«
»Ich weiß, was er ist, nämlich noch unerfahren.«
»Das ist Herb Foldex.«
»Warum auch nicht, Mr. Lordans.«
»Einer der schärfsten Burschen, die für mich arbeiten.«
»In der Tat.« Parker lächelte höflich, aber desinteressiert. »Könnten wir jetzt endlich zur Sache kommen?«
»Ich bin Ihnen nichts mehr schuldig, Mr. Parker.«
»Gewiß nicht, aber Situationen, wie sie sich abspielten, können sich möglicherweise wiederholen.«
»Schön, was wollen Sie?« Lordans langte nach dem noch halb gefüllten Glas, das auf dem Couchtisch stand, nahm einen tiefen Schluck und sah den Butler erwartungsvoll an.
Pete Lordans war ein Mann, der seine Finger in vielen Geschäften hatte. Er gehörte eindeutig zur Unterwelt und spielte dort sogar eine große Rolle. Er betrieb Nachtlokale, verbotene Spielclubs und Wettannahmestellen. Er war ein gefürchteter Mann, dem die Behörden bisher noch nicht beikamen.
Butler Parker hatte Lordans vor gut einem Jahr gerade vor diesen Behörden geschützt, als der Gauner unter Mordanklage gestellt worden war. Damals hatten alle Indizien gegen Lordans gesprochen, doch Parker war es gelungen, den wirklichen Täter zu ermitteln. Seit dieser Zeit fühlte Lordans sich dem Butler verbunden. Ihm war klar, daß der Butler ihn vor lebenslangem Zuchthaus bewahrt hatte.
»Es geht um eine Person oder um eine Organisation, die sich auf diskrete Morde spezialisiert zu haben scheint, Mr. Lordans. Ist Ihnen darüber etwas bekannt?«
»Ist Mylady wieder mal hinter einem Fall her?« Pete Lordans grinste. Er kannte die Leidenschaft von Mylady.
»Sie sollten nicht mit einer Frage antworten, Mr. Lordans«, bat Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art.
»Diskrete Morde?« Lordans fühlte sich zur Ordnung gerufen. »Morde auf Bestellung?«
»So kann man das Problem selbstverständlich auch umreißen«, räumte der Butler ein.
»Sie suchen einen Profi-Killer.« Lordans massierte sich sein fleischiges Kinn. »Natürlich haben wir so etwas in der Stadt. Klarer Fall! Aber an diese Typen kommt man nur sehr schwer heran. Gefährliche Sache ...«
»Diese betreffende Person, Mr. Lordans, muß das sein, was man in Ihren Kreisen ein As nennt.«
»Wieso ein As? Können Sie mir seine Arbeitsweise beschreiben?«
»Er mordet, ohne verwertbare Spuren zu hinterlassen. Er scheint sich auf Sportunfälle spezialisiert zu haben.«
»Muß ich mal nachforschen lassen, Mr. Parker. Ich werde Sie anrufen, sobald ich was rausbekommen habe, einverstanden? «
Bevor Parker seine Zustimmung geben konnte, wurde die wattierte Tür aufgerissen. Der junge Mann stürmte herein und blieb dann wie angewurzelt stehen. Sekunden später wollte er sich auf den Butler werfen und sich wahrscheinlich für seine Blamage rächen.
»Sind Sie verrückt, Herb?« brüllte Lordans ihn jedoch an. »Mann bleiben Sie stehen, Sie Anfänger! Sie haben es mit Mr. Parker zu tun!«
»Nichts für ungut, Mr. Foldex«, sagte Parker gemessen und lüftete erneut seine Melone. »Irren ist durchaus menschlich, wie es so treffend heißt. Darf ich Ihnen Ihre Schußwaffe zurückgeben?«
In Parkers schwarz behandschuhter Hand lag plötzlich wie durch Zauberei ein kurzläufiger Revolver. Foldex riß ihn an sich und sah den Butler haßerfüllt an.
»Ich wünsche noch einen besonders schönen Tag«, sagte der Butler und verließ das Büro, dicht gefolgt von Herb Foldex.
»Das zahle ich Ihnen noch heim«, flüsterte Foldex mit deutlicher Stimme.
»Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, daß Sie meine bescheidene Person nicht unbedingt mögen«, erwiderte der Butler gemessen. Er blieb stehen und sah Herb Foldex prüfend an.
»Sie ... Sie haben mich lächerlich gemacht.«
»Das war nicht meine Absicht, Mr. Foldex.«
»Wir sprechen uns noch.«
»Sie scheinen ein wenig nachtragend zu sein, falls mich nicht alles täuscht.«
Foldex zwang sich zur Ruhe. Man sah ihm deutlich an, daß er dem Butler am liebsten den Garaus gemacht hätte.
»Versuchen Sie es liebenswürdigerweise erst gar nicht«, sagte Josuah Parker, der diesen Blick registriert hatte. »Ich nahm mir die Freiheit, die Waffe zu entladen. Ich hasse Unbeherrschtheit.«
*
»Der vierte Mord, Mr. Parker!«
Agatha Simpson deutete auf ein Telegramm, das vor ihr auf dem Tisch lag.
»Ein vierter Unglücksfall mit tödlichem Ausgang, Mylady?« Parker war in das Haus seiner Herrin zurückgekehrt. Dieser altehrwürdige Fachwerkbau befand sich in Shepherd’s Market, einem exklusiven Stadtteil in der Nähe des Hyde Parks. Dieses reizend aussehende Haus lag an einem kleinen Platz, der in dieser hektischen Großstadt eine Art Oase bildete. Die benachbarten Häuser befanden sich ebenfalls im Besitz der Lady Simpson. Sie flankierten den zentralen Wohnteil und verliehen ihm einen zusätzlichen Schutz. Alle Gebäude waren miteinander verbunden und stellten im Grund so etwas wie einen raffiniert angelegten Fuchsbau dar.
»Lady Patricia Smithonian ist beim Morgenbad in einem Teich umgekommen«, redete die Detektivin weiter. »Sie ertrank schlicht und einfach, Mr. Parker, obwohl sie eine ausgezeichnete Schwimmerin war.«
»Mylady kannten Lady Patricia?« fragte Parker.
»Kannten, Mr. Parker? Sie war eine sehr gute Freundin von mir.«
»Die ein gewisses Vermögen hinterläßt, falls ich diese Frage stellen darf?«
»Das kann man wohl sagen, Mr. Parker. Sie war sehr vermögend.«
»Wie in den bisherigen Fällen, Mylady. Die Nutznießer dieser Vermögen könnten unter Umständen die Mörder oder deren Auftraggeber sein.«
»Das sage ich doch die ganze Zeit«, ereiferte sich Parkers Herrin. »Es gibt leider viele Nutznießer, wie ich inzwischen weiß. Ich habe schließlich nicht geschlafen, während Sie unterwegs waren und sich die Zeit vertrieben.«
»Mylady verfügen bereits über gewisse Erkenntnisse?« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Alleinerben gibt es in keinem der vier Fälle«, sagte die ältere Dame. »Die jeweiligen Vermögen verteilen sich pro Familie auf mindestens sechs bis acht Erben.«
»Das wären maximal bisher zweiunddreißig mögliche Täter, Mylady.«
»Zusammenzählen kann ich auch, Mr. Parker.« Sie sah ihren Butler leicht gereizt an. »Ich habe aber noch ganz andere Sorgen.«
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit bestürzt.«
»Wenn diese vier tödlich verlaufenen Unglücksfälle nur die Spitze eines Eisberges waren? Haben Sie daran schon mal gedacht? Natürlich nicht! Ihnen fehlt es an Phantasie, Mr. Parker!«
»Wie Mylady befehlen.«
»Ich habe Kathy bereits losgeschickt«, redete Agatha Simpson weiter. »Sie studiert sämtliche Ausgaben der ›Times‹ und durchforstet sie nach interessanten Todesfällen. Sie verstehen, was ich meine?«
»Durchaus, Mylady. Mir scheint dies, wenn ich das sagen darf, ein glücklicher Gedanke zu sein. Vielleicht bekommt man dadurch so etwas wie eine Art Statistik?«
»Eben, Mr. Parker. Sie sehen, ich bleibe am Ball. Und was haben Sie erreicht?«
»Ein Kontaktmann bestätigte meiner bescheidenen Person, daß es hier in London selbstverständlich sogenannte Profi-Killer gibt, die Morde auf Bestellung ausführen. Eine Kontaktperson wird sich dieser Sache annehmen.«
»Das kann doch Tage oder Wochen dauern, bis man da einen Tip bekommt, Mr. Parker.«
»Man wird sich, wenn ich es banal ausdrücken darf, in Geduld üben müssen.«
Papperlapapp!« Sie sah ihn streng an. »Wir werden zum Angriff übergehen, Mr. Parker!«
»Wie Mylady wünschen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Es stellt sich allerdings die Frage, wen man angreifen soll.«
»Das ist Ihre Sache, Mr. Parker! Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab. Ich weiß nur, daß ich noch heute mein Testament schreiben werde, in dem Kathy und Sie große Vermögensanteile überschrieben bekommen.«
»Ich habe Mylady verstanden. Mylady wollen damit einen Köder auslegen?«
»Was denn sonst!«
»Mylady verfügen über eine recht ansehnliche Verwandtschaft, wie ich bemerken möchte.«
»Eben. Und die möchte ich unruhig machen.«
»Dann sollten Mylady vielleicht die Absicht ausstreuen, ein geändertes Testament machen zu wollen. Das dürfte einige Unruhe auslösen.«
»Das habe ich doch gerade gesagt.« Sie ließ sich nicht gern, korrigieren.
»Natürlich, Mylady.« Parker verbeugte sich wieder knapp. »Mylady werden dadurch, dieser kühne Vergleich sei gestattet, zum Speck in einer Falle.«
»Unterlassen Sie diese Anspielungen auf mein Gewicht. Sie wissen genau, daß ich an Drüsenstörungen leide.«
»Fallen können durchaus zuschnappen, Mylady«, warnte der Butler. »Es ist aber auch möglich, daß nur der Speck gefressen wird.«
»Einer muß sich ja schließlich opfern«, seufzte Lady Agatha tragisch auf. »Bereiten Sie also die Falle vor, Mr. Parker! Du lieber Himmel, muß ich Ihnen denn immer jede Einzelheit erklären?«
»Selbstverständlich nicht, Mylady. Ich werde mir erlauben, die Koffer zu packen. Mylady wünschten ja, einige Wochen an der See zu verbringen.«
»Wie bitte? Wie war das?« Sie sah ihn erstaunt an.
»Dies gehört zu den Einzelheiten, die Mylady von meiner bescheidenen Wenigkeit zu hören wünschten.« Parker verbeugte sich. »Man sollte dem Profi-Killer ein Terrain bieten, damit er sich betätigen kann.«
*
»Hier Foldex«, sagte die Stimme am Telefon. »Mr. Lordans will sich mit Ihnen treffen. Er hat ein paar Informationen für Sie, Mr. Parker.«
»Verbinden Sie mich bitte mit ihm«, erwiderte Parker. Er stand in der Halle des Stadthauses von Mylady.
»Mr. Lordans? Einen Moment, bitte.«
Es knackte in der Leitung, dann war die Stimme des Informanten zu vernehmen.
»Lordans«, sagte sie. »Ich habe nur wenig Zeit, Mr. Parker. Wir treffen uns in einer Stunde an den East India Docks. Seien Sie pünktlich! Ich denke, ich habe da ein paar erstklassige Nachrichten für Sie.«
Er schaltete sich aus der Leitung, bevor Parker weitere Fragen stellen konnte. Dafür aber ließ sich Herb Foldex noch mal vernehmen.
»Sie treffen den Chef hinter der Brücke der Ferry Road«, sagte er knapp. »Ich werde da mit meinem Wagen stehen und Sie weiterlotsen. Ende!«
Parker legte auf und schaute einen Moment nachdenklich auf den Apparat. Warum wollte Lordans sich mit ihm draußen an den Docks treffen? Warum hatte er seine Information nicht per Telefon gegeben? Er hätte doch nur einen Namen und vielleicht auch noch eine Adresse zu nennen brauchen? Sollte er, Josuah Parker, in eine Falle gelockt werden? Zeichneten sich da Dinge ab, die mit dem neuen Fall von Mylady etwas zu tun hatten?
Natürlich war Parker entschlossen, hinaus zu den East India Docks zu fahren, doch er hielt es für angebracht und richtig, gewisse Vorkehrungen zu treffen. Parker war ein vorsichtiger und stets mißtrauischer Mensch. Er hatte in der Vergangenheit schon zu viel erlebt.
Bevor er das Haus verließ, ging er nach unten in das Souterrain und präparierte sich. Zu seinen privaten Räumen gehörte auch das, was er seine »Bastelstube« nannte. Ein großer Raum glich der Kombination einer feinmechanischen Werkstatt und einem Labor, hier bastelte der Butler an seinen Überraschungen, die für seine Gegner gedacht waren.
Agatha Simpson schwindelte er vor, er habe noch einige Einkäufe zu tätigen. Er wollte sie nicht mitnehmen, denn das Temperament seiner Herrin war unberechenbar. Witterte sie auch nur die Möglichkeit, sich körperlich betätigen zu können, nutzte sie die Gelegenheit, um sich mit dem Gegner anzulegen. Dabei war sie eigentlich kaum zu bremsen.
Parker war heilfroh, als er am Steuer seines hochbeinigen Monstrums saß und zur City fuhr. Er passierte sie, benutzte dann die Commercial Road und hatte wenig später bereits die East India Dock Road erreicht. Während der Fahrt schaute er selbstverständlich immer wieder prüfend in den Rückspiegel. Er traute diesem Herb Foldex nicht. Der junge Mann war genau der Typ, der nicht nur drohte, sondern der auch zu Taten überging.
Parker konnte keinen Verfolger feststellen. Da der Verkehr aber am Nachmittag recht stark war, wollte das kaum etwas besagen. Ein geschickter Fahrer hatte durchaus die Möglichkeit, sich an seinen Privatwagen zu hängen.
Parker bog in die Ferry Road ab und näherte sich der Brücke, die hier den Zubringerkanal zu den Docks überquerte. Er fuhr sehr langsam und hielt Ausschau nach Foldex.
Einen möglichen Schuß aus dem Hinterhalt brauchte er solange nicht zu befürchten, als er im Wagen saß. Die Scheiben seines hochbeinigen Monstrums bestanden aus schußsicherem Glas. Und auch die Karosserie war mit einem noch so rasanten Schuß nicht zu überwinden. Erst wenn er den Wagen verließ, wurde es kritisch.
Knapp hinter der Brücke, entdeckte Parker dann Foldex.
Der junge Mann seines Informanten stand neben einem unscheinbar aussehenden Morris und winkte ihm nur knapp. Foldex schien allein zu sein.
Parker hielt an, kurbelte die Wagenscheibe herunter und sah Foldex prüfend an.
»Fahren Sie mir nach«, rief der Mann ihm zu. »Der Chef ist da drüben in einem Magazin.«
Er kümmerte sich nicht darum, ob Parker einverstanden war oder nicht. Er setzte sich einfach in seinen Wagen und fuhr los. Parker folgte dem jungen Mann, der ihm immer unsympathischer wurde. Er hielt ihn für eine Giftschlange, die nur darauf wartete, ihr Gift loswerden zu können.
Die Fahrt dauerte nicht lange und führte an grauen Lagerschuppen und Magazinen vorbei. Der Verkehr war recht beachtlich. Sattelschlepper, normale Lastwagen und Container-Trucks kurvten allenthalben herum. Das Tuten kleiner Schlepper war zu vernehmen, das Kreischen von Seilwinden und das metallische Röhren der Kräne. An den Kais hatten große und kleine Frachter festgemacht, die entweder be- oder entladen wurden. Eines stand fest, wenn hier ein schallgedämpfter Schuß abgefeuert wurde, so ging dieses tückische »Plopp« mit Sicherheit im Lärm unter.
Foldex steuerte den Morris durch das geöffnete Tor eines Lagerschuppens. Parker folgte weiter, aber er schaltete auf allergrößte Wachsamkeit um. Seine innere Alarmanlage meldete sich leise, ein sicheres Zeichen dafür, daß Gefahr drohte.
Foldex stieg aus.
Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte gegen den Wagen. Er grinste Parker überlegen an. Foldex schien zu spüren, wie vorsichtig der Butler war.
Josuah Parker stieg aus. Das geschah mit einiger Umständlichkeit, die aber nicht sonderlich auffiel und wohl mit dem langen Covercoat zusammenhing, den er trotz der nicht geraden tiefen Temperaturen trug. Parker rückte sich die schwarze Melone zurecht, legte den Universal-Regenschirm über den linken Unterarm und begab sich gemessen hinüber zu Foldex.
Er hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als Foldex blitzschnell zur Schulterhalfter griff, seinen Revolver zückte und auf Parker schoß. Der Butler fühlte den ungemein harten Schlag gegen die linke Brustseite, einen zweiten Schlag gegen den Leib und sackte dann in sich zusammen.
Er blieb regungslos auf dem schmutzigen Zementboden liegen ...
*
Herb Foldex lächelte tückisch und ging langsam auf den am Boden liegenden Butler zu, ließ ihn dabei aber nicht aus den Augen. Daß er getroffen hatte, war ihm klar. Er wußte nur zu gut, daß er ein erstklassiger Schütze war. In diesem Fall hatte er auf das Herz und auf den Leib des Butlers gehalten. Der Tod mußte sofort eingetreten sein.
Er hatte Parker erreicht.
Mit der Fußspitze drehte er den Butler herum. Überraschungen brauchte der Mörder nicht zu befürchten. Dieser Lagerschuppen gehörte seinem Boß Lordans. Hier kam keiner herein, der nicht mußte.
Und ob Foldex getroffen hatte!
Auf der Brustseite des Mantels war ein zerlaufener, roter Blutfleck zu sehen. Volltreffer also. Das Herz war zerfetzt worden. Leider hatte dieser komische Butler wohl gar nicht mitbekommen, daß er in eine raffinierte Falle gestolpert war.
Foldex richtete sich wieder auf und streckte den kurzläufigen Revolver zurück in die Schulterhalfter. Sekundenbruchteile später schoß die Schirmspitze wieder von dem »Toten« hoch und bohrte sich in seine Magenpartie.
Foldex röchelte auf, krümmte sich und stierte dann auf den Toten, der erstaunlich geschmeidig aufstand, ohne dabei etwas von seiner Würde zu verlieren.
»Ich sehe mich gezwungen, Ihr Verhalten zu tadeln«, ließ der Butler sich vernehmen und stieß mit der Schirmspitze noch mal zu. Sie traf diesmal die Region des Bauchnabels, worauf Foldex sich hastig noch tiefer verbeugte. »Sie können übrigens von Glück sagen, daß die Selbstbeherrschung von mir geradezu gepflegt wird. Ich hätte nämlich nicht übel Lust, mich ein wenig gehenzulassen.«
Foldex sah den Butler durch einen Tränenschleier. Das Wasser stand ihm dick in den Augen. Er schluchzte und keuchte und hatte das Gefühl, von zwei Degenstichen durchbohrt zu sein. Er bekam überhaupt nicht mit, daß Parker ihm den Revolver aus der Schulterhalfter nahm.
»Gehen wir zu Mr. Lordans«, sagte Parker gemessen. »Ich bin sicher, daß Sie keine Schwierigkeiten machen, Mr. Foldex.«
Während der Butler noch redete, nahm er den Blutfleck von seinem schwarzen Überzieher. Es handelte sich natürlich um eine täuschend echte Nachbildung aus weichem Papier. Parker hatte sie beim Niederfallen zu Boden aus der Innentasche des Covercoats hervorgezogen und vor der Brustpartie angebracht.
Foldex registrierte das, aber er wunderte sich im Moment nicht sonderlich. Er war doch zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Zudem begriff er nicht, wieso der Butler überhaupt noch lebte ... Er hatte doch zwei Volltreffer hinnehmen müssen!
Foldex konnte nicht wissen, daß Josuah Parker nicht ohne Grund seinen schwarzen Covercoat trug. Unter ihm hatte Parker sich eine schußsichere Panzerweste umgebunden. Sie hatte die beiden Geschosse prompt aufgefangen und wirkungslos werden lassen. Vor seiner Fahrt hierher zu den East India Docks hatte der Butler sich hinreichend präpariert und auf eine mögliche Teufelei eingerichtet.
Foldex setzte sich in Bewegung. Jetzt hatte er nur noch Angst vor diesem unheimlichen Mann, der so harmlos aussah. Foldex spürte, daß er tatsächlich seinen Meister gefunden hatte. Er schielte respektvoll und ängstlich auf den altväterlich gebundenen Regenschirm, dessen Bambusgriff über dem linken Unterarm des Butlers hing.
Nach etwa zehn Meter begriff Foldex. Er war auf dem besten Weg, sich in tödliche Schwierigkeiten zu bringen. Er blieb stehen und spielte den Trotzkopf.
»Sie scheinen mich ein wenig verärgern zu wollen«, tadelte der Butler und schüttelte kaum merklich den Kopf. »Bringen Sie mich bitte zu Mr. Lordans!«
»Der... Der ist nicht hier«, keuchte Foldex, den immer noch arge Schmerzen plagten.
»Was Sie nicht sagen, Mr. Foldex.«
»Er war nie hier.«
»Sollten Sie ihn umgebracht haben?« Parker beobachtete Foldex interessiert.
»Wie... Wie kommen Sie denn darauf?«
»Er dürfte mich unter Zwang und Bedrohung hierherbestellt haben, wenn ich nicht sehr irre.«
»U ... U ... Unsinn.« Foldex stotterte. Er hatte sich ein wenig erholt und überlegte krampfhaft, wie er den Butler doch noch ins Jenseits befördern konnte. Dieser Butler mußte aus dem Weg geräumt werden ...
Nun, Foldex riskierte es tatsächlich.
Er fintierte und sprang den Butler dann plötzlich an. Das heißt, er wollte ihn anspringen, doch er kam nicht weit. Parkers Universal-Regenschirm war wieder schneller. Diesmal trat der bleigefütterte Bambusgriff in Aktion. Er setzte sich auf die Stirn des Angreifers und fällte ihn zu Boden. Foldex verdrehte die Augen, schielte den Butler an und legte sich dann zu dessen Füßen nieder.
*
»Meine Befürchtungen, Mylady, bestätigten sich leider«, schloß der Butler seinen Bericht. »Mr. Lordans wurde erschossen. Und zwar aus nächster Nähe in den Rücken. Ich fand seinen entseelten Körper in einem Kellerverschlag des bereits erwähnten Lagerschuppens.«
»Sie wissen, daß ich verschnupft bin, Mr. Parker?« Agatha Simpson sah ihren Butler aus empörten Augen an.
»Sollte ich mir Myladys Unmut zugezogen haben?«
»Warum haben Sie mich nicht mitgenommen? Ich weiß doch inzwischen, daß man Sie nicht allein lassen darf.«
»Mylady mögen bedenken, daß ich unter einem gewissen Zeitdruck stand. Zudem wollte ich Myladys Teestunde nicht stören.«
»Papperlapapp!« Sie schnaubte. »Man hätte Sie umbringen können.«
»Mylady aber auch, wenn ich darauf verweisen darf.«
»Widersprechen Sie nicht immer!« Die resolute Dame grollte. »Dieser Foldex ist Ihrer Ansicht nach also der Mörder von Lordans?«
»Daran besteht für meine bescheidene Person kein Zweifel.«