Читать книгу Butler Parker 168 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

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Später sagten alle Zeugen übereinstimmend aus, er habe sie an einen freundlichen und gütigen Weihnachtsmann erinnert ...

Der große, imponierend aussehende Mann von rund sechzig Jahren trug eine runde, altmodische Nickelbrille, hinter deren Gläsern freundliche, braune Augen zu sehen waren. Die Wangen waren rosig angehaucht und zeugten vom häufigen Aufenthalt an der frischen Luft. Die knollige, große Nase war leicht gerötet und schien gerade einen kleinen Schnupfen hinter sich gebracht zu haben.

Freundlich und vertrauenerweckend war dieser Mann anzusehen, auch dann noch, als er den Kassierer der Filiale der Northern Time Bank in die Mündung einer unfreundlichen 38er blicken ließ und mit gütiger Stimme nicht mehr und nicht weniger als zwanzigtausend Dollar verlangte.

Der Kassierer glaubte erfreulicherweise nicht eine Sekunde lang an einen dummen Scherz. Er erkundigte sich auch nicht nach einem eventuellen Bankguthaben. Er griff hastig in die Banknotenbündel und schob sie dem alten Herrn zu.

»Müssen es genau zwanzigtausend sein?« fragte er dazu mit leicht bebender Stimme, wobei er auf den Revolver schielte.

»Ich will nicht eigensinnig sein«, antwortete der Herr und ließ die Banknotenbündel unter dem weiten Mantel verschwinden. »Hoffentlich sind Sie es auch nicht. Schlagen Sie erst Alarm, wenn ich die Bank verlassen habe! Haben wir uns verstanden?«

»Natürlich, Sir!« gab der Kassierer jetzt mit versagender Stimme zurück und hielt sich an die Empfehlung dieses seltsamen Kunden. Er wartete, bis der ältere Herr die Filiale verlassen hatte, um dann allerdings den Alarm auszulösen.

Während die Türen automatisch geschlossen und verriegelt, wurden, während in der nahen Polizeistation Bereitschaftsbeamte nach ihren Waffen griffen und Streifenwagen per Funk zur Bankfiliale dirigiert wurden, schaute der Kassierer kopfschüttelnd auf den rotbackigen Apfel, den der Kunde auf dem Zahlbrett zurückgelassen hatte.

Am. Stiel dieses Apfels war ein kleines Zettelchen befestigt, auf dem der Kunde ein fröhliches Weihnachtsfest wünschte.

Der Kassierer wußte daraufhin nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Die Polizei, die kurz danach am Tatort erschien, fühlte sich hingegen nur auf den Arm genommen. Ein Apfel, mochte er auch noch so frisch und rotbackig aussehen, war sicher kein Äquivalent für zwanzigtausend Dollar. Genauer gesagt sogar für sechsundzwanzigtausendvierhundertachtzig Dollar, denn der freundliche alte Herr war ja keineswegs eigensinnig gewesen, wie er besonders betont hatte.

*

»Amüsant«, sagte Mike Rander und blickte von seiner Morgenzeitung hoch. Butler Josuah Parker, der seinen jungen Herrn formgerecht bediente und in stiller Würde seitlich hinter dem Sessel stand, beugte sich andeutungsweise vor um sein Interesse zu bekunden.

»Ein Weihnachtsmann scheint in der Stadt aufgetaucht zu sein«, erklärte Rander und las die entscheidenden Phasen des Überfalls aus der Zeitung vor, »sehr aufmerksam, daß er einen Apfel als eine Art Gegengeschenk zurückgelassen hat. Der Täter muß Sinn für skurrilen Humor haben, Parker. Sie müßten dafür doch eigentlich Verständnis haben, oder?«

»Nur in einem gewissen Rahmen, wenn ich das bemerken darf, Sir.«

»Sie sind nicht amüsiert?« Rander schmunzelte und blättert weiter in der Zeitung herum. »Der Mann hat auf jeden Fall bereits seinen Spitznamen weg. Man nennt ihn den ›Weihnachtsmann‹, weil er immerhin auch Gaben austeilt.«

»Vorerst in der Form eines Apfels, Sir!«

»Nein, nein, er hat schon in zwei anderen Städten Gaben verteilt.« Rander tippte auf die Zeitung, um sie dann wegzulegen, »mit diesem Trick hat er bereits in Detroit und Flint gearbeitet. Im ersten Fall schenkte er einem völlig verdutzten Kassierer einen Riegel Marzipan, in Flint bedachte er den Kassierer mit einer Krawatte.«

»Um dann im nächsten Fall wohl Stahlmantelgeschosse zu verteilen, Sir!«

»Sie wirken auf mich heute sehr pessimistisch, Parker. Ist Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen?«

»Mitnichten, Sir! Ich fürchte nur, daß dieser Täter mit dem angeblichen Sinn für skurrilen Humor früher oder später zu einem Mörder werden könnte.«

»Das könnte schon stimmen!« Mike Rander schmunzelte nicht mehr. Dann hüstelte er nervös und merkte, daß er auf dem besten Weg war, in Parkers Falle zu laufen. Er schloß: »Aber das ist schließlich nicht unsere Sache, Parker. Wozu haben wir schließlich die Polizei? Soll die sich mit diesem komischen Weihnachtsmann befassen.«

»Wie Sie meinen, Sir!«

»Kommen Sie nur ja nicht auf den Gedanken, sich in diesen Fall einzumischen«, warnte Rander eindringlich.

»Auf keinen Fall, Sir. Sie können sich, wie immer, fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen.«

»Hoffentlich«, antwortete Rander skeptisch.

*

Etwa um diese Zeit betrat ein mittelgroßer, schlanker Mann von etwa fünfundvierzig Jahren die Filiale der Chikago-Bank und schritt wie ein alter Kunde, selbstsicher und unauffällig zugleich, auf den Kassenschalter zu.

»Zwanzigtausend Dollar«, forderte er höflich und ließ den Kassierer in die Mündung eines 38ers blicken, »schlagen Sie keinen Alarm, sonst muß ich schießen!«

Der Kassierer, noch relativ jung, fühlte sich dummerweise veranlaßt, auf den Alarmknopf unterhalb des Schaltertresens zu treten. Er hatte diesen Alarmknopf noch nicht ganz berührt, als der unauffällige Herr schoß.

Ohne sich um die entstehende Panik zu kümmern, drehte er sich um und ging nicht zu schnell zurück zum Ausgang, dessen Tür gerade von einem Bankangestellten geschlossen werden sollte.

»Warten Sie einen Moment« rief der Herr dem Angestellten zu, um dann sofort zu schießen. Der Bankangestellte schrie halblaut auf und rutschte in sich zusammen. Der Bankkunde stieg über sein Opfer hinweg und erreichte das Freie, ohne daß man ihn aufgehalten hätte. Er mischte sich unter die Passanten und war nach knapp zwei Minuten verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen ...

*

»Ich fürchte, Sir, meine pessimistische Betrachtungsweise ist durch die Realität erhärtet worden«, sagte Josuah Parker, als sein junger Herr die Abendausgabe der Zeitung überflog.

»Wovon reden Sie, Parker?«

»Von besagtem Weihnachtsmann, Sir, der diesmal als Gabe zwei verletzte Bankangestellte zurückgelassen hat.«

»Warum erzählen Sie mir das? Wollen Sie mich für den Fall interessieren?«

»Keineswegs, Sir.« Parkers Gesicht blieb unbeweglich. »Ich fürchte allerdings daß dieser Täter im Verlauf seiner weiteren Überfälle noch brutaler werden wird.«

»Wenn Sie sich nur nicht in den Finger schneiden. Parker.« Rander hatte den betreffenden Artikel gefunden und bereits überflogen, »diesmal trat ein rund fünfundvierzigjähriger Mann auf, mittelgroß, schlank. Das genaue Gegenteil des Weihnachtsmannes!«

»Die Zeugenaussagen scheinen das zu belegen, Sir.«

»Sie sind anderer Meinung?«

»In gewissen Grenzen. Sir. Art und Weise des Überfalls deutet auf einen einzigen Täter hin.«

»Der einmal groß und kompakt, dann, wieder klein und schlank ist wie? Wissen Sie. Parker, ich habe das Gefühl, Sie sehnen sich förmlich nach einem neuen Fall. Aber Sie wissen hoffentlich, daß ich nicht mitspielen werde. Ich habe schließlich noch einen Beruf und werde als Anwalt in meinem Büro gebraucht.«

»Selbstverständlich, Sir!«

»Dann sind wir uns also einig?«

»Sir ich würde mir niemals erlauben anderer Meinung zu sein als Sie!« Rander lächelte. Er kannte die Versicherungen seines Butlers. Er wußte aus Erfahrung, daß Josuah Parker wie eine Katze das Naschen niemals lassen konnte.

Diesmal hatte Mike Rander sich aber fest vorgenommen, neutral zu bleiben. Die Arbeit in seinem Anwaltsbüro häufte sich. Gewiß, er hatte erstklassige Mitarbeiter, doch hin und wieder mußte er sich eben einschalten. Es gab wichtige Kunden, die einzig und allein von ihm vertreten werden wollten. Diesen Leuten, die sehr gut zahlten, durfte er nicht dauernd den Rücken weisen.

Mike Rander beendete das ausgezeichnete Dinner, das sein Butler zubereitet hatte, und zog sich dann in sein Arbeitszimmer zurück. Er sah irritiert hoch, als wenig später sein Butler höflich anklopfte und eintrat.

»Ist noch was?« fragte Rander und sah von einem Gesellschaftsvertrag hoch, den er gerade Punkt für Punkt ausarbeitete.

»Ich möchte mich formgerecht und höflich für zwei Stunden entschuldigen, Sir!«

»Sie gehen aus?«

»Nur, wenn Sie meiner nicht mehr bedürfen, Sir.«

»Nein, nein, Parker, ich brauche Sie nicht. Viel Vergnügen. Das heißt. Moment mal ... Sie halten sich doch an unsere Abmachung, nicht wahr?«

»Selbstverständlich, Sir! Ich möchte mir nur ein wenig die Beine vertreten, wie man so sagt. Die frische Abendluft wird mir so hoffe ich sehr, guttun!« Josuah Parker verließ das Arbeitszimmer seines jungen Herrn und ließ einen nachdenklich-nervösen Mike Rander zurück ...

*

»Ja, wie finde ich denn das!?« Mel Harvey nestelte an seiner Brille mit den Halbgläsern und strahlte den eintretenden Butler an. Er wieselte um die kleine Ladentheke herum md war ehrlich erfreut, Josuah Parker zu sehen.

»Ich wünsche Ihnen einen freundlichen Abend«, sagte Parker gemessen.

»Ich darf wohl hoffen und unterstellen, Sie bei bester Gesundheit anzutreffen?«

»Ob mir’s gut geht? Klar, Mister Parker. Immer rein in die gute Stube. Nee, nicht hier. Wir gehen ’rüber in mein Privatbüro!«

Parker sah sich wieder einmal interessiert in der Pfandleihe von Mel Harvey um. Der große Kellerraum, der als Ladenlokal diente, war bis zur Decke vollgestopft mit Krimskram aller Art. Bei Harvey konnte man alten Schmuck kaufen, Musikinstrumente, Uhren, Radios, Kleider und Schuhe, Antiquitäten, Gemälde, anrüchige Fotos und Funkgeräte, Möbel, Bestecke, Schnaps und schließlich auch Gegenstände, die er noch gar nicht hätte, aber prompt besorgte. Mel Harvey wurde von der Polizei als Hehler bezeichnet, aber gegen diese Unterstellung wehrte er sich stets. Mit Erfolg übrigens, denn nur in seltenen Fällen hatte man ihm bisher etwas nachweisen können.

»Kann ich irgendwas für Sie tun?« fragte Harvey, nachdem er für seinen Gast einen alten Stuhl freigeräumt hatte. »Ich wette, Sie sind nicht gerade zufällig hier bei mir vorbeigekommen.«

»Sie würden diese Wette gewinnen, Mister Harvey«, antwortete der Butler würdevoll und legte seine schwarze Melone ab. »Ich möchte von Ihnen einige Nachrichten erstehen.«

»Hatte ich mir schon fast gedacht.« Mel Harvey grinste und rückte sich seine Brille zurecht, »hinter wem sind Sie her?«

»Ich interessiere mich für den ›Weihnachtsmann‹!«

»Den ›Weihnachtsmann‹ ...?« Harvey hüstelte und hatte wieder mit seiner Brille zu tun, die ihm unentwegt über die Nase wegrutschen wollte.

»Sie haben völlig richtig verstanden, Mister Harvey!«

»Tut mir leid, den kenne ich nicht!« Harvey schüttelte ratlos den Kopf.

»Sind Sie sicher? Haben Sie nicht irgendeinen bestimmten Verdacht?«

»Nichts! Aber ich kann Ihnen im Vertrauen sagen, Mister Parker, daß Sie nicht der erste sind, der sich nach ihm erkundigt hat.«

»Ich erwärme mich für dieses Thema.«

»Hank Studdel war hier und wollte auch ein paar Nachrichten über den ›Weihnachtsmann‹ kaufen.«

»Sehr aufschlußreich.«

»Studdel war wütend, das kann ich Ihnen sagen. Es paßt ihm nicht, daß sich in seinem Bezirk dieser ›Weihnachtsmann‹ ’rumtreibt ... Aber der wird wohl darauf pfeifen.«

»Ich darf mich darauf verlassen, Mister Harvey, daß Sie ‚mir nichts verschwiegen haben?«

»Hören Sie, Mister Parker. Ich weiß genau, daß Sie mir damals aus ’ner verdammten Patsche ’rausgeholfen haben. Das werde ich Ihnen nie vergessen. Ich würde Sie nicht belügen. Sie nicht!«

»Ich möchte es sehr hoffen. Der Begriff ›Weihnachtsmann‹ ist Ihrer Meinung nach also erst von der Presse geboren und erfunden worden?«

»Ganz sicher. Wirklich, vorher hatte ich noch nie von diesem ›Weihnachtsmann‹ gehört. Wenn Sie mich fragen, dann handelt es sich um einen Einzelgänger. Um einen ganz verflixten Einzelgänger, der sein Handwerk versteht. Vielleicht ist er aus ’ner anderen Stadt zu uns nach Chikago gekommen.«

»Laut Zeitungsmeldungen muß er schon in Detroit und Flint gearbeitet haben. Bestehen Geschäftsbeziehungen Ihrerseits zu diesen beiden Städten?«

»Na, ja, man hat so seine Verbindungen, Mister Parker. Ich müßte mal dort ’rumfragen, aber versprechen kann ich nichts.«

»Ich hoffe. Ihnen in irgendeiner Form eines Tages danken zu können. Mister Harvey.« Josuah Parker griff nach seiner schwarzen Melone und verließ die Pfandleihe, ohne in diesem Moment zu ahnen, daß man ihm nicht umsonst nachsagte, er zöge Verbrecher und Verbrechen an wie ein Magnet Eisenfeilspäne ...

*

Josuah Parker schritt gemessen und würdevoll zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum, das er auf einem nahen Parkplatz abgestellt hatte. Er dachte wirklich nicht an unangenehme Zwischenfälle, zumal er im Augenblick wirklich keinen anderen Fall verfolgte. Er hatte den besagten Parkplatz aber noch nicht ganz erreicht, als seine Aufmerksamkeit erregt wurde.

Aus einem um diese Zeit noch geöffneten Juweliergeschäft kam eine nette, ältere Dame in leicht altmodischer Kleidung. Sie trug eine etwas altertümlich geschnittene Brille und hatte das auf dem Kopf, was man einen Kapotthut nannte.

Umständlich zog sie die Tür des Geschäfts hinter sich zu, eine Tatsache, die den Butler bereits stutzig werden ließ. Kunden in Geschäften solcher Klasse wurden an die Tür geleitet. Und zudem öffnete man ihnen überhöflich die Tür, auch dann, wenn nichts gekauft wurde. Parker blieb also unwillkürlich stehen und sah der älteren, wirklich netten Dame nach, die auf ein Taxi zuschritt und umständlich darin Platz nahm.

Die Tatsache, daß ein freies Taxi auf einen Kunden wartete, ließ den Butler nun zusätzlich stutzig werden. Ein freies Taxi um diese späte Zeit, das war so etwas wie ein Wunder.

Als das Taxi sich in Bewegung setzte, stürzte eine hellblonde, etwas zu sehr aufgemachte Verkäuferin aus dem Geschäft und schrie mit leicht erstickter Stimme um Hilfe. Danach brach sie in sich zusammen und blieb auf der Türschwelle liegen.

Parker war alarmiert.

Die Hellblonde oder das Taxi! Er mußte sich entscheiden. Und Parker entschied sich, zumal die ersten Passanten bereits auf die junge Verkäuferin zuliefen, um ihr erste Hilfestellung zu leisten.

Das Taxi hatte weiter Fahrt aufgenommen und hielt genau auf den Butler zu, der sich am Straßenrand aufgebaut hatte und den Wagen mit seinem Universal-Regenschirm mehr als energisch abwinkte.

Der Taxifahrer scherte sich nicht daran. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte der Butler in das Gesicht des Fahrers sehen. Ein glattes, volles, nichtssagendes Gesicht unter einer tief in die Stirn gezogene Mütze.

Im Fond des Wagens saß jene nette, ältere Dame mit dem Kapotthütchen auf dem Kopf. Sie beschäftigte sich mit ihrer Handtasche und schien das energische Abwinken überhaupt nicht mitbekommen zu haben. Parker trat, um seinem Winken Nachdruck zu verleihen, etwas auf die Fahrbahn hinaus, mußte sich aber fluchtartig zurückziehen, um nicht angefahren zu werden. Das Taxi rauschte an ihm vorbei.

Parker wurde unwillig, was ihm nicht oft passierte. Instinktiv ahnte er einen gewissen Zusammenhang zwischen der ohnmächtig gewordenen Verkäuferin und der alten Dame im Taxi. Um jene ältere Dame zu befragen, mußte er das Taxi stoppen. Schießen war unmöglich. Einmal, weil gewisse Beweise fehlten und er auf keinen Fall einen gefährden konnte. Zum anderen aber fehlte ihm seine Schußwaffe. Er hatte auf sie verzichtet, als er die Dachgartenwohnung seines jungen Herrn verlassen hatte.

Was war zu tun?

Josuah Parker wußte sich selbstverständlich zu helfen. Er nahm seine stahlblechgefütterte schwarze Melone vom Haupt und schleuderte sie als eine Art Diskus dem Taxi nach.

Er traf zielsicher!

Die Melone landete auf dem Rückfenster des Taxi, zerschmetterte machtvoll die Scheibe und verschwand im Wageninnern. Das Taxi geriet aus dem Kurs, tat einen Schlenker und krachte dann mit dem Kühler gegen einen Hydranten, der freundlicherweise in unmittelbarer Nähe stand.

Es gab leider einen Auflauf in Form einer Gruppe neugieriger Passanten. Parker hielt es für unangebracht, diesmal zu sehr auf Würde zu halten. Er schritt schneller als gewöhnlich aus um möglichst schnell zum Taxi zu gelangen.

Als er sich seinen Weg durch die neugierige Menge gebahnt hatte, die von Sekunde zu Sekunde immer größer wurde, sah er auf den ersten Blick, daß die nette ältere Dame nicht mehr vorhanden war. Sie mußte es vorgezogen haben, das Weite zu suchen. Der Taxifahrer hingegen war noch zu sprechen, wenn auch nicht im Moment. Die Melone hatte ihn noch erwischt und ihn zeitweilig abtreten lassen. Der Fahrer lag ohnmächtig auf dem Steuerrad und wartete darauf, von der Polizei abgeholt zu werden ...

*

»Sie wollen mir doch nicht erklären, daß Sie rein zufällig in der Gegend waren?« Leutnant Madford von der Mordabteilung der Stadtpolizei Chikago sah den Butler mißtrauisch und cholerisch zugleich an. »Sagen Sie schon die Wahrheit, Parker, man hatte Ihnen irgendeinen Tip gegeben!«

»Ich muß bedauern«, erwiderte Parker zurückhaltend. Er stand höflich und würdevoll im Arbeitszimmer seines jungen Herrn und trug ein Silbertablett auf der rechten Hand. Er hatte Madford und dessen Sergeant McLean vor etwa zehn Minuten eingelassen und sie zu seinem jungen Herrn gebracht.

»Parker, verschweigen Sie nichts«, warf Rander unnötigerweise ein, »haben Sie wirklich nichts gewußt?«

»Ich möchte betonen, Sir, daß ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt habe. Darf ich jetzt die gewünschten Erfrischungen servieren?«

»Natürlich!« Rander wandte sich an Madford, der grimmig am übergroßen Fenster stand und hinaus auf den See sah, »Sie wissen doch, wie das mit Parker ist, Madford. Sie erleben das doch nicht zum erstenmal. Er braucht sich nur ein paar Zigarren zu kaufen, und schon lauft ihm irgendein Verbrechen nach …«

Madford drehte sich um und griff mürrisch nach dem Glas, das Parker ihm auf dem Silbertablett reichte. Sergeant McLean, der breitschultrige Mann, der stets an einen Grislybären erinnerte, hatte sich bereits bedient und strapazierte mit seinem Körpergewicht einen Ledersessel.

»Was haben Sie denn über diesen Taxifahrer herausbekommen?« Rander stellte die Frage, um Madford abzulenken, »irgendein Kunde von Ihnen?«

»McLean, sagen Sie schon, was wir wissen!« Madford klein, drahtig, cholerisch, mit einem messerscharfen Bärtchen auf der Oberlippe, vergaß für einen Moment den Butler.

McLean räusperte sich und brachte damit bereits die Statik der Fensterscheibe in leichte Unordnung. Dann griff er umständlich nach einem abgewetzten Notizbuch, blätterte, quälend suchend darin herum und las vor:

»Taxifahrer, etwa fünfundvierzig Jahre alt mittelgroß, vollschlank, etwa einhundertachtzig Pfund schwer, Lücke in der oberen Zahnreihe, und …«

»Mensch, fassen Sie sich kurz!« fuhr Madford seinen vertrauten Mitarbeiter an, »ich will hier keinen Roman hören.«

»... der hiesigen Polizei unbekannt, verweigert die Nennung seines Namens und jede weitere Aussage«, las McLean ungerührt weiter vor, »das bewußte Taxi war als gestohlen gemeldet und somit wiedergefunden worden.«

»Das ist alles«, sagte Madford und nahm endlich Platz. »Mehr haben wir bisher nicht herausfinden können, Rander, mehr als mager, ich weiß, aber was sollen wir machen?«

»Keine Ahnung.«

»Sie sind sicher, daß im Fond eine ältere Dame saß?« sagte Madford und beschäftigte sich wieder mit dem Butler.

»Dafür kann ich mich verbürgen, Sir! Sie kam aus dem Juweliergeschäft, das laut Ihrer Aussage teilweise ausgeräumt wurde!«

»Die besten Stücke ließ diese Frau mitgehen«, wiederholte Madford mit tragisch verschleierter Stimme, »sie kam in den Laden und hielt plötzlich eine Pistole in der Hand. Sie bat die Verkäuferin höflich, ihr die Tasche mit ausgesuchten Schmuckstücken zu füllen!«

»Und ließ laut Aussage der Miß Ann Harper als eine Art Geschenk ein paar gestickte Taschentücher zurück«, erklärte McLean mit neutraler Stimme. »Bei der Stickerei handelte es sich um Hohl ... Hohl ... um Hohlsaumstickerei, wie unser Labor feststellte!« McLean schien sich das Wort » Hohlsaumstickerei« nicht deutlich ins Notizbuch geschrieben zu haben. Er mußte dieses Wort einige Male studieren, bevor er es herausbrachte.

»Das alles sieht aber verdammt nach dem Weihnachtsmann aus«, stellte Mike Rander fest und sah Madford fragend an.

»Sie haben vergessen, daß dieser ›Weihnachtsmann‹ bisher ein Mann war«, sagte Madford ironisch.

»Dies, Sir, nimmt man bisher an«, korrigierte der Butler aus dem Hintergrund.

»Was soll das heißen? Sie wissen also doch mehr, Parker? Raus mit der Sprache, bevor ich unangenehm werde!«

»Ich habe mir nur erlaubt, Sir, einen gewissen Zweifel zu artikulieren«, antwortete Parker gemessen.

»Wieso Zweifel, glauben Sie, daß wir es bei diesem ›Weihnachtsmann‹ mit einer Frau zu tun haben?« Madford lachte gequält ironisch auf.

»Dies, Sir vermag ich wirklich nicht zu sagen! Man muß ab warten, in welchem Aufzug der ›Weihnachtsmann‹ sich in der Zukunft präsentieren wird!«

»Zuerst war der ›Weihnachtsmann‹ groß und schwer, dann klein und vollschlank und jetzt ist er eine nette, ältere Dame.« Madford lächelte abfällig-höhnisch. »Parker, diesmal sind Sie auf dem Holzweg. Ich will Ihnen mal etwas sagen. Wir haben es nicht mit einem, sondern jetzt schon mit drei Weihnachtsmännern zu tun! Das Beispiel macht Schule, wenn Sie es genau wissen wollen. Ich möchte nicht wissen, in welcher Aufmachung sich die nächsten Gauner zeigen werden.«

*

Für den Butler war der Tag beendet, nachdem sich Lieutenant Madford und Sergeant McLean verabschiedet hatten. Mike Rander bedurfte der stillen Aufmerksamkeiten seines Butlers nicht mehr und verabschiedete sich von ihm, worauf Josuah Parker hinüber in seine Privaträume des Penthouse ging.

Für ihn war es selbstverständlich noch viel zu früh, um zu Bett zu gehen. Parker sah sich also in seiner privaten Bastelstube um und gab sich seinem Hobby hin. Er erfand und bastelte kleine hin und wieder sogar liebenswürdige Überraschungen für die Unterwelt. Dabei achtete er strickt darauf, daß diese Bastelarbeiten stets en miniature angefertigt wurden. Für extreme Kompaktbauweise hatte der Butler schon immer etwas übrig gehabt.

Josuah Parker beschäftigte sich gerade mit einem vollkommen harmlos aussehenden Kugelschreiber, den er in eine Kleinstsprühdose verwandeln wollte, als das Telefon sich meldete, Parker hatte, um seinen Herrn nicht zu stören, das Gerät umgeschaltet und brauchte nur in den Verbindungstrakt zwischen den beiden Wohnteilen zu gehen. Er hob ab und meldete sich.

»Hier spricht der ›Weihnachtsmann‹«, meldete sich eine sehr undeutliche Stimme.

»Josuah Parker. Butler des Mister Rander«, stellte Parker sich seinerseits vor, ohne auch nur die Spur von Überraschung zu zeigen, »ich bin ehrlich erfreut, von Ihnen angerufen zu werden.«

»Ob das eine Freude ist, wird sich noch herausstellen«, sagte die sehr undeutliche Stimme, von der man nicht sagen konnte, ob sie einer Frau oder einem Mann gehörte. »Sie haben sich erfrecht meine Geschäfte zu stören. Dafür werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen.«

»Und in welcher Form, wenn ich höflichst fragen darf?«

»Ich werde Sie ermorden«, sagte der Weihnachtsmann sehr unchristlich, »ich werde Sie umbringen. Und zwar innerhalb der kommenden drei Tage.«

»Sehr freundlich, mir diese Frist zu nennen«, bedankte Parker sich gemessen, »ich muß gestehen, daß Sie mich ein wenig verlegen und stolz zugleich machen.«

»Wie?« Der Weihnachtsmann schien überrascht zu sein.

»Nun, ich möchte es so interpretieren«, schickte der Butler voraus, »Sie schenken einem müden, alten und relativ verbrauchten Mann einiges Interesse, wie ich unterstellen darf, daraus schließe ich daß Sie weitere Störungen durch meine Person befürchten. Daraus wiederum ist abzuleiten, daß Sie diesen alten, müden und relativ verbrauchten Mann in etwa fürchten!«

»Moment. Ich soll Sie fürchten?« Der Weihnachtsmann lachte meckernd auf, »das kann doch nur ein Witz sein, wie?«

»Ich kenne die Art und Weise Ihres Humors nicht«, redete der Butler würdevoll weiter, »ich weiß nur, daß Sie meine Wenigkeit umzubringen gedenken. Gewiß wohl nicht aus einer gewissen Langeweile heraus.«

»Ich bringe jeden um, der sich mir in den Weg stellt!«

»Nehmen Sie davon aber Ihren Psychiater aus, falls Sie sich von solch einem Spezialarzt beraten und betreuen lassen. Falls dies noch nicht der Fall ist, würde ich zu einigen Sitzungen raten.« Auf der Gegenseite blieb es jetzt still, obwohl nicht aufgelegt wurde. Der »Weihnachtsmann« verdaute wohl erst noch die Anzüglichkeiten, die der Butler allerdings sehr höflich verpackt hatte.

»Halten Sie mich für verrückt?« erkundigte der »Weihnachtsmann« sich schließlich. Die Stimme blieb nach wie vor verzerrt und undeutlich.

»Ich bedaure unendlich, aber ich fürchte, ich habe gewisse Anzeichen dafür festgestellt.«

»Diese Frechheit werden Sie bereuen, Parker!« Die undeutliche Stimme des »Weihnachtsmannes« wurde schrill.

»Innerhalb von drei Tagen, ich weiß!« Parker legte keinen weiteren Wert mehr auf diese Unterhaltung. Er legte einfach auf und blieb abwartend neben dem Telefon stehen. Er wußte fast mit letzter Sicherheit, daß der »Weihnachtsmann« sich erneut melden würde.

*

»Und er rief wieder an, Parker?« Mike Rander sah seinen Butler kopfschüttelnd an.

»In der Tat. Sir, nach genau viereinhalb Sekunden erfolgte der zweite Anruf dieses ›Weihnachtsmannes‹, wenn ich bei diesem Spitznamen bleiben darf, besagter ›Weihnachtsmann‹ schien immens erbost darüber gewesen zu sein, daß ich es wagte, einfach aufzulegen.«

»Und was sagte er?« Rander ließ sich von Parker in den Morgenmantel helfen.

»Besagter ›Weihnachtsmann‹, Sir, wiederholte seine Drohungen, allerdings mit gewissen Einschränkungen.«

»Aha.« Rander ließ sich von Parker Feuer geben und rauchte eine Zigarette an.

»Zur Strafe für mein vorzeitiges Auflegen, Sir, beabsichtigt der ›Weihnachtsmann‹, meine Wenigkeit bis zum Morgengrauen in das zu schicken, was er das Jenseits nannte.«

»Er will sie noch in dieser Nacht umbringen?«

»So drückte er sich aus, wenn auch wesentlich blumiger, wenn ich diese Umschreibung verwenden darf.«

»Sie nehmen diese Drohung auf die leichte Schulter?«

»Keineswegs, Sir. Leichtsinn bei der Verbrechensbekämpfung kann nur zu einem unnötigen, frühen Tod führen. Wenngleich ich bemerken möchte, daß dieses Penthouse einen ungewöhnlichen Schutz bietet, wie die Vergangenheit schon oft bewiesen hat.«

»Dieser ›Weihnachtsmann‹ scheint Phantasie zu haben, Parker. Verbrecher mit Phantasie sind gefährlich, sie lassen sich nämlich etwas einfallen. Ist der Dachgarten abgesichert?«

»Selbstverständlich, Sir! Die Fernsehübertragungsanlage ist eingeschaltet, die übrigen Sicherungen arbeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie besagter ›Weihnachtsmann‹ hier eindringen will.«

»Vielleicht hat er das überhaupt nicht vor.«

»Wie sollte er dann ...?« Parker neigte sich höflich vor, als sein junger Herr mit einer schnellen Handbewegung unterbrach.

»Wenn er Sie umbringen will, braucht er nicht hier einzudringen«, sagte Rander, »es würde genügen, das Penthouse in die Luft zu jagen. Sagen wir, von einem Hubschrauber aus.«

»Diese Möglichkeit besteht allerdings, Sir! Wenn Sie erlauben, werde ich in aller Kürze einige Gegenmaßnahmen ergreifen.«

»Einverstanden, aber verzichten Sie darauf Flugabwehrraketen zu installieren, Parker.« Rander lächelte amüsiert, »wir leben schließlich nicht allein in Chikago!«

*

»Ich weiß nicht. Ich weiß nicht!« Mike Rander schüttelte zweifelnd den Kopf, als er neben Parker Platz nahm, der daraufhin sein hochbeiniges Monstrum aus der Tiefgarage des Bürohochhauses hinauf zur Straße steuerte. »Wenn wir Pech haben, laufen wir diesem ›Weihnachtsmann‹ direkt in die Arme.

»Ich möchte es sehr hoffen, Sir!«

»Man könnte Leichtsinn dazu sagen, Parker.« Rander fingerte nach seinem 45er und sah etwas hinaus aus dem Wagen.

»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich widersprechen. Mir liegt daran, das Penthouse vor Ungemach zu bewahren. Und dies kann nur geschehen, wenn Sie und meine Wenigkeit es verlassen und hinaus in die freie Natur fahren.«

»Sie rechnen damit, daß der ›Weihnachtsmann‹ uns beobachten läßt?«

»Mit letzter Sicherheit, Sir, zumal ich während des zweiten Gespräches deutlich durchblicken ließ, daß ich den Inhalt beider Unterhaltungen der Presse zur Verfügung stellen würde.«

»Du lieber Himmel!« Rander hatte begriffen und seufzte auf.

»Ich möchte den ›Weihnachtsmann‹ dazu bringen, Sir, unvorsichtig zu werden.«

»Danke. Das ist mir jetzt klar.«

»Ich hoffe weiter, Sir, daß er sich nicht blamieren will.«

»Und ich hoffe, daß er nur Unsinn geredet hat!« Mike Rander fühlte sich nach wie vor unbehaglich. »Ob Sie es glauben oder nicht, Parker, ich hänge an meinem Leben!«

Parker konzentrierte sich auf den nächtlichen Verkehr in den Straßen des Loop. Er steuerte sein hochbeiniges Monstrum hinaus auf eine Ausfallstraße und war offensichtlich bestrebt, etwaige Verfolger und Mörder auf das flache Land zu ziehen.

Ob sie verfolgt wurden, ließ sich vorerst nicht ausmachen, dazu war der Verkehr noch zu groß. Erst später, als sie bereits auf der Ausfallstraße waren, wurde die Lage kritischer. Hatte sich dieser Ford dort an sie gehängt? Oder befanden sich in jenem Buick die erwarteten Verfolger? War der Chrysler auf sie angesetzt worden, oder der Chevrolet hinter dem großen Lastwagen?

»Nun sagen Sie doch endlich etwas?« meinte Rander endlich zu seinem Butler, »was sagt denn Ihr sechster Sinn?«

»Ich möchte mich nicht festlegen, Sir, doch ich glaube, daß Sie und meine Wenigkeit von einem Dodge verfolgt werden.«

»Dodge? Wo?«

»Jener Wagen, Sir, der zur Straßenmeisterei gehört. Er befindet sich in diesem Moment genau sechs Wagen hinter dem unsrigen!«

»Wo denn? Habe ich überhaupt nicht bemerkt.«

»Sie können versichert sein, Sir, daß ich mich nicht getäuscht habe. Der betreffende Wagen bleibt hartnäckig auf unserer Spur!«

»Angenommen, Sie haben recht. Wie soll es weitergehen?«

»Ich würde raten, bald von der Hauptstraße abzuzweigen, um dem Spiel ein vorläufiges Ende zu bereiten.«

»Wir stellen dem Dodge eine Falle?«

»Ähnliches schwebt mir in der Tat vor, Sir!«

»Dann lassen Sie mal schweben, Parker. Hauptsache, wir kommen heil zurück in die Stadt!«

»Dafür möchte ich in Grenzen eine gewisse Garantie übernehmen.«

»Hört sich aber nicht sehr ermutigend an!«

»Gewiß, Sir, zumal wir es mit einem Verbrecher zu tun haben, der über Phantasie verfügt.«

»Wie sieht Ihr Plan aus?«

»Mein Wagen verfügt seit einigen Tagen über das, was man einen Autopiloten nennt, Sir. Ähnliche Geräte werden bereits in der Fliegerei mit Erfolg eingesetzt!«

»Wie beruhigend!« Rander holte seine 45er aus der Halfter und entsicherte sie. »Und was soll dieser Autopilot tun, wenn ich mal so ganz nebenbei fragen darf?«

»Darf ich hoffen, Sir, Sie ein wenig überraschen zu können?«

»Ich bin davon überzeugt, daß Ihnen das wieder einmal gelingen wird!« Rander seufzte auf. Die Überraschungen seines Butlers waren ihm vertraut. Bisher war er noch immer voll auf seine Kosten gekommen.

*

Das hochbeinige Monstrum rollte in die Dunkelheit hinein. Die voll aufgedrehten Scheinwerfer bohrten sich in die Nacht und leuchteten die schmale Schotterstraße aus, auf der es sich bewegte.

Dieser Schotterweg führte auf eine Kiesgrube zu, die aber nur zu erahnen war. Im Licht einiger Hängelampen konnte man etwa zweihundert Meter voraus einige Hochsilos sehen, deren oberer Rand aus der tiefen Kiesgrube hervorragten. Gegen den Nachthimmel und den aufkommenden Mond hob sich das Gestänge eines Kiesbaggers ab.

Das Monstrum wurde langsamer, schien sich vorsichtig voranzutasten, obwohl die Scheinwerfer an Leuchtkraft nicht nachgelassen hatten. Bald darauf war die Rampe erreicht, die hinunter in die Kiesgrube führte. Das hochbeinige Monstrum schien einen Anlauf zu nehmen und war dann plötzlich von der Schotterstraße verschwunden. Es rollte hinunter in die Grube. Hier angekommen, blieb es plötzlich stehen. Das Licht wurde ausgeschaltet, der Motor erstarb. Stille breitete sich aus. Eine unheimliche, lastende Stille.

Diese Stille wurde unterbrochen von einem daherpreschenden Wagen, der ebenfalls in Richtung Kiesgrube fuhr und wenig später, erheblich schneller als das Monstrum, auf der Rampe nach unten verschwand.

Plötzlich zerriß die Dunkelheit im grellen Aufleuchten einer Leuchtbombe.

Kalkig-weißes Licht leuchtete die Kiesgrube bis in den letzten Winkel aus. Das hochbeinige Monstrum in der Nähe eines der Hochsilos, war leer. Von Mike Rander und Josuah Parker war im Moment nichts zu sehen.

Neben dem Dodge standen zwei mittelgroße Männer, die Strumpfmasken trugen und sich mit je einer schallgedämpften Maschinenpistole ausgerüstet hatten.

»Parker! Geben Sie auf!« dröhnte eine undeutliche und sehr verzerrte Stimme auf, die die Kiesgrube auszufüllen schien, »verstecken ist sinnlos! Jetzt werden Sie für Ihre Frechheit bezahlen!«

*

»Darf ich Ihnen ein wenig Kognak reichen?« fragte Parker leise und hielt eine ledergezogene Hüftflasche in der Hand, aus der er einen kleinen Zinnbecher füllte, »ich hoffe, daß Sie die Temperatur erträglich finden.«

»Ich schwitze vor Nervosität. Meine Temperatur steigt auf Siedehitze«, flüsterte Rander.

»Ich spielte, wenn ich darauf aufmerksam machen darf, auf die Temperatur des Kognaks an«, erklärte der Butler steif .und füllte den kleinen Zinnbecher. Er befand sich mit seinem jungen Herrn inmitten dichten Gebüschs und war vom Rand der Kiesgrube gut und gern zweihundert Meter entfernt.

Rander und Parker hatten das hochbeinige Monstrum weit vor der Kiesgrube verlassen. Der Wagen war von Parker mittels Kurzwelle und Autopilot weitergesteuert und in die Kiesgrube gelenkt worden.

»Ah ... das tut gut!« sagte Rander, der den Kognak getrunken hatte.

»Und die Temperatur, Sir? Ich fürchte, sie war ein wenig zu niedrig!«

»Mensch, Parker. Ihre Sorgen möchte ich haben!« Rander hörte die erneute Aufforderung der verzerrten Stimme, Parker möge sich schleunigst seiner Ermordung stellen.

»Eine Zumutung, Sir, die ich nur als vollkommen naiv bezeichnen kann«, tadelte Parker den »Weihnachtsmann«, der sich in der Kiesgrube befinden mußte.

»Wollen wir hier anwachsen?« empörte sich Rander, »wir sollten etwas tun, Parker! Der ›Weihnachtsmann‹ sitzt in der Falle, wenn Sie mich fragen!«

»Dies wage ich zu bezweifeln, Sir!« »Wir haben ihn doch gerade wieder gehört.«

»Es könnte sich um eine akustische Täuschung gehandelt haben, Sir. Zudem geschieht mit einiger Sicherheit etwas, sobald Sie und meine bescheidene Wenigkeit nicht reagieren.«

»Sind Sie Hellseher, Parker?« Der junge Anwalt wirkte unruhig und nervös wie ein Rennpferd vor dem Start.

»Keineswegs bin ich das, Sir, was man einen Hellseher nennt, dafür ist mir allerdings bekannt, daß mein Privatgefährt besonders präpariert ist. Ich möchte hoffen. Sir, daß es seine Schuldigkeit tun wird!«

*

Die beiden Strumpfmasken schienen sich in ihrer Haut nicht sonderlich wohl zu fühlen. Sie begnügten sich mit einer oberflächlichen Kontrolle der Silos, trauten sich aber an den riesigen Kiesbagger kaum heran. Sie strahlten die Kiesgrube noch dreimal mit Leuchtbomben aus, aber die nähere Umgebung ihres Dodge verließen sie nicht.

Endlich kamen sie auf die Idee, sich das hochbeinige Monstrum des Butlers aus der Nähe anzusehen. Unter Wahrung aller Vorsicht und mit jetzt eingeschalteten starken Taschenlampen pirschten sie sich an den Wagen heran.

Die beiden Männer verständigten sich mit Handzeichen. Sie nahmen Parkers Privatfahrzeug quasi in die Zange und rechneten jeden Moment mit peinlichen Überraschungen. Erst als sie sich versichert hatten, daß der Wagen leer war, wollten sie sich mit dem Wageninnern befassen»

Die erste Strumpfmaske griff nach dem soliden Türgriff und wollte die Wagentür öffnen. Im selben Moment stieß die Strumpfmaske einen leisen Schrei der Überraschung aus, dem ein mittelschwerer Fluch folgte.

Die zweite Strumpfmaske versuchte es mit der hinteren Fondtür. Auch hier folgte nach dem Griff zur Klinke ein leiser Aufschrei, dem ein etwas ausgesuchterer Fluch folgte.

Die erste Strumpfmaske wirkte jetzt leicht unkonzentriert, sie schien Bruchteile von Sekunden später von einer lähmenden Müdigkeit erfaßt worden zu sein, ging in die Knie und machte es sich dann auf dem Boden bequem.

Die zweite Strumpfmaske reagierte wesentlich differenzierter. Sie wurde zwar auch überraschend und schnell müde, aber sie wollte unbedingt zurück zum Dodge. Sie schaffte zwei, drei Schritte, torkelte dann ein wenig und schraubte sich dann in den weichen Sand. Die Beine zappelten und strampelten und warfen den lockeren Sand hoch. Sekunden später gab es aber auch hier eine lähmende Müdigkeit, die in einen erquickenden Tiefschlaf überleitete ...

*

Mike Rander und Josuah Parker erreichten den Dodge, der bis auf ein Tonbandgerät und einen Lautsprecher, der ans halb geöffnete, vordere linke Wagenfenster angeklemmt war, sich als leer erwies.

»Dort!« Rander wies auf die beiden Strumpfmasken, die tief und fest schliefen. »Zwei Weihnachtsmänner!«

»Dies wage ich zu bezweifeln, Sir! Es wird sich um Handlanger dieses Herrn handeln!«

Mike Rander blieb vorsichtig, als er sich den beiden Strumpfmasken näherte. Der 45er lag schußbereit in seiner Hand. So ganz traute er dem Frieden nicht.

Josuah Parker folgte seinem jungen Herrn. Er bewegte sich gemessen, würdevoll und mit einer Sicherheit, als sei bereits alles überstanden. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms tippte er leicht gegen die beiden Körper, die schlaff und regungslos blieben.

Rander sicherte, während Josuah Parker die beiden Strumpfmasken von den Gesichtern der schlafenden Männer entfernte. Mit seiner Kugelschreiber-Taschenlampe leuchte er in die Gesichter. Er war nicht sonderlich überrascht, als er zwei kantige, roh-brutale Gesichter ausmachte, die sich in einem Gangsterfilm sehr gut bewährt hätten.

»Nun sagen Sie mir bloß, wie Sie das wieder geschafft haben!« Rander war zurückgekommen und lächelte anerkennend. »Ihre Trickkiste scheint unerschöpflich zu sein, Parker.«

»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich Ihnen dies gern erläutern!« Parker interessierte sich für den Tascheninhalt der beiden Opfer und achtete dummerweise nicht darauf, was sein junger Herr tat, als er hinüber zum hochbeinigen Monstrum ging und nach der vorderen, linken Türklinke griff.

»Da bin ich aber gespannt«, gab Rander lächelnd zurück, um im gleichen Moment überrascht zurückzuzucken und dabei äußerst diskret fluchte.

»Ich fürchte, Sir, Sie haben in diesem Moment bereits selbst die Erklärung gefunden, die ich zu geben gewillt war«, sagte Josuah Parker, der peinlich betroffen war, zumal sein junger Herr sich ohne jede Umschweife im Sand ausstreckte, um ebenfalls einen kurzen Tiefschlaf anzutreten.

Parker beeilte sich, die vier Wagenklinken von ihrem stacheligen Überzug zu befreien, da diese spitzen Stacheln immerhin mit einem Indianerpräparat versehen waren, das den bereits erwähnten Tiefschlaf garantierte.

*

Parker war zwar peinlich berührt, daß es seinen jungen Herrn erwischt hatte, er machte sich gewisse Vorwürfe, verlor darüber aber keine wertvolle Zeit. Sein Gefühl sagte ihm, daß die Gefahr noch nicht überstanden war.

Er lud sich seinen jungen Herrn auf die Schulter und trug ihn vom Wagen weg. In unmittelbarer Nähe des Kiesbaggers bettete er ihn weich in den Sand und wartete der Dinge, die da seiner bescheidenen Ansicht nach kommen mußten.

Er sollte sich nicht getäuscht haben.

Wenige Minuten nach dem Weggang vom Wagen erschien auf der Rampe zur Kiesgrube ein zweites Verfolgerauto. Dieser Wagen – es handelte sich um einen kleinen Chevrolet-Laster – preschte förmlich nach unten in die Kiesgrube und hielt mit quietschenden Bremsen neben dem Dodge. Im Licht der wenigen Hängelampen waren zwei weitere Männer zu sehen, die förmlich aus diesem Kleinlaster herausfielen und sich blitzschnell im Gelände verteilten.

Die Jagd konnte beginnen.

Butler Parker 168 – Kriminalroman

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