Читать книгу Der exzellente Butler Parker 30 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Das Publikum tobte und hatte an der originellen Nummer seinen Spaß. Ein Clown kam auch an Lady Agatha vorbei und blieb stehen. Er trug ein Domino-Kostüm und blickte treuherzig in die Gegend.

Plötzlich hob er seine Wasserpistole und wollte die ältere Dame mit einer Dusche erfreuen. Lady Agatha wurde aktiv, entwand ihm die »Waffe« und drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger.

Mylady drehte den Spieß um und bedachte den Clown mit einem Schwall Wasser, das sein Temperament abkühlte. Agatha Simpson gab das Spielzeug zurück, und der Clown trollte sich.

»Man darf sich nicht alles gefallen lassen, Mister Parker«, bemerkte sie, während sie ihrem Nachbarn huldvoll zulächelte. »Überall gibt es Grenzen, auch im Zirkus, und erst recht einer Lady Simpson gegenüber. Es wird sich doch nicht um einen neuen Anschlag der Unterwelt gehandelt haben?« Sie runzelte nachdenklich die Stirn.

»Mylady haben sich kurzfristig zum Besuch entschlossen«, erwiderte Parker gemessen. »Myladys Feinde dürften nicht unterrichtet gewesen sein.«

»Man beobachtet mich aber ständig, Mister Parker. Vielleicht läßt man die Löwen los, oder der Kunstschütze versucht, mich ›versehentlich‹ zu erschießen.«

Der hochgewachsene Mann im Cowboy-Kostüm blickte in den Spiegel und zielte sorgfältig. Vor einer mannshohen Zielscheibe in seinem Rücken stand eine junge, attraktive Frau im Bikini und lächelte.

Der Cowboy korrigierte noch mal die Lage der Pistole, die auf seiner Schulter aufsaß und hinter ihn auf die Zielscheibe zeigte. Dann drückte er ab. Ein dünner Knall peitschte durch die Manege und ließ einige Zuschauer aufschreien. Neben dem Kopf der jungen Frau leuchtete der Einschuß grün auf und zeigte, wie gefährlich nahe die Kugel eingeschlagen war.

Elektronische Sensorfelder in der Zielscheibe registrierten das Auftreffen des Geschosses und markierten die Stelle durch einen Leuchtimpuls, so daß die Zuschauer genau verfolgen konnten, mit welcher Präzision der Schütze seine Partnerin einrahmte. Der nächste Schuß saß direkt über dem Scheitel der jungen Frau und löste ein Stöhnen auf den Zuschauerrängen aus.

»Das ist doch alles Lug und Trug«, kommentierte Lady Agatha. »In Wirklichkeit schießt der Lümmel mit Platzpatronen, und die angeblichen Treffer werden per Knopfdruck angezeigt, Mister Parker.«

»Mylady glauben also nicht an die – Echtheit der Darbietung?« erkundigte sich Parker höflich.

»Das sieht doch ein Blinder, daß das die ganz billige Masche ist«, räsonierte die Detektivin und schüttelte über die Leichtgläubigkeit ihrer Mitmenschen den Kopf.

Parker kam nicht dazu, seiner Herrin zu antworten. Der Cowboy löste nämlich den nächsten Schuß, und die Zuschauer warteten gespannt auf das Aufleuchten der Einschlagstelle, aber nichts geschah.

Die Frau im Bikini schrie plötzlich, knickte in der Hüfte ein und umspannte ihren rechten Oberschenkel mit beiden Händen. Entsetzt sahen die Zuschauer, wie zwischen ihren Fingern Blut herablief.

Der Cowboy hatte die Szene im Spiegel beobachtet und drehte sich zu seiner Partnerin um. Fassungslos starrte er auf die Frau, die in der Manege kniete. Er erwachte aus der Erstarrung und lief zu ihr hinüber, um ihr zu helfen.

»Ein Publicity-Gag, nichts weiter«, urteilte Lady Agatha, »allerdings mir kann man nichts vormachen, Mister Parker.«

»Myladys ungewöhnlicher Beobachtungsgabe pflegt nichts zu entgehen«, erwiderte der Butler ungeniert. »Mylady haben sofort erkannt, daß es keinesfalls der Schuß des Cowboys war, der die junge Dame getroffen hat.«

»Richtig, Mister Parker«, bestätigte die ältere Dame und nickte energisch, während die Verletzte auf einer Tragbahre aus der Manege geschafft wurde.

Die Zirkuskapelle wurde aktiv und lenkte mit flotten Weisen von dem tragischen Unglück ab. Auch die Clowns taten alles, um die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen.

»Was habe ich erkannt?« fragte die Detektivin plötzlich und wandte sich ihrem Butler zu.

»Mylady bemerkten sofort, daß der Treffer keinesfalls von dem Artisten erzielt wurde«, wiederholte Parker höflich. »Vielmehr wurde der Schuß von jemand anderem hier im Zelt abgefeuert.«

»Tatsächlich?« wunderte sie sich. »Nun ja, mir kann man eben keinen Sand in die Augen streuen. Ich frage mich nur, ob der Schuß wirklich der jungen Frau galt. Ehrlich gesagt, scheint es mir wahrscheinlich, daß ich gemeint war. Mister Parker.«

»Eine These, die nicht so einfach von der Hand zu weisen ist«, stimmte Parker höflich zu. »Man sucht stets und ständig nach neuen Mitteln und Wegen, um Mylady aus dem sprichwörtlichen Weg zu räumen.«

»So ist es, Mister Parker.« Agatha Simpson nickte und sah interessiert in das weite Rund. »Ich denke, der Schuß muß von da drüben gekommen sein.«

»Was durchaus den Tatsachen entsprechen dürfte«, sagte der Butler gemessen, der sich in Gedanken gleichfalls auf einen bestimmten Schußwinkel und Standort des heimtückischen Schützen festgelegt hatte.

»Ich habe es geahnt, als ich diese Einladung annahm, Mister Parker«, freute sich die Detektivin. »Man wollte mir eine Falle stellen und mich unauffällig beseitigen. Zum Glück habe ich mitbekommen, was hier gespielt wird.«

»Mylady konnten den Schützen sehen und den Anschlag in seiner Entstehung mitverfolgen?« erkundigte sich Parker.

»In etwa, Mister Parker«, bestätigte sie und nickte. »Natürlich ging alles so schnell, daß ich den Schützen kaum beschreiben kann, aber ich denke, ich würde ihn jederzeit wiedererkennen.«

»Was ein erster, wichtiger Schritt bei der Aufklärung dieses neuen Falles wäre«, stellte Parker würdevoll fest. »Mylady werden sicher umgehend an die Bearbeitung gehen?«

»Worauf Sie sich verlassen können.« Agatha Simpson erhob sich und steuerte zielstrebig in den hinteren Teil des Zeltes, wo sie den Schützen vermutete.

Parker folgte seiner Herrin und beobachtete den Bereich des Zeltes, aus dem der Schuß gefallen sein mußte. Seiner Ansicht nach hielt sich der Schütze noch verborgen und würde erst in der Pause das Zelt verlassen, um nicht aufzufallen. Im übrigen hatte der Mann nichts zu befürchten, da die Zuschauer und Kollegen der Getroffenen an einen bedauerlichen Unglücksfall glaubten.

Es war nur sein Pech, daß der Vorstellung auch ein gewisser Josuah Parker beiwohnte.

*

Der Mann sah harmlos aus und unterschied sich auf den ersten Blick in nichts von den vielen anderen Besuchern der Vorstellung. Parker fiel jedoch sofort die Nervosität auf sowie die Tatsache, daß der Unbekannte trotz der Hitze im Zelt einen Trenchcoat trug und diesen geschlossen hielt.

Der Mann stand oben in der Arena und war halb von einem der Stahlpfosten verborgen, die das Zelt trugen. Seine Augen waren in ständiger Bewegung und verrieten etwas von der inneren Spannung, unter der er stand.

Agatha Simpson hatte gleichfalls den mutmaßlichen Täter erspäht. Es handelte sich um einen jungen Mann, der einen Korb trug und diverse Erfrischungen an die Zuschauer verkaufte. Er schien der Lady als Täter besonders geeignet.

Sie winkte ihm von weitem und bedeutete ihm, näher zu kommen. Der junge Mann sah in der Dame eine Kundin und beeilte sich, sein reichhaltiges Angebot zu unterbreiten. Er lächelte erwartungsvoll und freute sich im voraus auf sicheren Umsatz, Lady Agatha zog ihn zur Vermeidung unnötigen Aufsehens hinter ein hohes Gestell, auf dem Scheinwerfer aufgebaut waren, und umklammerte seinen linken Oberarm.

»Das Spiel ist aus«, sagte sie und musterte ihn grimmig, bevor sie den Warenkorb durchsuchte. »Ich habe Sie genau beobachtet. Leugnen ist völlig zwecklos!«

Der junge Mann blickte verwirrt und wußte nicht recht, was er von der Sache halten sollte. Er runzelte nachdenklich die Stirn und fragte sich im stillen, wie er die merkwürdige Besucherin am besten wieder loswurde.

»Wie meinen?« erkundigte er sich.

»Wo ist die Waffe?« herrschte Lady Agatha ihn an, und sah mißmutig in den Korb, der nichts anderes als diverse Waren zu enthalten schien.

»Ich verstehe Sie nicht, hier muß ein Irrtum vorliegen, Madam.« Der junge Mann war sicher, einem Irrtum zum Opfer gefallen zu sein. Er unternahm einen neuen Versuch, sich loszureißen.

»Ich weiß, aber eine Lady Simpson kann man nicht täuschen«, verkündete sie und stieß an den Korb. Die gesuchte Waffe mußte schließlich irgendwo sein. Zahlreiche Tüten mit Popcorn, Chips, Salzstangen und anderem Knabberzeug türmten sich zu einem beachtlichen Berg auf dem Boden; dazu kamen Getränkeboxen, Kaugummipäckchen und Eispackungen.

»Das ist doch wohl der Gipfel!« empörte sich Lady Agatha und musterte grimmig den Korbinhalt. »Ich lasse mich ungern auf den Arm nehmen, junger Mann. Sagen Sie mir sofort, wo Sie Ihre Pistole versteckt haben!« Sie sah ihn gereizt an, und der Angegriffene fuhr zusammen.

Einige Zuschauer in der Nähe waren aufmerksam geworden und spähten neugierig herüber.

Der junge Mann sah ein, daß er so ohne weiteres keine Hilfe bekam, und entschloß sich, lautstark auf seine Lage aufmerksam zu machen, als Parker, der die Szene mitbekommen hatte, näher trat und grüßend die Melone lüftete.

»Sie haben sich ausgezeichnet gehalten, wenn Sie meiner bescheidenen Wenigkeit dieses Kompliment gestatten«, erklärte er und nickte freundlich.

»Was ... wie ... äh, was meinen Sie, Sir?« erkundigte sich der Verkäufer und vergaß augenblicklich seine Absicht, Hilfe herbeizuholen. Der Mann vor ihm strahlte Ruhe und Sicherheit aus und vermittelte ihm das Gefühl absoluter Geborgenheit.

»Mister Parker«, Lady Agatha runzelte unwillig die Stirn, »ich war gerade dabei, erste Informationen aus diesem Subjekt herauszuholen, mittels einer kleinen Ohrfeige. Sie wissen ja, wie das die Wahrheitsfindung fördert.«

»Mylady sind wie immer außerordentlich überzeugend«, stellte Parker fest und verwirrte mit dieser Aussage seine Herrin. »Der junge Mann hier dürfte tatsächlich von einer Bedrohung ausgegangen sein, die Mylady für ihn darstellt.«

»Ehrlich, stimmt haargenau, ich dachte wirklich, diese komische ... ich meine, diese Lady will was von mir«, gab der Verkäufer zu und wischte sich mit einem Tuch über die schweißnasse Stirn. »Ein Glück, daß Sie gekommen sind, Sir. Mir ist ’n Stein vom Herzen gefallen, kann ich Ihnen sagen.«

»Die komische Lady will immer noch was von Ihnen, Sie Lümmel«, grollte Agatha Simpson und wandte sich an ihren Butler. »Zuvor möchte ich aber eine Erklärung, Mister Parker!«

»Mylady haben sich möglicherweise entschlossen, eine andere Spur aufzunehmen«, gab Parker gemessen zurück. »Zumindest deutete meine bescheidene Wenigkeit Myladys Wink in dieser Richtung.«

»Tatsächlich?« wunderte sie sich und musterte ihn nachdenklich. »Aber warum sollte ich dieses Subjekt laufenlassen und damit dem Täter zur Flucht verhelfen?«

»Mylady haben natürlich sofort entdeckt, daß der junge Mann vom eigentlichen Täter vorgeschickt wurde, um Mylady abzulenken«, behauptete Parker ungeniert. »Mylady kann man nicht täuschen, wie Mylady stets und ständig beweisen.«

»Das ist natürlich richtig, Mister Parker. Ich merkte sofort, daß dieser Lümmel hier mit der Sache nichts zu tun hat«, behauptete sie ungeniert und schüttelte den Kopf. »Der Schütze hat ihn mir ja deshalb über den Weg geschickt, um ungehindert fliehen zu können. Doch da ist er auf dem Holzweg, der Trick zieht bei mir nicht.« Sie wandte sich an den verdatterten Verkäufer und lächelte ihn verzeihend an. »Nun, ich bin nicht nachtragend, junger Freund, Sie können Ihrer Wege gehen, aber in Zukunft lassen Sie sich nicht mehr auf derartige Sachen ein, klar?« Sie streckte eine Hand aus und kniff ihm schelmisch in die Wange, woraufhin er leise stöhnte und blaß wurde.

»Sie haben sich sehr gut gehalten, wenn man das mal wiederholen darf«, erklärte Parker ihm. »Sie haben natürlich erraten, daß es sich um eine Aktion des Fernsehens handelt, die mit der sogenannten versteckten Kamera aufgenommen wurde.«

»Sie meinen, ich komme auf den Bildschirm, Sir?« erkundigte sich der junge Mann aufgeregt mit hochrotem Kopf.

»Diese Möglichkeit besteht durchaus«, bestätigte Parker würdevoll.

»Und welches Programm und wann?« wollte der Erfrischungsverkäufer wissen und zupfte Parker am Ärmel seines schwarzen Covercoats.

»Das wird man Ihnen zu gegebener Zeit mitteilen«, informierte der Butler ihn. »Vorab sollten Sie diesen Scheck als kleine Entschädigung für Ihre zu Boden gegangene Ware annehmen.« Parker hatte inzwischen ein Scheckbuch gezückt und einen Scheck großzügig bemessen. Lady Agatha war dabei mißtrauische Zeugin.

»Sie wissen hoffentlich, daß die paar Tüten nicht allzuviel wert sind, Mister Parker«, machte sie sich bemerkbar. »Ich denke, zwei oder drei Pfund dürften reichen.«

»Zwanzig Pfund?« staunte der Verkäufer einen Moment später und sah erfreut und angenehm überrascht auf den Scheck, den ihm Parker gereicht hatte. »Verdammt großzügig vom Fernsehen, muß ich sagen.«

»Mister Parker, darüber unterhalten wir uns noch!« Lady Agatha grollte und sah den Butler scharf an.

»Es ist unverantwortlich, wie Sie mit meinem Geld um sich werfen. Sie wissen doch, ich muß mit jedem Penny rechnen.«

*

»Sie wollen bereits gehen, Sir?« erkundigte sich Parker bei dem unscheinbaren Mann im Trenchcoat. Die Pause war angebrochen, und der so harmlos wirkende Besucher war eben dabei, das große Zelt durch einen Nebeneingang zu verlassen.

Als Parker ihn ansprach, zuckte er kaum merklich zusammen, fing sich aber wieder, als er einen Mann in konservativ geschnittener, schwarzer Kleidung zu Gesicht bekam.

Er hielt den Butler für einen Angestellten des Zirkus-Unternehmens, der sich lediglich darum sorgte, warum ein Zuschauer vor Ende der Vorstellung ging, und lächelte ihn freundlich an. »Oh, keine Sorge, es hat mir bis jetzt ausgezeichnet gefallen«, versicherte er und zeigte dabei eine Reihe schadhafter Zähne.

»Aber leider kann ich wegen eines dringenden Termins die restlichen Darbietungen nicht mehr ansehen. Doch ich werde Sie gern weiterempfehlen, ganz bestimmt.« Er wandte sich ab und wollte dem Zelt endgültig den Rücken kehren, als ihn Parker zurückhielt.

»Sie scheinen leicht zu frieren, Sir«, stellte der Butler mit neutraler Stimme fest. »Das Zelt ist eigentlich außerordentlich gut beheizt, wenn Sie diese Bemerkung gestatten.«

»Nun ja, ich leide da an den Folgen einer tropischen Krankheit, die mich ständig frieren läßt«, erklärte der Besucher. »Aber jetzt muß ich gehen. Wiedersehen!«

»Sie haben einen Schalldämpfer verwandt, Sir?« fragte Parker weiter, der dem unscheinbaren Mann wie unbeabsichtigt in den Weg getreten war.

»Was ... wie bitte?« Der Unbekannte erstarrte förmlich und spannte sich, wie der Butler aufmerksam registrierte.

Im nächsten Augenblick wirbelte der Mann im Trenchcoat herum und wollte sich auf Parker stürzen, der allerdings längst nicht mehr an der alten Stelle stand. Der Butler hatte den Angriff vorausgesehen und deshalb vorsorglich den Standort gewechselt.

Die Faust des Unscheinbaren wischte wirkungslos durch die Luft und brachte ihn prompt aus dem Gleichgewicht. Er stolperte, ruderte mit den Armen in der Luft herum und bemühte sich krampfhaft um Standfestigkeit.

»Sie hatten die Absicht, meiner bescheidenen Wenigkeit körperliche Unbill zuzufügen?« erkundigte sich Parker, ohne eine Miene zu verziehen.

Der Mann zog es vor, nicht darauf zu antworten, sondern einen neuen Angriff zu starten. Er visierte den Butler aus zusammengekniffenen Augen kurz an, holte weit aus und schickte seine Faust zu einem zweiten Versuch auf die Reise.

Parker dachte nicht daran, sich die Nase deformieren zu lassen. Er lüftete grüßend seine schwarze Melone und hielt sie wie unabsichtlich vors Gesicht.

Die Hand des Trenchcoat-Trägers schoß auf Parkers Gesicht zu, nahm Kontakt mit der Melone auf und ... wurde nachhaltig gestaucht. Die Wölbung der Kopfbedeckung war mit Stahlblech ausgefüttert und erwies sich als sehr widerstandsfähig.

Parkers übereifriger Gegner stöhnte beeindruckt, zog die schmerzende Hand zurück und untersuchte sie. Er hatte den schlimmen Verdacht, seine Hand mindestens angebrochen zu haben, und atmete erleichtert auf, als sich die Annahme als falsch herausstellte.

»Man hofft, daß Sie sich nicht allzusehr verletzt haben«, entschuldigte sich Parker und setzte die Melone wieder auf. »Man konnte sich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie meiner Person ein wenig gram sind und Schaden zufügen wollten.«

»Worauf Sie sich verlassen können!« Der Mann im Trenchcoat sah ein, daß mit reinem Körpereinsatz nichts zu machen war. Er erinnerte sich an seine Waffe und fingerte an den Knöpfen seines Mantels, um ihn zu öffnen.

Er hatte das kurzläufige Gewehr gerade hervorgezogen, als ihn etwas mit Urgewalt am Schlüsselbein traf. Er schrie entsetzt auf und vergaß umgehend seine bösen Absichten. Dann tastete er nach der getroffenen Stelle und vergewisserte sich, daß noch alles in Ordnung war.

Lady Agatha ließ ihren Pompadour ausschwingen und musterte grimmig den Mann. »Das wird Sie lehren, eine harmlose alte Frau anzugreifen«, sagte sie mit baritonal gefärbtem Organ. »In Zukunft passen Sie besser auf, -mit wem Sie sich anlegen.«

»Aber... ich will doch gar nichts von Ihnen«, japste er und musterte die Detektivin erschrocken. »Ich hab’ Sie bis eben ja nicht mal gesehen, verdammt noch mal.«

»Das war doch eine Beleidigung, Mister Parker?« erkundigte sich Agatha Simpson hoffnungsvoll bei ihrem Butler und rieb sich die Hände. »Ich denke, ich werde diesen Lümmel erst mal ordentlich ohrfeigen, um ihm Respekt beizubringen.«

Sie ließ ihrer Ankündigung die Tat folgen und holte genüßlich aus. Der Mann schaffte es nicht mehr, das Gesicht aus Lady Agathas Aktionsbereich zu bringen.

Ihre Rechte streifte seine linke Wange und vermittelte ihm das unangenehme Gefühl, dieses Körperteils verlustig gegangen zu sein. Er griff sich an die fragliche Stelle und atmete erleichtert auf, als er feststellte, daß sich die Wange noch an ihrem angestammten Platz befand.

»Möglicherweise sollte man sich an einem anderen Ort weiter unterhalten«, schlug Parker vor und dirigierte den Mann aus dem Zelt in Richtung Parkplatz. »Mein bescheidener Privatwagen steht hierfür zur Verfügung.«

Der Butler schob den Trenchcoat-Träger sanft, aber unnachgiebig und mit fester Hand vor sich her, Gleichzeitig erleichterte er ihn mit der Geschicklichkeit eines professionellen Taschendiebs.

Parker zog ihm aus dem Mantel eine Waffe, die Mylady interessiert musterte. Ein geeignetes Ziel für einen Probeschuß schien ihr wichtig zu sein.

»Ist das hier die Sicherung, Mister Parker?« fragte sie und deutete mit der Mündung der Waffe wie unabsichtlich auf den neben ihr Gehenden, während sie am Sicherungshebel spielte und ihn auf ›Feuer‹ stellte.

»Passen Sie doch auf, Lady! Das Ding ist geladen!« beschwor sie der unscheinbar aussehende Mann und schob entsetzt den Lauf der Waffe zur Seite. »Haben Sie eigentlich ’ne Ahnung, wie schnell so was losgehen kann?«

»Eine Frage, die man näher erörtern sollte«, bemerkte Parker, der sein hochbeiniges Monstrum aufschloß und den Trenchcoat-Träger in den Fond bat. »Sicher möchten Sie Mylady Näheres zu dem Auftrag mitteilen, der Sie hergeführt hat.«

»Einen Dreck möchte ich!« zischte der Unbekannte wütend und wurde plötzlich aktiv. Seine Hand fuhr in die Manteltasche und suchte dort das tückisch aussehende Klappmesser, das Parker längst sichergestellt hatte.

Verblüfft hielt er inne, als er in der leeren Tasche auf keinerlei Widerstand traf. Der Überraschte starrte verdutzt auf Parkers Hand, die ihm den gesuchten Gegenstand entgegenhielt.

»Suchten Sie dieses Messer, Sir?« fragte der Butler höflich. »Aus Gründen der Sicherheit hat man sich erlaubt, es für Sie in Verwahrung zu nehmen und dabei Ihr stillschweigendes Einverständnis vorausgesetzt.«

»Ich bring’ Sie um!« kündigte der Mann an und fuhr herum, um auf Parker einzudringen.

»Ihre Manieren lassen zu wünschen übrig, Sir«, teilte Parker ihm mit und machte ihn mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes bekannt, die sich in seinen Solarplexus bohrte und sein Temperament umgehend dämpfte.

*

»Und hat er Ihnen gesagt, warum er auf die Frau geschossen hat?« erkundigte sich Mike Rander eine Stunde später, nachdem Lady Agatha und Parker in das altehrwürdige Fachwerkhaus nach Shepherd’s Market zurückgekehrt waren. Der etwa vierzigjährige Anwalt, der Lady Agathas immenses Vermögen verwaltete und verblüffend einem bekannten James-Bond-Darsteller ähnelte, war mit Kathy Porter aus seiner nahe gelegenen Kanzlei in der Curzon Street herübergekommen.

»Mitnichten, Sir«, antwortete Parker, der den Anwalt aus gemeinsam verbrachter Zeit in den USA kannte, wo sie viele Kriminalfälle gelöst hatten. »Der Schütze hüllte sich, wie der Volksmund sagt, in beharrliches Schweigen und war bislang nicht willens, eine Aussage zu machen.«

»Was sich aber bald ändern wird«, kündigte die Hausherrin grimmig an und fuhr mit der Hand durch die Luft, um zu zeigen, wie sie das Schweigen des Mannes zu brechen gedachte. »Ich werde mich mit diesem Subjekt eingehend befassen.«

»Sie haben ihn also hierher eingeladen, Mylady«, stellte Kathy Porter lächelnd fest. Die schlanke Frau von etwa dreißig Jahren sah berückend aus. Hochangesetzte Wangenknochen verliehen ihr einen gewissen exotischen Reiz.

Sie wirkte im allgemeinen wie ein scheues Reh, konnte sich aber in Sekundenschnelle in eine Pantherkatze verwandeln und war von Butler Parker in allen Spielarten fernöstlicher Verteidigungstechnik ausgebildet worden. Es war übrigens der Ehrgeiz und innigste Wunsch der Lady, ihre Gesellschafterin und Sekretärin mit dem Anwalt zu verheiraten. Zur Verwirklichung dieses Traumes tat Mylady alles.

»Mister Parker hat mir den Lümmel aufgeladen«, erklärte die Detektivin. »Es scheint sein Hobby zu sein, das Haus mit Gästen zu füllen, die ich durchfüttern muß.«

»Mylady haben die Möglichkeit, den Schützen des heimtückisch abgefeuerten Schusses einer intensiven Befragung zu unterziehen und so die Wahrheit zu erfahren«, bemerkte Parker gemessen.

»Papperlapapp, Mister Parker, das hätte ich auch im Wagen gekonnt, wenn Sie dem Mann mit Ihrem Schirm nicht so zugesetzt hätten, daß er vor Schreck verstummte.«

»Mister Parker wird ihn doch wohl nicht etwa mißhandelt haben«, sorgte sich Mike Rander und zwinkerte Kathy Porter zu. »Als Anwalt könnte ich so etwas auf gar keinen Fall billigen, Mylady.«

»Unsinn, mein lieber Junge, dazu ist Mister Parker doch viel zu nachgiebig und zu weich«, winkte die ältere Dame ab. »Ein paar ordentliche Ohrfeigen hätten dem Kerl gehört.«

»Einige Zuschauer auf dem Weg zu den Toiletten waren aufmerksam geworden und hätten sich möglicherweise als störend erweisen können. Meine bescheidene Wenigkeit hielt es deshalb für das beste, das sprichwörtliche Feld zu räumen.«

»Was ein Fehler war, Mister Parker«, schnappte die Lady und schüttelte den Kopf.

»Was man außerordentlich bedauert, Mylady«, korrigierte der Butler höflich. »Für den Fall jedoch, daß jemand aus den Reihen der aufmerksam gewordenen Zuschauer die Polizei verständigt hätte, wäre Mister McWarden aufmerksam geworden, daß Mylady sich mit einem neuen Fall beschäftigen.«

»Das ist wahr, Mister Parker.« Lady Agatha winkte huldvoll ihrem Butler zu. »Aber McWarden ist keine Konkurrenz für mich.«

»Möglicherweise verunsichert er aber Myladys Gegner, und sie hätten ihre Verstecke aufgesucht«, gab Parker zu bedenken. »Mylady legen jedoch Wert darauf, diese Leute ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren und sie dort zu stellen.«

»Nun ja, Mister Parker, das ist natürlich ein Aspekt«, gab sie widerwillig zu. »Ein Jäger wie McWarden wäre tatsächlich in der Lage, mir mein Wild zu vergraulen und die Arbeit unnötig zu erschweren.«

»Was zu verhindern in meiner Absicht lag«, stellte Parker gemessen und würdevoll fest.

»Warum wollte man mich ausgerechnet in einem Zirkus umbringen?« dachte Lady Agatha laut nach und interpretierte den Schuß auf die junge Frau auf recht eigenwillige Weise. »Da muß doch etwas dahinterstecken. Was hat man sich nur dabei gedacht?«

»Der Schuß galt Ihnen, Mylady?« vergewisserte sich Kathy Porter und schien besorgt.

»Was Mister Parker partout nicht einsehen will«, seufzte die Hausherrin und richtete den Blick schicksalsergeben zur Decke. »Er ist völlig anderer Meinung, aber das wundert mich nicht.«

»Mylady können einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann hoffentlich verzeihen«, bat Parker mit glattem, ausdruckslosem Gesicht, das dem eines professionellen Pokerspielers glich.

»Wie dem auch sei, Mister Parker, ich werde der Sache auf den Grund« gehen«, redete Lady Agatha weiter. »Das Fernsehprogramm ist heute mal wieder ausgesprochen mies. Das gibt mir Zeit und Gelegenheit, einige Hintergrundforschung zu betreiben.«

»Sie wollen also Ihren neuen Gast noch heute abend verhören?« erkundigte sich Mike Rander.

»Auf keinen Fall, mein Junge, danach steht mir jetzt nicht der Sinn. Außerdem muß sich der Mann von Mister Parkers Attacke mit dem Schirm erholen, so viel Zeit muß ich ihm schon geben.«

»Das ist aber wirklich human von Ihnen, Mylady«, lobte Kathy Porter.

»So bin ich eben, Kindchen. Leider werde auch ich viel zu oft verkannt«, seufzte die ältere Dame und wandte sich an ihren Butler. »Ich hoffe, Mister Parker, Sie bieten mir heute abend eine nette kleine Abwechslung, ich möchte noch ein wenig entspannen.«

»Möglicherweise könnten sich Mylady zum Besuch des ›Crazy Elephant‹ entschließen«, schlug der Butler gemessen vor und deutete eine Verbeugung an.

»Klingt nicht schlecht, Mister Parker. Gibt es dort auch etwas zu essen? Zuweilen übertreiben Sie schon meine Diät, Sie scheinen mich auf Hungerkur zu setzen.«

»Keinesfalls und mitnichten, Mylady. Das ›Crazy Elephant‹ ist allerdings auf gar keinen Fall ein Gourmet-Tempel und kann bestenfalls mit derber Hausmannskost aufwarten.«

»Das ist es, wonach mir der Sinn steht, Mister Parker«, antwortete Agatha Simpson und rieb sich unternehmungslustig die Hände. »Und was wird mir sonst noch geboten?«

»Bemerkenswertes Lokalkolorit mit Künstlern aus dem Varieté- und Zirkusmilieu, Mylady«, warnte der Butler. »Das Niveau dürfte möglicherweise schockieren.«

»Das ist genau das richtige für mich heute abend«, fand die ältere Dame umgehend. »Lassen Sie uns aufbrechen, Mister Parker, ich möchte mich ein wenig empören.«

*

Das Lokal lag in Whitechapel und machte rein äußerlich einen alles andere als bürgerlichen Eindruck. Es war in einem schmalbrüstigen Haus mit schmutziggrauer Fassade untergebracht, die dringend nach frischer Farbe schrie.

Neben dem Eingang prangte ein riesiger, ehemals wohl grüner Elefant, der mit seinem Rüssel eine Whiskyflasche ans Maul führte. Darüber stand in verwaschenen, roten Buchstaben der Name: Crazy Elephant.

Lady Agatha musterte das Lokal neugierig und nickte ihrem Butler huldvoll zu. »Nun, das sieht ja recht vielversprechend aus, Mister Parker«, stellte sie fest und rieb sich in Erwartung kommender Ereignisse die Hände. »Ich denke, ich werde mich hier ordentlich amüsieren.«

»Das Publikum entspricht nicht unbedingt den gesellschaftlichen Normen, Mylady«, warnte der Butler, während er sein hochbeiniges Monstrum, wie sein Privatwagen von Freund und Feind respektvoll genannt wurde, abschloß.

»Das macht nichts, Mister Parker, ich werde den Leuten schon Manieren beibringen«, zeigte sie sich großzügig und nickte nachdrücklich.

»Möglicherweise wird man Mylady sogar belästigen«, gab Parker seiner Befürchtung Ausdruck.

»Das wäre ja wohl die Höhe«, ereiferte sie sich umgehend und lächelte erfreut dazu. »Ich hoffe, das war ein Versprechen, Mister Parker.«

Sie nickte energisch und stampfte entschlossen Richtung Eingang, vor dem ein bunt gekleideter, traurig blickender Mann stand.

»Nichts für dich, Schwester, das hier is ’n ganz übler Laden«, teilte er mit und schüttelte seufzend den Kopf. »Such dir lieber was anderes, wirklich, das hier is’ echt das Letzte.«

»Sie raten Mylady vom Besuch dieses Etablissements ab?« vergewisserte sich Parker und lüftete grüßend die Melone.

»Und ob, Mann, ’nen übleren Laden als den hier gibt’s weit und breit nicht«, teilte der Traurige ihm mit und seufzte erneut.

»Ausgezeichnet«, freute sich die Detektivin und schob den Buntgekleideten zur Seite. »Hier bin ich richtig, kommen Sie, Mister Parker.«

»He, Moment mal, Lady, so geht das aber nicht«, protestierte der Mann vor der Tür und wurde erstaunlich munter »Du hast mich wohl falsch verstanden, Schwester, das war kein Tip von mir, sondern ’ne Aufforderung, klar? Such dir was anderes, hier biste falsch, hier kommste nich’ rein, klar?«

»Das war doch wohl eine Beleidigung?« vergewisserte sich Lady Agatha und nahm mit den Augen bereits Maß. »Dieser Flegel wagt es also tatsächlich, mich zurückhalten zu wollen, mal ganz davon abgesehen, daß er mich duzt, Mister Parker?«

»Meine bescheidene Wenigkeit erlaubte sich bereits, auf die möglicherweise mangelhaften Umgangsformen in diesem Etablissement hinzuweisen, Mylady«, bemerkte Parker höflich.

»Was denn, Schwester, du bist... äh, ich meine, Sie sind ’ne echte Lady?« staunte der Buntgekleidete und musterte die resolute Dame von oben bis unten.

»Sie haben die Ehre und den Vorzug, Lady Agatha Simpson einlassen zu dürfen«, stellte der Butler gemessen fest.

»Und äh ... Sie wollen wirklich hier rein?« vergewisserte sich der verdutzte Mann und sah sie verständnislos an.

»Und ob, junger Mann, und wenn Sie mich nicht gleich einlassen, werden Sie Ihr blaues Wunder erleben«, kündigte Mylady ihm an und ließ ihre Rechte durch die Luft sausen. Der Türsteher wurde dabei versehentlich und nur sehr oberflächlich an der Wange gestreift und erlitt prompt einen kleinen Schwächeanfall. Er ließ sich gegen die Tür fallen, schnappte laut und vernehmlich nach Luft und litt sichtlich unter gewissen Konditionsmängeln.

»Mit der heutigen Jugend ist wirklich kein Staat mehr zu machen«, stellte die ältere Dame fest. »Früher war das doch anders, Mister Parker, aber daran können Sie sich wohl nicht mehr erinnern.«

Sie drückte, bevor Parker ihr behilflich sein konnte, energisch die Tür auf und schob sich in die entgegenschlagende Dunstwolke.

Parker ging diskret an seiner Herrin vorbei und bahnte ihr einen Weg durch den nahezu undurchdringlich scheinenden Nebel aus Qualm, Küchendünsten und Parfümwolken.

»Hier riecht es aber penetrant, Mister Parker«, stellte die Detektivin fest und rümpfte die Nase. »Man sollte vielleicht mal lüften und eventuell ein paar Stücke Seife verteilen.«

»He, meint die komische Tante etwa uns?« erkundigte sich ein stiernackiger Mann an der Theke, an der sich Lady Agatha und Josuah Parker vorbeischoben, bei seinem Begleiter.

»Ich glaub‘, die sucht Streit«, stellte der sofort fest und rutschte vom Hocker. »Wie ist die überhaupt reingekommen?«

»Keine Ahnung, aber das war bestimmt ’n Versehen«, vermutete der Stiernackige. »Das werden wir jetzt schleunigst korrigieren.«

»Du hast dich verlaufen, Tante«, teilte er Agatha Simpson mit und baute sich breitbeinig vor ihr auf. »Du wolltest bestimmt woanders hin, stimmt’s?«

»Hier bin ich genau richtig«, erwiderte Mylady und musterte den Stiernackigen, der an einen Preisboxer erinnerte.

»Ich bin nur Ihretwegen gekommen, um Ihnen Manieren beizubringen, Sie Lümmel!«

»He, Mann, die hat aber Haare auf den Zähnen«, stellte der Preisboxer fest und grinste. »Da macht’s Spaß, mal wieder richtig zuzulangen.«

»Sie wollen sich an einer Dame vergreifen, Sir?« mischte sich Parker ein, der sich neben seiner Herrin aufgebaut hatte und den Mann mit unbewegtem Gesicht musterte.

»Guck dir doch nur mal den an, der kommt ja direkt aus dem Museum«, freute sich der Stiernackige und wandte sich feixend an seinen Begleiter. »So was ist doch eigentlich schon seit Jahren ausgestorben, hab’ ich gedacht, und jetzt taucht leibhaftig die Mumie hier auf.«

»Ich werd’ mich mal um ihn kümmern«, kündigte der Begleiter an und schob sich vom Hocker. »Ich wußte doch, daß das noch ’n ganz unterhaltsamer Abend wird.«

*

»Was sind Sie von Beruf, junger Mann?« erkundigte sich Lady Agatha bei dem Mann, der sich vor ihr aufgebaut hatte.

»Eisenbieger im Zirkus«, gab der verblüfft zurück und schüttelte verwundert den Kopf.

»Das ist gut«, stellte die ältere Dame fest, »dann vertragen Sie ja einiges.«

Sie nahm kurz Maß. Dann trat sie ihm gegen das Schienbein und beobachtete, wie er erschrocken auf dem unversehrten Bein zu tanzen begann. Aus Gründen der Symmetrie holte sie ein zweites Mal aus und liebkoste auch das andere Bein.

»Wie kann man nur so wehleidig sein«, herrschte sie den Stiernackigen an, der abwechselnd von einem Fuß auf den anderen trat und spitze Schreie ausstieß. »Ich habe Sie doch kaum berührt.«

»Sie wollen eine Dame hinterrücks angreifen?« Parker wandte sich an den nicht minder kompakten Kumpan des Mannes, der soeben in die kleine Auseinandersetzung eingreifen wollte. Zu diesem Zweck hatte er sich einen Bierkrug von der Theke geangelt und schwang ihn gerade über dem Kopf der Lady, als Parker ihn ansprach.

»Sie gestatten, Sir?« Parker nahm dem verdutzten Mann den Krug aus der Hand. Dabei unterlief ihm ein Mißgeschick. Der Krug rutschte ihm aus der Hand, beugte sich den Gesetzen der Schwerkraft und bewegte sich schwungvoll abwärts. Er prallte auf den Schädel des Kompakten und erzeugte dort eine veritable Beule.

»Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit untröstlich«, behauptete Parker ungeniert. »Hoffentlich können Sie einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann seine Ungeschicklichkeit noch mal verzeihen.«

Er reichte dem schwankenden Bierkrugschwinger eine Hand und führte ihn in eine Nische, damit er sich dort erholen konnte.

»Wenn ich Ihnen ein Riechfläschchen reichen darf, Sir, diese ungemein wirkungsvolle Substanz wird Ihnen helfen«, bot er an und hielt dem Kompakten eine Taschenflasche aus seinem Covercoat unter die Nase.

Einen Moment später lag der Mann ausgestreckt auf der Bank in der Nische und gab erste diskrete Schnarchtöne von sich.

»Wo bleiben Sie denn, Mister Parker?« Lady Agatha erwartete ihn ungeduldig an der Theke. »Ich beginne bereits, mich zu langweilen, ich hoffe, Sie unternehmen etwas.«

»Das war nicht schlecht, muß ich sagen«, bemerkte ein untersetzter Mann, der etwas weiter entfernt an der Theke saß, und nickte Lady Agatha anerkennend zu. »Diese beiden Strolche sind verdammt üble Burschen, denen alle hier im Lokal aus dem Weg gehen.«

»Sie eingeschlossen, junger Mann?« erkundigte sich Agatha Simpson und musterte ihn prüfend.

»Bei mir ist es umgekehrt«, lächelte der Untersetzte. »Die Kerle gehen mir aus dem Weg.«

»So gefährlich sehen Sie ehrlich gesagt gar nicht aus«, stellte Mylady umgehend fest. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Schläger ausgerechnet vor Ihnen Respekt haben sollten.« Sie versetzte ihren Pompadour in leichte Schwingung und ging auf den Mann zu, der ihr nach wie vor lächelnd entgegensah.

»Überhaupt, junger Mann, was ist das für eine komische Halskrause, die Sie da tragen?« wollte sie wissen und starrte aus zusammengekniffenen Augen auf den Mann.

»Das ist meine persönliche Note«, spottete der Untersetzte. »So was trage ich immer.«

»Einfach albern«, stellte sie abfällig fest. »Ein Mann sollte nicht mit so einem bunten Knäuel herumlaufen.«

»Lassen Sie das meine Sorge sein, es freut mich, wenn er mir gefällt«, stellte der Untersetzte fest. »Ich muß jetzt mal verschwinden. Könnten Sie vielleicht solange auf meinen Schmuck aufpassen?«

»Wenn es unbedingt sein muß«, stimmte Mylady etwas zerstreut zu.

»Seien Sie vorsichtig, Madam, um Himmels willen ...«, stammelte der Barkeeper und starrte Agatha Simpson an. »Ich bitte Sie ...«

»Was soll dieses Gestammel«, grollte die ältere Dame und musterte ihn grimmig. »Was soll überhaupt dieses lächerliche Theater?«

»Am besten ist, Sie legen mein Schmuckstück um«, lenkte der Untersetzte sie ab und legte ihr kurzerhand das bunte Knäuel um den Hals.

»Reichlich schwer und unangenehm warm«, reagierte die Detektivin mißmutig. »Ich hoffe, Sie beeilen sich, junger Mann, damit ich Ihren seltsamen Schmuck wieder los werde.«

»Ich bin gleich wieder zurück«, versprach der Untersetzte und glitt vom Hocker.

»Warum ist es auf einmal so ruhig hier, Mister Parker?« wunderte sie sich einen Augenblick später und sah sich irritiert um.

*

»Wirklich ein ausgesucht schönes Exemplar«, bemerkte Parker und beugte sich über den Nacken seiner Herrin.

»Ich muß doch sehr bitten, Mister Parker«, erwiderte die ältere Dame. »Sie vergessen sich, ich muß mich wirklich über Sie wundern.«

»Pardon, Mylady, meine bescheidene Wenigkeit sprach von dem interessanten Schmuck, den man Mylady überließ. Es handelt sich hierbei in der Tat um einen bemerkenswerten Vertreter seiner Gattung.«

»Papperlapapp, Mister Parker. Was soll an dem Ding schon groß dran sein? Es ist viel zu auffällig, zu dick und zu warm. Ich würde mir so was nie zulegen.«

»Gestatten, Mylady – dieser Halsschmuck ist mehr oder weniger einzigartig«, gab Parker höflich zurück. »Nur eine unerschrockene, durch nichts zu erschütternde Persönlichkeit wie Mylady können ihn mit Ruhe und Grandezza tragen.«

»Meinen Sie wirklich, Mister Parker?« fühlte sie sich geschmeichelt.

»Meine bescheidene Wenigkeit bewundert Myladys großartige Haltung«, erklärte Parker würdevoll. »Immerhin gewähren Mylady einem kleinen Python das Gastrecht.«

»Sie meinen diesen fürchterlich warmen Schal hier?« erkundigte sie sich irritiert. »Was soll das sein, Mister Parker?«

»Ein sogenannter Python, Mylady, verborgen im Netz, um dies hinzuzufügen. Es handelt sich hierbei um ein besonders gutgewachsenes Tier.«

»Sie meinen, dieser Lümmel hat mir eine Schlange um den Hals gehängt, habe ich Sie richtig verstanden?«

»In der Tat, Mylady«, bestätigte Parker. »Bei dem betreffenden Herrn handelt es sich um einen bekannten Schlangenbändiger, wie man soeben mitgeteilt bekam.«

Agatha Simpson legte den Kopf etwas schief und starrte stirnrunzelnd auf ihr »Halsband«, das man ihr aufgedrängt hatte.

»Er hat sie erst vor kurzem gefüttert, Sie brauchen keine Angst zu haben«, rief ein Gast vom anderen Ende der Theke her. »Larry erlaubt sich nun mal gern einen Scherz mit dem Tier.«

»Das macht mir gar nichts«, behauptete die ältere Dame und starrte dem Python in die Augen. Die Schlange fühlte sich durch ihr Sprechen gestört und hatte den flachen, dreieckigen Kopf erhoben, um nach der Ursache zu forschen.

Der exzellente Butler Parker 30 – Kriminalroman

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