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Parker

im Teufelskreis der »Henker«

Roman von Günter Dönges

Als die junge Dame das Palm-Beach-Refugium betrat, wurde es in der Halle erstaunlich ruhig. Die Männer unterbrachen ihre Gespräche und vergaßen durchweg ihre weiblichen Begleiterinnen, falls solche vorhanden waren. Die Damen hingegen musterten die zierliche Blondine abschätzend und kritisch. Sie suchten nach einem schwachen Punkt, um den Hebel ihrer Kritik ansetzen zu können.

Sie suchten vergeblich.

Die zierliche Blondine konnte sich nämlich in der Tat sehen lassen. Sie mochte knapp zwanzig Jahre alt sein, trug ein ärmelloses Kleid aus weichem Chiffon und bewegte sich mit der ungezwungenen Natürlichkeit eines jungen Tieres.

Sie schien nichts von dem Aufruhr zu bemerken, den sie verursachte. Sie trat an die Rezeption und fragte nach ihrem Apartment. Der Empfangschef, abgebrüht und ein Meister der Selbstbeherrschung, mußte sich zusammenreißen. Er schluckte einige Male und fragte dann stotternd nach dem Namen der jungen Dame.

»Jill Carvon«, antwortete die Blondine mit einer reizenden Stimme, in der nichts von Affektion zu verspüren war, »meine Gesellschafterin hat das Apartment vorbestellt.«

»Oh, Miss Carvon!« Der Empfangschef dienerte und beeilte sich, den Schlüssel einem Hotelpagen in die Hand zu drücken. »Miss Carvon, Apartment Nummer dreiunddreißig!«

Sie dankte mit einem reizenden Lächeln.

»Sorgen Sie für mein Gepäck«, bat sie dann, »draußen im Wagen! Meine Gesellschafterin wird erst später nachkommen. Post für mich eingetroffen?«

Post für Miss Carvon war vorhanden.

Die Hand des Empfangschefs zitterte leicht, als er ihr den dicken Umschlag aushändigte. Ein erneutes, liebevolle Lächeln, ein Schluckkrampf des Empfangschefs, und dann entschwebte Miss Carvon zum Lift.

Der Hotelpage riß die Tür zum Lift auf. Er hüstelte vor Aufregung, als er zusammen mit ihr hinauf in die zweite Etage fuhr. Er genoß das fein-herbe Parfüm des weiblichen Gastes und gab sich der Verwirrung ihrer Nähe hin.

Im Apartment angekommen, entließ ihn Miss Carvon mit einem freundlichen Lächeln. Sie wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann öffnete sie sofort den Umschlag und ließ sich dabei in einen der tiefen Sessel fallen.

Sie lächelte nicht mehr, als sie den Brief las. Ihr feingeschnittenes Gesicht nahm einen starren Ausdruck an. Sie überflog die wenigen Zeilen und faltete den Brief dann zu einem kleinen Zettelchen zusammen, den sie im Ausschnitt ihres Kleides verschwinden ließ. Dann zog sie einige Zeitungsartikel aus dem Umschlag und faltete sie auseinander. Doch sie kam nicht mehr dazu, sie zu lesen. Der Hotelpage kam mit dem Gepäck.

Es handelte sich um einen veritablen Schrankkoffer, einen kleineren Lederkoffer und um eine Hutschachtel. Nach Empfang eines reichlichen Trinkgeldes huschte der Page verwirrt hinaus in den Korridor.

Miss Jill Carvon konnte sich endlich wieder den Zeitungsartikeln widmen. Sie stammten aus verschiedenen Zeitungen, waren durchweg zwei Wochen alt und betrafen alle ein ganz bestimmtes Ereignis.

Dieses Ereignis bestand in einer rätselhaften, riesigen Explosion weit draußen auf der Inselkette der Bermudas. Genauer gesagt, die Artikel berichteten übereinstimmend von einer kleinen Insel, die Exuma Island hieß. Auf dieser Insel, so hieß es in den Berichten, hatte sich ein Ferienparadies befunden. Es existierte nun nicht mehr. Ein rätselhafter Vulkanausbruch hatte die Insel für Touristen uninteressant werden lassen.

In dem dicken Umschlag befanden sich außerdem so etwas wie Personalakten mit Fotografien. Sie betrafen zwei Männer, die die junge Blondine noch nie gesehen hatte. Sie studierte die Fotos und trug anschließend alles hinüber ins Bad, wo sie die Unterlagen in Flammen aufgehen ließ. Die Wasserspülung sorgte dafür, daß die Asche in der Kanalisation von Palm Beach verschwand.

Jill Carvon griff zum Telefon und rief unten in der Rezeption an. Sie sprach von leichten Kopfschmerzen und bat darum, man möge sie auf keinen Fall stören. Nein, die Koffer packe sie selbst aus, man brauche kein Zimmermädchen zu schicken. Sie hauchte ihren Dank durch die Leitung, legte auf und entwickelte ungemeine Betriebsamkeit. Von leichtem Kopfschmerz konnte überhaupt keine Rede sein. Aktivität und Zielstrebigkeit zeichneten ihre Handlungen aus.

Sie klappte den schweren Schrankkoffer auseinander und öffnete eines der Wäschefächer. Nachdem sie das Fach ganz herausgezogen hatte, griff sie in die Öffnung hinein, löste eine Sperre und öffnete ein kleines Geheimfach.

Sie holte eine Puderdose hervor, die auf der Rückseite einen Saugnapf aufwies.

Jill Carvon drückte diese Puderdose in Höhe der Fußleiste gegen die Wand zum angrenzenden Zimmer und schaltete dann ein kleines Transistorgerät ein, das sie aus der Handtasche hervorgeholt hatte. Sie zündete sich eine Zigarette an und lauschte den Tönen, die aus dem Lautsprecher des kleinen Radiogerätes kamen.

Es handelte sich keineswegs um Musik.

*

»Diesmal beißen Sie bei mir auf Granit«, sagte Mike Rander und schüttelte den Kopf, »Parker und ich haben unsere Aufgabe erledigt, damit hat sich’s nun. Sie scheinen zu vergessen, daß ich längst nicht mehr Ihrer Dienststelle angehöre …!«

»Ich weiß, ich weiß!« Mr. Brown, ein schlanker, kleiner, aber drahtig wirkender Mann von etwa fünfzig Jahren, nickte verständnisvoll. Er saß in einem Sessel in der Nähe des Fensters und blicke auf seine Zigarre, die für ihn viel zu groß wirkte. »Sie sind Staranwalt. Sie haben vergessen, daß Sie während der Kriegsjahre für mich tätig waren. Aber ausgeschieden, Rander, ausgeschieden, nein, das sind Sie nicht! Sie werden, solange Sie leben, zu uns gehören!«

»Berauschen Sie sich von mir aus an dieser Vorstellung, sie ändert aber nichts an meinem Entschluß«, gab Anwalt Mike Rander zurück. »Parker und ich haben auf Exuma Island genug Ärger gehabt.«

»Sie haben Ihren Auftrag aber einmalig gut und wirkungsvoll erledigt«, stellte Brown fest.

»Sie sprechen doch hoffentlich von Parker«, meinte Anwalt Rander, ohne ihn wären die Raketen noch betriebsklar. Ihm allein ist es zu verdanken, daß die Bedrohung ausgeschaltet werden konnte!

»Streiten wir uns nicht über Details«, sagte Brown. »Bleiben wir doch bei den Tatsachen. Der ›Herr der Welt‹, um den es doch schließlich geht, dieser ›Herr der Welt‹ also konnte sich absetzen. Und mit ihm fast das ganze Amazonenkorps, das er aufgestellt hatte!«

»Sie haben genug Leute, um diese Amazonen zu jagen«, warf der Anwalt ein, »lassen Sie sich nur nicht aufhalten, Brown. Verlieren Sie nur ja keine Zeit!«

»Sie sind stur wie in alten Tagen.«

»Ich will endlich meine Ruhe haben«, erklärte Mike Rander, »Brown, können Sie denn das nicht verstehen?«

»Verstehen schon, Rander, aber von Ruhe kann doch wohl keine Rede sein. Selbst dann, wenn wir uns ’raushalten.«

»Wie meinen Sie das?«

»Na, glauben Sie, der ›Herr der Welt‹, wie dieser Supergangster sich nennt, wird Ihnen die Pleite verzeihen, die Sie ihm beigebracht haben?«

»Er wird andere Sorgen haben, als sich mit Parker und mit mir zu beschäftigen.«

»Da befinden Sie sich aber mächtig auf dem Holzweg, Rander. Das ist er sich und seinen Leuten schon schuldig. Verlassen Sie sich darauf, er wird eine mörderische Treibjagd auf Sie veranstalten.«

»Dann werden Parker und ich uns eben absetzen. Aber ich spiele nicht mehr mit. Ich habe die Nase voll. Sie, Brown, Sie waren nicht drüben auf der Insel. Sie sind nicht von diesen verdammten Amazonen gehetzt worden!«

»Gut, Rander, ich muß Ihre Haltung respektieren«, sagte Brown und erhob sich, »ich wünsche Ihnen von Herzen Ruhe, aber ich wiederhole noch einmal, ich glaube nicht daran. Der ›Herr der Welt‹ wird Sie jagen und hetzen lassen. Er wird Ihnen niemals verzeihen. Sie haben seine Pläne gründlich gestört. Er hat einen Rückschlag erlitten, der ihn um Monate zurückwirft!«

»Demnach haben Sie Zeit, einzugreifen. Sie haben doch schließlich geschulte Profis, Brown …«

»Die Amateure Parker und Rander wären mir lieber«, stellte Brown lächelnd fest, »na ja, Rander, vielleicht sitzen wir bald wieder in einem Boot! Wohin werden Sie fahren?«

»Parker und ich reisen morgen ab«, antwortete Mike Rander, »wir werden am Lake Okeechobee den Fischen nachstellen!«

»Passen Sie auf sich auf«, bat Brown, »denken Sie an die weiblichen Henker, die der ›Herr der Welt‹ Ihnen auf den Hals hetzen wird. Unterschätzen Sie die Amazonen nicht!«

»Worauf Sie sich verlassen können. Parker und ich haben sie ja aus nächster Nähe erlebt!«

»Denken Sie daran, wie geschickt Frauen sich tarnen können!«

»Noch mehr von diesen Ratschlägen?« fragte Mike Rander spöttisch zurück.

»Gehen Sie am besten jeder Frau aus dem Weg. Wenigstens in den kommenden Wochen.«

»Warum sperren Sie uns nicht gleich ein. Nur so aus Sicherheitsgründen?«

»Rander, das würde ich wirklich am liebsten tun«, antwortete Mr. Brown sehr ernst. »Sie haben den Staaten einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Dafür … möchte ich mich bedanken, indem ich Sie schütze!«

»Feierlicher geht’s wohl nicht, wie?« Mike Rander grinste wie ein Schuljunge, »und was die weiblichen Henker angeht, na, Brown, mit denen werden wir schon fertig werden! Falls diese Amazonen sich überhaupt blicken lassen. Wenn Sie mich fragen, so hat der ›Herr der Welt‹ jetzt andere Sorgen. Er muß sich eine neue Machtposition aufbauen. Das wird ihn voll und ganz beschäftigen, wetten?«

»Ich wünsche mir schon jetzt, daß ich diese Wette verliere«, schloß Brown die Unterhaltung. »Übrigens, wo steckt denn Ihr Butler?«

»Wie ich ihn einschätze, lustwandelt er jetzt würdevoll wie ein Bischof über die Uferpromenade und träumt von neuen Überraschungen.« Mike Rander lächelte grimmig, »aber die werde ich ihm vermiesen, Brown. Für Parker und mich besteht ab sofort totale Windstille!«

*

Im Gegensatz zu Mike Randers Behauptung lustwandelte der Butler nicht.

Er saß steif und würdevoll auf der Kante eines Strohsessels und beobachtete das lebhafte Strandtreiben. Er hatte sich einen französischen Cognac bestellt und rauchte dazu eine seiner scheußlichen Zigarren. Er konnte sich diesen Luxus leisten, denn er befand sich auf einer Terrasse, die vom sanften Meereswind unaufhörlich bestrichen wurde.

Einige vorwitzige und gierige Möwen, die ihn beobachtet hatten und dann zu einem Erkundungsflug gestartet waren, hatten sich hustend zurückgezogen und mieden ab sofort diesen schwarz gekleideten Mann, dessen Rauchwolken penetrant waren. Diese Möwen saßen auf dem Geländer einer Seebrücke, die weit ins Wasser hinausführte, und beobachteten diesen ungewöhnlichen Menschen, der so gar nicht in das Bild paßte.

Parker dachte an Exuma Island. Parker dachte an die Amazonen, mit denen er sich auf der verschwiegenen Insel herumgeschlagen hatte. Er dachte an den »Herrn der Welt«, wie der Supergangster sich nannte und dachte schließlich daran, daß dieser Mann samt der Masse seiner Mitarbeiterinnen entwischt war.

Im Gegensatz zu seinem jungen Herrn machte der Butler sich keine Illusionen. Er rechnete mit Schwierigkeiten. Er rechnete fest und sicher mit mörderischen Anschlägen. Und da er den Angriff grundsätzlich für die beste Art der Verteidigung hielt, grübelte er darüber nach, wie er seinen lustlosen und ruhehungrigen jungen Herrn aktivieren konnte.

Parker ließ sich einen Moment ablenken.

Sein Interesse galt einer Gruppe junger Leute, die am Strand herumtollten. Sie vergnügten sich mit Pfeil und Bogen. Sie schossen lange Pfeile mehr oder weniger treffsicher in eine Korbscheibe. Wie gern hätte der Butler sich beteiligt, doch seine Würde verbot es ihm, sich diesen jungen Leuten anzuschließen.

Er schloß die Augen, um sich nicht weiter ablenken zu lassen. Er dachte immer wieder an die Amazonen von der Insel und fragte sich, wo sie sich jetzt wohl auf hielten. Hatten sie sich nach Südamerika zurückgezogen? Rüstete der »Herr der Welt« dort ein neues Machtzentrum aus? Vielleicht in den unwegsamen Dschungeln des Amazonas?

Parker gestand sich wieder einmal ein, daß er von diesem Supergangster im Grunde nichts wußte. Gewiß, er hatte ihn auf der Exuma Island einige Male gesehen. Das heißt, er war der Ansicht gewesen, ihn gesehen zu haben. Doch konnte das auch genausogut eine Verwechslung gewesen sein. Der »Herr der Welt«, ein Meister der Tarnung und der Maske, war bestimmt in eine andere Haut geschlüpft.

Parker wurde leicht abgelenkt.

Eine Stechmücke, verwegen und hart im Nehmen, näherte sich seinem Nacken. Sie gierte danach, Parkers Blut zu kosten. Sie ließ sich selbst von den Rauchschwaden nicht vertreiben.

Parker hob gemessen die Hand, um sie zu verscheuchen. Da sie aber hartnäckig blieb und sich jetzt seinem Ohr näherte, mußte er nach ihr schlagen.

Dabei bewegte er seinen Oberkörper automatisch zur Seite.

Und dabei hörte er ein giftiges Zischen, das keineswegs von der Stechmücke herrühren konnte. Er spürte deutlich einen plötzlichen Luftzug an der linken Halsseite und hörte Bruchteile von Sekunden später knapp hinter sich splitterndes Reißen.

Parker öffnete sofort die Augen und nahm den Kopf herum.

Nur dank seiner Selbstbeherrschung sprang er nicht sofort auf.

Er starrte aus grauen, prüfenden Augen auf den zitternden Pfeilschaft, der nur wenige Zentimeter hinter ihm wippte. Die Pfeilspitze stak im Holz des Pfeilers, der zur Pergola dieses Lokals gehörte.

Eine mörderische Waffe!

Parker wußte sofort, daß hier von einem bedauerlichen Zwischenfall keineswegs die Rede sein konnte. Ein Zufall schied ebenfalls aus. Hier war bewußt mittels Pfeil und Bogen nach ihm geschossen worden!

Parker ahnte, daß der nächste Pfeil nicht lange auf sich warten ließ.

Er verzichtete diesmal auf Würde, ließ sich blitzschnell auf die Knie fallen und ging hinter der Balustrade der Terrasse in Deckung.

Sein Entschluß zahlte sich aus.

Ein zweiter Pfeil zischte heran und blieb von außen in der Balustrade stecken. Auch diesmal war ungemein präzis gezielt worden.

Parker war peinlich berührt.

Er sah nach dem lustigen Völkchen, das nach wie vor am Strand herumtollte und das kreisrunde Ziel mit Pfeil und Bogen beschoß. Gewiß, von dorther konnten die beiden Pfeile auf die Reise geschickt worden sein, doch er glaubte nicht daran. Solch ein Versehen wäre selbst den ausgelassenen, jungen Leuten aufgefallen. Zudem schossen sie in eine ganz andere Richtung.

Nein, die beiden Pfeile mußten dort oben vom gegenüberliegenden Fenster abgeschossen worden sein.

Parker sah hoch und entdeckte sofort das Fenster, das gerade ganz langsam geschlossen wurde. Die Sonne spiegelte sich für einen kurzen Moment in der Scheibe.

Wer sich hinter dem Fenster befand, ließ sich leider nicht ausfindig machen. Doch Parker wußte Bescheid.

Die Henker des »Herrn der Welt« hatten hiermit die kriegerischen Handlungen eröffnet.

Parker ahnte in etwa, was seinem jungen Herrn und ihm bevorstand!

*

Mike hatte sich von Brown verabschiedet und wartete auf die Rückkehr seines Butlers. Er genoß die klimatisierte Luft seines Apartments und rauchte genußvoll eine Zigarette. Er wartete darauf, daß man ihm einen Whisky servierte. Er hatte ihn telefonisch bestellt, da die Trinkvorräte im eingebauten Zimmereisschrank von Mr. Brown dezimiert worden waren.

Er dachte über die Worte seines früheren Chefs nach. Während der Kriegsjahre hatte Mike Rander unter Brown gedient. Und zwar in einer geheimen Organisation, über die man nie sprach, die aber dennoch sehr aktiv war und nach wie vor existierte. Sie lief neben der CIA einher, ohne mit diesem Dienst etwas zu tun zu haben.

Rander richtete sich hoch, als angeklopft wurde. Er sagte »herein« und nickte dem Zimmermädchen zu, das den Whisky brachte. Das nette, naiv wirkende Zimmermädchen trippelte zum Tisch und stellte dort das Tablett ab. Es knickste in einer wirklich reizenden Art und Weise und verließ dann das Zimmer.

Parker könnte eigentlich kommen, sagte sich Mike Rander und griff nach dem Glas. Er schaltete ab, er wollte mit den Amazonen nichts mehr zu tun haben. Zum Teufel mit Brown und dessen Warnungen! Dieser Supergangster hatte andere Sorgen, als sich mit zwei Männern zu befassen, die ihm eine Schlappe zugefügt hatten.

In diesem Moment, als er gerade trinken wollte, klingelte das Telefon.

»Mike Rander«, meldete er sich, nachdem er abgehoben hatte.

»Josuah Parker, Sir«, sagte der Butler am anderen Ende der Leitung, »ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, Sir, daß gerade ein Mordanschlag auf mich verübt wurde!«

»Wieso?«

Nachdem der Butler den Zwischenfall erzählt hatte, schüttelte Mike Rander zweifelnd den Kopf.

»Sind Sie sicher, daß es sich nicht um ein Versehen gehandelt hat«, wollte er dann wissen.

»Absolut sicher, Sir«, entschied der Butler, »daher auch mein Anruf, der Sie hoffentlich nicht gestört hat! Die Henker des ›Herrn der Welt‹ schwärmen aus, wenn ich mich so ausdrücken darf. Mit anderen Worten, Sir, man muß ab sofort mit weiteren, tückischen Mordanschlägen rechnen!«

»Das hat auch Brown eben behauptet«, sagte Mike Rander, dessen Finger mit dem Whiskyglas spielten, »aber bleiben wir doch auf dem Teppich, Parker. Wir werden eben vorsichtig sein. Und heute noch reisen wir ab! Ich warte auf Sie!«

»Ich werde mich beeilen, Sir!«

»Na, dann Prost!« sagte Mike Rander und führte das Glas zum Mund hoch.

»Sir, darf ich zur höchsten Vorsicht raten«, fragte der Butler, »verzeihen Sie meine vielleicht unqualifizierte Einmischung! Aber der ›Herr der Welt‹ wird mit allen Mitteln versuchen, Sie und meine bescheidene Wenigkeit aus dem Weg zu räumen!«

»Schon gut, Parker«, sagte Mike Rander gelangweilt.

»Sie sind gerade im Begriff, einen Drink zu sich zu nehmen, Sir?«

»Na und?«

»Ist Ihnen dieser Drink offen serviert worden?«

»Natürlich. Wie üblich!«

»Von einem Zimmermädchen, Sir?«

»Selbstverständlich! Ich hatte nichts dagegen!«

»Sir, darf ich dringend raten, diesen Drink zu meiden!«

»Sie übertreiben mal wieder, Parker!«

»Sir, ich bin in größter Sorge, dieser Drink könnte vergiftet sein.«

»Sie machen mir Laune, Parker!«

»Sir, darf ich Sie ebenso herzlich wie dringend bitten, diesen Drink zu meiden? Ich werde mir erlauben, in spätestens einer Viertelstunde ins Hotel zu kommen. Falls sich keine weiteren Überraschungen ergeben.«

»Okay, Parker, beeilen Sie sich! Wir wollen weg!«

Mike Rander legte auf und starrte mißtrauisch auf das Whiskyglas in seiner Hand. Er roch, schnüffelte, konnte aber nichts Verdächtiges feststellen. Dennoch hielt er sich an Parkers Rat und stellt das Glas zur Seite.

Dann kam ihm ein Einfall. Er ließ das gefüllte Glas hinter dem tiefen Sessel verschwinden. Er nahm eines der leeren Gläser in die Hand, die noch auf dem Beistelltisch standen und aus dem Brown getrunken hatte.

Dann stöhnte er erfolgreich und gekonnt auf, ließ sich in den tiefen Sessel zurückfallen und schloß die Augen.

Als sich wenige Sekunden später die Zimmertür sehr leise und sehr vorsichtig öffnete, da erst dachte der Anwalt daran, daß er überhaupt keine Waffe bei sich hatte!

*

Josuah Parker mied die breiten Boulevards.

Er hatte verständlicherweise etwas gegen Schüsse aus fahrenden Autos. Er wollte auch nicht unbedingt niedergefahren werden. Rein zufällig natürlich, weil vielleicht eine Bremse versagt hatte oder ein luftleerer Reifen den Wagen hatte schleudern lassen. Nein, Parker hielt sich an die schmalen Straßen, die vom Strand hinauf zum alten Kern der Stadt führten.

Im Gegensatz zu seinem jungen Herrn nahm er den »Herrn der Welt« und die Amazonen keineswegs auf die leichte Schulter. Er wußte, daß er es mit ausgefuchsten und trickreichen Gegnern zu tun hatte. Mit Frauen, die sich wunderbar zu tarnen wußten …

Seine grauen Augen tauchten wachsam und mißtrauisch die wenigen Passanten, die ihm entgegenkamen.

Zwei ältere Damen tauchten aus einer Seitengasse auf. Sie trugen große Stofftaschen. Sie unterhielten sich lebhaft miteinander und schienen den Butler überhaupt nicht zu beachten. Doch war dieses Desinteresse nur gespielt?

Nein, jetzt entdeckten sie den Butler und tuschelten lächelnd miteinander. Sie amüsierten sich wahrscheinlich über seine schwarze Kleidung, die in diesen Breiten nun auch wirklich nicht angebracht war. Parker sah zumindest so aus wie ein leitender Angestellter eines Begräbnisinstituts!

Parkers Augen registrierten zwei Teenager, die hautenge, lange Hosen und leichte Blüschen trugen. Ihr Badezeug befand sich in Basttaschen. Sie trugen Unterwasser-Harpunen mit sich und schienen es eilig zu haben, endlich zum Strand zu kommen.

Parker wußte um die Gefährlichkeit solcher Harpunen. Waren die beiden Teenager harmlos? Warteten sie nur darauf, ihm Pfeile in den Rücken zu jagen?

Sie verschwanden in einer Seitengasse.

Parker holte seine zwiebelförmige Taschenuhr aus der Westentasche seines Anzuges und ließ den Sprungdeckel aufklappen. Auf der Innenseite dieses Sprungdeckels befand sich ein Spezialspiegel, in den er nur hineinzusehen brauchte, um feststellen zu können, was sich hinter seinem Rücken abspielte. Nein, die beiden Teenager blieben verschwunden!

Parker hielt weiter auf das Palm-Beach-Refugium zu, in dem er mit seinem jungen Herrn abgestiegen war. Er sah bereits die oberen Stockwerke des großen Hotels.

Aus einem Patio trat eine einfach gekleidete Frau, die ein kleines, weinendes Kind an der Hand führte. Die Frau mühte sich ab, die Tränen dieses kleinen Mannes zu stoppen. Für Parker hatte sie keinen Blick.

Der Butler schritt an ihr vorüber und wollte schon darauf verzichten, wieder seine Zwiebeluhr hervorzuholen. Doch seine Vorsicht war wieder einmal stärker. Obwohl er es gerade in diesem Fall für sinnlos hielt, warf er dennoch einen schnellen Blick in den Spiegel, um wenigstens sein Gewissen zu beruhigen.

Er war nicht schlecht überrascht, als die mütterliche Frau in ihre Schürzentasche griff und eine Pistole hervorholte, auf deren Mündung ein veritabler Schalldämpfer aufgeschraubt war.

Parker reagierte blitzschnell.

Er warf sich herum, zog gleichzeitig höflich seine schwarze Melone und schickte sie durch eine ruckartige Drehung des Handgelenks als eine Art Diskus durch die Luft.

Der Erfolg war frappierend.

Der Rand der Melone traf das Handgelenk der Frau, deren Kind noch immer weinte.

Polternd landete die Waffe auf dem Boden.

Die Frau kümmerte sich nicht weiter um das weinende Kind, sondern rannte mehr als leichtfüßig auf die schmale Gasse zu, wo sie dann blitzartig verschwand …

*

Mike Rander brauchte nicht lange zu warten.

Knapp zwei Minuten später wurde die Tür zu seinem Apartment wieder geöffnet. Diesmal sehr leise und sehr behutsam.

Das Zimmermädchen kam zurück.

Es blieb ganz kurz an der Tür stehen, schaute zu Mike Rander hinüber, der wie leblos im Sessel lag, schloß dann die Tür hinter sich und trat mit schnellen, entschlossenen Schritten auf den Anwalt zu.

Mike Rander konnte jede ihrer Bewegungen verfolgen.

Er hatte die Augen weit geöffnet und sie effektvoll zur Zimmerdecke hinaufgedreht.

Das Zimmermädchen, nach wie vor adrett und auch ein wenig naiv aussehend, blieb vor dem Anwalt stehen und griff nach dem Glas in seiner Hand.

In diesem Moment packte der junge Anwalt schnell und energisch zu.

Das Zimmermädchen war völlig überrascht. Schließlich hatte es ja mit einem Toten gerechnet. Es ließ sich gegen den niedrigen Tisch drängen, um dem Anwalt dann aber eine jähe Niederlage zu bereiten. Das Zimmermädchen war durchaus in Karate geschult. Mike Rander fühlte nur, daß er durch die Luft flog. Fast gleichzeitig spürte er, daß ihm das Bewußtsein schwand. Als er dann auf dem Boden landete, war er tatsächlich ohnmächtig. Doch nur für ganz wenige Sekunden. Schließlich war er kein Büromensch. Das Zusammenleben mit dem Butler hatte ihn körperlich derart fit gemacht, daß er schon einiges einzustecken vermochte.

Mike Rander hörte im Unterbewußtsein schnelle Schritte. Instinktiv wußte er, daß das Zimmermädchen ihn umbringen wollte. Solch eine Chance ließ es sich mit Sicherheit nicht entgehen.

Mike Rander handelte aus dem Unterbewußtsein heraus.

Er warf sich herum, ohne zu wissen, ob das im Moment richtig war oder nicht. Gleichzeitig ließ er die angewinkelten Beine wie ein Katapult nach vorn fallen.

Ein unterdrückter Schmerzensschrei!

Rander richtete sich etwas auf.

Das Zimmermädchen lag vor dem schweren Sessel. Es schien sich den rechten Arm verstaucht zu haben, denn es mühte sich ab, nach dem langen Messer zu greifen, das auf dem Teppich lag.

Bevor das Girl sich herumwerfen und mit der linken Hand zufassen konnte, rollte Mike Rander sich heran und setzte alles auf eine Karte. Er parierte einen Ausfall, beantwortete ihn mit einem Handkantenschlag gegen den Oberarm des Zimmermädchens und trat das Messer unter einen niedrigen Schrank.

Was dann folgte, war für Mike Rander nicht sonderlich angenehm.

Das naiv aussehende Zimmermädchen hatte sich in eine fauchende Wildkatze verwandelt. Es kannte eine Unmenge Tricks. Mike Rander konnte mehr als froh sein, daß sein Butler ihn in der harten Schule des Nahkampfes geschult hatte. Er wußte sich also seiner Haut zu wehren und vergaß, daß er es schließlich mit einer jungen Frau zu tun hatte. Erst als sie ausgepumpt und ohnmächtig vor dem Sessel lag, erst in diesem Augenblick sah er wieder die Frau in ihr.

Kopfschüttelnd sah er auf die Wildkatze hinunter.

Keuchend ging sein Atem. Er fühlte sich zerschlagen. Er spürte die Schmerzen der Schläge, die sie ihm beigebracht hatte. Mike Rander trat ans Fenster, riß die Gardinenschnur aus der Halterung und machte sich daran, die Wildkatze erst einmal zu verschnüren. Dann hob er sie auf und legte sie auf der breiten Couch nieder. Seine Hände zitterten noch, als er sich eine Zigarette anzündete.

Sie kam schnell wieder zu sich.

Haß sprühte aus ihren Augen. Sie preßte die Lippen so fest zusammen, daß sie nur noch einen schmalen Strich bildeten.

»Tut mir leid«, sagte er fast entschuldigend, »aber ich denke so mit den Stricken an den Handgelenken ist es für beide Teile besser!«

»Sie werden sterben«, sagte sie wütend, »wir werden Sie erwischen! Früher oder später!«

»Sie scheinen ja eine ganze Armee aufgeboten zu haben«, antwortete der junge Anwalt, der sich von den Strapazen bereits wieder erholt hatte.

»Sie werden sich wundern, Mr. Rander!«

»Ich bin bereits dabei«, meinte der Anwalt ironisch. »Sie hätten mich also in jedem Fall umgebracht, auch wenn das Gift nicht gewirkt hätte?«

»Sie stehen auf der Liste unseres Herrn!« erwiderte sie in einem eingelernten Tonfall, der an den eines Papagei erinnerte. »Sie stehen auf der Liste! Und wir werden alle Namen auf dieser Liste streichen! Früher oder später!«

»Ich glaube, das sagten Sie bereits«, bemerkte der Anwalt, »wie kann sich ein Mädchen Ihres Aussehens für so etwas hergeben? Das begreife ich einfach nicht!«

»Bemühen Sie sich erst gar nicht. Sie werden uns nie verstehen.«

»Waren Sie auch drüben auf Exuma Island?« wollte der Anwalt wissen.

»Leider nicht«, fauchte sie, »sonst wäre vielleicht manches anders gelaufen.«

»Kennen Sie eigentlich Miss Judy Holcomb?« erkundigte sich der Anwalt. »Sie war drüben auf Exuma Island so etwas wie der weibliche Boß. Rothaarig, etwas füllig!«

»Miss Holcomb wird Ihren Weg kreuzen!«

»Wie schöne, herrliche Aussichten«, sagte Rander, »sie muß ziemlich böse auf Mr. Parker und auf mich sein, wie?«

»Sie haßt Sie!«

»Und wie geht es der brünetten Liz?«

»Fragen Sie nicht, machen Sie schon das Ende«, sagte sie leise. »Ich weiß, daß ich sterben muß!«

»Natürlich, wer muß das nicht. Aber in dieser Hinsicht dürfen Sie von mir nichts erwarten!«

»Sie wollen mich nicht töten?« fragte sie überrascht.

»Ich denke nicht daran«, sagte der Anwalt, »ich bin doch kein Henker! Sie verwechseln mich mit Mr. Belmond, scheint mir … Ihr Chef … Nun ja, das ist ein Massenmörder. Aber das scheint Ihnen ja bisher nichts ausgemacht zu haben.«

»Töten Sie mich! Ich habe versagt!«

»Ach, Unsinn!« tadelte der Anwalt. »Sie wissen doch überhaupt noch gar nicht, was das Leben ist! Von mir aus können Sie gleich gehen. Ich möchte nur noch warten, bis mein Butler zurück ist!«

»Sie werden ihn nicht mehr lebend sehen!«

»Wie war das?«

»Er ist um diese Zeit bereits gerichtet«, sagte das Zimmermädchen voll haßerfüllter Freude. »Der ›Herr der Welt‹ rechnet mit jedem Feind und Verräter ab!«

»Er rechnet ab! Er drückt sich doch nur. Er schickt kleine Mädchen los. Warum kommt er nicht selbst? Wohl zuviel Angst, wie?«

»Er hat für solche untergeordneten Aufgaben einfach keine Zeit«, blitzte sie wütend zurück, »ich dulde es nicht, daß Sie ihn beleidigen!«

»Wann sind Sie zum letzten Mal beim Psychiater gewesen?« fragte Mike Rander kopfschüttelnd, »ich denke, wir lassen Sie mal ärztlich untersuchen!«

»Wagen Sie es nicht!« reagierte sie giftig.

»Sie verkennen die Situation«, meinte der Anwalt ironisch. »Sie haben doch hier versagt, wie Sie sich eben ausgedrückt haben!«

»Nein!« erwiderte sie leise. Dann stöhnte sie plötzlich, riß weit die Augen auf und fiel förmlich in sich zusammen.

Mike Rander beugte sich über sie.

Doch er wußte bereits, daß sie sich selbst getötet hatte!

*

»Ich fürchte, Brown hat nicht übertrieben«, sagte Mike Rander eine Viertelstunde später zu seinem Butler, »die Treibjagd hat begonnen, Parker. Wir werden uns schnellstens absetzen.«

»Und immer verfolgt werden, Sir, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf.«

»Doch, daran glaube ich jetzt auch«, pflichtete der Anwalt seinem Butler bei, »aber wir wollen uns wenigstens in einem Landstrich begegnen, wo keine unschuldigen Menschen gefährdet werden. Was machen wir mit dem Zimmermädchen?«

Er deutete auf das Girl, das regungslos vor dem Sessel lag.

»Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Sir, so sollte man Mr. Brown verständigen. Seine Leute dürften den geeigneten Ausweg finden, zumal Sie ja keinen besonderen Wert auf das Erscheinen der Polizei legen.«

»Diesmal wirklich nicht«, bestätigte der Anwalt. »Okay, ich werde ihn anrufen!«

»Möglicherweise unten von der Halle aus, Sir!«

»Gut, einverstanden«, sagte der Anwalt und nickte, »wir gehen dann ’rauf, packen und setzen uns schleunigst ab. Palm-Beach ist mir gründlich verleidet.«

Die beiden Männer verließen das Apartment und fuhren mit dem Lift nach unten. Während Rander nach der Wahl einer Geheimnummer mit Mr. Brown telefonierte, inspizierte der Butler die belegte Hotelhalle. Viele Feriengäste trudelten durch den großen Raum. Es war selbst nur mit einiger Sicherheit kaum zu sagen, wer in Diensten des »Herrn der Welt« stand. Da gab es neben den Männern bunt geschmückte, ältere Damen mit den obligaten Rosenhütchen und Perlenketten, da gab es sexreiche, junge Frauen, da gab es …

Parkers Blick fiel auf eine Dame, die gerade auszuziehen schien. Sie mochte etwa zwanzig Jahre alt sein, war blond und sah ungemein attraktiv aus. Sie bewegte sich mit ungezwungener Natürlichkeit und übersah die bewundernden Blicke, die ihr galten.

Parker hatte das Gefühl, diese junge Dame schon einmal gesehen zu haben. Keineswegs hier im Hotel, sondern möglicherweise auf einer Insel, die er niemals vergessen würde. Gehörte diese junge Dame zu den Henkern des Supergangsters?

Als sie durch die Glastür hinüber zur Freitreppe schritt, erkundigte sich der Butler an der Rezeption nach ihr.

»Miss Jill Carvon«, sagte der Empfangschef mit leiser Stimme, »unverständlicherweise reist sie bereits wieder, obwohl sie doch gerade erst angekommen ist!«

Parker ließ einen recht ansehnlichen Geldschein in die willige Hand des Empfangschefs gleiten.

»Woher kommt Miss Carvon?« fragte er dann weiter.

»Sie kam aus Los Angeles und reist weiter nach New York«, lautete die Auskunft. »Eine bezaubernde, junge Dame, nicht wahr?«

»In der Tat«, pflichtete der Butler dem Mann bei. Dann beeilte er sich, ebenfalls die Halle zu verlassen. Aus wohlerwogenen Gründen kümmerte er sich nicht weiter um seinen jungen Herrn. Die junge Jill Carvon war jetzt wesentlich interessanter.

Draußen vor dem Hotel stieg sie gerade in ein Taxi. Parker merkte sich das Kennzeichen dieses Wagens, eilte zurück in die Halle und winkte den Empfangschef noch einmal diskret zu sich heran.

»Bin ich richtig in der Annahme, daß Miss Carvon neben dem Apartment meines jungen Herrn wohnte«, fragte er.

Die Auskunft lautete positiv.

Butler Parker bedankte sich durch ein Kopfnicken, eilte zum Lift und fuhr hinauf in das zweite Stockwerk. Er blieb vor der verschlossenen Tür sehen, hinter der Jill Carvon gewohnt hatte. Dann griff er ungeniert nach seinem Patentbesteck, öffnete es und schob es in das Schlüsselloch.

Innerhalb weniger Sekunden öffnete sich die Tür.

Parker blickte hinüber zur Wand.

Und entdeckte sofort, wonach er im Grunde gesucht hatte.

An der Wand, die die beiden Apartments voneinander trennte, klebte der Hutkoffer der Jill Carvon.

Auf Zehenspitzen näherte sich der Butler diesem schwarzen Hutkoffer und schob sein Ohr vor.

Im Koffer tickte es monoton!

Parker wußte Bescheid.

Hier war höchste Eile geboten. Er hatte ja keine Ahnung, wann der Zeitzünder reagieren würde. Er wußte nicht einmal, um welches System es sich handelte. Er durfte noch nicht einmal das Risiko eingehen, die Hutschachtel zu öffnen.

Er löste den Koffer vorsichtig von der Wand. Die starken Saugknöpfe machten ihm die Arbeit schwer. Parker hatte das Gefühl, daß der Zeitzünder immer schneller tickte. Schneller und lauter! Ein schlechtes Zeichen!

Er trug den Hutkoffer hinüber zum Balkon, schob die nur angelehnte Tür mit der Schuhspitze vollends auf und sah hinunter.

Im Garten des Hotels befand sich ein Swimmingpool, nicht besonders groß, doch ausreichend, um gut zwanzig schwimmende und plantschende Menschen aufzunehmen.

Im Moment war dieser Swimmingpool leer. Es ging auf Mittag zu, und man zog sich um.

Parker nutzte diese Chance. Wie ein Baseballspieler holte er aus und warf die Hutschachtel hoch in die Luft. Dann verfolgte er ihre Flugbahn. Sie erreichte den Gipfelpunkt, senkte sich, und dann landete die Hutschachtel prompt und zielsicher im Swimmingpool.

Sie verschwand unter der Wasseroberfläche, tauchte auf, schaukelte ein wenig in den sanften Wellen und barst dann mit einem gewaltigen Knall auseinander.

Die Detonation verursachte eine, haushohe Wassersäule. Die Druckwelle ließ Fensterscheiben zersplittern. Kacheln wurden aus dem Swimmingpool hochgerissen und verwandelten sich in gefährliche Geschosse, die aber erfreulicherweise keinen Schaden anrichteten.

Parker nickte zufrieden und trat zurück in das Apartment.

Als er draußen auf dem Korridor war, auf dem sich bereits die ersten erschreckten Hotelgäste versammelten, kam ihm Mike Rander entgegen.

»Ich fürchte, Sir, draußen im Swimmingpool muß eine Art Seemine detoniert sein«, berichtete der Butler, »ein Grund mehr, schleunigst diese ungastliche Stätte zu verlassen.«

»Wir können sofort losfahren«, sagte Mike Rander. »Brown läßt die Tote im Apartment abholen.«

»Wurden irgendwelche Abmachungen getroffen, Sir?«

»Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen, Parker«, Mike Rander schmunzelte, »ich habe Brown erklärt, daß wir weitermachen werden. Sonst werden wir ja niemals Ruhe haben.«

»Ein Entschluß, Sir, zu dem zu gratulieren ich mir die Freiheit nehme«, erwiderte der Butler. »Wenn ich dann also packen darf?«

Sie gingen zurück in ihr Apartment. Sehr vorsichtig übrigens. Es konnte ja sein, daß Miss Jill Carvon einige zusätzliche Überraschungen hinterlassen hat.

Doch sie blieben aus.

Dafür meldete sich das Telefon.

»Bei Mr. Rander«, meldete sich Parker, nachdem er abgehoben hatte.

»Eine Botschaft für Mr. Rander und Josuah Parker«, sagte eine leidenschaftslose, fast unterkühlte Frauenstimme. »Der ›Herr der Welt‹ hat bisher nur mit Ihnen gespielt. Ab sofort beginnt die Vernichtung!«

»Wie …?« fragte Josuah Parker gedehnt zurück, »reicht Ihrem Herrn und Meister denn nicht das, was man gemeinhin eine Pleite nennt und die sich draußen auf Exuma Island abgespielt hat?«

Nach dieser Antwort legte der Butler auf und traf alle Vorbereitungen für die Abreise. Mike Rander telefonierte unterdessen noch einmal mit Mr. Brown und berichtete ihm von jener Miss Jill Carvon, die ein fulminantes Feuerwerk hinterlassen hatte. Er bat feststellen zu lassen, wohin der Taxifahrer sie gebracht hatte.

»Parker und ich melden uns von Okeechobee«, schloß der junge Anwalt.

»Passen Sie höllisch auf sich auf«, warnte Mr. Brown, »diese Fahrt kann mit gepfefferten Überraschungen gepflastert sein!«

»Wir rechnen sogar fest damit«, erwiderte der Anwalt, »aber bevor wir losfahren, kauft Parker noch eine Spezialkarte. Sie wissen ja, wie gründlich er ist! Er möchte mit einigen Gegenüberraschungen aufwarten!«

*

Vor der Abfahrt studierte Parker die Detailkarte.

Auf ihr war praktisch jede Bodenerhebung, jedes Waldstück und jedes Haus verzeichnet. Mit nur etwas Fantasie ließ sich der Weg zum Binnensee also vorausberechnen. Vorausberechnen ließen sich auch alle jene Stellen, die für einen Überfall besonders geeignet waren.

»Parker, wir sollten auf die üblichen Spielereien verzichten«, warnte Mike Rander, nachdem der Butler kurz vor dem Verlassen der Stadt sich noch ausgiebig in einem Scherzartikelgeschäft umgesehen hatte. »Wir haben es zwar mit Frauen zu tun, aber jede von ihnen ist ein potentieller Mörder!«

»Ich vergesse dies keineswegs, Sir«, gab der Butler zurück und rückte sich stocksteif vor dem Steuerrad zurecht, »aber auf der anderen Seite möchte ich, wie es üblich ist, auf jede sinnlose Gewalt verzichten.«

»Ich habe mir die Streckenführung der Straße angesehen, Parker, mir ist schon jetzt flau im Magen.«

Mike Rander kontrollierte noch einmal seinen schweren 45er und legte ihn griffbereit in den Schoß. Dann sah er mißtrauisch auf den Butler, der den Mietwagen, der ihnen von Mr. Brown zur Verfügung gestellt worden war, anrollen ließ.

Sie folgten dem West Palm Beach Canal, der vom Atlantik praktisch bis zum Okeechobee führte. Es handelte sich um eine erstklassig ausgebaute Straße, die um diese Zeit noch sehr belebt war.

Je weiter sie sich aber von der Küste entfernten, desto spärlicher wurde der Verkehr. Nebelbänke aus den nahen Sümpfen bremsten das Tempo. Parker hatte längst die Scheinwerfer eingeschaltet.

»Ich möchte wetten, daß wir Meile für Meile beobachtet werden«, sagte der junge Anwalt, der sich immer wieder nach Verfolgern umsah, »mit welchem Ärger rechnen Sie denn nun eigentlich, Parker?«

»Ich würde sagen, Sir, daß ich mich überraschen lasse. Konkret gesagt, glaube ich allerdings, auf eine Straßenumleitung zu stoßen. Man wird versuchen, Sie und meine bescheidene Wenigkeit von der Hauptstraße wegzulocken.«

»Ihre Ruhe möchte ich ha… Moment, das da ist doch bereits eine Umleitung, oder …?«

Mike Rander hatte sich keineswegs getäuscht.

Die Straße war blockiert.

Ein umgestürzter Lastwagen machte die Durchfahrt unmöglich. Polizei hatte die Unfallstelle abgesperrt. Ein Löschzug der Feuerwehr mühte sich ab, brennendes Benzin auf der Straße einzuschäumen. Dieser Unfall konnte noch nicht alt sein.

»Dort ist bereits die Umleitung, Sir«, stellte der Butler fest, »die Polizei winkt in eine Nebenstraße ein!«

»Halten Sie mal kurz am Posten an«, sagte der Anwalt, kurbelte das Wagenfenster herunter und schob den Kopf nach draußen.

»Was ist denn das für eine Umleitung?« erkundigte er sich.

»Höchstens sechs Meilen, Sir«, antwortete der Polizeiposten. »Fahren Sie langsam, die Straße ist nicht ausgebaut und bewegt sich durch Sumpfgelände.«

»Das ist doch heller Wahnsinn, diesen Weg zu nehmen«, schimpfte der Anwalt, nachdem sie wieder angefahren waren, »wir fahren direkt in die Falle. Wir wissen es und tun es trotzdem!«

»Gewiß, Sir, aber um den bewußten Damen eine kleine Lektion zu erteilen!«

»Ich weiß, Ihr Optimismus ist nie zu bremsen.«

Mike Rander kontrollierte erneut seinen 45er und entsicherte ihn. Er wollte kein Risiko eingehen. Er sah aus dem Wagenfenster und war überhaupt nicht zufrieden.

Zu beiden Seiten dieses unausgebauten Feldweges standen die dichten, tropischen Büsche und Sträucher wie eine undurchdringliche Mauer.

»Mit ’ner Panzerfaust räuchern die uns doch sofort aus«, murmelte der Anwalt, »ich wüßte schon, wie ich’s machen müßte!«

»Sir, in wenigen Minuten dürften Sie und meine bescheidene Wenigkeit die bewußte Falle erreicht haben«, meldete der Butler, der den Weg plus Umleitung genau im Kopf hatte, »die Straße erweitert sich zu einem kleinen Platz, der von zwei Seiten von. einem sumpfartigen Tümpel umschlossen wird!«

»Mann halten Sie an!« Rander sah seinen Butler gereizt an, »Sie sind doch wohl nicht scharf auf ein Moorbad, oder?«

»Bei gewissen Gelenkerkrankungen, Sir, sollen Moorbäder durchaus empfehlenswert und förderlich sein«, stellte der Butler fest.

»Meine Gelenke sind aber bestens in Ordnung«, schimpfte der Anwalt, »auf was habe ich mich da wieder eingelassen! Sie sind noch mein Ruin, Parker!«

»Die Amazonen, Sir!« meldete Parker und schaltete im gleichen Moment die Scheinwerfer des Wagens aus.

»Wo?« erkundigte sich Mike Rander.

»Dort an der Brücke, die wir passieren müssen, falls wir weiterhin die Straße benutzen wollen!«

»Ich sehe nichts!« murrte der Anwalt schlecht gelaunt. Bruchteile von Sekunden später fügte er grinsend hinzu, »aber ich höre dafür etwas. Könnte ein Granatwerfer sein.«

»Es ist ein Granatwerfer, Sir«, stellte der Butler fest, »ein Irrtum dürfte mit Sicherheit ausgeschlossen werden.«

Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als das erste Geschoß dicht neben dem Wagen krepierte!

*

Die »Werferstellung« der Damen befand sich in einem kleinen Bodenkessel, der von Sträuchern umgeben war. Oben, am Rand dieses Kessels, hatte sich Jill Carvon aufgebaut. Sie leitete das Feuer und korrigierte die Einschläge.

Butler Parker Classic 45 – Kriminalroman

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