Читать книгу Butler Parker 191 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 3

Оглавление

»Du hast mich rufen lassen wegen Problemen in der Familie, meine Liebe?« erkundigte sich Agatha Simpson genüßlich bei ihrer Gastgeberin.

Mylady befand sich seit wenigen Stunden auf Brentford Castle im Lake District, wohin die Hausherrin sie telefonisch gebeten hatte.

»Agatha, du weißt ja, daß mein Neffe als Major in Edinburgh stationiert ist. Er arbeitet in einer Einheit, die neuartige, streng geheime Radaranlagen testet, wenn ich das richtig verstanden habe«, erwiderte Lady Sarah Brentford. »Was darf man sich darunter vorstellen, Mylady?« fragte Josuah Parker höflich, der seine Herrin begleitete.

»Nun, das ist alles top secret. Viel konnte er mir nicht erzählen«, antwortete Lady Sarah zögernd. »Ich glaube, Glenn muß die Bewegung russischer Schiffe im Atlantik überwachen und aufzeichnen. Genaueres weiß ich allerdings nicht, Agatha.« Sie seufzte und sah die passionierte Detektivin hilflos an.

»Das sieht nach Spionage aus, ich fühle es. Meinen Sie nicht auch, Mister Parker?«

Agatha Simpson war wieder mal auf Anhieb sicher und wollte Parkers Zustimmung hören, die auch prompt kam.

»Wie Mylady zu meinen belieben«, äußerte er höflich und verneigte sich andeutungsweise.

»Was hat dein Neffe denn angestellt, ist er etwa übergelaufen?« wollte Lady Agatha wissen. »In diesem Fall werde ich nichts für ihn tun, Sarah.«

»Ich bitte dich, Agatha!« Lady. Brentford sah ihren Gast aus flammenden Augen empört an und vergaß für einen Moment ihren Kummer. »So was würde der Junge doch nie tun, doch nicht jemand aus unserer Familie!«

»Na, wer weiß, so was soll schon vorgekommen sein.« Lady Agatha nippte an ihrem Cognac und blickte ungeduldig. »Komm endlich zur Sache, ich langweile mich bereits«, bemerkte sie und schüttelte mißmutig den Kopf.

»Es ist etwas peinlich, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll.« Sarah Brentford wand sich förmlich vor Verlegenheit und hatte plötzlich rote Flecken im Gesicht.

»Sollten die Probleme Ihres verehrten Neffen mit einer Dame zusammenhängen?« half Parker dezent aus.

»So ist es, Mister Parker.« Sarah Brentford nickte dankbar und konnte endlich weitererzählen. »Mein Neffe hat dort oben eine junge Dame kennengelernt, mit der er sich anfreundete und sie schließlich öfter in ihrer Wohnung aufsuchte. Dabei kam es im Lauf der Zeit zu gewissen Annäherungen, wenn Sie wissen, was ich meine...«

»Er ging also mit dieser jungen Dame ins Bett, meine Liebe. War es nicht so?« vermutete Lady Agatha in ihrer bekannt offenen Art.

Sie musterte ihre Cousine schadenfroh und weidete sich an ihrer Verlegenheit.

»Nun ja, das stimmt, Agatha. Etwas später wurde er von einigen sehr unangenehmen Leuten aufgesucht, die ihm einige sehr delikate Fotos zeigten. Außerdem waren sie im Besitz mehrerer Tonbandkassetten, die das Zusammentreffen zwischen dem Jungen und dieser ›Dame‹ deutlich wiedergeben.«

»Diese intimen Vorgänge sind also mit technischen Hilfsmitteln in Wort und Bild festgehalten worden«, faßte Parker ungewohnt knapp zusammen.

»Und jetzt wird dein Neffe mit den Pornos erpreßt, ja?« konnte sich Lady Agatha nicht verkneifen zu fragen.

»Ich muß doch sehr bitten, Agatha!« Lady Sarah gefiel der ungeniert-offene Ton ihrer Cousine ganz und gar nicht. Ihrer Ansicht nach hatte sich eine Angehörige des britischen Hochadels ganz anders zu benehmen und auszudrücken. Lady Agatha wiederum liebte nichts mehr, als die Mitglieder ihres Standes zu schockieren und sich dann an deren Reaktionen zu weiden.

»Was verlangt man von Ihrem Neffen?« wollte Josuah Parker wissen.

»Er soll diesen Leuten von Zeit zu Zeit über seine Arbeit Bericht erstatten und ihnen vor allem die technischen Pläne der Anlage liefern; außerdem soll er später die Aufzeichnungen und Auswertungen fälschen. Wenn er nicht mit ihnen zusammenarbeitet, will man die Bilder und Kassetten an seine Vorgesetzten schicken und sie außerdem der Regenbogenpresse verkaufen. Das wäre das Ende seiner Karriere.«

»Und wie soll ich ihm helfen, meine Liebe?« erkundigte sich Lady Agatha.

»Könntest du nicht nach Edinburgh reisen und die Sache in Ordnung bringen, Agatha? Man sagt dir nach, daß du schon öfters Kriminalfälle gelöst hast, und da dachte ich ...«

»Worüber gerade du dich in der Vergangenheit immer gern mokiert hast, meine liebe Sarah«, stellte Lady Agatha genüßlich fest.

»Nun ja, für eine Lady ist das auch keine Beschäftigung, das mußt du doch zugeben ... aber trotzdem, bitte hilf dem Jungen, ja?«

Sie sah Lady Agatha flehend an und brach in Tränen aus.

»Wie kann ich dorthin kommen, Mister Parker?«

Lady Agatha sah ihren Butler an und wartete ungeduldig auf seine Antwort.

»Man könnte in meinem bescheidenen Privatwagen reisen oder die königliche Eisenbahngesellschaft in Anspruch nehmen. Die zweite Klasse soll recht preiswert sein, wie man hört...«

»Es nützt alles nichts«, seufzte Lady Agatha und blickte ergeben zur Decke, »das kostet wieder mein Geld, Mister Parker. Es ist ja nicht nur die Reise, denken Sie nur mal an die Hotelrechnung.«

»Für die Kosten kommt selbstverständlich meine Familie auf, und wohnen kannst du in einer Villa, die einer Bekannten von uns gehört, die sich zur Zeit in den Staaten aufhält. Dir werden keinerlei Kosten entstehen, selbstverständlich stellen wir dir großzügige Spesen zur Verfügung.«

»Nun, das hört sich ja nicht schlecht an. Unter diesen Umständen könnte ich mich tatsächlich dazu entschließen, dir zu helfen, was meinen Sie, Mister Parker?«

»Myladys Güte und Hilfsbereitschaft werden nicht umsonst überall gerühmt«, bemerkte Parker würdevoll.

»Du hilfst uns also?« erkundigte sich Lady Sarah hoffnungsvoll.

»Ausnahmsweise, meine Liebe.« Agatha Simpson nickte huldvoll. »Ich denke, in wenigen Tagen werden die Probleme deines leichtfertigen Neffen aus der Welt sein. Solche Kleinigkeiten pflege ich im Handumdrehen zu erledigen.«

*

»Man wird sich sofort um ein Taxi bemühen«, kündigte Josuah Parker an, nachdem sie die Paßkontrolle im Edinburgher Flughafen passiert hatten.

In diesem Augenblick trat ein schlanker, hochgewachsener Mann Mitte Dreißig in der Uniform eines Majors der Royal Army auf sie zu.

»Sie sind sicher Lady Agatha. Tante Sarah hat Sie mir beschrieben«, stellte er fest. »Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug, Mylady?«

Agatha Simpson musterte den Major durch ihre aufgeklappte Stielbrille und nickte dann. »Sie sehen recht passabel aus, mein Junge. War es da wirklich nötig, sich mit einer Spionin einzulassen?« fragte sie mit ihrem baritonal gefärbten Organ. Einige Leute in der Nähe drehten sich neugierig um und reckten die Hälse, um sich nichts entgehen zu lassen. Der Major lief rot an und preßte wütend die Lippen zusammen.

Lady Agatha wandte sich an ihren Butler.

»Der Flug hat mich sehr mitgenommen, Mister Parker, ich fürchte, mein Kreislauf ist angegriffen. Ich hoffe, Sie werden dagegen etwas unternehmen.« Sie seufzte und griff theatralisch an die Stelle ihres Busens, wo sie ihr Herz vermutete.

Parker verstand sofort und holte aus einer seiner vielen Innentaschen Myladys Medizin. Es handelte sich dabei um eine lederumhüllte Taschenflasche, die einen ausgezeichneten, alten französischen Cognac enthielt. Er füllte den silbernen Becher, der gleichzeitig als Verschluß diente, und reichte ihn seiner Herrin.

Die ältere Dame nahm ihn ungeduldig entgegen und kippte den Inhalt in einem Zug. Major Hawkins, Lady Sarah Brentfords Neffe, sah erstaunt zu, wie die Lady einen zweiten Becher ›Medizin‹ verlangte und auch diesen ohne Zögern leerte.

Schließlich räusperte er sich und wandte sich an Parker. »Ich habe einen Wagen, Sie brauchen sich nicht um ein Taxi zu bemühen. Meine Tante hat mir Ihre Ankunft mitgeteilt, damit ich Sie abholen kann.«

»Sehr fürsorglich von Lady Sarah, Sir. Mylady weiß das zu schätzen.«

»Der kleine Imbiß, der während des Fluges gereicht wurde, war ziemlich kläglich«, beschwerte sich Lady Agatha. »Ich hoffe, mein lieber Major Hopkins, Sie kennen ein anständiges Restaurant, in das Sie mich einladen können.«

»Major Hawkins, Mylady«, verbesserte der Major vorsichtig und lächelte dabei etwas gezwungen. »Nun ja, ich könnte Sie nachher in Ihrer Villa abholen und ausführen.«

»Nicht nachher, mein Lieber, sofort, wenn ich bitten darf. Zur Villa können wir später.«

»Wie Sie wünschen, Mylady. Haben Sie einen besonderen Wunsch?«

»Ich habe gehört, hier gibt es so eine Art Boulevard mit vielen Straßencafés. Ich denke, das möchte ich mir ansehen.«

*

»Sehr hübsch, mein Lieber.« Lady Agatha saß vor einem Café am Hauptboulevard Edinburghs und blickte interessiert auf das lebhafte Treiben. Dabei fiel ihr Blick auf einen Tisch, der weiter entfernt stand.

»Was sind das für seltsame Getränke, die die Leute dort haben, mein Junge?« erkundigte sie sich bei Major Hawkins.

»Eine schottische Spezialität, Mylady, man nennt es ›Scottish Power‹, weil das Getränk so stark ist.«

»Eigenartiger Name.« Agatha Simpson runzelte die Stirn und schüttelte irritiert den Kopf. »Bestellen Sie auch so was. Ich möchte wissen, ob es mir schmeckt.«

»Es gibt zwei Sorten davon, Mylady, einmal...«

»Reden Sie nicht lange herum, bestellen Sie mir eben beides«, unterbrach sie ungeduldig.

»Nicht schlecht«, stellte sie wenig später fest, als das Gewünschte vor ihr stand. Sie saugte energisch an ihren Strohhalmen und hatte die Pokale rasch geleert.

»Gibt es keine größeren Gläser, hier ist ja kaum etwas drin«, beschwerte sie sich und blickte den Major an.

»Ich bestelle gleich nach.« Hawkins sah ungläubig auf die leeren Gläser und winkte der Kellnerin. »Und denken Sie an mein Essen, ich nehme dasselbe wie die Leute dort drüben.« Lady Agatha deutete auf zwei ältere Männer am Nebentisch, die gerade intensiv mit ihrer Mahlzeit beschäftigt waren.

»In Whisky eingelegter Lachs, Mylady, ebenfalls eine hiesige Spezialität.« Parker hatte sich wie immer gründlich vorbereitet und war in der Lage, mit jeder Information, die die Stadt und das Leben darin betraf, zu bedienen.

»Nicht gerade üppig, aber ich bevorzuge ja Diät«, kommentierte sie, als wenig später ein Teller vor ihr abgestellt wurde.

Agatha Simpson genoß ihr Essen und hatte schnell die nicht gerade kleine Portion vertilgt. »Ich denke, ich nehme noch mal dasselbe, Mister Parker«, überlegte sie. »Schließlich habe ich einen schweren Fall vor mir und muß gerüstet sein.«

»Mein Gott, haut die Alte rein«, lästerte einer der beiden älteren Männer am Nebentisch und starrte ungeniert.

Mylady ließ sich sofort ablenken. »Ich hoffe, man hat mich gerade beleidigt, Mister Parker, ich verlange eine Übersetzung«, wandte, sie sich an Parker, da die beiden Männer einen dem Keltischen verwandten Dialekt sprachen.

»Man wundert sich nur ein wenig über Myladys beneidenswerten Appetit«, übersetzte Parker großzügig. »Man freut sich, daß es Mylady schmeckt.«

»Das stimmt allerdings, Mister Parker, das Essen ist wirklich nicht schlecht. Vergessen Sie nicht, sich das Rezept geben zu lassen.«

Agatha Simpson widmete sich wieder ihrem Teller.

Inzwischen hatten die Männer am Nebentisch ihre Gläser erneut geleert und nachbestellt. Sie machten einen bereits mehr als nur leicht angetrunkenen Eindruck und amüsierten sich ganz offen und ungeniert über die Lady.

»Ich habe den Eindruck, Mister Parker, daß sich die Lümmel über mich lustig machen«, freute sich die ältere Dame und blickte unternehmungslustig auf die feixenden Männer am Nebentisch.

»Die beiden Herren dürften dem Alkohol sehr reichlich zugesprochen haben und nicht mehr das sein, was man gemeinhin als zurechnungsfähig bezeichnet«, bemerkte Parker würdevoll. »Mylady sollten ihnen deshalb weiter keine Beachtung schenken.«

Aber Agatha Simpson wollte sich nicht ablenken lassen. »Ich glaube, ich werde die beiden gleich ein wenig zurechtweisen«, kündigte sie an und griff nach ihrem Pompadour, der neben ihr an der Stuhllehne hing. Dabei handelte es sich um einen Handbeutel, wie ihn die Damen um die Jahrhundertwende trugen, um darin diversene Kleinigkeiten unterzubringen.

In Lady Agathas Fall bestand der Inhalt jedoch aus einem Hufeisen, das von einem mächtigen Brauereipferd stammte. Aus Gründen der Humanität war dieses Hufeisen oberflächlich mit Schaumstoff umwickelt, um das Aufprallen wenigstens andeutungsweise zu lindern.

Mylady ließ besagten Pompadour mit dem Hufeisen darin bereits kreisen und holte energisch Schwung. Im nächsten Augenblick ließ sie los und schickte das seltsame Geschoß auf die Reise...

*

Der Pompadour mit dem Hufeisen schlug auf den Tellerrand und katapultierte den aus bunt bemaltem Steingut bestehenden Teller in die Luft. Dieser nahm umgehend Kontakt mit dem rechten Auge eines der vorlauten Männer auf und lädierte es nachhaltig.

Der Mann schrie auf, als ihn der Tellerrand traf, und griff in einer Reflexbewegung nach dem verletzten Auge. Dabei warf er sein fast volles Glas um, dessen Inhalt sich über die Hose ergoß und ihn aufspringen ließ.

Der Tisch geriet ins Wanken. Auch das Glas des zweiten Mannes kippte und brachte diesen gleichfalls zum Aufspringen. Laut vor sich hinfluchend machten sich die beiden dann daran, ihre durchnäßten Hosen mit Servietten und Papiertaschentüchern zu betupfen.

Lady Agatha sah dem Treiben wohlgefällig zu. Sie lächelte schadenfroh und bat Parker, ihr die Medizin zur Stützung des in Unordnung geratenen Kreislaufs zu bestellen. Glenn Hawkins saß stocksteif auf seinem Stuhl und betrachtete die ältere Dame ein wenig konsterniert.

Die beiden lädierten Herren hatten gerade ihre Säuberungsarbeiten beendet und beschlossen, mit der Verursacherin ihrer Nöte ein paar klärende Worte zu wechseln. Parker, der den schottischen Dialekt beherrschte und verstand, hörte unzweideutig heraus, daß man seine Herrin ein wenig auseinandernehmen wollte, wie sich einer der aufgebrachten Männer ausdrückte.

Bevor der Butler etwas zur Klärung der Situation beitragen konnte, fiel Mylady ein, daß ihr Pompadour sich noch auf dem Nachbartisch befand. Entschlossen drückte sie sich aus ihrem Stuhl hoch und machte sich auf den Weg, ihr Eigentum zurückzuholen.

Verblüfft wichen die beiden Männer zunächst aus. Lady Agatha ergriff die langen Schnüre des Handbeutels und zog energisch. Daraufhin setzte sich der Pompadour in Bewegung, verklemmte sich prompt zwischen den Tellern und... zog diese über den Tischrand. Es klirrte, als das Porzellan auf die Betonplatten fiel. Die Speise- und Soßenreste klatschten gegen die Hosenbeine der älteren Herren, die sich etwas betreten ansahen.

Eine herbeieilende Bedienung verkannte die Sachlage und verlangte lautstark nach Ersatz des Geschirrs.

Lady Agatha lächelte schadenfroh und wollte an ihren eigenen Tisch zurückgehen, als einer der Männer die Nerven verlor und leichtsinnigerweise nach Myladys Schulter griff, um die ältere Dame zurückzuhalten. Fast genüßlich drehte sie sich wieder um und setzte ihm ihre rechte Hand kräftig auf die Wange, worauf er prompt in Gleichgewichtsschwierigkeiten geriet und wild mit den Armen ruderte.

Lady Agatha konnte nicht widerstehen und ließ ihren in einem derben Schuh steckenden Fuß herzhaft gegen sein Schienbein stoßen. Daraufhin verlor der solchermaßen Behandelte vollends die Balance und legte sich mit dem Rücken auf einen reich gedeckten Tisch in der Nachbarschaft, der sich diesem Ansturm nicht gewachsen zeigte und zu Bruch ging.

Speisen und Getränke verteilten sich großzügig auf der Kleidung der dort sitzenden Gäste und brachten diese in Aufruhr.

Ein vorbeigehender Streifenpolizist bemerkte das Geschehen vor dem Café und kam eilends näher, um einzugreifen. Agatha Simpson sah dem Hüter des Gesetzes fast schon lüstern entgegen und brachte ihren Pompadour bereits in Schwingung. Major Hawkins stöhnte gequält und setzte sich diskret, aber zielstrebig vom Ort des Geschehens ab.

Bevor die Dinge weitertrieben, griff Parker ein. Von einem am Nachbartisch sitzenden Amerikaner lieh er sich dessen respektable Videokamera und begann, die Szenerie zu filmen. Er umkreiste den Tisch, die am Boden in Scherben, Speise- und Getränkeresten hockenden Gäste, den verdutzten Polizisten und die immer noch zeternde Bedienung.

Der Butler baute sich schließlich vor dem Café auf, um es in der Totalen auf den Film zu bannen. Dann begab er sich zu dem ratlos wirkenden Gesetzeshüter und wechselte einige Worte mit ihm. Daraufhin hellte sich dessen streng wirkende Miene sichtlich auf, bis er schließlich in helles Lachen ausbrach. Er tippte grüßend an den Mützenschirm und entfernte sich.

Während Lady Agatha stirnrunzelnd ihren Butler beobachtete, hielt Parker eine kleine Ansprache und zückte zum Schluß seine Brieftasche, um diverse Banknoten zu verteilen. Schließlich lüftete er grüßend die schwarze Melone, trat auf den Amerikaner zu, dessen Kamera er ausgeliehen hatte, und gab ihm diese zusammen mit einem Geldschein zurück. Unter dem Beifall der Gäste und des Personals entfernte er sich und führte seine Herrin auf den belebten Gehweg, um in der Menge unterzutauchen.

»Was haben Sie diesen Leuten erzählt, Mister Parker?« fragte sie streng, während sie unwillig seinen hilfreich dargebotenen Arm abschüttelte. »Außerdem scheinen Sie mein Geld gleich bündelweise verteilt zu haben; ich hoffe, Sie können dafür eine Erklärung anbieten.«

»Mit Verlaub, Mylady.« Parker blieb ruhig und beherrscht wie stets. »Um gewissen Problemen vorzubeugen, erklärte meine Wenigkeit den Anwesenden, daß es sich bei dem Geschehen um aus dem Stegreif inszenierte Aufnahmen für einen bekannten internationalen Sender handele und Mylady sich bei den Herrschaften für die spontane Mitarbeit bedanke. Daraufhin zeigte man sich außerordentlich freundlich und war durchaus zu einer weiteren Kooperation bereit.«

»Sie haben mit meinem Geld also diese Leute, die mich angepöbelt haben, beruhigt und mich damit um eine Unterhaltung gebracht«, räsonierte sie umgehend. »Ich denke, ich werde Ihnen diese Aktion anlasten müssen, Mister Parker.«

»Wie Mylady zu meinen belieben.« Parker war durch nichts zu erschüttern.

»Wo ist übrigens dieser Neffe geblieben, Mister Parker? Mir war so, als wenn ich ihn hätte flüchten sehen.« Sie schüttelte mißbilligend den Kopf und seufzte. »Und so was will nun ein Offizier der Krone sein, es ist nicht zu glauben!«

»Mister Hawkins wollte sicher nicht als Uniformierter in einen gewissen Tumult verwickelt werden, Mylady. Dies hätte unter Umständen schlimme Folgen für seine Karriere haben können.«

»Mit seiner Karriere steht es sowieso nicht zum besten, seit er sich mit Spioninnen im Bett filmen läßt, Mister Parker. Dieser Mann hätte allen Grund gehabt, mir beizustehen, schließlich werde nur ich ihn noch aus der Schlinge ziehen können, die ihm die Gegner bereits um den Hals gelegt haben.«

»Eine ungemein treffende Feststellung, Mylady. Major Hawkins kann sich glücklich schätzen, daß sich Mylady seines Falles annimmt.«

»Ich habe weiß Gott noch mehr zu tun, als einem leichtsinnigen jungen Mann aus der Patsche zu helfen, Mister Parker, aber wie dankt er es mir? Während sich eine angetrunkene, zügellose Meute auf mich stürzt, ergreift er die Flucht und überläßt eine alte Frau ihrem Schicksal!« Sie seufzte wieder und richtete ihre Augen anklagend zum Himmel.

»Vielleicht möchten Mylady in jenem hübschen Lokal dort vorn einkehren, um den Schock mit einem kleinen Cognac zu bekämpfen«, schlug Josuah Parker vor und deutete auf einen verglasten Vorbau, nicht weit von ihnen entfernt.

*

Die Detektivin hatte sich zurückgezogen, um über den Fall nachzudenken. Wenige Minuten später kündeten Schnarchtöne davon, wie intensiv sie ihren Gedanken nachhing.

Parker nutzte die Gelegenheit, um einige Telefonate zu führen und sich dann in dem zum Haus gehörenden Mercedes in die Innenstadt zu begeben, um in der Lebensmittelabteilung eines City-Kaufhauses einige Dinge zu besorgen. Als Lady Agatha gegen Abend im Salon der kleinen Villa erschien, wartete bereits ein bescheidener Diät-Imbiß auf sie.

»Nicht schlecht, Mister Parker, wenn auch ein wenig kläglich«, stellte sie fest und musterte den Tisch, der für eine Familie gedeckt schien. Parker hatte diverse Sorten Brot, eine ansehnliche Auswahl an Wurst und Käse sowie eine Schüssel mit sogenannten Fleischbällchen aus gebratenem Hackfleisch serviert. Dazu gab es Butter und Joghurt sowie gekochte Eier. An Getränken hatte er französisches Mineralwasser, Kaffee und Cognac vorgesehen und gedachte, zum Abschluß des bescheidenen Mahls Vanilleeis mit heißen Kirschen aufzutischen.

Agatha Simpson ließ sich nicht lange bitten und machte sich daran, die diversen Köstlichkeiten zu dezimieren. Sie entwickelte dabei eine beachtliche Geschwindigkeit und machte von allen Angeboten ausgiebig Gebrauch. Während sie noch mit dem Dessert beschäftigt war, läutete das Telefon in der Diele, und Parker entfernte sich, um sich zu melden.

»Wer stört mich bei meinem frugalen Mahl, Mister Parker?« erkundigte sie sich unternehmungslustig, nachdem sie den Cognacschwenker beherzt geleert hatte.

»Ein gewisser Jock Fullerton, Mylady, der sich erlaubt, Mylady in sein bescheidenes Etablissement einzuladen.«

»Jock? Was für ein seltsamer Name, Mister Parker! Klingt sehr britisch, wenn Sie mich fragen.«

»In der Tat, Mylady«, gab Parker würdevoll zurück. »Mit Verlaub handelt es sich um einen alten schottischen Namen. Meiner bescheidenen Wenigkeit war es vergönnt, besagtem Mister Fullerton vor vielen Jahren behilflich zu sein, als er sich genötigt sah, vor einer gewissen kriminellen Organisation zu fliehen.«

»Sie waren schon mal hier, Mister Parker?« erkundigte sie sich erstaunt. »Was haben Sie hier getrieben?«

»Zu jener Zeit hatte ich die Ehre und das Vergnügen, als Butler des dritten Earl of Wesbury tätig zu sein, der sich wiederum als Sonderkorrespondent der BBC in Schottland betätigte. Nebenbei war der Earl mit Sonderaufgaben des Secret Service in Nordeuropa betraut und hat in dieser Eigenschaft auch NATO-Basen in Schottland überprüft.«

»Sie haben sich also auch schon in der Spionageszene betätigt, Mister Parker, ich hätte es mir ja denken können! Es scheint kein dunkles Gewerbe zu geben, dem Sie nicht schon nachgegangen wären ... Ich bin aufrichtig erstaunt, Mister Parker, bei Gelegenheit müssen Sie mir unbedingt mehr darüber erzählen!« Lady Agathas Augen hatten einen verdächtigen Glanz bekommen und wirkten außerordentlich animiert.

»Es wird meiner bescheidenen Wenigkeit eine Ehre sein, Mylady einige weltweit gesuchte Spione vorstellen zu dürfen«, gab Parker würdevoll zurück. »Möglicherweise ergibt sich schon in der kommenden Nacht eine Gelegenheit dazu.«

»Ich überlege ernsthaft, Mister Parker, ob das nicht der Stoff für meinen Thriller ist. Ich glaube, ich werde einen Spionageroman schreiben und Kritiker und Leserschaft damit etwas nie Dagewesenes bieten ...«

»Das ist mit Sicherheit zu erwarten«, stimmte Parker etwas zweideutig zu und verbeugte sich leicht. Seit Jahren beabsichtigte Agatha Simpson einen Roman zu schreiben, der nicht nur die Welt zu Beifallstürmen hinreißen, sondern auch eine gewisse Agatha Christie deklassieren würde.

Parker hatte ein Studio eingerichtet, das alles enthielt, was die moderne Bürotechnik einschließlich eines Personalcomputers mit nahezu unbegrenzter Speicherkapazität zu bieten hatte. Leider hatte sich Mylady bislang für kein Thema definitiv entscheiden können, so daß die teure Ausstattung noch immer ungenutzt ihrer Einweihung harrte.

»Wann erwartet mich dieser Mensch mit dem seltsamen Namen, Mister Parker?« erkundigte sie sich gespannt.

»Mister Fullerton hält ein Uhr morgens für die beste Zeit, um ihm einen Besuch abzustatten. Einerseits könnten Mylady dann noch die letzte Show erleben, andererseits würden danach die ersten Besucher gehen und Mister Fullerton somit etwas Zeit zu einem ausführlichen Gespräch finden.«

»Das ist doch mitten in der Nacht, da ist doch längst alles geschlossen, Mister Parker. Sie haben sich wieder mal reinlegen lassen, auf mich wartet eine Falle, weiter nichts. Aber ich werde diesem Lümmel zeigen, daß man eine Lady Agatha nicht hereinlegt, Mister Parker, ich werde Ihren Fehler wiedergutmachen.«

»Mylady dürften wie immer die Situation fest im Griff haben.« Parkers Gesicht zeigte keinerlei Regung, während er höflich weitersprach. »Mister Fullertons Etablissement ist bekannt dafür, daß man sich hier rund um die Uhr amüsieren kann, Mylady. Man kennt keinerlei zeitliche Einschränkungen. Aus diesem Grund wird es Mylady auch möglich sein, Mister Fullertons Etablissement zu dieser ungewöhnlichen Stunde aufzusuchen.«

»Sie meinen, man kann hier mitten in der Nacht kommen, Mister Parker?« vergewisserte sie sich ungläubig.

»So ist es, Mylady. Mister Fullertons Stammgäste ziehen es sogar ausdrücklich vor, solche Besuche erst spät am Abend durchzuführen.«

»Das klingt nicht schlecht, Mister Parker. Ich denke, ich werde mich durchaus amüsieren, auch wenn man sich hier mitten in einer recht aufsässigen Kolonie befindet! Welcher Art ist das Etablissement Ihres Bekannten?«

Parker verzichtete darauf, auf Myladys Kommentar bezüglich der schottischen Kolonie einzugehen. Statt dessen erklärte er ihr höflich, in welchem Geschäft Jock Fullerton tätig war.

»Mister Fullerton führt eine stadtbekannte Travestiebühne, die einen ausgezeichneten Ruf genießt, Mylady. Darüber hinaus pflegen sich in seinem Unternehmen Angehörige des sogenannten horizontalen Gewerbes und Nachrichtenhändler aller Couleur zu treffen. Seinem Etablissement ist ein gewisses Flair nicht abzusprechen.«

»Travestie, Mister Parker? Sie meinen, es handelt sich um ein Homosexuellen-Lokal?« erkundigte sie sich und sah ihn streng an.

»Mitnichten, Mylady. Bei der Travestie geht es darum, Frauenfiguren von männlichen Darstellern verkörpern zu lassen. Diese Herren sind ausgezeichnet geschminkt und parodieren bekannte Damen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Die Shows des Mister Fullerton zählen zur internationalen Spitze, wie man allgemein zu berichten weiß. Mylady werden sich mit Sicherheit gut unterhalten.«

»Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben, Mister Parker! Wenn ich mich schon von Ihnen zum Besuch solcher Abartigkeiten überreden lasse, um Ihnen einen Gefallen zu tun, will ich mich wenigstens dabei auch amüsieren.«

Sie musterte ihn erneut von oben bis unten und fuhr dann nachdenklich fort. »Ich weiß allerdings nicht, ob ein solches Lokal der richtige Ort für Sie ist, Mister Parker!«

»Mylady haben irgendwelche Bedenken?« erkundigte sich Parker höflich.

»Nur wegen dieser horizontalen Damen, Mister Parker! Ich hoffe, Sie wissen sich zu beherrschen und halten sich zurück ...«

*

»Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Mister Parker!« Jock Fullerton, der in einem nicht sonderlich angesehenen Viertel Edinburghs ein Etablissement betrieb, eilte mit weitausgebreiteten Armen auf den Butler zu. Er war klein, rundlich und wieselflink und erinnerte an den sprichwörtlichen ›Kugelblitz‹. Er drückte Parker temperamentvoll an sich und klopfte ihm wiederholt auf die Schultern.

Als Lady Agatha sich nachdrücklich räusperte, ließ er von ihm ab und wandte sich ihr zu. »Und Sie sind sicher die sagenhafte Lady, von der er mir soviel erzählt hat!« Fullerton strahlte und eilte auf sie zu, um sie in die Arme zu schließen. Lady Agatha trat vorsichtshalber einen Schritt zur Seite und entging mit knapper Not seinem Ansturm.

»Zügeln Sie sich etwas, junger Mann!« verlangte die ältere Dame streng, während sie ihn mit eisigem Blick musterte.

»Mister Fullerton ist das, was man ein Temperamentsbündel zu nennen pflegt, Mylady«, erläuterte Josuah Parker würdevoll. »Er pflegt stets offen und freimütig zu zeigen, wenn ihm jemand sympathisch ist.«

»Ihre Lady ist einfach großartig, Mister Parker, das muß ich schon sagen.« Er musterte Agatha Simpson wohlwollend von oben bis unten und nickte anerkennend.

»Der junge Mann hat nicht ganz unrecht, Mister Parker«, überlegte die Detektivin geschmeichelt. »Er scheint über ein gutes Auge und eine ausgezeichnete Menschenkenntnis zu verfügen.«

»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Mylady? Ich weiß natürlich, daß eine Lady nicht trinkt, aber wenn Sie mir die Ehre erweisen würden?«

»Papperlapapp, mein Lieber, wenn Sie mich ausdrücklich darum bitten ... Tatsächlich verabscheue ich Alkohol, wie Ihnen Mister Parker bestätigen wird, nicht wahr, Mister Parker?«

»Mylady sind in jeder Hinsicht ein leuchtendes Vorbild und nehmen nur hin und wieder einen Kreislaufbeschleuniger«, bestätigte Parker etwas neutral.

»Wie wär’s mit ’nem Schlückchen Schampus, Mylady?« erkundigte sich Fullerton leutselig, während er bereits die entsprechende Flasche schwenkte.

»Dieses Zuckerwasser ist nichts für mich, junger Mann«, beschied sie ihn. »Haben Sie nichts Anständiges da, Rum oder Cognac beispielsweise?«

»Aber sehr gern, Mylady.« Fullerton verbeugte sich galant und lächelte Agatha Simpson entzückt an. »Ich muß sagen, Sie gefallen mir von Minute zu Minute besser. Frauen wie Sie trifft man ja kaum noch.«

Mylady musterte den kleinen Mann mehr als nur wohlwollend und brachte es sogar fertig, ein wenig zu erröten. Josuah Parker, der sich diskret im Hintergrund hielt, gestattete sich andeutungsweise eine gelinde Verwunderung.

Fullerton brachte eine Cognacflasche zum Vorschein und schenkte zwei Schwenker voll. »Auf Ihr Wohl, Mylady«, wünschte er, während er ihr schelmisch zuzwinkerte.

Parker hüstelte dezent und brachte sich damit wieder in Erinnerung. Lady Agatha fühlte sich gestört und musterte ihren Butler verärgert.

»Ja, was ist denn, Mister Parker, warum geben Sie dieses lächerliche Geräusch von sich?« verlangte sie zu wissen.

»Mylady mögen gütigst verzeihen.« Parker verneigte sich andeutungsweise und verwies auf die große Wanduhr, die über Fullertons Schreibtisch hing. »Mylady äußerten den Wunsch, Mister Fullertons wirklich ausgezeichnete Show zu sehen, die in Kürze beginnen dürfte.«

»Das dürfen Sie nicht versäumen, auf keinen Fall, Mylady.« Fullerton ergriff Lady Agathas Arm und geleitete sie zur Tür, um sie persönlich in den Vorführungsraum zu führen. Neben Myladys junonischer Gestalt wirkte er wie weiland David gegen Goliath.

*

Agatha Simpson saß in der Privatloge des Gastgebers und starrte entzückt durch ihr Lorgnon auf die Bühne. Dort wirbelten einige grotesk herausgeputzte ›Damen‹ über die Bretter, warfen ihre üppig behaarten Beine und streckten ihre falschen Busen dem Publikum entgegen. Dazu sangen sie erstaunlich gekonnt Lieder in Keltisch mit zweideutigem Text und warfen ab und zu Kußhände unter die begeistert mitgehenden Zuschauer.

»Worüber freuen sich die Leute hier so, Mister Parker?« verlangte die Lady zu wissen, während sie keinen Blick von der Bühne wandte.

»Man genießt offensichtlich die Texte, Mylady, die durchaus als gewagt bezeichnet werden dürfen«, gab Parker würdevoll zurück.

»Ich verlange eine genaue Übersetzung, Mister Parker, und lassen Sie nichts aus! Ich weiß im voraus, daß ich empört sein werde, aber schonen Sie mich nicht, sagen Sie mir genau, mit welchen Obszönitäten man mein Ohr beleidigt«, verlangte sie energisch zu wissen und beugte sieh erwartungsvoll zu dem Butler hinüber.

»Lassen Sie nur, Mister Parker, das mache ich schon«, mischte sich Jock Fullerton ein, der rechts von Mylady saß. Er neigte sich zu ihr und begann neckisch in ihr Ohr zu flüstern.

Mylady sah ihn zunächst erstaunt, dann ungläubig-verzückt an und ließ ein leises Kichern vernehmen, das Parker noch nie bei ihr gehört hatte. Sie legte dem Unterhaltungschef ungeniert ihre schwere Hand auf die Schulter und zog ihn näher zu sich heran, um ja kein Wort zu verpassen.

Fullerton wiederholte eine besonders schlüpfrige Textpassage, und Mylady prustete wie ein aus dem Wasser tauchendes Nilpferd. Einige Zuschauer sahen zur Loge hinüber und versuchten, den Verursacher des lauten Geräuschs auszumachen.

»Ich muß schon sagen, Mister Parker, ich bin aufrichtig empört!« Lady Agatha hatte ihre Fassung wiedergewonnen und sprach den Butler an, der stocksteif neben ihr saß und keine Miene verzog.

»Falls Mylady sittliches Empfinden zu sehr strapaziert werde, kann man selbstverständlich sofort aufbrechen und zur Villa zurückfahren«, schlug Parker höflich vor. Er wußte natürlich genau, daß seine Herrin im Traum nicht ans Gehen dachte und ihm eine lange Nacht bevorstand.

»Ich bitte Sie, Mister Parker, geben Sie sich doch nicht immer so furchtbar puritanisch, gehen Sie auch mal aus sich heraus, das wird Ihnen guttun, nicht wahr, mein lieber Jock?!« Sie strahlte Parker förmlich an.

Der Butler zuckte kaum merklich zusammen und ließ andeutungsweise die Brauen um den Bruchteil eines Millimeters in die Höhe steilen. Er gestattete sich einen unhörbaren, weil nur innerlich gegebenen Stoßseufzer und richtete sich geistig auf weitere Anfechtungen ein.

Mylady schien sich ausgezeichnet zu amüsieren und von Mr. Jock Fullerton nachhaltig animiert zu werden.

Einige der Herren-Damen sprangen von der Bühne und näherten sich hüfteschwingend den weiter vorn im Publikum sitzenden Männern. Die angeblichen Damen waren in Kostüme der zwanziger Jahre gehüllt und sogen an langen, ebenso mondän wie verrucht aussehenden Zigarettenspitzen. Sie ließen sich auf den Schößen einiger Herren nieder und begannen, diese unter dem Kinn zu kraulen oder über die Haare zu streichen.

Lady Agatha beugte sich weiter vor, um sich nichts entgehen zu lassen. Sie war bestrebt, jede Minute in der seltsam erregenden Atmosphäre dieses Etablissements auszukosten.

Die Herren-Damen ließen von ihren Opfern ab und tänzelten zur Bühne zurück. Dazu sangen sie Lieder, die an Frivolität nicht zu überbieten waren und blieben von Zeit zu Zeit stehen, um einen Herrn im Publikum mit einem Kuß zu bedenken.

Plötzlich entdeckten sie Agatha Simpson in ihrer Loge, blieben stehen und tuschelten. Dann näherten sie sich zielstrebig der Loge und machten davor halt.

»He, altes Mädchen, du gefällst uns, echt stark siehst du aus, wirklich! Haste nicht Lust, mit uns ’ne kesse Sohle aufs Parkett zu legen?« erkundigte sich eine besonders grell geschminkte »Dame« mit beeindruckendem Gummibusen.

»Die Dame ist mein Gast, Jungs, schwirrt wieder ab.« Jock Fullerton schien das etwas peinlich zu sein und winkte die Darsteller energisch weg.

»Was will man von mir?« wollte Lady Agatha wissen und musterte die Herren-Damen wohlwollend.

»Nichts von Belang, Mylady. Man bat lediglich darum, Mylady möge sich am Geschehen auf der Bühne beteiligen«, gab Parker würdevoll zurück, der wieder mal ahnte, was jetzt kam.

»Ach, tatsächlich, Mister Parker, und warum bittet man mich darum?«

»Die Jungs finden Sie Klasse, Lady, aber das geht natürlich zu weit. Ich habe ihnen bereits gesagt, sie sollen Sie nicht weiter belästigen«, mischte sich Jock Fullerton hastig ein.

»Papperlapapp, ich hatte schon immer einen Hang zu den Brettern, die die Welt bedeuten, und ein gewisses Talent hat man mir zeit meines Lebens nachgesagt«, überlegte die ältere Dame und lächelte versonnen. »Und bekanntlich ist es ja nie zu spät, um eine neue Karriere zu starten, nicht wahr?«

Sie erhob sich entschlossen und nickte den Herren-Damen freundlich zu. »Ich werde Ihnen jetzt eine Show bieten, die Sie Ihr Leben lang nicht vergessen werden«, versprach sie, während sie die ihr hilfreich entgegengestreckten Hände der Darsteller ergriff und sich zur Bühne führen ließ.

»Das steht zu befürchten«, äußerte sich Josuah Parker leise und machte sich auf einen Kunstgenuß besonderer Art gefaßt.

*

Man hatte eine Pause eingelegt, die die Darsteller nutzten, um sich ein wenig zu erfrischen, die Garderobe zu wechseln und sich nachzuschminken. Im Zuschauersaal gingen junge Frauen durch die Reihen und boten Eis und diverse Getränke an. Josuah Parker nutzte die Gelegenheit, um mit Jock Fullerton einige Worte zu wechseln und gewisse Wünsche zu äußern.

Dann gongte es dreimal, die Lampen erloschen, und der Vorhang rauschte zur Seite, um die Bühne für die letzte halbe Stunde der Show freizugeben. Andächtiges Schweigen trat ein, als man des Ensembles ansichtig wurde. Eine gewisse Lady Agatha war zweifellos der unbestrittene Star, die Königin der Nacht und Beherrscherin der Bühne. Sie wußte das und winkte huldvoll in die Menge, die plötzlich zu toben begann und aufsprang, um frenetisch Beifall zu klatschen.

»Mein Gott, so was hab’ ich noch nie erlebt, die Leute sind ja außer Rand und Band!« flüsterte Jock Fullerton neben Parker und lächelte selig. Josuah Parker hielt auf seine Würde als Butler und zeigte die gewohnte, undurchdringliche Miene.

Mylady stand in der Mitte des Ensembles und gab offenbar letzte Anweisungen. Die Herren-Damen nickten eifrig mit den Köpfen und schwärmten aus, um Aufstellung zu nehmen.

Agatha Simpson trat an den Rand der Bühne, verbeugte sich und winkte ins Publikum. Sie warf Kußhände in die Dunkelheit vor ihr und fühlte sich sichtlich wohl. Man hatte auch an Mylady Hand angelegt und sie ein wenig zurechtgemacht.

Sie trug ein sogenanntes Etuikleid aus grellrotem Satin mit Ausschnitt. Ihre Füße steckten in Schuhen, in denen sie unsicher vor und zurück schwankte. Ihr Gesicht war mit Puder belegt worden, und nur der geschminkte Mund und die grün umrandeten Augen stachen hervor.

Weiße Cocktailhandschuhe, die bis zu den Ellbogen reichten, sowie ein turbanähnlicher Hut mit schillernder Pfauenfeder vervollständigten ihre Erscheinung. Ab und zu nahm sie einen Zug aus einer langen Zigarettenspitze, um sofort darauf lautstark zu husten und den Rauch mit den Händen in der Luft zu verteilen.

»Was für eine Frau!« begeisterte sich Jock Fullerton, der von Konkurrenten gelegentlich auch ›das Handtuch‹ genannt wurde, und starrte hingerissen auf Lady Agatha, die ihre Mitstreiter bei den Händen faßte und offensichtlich eine Art Tanz einleiten wollte.

Fullerton beugte sich zu Parker herüber und räusperte nervös.

»Verzeihen Sie mir eine indiskrete Frage, Mister Parker, bitte, verstehen Sie mich nicht falsch ...«

»Mylady erfreut sich der Freiheit und ist ohne Gemahl, Mister Fullerton«, gab Parker würdevoll zurück. »Mylady ist bereits seit vielen Jahren verwitwet. Ich nehme an, daß dies Ihre Frage sein sollte, Sir?«

»Sie müssen Hellseher sein, Mister Parker«, gab der Besitzer des Etablissements zurück. »Aber es stimmt, genau danach wollte ich fragen.«

Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort: »Wissen Sie, eigentlich trage ich ja auch einen Titel, ich darf mich mit Fug und Recht ›Herzog‹ nennen.«

»Sie handeln noch immer nebenbei mit falschen Adelstiteln, Sir?« erkundigte sich Parker höflich.

»Hin und wieder, Mister Parker. Sie wissen, besonders die Amerikaner stehen auf sowas. Aber was meinen Titel betrifft, der ist echt! Ein verarmter Herzog, der beim Pokern gegen mich verlor, hat mich zum Ausgleich seiner Schulden adoptiert.«

»Sie hatten wie immer die besseren Karten im Ärmel, wie zu vermuten ist, Mister Fullerton.«

Der Gastgeber kam nicht mehr dazu, Parker zu antworten, denn die Show begann. Das Ensemble hatte sich in Bewegung gesetzt und führte einen sogenannten ›Can Can‹ vor. Ausgelassene Rhythmen peitschten aus den mächtigen Lautsprechern, die Tänzer wirbelten über die Bühne und warfen die Beine in die Luft, die Bretter dröhnten, und das Publikum begann zu rasen.

Man stieg auf die Stühle und klatschte sich die Hände wund. Gutgekleidete, seriös wirkende Herren in Abendgarderobe benahmen sich wie Twens, Damen gesetzten Alters konnten nicht mehr an sich halten und fingen an zu kreischen, jüngere Männer und Frauen drängten in die Gänge und machten es dem Ensemble auf der Bühne nach.

Lady Agatha beherrschte die Vorstellung. Sie hob ihre stämmigen Beine, ließ sich von ihren Partnern herumschwenken und genierte sich keineswegs bei ihrem Auftritt.

Dann stieg sie von der Bühne und mischte sich unter das tobende Publikum.

Am Ausgang kam es später fast zu einem Tumult, als sich die Herren noch mal umdrehten, und keiner als erster den Saal verlassen wollte ...

*

Nach der Vorstellung ging Mylady mit der Travestie-Truppe und Jock Fullerton in ein nahegelegenes Insider-Lokal, um den Erfolg zu feiern und ein opulentes Frühstück einzunehmen. Gegen Morgen ließ sie sich von Parker in die zur Verfügung stehenden Villa zurückfahren und begab sich sofort in ihr Schlafzimmer.

Josuah Parker umrundete das Haus, um es noch mal zu überprüfen, bevor auch er sich für zwei Stunden hinlegen wollte, als das Telefon klingelte.

»Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen, Sir«, grüßte er, nachdem sich der Anrufer gemeldet hatte.

»Ich wußte ja, daß Sie schon auf den Beinen sind, sonst hätte ich natürlich nicht so früh angerufen«, erklärte Mike Rander, Lady Agathas Anwalt und Vermögens Verwalter. »Wie läuft es denn so, Parker?«

»Meine bescheidene Wenigkeit ist gerade nach Hause zurückgekehrt, da die Nacht in einem Etablissement ganz besonderer Art verbracht wurde, Sir. Man pflegt dort sogenannte Travestie-Shows zu zeigen. Eingeweihte können beim Inhaber außerdem Nachrichten aller Art käuflich erwerben oder weitergeben lassen.«

»Wie ich Sie kenne, ist dieser Inhaber ein Bekannter von Ihnen, der Ihnen noch einen kleinen Gefallen schuldet, wie?« spottete Mike Rander, der den Butler nur zu gut kannte. Er hatte vor Jahren in den USA die Interessen britischer Firmen juristisch vertreten und war während dieser Zeit von einem Kriminalfall in den anderen geschliddert, woran Josuah Parker, der ihm damals als Butler diente, nicht ganz unschuldig war.

»Dem ist in der Tat so«, bestätigte Parker höflich. »Meine bescheidene Wenigkeit war vor einiger Zeit in der erfreulichen Lage, einem gewissen Mister Fullerton, der jetzt dieses Etablissement betreibt, behilflich zu sein.«

»Und dieser Mensch konnte Ihnen einen brauchbaren Tip geben, Parker?«

Butler Parker 191 – Kriminalroman

Подняться наверх