Читать книгу Butler Parker 119 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3
Оглавление»Das ist doch niemals eine Straße, Mr. Parker«, stellte Lady Simpson mißbilligend fest. »Das ist ein Kanal!«
»Diesem Eindruck kann man sich in der Tat kaum verschließen, Mylady«, gab Josuah Parker gemessen zurück. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und lenkte das Gefährt vorsichtig durch Schlaglöcher und Pfützen.
»Sie haben sich verfahren, Mr. Parker.« Lady Simpson schob ihren Kopf prüfend an die Wagenscheibe und versuchte etwas zu erkennen. Doch das war einfach unmöglich. Riesige Wassermassen ergossen sich vom nächtlichen Himmel. Die Scheibenwischer auf der Frontscheibe hatten Mühe, Parker etwas Sicht zu verschaffen. Ein schlimmeres Unwetter hätte man sich kaum vorstellen können.
Myladys Anspielung auf einen Kanal, in dem man sich laut ihrer Behauptung befand, war nicht von der Hand zu weisen. Zu beiden Seiten der schmalen Straße stiegen Böschungen steil an. Gelbbraunes Schmutzwasser ergoß sich in Strömen über den Weg. Falls ein Ruderboot erschienen wäre, hätte Butler Parker sich kaum gewundert.
»Sie haben sich verfahren«, wiederholte die Lady eigensinnig.
»Mitnichten, Mylady, wenn ich widersprechen darf.« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Das Zusammenleben mit Lady Agatha Simpson hatte seinen an sich schon starken Nerven den letzten Schliff gegeben. »Diese unangenehme Passage dürfte bald überwunden sein.«
»Wir werden noch ertrinken«, unkte Lady Simpson weiter und wandte sich dann ihrer Begleiterin zu. »Warum sagen Sie nichts, Kindchen? Ist es Ihnen vollkommen gleichgültig, wie wir enden werden?«
Kathy Porter lächelte nur.
Sie war schon seit Jahren Myladys Sekretärin und Gesellschafterin. Die langbeinige, junge Frau, äußerst attraktiv anzusehen, wußte nur zu gut, wie temperamentvoll die ältere Dame war. Lady Simpson war ungemein aktiv und eigentlich nie zu bremsen. Kathy Porter wußte, daß Mylady diese Ausfahrt im Grunde genoß. Eine glatte Fahrt bei strahlender Sonne hätte sie bestimmt nur gelangweilt.
»Da ist ja ein Schild«, stellte Kathy Porter fest. Sie hatte ihren Satz noch nicht beendet, als Josuah Parker seinen hochbeinigen Wagen anhielt. Er konnte trotz der voll eingeschalteten Scheinwerfer die Aufschrift auf dem Wegweiser nicht erkennen. Die drei Richtungsschilder waren verwittert und verwaschen. Parker griff nach seiner Taschenlampe, schaltete sie ein und beleuchtete damit das Wegekreuz.
»Nach rechts«, ließ Lady Agatha sich energisch vernehmen. »Wolverton House liegt rechts, Mister Parker.«
»Nach meinen bescheidenen Informationen, Mylady, die ich vor Antritt der Fahrt aus einer Straßenkarte schöpfte, muß es nach links gehen.«
»Papperlapapp, Mister Parker. Können Sie denn nicht lesen? Es geht nach rechts weiter.«
»Mylady dürfen versichert sein, daß ich nur ungern zu widersprechen wage, aber...«
»Bringen Sie meinen Kreislauf nicht in Unordnung«, grollte Lady Simpson. »Es geht nach rechts weiter.«
»Wie Mylady befehlen.« Parker schaltete seine Taschenlampe aus, befestigte sie wieder in der Halterung am Armaturenbrett und ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen. Er fuhr also nach rechts weiter, obwohl er nach wie vor anderer Meinung war.
In Anbetracht der späten Stunde wollte er sich auf keine weitere Diskussion einlassen. Er schloß zudem auch nicht aus, daß er sich vielleicht doch getäuscht haben könnte. Behutsam ließ er den Wagen über die schmale Straße rollen, die jetzt ein wenig anstieg. Sie wurde erfreulicherweise auch erheblich besser. Die Anzahl der tiefen Schlaglöcher und Wasserlachen verminderte sich zusehends.
»Warum kriechen Sie wie eine Schnecke?« beschwerte sich Lady Simpson wieder. »Soll ich Sie ablösen, Mister Parker? Sie scheinen sich ein wenig übernommen zu haben.«
»Auf keinen Fall, Mylady!« Parkers Stimme bekam einen panischen Unterton. Er kannte die Fahrkünste Lady Simpsons nur zu gut. Saß sie am Steuer eines Gefährts, gleich welcher Bauart, verwandelte sie sich augenblicklich in eine Todesfahrerin. Myladys Verhältnis zur Technik war mehr als unbefangen. Sie konnte sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, daß selbst die perfekteste Technik nicht fehlerlos war. Hinzu kam dann leider noch eine erhebliche Selbstüberschätzung. Im Gegensatz zu ihrer Umwelt hielt Lady Agatha sich selbst für eine gute Fahrerin.
Um Lady Simpson vom Steuer fernzuhalten, steigerte der Butler die Geschwindigkeit, obwohl gerade in diesen Sekunden der Regen noch dichter wurde. Er verschluckte das Licht der voll eingeschalteten Scheinwerfer und gaukelte Parker eine wahre Wand aus Wasser vor.
Er näherte sich mit dem hochbeinigen Monstrum einer Biegung, die um einen Hügel herumführte. Parker bremste ab, schaltete herunter und ließ den Wagen um die Biegung rutschen. Vor ihm lag jetzt eine Gerade. Um sie auszuleuchten, schaltete der Butler den Spezialsuchscheinwerfer ein. Der grelle Lichtfinger fraß sich durch die vom Himmel stürzenden Wassermassen und erfaßte plötzlich die Rückseite eines Lastwagens, auf dessen Ladefläche ein Öltank befestigt war.
Der Lastwagen am Ende der Geraden bot ein Hindernis, das völlig unpassierbar war. Die Breite des Lasters füllte die schmale Straße vollständig aus.
»Eine Unverschämtheit«, ließ Lady Simpson sich vernehmen. »Der Wagen hat noch nicht einmal die Rücklichter eingeschaltet.«
»Und kommt direkt auf uns zu.« Kathy Porters Stimme verriet Überraschung und Bestürzung.
Parker hatte seinen Wagen bereits angehalten und musterte mißtrauisch den Lastwagen, der sich tatsächlich in Bewegung gesetzt hatte. Immer schneller werdend, rollte er auf sie zu. Es wurde höchste Zeit, etwas zu unternehmen.
Parker reagierte mit der Präzision eines programmierten Roboters. Und das war gut so, denn es ging um Sekunden, wenn er und seine Mitreisenden von dem Laster nicht zermalmt oder von der Straße gefegt werden wollten. Der Butler legte den Rückwärtsgang ein, gab Vollgas und zuckte mit keiner Wimper, als genau in diesem Augenblick vom Laster aus eine gleißend helle Feuerzunge blitzschnell auf das Monstrum zujagte.
*
Josuah Parker war ein Meisterfahrer.
Er hatte sich halb umgewendet und steuerte sein hochbeiniges Monstrum in einem wahnwitzigen Tempo zurück zur Biegung. Falls er es schaffte, sie zu erreichen, war die erste Gefahr gebannt.
Die Feuerzunge erwies sich als ungeheuer schnell. Sie holte auf und ließ selbst Lady Simpson vor Erregung keuchen. Kathy Porter hatte sich vorgebeugt und fixierte die Feuerschlange. Dann drehte sie ihren Kopf zurück und versuchte herauszubekommen, wie weit es noch bis zur Biegung war.
Kathy war entsetzt.
Von der Straße war kaum etwas zu sehen und von der Biegung gar nichts mehr. Es war Kathy ein Rätsel, wieso Parker sich mit dem Wagen überhaupt noch auf dem richtigen Weg befand und woher er wußte, welchen Kurs er zu steuern hatte.
»Wir werden es nicht schaffen«, erklärte Lady Simpson mit sichtlich belegter Stimme.
»Mylady erlauben, daß ich mir die Kühnheit nehme zu widersprechen«, antwortete Parker höflich und mit einer Stimme, die eiserne Selbstbeherrschung verriet. Im gleichen Moment riß er das Steuer herum, fing den wegrutschenden Wagen ab und brachte ihn wieder auf festen Untergrund.
Natürlich war Parker vollkommen klar, daß ihre Chancen nicht besonders groß waren. Er konnte tatsächlich nicht mehr viel sehen. Die beiden Rückscheinwerfer lieferten nicht ausreichend Licht. Und die breite Feuerschlange, die so ungewöhnlich grell war, raste immer näher auf sie zu. Da Parker beschäftigt war, konnte er sich nicht weiter um den Lastwagen kümmern.
Parker trat mit aller Kraft auf das Bremspedal, doch diesmal verzichtete Lady Agatha auf jeden Kommentar. Sie beobachtete nur die Feuerwalze, zu der die gleißend-helle Schlange jetzt geworden war. Sie befand sich ihrer Schätzung nach nur noch knapp zehn Meter vor dem Kühler des Monstrums. Nein, sie würden es nicht mehr schaffen. Insgeheim bedauerte Lady Simpson, so hartnäckig auf diesem Weg bestanden zu haben. Er hatte direkt in die Katastrophe geführt, wie sich jetzt zu beweisen schien.
Parker ließ durch Gegenlenken den Wagen herumdriften, gab wieder Vollgas und hielt dann an.
»Sind Sie wahnsinnig, Mister Parker?« Lady Simpsons Stimme war inzwischen nicht mehr belegt, sondern schon heiser. »Warum halten Sie an?«
»Die Gefahr, Mylady, dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach gebannt sein.« Parker deutete mit seiner rechten Hand fast lässig auf die Feuerwand, die jetzt die Biegung erreicht hatte, doch die Kurve nicht nehmen konnte. Sie stürzte lotrecht weiter und hüpfte dann über den Steilhang weiter nach unten.
»Puh«, stieß Kathy Porter hervor und holte tief Luft. »Das war sehr knapp.«
»Nun übertreiben Sie mal nicht, Kindchen«, sagte Lady Simpson. »Ich wäre vielleicht noch etwas schneller gewesen.«
»Gewiß, Lady Simpson«, antwortete Kathy Porter und lächelte bereits wieder. So war sie nun einmal, Lady Agatha Simpson. Sie wußte alles besser und mußte kritisieren. Wahrscheinlich waren solche Behauptungen nur eine Art Ventil, um »inneren Dampf« abzulassen.
»Der Lastwagen, Mylady«, meldete der Butler gemessen. Lady Simpson und Kathy Porter beugten sich vor und beobachteten den Wagen, dessen aufgeschraubter Kastentank lichterloh brannte.
Diese riesige Fackel hatte die Biegung erreicht und schoß mit großer Fahrt über den Straßenrand hinweg nach unten auf den Steilhang. Sekunden später war eine Detonation zu hören.
*
»Wenn Mylady gestatten, möchte ich dem abgestürzten Tankwagen meine bescheidene Aufmerksamkeit widmen.«
»Aber beeilen Sie sich«, verlangte Lady Agatha. »Ich möchte endlich meinen Tee nehmen.«
»Damit kann ich selbstverständlich dienen, Mylady.«
Der Butler griff nach einem Bastkorb, der neben ihm im Wagen stand, öffnete den Deckel und holte eine Thermosflasche hervor. Da er den äußerst schwachen Kreislauf Lady Simpsons kannte, hatte er für jede Fahrt sicherheitshalber einen französischen Cognac mitgenommen.
»Das mache ich schon, Mister Parker«, schaltete Kathy Porter sich ein, als Parker den Cognac servieren wollte.
»Laufen Sie nicht in die nächste Falle, Mister Parker«, warnte die Lady, als Parker den Wagen verlassen wollte.
»Eine Falle, Mylady?« Parker sah Lady Agatha ernst und gemessen an.
»Haben Sie das noch nicht herausgefunden?« wunderte sich Lady Simpson. »Das wundert mich aber doch sehr, Mister Parker.«
»Mylady haben Tatbestände entdeckt, die diese Annahme rechtfertigen?«
»Mein gesunder Menschenverstand«, sagte die Lady energisch. »Es kann doch kein Zufall gewesen sein, daß der Lastwagen ausgerechnet dort oben auf der Geraden stand, oder?«
»Über diesen Punkt werde ich ein wenig nachdenken«, versprach der Butler. Er griff nach seinem Universal-Regenschirm und öffnete ihn. Es war erstaunlich, daß dieses Gerät tatsächlich auch gegen Regen schützte. Normalerweise war dieser Schirm nichts anderes als ein geschickt getarntes Schießgerät, mit dem der Butler Blasrohrpfeile durch die Lüfte schicken konnte.
Er rückte seine schwarze Melone zurecht und schloß dann die Wagentür hinter sich. Der Wind griff sofort nach seinem Covercoat, den er trug. Regen peitschte auf den Schirm. Der Butler stemmte sich gegen den Sturm und ging dann gemessen zur Biegung.
Der Lastwagen brannte noch, obwohl der Regen in Sturzbächen vom Himmel rauschte. Er lag gut und gern fünfzig bis sechzig Meter unten auf dem Steilhang. Im Feuerschein war nicht zu erkennen, ob dort unten menschliches Leben war. Parker mußte also notgedrungen absteigen und sah sich nach einem geeigneten Weg um.
Er fand eine Art Pfad, nur wenige Fuß breit, der in steilen Serpentinen nach unten führte. Der Butler stieg ab und ließ sich dabei Lady Simpsons Behauptung durch den Kopf gehen. Sollte es sich wirklich um eine Falle gehandelt haben? Hatte man Lady Simpson, Kathy Porter und ihn vielleicht umbringen wollen? Falls dem so war, mußte diese Falle von langer Hand vorbereitet worden sein. Der Aufwand war beträchtlich gewesen und ließ auf gute Organisation schließen. Laien konnten so etwas wohl kaum inszeniert haben.
Nun, zur Zeit standen Lady Simpson, Kathy Porter und er nicht im Mittelpunkt irgendeines Gangsterrings. Das Trio arbeitete an keinem Fall. Man befand sich auf dem Weg nach Wolverton House, um einer Verwandten Myladys einen Besuch abzustatten.
Lady Dorothy Wolverton hatte sehr dringend um diesen Besuch gebeten und dazu das richtige Stichwort geliefert. Sie hatte Lady Simpson gegenüber von einem geheimnisvollen Spuk gesprochen und damit natürlich sofort eine Zusage ausgelöst. Für Geister und Spuk war Lady Simpson immer zu haben. Sie ließ sich keine Gelegenheit entgehen, Gespenstern auf den Zahn zu fühlen.
Die beiden Damen waren miteinander verwandt. Lady Dorothy Wolverton war die Schwägerin Lady Agathas, inzwischen auch längst verwitwet und ebenfalls nicht gerade unvermögend. Lady Agatha und Lady Dorothy Wolverton waren sich nicht gerade in überströmender Herzlichkeit zugetan. Normalerweise hätte Lady Agatha eine Einladung abgelehnt, doch wie gesagt, der Hinweis auf einen Spuk hatte sie geradezu belebt und ihre Aversion gegen Lady Wolverton vergessen lassen.
Parker hatte inzwischen die eigentliche Unfallstelle erreicht. Der Tankaufsatz des Lastwagens war auseinandergeborsten. Der Inhalt – es schien sich um Heizöl zu handeln – brannte lichterloh und schlug eine‘ Zone, die wegen der Hitze einfach nicht zu durchbrechen war. Die Tankflüssigkeit war ausgelaufen, breitete sich immer weiter aus und bildete überall kleine Tochterbrände, gegen die selbst der Regen nicht ankam.
Nein, hier war nichts mehr zu machen. Wer immer sich im Lastwagen befunden haben mußte, der konnte einfach nicht mehr leben, es sei denn, er war im letzten Moment aus dem Wagen geschleudert worden.
Parker rechnete mit solch einer Möglichkeit und suchte erst die nähere, dann die weitere Umgebung der Brandstelle ab. Vom Fahrer des Lastwagens war weit und breit nichts zu sehen. Er befand sich entweder im fast weißglühenden Lastwagen, oder es war ihm sogar gelungen, noch rechtzeitig auszusteigen.
*
Lady Agatha Simpson hatte auf ihren Tee verzichtet, dafür aber einen doppelten Cognac zu sich genommen. Nachdem ihr Kreislauf auf diese Art und Weise wieder auf Touren gebracht worden war, sah sie ihre Gesellschafterin wieder einmal mißbilligend an.
»Spüren Sie denn nichts, Kindchen?« fragte sie Kathy Porter.
»Was denn, Lady Simpson?« wollte Kathy wissen.
»Da braut sich wieder was zusammen«, behauptete Lady Agatha kriegerisch. »Ich spür’s in den Fingerspitzen. Irgend etwas tut sich da draußen im Regen.«
»Sie rechnen mit einem zweiten Lastwagen, Mylady?«
»Seien Sie nicht albern, Kindchen. Aber es gefällt mir einfach nicht, daß wir hier im Wagen herumsitzen. Besser könnten wir uns doch gar nicht anbieten.«
»Das Wetter draußen ist grauenhaft, Mylady.«
»Der Tod ist aber noch grauenhafter, Kindchen.« Lady Simpson nickte nachdrücklich und griff dann nach ihrem Südwester. »Wir werden sofort den Wagen verlassen. Werfen Sie sich was über.«
»Mylady, Sie werden sich erkälten.«
»Papperlapapp, Kindchen. Mich wirft so leicht nichts um. Kommen Sie, oder wollen Sie als Zielscheibe dienen?«
»Die Wagenfenster bestehen aus schußsicherem Glas, Mylady.«
»Müssen Sie immer widersprechen?« Lady Simpson kümmerte sich nicht weiter um ihre Sekretärin. Sie band sich den Südwester unter dem faltenreichen Kinn fest zusammen und erinnerte jetzt an den energischen Kapitän eines Dreimastschoners, der sich anschickt, Kap Horn zu umsegeln. Sie griff nach ihrem weiten, wallenden Umhang, drückte die Wagentür auf und stieg beherzt ins Freie.
Kathy Porter mußte notgedrungen folgen. Eine Lady Agatha Simpson ließ man tunlichst nicht allein. Selbst hier draußen im Unwetter fand sie bestimmt eine Möglichkeit, eine mittelmäßige bis große Dummheit zu begehen. Ihre Energien brauchten einfach ein Betätigungsfeld. Kathy streifte sich ebenfalls ihren Südwester über und band sich ein Tuch um den Kopf.
»Mir nach, Kindchen!« Lady Simpson marschierte bereits los, doch zu Kathys Überraschung nicht in Richtung Feuerschein, der inzwischen etwas schwächer geworden war. Lady Agatha hielt auf die Biegung zu, stieg dann in den Straßengraben und arbeitete sich erstaunlich rüstig und kraftvoll die Böschung hinauf. Hinter einem mannshohen Wacholderstrauch, der vom Sturm gepeitscht wurde, ging sie in Deckung.
»Gleich wird sich hier was tun«, flüsterte sie Kathy ins Ohr, mit einer Lautstärke, die recht beachtlich war. Lady Simpson schwenkte unternehmungslustig ihren perlenbestickten Pompadour, der ihren Glücksbringer enthielt, nämlich ein echtes Hufeisen, das nur recht oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war.
Kathy konnte sich wirklich nicht vorstellen, was sich hier noch tun sollte, doch sie nahm die Gelegenheit wahr, sich vor dem Sturm zu schützen. Sie baute sich dicht neben Lady Simpson auf, die sich vom Unwetter überhaupt nicht beeindrucken ließ. Ihr schien dieses Intermezzo außerordentlich zu gefallen.
Kathy Porter wunderte sich wieder einmal über den Sportsgeist und die Form der älteren Dame, die ihr Alter stets vage mit annähernd sechzig angab. Lady Agatha Simpson war eine immens vermögende Frau, die sich jede Extravaganz leisten konnte und dies auch genußvoll tat.
Mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, hätte sie sich ein luxuriöses und bequemes Leben leisten können. Aber nein, Lady Simpson gab sich voll und ganz ihrer Leidenschaft als Amateurdetektivin hin und jagte Gangster aller Kaliber. Seitdem Josuah Parker in ihren Diensten stand, war Lady Agatha ungemein erfolgreich geworden.
Sie betrachtete all diese gelösten Fälle als Studien für einen großen Kriminalroman, den sie eines Tages schreiben wollte. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Sie träumte von einem Bestseller und neuerdings auch noch von einem Bühnenstück.
Natürlich hatte sie sich jetzt wieder etwas eingeredet. Kathy Porter glaubte nicht einen Moment lang daran, daß sich dort unten an Parkers hochbeinigem Monstrum etwas tat. Wer sollte das sein? Wer wußte denn überhaupt von dieser Ausfahrt nach Südwales? Eines war sicher, während der ganzen Fahrt waren sie nicht beschattet und verfolgt worden. Der Zwischenfall mit dem Lastwagen konnte nur ein unglücklicher Zufall gewesen sein.
Kathy fuhr aus ihren Gedanken hoch, als Lady Simpsons Ellbogen ihr einen derben Knuff in die Seite versetzte. Sie deutete mit majestätischer Geste auf die Böschung.
Nicht weit von ihnen erkannte Kathy Porter nun tatsächlich zwei dunkle Schatten, die sehr vorsichtig auf den Wagen zuhielten. Der Widerschein des brennenden Lastwagens lieferte ausreichend Licht, um deutlich zu erkennen, daß diese beiden Gestalten nicht gekommen waren, um den Insassen des Wagens ihre Hilfe anzubieten.
Die beiden Gestalten rutschten die Böschung hinunter, durchschritten den Graben und näherten sich jetzt langsam dem Wagen. Ihre Gesichter waren leider nicht zu erkennen, weil sie geschwärzt waren.
Jetzt wurde Lady Simpson aktiv.
Sie hatte sich bereits gebückt und wog einen ansehnlichen Stein in ihrer rechten Hand. Dann holte sie weit aus und schleuderte das Wurfgeschoß auf die beiden Gestalten.
»Treffer!« stellte sie zufrieden fest. Sie übertrieb dabei keineswegs. Kathy erkannte recht deutlich, daß eine der beiden Gestalten plötzlich stehenblieb und dann in die Knie sackte. Die zweite Gestalt drehte sich um, starrte in die Dunkelheit, bückte sich und langte nach dem Getroffenen.
»Gibt’s denn hier nicht mehr Steine?« schimpfte Lady Agatha. Sie hatte sich gebückt und suchte nach einem weiteren Wurfgeschoß. Als sie ein geeignetes gefunden hatte, schleifte die Gestalt den Getroffenen gerade hinter Parkers Wagen.
»Sie bleiben hier, Kindchen!« Lady Simpson schüttelte grimmig den Kopf, als Kathy Porter sich in Bewegung setzen wollte. Kathy, äußerlich zwar mit einem scheuen Reh zu verwechseln, war aber in Wirklichkeit eine erfahrene Einzelkämpferin, die sich in Judo und Karate sehr gut auskannte.
»Ich könnte sie noch erwischen«, gab Kathy zurück.
»Und Sie könnten getroffen werden, Kindchen!« Nein, Lady Simpson war dagegen, daß Kathy sich in Gefahr begab. Sie wußte zu genau, wie weit man in bestimmten Situationen gehen durfte.
*
»Endlich, meine Liebe. Ich bin ja so glücklich.«
Lady Dorothy Wolverton war eine schmale, zerbrechlich wirkende Frau von etwa achtundfünfzig Jahren. Sie machte einen nervösen und gehetzten Eindruck, der sich in ihren großen, ausdrucksvollen Augen deutlich widerspiegelte.
Sie empfing ihre Gäste in der großen Halle von Wolverton House, einem weiträumig angelegten, zweistöckigen Prachtbau, der mit Erkern und Spitztürmen förmlich übersät war.
Wolverton House war eine altehrwürdige Schloßanlage, die man im Laufe der Zeit immer wieder erweitert hatte. Das riesige Gebäude lag inmitten eines großen Parks, wie man ihn sich nur erträumen konnte. Selbst bei Mondlicht war der Reiz dieser Anlage einfach überwältigend.
Das schreckliche Unwetter hatte inzwischen merklich nachgelassen. Selbst der Mond traute sich jetzt hinter den Wolken etwas hervor. Es regnete nur noch sanft.
»Du scheinst mit den Nerven ziemlich herunterzusein«, stellte Lady Simpson fest und musterte ihre Schwägerin ungeniert. Die beiden Damen hatten sich nur selten gesehen, weil sie sich nicht ausstehen konnten, daher konnte auch von besonderer Herzlichkeit keine Rede sein.
»Du weißt ja nicht, Agatha, was ich hier mitmache«, seufzte Lady Dorothy auf. »Aber davon später mehr. Ihr habt euch verspätet, nicht wahr?«
»Um ein Haar wären wir überhaupt nicht mehr angekommen.« Lady Simpson nickte grimmig.
»Wieso, was ist denn passiert?«
»Man wollte uns umbringen«, stellte Lady Agatha fest. »Nur durch meine Geistesgegenwart sind wir noch einmal davongekommen.«
»Schrecklich, Agatha. Bist du dir auch völlig sicher?« Lady Dorothy war sichtlich irritiert.
»Und ob ich sicher bin, meine Liebste. Diesen Subjekten werde ich schon noch den Marsch blasen. Wo sind meine Räume?«
»Ich habe für dich im Ostflügel eine Suite herrichten lassen. Dein Personal wohnt im Küchenanbau.«
Lady Dorothy musterte Butler Parker und Kathy Porter mit einem flüchtigen, neutralen Blick. Zu Angestellten schien die Dame des Hauses Distanz zu halten.
»Du irrst dich, meine Liebe.« Lady Simpson schüttelte den Kopf. »Miß Porter wohnt bei mir. Und Mister Parker hätte ich ebenfalls gern in meiner Nähe.«
»Für das Personal gibt es aber recht nette Zimmer, meine Liebe.« Lady Dorothy sah ihre Schwägerin sehr erstaunt an.
»Vielen Dank, Mylady.« Parker deutete Lady Wolverton gegenüber eine Verbeugung an, um dann Lady Agatha mit einem kurzen Blick zu streifen. Sie verstand sofort. Parker wollte im Ostflügel einquartiert werden, um in der Nähe des Personals zu sein.
»James wird Ihnen Ihre Zimmer zeigen.« Lady Dorothy nickte hoheitsvoll und wandte sich zu einem etwa dreißigjährigen Mann um, der einen drahtigen, energischen Eindruck machte. »Das ist übrigens James Cortlay, mein Verwalter.«
»Schön, und wo ist das Gespenst?« erkundigte sich Lady Simpson burschikos. »Ich hoffe, du hast mich nicht wegen einer Lappalie in diese Wildnis gelockt.«
»Bitte, Agatha, nicht so laut.« Lady Dorothy warf einen scheuen Blick in die Runde und schien sich zu ängstigen. »Nimm diese Sache nur nicht auf die leichte Schulter. Beim Tee werde ich dir alles weitere erzählen.«
»Man wollte Sie umbringen, Mylady?« schaltete sich Verwalter James Cortlay ein.
»Unsinn«, gab Lady Simpson grimmig zurück. »Man hat nur ein wenig mit uns gespielt und uns rösten wollen. Aber das soll man nicht überbewerten.«
»Nun verstehe ich überhaupt nichts mehr, meine Liebe«, beschwerte sich Lady Dorothy unsicher. »Dein Humor ist immer noch so eigenartig wie früher. Wie soll man sich da nur zurückfinden.«
Bevor Lady Agatha Simpson antworten konnte, war irgendwo im Obergeschoß ein greller Schrei zu vernehmen, der von Klirren und Scheppern zerbrochenen Porzellans begleitet wurde. Sekunden später erschien oben an der Brüstung der Galerie eine ältere Angestellte, die sich kaum noch auf den Beinen zu halten vermochte.
»Das Gespenst«, stöhnte sie. »Das Gespenst. Ich ... ich hab’s ganz deutlich gesehen.«
*
James Cortlay, der Verwalter von Wolverton House, lief schnell die breite Treppe hinauf und kümmerte sich um die Angestellte, die einen Weinkrampf erlitt.
Lady Dorothy zitterte am ganzen Leibe und flüchtete sich in einen der großen Sessel. Sie zog die Beine an, als rechne sie mit einer Invasion von Mäusen.
»Was halten Sie davon, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Simpson bei ihrem Butler.
»Das Entsetzen dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach nicht gespielt sein«, antwortete Parker gemessen.
»Es war ganz dicht vor mir. Es war ganz nahe«, wimmerte die Angestellte, die von James Cortlay behutsam nach unten geleitet wurde. »Es ... es war grauenvoll.«
»Das will ich Ihnen ja gern glauben, aber was haben Sie nun wirklich gesehen?« Lady Simpson näherte sich der Angestellten, die auf der Kante eines hohen Lehnstuhls Platz nahm.
»Eine genaue Personenbeschreibung wäre in der Tat äußerst hilfreich«, fügte der Butler hinzu.
Kathy Porter sagte nichts.
Sie merkte, daß sie von dem Verwalter des Hauses verstohlen beobachtet wurde. Als ihre Blicke sich trafen, schlug sie sittsam die Augen nieder und gab sich leicht verschämt.
»Nun reden Sie schon endlich«, grollte Lady Simpson die verstörte Hausangestellte an. »Wie sah das Gespenst aus?«
»Grauenvoll«, wimmerte die Frau.
»Das sagten Sie bereits. Einzelheiten, wenn ich bitten darf.«
»Sollte man nicht warten, bis der erste Schock vorüber ist, Mylady?« bat James Cortlay.
»Ich bin kein Unmensch«, räumte Lady Simpson ein. »Verschieben wir die Befragung also. Wo, meine Liebe, sind meine Wohnräume?«
»Im Obergeschoß, Agatha.«
»Dann habe ich vielleicht das Glück, das Gespenst gleich treffen zu können.« Lady Simpson lachte amüsiert auf und nickte dann Kathy zu. »Kommen Sie, Kindchen, machen wir uns etwas frisch. Kathy! Was ist denn?«
Kathy Porter, die gerade wieder einen Blick mit Cortlay ausgetauscht hatte, zuckte zusammen und tat sichtlich eingeschüchtert. Lady Dorothy schüttelte den Kopf und sah Lady Simpson flehentlich an.
»Ich... ich gehe nicht mit«, sagte sie dann. »Ich gehe nicht mit nach oben. Keine zehn Pferde bringen mich dort rauf, Agatha.«
»Ich werde Sie nach oben bringen, Mylady«, ließ der Hausverwalter sich vernehmen. Er griff nach der schweren Reisetasche und dem Koffer Lady Agathas. Mannhaft setzte er sich in Bewegung und marschierte auf die Treppe zu. Lady Simpson und Kathy Porter folgte ihm auf dem Fuß. Josuah Parker blieb zurück, um den beiden anderen Frauen Gesellschaft zu leisten.
»Gibt es wirklich ein Gespenst?« fragte Kathy Porter, sich an James Cortlay wendend.
»Es wird so gesagt«, gab Cortlay zurück. »Ich habe es leider noch nicht zu Gesicht bekommen.«
»Und wie soll es aussehen? Man muß es doch beschrieben haben, junger Mann.«
»Das ja, Mylady, aber diese Beschreibung paßt überhaupt nicht auf ein Gespenst.«
»Wie soll ich das verstehen? Was ist in Ihren Augen ein Gespenst?«
»Na ja, vielleicht ein Skelett, oder ein Geköpfter, der seinen Kopf unter dem Arm trägt, oder vielleicht ein kettenrasselndes Etwas.«
»Und in diesem Fall?« Kathy Porter zeigte Cortlay große Augen.
»Es soll so eine Art Gnom sein«, berichtete Cortlay, während er die Gäste durch einen langen Korridorgang führte, der ausgezeichnet beleuchtet war. »Nein, Gnom ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Es soll ein Wesen sein, das laufend seine Form ändert und über den Boden kriecht.«
»Donnerwetter, junger Mann, das ist endlich mal eine neue Version«, freute sich Lady Simpson und nickte anerkennend. »Und seit wann spukt dieses Etwas hier in Wolverton House herum?«
»Seit knapp acht Tagen«, antwortete James Cortlay. »Zuerst wurde es nur von Myladys Angestellten gesehen, dann von Lady Wolverton selbst.«
»Und welchen Unfug richtet es an?«
»Keinen, Mylady«, lautete Cortlays Antwort. »Es soll nur über den Boden kriechen und dann irgendwo in den Wänden und Mauern verschwinden.«
»Wen haben Sie in Verdacht, junger Mann?« Lady Simpson war stehengeblieben und sah Cortlay streng an.
»Wie soll ich das verstehen, Mylady?« Cortlay war oder tat ahnungslos.
»Das sind doch Taschenspielereien, nicht wahr?«
»Das glaube ich natürlich auch, Mylady, aber ich wüßte nicht, wer sie ausführen sollte.«
»Da!« Kathy Porter war stehengeblieben und deutete mit halb angehobenem Arm auf das Ende des Korridors. Ihre Augen hatten sich geweitet. Lady Simpson fuhr herum und erkannte tatsächlich ein weißes Etwas.
Es war vielleicht einen Meter groß, breit und in dauernder Bewegung. Es schien auseinanderzufließen, zog sich wieder zusammen, kroch dann flach über den Boden und war im nächsten Moment auch schon wieder verschwunden.
James Cortlay verlor einiges von seiner Selbstbeherrschung. Er ließ das Gepäck mit einem lauten Aufschrei zu Boden fallen und sah Lady Simpson entgeistert an. Kathy Porter nutzte die Gelegenheit, sich schutzsuchend an ihn zu schieben.
Lady Simpson aber richtete sich auf. Ihre Nasenflügel vibrierten nervös und ihre Augen funkelten animiert.
»Sehr schön«, sagte sie dann anerkennend. »Das ist wirklich neu. Solch ein Gespenst habe selbst ich noch nicht gesehen.«
Der Pompadour an ihrem Handgelenk setzte sich unternehmungslustig in Bewegung. Grimmig setzte sich die Amateurdetektivin in Bewegung und marschierte auf die Stelle zu, wo eben noch die seltsame und unheimliche Erscheinung gewesen war.
*
»Ein bemerkenswertes Gespenst«, sagte Butler Parker. »Es dürfte, wenn ich so sagen darf, dem gängigen Standard keineswegs entsprechen.«
»Das hat mich ja so verblüfft, Mister Parker.« Lady Simpson nickte. »Es war wie vom Erdboden verschwunden, ich war leider nicht schnell genug, um es aufhalten zu können.«
Parker befand sich in den Räumen, die man Lady Simpson zur Verfügung gestellt hatte. Es gab hier einen hübsch eingerichteten Wohnraum, ein Schlafzimmer und ein Bad. Auf der anderen Seite des Badezimmers befand sich das Zimmer, in dem Kathy Porter wohnte. Kathy war bereits mit dem Auspacken der Koffer beschäftigt und lächelte, als sie an den Hausverwalter dachte.
»Irgendein geschickter Trick«, meinte sie dann. »Aber ich möchte behaupten, daß Mister Cortlay wirklich Angst hatte.«
»Wissen Sie bereits, wer in diesem Haus arbeitet?« fragte Lady Simpson, sich an Parker wendend.
»Ich war so frei, Mylady, mir einen ersten Überblick zu verschaffen«, gab Parker gemessen zurück. »Es gibt eine Köchin, eine Küchenhilfe, zwei Hausangestellte und besagten Mister Cortlay.«
»Sie kommen mit dem großen Haus zurecht?« wunderte sich Lady Simpson sichtlich.
»Vor einigen Wochen kam es zu einer Art Massenkündigung«, berichtete Parker weiter. »Es ist mir peinlich, Mylady, diesen Punkt berühren zu müssen, aber Lady Wolverton scheint nicht im Besitz jener Mittel zu sein, die benötigt werden, um soviel Personal zu halten.«
»Sollte Dorothy pleite sein?« Lady Simpson schüttelte irritiert den Kopf. Das konnte sie sich nicht vorstellen. Dorothy war doch nicht unvermögend, das nun wirklich nicht.
»Die Löhne für die Angestellten konnten nicht mehr angewiesen werden«, sagte Parker höflich. »Daraufhin kam es seitens der Angestellten zu diesen Kündigungen.«
»Darüber werde ich mit Dorothy aber unbedingt reden müssen.« Lady Simpsons Gesicht färbte sich ein wenig rot. »Hoffentlich ist sie keine Löhne schuldig geblieben. Das wäre ja unerhört. Warum hat sie mich in ihre Schwierigkeiten denn nicht eingeweiht? Das ist doch reine Dummheit.«
Lady Simpson erregte sich merklich und bekam prompt Kreislaufbeschwerden. Sie goß sich einen Schluck Cognac ein und fühlte sich nach dieser Erfrischung wieder wohler.
»Die noch verbliebenen Angestellten haben das bewußte Gespenst bisher nicht in Augenschein nehmen können«, berichtete Parker weiter. »Bis auf heute, als Missis Rose Robson damit konfrontiert wurde.«
»Demnach hat also allein meine Schwägerin dieses komische Etwas gesehen?«
»Dem scheint tatsächlich so zu sein, Mylady. Hinzu kommt dann allerdings noch die Begegnung vor einer halben Stunde, als Mylady einen Blick auf diese Erscheinung werfen konnten.«
»Angenehm sah dieses komische Ding nicht gerade aus«, räumte Lady Simpson ein. »Wer kann es hier durchs Haus laufen lassen, Mister Parker? Ist es vielleicht eine Art Racheakt der Angestellten? Dieses Gespenst erschien ja erst nach der allgemeinen Kündigung, nicht wahr?«
»Dieser Anregung werde ich nachgehen, Mylady«, versprach der Butler. »Ich möchte allerdings betonen, daß die betreffenden Angestellten als durchaus verträgliche Bewohner eines nahegelegenen Dorfes gelten.«
»Fragt sich also, wer etwas gewinnt, wenn er meine Schwägerin in Angst und Schrecken versetzt?«
»Zumal Lady Wolverton sich ja in finanziellen Schwierigkeiten befinden dürfte, Mylady.«
»Sie haben den Mordanschlag auf uns vergessen, Mylady«, schaltete sich Kathy Porter ein. »Steht er mit dem Gespenst nicht in engem Zusammenhang?«
»Darauf weise ich doch die ganze Zeit hin«, erwiderte die Lady sofort. »Ersparen Sie sich Ihre Frage, Mister Parker. Ja, es stimmt. Nach meinem Ableben wird auch meine Schwägerin einen ganz schönen Batzen erben, selbst wenn ich sie von einer Erbschaft ausschließen wollte. Das hängt mit einigen Vermögensklauseln zusammen, auf die ich hier nicht näher einzugehen brauche. Es ist nun einmal so.«
»Darf ich mich erkühnen, Mylady eine diffizile Frage zu stellen?«
»Sie wollen wissen, ob ich meiner Schwägerin einen geplanten Mord zutraue?«
»Mylady dürfen versichert sein, daß ich diese Frage niemals so direkt gestellt hätte.«
»Kann man Dorothy einen Mord zutrauen, weil sie ihre Finanzen damit aufbessern will?« Lady Simpson fragte sich das halblaut, konnte sich aber zu einer Antwort nicht entschließen. »Offen gesagt, ich kenne sie zu wenig.«
»Lady Wolverton sind immerhin Myladys Schwägerin«, sagte Parker.
»Aber wir haben uns eigentlich nie umeinander gekümmert.« Lady Simpson dachte über die erste und entscheidende Frage offensichtlich noch immer nach. »Sie liegt mir nicht besonders, um es vorsichtig auszudrücken. Sie ist mir zu empfindlich und hat niemals Sport getrieben, wie ich. Nein, eigentlich haben wir überhaupt keine Gemeinsamkeiten. Und daher gingen wir uns aus dem Weg.«
»Lady Wolverton ist ohne Kinder?« Parker dachte auch an solch eine Möglichkeit.
»Sie haßte Kinder«, lautete die Antwort Lady Simpsons. »Ich nehme an, sie hat immer um ihre Figur gefürchtet. Die Ehe mit dem Bruder meines Mannes ist wahrscheinlich daher kinderlos geblieben. Um noch einmal auf die erste Frage zurückzukommen, Mister Parker, nein, ich glaube nicht, daß sie raffiniert genug ist, einen Mord zu planen. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf.«
»Ich werde es versuchen, Mylady«, antwortete der Butler und deutete eine knappe Verbeugung an. »In Lady Wolvertons nächster Umgebung muß sich aber eine Person befinden, die von unserer Ankunft wußte. Sonst wäre der Lastwagen nicht auf der Geraden gestanden.«
»Kathy und ich sahen immerhin zwei Gestalten«, stellte die Amateurdetektivin grimmig fest. »Zudem hat man uns ja eindeutig auf die falsche Straße gelockt, Mister Parker.«
»An einem bewußten Verdrehen des Wegekreuzes ist tatsächlich nicht zu zweifeln, Mylady. Die Polizei wird dies bestätigen können.«
»Wer will uns an den Kragen?« Lady Simpson marschierte nachdenklich durch den großen Wohnraum. »Oder geht es nur um mich allein, Mister Parker?«
»Von dieser Tatsache möchte ich mir erlauben auszugehen, Mylady.« Parker nickte bestätigend. »Darf ich Mylady darum zur größten Vorsicht und Wachsamkeit raten?«
»Sie dürfen, Mister Parker. Und darum werde ich mir irgendeine Schußwaffe besorgen. Ich möchte dem Gespenst, falls es wieder auftaucht, eines über den Pelz brennen.«
»Wenn Mylady vielleicht mit dieser handlichen Waffe vorliebnehmen wollen?« Wie durch Zauberei lag auf Parkers rechter Handfläche plötzlich eine automatische Pistole vom Kaliber 6.35.
»Etwas Kleineres hatten Sie wohl nicht parat, wie?« Die Lady, die mit einer Schußwaffe durchaus umgehen konnte, sah verächtlich auf die kleine Waffe.
Im nächsten Moment fuhr sie zusammen und riß Parker die Pistole aus der Hand. Draußen vor der Tür war plötzlich ein seltsames Geräusch zu vernehmen, eine Mischung aus ersticktem Lachen und atemlosen Keuchen.
Lady Simpson war schnell an der Tür, riß sie auf und reagierte recht erstaunlich.
»Ruhe, wenn ich bitten darf!« rief sie mit barscher Stimme. »Spuken Sie gefälligst später!«
*
»Ich kann mir wirklich nicht erklären, wer die Flurbeleuchtung ausgeschaltet haben könnte«, sagte Verwalter James Cortlay, der wenige Minuten später im Zimmer Lady Simpsons erschien. Er machte einen hilflosen, zugleich aber auch nervösen Eindruck. Möglicherweise hing das aber auch mit der Waffe zusammen, deren Mündung Lady Simpson auf ihn richtete.
»Wieso sind Sie hier?« wollte Lady Simpson wissen.
»Ich – ich hörte ein seltsames Gelächter«, antwortete James Cortlay. »Ich lief hinauf zur Galerie und sah dann, daß das Licht nicht mehr brannte. Bitte, Mylady, könnten Sie die Waffe herunternehmen?«
»Sie haben schwache Nerven, junger Mann.« Lady Agatha funkelte den Verwalter mißtrauisch an. »Falls Sie das Gespenst sehen sollten, Mister Cortlay, warnen Sie es gefälligst. Ich schieße gern und treffe sogar recht häufig.«
»Wie – wieso sollte ich das Gespenst sehen, Mylady. Sie glauben doch nicht etwa, daß ich ...?«
»Papperlapapp, junger Mann, ich glaube gar nichts. Glauben bedeutet nichts wissen.« Sie schnitt ihm ungnädig das Wort ab. »Sie können jetzt gehen. Wann wird gegessen? Ich möchte hier nicht unbedingt verhungern.«
»In fünfzehn Minuten wird angerichtet sein, Lady Simpson.« James Cortlay beeilte sich, zurück in den Korridor zu gelangen. Er schloß die Tür behutsam hinter sich zu.
»Sie sollten sich um diesen jungen Mann kümmern, Mister Parker«, sagte Lady Simpson. »Er gefällt mir nicht.«
»Mylady verdächtigen Mister Cortlay?«
»Das schon, aber er kann unmöglich der Drahtzieher sein«, erklärte Lady Simpson mit Nachdruck. »Das wäre dann wohl doch zu einfach und schon fast eine Beleidigung. Aber er scheint etwas zu wissen, und vor diesem Wissen hat er Angst.«
Lady Simpson benahm sich recht ungeniert.
Bevor sie zusammen mit Parker und Kathy Porter den Raum verließ, brachte sie ihre Schußwaffe an einem außerordentlich ungewöhnlichen Platz unter. Sie schob ihn in den Ausschnitt ihrer Bluse und barg ihn an ihrem wogenden Busen.
»Gehen wir«, sagte sie dann. »Mister Parker, möchten Sie mit uns essen? Oder haben Sie andere Pläne?«
»In der Tat, Mylady«, räumte der Butler ein. »Ich möchte Kontakt mit dem noch verbliebenen Personal herstellen, wenn es erlaubt ist.«
»Gut, aber passen auch Sie auf sich auf. Das gilt auch für Sie, Kindchen.«
Parker öffnete die Tür, um Lady Simpson hinaus in den Korridor treten zu lassen, doch kaum halb geöffnet, warf er sie hastig wieder zurück ins Schloß.
»Was soll denn das?« rief Lady Agatha entrüstet.
»Ein, äh, Skelett, Mylady.« Parkers Stimme klang indigniert.
»Ein was?«
»Ein Skelett, Mylady, falls meine Sinne mich nicht getäuscht haben.«
»Und so etwas wollen Sie mir vorenthalten? Was soll denn das?« Lady Simpsons Stimme färbte sich dunkler als sonst. Sie riß die Tür auf, drehte sich dann aber spöttisch zu Parker um.
»Seit wann leiden Sie an Halluzinationen?« fragte sie dann. »Weit und breit kein Skelett zu sehen. Was ist denn los mit Ihnen, Parker?«
»Ich möchte ab sofort als äußerst beeindruckt erscheinen«, gab Parker leise zurück. »Das Skelett habe ich eindeutig gesehen. Es hing an einem Wandleuchter neben dem Schrank in der Fensternische.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich, Mister Parker.« Myladys Stimme grollte bemerkenswert laut. Sie schien es darauf angelegt zu haben, daß man sie weithin hörte. »Sehen Sie doch selbst, von einem Skelett kann ich nichts bemerken.«
»In der Tat«, räumte Parker nach einem Blick in den langen Korridorgang betroffen ein. »Ich sollte wohl davon ausgehen, daß meine Sinne mich genarrt haben.«
*
Kathy Porter lag in ihrem Bett und hatte gerade das Licht ausgeschaltet.
Das Abendessen lag ihr schwer im Magen. Es war nichts Besonderes, dafür aber etwas recht Fettes gewesen. Auch der gereichte Wein hatte nicht sonderlich gut geschmeckt. Aber wahrscheinlich hing ihr Unwohlsein auch mit der Spannung zusammen, die das große Haus erfüllte. Kathy spürte förmlich, daß mit weiteren unliebsamen Überraschungen zu rechnen war.
Sie hatte die Tür zum angrenzenden Badezimmer spaltbreit geöffnet. Die Tür, die von dort aus in Lady Simpsons Zimmer führte, war ebenfalls nur angelehnt. Kathy wollte sofort eingreifen können, falls sich etwas Ungewöhnliches ereignete.