Читать книгу Butler Parker Jubiläumsbox 4 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 7
ОглавлениеButler Josuah Parker befand sich in bester Laune, obwohl ihm diese Gemütsverfassung nicht gerade anzusehen war. Stocksteif und würdevoll wie der offizielle, diplomatische Vertreter eines fremden Staates stand er vor der geschwungenen Theke des Spezial Tabakgeschäftes und begutachtete die frisch eingetroffenen Importe.
Es handelte sich um Zigarren, die der Form und Größe nach an mittelgroße Torpedos erinnerten. Sie befanden sich in einer flachen Kiste aus Zedernholz und lagerten auf feinstem Stroh. Sie hätten schon wegen ihrer schwarz-grünen Färbung jeden durchschnittlichen Raucher abgeschreckt. Nicht aber den Butler, der sich diese Importe wieder einmal bestellt hatte.
Parker nickte dem kleinen, dicklichen Inhaber des Tabakladens anerkennend zu.
»In der Tat, ausgezeichnet«, sagte er dann mit seiner dunklen, sonoren Stimme. »Ich darf wohl unterstellen, daß diese Zigarren auch wirklich so munden wie sie aussehen, oder?«
»Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Parker«, gab der Tabakfachhändler mehr als doppelsinnig zurück. Beschwörend fügte er dann allerdings hinzu: »Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie mir versprachen, diese Zigarren nicht hier in meinem Geschäft zu rauchen.«
»Keine Sorge, um diese Importe genießen zu können, brauche ich Minuten und Stunden der Muße«, erwiderte Parker »Ich nehme das Kistchen …!«
Der Inhaber des Tabakladens atmete innerlich auf, als er merkte, daß der Butler sich an die seinerzeit getroffenen Vereinbarungen hielt. Einmal hatte Parker eine dieser giftig aussehenden Zigarren hier im Laden geraucht, worauf für viele Stunden alle Besucher und Kunden des Ladens entsetzt zurückwichen, die ahnungslos eingetreten waren. Der Duft und das Aroma, wie Parker sagte und behauptete, der pestilenzartige Gestank, wie der Geschäftsinhaber seinerseits behauptete, hatte alle Kunden verschreckt.
Parker zückte sein Zigarrenetui, um sich vier dieser Importen griffbereit einzustecken. Dabei wendete er sich halb um und … erstarrte! Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, niemals Erstaunen zu zeigen, drückte sein Gesicht diesmal grenzenlose Verblüffung aus. Fasziniert schaute er durch die Schaufensterscheibe hinaus und beobachtete die Szene auf der Straße.
Im ersten Augenblick glaubte Parker, zu träumen. Er fühlte sich einige Tage zurückversetzt, als er noch als Halbwüchsiger Kinos besucht hatte und seiner Leidenschaft frönte, sich vor allen Dingen Kriminalfilme anzusehen.
Aus einem imposanten Bankgebäude kamen drei an sich korrekt gekleidete Männer, die große dunkle Ledertaschen trugen. Bemerkenswert an diesen Männern war allerdings die Tatsache, daß sie zudem noch Maschinenpistolen trugen, aus denen sie jetzt wenig gentlemanlike feuerten.
Diese drei »Bankbesucher« strebten ohne besondere Hast oder Eile auf einen dunkelgrauen Ford zu, der wenig weiter am Straßenrand hielt.
Das häßliche Geratter dieser drei Maschinenpistolen veranlaßte die Straßenpassanten, sich schleunigst in Deckung zu begeben. Männer und Frauen spritzten auseinander und räumten die Schußbahnen. Innerhalb weniger Sekunden war die Straße fast menschenleer.
Im Portal des Bankgebäudes tauchten zwei uniformierte Wachleute auf, die ebenfalls schossen.
Im Gegensatz zu den drei Bankkunden duckten sie sich und nutzten jede sich bietende Möglichkeit, den gegnerischen Geschossen auszuweichen, eine Vorsichtsmaßnahme, die sich auszahlte.
Die drei Bankkunden jedoch schienen von solcher Vorsicht nur wenig zu halten.
Fast heiter und gelassen, aber immer noch schießend, gingen sie auf den haltenden Wagen zu.
Einer erreichte ihn. Die beiden anderen Männer hingegen wurden von den Wachmännern getroffen und fielen zu Boden.
Nachdem der Überlebende im Wagen saß, ruckte der Ford blitzartig an. Die Hinterräder tourten durch, als er sich in Bewegung setzte. Mit der Geschwindigkeit einer frisch gezündeten Rakete preschte der Ford die Straße hinunter und verschwand auf zwei kreischenden Rädern hinter der nächsten Straßenecke.
»Haben Sie das gesehen …?« Der Inhaber des Tabakladens schnappte nach Luft.
»Ich war so frei«, gab der Butler gemessen zurück, zumal er seine innere Fassung längst zurückgefunden hatte. »Wenn mich nicht alles täuscht, wurden wir gerade Zeugen eines Banküberfalls …!«
»Man muß doch … man muß doch …!« Der Tabakfachmann war derart nervös und aufgeregt, daß er nicht in der Lage war, den begonnenen Satz zu beenden.
»Man sollte und müßte in der Tat die Polizei informieren«, sagte Parker, der durchaus erraten hatte, was der Tabakfachmann hatte sagen wollen.
»So was hab’ ich noch nie gesehen«, schnaufte der Fachmann für Tabakwaren aller Art. »Das war … das war doch glatt ein Banküberfall.«
»Sie haben diesen bedauerlichen Vorfall durchaus richtig eingeschätzt und gedeutet«, pflichtete der Butler ihm würdevoll bei. »Und was das Informieren und etwaige Alarmieren der Polizei angeht, so erübrigen sich solche Maßnahmen, denn, wenn Sie genau hinhören, ist bereits das typische Signal einer Polizeisirene zu vernehmen …!«
*
»Sie hatten also den Eindruck, daß die drei Bankräuber wie menschliche Roboter handelten?«
Mike Randers Gesicht sah nachdenklich aus. Er stand am breiten Fenster der geräumigen Dachgartenwohnung am Michigan-See und sog an seiner Zigarette. »Wieso hatten Sie diesen Eindruck, Parker? Standen die drei Männer vielleicht nur unter irgendeinem Rauschgift?«
»Das ist eine Möglichkeit, Sir, die man durchaus in Betracht ziehen sollte«, antwortete Josuah Parker. Respektvoll und steif stand er in der Nähe des Kamins und sah seinen jungen Herrn aufmerksam an. »Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Sir, daß man Rauschgift feststellen könnte?«
»Kann man, Parker, kann man durchaus. Aber das ist nicht mein Job. Mit anderen Worten, es war sehr interessant, was Sie da zu erzählen hatten, aber einmischen werden wir uns nicht. Hoffentlich habe ich mich klar und deutlich genug ausgedrückt.«
»Selbstverständlich, Sir …! Falls mir allerdings eine Bemerkung gestattet ist, möchte ich darauf hinweisen, daß menschliche Roboter in der Form, wie ich Sie gesehen habe, für die Gesellschaft eine erhebliche Bedrohung darstellten, daß man es also mit Gangstern zu tun hat, denen man schleunigst das Handwerk legen sollte.«
»Sehr richtig, Parker, das ist auch meine Meinung. Aber dafür haben wir ja Gott sei Dank die Polizei.«
»Wie Sie meinen, Sir …!« Parkers Gesicht wurde noch undurchdringlicher, als es ohnehin zu sein pflegte. Damit drückte er seine offene Mißbilligung aus. Er deutete eine steife, andeutungsweise Verbeugung an und fragte: »Haben Sie sonst noch Wünsche, Sir, die ich Ihnen erfüllen könnte?«
»Das wär’s im Moment, Parker!« Anwalt Mike Rander unterdrückte ein Schmunzeln, in das sich allerdings einiges Nachdenken mischte. Er kannte schließlich seinen Butler, der für ihn mehr war als nur ein vertrauter Hausangestellter. Im Laufe der Jahre hatte sich zwischen beiden Männern ein sehr enges und herzliches Verhältnis ausgebildet.
Daher wußte und ahnte Mike Rander auch, daß er früher oder später doch noch Kontakt zu diesem Fall bekommen würde. Parker hatte es bisher immer sehr geschickt verstanden seinen jungen Herrn zu engagieren. Wie er das stets schaffte, war und blieb für Rander ein Geheimnis.
Josuah Parker verließ den großen Wohnraum, der in Mike Randers Arbeitszimmers überging. Diskret schloß er die Tür hinter sich und begab sich hinüber in seine Privaträume, die aus einem kleinen Appartement und einer äußerst gut bestückten Bastlerwerkstatt bestanden. Parker mied diesmal diese Werkstatt, in der er sonst liebend gern werkte.
Parker blieb vor der Bücherwand seines Wohnraums stehen. Romane hätte man in den vollgepackten Regalen nicht finden können. Parker interessierte sich ausschließlich für Fachliteratur aller Art. Und so suchte er nun nach einem Band, in dem der Verfasser so etwas wie menschliche Roboter abhandelte …
*
Etwa um diese Zeit beobachtete ein Autofahrer vom Steuer seines Wagens aus einen kleinen Lieferwagen, dessen geschlossener Kastenaufbau einen völlig unverdächtigen Eindruck machte.
Dieser kleine Lieferwagen hielt vor dem Eingang zu einem Supermarkt. Die beiden Fahrer verließen die Fahrerkabine und verschwanden in dem großen, zweistöckigen Bau. Sie trugen graue Overalls und sahen ebenfalls völlig unverdächtig aus.
Schienen es aber dennoch nicht zu sein. Denn schon wenige Minuten später fielen irgendwo in dem riesigen Supermarkt einige Schüsse. Und es dauerte wiederum nur wenige Sekunden, bis die beiden Männer wieder auf tauchten.
Sie schleppten sich mit einem großen Drahteinkaufskorb ab, der bis zum Überquellen mit Banknoten gefüllt war. Während die beiden Männer zurück zum Lieferwagen liefen, flatterte eine Handvoll dieser Scheine auf den Gehsteig.
Die beiden Mobster, wie es im Fachjargon heißt, wurden übrigens hartnäckig verfolgt. Und zwar von zwei Hausdetektiven, die sich auf ihr Handwerk verstanden. Was heißen soll, daß sie aus ihren großkalibrigen Waffen feuerten.
Bevor sie allerdings die beiden Räuber stoppen konnten, erlebten sie eine böse Überraschung.
Die hintere Ladenklappe des kleinen Lieferwagens wurde aufgestoßen.
Zwei weitere Kassenräuber waren zu erkennen.
Sie benutzten Maschinenpistolen, um die beiden Hausdetektive in Schach zu halten. Was sie sehr nachdrücklich besorgten, denn einer der beiden Hausdetektive warf die Arme hoch in die Luft und fiel verwundet zu Boden. Der zweite Detektiv hielt es nach diesem Vorfall für angebracht, hinter einem Wasserhydranten in Deckung zu gehen.
Die beiden Kassenräuber verschwanden im Fahrerhaus des Lieferwagens, der sich daraufhin sofort in Bewegung setzte. Mit heulendem Motor jagte der Wagen um die nächste Straßenecke und entschwand den Blicken der entsetzten Straßenpassanten …
*
»Das Abendessen, Sir …!«
Parker hatte angerichtet. Mike Rander nickte, verließ den Schreibtisch in der Nähe des großen Fensters und nahm zerstreut Platz. Er arbeitete augenblicklich an einer Strafsache, die ihm als Verteidiger angetragen worden war. Diese Arbeit beanspruchte seine ganze Konzentration.
Bis er das silberne Tablett sah, das Parker ihm höflich, aber bestimmt vorhielt.
»Zeitung statt Abendessen?« fragte Rander verblüfft, und griff nach dem Massenblatt, dessen Überschrift aus balkendicken Lettern bestand.
»Eine interessante Zusammenfassung, auf die ich besonders verweise, Sir.«
Rander griff nach der Zeitung und entfaltete sie. Er überflog die Überschrift, stutzte und las sich fest. Er war derart vertieft, daß er seinen Butler schräg hinter sich glatt vergaß. Dann, nachdem er den Aufmacher gelesen hatte, ließ er das Blatt langsam sinken.
»Darf ich jetzt vorlegen?« erkundigte sich Parker.
»Lassen Sie, Parker. Sie wissen doch genau, daß ich jetzt keinen Hunger mehr habe …!«
»Darf ich mich nach den Gründen Ihrer Appetitlosigkeit erkundigen, Sir?«
»Sie wissen doch genau, was ich da gerade gelesen habe«, gab Mike Rander zurück. »Sie haben’s wieder mal geschafft, Parker. Ich glaube, hier wartet ein Fall auf uns …!«
»Dieser Ansicht bin ich ebenfalls, Sir, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf.«
»An einem Tag vier Überfälle«, faßte Mike Rander sinnierend und halblaut zusammen. »Unbekannte Täter erbeuteten insgesamt 136 000 Dollar, verloren drei Leute und verwundeten insgesamt vier Polizeibeamte, Wachleute oder Hausdetektive …! Das sieht ja fast nach einer Großoffensive aus …!«
»Diesen Eindruck hatte ich ebenfalls, Sir.«
»Aus Zeugenaussagen geht hervor, daß die Gangster in allen vier Überfällen ungewöhnlich sorglos vorgingen. Zeugen hatten den Eindruck, als ob die Gangster einen gutgelaunten Ausflug unternommen hätten.«
»Was sich, Sir, wenn mir dieser Hinweis gestattet ist, mit meinen Eindrücken deckt«, warf der Butler ein.
»In allen vier Fällen wurde die Beute einem Autofahrer in die Hand gespielt, der in einem unauffälligen Wagen saß und sofort in eine andere Richtung davonpreschte. Verstehen Sie das, Parker?«
»Im Augenblick muß ich leider bedauern«, erwiderte der Butler. »Ich stehe selbst vor dem, was man gemeinhin ein Rätsel nennt. Zudem dürfte das vorliegende Material nicht ausreichen. Man sollte und könnte sich vielleicht mit Lieutenant Hunter von der Mordkommission in Verbindung setzen.«
Bevor Mike Rander antworten konnte, meldete sich der Türgong der Dachgartenwohnung.
»Da scheine ich ein Stichwort geliefert zu haben«, meinte der Anwalt lächelnd. »Sehen Sie nach, Parker, wer uns sprechen will.«
»Ich bin bereits auf dem Weg, Sir.« Parker deutete eine Verbeugung an und ging stocksteif aus dem Zimmer. Eilig hatte er es nie. Er hielt stets auf Würde und Gemessenheit.
Im Korridor der Dachgartenwohnung öffnete er einen versteckt angebrachten Wandkasten und schaltete ein darin eingebautes Fernsehgerät ein.
Auf der Bildscheibe waren zwei grau gekleidete Männer zu sehen, die vor der schweren und soliden Stahltür jenseits des Dachgartens standen.
Parker schaltete die Sprechanlage ein.
»Wen darf ich melden?« erkundigte er sich höflich.
Einer der beiden Männer auf der Bildscheibe, ein kleiner, drahtiger Mann mit harten Gesichtszügen und einem schmalen Bärtchen, sah den Butler auf dem Umweg über das Fernsehgerät gereizt an.
»Machen Sie schon auf, Parker«, sagte er dann grimmig. »Ich weiß doch, daß Sie uns beobachten.«
»Ich wünsche einen guten Abend, Sir«, sagte Parker, der Lieutenant Hunter natürlich sofort erkannt hatte. »Sie brauchen die Tür nur noch aufzudrücken.«
»Ist Ihr Chef zu Hause?« fragte Lieutenant Hunter. Dann verschwand er aus dem Bild, denn er hatte die schwere Stahltür bereits aufgedrückt und stieg nun die wenigen Treppenstufen hinauf zum eigentlichen Dachgarten.
Parker verzichtete darauf, sofort zu antworten. Erst als die beiden Männer vor ihm standen, erlaubte er sich zu bemerken, daß Mike Rander ohnehin die Absicht gehabt hatte, Lieutenant Hunter anzurufen.
»Demnach haben Sie also auch schon die Abendzeitungen gelesen, wie? Hunter reichte dem Butler seinen dunklen, weichen Hut. Dann wies er auf seinen Begleiter und sagte: »Das ist Special-Agent Randall vom FBI.«
»Hallo, Parker«, sagte Randall, ein mittelgroßer, kompakt aussehender Mann von vielleicht fünfundvierzig Jahren. Er mochte damit nicht älter sein als Lieutenant Hunter vom Morddezernat. »Freut mich, Sie zu sehen. Habe schon viel von Ihnen gehört.«
»Sie beschämen einen älteren Mann«, sagte Parker. »Wenn Sie erlauben, melde ich Sie jetzt an.«
»Nicht mehr nötig«, rief Mike Rander von der Tür des Wohnzimmers her. »Hallo, Hunter …! Wo brennt’s denn?«
»Brennen ist das richtige Wort«, erwiderte Lieutenant Hunter in seiner grimmigen, fast verkniffenen Art. »Der Teufel ist los, wenn Sie es genau wissen wollen.«
Die Männer begaben sich in den großen Salon und nahmen in den schweren, tiefen Sesseln Platz, die in der Nähe des Fensters standen. Während Mike Rander und Steven Randall sich miteinander bekannt machten, mixte der stets aufmerksame Butler bereits diverse Drinks.
»Wir brauchen Ihre Hilfe«, sagte Lieutenant Hunter. »Und wenn ich ›wir‹ sage, schließe ich das FBI mit ein.«
»Stimmt haargenau«, schaltete Steven Randall sich ein. Er sprach sachlich, gelassen und ruhig. »Sie müssen uns helfen, Mr. Rander …«
»Warum wenden Sie sich nicht an, meinen Butler?« erkundigte sich der junge Anwalt lächelnd. »Parker löst Probleme aller Art, Hauptsache, sie sind interessant genug für ihn!«
»Dann wird er auf seine Kosten kommen«, sagte Randall. »Wir haben es mit einem Novum in der Kriminalgeschichte zu tun, ob Sie es nun glauben oder nicht!«
*
»Sie wissen also mehr als das, was in den Zeitungen steht?« Mike Rander sah Randall interessiert an und nickte zerstreut, als Parker ihm ein gefülltes Trinkglas servierte.
»Worauf Sie sich verlassen können«, antwortete der Spezialagent. »Mr. Rander, Mr. Parker, was ich Ihnen zu sagen habe, muß streng vertraulich behandelt werden.«
»Geheimnisse waren und sind bei uns immer gut aufgehoben«, antwortete der Anwalt lächelnd. »Spannen Sie uns jetzt nicht länger auf die Folter, Randall. Was ist nun wirklich los?«
»Nun ja, ich will mich kurz fassen. Die Vorfälle hier in Chikago haben sich bereits in anderen amerikanischen Städten in ähnlicher Form abgespielt.«
»Und warum war davon nichts in den Zeitungen zu lesen? Die putschen doch sonst jede Kleinigkeit hoch?«
»Die verschiedenen Vorfälle sind bisher nie in einen einzigen, großen Zusammenhang gebracht worden. Die einzelnen Fälle an sich wurden stets von den Zeitungen gebracht.«
»Können Sie mit diesen Einzelheiten dienen?« fragte Mike Rander. Er sah kurz zu Butler Parker hoch, der stocksteif, würdevoll und unnahbar neben der Hausbar stand und zuhörte.
»Lassen Sie mich kurz nachsehen!« Spezialagent Randall holte ein schmales Notizbuch aus der Innentasche seines Jacketts und überflog die Eintragungen.
»Ich beginne mit New York«, sagte er dann. »Dort wurden bisher insgesamt vier Überfälle verübt. Den Gangstern gelang es, zusammen ca. 123 000 Dollar zu erbeuten. Sie verloren dabei vier Männer. Dann der nächste Fall in Milwaukee. Hier wurden bei zwei Überfällen 43 000 Dollar erbeutet. Zwei Gangster wurden dabei erschossen. In Washington wurde eine Bank leergeraubt. Die Beute betrug 110 000 Dollar. Drei Gangster wurden auf der Flucht erschossen. In Los Angeles wurden innerhalb von drei Tagen sechs Raubzüge durchgeführt. Gesamtbeute etwa 87 000 Dollar. Hier wurden vier Gangster erschossen. Undsoweiter, undsoweiter.«
»Die Häufung der erschossenen Gangster ist geradezu erschreckend, wenn ich mir diesen bescheidenen Hinweis erlauben darf«, sagte Josuah Parker in seiner höflichen, immer etwas umständlichen Ausdrucksweise. »Gangster pflegen ansonsten rationeller zu arbeiten, was ihre Mitglieder angeht!«
»Damit treffen Sie bereits den Nagel auf den Kopf«, sagte Randall und wandte sich zu Parker um. »Gangster gehen niemals ein unnötiges Risiko ein. In den genannten Fällen aber ergibt sich aus übereinstimmenden Zeugenaussagen, daß die Täter sich sorglos, ja fast heiter, bewegten.«
»Genau das haben doch auch Sie beobachtet, Parker, oder?« Rander sah seinen Butler fragend an.
»Sie wurden Augenzeuge eines Überfalls?« Lieutenant Hunter sah den Butler fast strafend an. »Warum erfahre ich erst jetzt davon?«
»Ich hatte den Eindruck, Sir, daß die Täter ohne jedes Angstgefühl ihre Straftaten ausführten«, schilderte der Butler seine Erlebnisse, ohne auf die Frage des Lieutenants einzugehen. »Sie verzichteten auf jede Vorsicht, sorgten aber dafür, daß die Tasche mit dem geraubten Geld in einem grauen Ford landete.«
»Haben Sie sich die Wagennummer gemerkt?« fuhr Lieutenant Hunter sofort dazwischen.
»Ich nahm davon Abstand, um mein Gedächtnis nicht unnötig zu belasten«, erwiderte der Butler höflich. »Ich tat dies, zumal ich als sicher unterstellen konnte, daß der graue Ford gestohlen war.«
»Sie hätten mich dennoch informieren müssen«, sagte Hunter bissig.
»Zurück zu unserem Problem«, blieb Spezialagent Randall gelassen. »Wir konnten selbstverständlich die Identität der erschossenen Täter feststellen. Dabei stießen wir durch die Bank auf interessante, zugleich aber auch rätselhafte Ergebnisse.«
»Die Sache wird immer spannender«, murmelte Mike Rander.
»Alle erschossenen Gangster waren bereits vorbestraft. Aber nicht einschlägig, wie ich gleich feststellen möchte. Es handelte sich um kleine Gauner, die über Diebstahl niemals hinausgekommen sind.«
»Warum sattelten diese Männer um und machten in Raub?« fragte Mike Rander laut. »Hat das FBI dafür bereits eine Erklärung gefunden?«
»Nein, Mr. Rander. Wir wissen nicht, was hier gespielt wird. Die Tatsache bleibt, daß kleine Gauner, über die man normalerweise kein Wort verlieren würde, plötzlich in bewaffneten Raub machten. Und zwar innerhalb eines bestimmten Zeitraumes in verschiedenen Städten der Staaten.«
»Es könnte sich um eine neu gebildete Supergang handeln«, ließ Josuah Parker sich von der Hausbar aus vernehmen.
»Diese Antwort liegt sehr nahe«, pflichtete Randall dem Butler bei. »Sie hat aber einen Haken.«
»Und der wäre?« wollte Mike Rander wissen.
»Eine Gang, die innerhalb weniger Tage große personelle Verluste hat, platzt sehr schnell auseinander«, erklärte Randall, der sein Fach beherrschte.
»Darf ich mir erlauben, Sir, eine Frage an Sie zu richten?« Parker sah den Spezialagenten höflich an.
»Natürlich, Parker. Nur heraus mit der Sprache!«
»Sind die Leichen, um diesen wenig schönen Ausdruck zu gebrauchen, obduziert worden?«
»Natürlich …« Randall stutzte einen Moment, nickte dann und redete weiter: »Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen, Parker. Sie vermuten, daß die Toten gedopt waren, nicht wahr?«
»Liegt diese Vermutung nicht relativ nahe?« fragte Parker zurück.
»Daran haben auch wir gedacht, Parker. Die Spezialisten der Labors haben alle chemischen Reaktionen durchgeführt, die notwendig sind. Nicht in einem einzigen Fall konnten Rauschgift oder sonstige Drogen festgestellt werden.«
»Und wie steht es mit Hypnose? » warf Mike Rander ein. »Entschuldigen Sie, falls meine Frage zu dumm ist.«
»Hypnose läßt sich chemisch natürlich nicht feststellen«, gab Randall zurück, »dennoch haben wir auch mit dieser Möglichkeit gerechnet. Und, nach Lage der Dinge, könnte Hypnose die einzige Erklärung für dieses Phänomen sein. Die Sache hat allerdings einen Haken.«
»Und wie sieht dieser Haken aus, Randall?«
»Diese Supergang, unterstellen wir mal, daß sie existiert, müßte dann über mehrere, ausgezeichnete Hypnotiseure verfügen. Vergessen Sie nicht, daß die Täter fast gleichzeitig in den verschiedensten Städten losschlugen.«
»Könnte man die Täter nicht zentral vorbehandelt haben?«
»Das wäre eine Möglichkeit.« Randall zündete sich eine Zigarette an und sog tief den Rauch ein. »Und es bleibt die einzige Möglichkeit, um sich das alles zu erklären. Scheußlicher Gedanke, wenn man sich vorstellt, daß die Gangster durch Hypnose dazu gebracht werden, ohne Rücksicht auf eigene Verluste Beutezüge auszuführen. Wenn das stimmt, können wir uns noch auf einiges gefaßt machen.«
»Wie stellen Sie sich eigentlich unsere Hilfe oder Unterstützung vor?« wollte Mike Rander wissen. »Offen gestanden, Randall, ich sehe kaum eine Möglichkeit, etwas für Sie und das FBI zu tun. Ich wüßte gar nicht, wie und wo wir anfangen sollten.«
Randall lächelte.
»Versuchen Sie, sich an einen Ihrer früheren Klienten zu erinnern«, sagte er dann. »Dieser Fall liegt vier Jahre zurück!«
»Parker, erinnern Sie sich mal!« Rander sah seinen Butler lächelnd an. »Ich habe keine Ahnung, worauf Mr. Randall hinauswill!«
»Ich verweise auf den Fall Digetti, Sir!«
»Digetti …? Digetti …? Ach, richtig! Donnerwetter, daß ich nicht von allein darauf gekommen bin!«
»Sie wissen jetzt, wovon ich rede?« Randall wandte sich dem jungen Anwalt zu.
Rander nickte.
»Digetti!« sagte er dann langsam, als müsse er erst in einer Erinnerung herumkramen. »John Digetti! Er betätigte sich hier in Chikago als eine Art Heilpraktiker. Er behandelte alle Leiden durch Hypnosen und verdiente damit ein Riesenvermögen. Bis man ihm eines Tages Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nachweisen konnte. Es kam zu einem Prozeß. Digetti wurde zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er müßte also wieder ein freier Mann sein.«
»Er ist ein freier Mann«, sagte Randall. »Er lebt nach unseren Ermittlungen äußerst zurückgezogen in einem Haus an der Küste. Er gibt sich dort, wie es heißt, privaten Studien hin. Was er wirklich treibt, wissen wir natürlich nicht.«
»Digetti! Und Sie glauben, daß er hinter dieser Supergang stecken könnte?«
»Ich habe mir Digettis Akten angesehen«, antwortete Spezialagent Randall. »Digetti muß ein außergewöhnlich befähigter Hypnotiseur sein. Selbst im Gefängnis spielte er eine beherrschende Rolle. Er zwang die größten Schläger und Rüpel in die Knie. Er hypnotisierte sogar die Wärter, wie er wollte!«
»Außergewöhnlich war er, daran erinnere ich mich jetzt«, sagte Mike Rander. »Wieso kamen Sie ausgerechnet auf Digetti, Randall?«
»Es war eigentlich unsere Hollerithmaschine«, antwortete Randall lächelnd. »Die fütterten wir mit den Angaben, die wir hatten. Und sie spuckte schließlich einige Karten heraus, die interessant für uns waren. Die interessanteste Person aber war und blieb Digetti. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, wie und wo Sie einsetzen könnten, Rander. Unser Wunsch also: Setzen Sie sich irgendwie mit Digetti in Verbindung und fühlen Sie ihm auf den Zahn! Vielleicht bekommen Sie als sein ehemaliger Anwalt schnelleren Kontakt zu ihm, als wir es jemals schaffen könnten!«
*
»Das darf doch nicht wahr sein!«
Mike Rander trat unwillkürlich auf die Bremse, als der Wagen auf das Grundstück rollte. Er rieb sich die Augen, als glaube er, eine Erscheinung aus einem finsteren Traum zu sehen.
»In der Tat, Sir, dazu könnte man von einem kranken Hirn sprechen«, kommentierte Parker die Erscheinung, die sich auch seinen Augen bot. Er meinte damit das Haus, in dem John Digetti wohnte.
Es handelte sich um eine Art Villa, die aus dunklem Holz bestand, was an sich nicht sonderlich erstaunlich war. Es waren aber die vielen Erker, Türmchen und Schornsteine, die diesem Haus einen gespensterhaften Ausdruck verliehen.
Der große Rasen vor diesem Haus war ungepflegt. Das Buschwerk schrie förmlich nach einer Heckenschere. Die vielen Fenster waren ungeputzt und sahen wie beschlagene Brillengläser aus. Viele Fensterläden hingen windschief in den Angeln. Üppiges Efeu wucherte an den Hauswänden hoch. Man sah förmlich die vielen Spinnen, die darin nisten mußten.
»Nach einem erfolgreichen Gangsterboß sieht das aber nicht aus«, meinte der Anwalt, der den Wagen wieder anrollen ließ.
»Ich möchte Sie auf die Tatsache hinweisen, Sir, daß Mr. Digetti zumindest einen Wagen fährt, den er gern und häufig benutzt.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die deutlichen Reifenspuren in der aufgeweichten Zufahrt, Sir.«
»Okay, zur Kenntnis genommen. Lassen wir uns weiter überraschen, Parker.
Hoffentlich werden wir nicht hypnotisiert. Das hätte mir gerade noch gefehlt.«
»Wir werden augenscheinlich erwartet, wenn ich darauf hinweisen darf.«
»Von wem?« Mike Rander spähte durch die Windschutzscheibe, konnte aber nichts entdecken.
»Hinter dem schmalen, hohen Fenster neben der Eingangstür sah ich die Umrisse einer Gestalt, Sir.«
»Sie müssen sich getäuscht haben, Parker. Ich wette, in diesem Bau finden wir keine Menschenseele!«
Rander hielt den Wagen vor dem großen Portal des Hauses an. Treppenstufen führten hinauf zur Tür. Als Rander und Parker ausstiegen, rochen sie den Duft von feuchtem Moder und nassem Holz.
Rander ging voraus.
Er hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als plötzlich ein Schuß fiel.
Mike Rander wurde zwar nicht getroffen, doch er warf sich sofort zur Seite und ging hinter einem Holzpfeiler in Deckung, der die schweren Balken eines großen Balkons trug.
Er zog seinen 38er und entsicherte ihn.
Josuah Parker schüttelte indigniert den Kopf. Eine Begrüßung dieser Art hatte er nicht erwartet. Er ließ sich von dem abgefeuerten Schuß aber nicht entmutigen und schritt weiter auf die Tür zu.
Jetzt sah er deutlich den Gewehrlauf, der durch eine kleine, geöffnete Klappe in der Tür vorgeschoben wurde.
»Sie sollten sich erst nach Ihren Gästen erkundigen, bevor Sie sich die Freiheit nehmen, einen Schuß abzufeuern«, sagte Parker mit angehobener Stimme. »Ihr Benehmen läßt in der Tat das vermissen, was man eine gute Kinderstube nennt!«
Seine Ansprache hatte Erfolg.
Der Gewehrlauf verschwand plötzlich. Und Sekunden später wurde die Tür vorsichtig geöffnet.
»Mr. Parker?« fragte eine überraschend helle Stimme.
»Parker ist mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Habe ich die Ehre mit Mr. Digetti?«
Die Tür wurde weiter aufgezogen.
Ein großer, hagerer Mann von asketischem Aussehen und in nachlässiger Kleidung produzierte so etwas wie ein fragendes Lächeln. Dieses Lächeln stand im krassen Gegensatz zu dem zweiläufigen Gewehr, das der Mann in der Hand hielt.
»Hallo, Mr. Digetti? Erinnern Sie sich noch an uns?« Mike Rander verließ die Deckung und nickte dem hageren Mann zu, dessen Gesichtsfarbe ungesund und gelb aussah.
»Ich bin John Digetti … Mr. Rander, nicht wahr?«
»Mike Rander. Ihr Anwalt von damals. Hoffentlich stören wir nicht.«
»Aber nein! Kommen Sie herein. Ich bin froh, besucht zu werden.«
»Sah aber nicht danach aus«, stellte der Anwalt zweifelnd fest. »Sind Sie in letzter Zeit belästigt worden?«
»Wie kommen Sie darauf?« John Digetti sah den Anwalt überrascht an. Dann merkte er wohl, daß Rander auf die Flinte angespielt hatte und lächelte wieder dünn: »Man muß sich hier draußen in der Einsamkeit vorsehen. – Es treibt sich zuviel Gesindel herum!«
John Digetti drehte sich um und ging voraus, ohne sich weiter um seine beiden Gäste zu kümmern.
Rander und Parker folgten ihm in eine große, düstere Halle, in der es nach verbranntem Holz roch. Alle Vorhänge waren geschlossen. Sie hielten das Tageslicht fern. In der Nähe eines mächtigen Kamins brannte eine Stehlampe. Ihr Lichtschein reichte gerade aus, die Umrisse des altertümlichen Mobiliars erkennen zu können.
»Setzen Sie sich! Sagen Sie mir, was Sie hierhergeführt hat!« Digetti ließ sich in einen gepolsterten Schaukelstuhl fallen und griff nach einer Zigarre, die qualmend in einem Aschenbecher lag, der auf einem niedrigen Rauchtisch stand.
»Sie praktizieren nicht mehr?« fragte Mike Rander rundheraus.
»Aber nein! Mich widert alles an. Sie wissen doch, daß man mir meine Existenz vernichtet hat.«
»Die letzten Jahre müssen sehr bitter für Sie gewesen sein?«
»Sie waren heilsam, Mr. Rander. Ich habe den Wert der Einsamkeit kennengelernt. Wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Sie leben hier völlig allein?«
»Ich verachte die Menschen«, erklärte Digetti ruhig und sachlich.
Als Mike Rander ihn fragend ansah, fühlte Digetti sich veranlaßt, sich näher über dieses Thema zu verbreiten. Während Mike Rander interessiert zuhörte, sah Parker sich den ehemaligen Heilpraktiker genau an.
Die dunklen, großen Augen des Mannes strömten eine gelassene Ruhe, aber auch eine große Kraft aus. Sie paßten so gar nicht in das hagere, asketische Gesicht. Die schmale, große Nase und der messerscharfe Mund mit den tiefen Falten an den Seiten verrieten etwas von der Energie, die in diesem Manne stecken mußte. Das eckige, knochige Kinn, unterstrich nur noch diesen Eindruck.
»Sind Sie aus einem bestimmten Grund zu mir gekommen?« fragte Digetti gerade, als Parker sich wieder auf die Unterhaltung konzentrierte.
»Es war mehr oder weniger reiner Zufall«, gab Mike Rander zurück. Parker wollte zustimmend nicken, als er plötzlich den Eindruck hatte, als lege sich ein eiserner Reif um seinen Schädel.
Er wußte plötzlich, daß Digetti sich auf seine Fähigkeit als Hypnotiseur besonnen hatte.
Parker kniff unmerklich die Augen zusammen, als dieser Druck um die Stirn sich noch verstärkte. Eine wohltuende Müdigkeit erfaßte ihn. Beschaulicher Friede breitete sich in ihm aus. Er fühlte sich ausgezeichnet, spürte plötzlich nicht mehr den Druck und lehnte sich entspannt und zufrieden in seinen Sessel zurück.
Zustimmend nickte er, als Mike Rander zu erzählen begann. Der Anwalt hatte keine Bedenken, vom wahren und wirklichen Grund seines Besuches zu sprechen. Er erwähnte Lieutenant Hunter, den Spezialagenten Randall und auch den Verdacht der Behörden, ein gewisser John Digetti könne unter Umständen eine Supergang aufgezogen haben.
»Stimmt denn das wirklich, Mr. Parker?« erkundigte sich Digetti bei dem Butler. Das Gesicht des Fragenden verriet Güte und Verständnis.
»Ich kann den Worten meines Herrn nichts hinzusetzen«, erwiderte der Butler würdevoll. »Wir sollen in der Tat ausfindig machen, Sir, ob Sie als eine Art Gangsterboß in Betracht kommen.«
»Und zu welchem Schluß sind Sie gekommen? »
»Der Verdacht der Polizei ist, bei allem Respekt, geradezu grotesk«, gab der Butler entschieden zurück. »Er bedeutet eine Unterstellung, die man entschieden zurückweisen muß!«
»Ich freue mich, daß Sie zu diesem Schluß gekommen sind«, gab John Digetti höflich zurück. »Hoffentlich werden Sie auch in diesem Sinne der Polizei berichten.«
Parker und Rander beeilten sich, in diesem Sinne auch zu antworten. Von Sekunde zu Sekunde verstärkte sich ihr Gefühl, daß man diesem so friedlichen Mann unrecht tun wollte.
Und sie waren davon auch noch überzeugt, als sie wieder in ihrem Wagen saßen und zurück auf die Landstraße fuhren.
»Ein prächtiger Bursche«, meinte Anwalt Rander. »Eines weiß ich ganz sicher, die Polizei ist auf dem falschen Dampfer. Digetti tut keiner Fliege etwas zuleide!«
»Hinsichtlich der Fliegen erlaube ich mir, Ihnen beizupflichten, Sir!«
»Wie bitte? Sind Sie etwa anderer Ansicht?«
»In der Tat, Sir, zumal Sie von Mr. Digetti auf wenig schöne Art und Weise hypnotisiert wurden!«
»Ausgeschlossen!«
»Ich fürchte, ich muß bei meiner Behauptung bleiben, Sir. Er versuchte es auch bei mir, doch ich fand nur sehr wenig Gefallen an dieser Rolle und widersetzte mich seinen Ausstrahlungen.«
Rander bremste den Wagen scharf ab.
»Sind Sie sicher?« fragte er dann bestürzt.
»Vollkommen sicher, Sir! Mr. Digetti konnte nicht wissen, daß ich die Techniken und Praktiken der Hypnose studiert habe. Als ich seinerzeit einmal die Ehre hatte, der Butler des Earl of Westhamshire zu sein, unterwies er mich in der Hypnose, einem Steckenpferd, dem mein damaliger Herr frönte.«
»Demnach haben wir es ja mit einem ausgekochten Gauner zu tun«, entrüstete sich der Anwalt.
»Mit einem Hypnotiseur, Sir, wenn ich Sie korrigieren darf. Mehr ist vorerst nicht erwiesen und bekannt.«
»Mit einem Gauner«, ärgerte Mike Rander sich laut. »Er hat mich ohne meine Einwilligung hypnotisiert. Das ist ungesetzlich.«
»War aber auf der anderen Seite, Sir, wenn ich mir diesen Hinweis gestatten darf, äußerst aufschlußreich. Seine Fähigkeiten dürfte Mr. Digetti demnach nicht verloren haben!«
»Dann ist das FBI also doch auf der richtigen Spur!«
»Auch das bleibt fraglich, Sir. Um sicherzugehen, müßte man Mr. Digetti einen ungebetenen und überraschenden Besuch abstatten.«
»Nichts lieber als das. Ich möchte ihm gehörig auf die Finger klopfen. Eine verdammte Frechheit, mich ohne Erlaubnis so einfach in Trance zu setzen!«
»Ich fürchte, Sir, vorerst gilt es, andere Dinge zu erledigen«, warf der Butler ein.
»Und die wären?«
»Wir werden augenscheinlich verfolgt!«
*
Mike Rander schaute sich ungeniert um.
Nach wenigen Sekunden wußte er, daß sein Butler wieder einmal richtig gesehen hatte. Ein unauffällig aussehender, staubbedeckter Ford folgte ihnen hartnäckig. Er schob sich weder näher an sie heran, noch fiel er ab. Er hielt genaue Distanz ein.
»Sieht eigentlich ziemlich harmlos aus«, stellte Mike Rander fest. »Sicherheitshalber werde ich aber mal nach Ihrem Spezialkoffer langen, Parker.«
»Ich bedauere, Ihnen dabei nicht behilflich sein zu können«, entschuldigte sich der Butler.
Rander schmunzelte. Er konnte sich sehr gut vorstellen, daß sein Butler liebend gern die diversen Schußwaffen ausgewählt hätte, die sich in diesem Koffer befanden. Sie benutzten zur Zeit zwar nicht Parkers hochbeiniges Monstrum, doch den Spezialkoffer hatten sie mitgenommen. Rander und auch Parker waren es schließlich gewohnt, daß man ihnen sehr häufig Schwierigkeiten bereitete, die sich nicht durch höfliche Freundlichkeit beseitigen ließen.
Rander langte nach dem schwarzen Lederkoffer und öffnete den Deckel.
Eine gut ausgesuchte Sammlung der verschiedensten Waffen bot sich seinen Augen dar.
»Ich erlaube mir, Sir, zu den 45ern zu greifen, beziehungsweise auf diese Kaliber hinzuweisen«, meinte Parker. »Sie dürften bei einem Distanzgefecht von größtem Nutzen sein.«
»Sie glauben tatsächlich an eine Schießerei?«
»Ich fürchte, Sir, sie hat bereits begonnen«, gab der Butler zurück.
»Der graue Ford hat sich innerhalb der letzten Sekunden sehr nahe an Sie und an meine Wenigkeit herangeschoben.«
Rander brauchte sich kaum noch nach dem Wagen umzuwenden.
Der graue Ford hatte Fahrt auf genommen und war herangeprescht. Er schickte sich nun an, den Wagen zu überholen, in dem Rander und Parker saßen.
Mike Rander hielt bereits einen entsicherten und durchgeladenen 45er in der Hand. Er sah zu dem überholenden Wagen hinüber und war gespannt, was die Insassen tun würden.
Er konnte sie sehr gut erkennen.
Es handelte sich um drei Männer, die korrekt und zivil gekleidet waren. Sie wirkten wie Geschäftsleute, die auf Tour waren. Sie schenkten Rander und Parker nicht einen Blick. Gesammelt und ernst schauten sie hinaus auf das breite Straßenband.
»Ich glaube, Sie haben sich diesmal aber getäuscht«, meinte der junge Anwalt. »Ich wette, die drei Männer dort verkaufen Eisschränke oder Autos!«
»Oder interessieren sich dort für die Straßensteigung hinter den Hügeln«, warf Parker ein.
»Das wäre allerdings eine ideale Autofalle«, meinte Mike Rander. Er sah dem grauen Ford nach, der in schneller Fahrt auf die sanften, bewaldeten Hügel zupreschte. Die Straße stieg dort an und bog scharf nach rechts ab. Strauchwerk, mannshoch, zu beiden Seiten der Straße, bot sich als idealer Hinterhalt an.
»Wollen Sie es auf eine Schießerei ankommen lassen?« erkundigte sich Rander.
»Darf ich mir erlauben, Sir, einen Vorschlag zu machen?«
»Schießen Sie schon los? Was haben Sie diesmal auf der Pfanne?«
»Es ließe sich durchaus einrichten, noch einmal zurück zu Mr. Digetti zu fahren.«
»Und was sollen wir dort?«
»Auf die Rückkehr des grauen Ford warten, Sir, «
»Nicht schlecht, Parker, wenn Sie sich davon etwas versprechen! Gut, drehen Sie ab. Vielleicht hetzt der Ford erneut hinter uns her!«
Josuah Parker ergriff sofort die Initiative.
Er bremste den Wagen ab, wendete ihn geschickt auf der Straße und fuhr zurück. Diesmal überschritt er absichtlich die normale Geschwindigkeit. Ihm kam es darauf an, einen größeren Vorsprung herauszuholen.
»Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte Rander. »Wenn wir verfolgt wurden, wird man das Wendemanöver beobachtet haben!«
»Man hat Sie und meine bescheidene Wenigkeit beobachtet«, gab der Butler zurück. »Ich glaube, der graue Ford hat die Verfolgung erneut aufgenommen.«
Mike Rander drehte sich um und sah erneut durch das Rückfenster. Parker hatte richtig beobachtet. Der graue Ford tauchte hinter den bewaldeten Hügeln auf. Der Abstand zwischen den beiden Wagen war nun ziemlich groß.
»Darf ich mir erlauben, Sir, Sie um eine Gefälligkeit zu bitten?« erkundigte sich der Butler.
»Und die wäre?«
»In meinem Spezialkoffer, Sir, befinden sich einige Krähenfüße!«
»Einige was?«
»Krähenfüße, Sir, wie es im Jargon heißt.. Aneinandergeschweißte und rechtwinklig zueinander stehende Stahlnägel, die den Vorzug haben, Autoreifen mit größter Sicherheit zu entlüften.«
»Ja, hier sind sie!« Rander hatte den Koffer wieder aufgeklappt und hielt einige dieser sogenannten Krähenfüße in der Hand. »Wollen Sie die etwa auf die Straße kippen?«
»Man könnte sie rein zufällig verlieren, Sir!«
»Mann, damit machen wir uns schuldig. So etwas ist ungesetzlich!«
»Selbstverständlich, Sir, Ihre juristische Beurteilung ist zwingend, sie hat allerdings den Nachteil, wenn ich darauf hinweisen darf, daß sie allein nicht genügen wird, die Verfolger zu stoppen!«
»Gern mach ich so etwas aber nicht!«
»Wenn Sie erlauben, Sir, übernehme ich diese Arbeit«, erwiderte der Butler. Und erstaunlich schnell griff er nach Krähenfüßen und warf sie durch das geöffnete Wagenfenster hinaus auf die Straße. Sie purzelten und rollten und sprangen ein Stück umher, um sich dann tückisch auf die Reifen des grauen Ford vorzubereiten.
Josuah Parker hatte die genau richtige Stelle gewählt, denn kurz nach dem Abwurf der Krähenfüße machte die Straße einen scharfen Knick und verschwand hinter einem kleinen Wäldchen.
Hinter diesem Wäldchen hielt Parker den Wagen an, um ihn dann vorsichtig in einen schmalen, sehr bewachsenen Feldweg einzulenken. Dann stellte er den Motor ab und sah seinen jungen Herrn abwartend an.
»Was steht denn jetzt auf Ihrem Programm?« fragte Rander, der sich unbehaglich fühlte. Es paßte ihm nicht, daß sie die Krähenfüße ausgestreut hatten. Gerade durch seine Tätigkeit als Anwalt war sein Rechtsgefühl vollendet ausgebildet.
»Nach meinen bescheidenen Berechnungen müßte der Ford innerhalb der kommenden drei Minuten ohne Luft sein«, sagte Parker. »Mit anderen Worten, man wird anhalten und sich die Zeit für eine mehr oder weniger lange Reparatur nehmen müssen. Das wäre, wenn ich das Vorschlägen darf, eine günstige Gelegenheit, sich über die Personen des Fords zu informieren.«
Parkers Satz schwang noch in der Luft, als plötzlich zwei scharfe Detonationen zu hören waren.
»Die Reifen des Ford«, stellt Parker gelassen fest. »Mit anderen Worten, die Krähenfüße dürften ihre Dienste getan haben …!«
*
Die drei Männer arbeiteten Hand in Hand.
Schnell und geschickt wechselten sie den platten, rechten Vorderreifen. Sie taten das ohne jedes Fluchen, was unter diesen Voraussetzungen fast sicher gewesen wäre, und sie besorgten es stumm und ohne jede Verbissenheit.
Bis sie sich dem linken, platten Hinterreifen widmeten.
Für diesen aufgerissenen Reifen gab es kein Reserverad. Sie mußten entweder den Schlauch flicken, und zwar an Ort und Stelle, oder ihn zu irgendeiner Tankstelle bringen. Wo sich die befand, wußte selbst Parker nicht. Immerhin befanden sie sich weit außerhalb der Stadt und von einer Tankstelle hatte Parker auf der Hinfahrt nichts gesehen.
Der Butler stand zusammen mit seinem jungen Herrn hinter dichtem Strauchwerk und beobachtete die drei Männer. Sie waren gut gekleidet und sahen vollkommen harmlos aus. Sie benahmen sich aber untypisch, wie Parker sofort fühlte. Wie gesagt, sie schimpften nicht, sie verzichteten auf jedes unschöne oder unfeine Wort und sie redeten kaum miteinander.
»Komische Burschen«, flüsterte Rander seinem Butler zu. »Da stimmt doch etwas nicht!«
»Ich möchte darauf hinweisen, Sir daß sie nicht wie hypnotisiert aussehen«, stellte Parker leise fest. »Und dennoch, ich gebe Ihnen recht, sie benehmen sich recht ungewöhnlich.«
Die drei Männer standen vor dem abgezogenen linken Rad und beratschlagten nun leise miteinander. Einzelne Worte waren nicht zu verstehen.
Doch sie schienen zu einem Ergebnis gekommen zu sein.
Einer der drei Männer trat an den geöffneten Wagen, langte auf den Rücksitz und zog eine kleine Ledertasche hervor. Mit geschickten Handgriffen zog er eine bisher versenkte Antenne hervor, öffnete einen Reißverschluß und ließ damit die Frontplatte eines kleinen Funkgerätes sehen.
Der Mann zog einen Schieber in dieser Frontplatte zur Seite und konnte ein kleines Mikrofon herausnehmen. Dann setzte er einen Funkspruch ab.
Leider war auch davon nichts zu verstehen. Die Distanz zwischen den beiden Beobachtern und den drei Männern war zu groß. Und näher durften sich Parker und Rander nicht an die drei Männer heranwagen, wenn sie es nicht auf eine Schießerei ankommen lassen wollten.
»Ich bin fast beruhigt«, sagte Rander leise. »Dieses Funkgerät sieht nicht danach aus, als hätten wir es mit drei normalen Handlungsreisenden zu tun.«
Der Mann, der seinen Spruch abgesetzt hatte, schaltete auf den eingebauten Lautsprecher um. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Eine quäkende, undeutliche und leider sehr verzerrte Stimme antwortete. Und wiederum waren keine Einzelheiten zu verstehen. Wenigstens für Rander und Parker. Der Funkoperateur hingegen schien sehr genaue Instruktionen erhalten zu haben. Er baute das Funkgerät wieder ab und ließ es in der Mappe verschwinden. Dann wandte er sich an seine beiden Begleiter und sprach kurz mit ihnen.
»Sie wollen den Wagen stehenlassen«, sagte Rander überrascht. »Sehen Sie doch, Parker, die wollen querbeet durchs Gelände stiefeln!«
»Darf ich auch Ihnen einen kleinen Fußmarsch vorschlagen, Sir?«
»Ich wußte, daß das kommen würde«, meinte der Anwalt seufzend. »Parker, Parker, seitdem wir zusammen sind, ist mein Leben völlig umgekrempelt worden.«
»Ich gebe mir ehrliche Mühe, es Ihnen interessant zu machen, Sir. Um aber auf die drei Männer zurückzukommen, sie wollen ihn anzünden, wenn mich nicht alles trügt!«
Parker täuschte sich nicht.
Einer der drei Männer entleerte einen kleinen Benzinbehälter in den Wagen und warf ein angezündetes Streichholz nach. Sekunden später explodierten die Benzindämpfe und setzten den Wagen umgehend in Brand. Er verwandelte sich innerhalb weniger Sekunden in eine glühende Hölle. Und als der Tank noch zusätzlich in die Luft flog, gab es für den Wagen keine Rettung mehr.
»Ich möchte annehmen, daß man Fingerabdrücke vernichten will«, sagte Parker bedauernd. »Mein flüchtiger Verdacht wird zur Gewißheit, Sir. Wir haben es mit Gangstern zu tun.«
»Die möglicherweise zurück zu Digettis Haus gehen werden«, erklärte Rander. »Lassen wir uns also überraschen!
*
Die drei Männer hatten es nun eilig.
Sie verließen die Straße und verschwanden im welligen Gelände, das mit Büschen und Sträuchern bewachsen war. Rander und Parker, die den drei seltsamen Männern folgten, brauchten eine vorzeitige Entdeckung kaum zu fürchten. Sie fanden immer wieder gute Deckungsmöglichkeiten.
Hinzu kam, daß die drei Männer wohl nicht im Traum daran dachten, daß sie verfolgt werden könnten. Sie sahen sich nicht um. Sie fühlten sich allein auf dieser Welt.
»Zurück zu Mr. Digetti geht es auf keinen Fall«, bemerkte Parker nach zehn Minuten. »Ich glaube, das Ziel der drei Männer ist dort die verlassene Farm auf dem sanften Hügel zwischen den beiden kleinen Waldstücken.«
Rander nickte nur. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Er spürte deutlich, daß sie einem Geheimnis auf der Spur waren. Er fragte sich immer wieder, ob es sich um Gangster handelte, deren Partner die bisherigen Überfälle ausgeführt hatten. Sollte sich hier eine erste, deutliche Spur abzeichnen?
Die drei Wanderer standen am Fuß der Kuppe.
Rander und Parker gingen in Deckung, um nicht im letzten Augenblick noch durch einen dummen Zufall entdeckt zu werden. Die drei Männer stiegen nun zur Farm hinauf, die nur noch aus verrotteten Brettern und Balken bestand. Die große Scheune war restlos in sich zusammengebrochen. Das Farmhaus mit der angrenzenden Remise war hingegen noch in Umrissen zu erkennen.
»Sieht nicht gerade nach einem Gangsterhauptquartier aus«, sagte Rander nachdenklich. »Ob sie dort in einen Ersatzwagen umsteigen?«
»Ich denke mehr an einen Hubschrauber«, sagte Parker.
»Wie kommen Sie ausgerechnet auf einen Hubschrauber?« fragte Rander lächelnd. »Diesmal geht die Phantasie mit Ihnen durch, Parker.«
»Ich dachte an einen Hubschrauber, Sir, da ich einen sehe«, gab der Butler höflich zurück. »Dort, hinter dem Wäldchen, ist er zu sehen. Und jetzt wohl auch zu hören!«
Rander schmunzelte.
Parker wußte es natürlich wieder einmal besser. Das rauschende Knattern der Rotoren war nun wirklich zu hören. Das große Insekt schwebte dicht über den Baumspitzen und ließ sich auf dem freien, mit Gras überwucherten Platz vor dem Farmhaus nieder.
Die drei Männer stiegen in den Hubschrauber, der sofort wieder abhob und Kurs auf das kleine Waldstück nahm, das er gerade überflogen hatte.
»Donnerwetter«, murmelte Rander überrascht. »Das nenne ich Organisation, Parker. Diese Burschen müssen verdammt viel Geld haben …!«
»Und sind neugierig dazu, wenn mir dieser Hinweis gestattet ist, Sir.«
»Wieso neugierig?«
»Sie suchten nach unserem Wagen, wenn mich nicht alles täuscht. Sehen Sie doch, der Hubschrauber kurvt zurück zur Straße!«
»Und wird unseren Wagen mit Sicherheit finden!«
»Erfreulich, äußerst erfreulich!«
»Ich weiß, Sie sind Optimist, Parker, aber wieso soll es erfreulich sein, wenn die Burschen unseren Wagen finden? Dann wissen sie doch, daß wir sie verfolgt haben!«
»In der Tat, Sir! Und diese Erkenntnis wird eine gedankliche und zwangsläufige Kettenreaktion auslösen.«
»Ich ahne schon, worauf Sie hinauswollen, Parker. Sie hoffen, daß man sich ab sofort sehr intensiv und hautnah mit uns befaßt, nicht wahr?«
»Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, Sir?«
»Ich kann’s auf jeden Fall nicht mehr ändern«, erwiderte Rander. »Aber ich empfehle, schleunigst irgendwo in Deckung zu gehen! Ein Hubschrauber könnte uns leicht aufspüren!«
»Wie wäre es mit dem Farmhaus, Sir?«
»Immer noch besser, als hier im Gelände zu sein! Kommen Sie!«
Mike Rander und Josuah Parker stiegen gerade den Hügel hinan, als plötzlich von der Straße her zwei laute und häßliche Detonationen zu hören waren.
Sie drehten sich sofort um und sahen zur Straße hinüber.
Eine Feuersäule zischte zum Himmel hoch. Dann folgten dunkle schwarze Rauchwolken.
»Ich fürchte Sir, daß man unseren Wagen zerbombt hat«, sagte Parker gelassen.
»Und ich fürchte, Parker, daß man sich gleich mit uns befassen wird«, gab der Anwalt zurück. »Da … Der Hubschrauber kommt zurück! Jetzt aber nichts wie zurück in Deckung, sonst sind wir geliefert!«
*
Der Hubschrauber flog den dritten Angriff.
Er war hartnäckig wie eine Wespe, die um den Honigtopf schwirrt. In zwei Anflügen hatte der Hubschrauber je zwei Bomben auf die Reste der Farm geworfen. Mike Rander und Josuah Parker hatten bisher Glück gehabt und außer Dreck und Staub nichts abbekommen. Sie hatten sich absichtlich nicht bemerkbar gemacht und nicht zurückgeschossen.
Doch nun erfolgte der dritte Anflug.
Rander und sein Butler hatten das eigentliche Farmhaus nach dem zweiten Anflug sofort verlassen und waren hinter den Trümmern der Scheune im Gelände in Deckung gegangen. Sie konnten nur hoffen, daß man sie dabei nicht beobachtet hatte.
Der Hubschrauber blieb über den Resten des rauchenden Farmhauses stehen. Die Insassen des riesigen Insekts forschten jetzt nach Spuren ihrer Verfolger. Und sie hatten ganz sicher noch weitere Bomben bereit, um etwaige Spuren von Leben zu vernichten.
Rander und Parker ließen den Hubschrauber nicht aus den Augen. Es handelte sich um ein gängiges, großes Modell, das auch an Zivilpersonen verkauft wurde. Es war ordentlich registriert worden, wie die Zulassungs- und Kennzeichnungsnummern verrieten.
»Sie gehen runter und suchen nach uns«, sagte Rander leise zu seinem Butler. »Die sind aber verflixt genau!«
»Dieses Vorgehen sieht schon nicht mehr nach Rache aus«, erwiderte Parker, der ebenfalls überrascht war. »Es müssen zwingende Gründe vorliegen, warum man Sie und meine bescheidene Wenigkeit umbringen will!«
»Denken Sie mal an die Registriernummer des Hubschraubers«, sagte Rander. »Damit läßt sich schon einiges machen! Der Besitzer des Hubschraubers weiß, daß er früher oder später dran sein wird!«
Die weitere Unterhaltung zwischen Rander und seinem Butler wurde gestört.
Nachdem der Hubschrauber sich breit und behäbig niedergesetzt hatte, stiegen die drei Männer aus dem grauen Ford zurück auf den festen Boden und kämmten die Trümmer des zerbombten Farmhauses durch. Sie gingen dabei sehr gründlich vor. Und sie mußten früher oder später an die Trümmer der großen Feldscheune geraten.
»Im Hubschrauber sitzt nur noch der Pilot«, sagte Parker. »Ob man es mit einem Handstreich versuchen sollte?«
»Sie wollen das Ding kapern, Parker?«
»Man könnte sich dadurch vielleicht einen längeren Fußmarsch ersparen, Sir.«
»Keine schlechte Idee, Parker, aber sie kommt zu spät!«
Der Hubschrauber hob wieder ab und stieg wie ein Fahrstuhl etwa zehn bis fünfzehn Meter hoch. Dann blieb er stehen und überwachte das umliegende Gelände.
Rander und Parker konnten die Trümmer der Feldscheune nicht mehr verlassen, sie wären sonst unweigerlich ausgemacht worden. Die Taktik des Piloten war gut und richtig. Sah er die sich absetzenden beiden Verfolger, brauchte er sie nur anzufliegen und zu Boden zu zwingen. Ein einfaches und wirkungsvolles Verfahren.
Die drei Männer aus dem grauen Ford näherten sich inzwischen der Feldscheune. Sie hatten die rauchenden Trümmer des Farmhauses durchsucht und verständlicherweise nichts gefunden. Nun wollten sie wohl den Rest der Farm absuchen.
»Jetzt wird’s brenzlig«, sagte Rander. »An einer Schießerei werden wir nicht vorbeikommen … Mann, was machen Sie denn da, Parker? Haben Sie keine anderen Sorgen?«
Parker und Rander standen hinter einer niedrigen Bretterwand, die noch nicht eingestürzt war. Parker zog vorsichtig und prüfend eines dieser oben freien und unbefestigten Bretter zu sich heran. Da das Holz feucht war, ließ es sich willig biegen. Es spannte sich von Zentimeter zu Zentimeter. Dadurch verwandelte es sich in eine Art Katapult, in eine Alt Grobschleuder für dicke Steine oder sonstige Gegenstände, Parker mußte äußerst vorsichtig agieren, um von dem Hubschrauberpiloten nicht gesehen zu werden.
Die drei Männer aus dem Ford, die sehr gründlich arbeiteten, hatten das äußere Ende der großen Scheune erreicht und durchsuchten hier die ersten Trümmer.
»Darf ich Sie höflichst um einen mittelschweren Stein bitten?« fragte Parker seinen jungen Herrn.
»Wollen Sie den Hubschrauber mit einem Stein abschießen?« erkundigte sich Rander kopfschüttelnd. Dennoch beugte er sich zu Boden und suchte nach einem passenden Stein. Er fand einen in der Größe eines Kinderkopfes.
»Der Hubschrauber steht außerordentlich günstig«, sagte Parker leise.
Rander war zwar nicht so optimistisch, doch er wuchtete den Stein auf das äußere Ende des gespannten Brettes. Parker umfaßte ihn mit seinen Händen und … ließ das lange, federnde Brett zurückschnellen.
Das Katapult funktionierte außerordentlich gut!
Der Stein wurde durch die Federkraft des Brettes in die Luft geschleudert und zischte dicht an der Plexiglaskuppel des Hubschraubers vorbei. Er traf gegen die Mittelachse der Rotoren und richtete dort im Mechanismus einige Verwirrung an, die sich nicht mehr gutmachen ließ. Mit anderen Worten, die Rotoren gerieten ins Flattern, knatterten und stöhnten und falteten sich flügellahm zusammen. Der unter den Rotoren hängende Hubschrauber trudelte, kippte zur Seite und flatterte müde wie ein welkes Blatt zu Boden.
Er war eben nur schwerer als ein welkes Blatt. Daher war es auch zu verstehen, daß der Bruch vollendet wär. Der Hubschrauber verwandelte sich innerhalb weniger Sekunden in ein Knäuel aus Blech, Stahl, Rotorblättern, die absplitterten, und zerbrochenem Glas. Eine Stichflamme aus dem Tank besorgte den Rest, kurz, der Hubschrauber spielte plötzlich keine Rolle mehr.
Dafür aber die drei Männer aus dem grauen Ford.
Sie mußten erraten haben, von wo aus der nützliche Stein in die Luft geschleudert worden war.
Stumm, aber ungewöhnlich schnell, wild und entschlossen, kamen die drei Männer heran. Sie waren bestens bewaffnet. Jeder von ihnen besaß eine Maschinenpistole und jeder von ihnen wußte damit auch umzugehen.
Rander und Parker ließen sich jedoch nicht ins Bockshorn jagen. Sie besaßen schließlich handliche 45er, die auch nicht gerade als Spielzeuge zu bezeichnen waren.
Mike Rander setzte einen der drei Männer außer Gefecht. Das heißt, er schoß diesem Mann die Waffe aus der Hand.
Josuah Parker besorgte den Rest.
Es dauerte nur wenige Sekunden und kostete nur drei gezielte Schüsse, um die drei Männer zu entwaffnen.
Normalerweise – sie waren schließlich zusätzlich noch verwundet worden – hätten sie nun aufstecken müssen. Normalerweise hätten sie eingesehen, daß hier für sie nichts anderes mehr zu holen war als eine weitere zusätzliche Verwundung. Doch daran dachten sie überhaupt nicht.
Stur wie Panzer, wie es im Jargon so treffend heißt, arbeiteten sie sich weiter an Mike Rander und Josuah Parker heran. Die Gesichter der drei immerhin verwundeten Gangster zeigten weder Haß noch Rachsucht. Die Gesichter drückten irgendeine unverständliche, stille, innere Freude aus. Und vielleicht wirkten die drei Männer deshalb so gefährlich und so tödlich, obwohl sie doch entwaffnet worden waren.
Rander und Parker mußten sich mit den Fäusten wehren. Schießen wollten sie nicht. Es ging ihnen darum, Gesprächspartner zu gewinnen, die vielleicht mit Informationen dienen konnten.
Die restliche Auseinandersetzung ging schnell und routiniert über die Bühne. Sowohl Parker als auch sein junger Herr kannten sich in der relativ edlen Kunst der Selbstverteidigung bestens aus. Hinzu kam Parkers Universal-Regenschirm, der das letzte Wort sprach. Kurz, nach wenigen Minuten lagen drei angeschlagene Männer regungslos auf dem Boden und wußten nicht, was mit ihnen geschah!
*
Parker stand vor den rauchenden Trümmern des Hubschraubers. Er sah gleich, daß hier nichts mehr zu machen war. Der Pilot hatte sich nicht mehr retten können. Er mußte noch unter den Resten dieses riesigen Insekts aus Stahl begraben liegen.
Parker wollte sich aus Gründen der Sicherheit schon abwenden, da er mit dem Detonieren von Munition oder von einigen kleinen Bomben rechnete, als er plötzlich ein unterdrücktes Stöhnen hinter dem Wrack hörte. Die genaue Sicht wurde ihm durch eine dichte Wand aus Feuer, Rauch und dunklem Qualm versperrt. Doch das Stöhnen konnte kein Irrtum gewesen sein.
Parker lief um das Wrack herum und traute seinen Augen nicht. Im rauchenden Gras, nicht weit von einer brennenden Benzinlache entfernt, lag ein Mensch.
Es mußte der Pilot des Hubschraubers sein.
Der Mann trug einen Overall, der jetzt zerrissen und völlig verschmiert war. Der Mann lag auf dem Bauch und merkte nicht, daß Parker sich vorsichtig neben ihm niederkniete.
»Können Sie mich hören?« fragte Parker.
Der Mann hörte plötzlich auf zu stöhnen. Er versuchte sich umzuwenden.
»Bleiben Sie liegen«, sagte Parker. »Ich werde Sie vorsichtig aus dem Bereich der Flammen herausziehen. Befanden sich noch Bomben an Bord?«
»Weg … schnell weg …!« keuchte der Mann. Die Angst vor der Explosion der Bomben peitschte ihn hoch. »Schnell!«
Parker nahm sich nicht die Zeit, den Mann aufzurichten. Was vielleicht auch wegen innerer Verletzungen zu gefährlich war. Er schob ihn so vorsichtig wie möglich aus dem Hitzebereich der Flammen. Und sie verschwanden gerade in einer Bodenwelle, als das Wrack des Hubschraubers wie von einer riesigen, unsichtbaren Faust auseinandergerissen wurde. Dazu gab es eine dumpfe, donnernde Explosion, die fast die Trommelfelle sprengte.
»Glück gehabt, würde ich sagen«, meinte Parker zu dem Piloten, der nun auf dem Rücken lag. Parker sah in ein faltenreiches, breites Gesicht, das einem Mann von etwa vierzig Jahren gehörte. Ein dünner Blutfaden sickerte dem Mann aus dem rechten Mundwinkel.
»Sie … aber nicht wir …!« Der Mann war gut zu verstehen. Und was er meinte, lag ebenfalls auf der Hand.
»Warum wollten Sie uns unbedingt umbringen?« erkundigte sich Parker behutsam.
»Nicht … mehr wichtig …!« keuchte der Pilot.
»Wer hat Ihnen diesen Auftrag gegeben?« bohrte Parker höflich weiter »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie es aus Langeweile getan haben?«
»Hauen … Sie … ab!«
»Ich weiß, Sie wollen mir einen Tip geben«, sagte Parker, »aber ich pflege vor einer Gefahr nicht davonzulaufen!«
»Der Boß … ist stärker«, sagte der Mann mit schwacher Stimme, um dann in ein qualvolles Husten auszubrechen, das ihn schmerzhaft durchschüttelte.
»Wo finde ich den Boß?«
»Irgendwo … Weiß nicht …!«
»Gehört ihm der Hubschrauber?«
»Auch der … Fragen Sie nicht, retten Sie sich … Der Boß ist stärker. Er … Willen«
»Wo finde ich den Boß? Heißt er Digetti?«
Der Pilot riß ganz plötzlich weit die Augen auf. Er wollte noch etwas sagen, doch dazu reichten seine Kräfte einfach nicht mehr aus. Ein Zittern ging durch seinen Körper. Er bäumte sich noch einmal auf, um dann entspannt und schlaff niederzusinken.
Parker erhob sich und ging zurück zu Mike Rander, der die drei Männer aus dem grauen Ford inzwischen behelfsmäßig verbunden hatte. Die Gangster lagen noch immer bewußtlos am Boden.
»Was war los?« erkundigte sich Mike Rander.
Butler Parker berichtete von seiner leider unvollständigen Unterhaltung mit dem Piloten des Hubschraubers.
»Wenig ergiebig«, sagte Rander kopfschüttelnd. »Er hat Ihre Frage nach Digetti also effektiv nicht mehr beantworten können?«
»Leider nicht, Sir! Er wies aber immer wieder auf die Gefährlichkeit seines Bosses hin, eine Warnung, die man auf keinen Fall in den Wind schlagen sollte.«
»Worauf Sie sich verlassen können, Parker. Ich habe ohnehin ein flaues Gefühl in der Magengegend. Wir haben es hier mit einem Gegner zu tun, der sich in technischen Dingen verdammt gut auskennt!«
»Die Männer kehren aus der Bewußtlosigkeit zurück«, sagte Parker und deutete auf die drei am Boden, die endlich wieder zu sich kamen und sich verstört umschauten. Als sie Rander und Parker vor sich sahen, schienen sie fast erfreut zu sein.
»Wir haben ein paar Fragen an Sie« begann Rander sofort sachlich. »Wer ist der Boß, der euch auf uns gehetzt hat?«
»Sie glauben doch wohl nicht, daß wir darüber sprechen werden?« gab einer der Männer lächelnd zurück. Er lächelte, obwohl er wegen seiner Schußverletzung zumindest Schmerzen haben mußte. »Sie werden ihn niemals finden, niemals. Aber er Sie! Und dann werden Sie zu uns gehören und es bedauern, daß dies nicht früher geschehen ist. Dann werden Sie endlich wissen, wie schön das Leben sein kann!«
Parker sah die beiden anderen Männer an.
Sie nickten, und die nackte Begeisterung stand in ihren Augen. Sie hatten den Worten ihres Vorredners, wie es so treffend heißt, nichts hinzuzufügen.
»Die sind doch offensichtlich nicht normal«, sagte Rander leise zu seinem Butler. »Sie stehen doch unter einem fremden, inneren Zwang. So was habe ich noch nie erlebt!«
»Ich leider auch nicht, Sir, aber ich muß gestehen, daß mir das Seltsame und Unheimliche dieser Situation ungewöhnlich deutlich wird. Mit anderen Worten, Sir, wir dürften es mit einem Gegner zu tun haben, der sich einer normalen Betrachtung entzieht, was für Sie und meine Wenigkeit tödlich werden könnte!«
*
»Die Polizei, Sir!«
Josuah Parker lauschte in den Tag hinein. Mike Rander hörte zwar nur das Knistern der Flammen und das laute Heraussprengen geplatzter Nieten, die sich vom Wrack des Hubschraubers lösten. Doch dann vernahm auch er von weither das auf- und abschwellende Geräusch einer Sirene, die nur zu einem Streifenwagen der Polizei gehören konnte.
»Na endlich«, erwiderte Rander. »Ich bin froh, wenn ich diesen Tag hinter mir habe!«
»Sir, empfiehlt es sich wirklich, auf die Polizei zu warten?« erkundigte sich der Butler.
»Warum sollten wir nicht? Haben wir was zu verbergen?«
»Darüber, Sir, möchte ich mit Ihrer Erlaubnis an anderer Stelle reden«, sagte Parker. »Wenn ich raten darf, so würde ich an Ihrer Stelle vorerst das suchen, was man das Weite nennt.«
»Sind Sie verrückt?«
»Vielleicht nur vorsichtig, Sir. Denken Sie daran, daß auch die herankommenden Polizeibeamten unter Hypnose stehen könnten.«
»Malen Sie bloß nicht den Teufel an die Wand.« Rander nagte einen Moment an der Unterlippe, nickte dann aber zum Zeichen seines Einverständnisses.
»Dann würde ich zu einer gewissen, angemessenen Eile raten«, sagte der Butler. »Doch vorher möchte ich noch schnell die Fesselung der Herren Gangster kontrollieren.«
Parker besorgte diese Arbeit mit Routine und Schnelligkeit. Er ließ dabei seine Finger spielen und konnte selbstverständlich wieder einmal nicht der Verlockung widerstehen, sich die Brieftaschen der Gangster anzueignen.
Zur Beruhigung sei gesagt, Parker tat das nicht, um sich etwa zu bereichern. So etwas wäre ihm niemals in den Sinn gekommen. Was er brauchte, waren Informationen. Und eine hoffte er in den diversen Brieftaschen zu finden. Es war selbstverständlich, daß er all diese Dinge später immer der Polizei übergab.
Anschließend machten Rander und Parker sich auf den Weg, um einer Unterhaltung mit der Polizei aus dem Wege zu gehen. Sie verschwanden geschickt und schnell im unübersichtlichen Kuschelgelände und waren gerade richtig in Deckung, als der erste Streifenwagen eintraf.
Die Polizei mochte auf Anrufe besorgter Landbewohner alarmiert worden sein. Vielleicht war der Lärm der explodierenden Bomben aber auch laut genug gewesen, die Cops allein zu alarmieren.
Nach dem ersten Streifenwagen traf ein zweiter ein. Der Tatort, wenn man sich so ausdrücken darf, füllte sich. Parker konnte sicher sein, daß die Gangster sich nun in bester Obhut befanden.
»Und wohin jetzt?« fragte Mike Rander, nachdem sie einen Bachlauf erreicht hatten. »Sie wissen ja, daß unser Wagen in die Luft gegangen ist.«
»Vielleicht ist Mr. Digetti in der Lage, Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit zu helfen«, gab der Butler zurück.
»Sie wollen zu Digetti?« Rander schnappte förmlich nach Luft.
»Ein angenehmer Mensch, wenn er auf das ungebetene Hypnotisieren verzichtet«, stellte der Butler fest.
»Parker, jetzt verstehe ich kein Wort mehr. Er kann doch durchaus mit dem Boß der Gangster identisch sein.«
»Das, Sir, könnte man an Ort und Stelle und hinsichtlich gewisser Reaktionen erfahren.«
»Na schön, von mir aus. Also hinein in die Höhle des Löwen! Ich sage Ihnen aber schon jetzt, daß es Schwierigkeiten geben wird. Ich wittere sie förmlich.«
»Ich gestehe, Sir, ich ebenfalls!«
»Und Sie wollen trotzdem …?«
»Nur aus Gründen der Information, Sir … Weit ist es zudem nicht mehr. Dieser Bachlauf führt, wenn ich mich recht erinnere, dicht am Haus des früheren Heilpraktikers vorbei!«
Rander und Parker stiefelten am Ufer des Bachlaufes entlang, bis tatsächlich einige der zahlreichen Türmchen und Giebel der Alptraumvilla zu sehen waren.
Das Haus machte auch jetzt einen total verlassenen Eindruck. Ja, es wirkte gerade jetzt abstoßend und gefährlich. Mike Rander blieb unwillkürlich stehen, als Parker wie selbstverständlich weitergehen wollte.
»Haben Sie sich auch genau überlegt, auf was wir uns unter Umständen einlassen?« fragte der Anwalt.
»Selbstverständlich, Sir! Wenn Sie darauf bestehen, gehe ich allein.«
»Lassen Sie doch diese Mätzchen«, meinte Rander verdrossen. »Mit Psychologie brauchen Sie mir nicht zu kommen. Ich komme mit. Ich hatte es ohnehin vor!«
»Ich bitte um Entschuldigung, falls ich Sie verletzt haben sollte, Sir.« Parker deutete eine seiner knappen Verbeugungen an, legte den Bambusgriff des Universal-Regenschirms über den linken Unterarm, kontrollierte den Sitz seiner schwarzen, steifen Melone und ging auf das Haus zu.
Knapp zehn Minuten später wußten sie mehr.
Sie wußten vor allen Dingen, daß ein gewisser Mr. John Digetti nicht mehr im Haus war.
Deutliche Anzeichen sprachen dafür, daß er es Hals über Kopf verlassen haben mußte.
*
»Ich glaube, Sir, wir bekommen Besuch, falls, er nicht Mr. Digetti gilt«, sagte Parker, als Rander und er das scheußliche Haus verlassen wollten.
Parker deutete auf den eleganten Stationswagen, der durch die Einfahrt rollte und kurz darauf vor dem Eingang anhielt. Rander und Parker – sie standen am Fenster neben dem Eingang – beobachteten die Gestalt, die schnell und geschmeidig aus dem Wagen stieg.
»Donnerwetter«, murmelte Mike Rander anerkennend. »Solch einen Besuch möchte ich auch einmal haben!«
»Ich kann Ihre Gefühlsaufwallung durchaus verstehen«, erwiderte der Butler und hatte in diesem Fall nichts dagegen, daß ein andeutungsweises Schmunzeln über sein Gesicht glitt.
Seinen interessierten Augen bot sich ein wahrhaft schönes Bild. Es handelte sich um eine junge Dame, die höchstens fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte. Sie war mittelgroß, schlank und hatte nußbraunes Haar. Ihr Gesicht war nicht im landläufigen Sinne schön zu nennen. Es war allein durch den Schnitt und die hohen, hervorstehenden Backenknochen apart und interessant. Eines war ganz sicher, diese Frau hatte Format.
Sie trug lange Hosen, die an den Knöcheln weit fielen. Dazu einen saloppen, weiten Pullover, der die Linien ihres Körpers unterstrich.
Mit schnellen Schritten kam sie über die Treppe hinauf zur Tür, stutzte, als sie sie nur angelehnt fand und trat dann zögernd ein. Sie konnte Rander und Parker nicht erkennen. Sie standen in einer Art Nische und machten sich noch nicht bemerkbar.
»John …? John …? Wo stecken Sie?« Ihre Stimme klang angenehm dunkel. Mike Rander fühlte sich sympathisch berührt. Josuah Parker, der seinen jungen Herrn kurz beobachtete, erlaubte sich ein zweites Schmunzeln.
Die junge Dame trat tiefer in die düstere Halle hinein, blieb irgendwie scheu stehen und rief ein zweites Mal.
»Erschrecken Sie bitte nicht, Madam«, machte Parker sich bemerkbar. »Ich fürchte, Sie werden noch einige Zeit auf Mr. Digetti warten müssen.«
Die junge Dame war gut trainiert, und ihre Nerven befanden sich in bester Verfassung. Obwohl sie doch überraschend angeredet worden war, erschrak sie nicht. Sie drehte sich langsam, fast zu langsam zu Parker um, stutzte, als sie seine rabenschwarze Kleidung und Erscheinung sah und lächelte dann irgendwie amüsiert.
»Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Ich habe die Ehre und tatsächlich auch das Vergnügen, der Butler von Mr. Mike Rander zu sein, den Sie hier sehen!«
»Hallo?« Mike Rander gab sich leger, als er aus der Nische hervortrat. Er nickte der jungen Dame kameradschaftlich zu. »Waren Sie mit Mr. Digetti verabredet?«
»Ginge Sie das etwas an?« fragte die junge Dame zurück. »Eine Gegenfrage! Was tun Sie eigentlich hier? Ich habe Sie hier noch nie gesehen.«
»Durchaus verständlich wenn man bedenkt, daß mein Herr und ich heute auch zum ersten Mal hier sind!«
»Dann … dann komme ich später noch einmal wieder«, sagte sie. Sie wandte sich ab und wollte gehen.
»Können Sie sich vorstellen, daß Mr. Digetti gegen seinen erklärten Willen das Haus verlassen hat?« fragte Parker.
»Worauf wollen Sie hinaus?« Die junge Dame funkelte den Butler an.
»Ich hege die Befürchtung, Madam, daß Mr. Digetti entführt worden ist. Wenn er es nicht vorgezogen hat, auf eigenen Wunsch zu gehen.«
»Ausgeschlossen. Wer sollte ihn entführen? »
»Er könnte Feinde haben.«
»Aber nicht John! Ich sehe, Sie wissen mit mir nichts anzufangen. Ich heiße Jill Harpers und bin so eine Art Sekretärin von Mr. Digetti.«
»Sie wohnen hier in der Nähe?« fragte Parker erstaunlich knapp weiter.
»Auf der nächsten Farm«, gab sie zur Antwort. »Ich habe sie mir als Atelier umgebaut. Ich schreibe und zeichne … Kinderbücher!«
»Ein Beruf, von dem ich immer geträumt habe«, behauptete der Butler ungeniert. »Wie schön, für die lieben Kleinen zu arbeiten, welch eine innere Befriedigung muß Ihnen dieser Beruf verschaffen!«
»Es geht«, sagte sie kurz angebunden. »Werden Sie hier auf Mr. Digetti warten?«
»Lohnt sich das?« schaltete Mike Rander sich ein. »Könnte er nicht zu Ihnen gefahren sein?«
»Er verläßt niemals das Haus«, erwiderte sie. »Er hat dafür seine Gründe, die ich kenne und achte …!«
»Ich weiß, seit seiner Haftentlassung ist er sehr menschenscheu geworden. Ich habe ihn damals als Anwalt vertreten.«
»Ach, Sie?« Sie sah Rander bedeutend freundlicher an. »Er hat mir von Ihnen erzählt. Er sagt immer, ohne Ihre Verteidigung hätte er wenigstens zehn Jahre bekommen.«
»Wenn er also niemals das Haus verläßt, so müßte er noch hier sein. Da er es aber nicht ist, muß er das Haus verlassen haben, Madam. Entschuldigen Sie diese Art der Beweisführung. Können Sie sich wirklich nicht vorstellen, wo Mr. Digetti sich im Augenblick aufhalten könnte?«
»Höchstens unten am Bootssteg!«
»Würden Sie uns freundlicherweise dorthin begleiten?« fragte Mike Rander.
»Warum nicht? Kommen Sie! Der Weg durch den Garten ist ohnehin schwierig. Ein Dschungel ist noch aufgeräumt dagegen!«
Rander und Parker folgten der jungen Dame, die sich auf diesem Grundstück recht gut auskannte. Sie folgten ihr bis an den Bootssteg, doch dann wurde der kleine Ausflug jäh beendet.
Dieses jähe Ende, diese Unterbrechung hing mit einigen Männern zusammen, die Maschinenpistolen trugen, deren Mündungen auf Rander und Parker gerichtet waren.
Der Anwalt und sein Butler fühlten sich ohne jede zusätzliche Aufforderung veranlaßt, schleunigst die Arme in die Luft zu strecken. Ihnen fiel nämlich auf, daß die Waffenträger wiederum jene seltsame, heitere Fröhlichkeit an den Tag legten, die sie schon draußen an der verkommenen Farm hatten beobachten können …
»Damit dürften wir endgültig in der Tinte sitzen«, sagte Mike Rander eine gute halbe Stunde später. »Na ja, vielleicht erfahren wir noch vor unserem Tod, wer dieser sagenhafte Boß ist und was er mit seinen Leuten angestellt hat.«
»Ich möchte mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen«, gab der Butler würdevoll zurück. »Ich bin mir vollkommen klar darüber, daß nur meine Handlungsweise allein Sie und meine Wenigkeit in diese peinliche Lage gebracht hat.«
»Haben Sie gesehen, wie die junge Dame behandelt wurde?«
»Sie schien die Männer mit den Maschinenpistolen gekannt zu haben, wenngleich ich mich nicht festlegen möchte. Sie zeigte auf jeden Fall keine Angst.«
»Klarer Fall, daß wir einem Lockvogel auf den Leim gegangen sind, Parker. Sie ist vom Boß losgeschickt worden, sie sollte uns in die Falle unten am See lotsen. Was ihr ja auch prächtig geglückt ist. Und nun sitzen wir auf irgendeinem Boot und haben keine Ahnung, wohin man uns bringt.«
Mike Rander hatte richtig beobachtet.
Er und sein Butler befanden sich auf einem Schiff. Und wahrscheinlich an der sichersten und dunkelsten Stelle, die zu finden gewesen war. Man hatte sie in eine enge, muffig riechende Kammer eingesperrt, deren Wände und Tür aus kaltem, feuchtem Eisenblech bestanden. Ein Freikommen ohne fremde Hilfe war so gut wie ausgeschlossen. In dieser Hinsicht brauchten sie sich keine Hoffnungen zu machen.
»Die Motorjacht, auf der Sie und meine Wenigkeit uns befinden, läßt Rückschlüsse auf den Eigner zu«, meinte Parker nach einer kleinen Weile. »Sie sagt vor allen Dingen Details über die Finanzkraft dieses Mannes aus.«
»Falls wir es mit dem Mann zu tun haben, dessen Leute die Banken ausgeraubt haben, hat er bestimmt genug Kleingeld«, gab Rander spöttisch zurück. »Womit wir bei John Digetti wären. Was halten Sie von ihm? Ist er der Boß?«
»Beweise dafür, Sir, sind nicht anzutreten, wenngleich einige Indizien für Ihre Unterstellung sprechen.«
Parker wollte sich über dieses Thema gerade verbreitern, als draußen vor der Tür schwache, scharrende Geräusche zu hören waren. Rander und Parker sahen sich wie auf ein geheimes Kommando hin an. Sekunden später wurde die Tür geräuschlos aufgezogen.
Zwei stämmige Männer, die durchaus freundlich wirkten, blieben in der geöffneten Tür stehen.
»Der Boß will Sie sprechen«, sagte einer der beiden zu Mike Rander. »Kommen Sie!«
»Und was geschieht mit mir?« erkundigte sich Parker.
»Sie sind anschließend an der Reihe«, erwiderte der Mann. »Aber Sie werden sich noch etwas gedulden müssen.«
Die beiden Männer schienen unbewaffnet zu sein, wie Parker feststellte. Im Grunde brauchten sie es auch gar nicht zu sein. Sie befanden sich schließlich auf einem Schiff und weitab von irgendeinem Ufer. Wer wollte hier schon wohin flüchten?
»Würden Sie Ihrem Arbeitgeber bitte diesen wichtigen Gegenstand überreichen?« fragte Parker und hob seinen Universal-Regenschirm. Die beiden Männer wurden leicht irritiert. Mit einem Regenschirm wußten sie nichts anzufangen.
Im Gegensatz übrigens zu Josuah Parker.
Er nutzte die kleine Verwirrung der beiden Männer aus und schlug mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Regenschirms zu. Er besorgte das kurz und knapp. Und brachte die beiden Männer augenblicklich zu Boden, was er im Grunde zwar ungemein bedauerte, was sich in Anbetracht der Umstände aber nicht anders machen ließ.
Mike Rander handelte augenblicklich.
Er beugte sich nieder, durchsuchte die beiden ohnmächtigen Männer nach Waffen, um sich dann enttäuscht aufzurichten.
»Nichts!« rief er Parker zu.
»Ich schlage vor, Sir, diese Kammer nun zu verlassen«, sagte Parker. »Man könnte die Männer einschließen.«
Rander und Parker beeilten sich, um den Rückweg zu decken. Nachdem sie die beiden Männer eingesperrt hatten, eilten sie durch den langen, schmalen Kabinengang, in dem die Arbeit eines starken Dieselmotors deutlich zu hören war. Der Maschinenraum mußte sich ganz in der Nähe befinden.
Sie erreichten eine Treppe, die hinauf in ein Zwischendeck führte. Sollten Sie sie benutzen? Liefen sie ihren Gegnern in die Arme? Was wartete überhaupt auf sie?
Parker riß die Initiative an sich.
Er stieg schnell nach oben, doch selbst jetzt wirkten seine Bewegungen würdevoll und gemessen. Er ließ sich eben niemals aus der Ruhe bringen. Er blieb stets und immer der bestens erzogene Butler englischer Provenienz.
Die Treppe führte zu einem zweiten langen Gang, dessen Boden aber bereits mit einem roten Teppich bedeckt war. Am Ende dieses Korridors war eine Tür geöffnet, aus der strahlend helles Licht nach draußen fiel. Leise Musik war zu hören. Der Duft guten und starken Kaffees drang in Parkers Nase, die angenehm reagierte.
Parker schritt auf die erleuchtete Kabine zu. Eine andere Möglichkeit bot sich ohnehin nicht. Im Vorgehen prüfte er die Klinken der übrigen Türen, an denen sie vorbeikamen. Sie waren alle verschlossen und ließen kein Abirren zu.
Dann war der große Kabinenraum erreicht. Er war luxuriös eingerichtet. Schwere und tiefe Sessel standen auf weichen Teppichen. Die Wände waren sehr reichlich mit Gobelins aller Art und Stilrichtungen behängt.
»Hier läßt es sich durchaus leben, Sir«, sagte Parker, sich an seinen jungen Herrn wendend. »Ich vermisse allerdings den Kaffee, den ich doch deutlich gerochen habe!«
Parker ging an den Sesseln vorbei, hielt auf eine Tür zu und wollte sie aufdrücken. Sie war versperrt. Und im gleichen Moment fiel die Tür, durch die sie hereingekommen waren, laut und deutlich ins Schloß. Rander und Parker saßen erneut in einer Mausefalle, die allerdings den Vorzug hatte, daß sie behaglich eingerichtet war.
»Nehmen Sie doch Platz und entspannen Sie sich!«
Die Stimme, die irgendwo aus einem versteckten Lautsprecher kam, klang höflich und verbindlich. »Ich habe Sie erwartet, Mr. Rander, Mr. Parker. Sie werden sich gewiß nicht die Gelegenheit entgehen lassen, sich einen kleinen Film anzusehen, nicht wahr?«
»Mit wem hat Mr. Rander die zweifelhafte Ehre?« erkundigte sich der Butler respektlos.
»Das wissen Sie immer noch nicht? Ich bin der Mann, hinter dem Sie her sind? Ich bin der Mann, der vom FBI und von der CIA gesucht wird, um von den örtlichen Polizeibehörden einmal ganz zu schweigen. Aber setzen Sie sich endlich! Ich möchte mit der Vorführung beginnen!«
Rander und Parker sahen sich einen Moment lang schweigend an. Dann nahmen sie Platz und starrten auf die Leinwand, die aus einem Sideboard hochfuhr und die Hälfte einer Wand einnahm. Sekunden später flackerten bereits die ersten Bilder über diese Leinwand …
*
Die Bilder waren ausgezeichnet. Sie zeigten Straßenszenen mit Durchschnittsmenschen, den üblichen Verkehr auf den Fahrbahnen und dann Bankgebäude. Und sie zeigten anschließend heitere Männer, die mit geraubten Bankgeldern diese Bankgebäude verließen, sich ohne weiteres auf selbstmörderische Schießereien einließen und es immer schafften, ihre Beute in unauffällig aussehende Wagen zu bringen, kurz, der kleine Film blätterte die Vergangenheit auf und befaßte sich ausschließlich mit Banküberfällen.
»Wie gefällt Ihnen die Arbeit meiner Organisation?« fragte die Stimme plötzlich, als das letzte Bild ausgeblendet wurde.
»Primitiv, würde ich sagen«, gab Parker sofort zurück. »Die Verluste Ihrer Leute sind beträchtlich. Sie wuchern nicht schlecht mit Ihren Pfunden, wenn ich mich so ausdrücken darf.«
»Warum sollte ich …?«
»Darf ich daraus schließen, daß Ihre Organisation keine Nachwuchssorgen kennt?«
»Richtig, Mr. Parker. Sie treffen den Nagel auf den Kopf.« Die Stimme ging in ein leicht hysterisches Lachen über. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich wieder beruhigt hatte. »Sie haben wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen. Nachwuchssorgen kenne ich nicht. Sehen Sie, wie ich meine Mitarbeiter rekrutiere!«
Auf der ausgefahrenen Leinwand war ein neuer Kurzfilm zu sehen. Und dieser Streifen erregte die volle Aufmerksamkeit des Butlers. Er bestand fast ausschließlich aus kleinen Szenen. Und sie alle zeigten das Kidnappen harmloser Durchschnittsbürger.
Das gezeigte Verfahren war mehr als einfach.
Ein harmlos aussehender Wagen hielt in Außenvororten großer Städte in der Höhe einzelner Fußgänger. Zwei Männer stiegen aus, gingen auf die betreffenden Passanten zu, verwickelten sie in ein kurzes Gespräch und führten sie anschließend zum Wagen zurück. Gewalt wurde niemals angewendet. Die Kidnapper schienen schon von ihren Worten her sehr überzeugend zu wirken.
»Glauben sie jetzt, daß ich keine Nachwuchssorgen kenne?« erkundigte sich die Stimme aus dem versteckten Lautsprecher.
»Warum zeigen Sie uns das alles?« fragte Rander erregt.
»Weil ich auch Sie rekrutieren möchte …!«
»Wie bitte? Sie glauben doch nicht im Ernst daran, daß wir mitspielen werden.«
»Sie werden, verlassen Sie sich darauf …! Und es wird Ihnen sogar Freude machen, für mich arbeiten zu können. Dank Ihrer ausgezeichneten Verbindungen habe ich große Dinge mit Ihnen vor!«
»Warum gehen Sie nicht mal zu einem Arzt?« schnodderte Rander wütend zurück.
»Danke, ich bin Selbstversorger«, sagte die Stimme und lachte kurz auf. »Um aber auf Ihre Mitarbeit zu kommen, Mr. Rander, Mr. Parker. Sie werden sich der führenden Leute im FBI annehmen!«
»Wir verstehen kein Wort.« Rander kochte innerlich vor Zorn. »Werden Sie endlich deutlicher!«
»Vertrauen Sie so sehr Ihren Kenntnissen in Hypnose?« warf der Butler laut ein. »Ich sage Ihnen schon jetzt, daß Sie bei mir nichts ausrichten werden.
Sie wissen doch, daß ich dagegen immun bin, nicht wahr?«
»Ich glaube, ich werde Sie zuerst behandeln«, sagte die Stimme. »Ja, Sie werden es sein, Parker …!«
Der Butler wandte sich seinem jungen Herrn zu. Mike Rander war aufgesprungen und sah sich in der luxuriös eingerichteten Kabine wie ein eingesperrtes, gehetztes Tier um.
»Dieser Kerl ist doch wahnsinnig! Was hat er mit uns vor?«
»Er zeigt Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit auf jeden Fall keinen weiteren Film mehr«, erwiderte Parker höflich. »Die zweite Phase der Unterhaltung dürfte begonnen haben. Wenn mich nicht alles täuscht, werden wir nicht nur beobachtet, sondern auch noch zusätzlich mit einem Betäubungsgas besprüht!«
Dann holte der Butler plötzlich mit dem bleigefütterten Griff seines Regenschirms aus und zertrümmerte mit wohlgezielten und harten Schlägen sämtliche Beleuchtungskörper in der Kabine. Innerhalb weniger Sekunden herrschte absolute Dunkelheit, da die Bullaugen von außen mit Sichtblenden zugeschraubt waren.
Dann warf der Butler sich zu Boden und kroch zur Tür. Hier blieb er liegen, bis er wie sein junger Herr das Bewußtsein verlor …
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Gleißende Helligkeit fraß sich durch die geschlossenen Lider des Butlers.
Parker spürte Bleischwere in seinen Gliedern. Erstaunlicherweise verspürte er keinen Schmerz. Er merkte, daß sein Hirn funktionierte, doch es fehlte ihm an Kraft und Energie, sich aufzurichten. Er vermochte noch nicht einmal, seine Augen aufzumachen. Dafür aber war sein Gehör geschärft.
Er vernahm das Klappern eines Stahlbestecks. Er roch Desinfektionsmittel. Er hörte leichte, schnelle, weiche Schritte, spürte immer wieder einen kühlen Lufthauch auf seinen Wangen.
Dann ertönte die Stimme, die er irgendwann einmal aus einem versteckt angebrachten Lautsprecher heraus gehört hatte.
»… nein, keine zusätzliche Betäubung. Die Gasdosis reicht vollkommen … Rasieren Sie ihm in zehn Minuten den Schädel. Dann können wir umgehend anfangen.«
»Soll ich das Boot stoppen lassen?« fragte eine andere Stimme.
»Natürlich, gerade jetzt möchte ich keine Panne erleben … Liegen die Elemente bereit?«
»Alles vorbereitet, Boß … Wie viele Elektroden werden Sie ihm einpflanzen?«
»Er bekommt die Maximalzahl. Und damit wird er mein wichtigster Agent werden! Er wird zu meiner Geheimwaffe! Damit rolle ich meine Gegner von innen heraus auf …«
Schritte entfernten sich. Irgendwo fiel eine Tür mit einem saugenden Geräusch ins Schloß.
Parker umgab die absolute Stille …
Irgend etwas in seinem Gehirn regte sich. Vielleicht war es der Rest von Widerstandskraft, vielleicht eine Trotzreaktion oder das Ankurbeln seines Willens.
Parker hatte die Sätze voll mitbekommen. Er vermochte sie aber noch nicht richtig zu verarbeiten. Er ahnte nur, ja, er wußte mit schmerzlicher Gewißheit, daß man ihn umkrempeln wollte. Irgend etwas Schreckliches sollte mit ihm geschehen. Er wußte aber nicht, was es sein konnte.
Elemente … Maximalzahl … Elektroden … Geheimwaffe … Von innen heraus aufrollen …
Diese Worte und Begriffe setzten seine grauen Zellen langsam in Bewegung. Parker konzentrierte sich. Er zwang sich zu denken. Er mußte dabei gegen eine grenzenlose Müdigkeit ankämpfen, die noch nicht einmal unangenehm war.
Wie war das gewesen, fragte er sich mühsam. Man will mir den Schädel rasieren? Warum? Wozu sollte das gut sein? Wer ist dieser Mann, der mich zu seiner Geheimwaffe machen will? Was will er in und an mir verändern?
Parker schüttelte die Betäubung Schicht um Schicht ab. Er deckte sie ab wie eine Zwiebel, deren Schalen abgezogen wurden. Und von Sekunde zu Sekunde wuchs seine Angst. Etwas Fürchterliches wartete auf ihn. Etwas, gegen das er sich nicht wehren konnte …
Plötzlich konnte er seinen Kopf anheben. Sein Wille war stärker als die Betäubung! Vielleicht war es aber auch nur seine panische Angst. In solch einem Zustand hatte der Butler sich noch nie in seinem Leben befunden.
Er sah den schmalen Operationstisch, dessen Rückenlehne steil hochgeklappt war. Er sah die Instrumententische, die mit chirurgischen Geräten und Bestecken aller Art vollbepackt waren, er sah die Tupfer, die Wattestreifen, die Giglisäge.
Und dann wußte er auf einmal ganz deutlich, was auf ihn wartete. Man wollte ihm den Schädel aufsägen und sein Gehirn manipulieren.
Plötzlich paßten alle Stichworte, die er gehört hatte, nahtlos zusammen. Der Boß der Gangster war ein Chirurg! Oder er wurde von ihm dafür bezahlt, daß er die Mitglieder der Gang irgendwie präparierte.
Parker zwang sich weiter hoch.
Die dumpfe Betäubung in seinem Hirn ließ etwas nach. Er bekam sich wieder unter Kontrolle. Und als er endlich auf seinen Beinen neben der Liege stand, da taumelte er zwar noch etwas, doch er war durchaus in der Lage, sich langsam zu bewegen.