Читать книгу Butler Parker 173 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
Оглавление»Könnten Sie sich möglicherweise dazu durchringen, Ihre Hand von meiner Schulter zu nehmen?« erkundigte sich Butler Parker durchaus höflich und lüftete zu seiner Frage die schwarze Melone.
Er befand sich in der großen, eleganten Empfangshalle eines Hotels in der Nähe von Hyde Park und war gekommen, um hier Lady Agatha Simpson von einer Aufsichtsratssitzung abzuholen. In der Nähe der Fahrstühle war er gerade von einem mittelgroßen, schlanken Mann gestoppt worden, der etwa fünfunddreißig Jahre zählte.
»Nur die Ruhe«, erwiderte der Hotelgast, der einen angespannten Eindruck machte, »der Fahrstuhl ist reserviert.«
»Sie dürfen den Sinn meiner ernstgemeinten Frage nicht recht erkannt haben«, sagte Josuah Parker und ... drückte die Spitze seines altväterlich gebundenen Regenschirmes nachdrücklich auf den Fuß des Mannes. Die scharfe Spitze des Schirmes drang ohne Schwierigkeit durch das weiche Oberleder seines Schuhs, worauf der Mann sich umgehend verfärbte und dann auch schon verzweifelt nach Luft schnappte.
»Sie sollten sich in Zukunft der Höflichkeit befleißigen«, schlug Josuah Parker vor und betrat den Fahrstuhl, dessen Tür von dem jungen Mann förmlich bewacht worden war.
Dieser Mann schien sich plötzlich entschlossen zu haben, eine kleine Tanzeinlage zu zeigen. Fast graziös hüpfte er auf dem nicht getroffenen Fuß herum und produzierte dabei hechelnde Töne.
»Begabt, durchaus begabt, aber noch nicht überzeugend, was die Grazie Ihrer Tanzschritte betrifft«, urteilte Parker fachmännisch, bevor er die Tür schloß. Mit dem schwarz behandschuhten Zeigefinger drückte er dann auf einen Knopf der Etagenanzeige und ließ sich zum Dachgarten befördern. Während dieser kurzen Fahrt warf er einen prüfenden Blick in den großen Spiegel, der an einer Seite des Fahrstuhls angebracht war.
Er sah vor sich einen Mann undefinierbaren Alters, etwas über mittelgroß, fast schlank und mit glattem Gesicht ausgestattet, das undurchdringlich war wie das eines professionellen Pokerspielers.
Dieser Mann trug über einem schwarzen Zweireiher einen Covercoat und eine schwarze Melone. Am angewinkelten linken Unterarm hing ein Schirm, dessen Bambusgriff beachtliche Größe besaß.
Josuah Parker, Bediensteter der Lady Agatha, war das Urbild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers alter Schule. Er maß dem kleinen Zwischenfall in der Halle keine besondere Bedeutung bei. Wahrscheinlich hatte man es mit einem übereifrigen Angestellten zu tun, der seine Kompetenzen weit überschritt.
Der Fahrstuhl schnaufte leicht, als er hielt. Die Tür öffnete sich. Parker trat hinaus, schritt würdevoll den Korridor hinunter und erreichte eine wattierte Doppeltür. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, als sie sich fast stürmisch öffnete.
Agatha Simpson erschien.
Sie war eine stattliche Dame, die das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten hatte. Sie zog jede Aufmerksamkeit auf sich. Die kräftige Nase, die grauen Augen und das energische Kinn verrieten Dynamik und Ungeduld. Lady Agatha, mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, schon seit vielen Jahren Witwe, verfügte über ein großes Vermögen. Berüchtigt wegen ihrer ungenierten Offenheit, konnte sie geizig sein wie drei sprichwörtliche Schotten.
»Das reicht mir jetzt, Mr. Parker«, sagte sie und rückte ihre pikante Hutschöpfung auf dem fast weißen Haar zurecht. »Stellen Sie sich vor, man wollte mich mit dem Geschäftsbericht langweilen.«
»Ein Thema, das man nur als ungemein interessant bezeichnen kann, Mylady.«
»Papperlapapp, Mr. Parker, sollen Mr. Rander und Miß Kathy sich damit abgeben. Unter uns, Mr. Parker, ich glaube, die Herren des Aufsichtsrates sind froh, daß ich gegangen bin.«
»Myladys Sachkenntnis sind gefürchtet«, antwortete Parker höflich und ließ offen, wie er es gemeint hatte.
»Zudem ist mein Kreislauf zusammengebrochen«, redete Agatha Simpson weiter, wobei ihre bereits sonore Stimme sich noch zusätzlich verstärkte, »ich brauche unbedingt eine kleine Erfrischung.«
»Handelt es sich um einen akuten Zusammenbruch, wenn man fragen darf?« Josuah Parker langte in die Innentasche seines schwarzen Covercoats und zog eine lederummantelte Taschenflasche hervor.
»Bringen Sie mich in die Hotelbar«, gab die ältere Dame zurück, »solange werde ich hoffentlich durchhalten.«
Sie hatten inzwischen die Fahrstühle erreicht. Die Leuchtanzeige kündigte gerade eine Ankunft an. Parker trat zur Seite und wartete auf das Öffnen der Tür. Lady Agatha ließ ein wenig ungeduldig ihren perlenbestickten Pompadour am Handgelenk pendeln. Dann aber blickte sie interessiert auf einen etwa fünfunddreißigjährigen Mann, der den Fahrstuhl gerade verließ und dabei nachhaltig hinkte.
Dieser Mann war nicht allein.
In seiner Begleitung befand sich ein gleichaltriger, der kompakt und muskulös wirkte.
»Das ist die Type«, sagte der Hinkende und zeigte wütend auf Josuah Parker, »und die ist jetzt reif!«
*
»Was geht hier vor?« fragte Agatha Simpson grollend und baute sich halb vor ihrem Butler auf. Ihre grauen Augen funkelten erfreut. Die ältere Dame witterte eine kleine Abwechslung. Unter Kreislaufschwäche schien sie keineswegs mehr zu leiden.
»Hau ab, altes Fossil«, sagte der Kompakte dummerweise und wollte Lady Agatha mit einer jähen Armbewegung zur Seite schieben. Er ahnte nicht, was er sich damit einhandelte.
Agatha Simpson trat ungeniert zu und traf das linke Schienbein des Kompakten, der daraufhin aufjaulte und das getroffene Bein unwillkürlich hochriß. Dabei verließ er sich eindeutig auf sein Standbein. Die Lady setzte nun ihren Pompadour ein und ließ ihn auf der Nase des Mannes landen. Der sogenannte Glücksbringer im Handbeutel, nämlich ein echtes Pferdehufeisen, drückte das Riechorgan des Unhöflichen nachhaltig zur Seite und sorgte auf diese Art für eine Tränenflut in den aufgerissenen Augen des Getroffenen.
»Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Frau anzugreifen«, dröhnte danach Myladys sonore Stimme.
Der Hinkende griff mit Verspätung unter sein Jackett, eine Geste, die Josuah Parker sofort mißverstand. Mit dem Bambusgriff klopfte er auf die verschwindende Hand, die daraufhin sofort erlahmte. Dies hing mit der Bleifüllung im Schirmgriff zusammen, was der Butler allerdings nicht besonders erläuterte. Der Mann, der eine Schußwaffe hatte ziehen wollen, ging augenblicklich von der Tatsache aus, daß seine Handknochen angebrochen sein mußten.
»Sie neigen eindeutig zu vorschnellen Reaktionen«, stellte Parker fest, »Sie sollten Ihr Ungestüm in Zukunft ein wenig mäßigen, wenn meine bescheidene Wenigkeit sich erlauben darf, Ihnen diesen Rat zu geben.«
Während der Butler sich um den völlig irritierten Mann kümmerte, entwickelte er dabei die Fähigkeiten eines Taschendiebes. Der stöhnende Mann bekam gar nicht mit, daß seine Automatik aus der Halfter gezogen wurde.
»Nun reißen Sie sich mal gefälligst zusammen«, raunzte Agatha Simpson die beiden Männer an, »benehmen Sie sich nicht wie Waschlappen!«
Parker, der an einer Vertiefung der Situation nicht interessiert war, deutete höflich in den Fahrstuhl, eine Geste, die für seine Herrin bestimmt war.
»Wollen Sie mich etwa zur Flucht animieren, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha ungnädig.
»Keineswegs und mitnichten«, erwiderte der Butler, »aber für Mylady dürften die beiden Männer wohl kaum satisfaktionsfähig sein.«
»Richtig«, bestätigte sie sofort, »genau das wollte ich gerade auch sagen, Mr. Parker. Die beiden Subjekte müssen ja schließlich einen Arbeitgeber haben, nicht wahr?«
»Sehr wohl, Mylady, er dürfte sich in der Hotelhalle aufhalten.« Das gab den Ausschlag. Agatha Simpson stieg in den Fahrstuhl und machte dabei einen sehr angeregten Eindruck. Sie prüfte den Sitz ihrer Hutkomposition, die eine Kreuzung aus einem mißglückten Napfkuchen und einem Südwester darstellte.
»Dieser Angriff galt natürlich mir, nicht wahr?« fragte sie Parker.
»Davon könnte man ausgehen, Mylady.«
»Die Unterwelt will mich eben um jeden Preis aus dem Weg räumen«, freute sie sich, »ich bin ihr einfach zu gefährlich geworden.«
»Mylady sind in der Tat gefürchtet«, lautete Parkers Antwort.
»Nun, ich werde auch diese Kampfansage annehmen, Mr. Parker«, redete sie munter weiter, »ich habe im Augenblick sowieso nichts zu tun. Und das Fernsehprogramm für den Rest der Woche ist langweilig.«
»Mylady werden auch den anstehenden Krimifall zu lösen wissen.«
Agatha Simpson bildete sich ein, eine einmalig begabte Kriminalistin zu sein. Dazu hielt sie sich auch noch für eine perfekte Schriftstellerin, die eine gewisse Agatha Christie in den Schatten stellen wollte. In beiden Fällen überschätzte sie sich maßlos, wie Eingeweihte wußten.
»Wer möchte mich wohl diesmal ins Jenseits befördern?« fragte sie mehr als nur halblaut.
»Mylady denken sicher bereits an die Mafia«, antwortete der Butler.
»Natürlich«, redete sie weiter, »die Mafia haßt mich seit Jahren, Mr. Parker!«
»Eine Tatsache, die Mylady als Kompliment auffassen.«
»Selbstverständlich.« Sie nickte nachdrücklich. »Ich bin einfach zu gut. Ich sage das in aller Bescheidenheit.«
»Mylady neigen leider zur Untertreibung, falls meiner Wenigkeit diese Beurteilung erlaubt ist.«
»Nein, nein, bleiben Sie ruhig bei der Wahrheit«, gab sie zurück.
Inzwischen war das Ziel der Fahrt erreicht, und Parker verließ den Fahrstuhl. Er lüftete seine schwarze Melone und überwachte den Ausstieg seiner Herrin.
Lady Agatha schaute sich sofort kriegerisch um. Sie war wieder mal bereit, alles auf die sprichwörtlichen Hörner zu nehmen, was ihren Verdacht auch nur andeutungsweise erregte.
»Nun, wo ist das Subjekt, das die beiden Lümmel nach oben geschickt hat?« fragte sie dann leicht gereizt, als sie kein Zielobjekt ausmachen konnte.
Sie stand unter Dampf und wollte sich möglichst schnell abreagieren.
»Darf man Mylady vielleicht auf jenen Herrn hinweisen, der an der Lounge die Zeitung liest und dabei augenscheinlich von wenigstens drei Leibwächtern bewacht wird?« fragte Josuah Parker.
»Wo denn? Wen meinen Sie?« Sie sah nichts Verdächtiges.
»Wie Mylady bereits erkannt haben, dürfte der dunkelhaarige Gentleman neben der großen Tischlampe die gesuchte Person sein«, sagte Parker, »seine drei Begleiter könnten eindeutig darüber erstaunt sein, Mylady unversehrt zu sehen.«
*
Der Dunkelhaarige mochte etwa fünfundvierzig Jahre alt sein. Er hatte gerade die Zeitung gesenkt und zeigte somit sein Gesicht. Es war braun gebrannt und scharf geschnitten. Unter der erstaunlich kleinen Nase gab es einen zwar breiten, aber dennoch schmallippigen Mund. Die dunklen Augen waren dunkel bis schwarz gefärbt und flink.
»Kenne ich dieses Subjekt?« fragte die ältere Dame.
»Dieser Gentleman wurde Mylady bisher noch nicht vorgestellt«, beantwortete der Butler die Frage.
»Er sieht ziemlich arrogant aus, Mr. Parker. Ich habe fast das Gefühl, daß er mich mit seinen Blicken beleidigt.«
»Man sollte solch eine Absicht nicht ausschließen, Mylady. Wenn es erlaubt ist, werde ich Erkundigungen über diesen Hotelgast einholen.«
»Und ich werde drüben in der Bar meinem Kreislauf auf die Sprünge helfen«, kündigte die passionierte Detektivin munter an. Sie setzte ihre Fülle in Bewegung und marschierte dann energisch zur Hotelbar. Josuah Parker durchquerte die Halle und setzte sich mit dem Chef-Portier in Verbindung. Nach wenigen Augenblicken war er vorerst bestens informiert.
Der Fünfundvierzigjährige hieß Franco Taylor, kam aus den Staaten und hatte sich im Hotel eine Suite gemietet. Er hatte sich weiterhin als TV-Produzent ausgewiesen und war nach London gekommen, um Fragen etwaiger Zusammenarbeit mit britischen Produzenten zu erörtern.
Als Parker die Rezeption verließ, öffnete sich eine der Fahrstuhltüren. Die beiden Männer, die Parker nachgestellt hatten, erschienen auf der Bildfläche und machten nach wie vor einen recht angeschlagenen Eindruck. Der Kompakte hatte ein Taschentuch in der linken Hand und betupfte ausgiebig seine Nase. Der Mittelgroße hinkte.
Sie sahen Parker sofort, doch diesmal hüteten sie sich, ihn noch mal in ein Gespräch zu verwickeln. Die Fünfunddreißigjährigen gingen hinüber in die Lounge und nahmen in einer Sesselgruppe Platz. Einer der Leibwächter des Mr. Franco Taylor schlenderte wie absichtslos zu ihnen und setzte sich.
Parker war ein überaus höflicher Mensch.
Er lüftete höflich die schwarze Melone und schritt zur Hotelbar, wo seine Herrin ihren zusammengebrochenen Kreislauf stützte. Sie hielt einen ansehnlichen Kognakschwenker in der rechten Hand und versorgte ihren Organismus mit ihrer Spezialmedizin.
Parker erstattete einen kurzen Bericht.
»Aha, also ein TV-Produzent«, sagte Agatha Simpson, »natürlich ist das alles aufgelegter Schwindel, Mr. Parker. Ich hoffe, Sie sind ebenfalls dieser Ansicht.«
»Falls Mr. Taylor tatsächlich ein Fernsehproduzent sein sollte, Mylady, so scheint sein Schutzbedürfnis übertrieben groß zu sein.«
»Fünf Mitarbeiter«, gab sie verächtlich zurück, »und wahrscheinlich gibt es noch mehr davon.«
»Ein Hinweis, Mylady, den man als beachtenswert einstufen muß«, versicherte der Butler, »Mr. Franco Taylor dürfte allerdings über beachtenswerte Barmittel oder über einen ansehnlichen Kredit verfügen. Eine Suite in diesem Haus ist nicht gerade kostensparend.«
»Die Mafia kann mit dem Geld nur so um sich werfen«, meinte Lady Agatha, »ich habe große Lust, diesem Gaynor auf den Zahn zu fühlen.«
»Mr. Franco Taylor«, korrigierte der Butler höflich. Ihm war nur zu bekannt, daß die Lady nicht in der Lage war, sich Namen zu merken.
»Wie auch immer«, sagte sie wegwerfend, »ich werde diesem Subjekt umgehend klarmachen, wer ich bin. Kommen Sie, Mr. Parker, Sie können wieder etwas dazulernen ...«
Der Butler wäre durchaus in der Lage gewesen, eine außer Kontrolle geratene Dampfwalze zu stoppen, doch eine Lady Agatha war einfach nicht zu bremsen, wenn sie sich erst mal was in den Kopf gesetzt hatte.
Sie trank den Kognakschwenker leer, brachte ihren perlenbestickten Pompadour in leichte Schwingung und machte sich auf den Weg, Franco Taylor ins Verhör zu nehmen.
»Unverschämt«, meinte sie wenige Augenblicke später und schüttelte dann verärgert den Kopf, »dieser Lümmel hat die Flucht ergriffen.«
Taylor und seine Leibwächter hatten inzwischen das Feld geräumt und waren wohl in die angemietete Suite gefahren.
»Mylady dürften bereits einen zu tiefen Eindruck auf Mr. Taylor gemacht haben«, mutmaßte der Butler, der durchaus damit einverstanden war, daß die ältere Dame nicht zum Zug kam.
*
»Doch, Mylady, wir wissen, daß dieser Franco Taylor bereits in London ist«, sagte Chief-Superintendent McWarden, »er steht unter ständiger Beobachtung.«
McWarden, untersetzt und mit leichtem Bauchansatz, an die fünfundfünfzig, hatte Ärger mit seiner überstrapazierten Schilddrüse und daher leichte Basedowaugen. Gepaart mit seinem cholerischen Temperament, erinnerte der Chief-Superintendent an eine stets gereizte Bulldogge.
Er leitete im Yard ein Sonderdezernat und befaßte sich mit organisiertem Bandenverbrechen. McWarden war dem Innenministerium direkt unterstellt, äußerst tüchtig und brauchte dennoch immer wieder die unkonventionelle Hilfe des Butlers. Mit Lady Agatha verband ihn eine bereits Jahre dauernde Freundschaft, die allerdings oft zu wechselseitigen bissigen Reaktionen führte.
»Und wer ist dieses Subjekt, mein lieber McWarden?« erkundigte sich die ältere Dame erstaunlich friedlich. »Es könnte ja sein, daß Sie es inzwischen herausgefunden haben.«
»Franco Taylor ist tatsächlich in der Fernsehunterhaltung tätig«, entgegnete McWarden, »er ist Präsident einiger Stationen an der Ostküste. Er hat das alles von seinem Vater geerbt, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam.«
»Er steht also unter Mordverdacht, wie?« schnappte die ältere Dame sofort zu.
»Nicht, was seinen Vater betrifft«, berichtete der Chief-Superintendent weiter, während Parker mit einem Silbertablett die große Wohnhalle des Hauses betrat, um Sherry anzubieten.
»Alkohol um diese Zeit?« staunte Lady Agatha und bedachte ihren Butler mit strafendem Blick. »Nun gut, Mr. Parker, ich werde ein Gläschen nehmen, doch Mr. McWarden sollten Sie nicht in Versuchung führen, er ist schließlich im Dienst.«
»Aber überhaupt nicht«, sagte McWarden genußvoll, »und selbst wenn, Mylady, ein Mann in meiner Stellung kann schon mal über gewisse Vorschriften hinwegsehen.«
»Die Gläser bitte nicht zu voll, Mr. Parker«, warnte die ältere Dame, deren bekannter Geiz wohl wieder durchbrach, »wir wollen hier ja schließlich keine Orgien feiern.«
»Ich habe mich voll unter Kontrolle.« McWarden nickte Josuah Parker aufmunternd zu, als er die Gläser füllte. Der Chief-Superintendent wußte, daß Lady Simpson Qualen litt.
»Darf man fragen, Sir, warum die hiesigen Behörden sich für Mr. Franco Taylor interessieren?« erkundigte sich Parker höflich.
»Franco Taylor ist ein Mafioso«, lautete McWardens Antwort, »wir haben von unseren Kollegen in den USA entsprechende Hinweise bekommen. Und Taylor ist mit Sicherheit kein Nachwuchsmann. Er ist bekannt als der sogenannte Zampano.«
»Das klingt nach Übertreibung«, stellte Lady Agatha fest, entschied sich wie selbstverständlich für das vollere Glas und kostete. Anschließend warf sie Parker einen leicht gereizten Blick zu.
»Das ist ja mein privater Sherry«, sagte sie dann erbost.
»In der Tat, Mylady«, gab der Butler zurück, »meine Wenigkeit setzte voraus, daß Mylady einen besonderen Gast des Hauses verwöhnen will.«
»Das finde ich aber sehr gut«, freute sich McWarden, »für Ihre normalen Gäste reichen Sie einen anderen Sherry, Mylady?«
»Natürlich«, meinte sie nachdrücklich, »Sie haben ja keine Ahnung, wie teuer guter Sherry ist, mein lieber McWarden. Aber fahren Sie endlich fort. Ich fürchte, Sie betrinken sich sonst noch.«
»Sie neigen zur Annahme, daß erwähnter Franco Taylor hierher nach London gekommen ist, um für die amerikanische Mafia tätig zu werden?«
»Als reiner Tourist dürfte er kaum nach London gekommen sein«, entgegnete McWarden, »dieser Zampano soll vielleicht etwas organisieren oder neu aufziehen. Wir sind da auf jede Überraschung gefaßt. Ich finde es allerdings erstaunlich, daß Sie, Mylady, bereits einen ersten Kontakt mit diesem Gangster schafften.«
Der Chief-Superintendent meinte selbstverständlich den Butler, doch er hütete sich, ihn direkt anzusprechen. Er kannte die stets wache Eifersucht der älteren Dame.
»Ich habe dieses Subjekt längst durchschaut«, erwiderte Agatha Simpson, »man hat ihn hierher geschickt, um mich zu erledigen. Das ist doch sonnenklar. Sehen Sie das etwa anders, Mr. Parker?«
»Meine Wenigkeit würde sich nie erlauben, einen anderen Standpunkt einzunehmen und dann sogar noch zu vertreten«, lautete Parkers Antwort, »Mylady stehen stets im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.«
»Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben«, gab sie wohlwollend zurück, »schließlich bin ich eine Frau, die man fürchtet.«
»Das unterschreibe ich voll und ganz«, ließ der Chief-Superintendent sich vernehmen, »besser hätte ich’s gar nicht ausdrücken können.«
Nach dieser Feststellung wandte er sich um, musterte eine alte Ritterrüstung in der großen Wohnhalle und mühte sich ab, ein aufsteigendes Lachen zu verbeißen.
*
Horace Pickett hatte in früheren Jahren mal als Taschendieb gearbeitet und war so etwas wie ein Meister seines Fachs gewesen. Er hatte sich allerdings nur mit Klienten befaßt, die eindeutig einen Geldverlust verschmerzen konnten und sich als eine Art Robin Hood in eigener Sache gesehen. Eines Tages war es fast zu einer Katastrophe gekommen. Er war damals an einen Gangster geraten, der ihn um jeden Preis hatte ermorden wollen. Ohne Butler Parker wäre es mit Sicherheit zu diesem Mord gekommen, wie Pickett wußte. Seit dieser Zeit hatte er die Grenzlinie überschritten und war auf den Pfad der Tugend zurückgekehrt. Er machte sich nun eine Ehre daraus, für Josuah Parker und Lady Simpson zu arbeiten.
Horace Pickett, ein ungemein seriös aussehender Mann, der sechzig sein mochte, ging ohne weiteres als pensionierter Offizier durch und verfügte über tadellose Manieren. Er kam aus einem dunklen Torbogen und nahm fast Haltung an, als er vor Lady Agatha stand.
»Taylor gibt drüben im Club eine Pressekonferenz«, meldete er dann, »es sind eine Menge Leute von Presse, Funk und Fernsehen gekommen. Die Konferenz soll in einer Viertelstunde beginnen.«
»Sehr schön, mein lieber Pickett.« Agatha Simpson nickte wohlwollend. »Sie sind wieder mal eine wertvolle Hilfe. Ich sollte Sie bei Gelegenheit zum Tee einladen. Mr. Parker, erinnern Sie mich daran.«
»Es wird nicht versäumt werden«, versprach der Butler, der Einladungen dieser Art nur zu gut kannte. Sie wurden ausgesprochen, aber kaum in die Tat umgesetzt.
»Dieser Taylor wird von fünf Leibwächtern abgeschirmt, Mylady«, berichtete Horace Pickett weiter, »und wie ich die einschätze, sind das clevere Leute.«
»Wie erfreulich«, meinte die ältere Dame, »das bringt mich schon jetzt in die richtige Stimmung.«
»Ich habe zwei Eintrittskarten besorgt«, sagte Pickett und überreichte dem Butler zwei etwas protzig wirkende Karten, »es sind nämlich nur geladene Gäste zugelassen.«
»Kann man davon ausgehen, daß die Namen stimmen?« fragte der Butler.
»Aber natürlich, Mr. Parker.« Pickett lächelte wissend. »Ich kenne zufällig den Drucker der Karten. Ich denke schon, daß ich an alles gedacht habe.«
»Kommen Sie, Mr. Parker«, drängte die ältere Dame, »ich möchte endlich meine Fragen los werden.«
»Soll ich in der Nähe bleiben?« wollte der ehemalige Eigentumsverteiler wissen.
»Mylady gehen davon aus, daß Sie nach dem zu erwartenden Eklat sich auch weiterhin um Mr. Taylor kümmern werden«, erwiderte der Butler, »darüber hinaus halten sich Mr. Rander und Miß Porter ebenfalls in der Nähe auf.«
Pickett grüßte kurz und verschwand dann in der Dunkelheit des noch frühen Abends. Josuah Parker schritt voraus und öffnete für seine Herrin die Tür zu einem Vestibül mit Treppenhaus. Unten an der Treppe standen zwei junge, drahtige Männer, die die Einladungskarten kontrollierten. Sie waren tadellos gekleidet, doch sie trugen Schulterhalfter, wie der Butler sofort bemerkte.
Vor Lady Agatha und Parker gab es einige Gäste, die inzwischen das Clubgebäude betreten hatten. Sie konnten die Sperre unten an der Treppe ohne weiteres passieren. Erst als diese Gäste oben hinter der Treppe verschwunden waren, brachte die ältere Dame ihre dynamische Fülle in Bewegung und schritt den beiden jungen Männern entgegen. Parker konnte sie sofort identifizieren.
Sie gehörten zu jenen drei Typen, die Franco Taylor in der Lounge des Hotels bewacht hatten. Und die beiden jungen Männer wußten ebenfalls, wer Parker war. Die Leute aus dem Fahrstuhl hatten wohl längst eine genaue Beschreibung seiner Person geliefert.
»Nur für Gäste«, sagte einer der beiden Männer und bemühte sich um Höflichkeit.
»Die Einladungskarten«, erwiderte Parker und überreichte sie. Der junge Mann nahm sie leicht verdutzt entgegen und las die Namen halblaut vor.
»Lady Simpson... Mr. Josuah Parker.«
»In der Tat«, meinte der Butler, »wenn Sie nun die Güte haben würden, die Treppe freizugeben.«
»Da müssen wir erst mal nachfragen«, sagte der junge Mann und baute sich leichtsinnigerweise vor dem Butler auf, »Sie warten hier, bis ich Bescheid weiß. Ist das klar?«
»Keineswegs«, entgegnete der Butler, der längst eine kleine Sprayflasche aus der Westentasche geholt hatte. Er drückte auf den Knopf des Stahlzylinders, worauf ein feiner Spray hervorzischte, der sich auf das Riechorgan und die Augen des Mannes niederschlug.
Der zweite junge Mann wollte noch reagieren, doch dazu blieb ihm keine Zeit. Auch er spürte einen hauchdünnen Sprayfilm auf dem Gesicht, hüstelte ein wenig nervös, verdrehte dann in einem fast fromm zu nennenden Augenaufschlag die Augäpfel, schielte intensiv und nahm dann neben seinem Partner auf einer Treppenstufe Platz.
»Was für ein Umstand«, räsonierte die Lady, »mein Pompadour hätte es ja wohl auch getan, oder?«
»Ein Hinweis, dem man nicht widersprechen kann«, lautete Parkers höfliche Antwort, »hoffentlich können Mylady meiner Wenigkeit noch mal grundsätzlich verzeihen.«
*
Der Raum faßte etwa dreißig Personen, die in Stuhlreihen vor einem etwas erhöhten und quergestellten Tisch standen. Gleich neben der Eingangstür brannten einige Scheinwerfer. Sie lieferten das Licht für eine Video- und eine Filmkamera.
In der Mitte des Tisches saß Franco Taylor. Er trug einen eleganten, dunkelblauen Anzug und hatte sich wohl wegen der Scheinwerfer eine Sonnenbrille aufgesetzt. Neben Taylor hatten einige gesetzte und seriös aussehende Männer Platz genommen. An den Außenkanten des quergestellten Tisches entdeckte Parker je einen von Taylors Leibwächtern. Es waren genau die, mit denen er es im Hotel direkt zu tun hatte. Den fünften Leibwächter konnte Parker noch nicht ausmachen. Seiner Schätzung nach mußte er sich aber im Raum befinden.
Die Pressekonferenz hatte gerade begonnen. Einer der seriösen Männer begrüßte den Gast aus den Staaten und stellte ihn als ideenreichen und finanzstarken Mann der TV-Branche vor.
Lady Agatha nahm neben der Filmkamera Platz und räusperte sich explosionsartig, was erst mal allgemeines Aufsehen erregte. Parker blieb seitlich hinter seiner Herrin stehen, um sie so besser unter Sichtkontrolle halten zu können. Die beiden Männer aus dem Fahrstuhl waren bereits auf Lady Simpson aufmerksam geworden und zeigten sofort eine gewisse Nervosität.
Franco Taylor erhob sich, bedankte sich für die Grußworte und kam dann schnell zur Sache. Er sprach von Zusammenarbeit, von Kapitalaustausch, von gemeinsamen künstlerischen Vorstellungen und kündigte dann ein erstes Projekt an, das er zusammen mit britischen Privatanbietern realisieren wollte.
Im Gegensatz zu seinem Aussehen verfügte er über eine erstaunlich hohe Stimme, die sich hin und wieder überschlug. Er merkte wohl auch, daß sie nicht gerade überzeugend klang, und bat, ihm Fragen zu stellen.
Das war das Stichwort für Lady Agatha.
Sie erhob sich und tat das so impulsiv, daß der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, erst mal polternd umfiel. Dann brachte sie ihre majestätische Fülle in Bewegung und betrat den Mittelgang, der die Stuhlreihen trennte.
»Stimmt es, daß Sie ein Mafioso sind?« erkundigte sie sich mit sonorer Stimme. Sie sprach wieder mal genau das aus, was sie dachte.
»Wie war das?« Franco Taylor rückte an seiner Sonnenbrille herum, während im kleinen Saal nicht unerhebliche Bewegung entstand.
»Sind Sie nun ein Mafioso oder nicht, junger Mann?« dröhnte Myladys dunkle Stimme nach vorn.
»Ich denke doch, daß wir sachliche Fragen stellen sollten«, schaltete sich der Seriöse ein, der Franco Taylor begrüßt hatte.
»Ist es richtig, daß man Sie einen Zampano drüben in den Staaten nennt?« wollte Agatha Simpson weiter wissen. Ungenierter als sie konnte wohl kaum ein Mensch sein.
»Ich... Ich protestiere gegen die Art der Fragen«, brauste Franco Taylor mit einer Stimme auf, die sich mehrfach überschlug. Die geladenen Pressevertreter witterten nicht nur eine Sensation, nein, sie bekamen sie bereits geliefert. Die Kameras wurden auf Lady Simpson gerichtet, Diktier- und Tonaufzeichnungsgeräte wurden Mylady entgegengestreckt, damit nur ja kein Wort verlorenging.
»Stimmt es, junger Mann, daß Sie hierher nach London gekommen sind, um die hiesige Mafia neu zu organisieren?« lautete die nächste Frage der älteren Dame.
Franco Taylor war bereits aufgesprungen, raffte eine Mappe an sich und verließ fluchtartig den kleinen Saal. Er benutzte dazu einen Seitenausgang. Seine Leibwächter folgten dichtauf, und Parker hielt Ausschau nach dem fünften Mann, den er noch immer nicht entdeckt hatte.
Der Lärm im Saal war beachtlich geworden. Man rief und schrie durcheinander und konzentrierte sich auf Lady Agatha, um weitere Statements von ihr zu erhalten. Und die Dame genoß diese Situation, wiederholte ihre Fragen vor den laufenden Kameras, stichelte und diktierte zusätzliche Fragen, die Taylor natürlich nicht beantworten konnte.
Josuah Parker hatte dies alles natürlich vorausgesehen, aber keine Möglichkeit gehabt, seine Herrin zu stoppen. Ihm war klar, daß ab sofort harte Zeiten anbrachen.
Ein Mann wie Taylor dachte sicher schon jetzt daran, sich für diese Blamage blutig zu rächen.
*
»Es stimmt schon, ich war einfach gut«, äußerte Agatha Simpson schlicht und einfach. Sie befand sich im Studio ihres altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market und verfolgte die mitternächtliche Fernsehaufzeichnung. Parker, der hinter ihrem Sessel stand, tauschte einen schnellen Blick mit Mike Rander und Kathy Porter.
Der vierzigjährige Rander war Anwalt und verwaltete neben seiner eigentlichen Tätigkeit das immense Vermögen der älteren Dame. Er hatte drüben in den Staaten lange Zeit mit Parker gearbeitet und war nach der Rückkehr nach London von Lady Simpson sofort mit Beschlag belegt worden. Mike Rander glich, was sein Äußeres betraf, einem bekannten James-Bond-Darsteller. Er verfügte über beachtenswertes Phlegma, konnte aber förmlich explodieren, wenn es sein mußte.
Kathy Porter, Sekretärin und Gesellschafterin der älteren Dame, war eine attraktive Erscheinung, etwa achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt, groß und schlank. Ihre hohen Wangenknochen und die leicht mandelförmig geschnittenen Augen verliehen ihr einen Hauch von Exotik. Sie war in allen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung beschlagen und konnte sich in Sekundenschnelle in eine wilde Pantherkatze verwandeln.
»Nun sagen Sie selbst, Mr. Parker, bin ich nicht überzeugend?« lobte sich Lady Agatha.
»Mylady setzen wieder mal Akzente, falls man es so umschreiben darf«, lautete die Antwort des Butlers.
»Damit dürfte dieser Lümmel erledigt sein«, meinte Agatha Simpson zufrieden, als diese Sequenz der Fernsehnachrichten ausgeblendet wurde, »er kann nur noch den Rückflug in die Staaten buchen.«
»Darauf würde ich mich nicht verlassen, Mylady«, schaltete Mike Rander sich ein, »Taylor hat sein Gesicht verloren, daran gibt es nichts zu deuteln. Also wird er alles daransetzen, es wieder zu suchen und aufzubügeln.«
»Sie haben sich einen Todfeind geschaffen, Mylady«, fügte Kathy Porter eindringlich hinzu.
»Wie schön«, freute sich die ältere Dame, »Mr. Parker, ich werde selbstverständlich nicht nur reagieren.«
»Mylady werden das Tempo bestimmen«, vermutete Parker.
»Lassen Sie sich dazu etwas Hübsches einfallen«, redete sie munter weiter, »ich werde dieses Subjekt unmöglich machen.«
»Falls Sie überhaupt an Taylor herankommen, Mylady«, sagte der Anwalt, »Taylor wird ab sofort untertauchen und die Schmutzarbeit von gemieteten Gangstern besorgen lassen.«
»Und er wird für hieb- und stichfeste Alibis sorgen, Mylady«, prophezeite Kathy Porter.
»Das schert mich nicht. Mr. Parker, ich lasse Ihnen freie Hand, sobald ich Ihnen gewisse Vorgaben übermittelt habe.«
»Myladys Vorschuß an Vertrauen ist beeindruckend«, behauptete Josuah Parker. In seinem glatten Gesicht rührte sich kein Muskel.
»Ist vielleicht mit einer Klage wegen Verleumdung zu rechnen?« fragte Kathy Porter und blickte Mike Rander an.
»Er wird sich hüten«, erwiderte der Anwalt lächelnd, »er wird diesen Zwischenfall herunterspielen und Mylady ins Unrecht setzen.«
»Was ich mir bereits jetzt verbitten möchte«, grollte die ältere Dame, »ich habe allerdings einen Fehler begangen, als ich im Club war.«
»Tatsächlich?« staunte Mike Rander. Er war sichtlich beeindruckt. Agatha Simpson war nämlich sonst keine Frau, die einen Fehler eingestand.
»Doch, mein Junge«, redete sie weiter, »ich hätte dieses Subjekt ohrfeigen sollen.«
»Mylady sollten sich keine unnötigen Vorwürfe machen«, schaltete Parker sich ein, »die beobachtete Absetzbewegung des Mr. Franco Taylor erfolgte in einem Tempo, das man als beachtenswert bezeichnen muß.«
»Und nicht weniger schnell wird er sich bemerkbar machen«, sagte Mike Rander, »und wie gesagt, er wird sich Killer mieten und für hieb- und stichfeste Alibis sorgen, was ihn betrifft.«
»Möglicherweise spielt Mr. Taylor mit dem Gedanken, Mylady in einen tödlichen Unfall zu verstricken«, sagte Josuah Parker höflich, »die erwähnte Person kommt schließlich aus einem Land, in dem das Auto eine gesellschaftlich wichtige Rolle spielt.«
»Richtig«, pflichtete Rander dem Butler bei, »Taylor wird seine Erfahrungen haben, Mylady. Ein Auto kann zur tödlichen Waffe werden.«
»Ich werde ab morgen einige Ausfahrten unternehmen«, erklärte die ältere Dame postwendend und blickte den Butler an, »ich werde dieses Subjekt herausfordern. Mr. Parker, suchen Sie ein paar hübsche Straßen aus, auf denen ich es dem Mafioso zeigen kann.«
»Mylady werden zufrieden sein«, versprach der Butler, »Mr. Taylor wird möglicherweise schon bald erkennen, daß er Myladys Fahrkünsten auf keinen Fall gewachsen ist.«
*
Agatha Simpsons Haus, ein altehrwürdiger Fachwerkbau, stand auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei und wurde zu einer nahen Durchgangsstraße hin flankiert von weiteren Fachwerkbauten, die allerdings erheblich kleiner und niedriger waren.
Diese Häuser bildeten eine Art Oase inmitten der Millionenstadt. Bis zum Hyde Park war es nicht sonderlich weit, die City ließ sich schnell erreichen. Das zweistöckige Fachwerkhaus mit den bleiverglasten Fenstern sah nicht gerade aus wie eine Festung, doch der äußere Schein trog auf der ganzen Linie.
Vor Jahren bereits war Myladys Stadthaus in London nach Parkers Plänen umgebaut worden. Immer wieder hatten mehr oder weniger geschickte Gangster versucht, ins Haus einzudringen, doch sie hatten sich stets die Zähne ausgebissen. Parker hatte eine raffinierte elektronische Warnanlage installieren lassen und für eigenwillige Überraschungen gesorgt. Wer auch immer versuchte, ungeladen einzudringen, hatte mit einer peinlichen Niederlage zu rechnen.
Nachdem Mike Rander und Kathy Porter das Haus der Lady Agatha verlassen hatten, unternahm Josuah Parker einen Kontrollgang durch das weitläufige Gebäude und passierte dabei auch im Obergeschoß die Tür, die in das Studio führte.
Hier arbeitete die ältere Dame laut eigener Aussage an ihrem einmaligen Bestseller. Der Butler hatte ihr dieses Arbeitszimmer eingerichtet. Es enthielt alles, was ein modernes Büro verlangte. Es gab sogar einen Text-Computer, der allerdings sehnsüchtig darauf wartete, daß er endlich gefüttert wurde. Lady Agatha war jedoch noch nicht so weit. Sie suchte seit geraumer Zeit nach einem passenden Titel für ihre sensationelle Story.
Hinter der Tür waren Schüsse zu vernehmen, Rufe, Schreie, dann das Hämmern einer Maschinenpistole. Glas splitterte, Holz ging zu Bruch. Doch Josuah Parker zeigte sich keineswegs beeindruckt und schritt würdevoll weiter. Aus Erfahrung wußte er, daß seine Herrin ihren Video-Rekorder eingeschaltet hatte und sich einen Kriminalfilm anschaute.
In der großen Wohnhalle angekommen, öffnete der Butler neben dem verglasten Vorflur einen Wandschrank und schaltete eine Video-Kamera ein, die unter dem überdachten Vorbau zur Haustür angebracht war. Per Fernbedienung schwenkte er die Kamera von links nach rechts und verschaffte sich so einen Überblick von dem Platz zwischen den beiden Fachwerkhäusern. Verdächtiges konnte er nicht feststellen.
Josuah Parker begab sich ins Souterrain des Hauses, wo sich neben der modernen Küche auch seine privaten Räume befanden. Er verfügte hier über einen großen Wohnraum, ein Schlafzimmer, Bad und Toilette. Vom Korridor aus, der in seine Privatwohnung führte, konnte er sein sogenanntes Labor betreten.
In diesem Raum, der mit allen erdenkbaren technischen Hilfsmitteln ausgestattet war, ersann, entwickelte und baute der Butler seine diversen technischen Überraschungen. Er war ein äußerst geschickter Handwerker, der vor allen Dingen an der Miniaturisierung von technischem Gerät interessiert war. Durch entsprechende Fachbücher und Zeitschriften hielt er sich auf dem laufenden. Der Butler hätte allein durch Patentanmeldungen ein vermögender Mensch werden können, doch er hütete sich, seine diversen Entwicklungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Er wollte nicht, daß sie dann mit Sicherheit eines Tages in falsche Hände gerieten.
Parker entspannte sich.
Er hatte in einem hochlehnigen Ledersessel Platz genommen und blätterte in einem technischen Magazin, als das Telefon klingelte. Horace Pickett meldete sich.
»Ich bin hier in Soho«, schickte er voraus. »Franco Taylor sitzt in einem chinesischen Restaurant und unterhält sich mit Dennis Hayman.«
»Ein nicht uninteressanter Gesprächspartner«, fand Parker höflich.
»Dennis Hayman ist mehr als nur Finanzmakler, Mr. Parker.«
»In der Tat«, pflichtete der Butler dem ehemaligen Taschendieb bei, »Mr. Hayman wird in einschlägigen Kreisen auch als Geldwäscher bezeichnet.«
»Hayman kennt jeden, auf den es in der Unterwelt ankommt, Mr. Parker.«
»Man sollte Mr. Hayman bei Gelegenheit seine Aufwartung machen«, gab Josuah Parker zurück, »es wäre vielleicht angebracht, Mr. Pickett, sich in dieser Nacht nur noch um den Finanzmakler zu kümmern. Es könnte durchaus aufschlußreich sein, ob Mr. Hayman sich noch mit weiteren Klienten treffen wird.«
»Ich habe verstanden«, entgegnete Pickett, »Sie nehmen an, daß Taylor sich über Hayman ein paar Killer mietet, nicht wahr?«
»Dies ist keineswegs auszuschließen«, erwiderte der Butler, »möglicherweise sind sie aber bereits unterwegs und nähern sich Myladys Haus.«
»Dann möchte ich nicht in der Haut dieser Leute stecken«, sagte Horace Pickett und lachte leise, »die ahnen ja noch nicht mal, was da auf sie zukommt.«
*
Sie hatten wirklich keine Ahnung – die beiden Gestalten, die dunkle Trikots trugen und sich eng anliegende Gesichtsmasken über den Kopf gestreift hatten. Es waren Profis, daran bestand kein Zweifel. Sie verzichteten darauf, sich auf dem Platz vor Myladys Haus zu zeigen. Sie befanden sich bereits auf einem der Dächer jener Fachwerkhäuser, die den Platz einrahmten.
Sie huschten von Esse zu Esse, waren in der Dunkelheit kaum auszumachen und bewegten sich mit großer Geschicklichkeit. Sie hielten zielsicher auf Myladys Haus zu und hatten eindeutig die Absicht, durchs Dach ins Haus einzusteigen.
Parker konnte sie deutlich ausmachen. Er beobachtete die beiden ungebetenen Gäste durch ein Nachtsichtgerät. Die Warnanlage hatte ihn vor wenigen Minuten über den Besuch informiert.
Daraufhin war der Butler ins Dachgeschoß gegangen und befand sich gerade hinter einem der Dachfenster. Agatha Simpson hatte er nicht gestört. Sie saß noch immer vor dem Fernsehgerät und studierte die Drehbuchtechnik, wie sie es ausdrückte.
Die beiden nächtlichen Gestalten hatten bereits das Dach von Myladys Haus erreicht, bewegten sich noch vorsichtiger und nahmen sich viel Zeit. Wahrscheinlich hatte man sie darüber unterrichtet, daß dieses Fachwerkhaus einige Überraschungen bot. Die beiden Gestalten wollten jeden Fehler vermeiden.
Josuah Parker hatte seinen Standort gewechselt.
Er stand in einer Kaminesse, die nichts anderes war als eine geschickt getarnte Beobachtungskanzel. In der Vergangenheit hatten Gangster immer wieder versucht, durchs Dach ins Haus zu gelangen. Der Butler hatte darauf entsprechend reagiert und sich diese Kanzel gebaut. Von hier aus war er in der Lage, geeignete Maßnahmen gegen heimliche Besucher zu ergreifen.
Die beiden Gestalten hatten eine kleine Pause eingelegt und saßen eng nebeneinander auf einem schmalen Trittbrett, das seinerseits auf dem schrägen Dach neben einer Esse angebracht war. Von diesem Trittbrett aus konnte ein Kaminkehrer die Kaminessen reinigen. Das alles sah völlig regulär und unverdächtig aus.
Parker war klar, daß es sich bei diesen beiden Gestalten nur um gemietete Gangster handeln konnte, die keine Ahnung hatten, für wen sie ihren Hals riskierten. Es wäre also reine Zeitverschwendung gewesen, sie ins Haus zu holen und dann Fragen zu stellen.
Parker hatte dieses harmlos aussehende Trittbrett nicht ohne Grund anbringen lassen. Es lud förmlich zum Verweilen ein und wurde auch in dieser Nacht wieder genutzt. Der Butler fand, daß die beiden Gestalten eine kleine Sensation brauchten.
Parker zog an einem der kleinen Eisenringe, die auf einer Art Schaltbrett vor ihm angebracht waren. Daraufhin gerieten die beiden nächtlichen Besucher in einige Verlegenheit.
Das Trittbrett kippte unter ihnen flach hinunter auf das Dach und wurde so zu einer Rutschbahn.
Nachdem die beiden Gestalten je einen spitzen Schrei ausgestoßen hatten, segelten sie haltlos über die Dachpfannen hach unten und näherten sich der Dachkante. Sie waren völlig überrascht worden und fuchtelten mit den Armen verzweifelt in der Luft herum. Sie rechneten mit einem Absturz aufs Pflaster, und erst kurz vor diesem Flug nach unten spürten sie, daß ihre Beine ineinander gestaucht wurden. Die Füße waren gegen eine Art Schneegitter oberhalb der Dachtraufe geprallt und bremsten den eigentlichen Sturz bis auf Null.
Parker verließ seine Beobachtungskanzel und schritt gemessen ins Haus. Als er auf dem oberen Korridor war, öffnete sich Myladys Studiotür.
Lady Agatha trug einen wallenden Hausmantel und Lockenwickler.
»Was ist denn, Mr. Parker?« erkundigte sie sich. »Habe ich da eben nicht Geräusche gehört?«
»In der Tat, Mylady«, berichtete Parker, »zwei Personen unbekannten Geschlechts versuchten, in Myladys Haus einzudringen. Inzwischen werden sie sich dicht oberhalb der Dachtraufe aufhalten und beratschlagen, wie sie möglichst unversehrt wieder auf den rettenden Erdboden kommen.«
»Sind das Leute von Wichtigkeit?« fragte sie interessiert. »Ich habe gerade etwas Zeit und könnte mich mit ihnen befassen.«
»Es dürfte sich nur um uninformierte Handlanger handeln, Mylady«, versicherte der Butler, »um Dutzendware, wie man sie allenthalben in einschlägigen Pubs kaufen kann.«
»Nun gut.« Sie nickte. »Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen müßte?«
»Mr. Pickett rief an und verwies im Zusammenhang mit Mr. Franco Taylor auf einen gewissen Mr. Dennis Hayman. Die beiden Männer halten sich zur Zeit in Soho auf und konferieren miteinander.«
»Und das erfahre ich erst jetzt?« Sie räusperte sich explosionsartig. »Ich bin in zehn Minuten in der Halle, Mr. Parker. Die Nacht hat ja gerade erst angefangen.«
Parker deutete eine knappe Verbeugung an und verzichtete auf jeden Einwand. Die Dampfwalze in Form der Lady Simpson setzte sich wieder mal in Bewegung ...
*
Butler Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, wie sein Privatwagen von Eingeweihten genannt wurde. Bei diesem Fahrzeug handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi älterer Bauart. Alles an diesem Gefährt war eckig und wirkte sehr betagt. Im Grund gönnte man Parkers Privatwagen geruhsame Tage in einem Auto-Museum.
Doch der Schein trog.
Das ehemalige Taxi war eine raffinierte Trickkiste auf Rädern und hätte einen entsprechenden Wagen des James Bond in der Realität um Längen geschlagen. Das Fahrzeug war nach Parkers eigenwilligen Plänen technisch völlig umgestaltet worden. Unter der eckigen Haube befand sich ein Motor, der in einen Rennwagen gepaßt hätte.
Im Fond des Gefährts saß Lady Agatha, die nur sechs Minuten gebraucht hatte, um in ihr Tweed-Kostüm zu schlüpfen. Wenn es um eine hübsche Abwechslung ging, konnte sie sehr schnell sein. Sie nestelte an ihrer skurrilen Hutschöpfung herum und sicherte sie mit den beiden langen Hutnadeln, die an kleine Bratspieße erinnerten. Lady Agatha machte einen sehr aufgekratzten Eindruck.
»Wie war das noch?« erkundigte sie sich mit sonorer Stimme. »Dieser Lümmel aus den Staaten unterhält sich mit wem?«
»Mit einem gewissen Mr. Dennis Hayman, Mylady«, lautete Parkers geduldige Antwort, »Mr. Hayman ist Finanzmakler und hat enge Verbindungen zur Unterwelt, Mylady. Man sagt ihm nach, daß er illegale Einnahmen wäscht und sie auf diese Art wieder hoffähig macht.«
»Selbstverständlich werde ich ihm das Handwerk legen«, meinte sie umgehend, »ich erwarte, Mr. Parker, daß Sie sich dazu einiges einfallen lassen.«
»Wie Mylady zu wünschen belieben.«
»Habe ich bereits eine Idee, Mr. Parker?«
»In der Tat, Mylady«, sagte der Butler, »Mylady denken sicher daran, Mr. Franco Taylor zu isolieren.«
»Natürlich, Mr. Parker, genau das ist meine Vorstellung.«
»Mit wem Mr. Taylor auch immer Verbindung aufnimmt, Mylady, er müßte schnell erkennen, daß die angesprochenen Personen sich schleunigst wieder von ihm abwenden.«
»Und dafür werde ich gründlich sorgen«, versprach Agatha Simpson. »Mr. Parker, ich denke, Sie haben mich genau verstanden. Das alles war von Beginn an mein Plan. Sprach ich sogar schon mit Ihnen darüber?«
»Mehr als nur andeutungsweise, Mylady.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos und glatt. Natürlich hatte Lady Agatha kein Wort mit ihm über diese Taktik gesprochen.
»Dieser Lümmel aus den Staaten wird ins Leere stoßen«, freute sie sich bereits im vorhinein, »ich werde Ihnen freie Hand lassen, Mr. Parker, und nur dann zur Verfügung stehen, wenn Sie mal nicht mehr weiterkommen sollten. Vertrauen Sie sich mir an, ich habe schließlich Verständnis für menschliche Schwächen.«