Читать книгу Butler Parker Staffel 7 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 7
Оглавление»Darf ich mir die Freiheit nehmen, Ihnen meine mehr als bescheidene Hilfe anzubieten?« erkundigte sich Josuah Parker, der höflich seine schwarze Melone lüftete, »falls meine Augen mich nicht täuschen, müssen Sie das Opfer eines technischen Versagens geworden sein.«
Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum verlassen und stand neben dem jungen Mann in weißer Smokingjacke, der gerade dabei war, das rechte hintere Wagenrad auszuwechseln.
Der junge Mann mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein, war mittelgroß, schlank und richtete sich jetzt überrascht auf. Er hatte den näher kommenden Josuah Parker nicht bemerkt.
»Wie … wie bitte?« fragte er und legte unverkennbar eine gewisse Nervosität an den Tag, obwohl es eigentlich bereits auf zweiundzwanzig Uhr ging.
»Ich hatte mir erlaubt, Ihnen meine bescheidene Hilfe anzubieten«, wiederholte der Butler.
»Ja, schon gut!« Die Nervosität des jungen Mannes steigerte sich noch. »Dann wünsche ich Ihnen eine gute Weiterfahrt«, sagte Parker, lüftete die schwarze Melone erneut und wollte sich abwenden. Genau in diesem Augenblick hörte er eine Stimme hinter sich, die eindeutig einer Frau gehörte.
»Hallo, Sir … Hallo!«
»Madam?« Parker wandte sich dem Buick zu und lüftete zum drittenmal die schwarze Melone. Aus dem Buick war eine junge Frau von knapp zwanzig Jahren ausgestiegen und winkte ihm zu.
»Ich stehe zu Diensten«, bot Parker wiederum und unverdrossen seine Hilfe an.
Der junge Mann in der weißen Smokingjacke redete schnell auf die junge Frau ein und schien sie umstimmen zu wollen. Doch sie schüttelte energisch den Kopf und kam auf Parker zu.
»Würden Sie mich ein Stück mitnehmen?« fragte sie.
»Es wird mir eine Ehre sein, Madam«, sagte Parker und deutete dabei auf sein Monstrum, »verfügen Sie über meinen bescheidenen Wagen.«
»Aber Hazel… Ich bin doch gleich soweit.« Der junge Mann stand neben der jungen Dame und beherrschte sich offensichtlich nur mühsam.
»Du kannst ja nachkommen«, sagte Hazel. »Ich möchte auf jeden Fall nicht zu spät sein. Bis gleich!«
Teddy schien sich sehr zu ärgern und wollte seine Begleiterin zurückhalten.
»Fahren wir«, sagte sie, »ich habe keine Lust, noch länger in der Nacht herumzusitzen.«
Parker warf einen kurzen Blick auf Teddy, der bereits zurück zu seinem Buick ging und sich dabei eine Zigarette anzündete. Seine Absicht, den Reifen zu wechseln, schien er vorerst aufgegeben zu haben.
Hazel, die lackschwarzes, schulterlanges Haar besaß, durchaus pikant aussah und ein großzügig dekolletiertes Cocktailkleid trug, stieg etwas amüsiert in Parkers Wagen und nahm auf dem Rücksitz Platz.
»Sie sind Butler?« Während sie fragte, beugte sie sich etwas vor und winkte Teddy zu, der ihren Gruß entweder nicht bemerkte oder aber nicht zurückgrüßen wollte.
»Sehr wohl, Madam«, bestätigte Parker, »darf ich übrigens fragen, wohin zu fahren Sie gedachten?«
Sie nannte ihm eine Adresse, die Parker wiederholte.
»Ein Seitental ganz in der Nähe«, fuhr sie fort, »wir sind dort zu einer Party eingeladen …«
»Wenn Sie erlauben, Madam, werde ich Sie dorthinfahren«, sagte der Butler, »diesen kleinen Umweg werde ich mit Vergnügen in Kauf nehmen.«
»Schrecklich nett von Ihnen«, erwiderte Hazel, »ich fürchte, ich bin ohnehin schon zu spät…«
Sie schwieg einen Moment und redete dann weiter. Sie schien keine Minute lang ruhig bleiben zu können.
»Sie müssen wissen, daß es für mich eine sehr wichtige Party ist. Filmleute, Manager vom Fernsehen … Theaterproduzenten … Es ist nicht leicht, eine Chance zu bekommen.«
»Madam sind Künstlerin?« erkundigte sich Parker.
»Schauspielerin«, antwortete sie.
»Ich möchte mir erlauben, Madam viel Glück zu wünschen.«
»Glück! Das ist genau das, was ich brauche!« Sie seufzte. »Man kann sich anstrengen, wie man will, ohne Glück geht es einfach nicht. Schon gar nicht in meiner Branche.«
Sie plapperte und redete. Sie hatte nicht sonderlich viel Hemmungen, und sie erwies sich als naiv. Und sie merkte nicht, daß Parker die Schnellstraße längst verlassen hätte, und bereits im angegebenen Seitental war. Er verlangsamte das Tempo und suchte nach der Hausnummer, von der sie gesprochen hatte.
»Was ist denn?« fragte sie, als Parker plötzlich sein hochbeiniges Monstrum stoppte.
»Ich möchte melden, Madam, daß das gewünschte Ziel erreicht ist. Allerdings scheint mir, daß jenseits der Mauer wohl kaum eine Party stattfindet. Haus und umgebendes Grundstück machen einen ausgesprochen verlassenen Eindruck.«
Sie richtete sich auf und sah zur mannshohen Ziegelmauer, deren Kalkanstrich im Mondlicht seltsam bleich glänzte. Sie sah durch das reich verschnörkelte Gittertor hinüber zum Haus, von dem allerdings nur ein kleiner Teil zu sehen war.
Dieses Haus war nicht erleuchtet. In den Fenstern spiegelte sich nur das Mondlicht. Weder Stimmen noch Musik waren zu vernehmen.
»Sind Sie sicher, daß wir richtig sind?« fragte sie nervös.
»Vollkommen sicher, Madam, falls Sie mir die richtige Adresse nannten.«
Sie wiederholte sie noch einmal, und Parker nickte zustimmend.
»Demnach, Madam, müßte es hier sein. Wenn Sie gestatten, werde ich mich hinausbemühen und die Dinge in einen etwas näheren Augenschein nehmen.«
Parker verließ sein hochbeiniges Monstrum und ging hinüber zum Parktor. Nun konnte er das Haus voll überblicken. Auch hier kein Licht, keine Stimmen, keine Musik …
Parker ging zum rechten Torpfosten und legte seinen schwarz behandschuhten rechten Zeigefinger sehr nachdrücklich auf die Klingel. Obwohl er diese Tätigkeit noch verschiedentlich wiederholte, blieb das Tormikrofon stumm.
»Mir scheint, Madam, daß hier ein Irrtum vorliegt«, sagte Parker, der zurück zu der jungen Dame gekommen war, die inzwischen den Wagen verlassen hatte und nervös eine Zigarette rauchte.
»Bitte, tun Sie mir einen Gefallen«, sagte sie.
»Ich stehe, wie ich bereits sagte, Madam, zu Ihrer Verfügung.«
»Bringen Sie mich zurück zu Mister Colman! Sie wissen, meinen Begleiter.«
Während Parker zurückfuhr, hatte er das, was der Volksmund ein eigenartiges Gefühl in der Magengegend genannt hätte. Er rechnete zumindest mit einer kleinen Überraschung …
»Falls meine Augen mich erneut nicht betrügen, Madam, scheint Ihr Begleiter den Wagen verlassen zu haben.«
Parker hatte den Buick erreicht und stieg aus. Er half der jungen Dame heraus und ging mit ihr hinüber zum Wagen, dessen platter Reifen noch immer nicht ausgewechselt worden war.
»Vielleicht holt Teddy Hilfe«, meinte Hazel Sharon und strich sich das lackschwarze Haar aus der Stirn.
»Wenn Sie möchten, Madam, werde ich gern zusammen mit Ihnen warten.«
Sie sah ihn unsicher an, schaute die dunkle und einsame Straße hinunter und schüttelte dann den Kopf.
»Lieber nicht«, meinte sie, »hier ist es mir nun doch zu unheimlich, Mister Parker. Ich würde gern zurück in mein Apartment fahren.«
»Sie brauchen erneut nur über meine bescheidene Wenigkeit zu verfügen.«
Bevor Parker zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum ging, untersuchte er den Buick. Hazel Sharon erklärte er, er suche nach einer eventuellen Nachricht ihres Begleiters.
So sehr Josuah Parker sich aber bemühte, er fand nicht den geringsten Hinweis. Teddy Colman, wie er hieß, schien es sogar darauf angelegt zu haben, keine Spuren zu hinterlassen. Der Wagen war säuberlich ausgeräumt worden.
Nach etwa fünf Minuten befanden Parker und Hazel Sharon sich auf der Rückfahrt. Bis nach Burbank (Los Angeles) waren es etwa zehn Meilen, die noch zurückgelegt werden mußten. Der Verkehr auf der Straße wurde in Stadtnahe etwas dichter.
»Ja, bitte?« fragte Hazel Sharon und zückte zusammen, als Parker sie angeredet hatte.
»Kennen Sie Mister Colman schon seit längerer Zeit?«
»Seit einigen Wochen. Wie das hier in Los Angeles eben so ist. Man sieht sich auf Parties, in Lokalen und wird miteinander bekannt.«
»Darf ich weiterhin fragen, Miß Sharon, ob Ihnen Mister Colmans Adresse bekannt ist?«
»Aber natürlich. Er wohnt in einem Apartmenthaus ganz in meiner Nähe.«
»Und ist beschäftigt wo?«
»Teddy ist Produktionsassistent bei einer privaten TV-Firma.«
»Sollten wir nicht bei Mister Colman vorbeifahren, Madam?«
»Von, mir aus. Gut, einverstanden. Aber sagen Sie, Mister Parker, warum stellen Sie all diese Fragen? Glauben Sie, daß irgend etwas nicht stimmt?«
»Man wird sehen, Miß Sharon. Mister Colman holte Sie also zu dem Zweck ab, Sie zur Party zu bringen?«
»Ja, natürlich. Wir waren schon einige Male zusammen aus. Ich hatte und habe da keine Bedenken, wenn Sie das meinen.«
Parker legte den Rest der Distanz schweigend zurück. Als das Apartmenthaus erreicht war, in dem Teddy Colman wohnte, hielt er an und stieg aus.
»Ich möchte mich für einige wenige Minuten entschuldigen«, bat er. »Würden Sie freundlicherweise im Wagen Zurückbleiben, Miß Sharon?«
Sie war einverstanden, und Parker ging hinüber zum Haus, drückte die Glastür zur Eingangshalle auf und sah sich einem mageren, kleinen Mann gegenüber, der sich als Hausmeister vorstellte.
Parker verwickelte diesen Mann in ein kurzes Gespräch, kam zurück zum Wagen und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Mister Colman ist noch nicht zurückgekehrt und hat bisher auch keine Nachricht hinterlassen«, sagte er, »es dürfte zweckmäßig und angebracht sein, Sie jetzt nach Hause zu bringen.«
»Teddy kann sich auf was gefaßt machen«, sagte sie wütend, »was ist das für eine Art, sich einfach zu verdrücken! Man müßte ja glatt meinen, er hätte Dreck am Stecken.«
Parker ging auf diese Bemerkung nicht ein, fuhr um einen großen Wohnblock herum und hielt vor dem modernen Apartmenthaus, in dem die junge Dame mit dem lackschwarzen Haar wohnte. Sie bedankte sich erstaunlicherweise nur sehr sparsam bei Parker, schlüpfte aus dem Wagen und verschwand.
Vor dem Eingang blieb sie stehen und drehte sich zu Parker um, der sein hochbeiniges Monstrum bereits in Gang gesetzt hatte und losfuhr.
Hinter der nächsten Straßenecke hielt Parker seinen Wagen an. Er war keineswegs neugierig, doch er besaß eine äußerst gute Witterung für ungewöhnliche Dinge. Und diese Witterung sagte ihm, daß einige Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten.
Gewiß, hier konnte es sich um die Verführungskünste eines jungen Mannes gehandelt haben, der seine Freundin unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in seinen Wagen gelockt hatte, um mit ihr in einem der vielen Valleys nördlich von Burbank ein Schäferstündchen zu verbringen.
Dies konnte sein …
Parker mißfiel jedoch diese Deutung. Die junge Dame war sicher kein naives Mädchen vom Land, das man durch Tricks verführen mußte. Warum dann also diese aufwendige Geschichte mit der Party? Warum das Verschwinden des jungen Mannes, nachdem er sicher sein mußte, sie würde den Schwindel mit der Party durchschauen?
Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum verlassen und ging zurück zum Apartmenthaus. Worauf er wartete, hätte er zu diesem Zeitpunkt nicht sagen können. Es trieb ihn einfach zurück.
Vielleicht rechnete Parker insgeheim damit, daß der junge Mann auftauchen würde. Wo sollte er Hazel Sharon schon suchen? Logischerweise mußte sie nach dieser verunglückten Ausfahrt in ihr Apartment zurückgekehrt sein.
Als sich aber auch nach fünf langen Minuten immer noch nichts rührte, verließ der Butler die Dunkelheit der Straße und begab sich gemessen und würdevoll in den Lichtschein der Eingangshalle. Er studierte die vielen Namensschildchen und fand den von Hazel Sharon.
Parker läutete diskret, aber nachhaltig.
Das Türmikrofon blieb stumm. Hazel Sharon hatte sich wohl vorgenommen, nicht mehr zu reagieren. Vielleicht vermutete sie auch, ihr Freund Teddy Colman würde sich melden.
Nach einem letzten Läuten interessierte der Butler sich für das Schloß der zweiflügeligen Eingangstür und hypnotisierte es förmlich mit seinen geschickten Händen. Sekunden später öffnete es sich willig, und Parker konnte die Tür aufdrücken. Er durchmaß die Halle, ging hinüber zum Lift und fuhr hinauf in die vierte Etage.
Vor der gesuchten Apartmenttür blieb er stehen und genierte sich nicht, sein Ohr gegen die Türfüllung zu legen.
Keine Geräusche.
Totenstille!
Parker wurde von einer seltsamen Unruhe erfaßt. Er führte auch hier ein kurzes Zwiegespräch mit dem Türschloß, drückte dann die Tür auf und betrat auf diskrete Art und Weise den kleinen Flur.
»Miß Sharon?«
Keine Antwort.
Parker legte sich jetzt weniger Hemmungen auf und durchsuchte die kleine Wohnung, die außer dem Vorflur aus einem Wohnraum, einem Bad und einem kleinen Schlafraum bestand.
Aber selbst in den Garderoben- und Wandschränken war Hazel Sharon nicht zu finden. Auch unter der Dusche stand oder lag sie nicht, weder tot noch lebendig.
Sie war einfach nicht mehr da. Und nichts deutete in der kleinen Wohnung darauf hin, daß sie nicht freiwillig gegangen war!
»Na also«, sagte Anwalt Mike Rander eine knappe Stunde später und hob die Schultern, »worüber regen Sie sich eigentlich auf, Parker? Sie wird wieder gegangen sein, nachdem Sie sie vor dem Haus abgesetzt hatten.«
»Dies, Sir, liegt selbstverständlich durchaus im Bereich der Möglichkeiten.« Parker stand vor seinem Herrn, der gerade zurück ins Hotel gekommen war. Mike Rander hatte beruflich in Los Angeles zu tun, eine Arbeit, die ihn noch für knapp eine Woche in dieser Stadt festhielt. Als gesuchter Staranwalt vertrat er die Interessen einer Firma aus Chicago, die ins Fernsehgeschäft eingestiegen war und nun Ärger mit den neuen Geschäftspartnern hatte. Dieser Ärger sollte außergerichtlich beigelegt werden.
»Hören Sie, Parker«, redete Mike Rander weiter, »wenn Sie diesmal einen Kriminalfall wittern, so befinden Sie sich auf dem Holzweg! Sie sollten Ihrer Phantasie mal leichte Fesseln anlegen, Sie wittern ja überall Verbrechen.«
»Wie Sie meinen, Sir.«
»Ich kenne Sie doch, Parker!« Rander seufzte. »Sie sind also wieder einmal fest davon überzeugt, daß sich etwas zusammenbraut?«
»Ich räume dies freiwillig ein, Sir.«
»Und was vermuten Sie?«
»Die junge Dame namens Hazel Sharon sollte meiner bescheidenen Ansicht nach in eine Falle gelockt werden.«
»In welche Falle?« Rander wurde etwas ungeduldig.
»Dies, Sir, vermag ich zur Zeit noch nicht zu sagen.«
»Na, also! Warten Sie bis morgen! Rufen Sie dann diese Sharon an und lassen Sie sich bestätigen, daß sie auf ein Abenteuer aus war!«
»Ich werde Ihre Anregung dankbar aufgreifen, Sir.« Parker deutete eine leichte zustimmende Verbeugung an. »Haben Sie noch Befehle, Sir?«
»Ich bin unten in der Hotelbar. Es kann ein bis zwei Stunden dauern, Parker.«
»Ich wünsche einen angenehmen Zeitvertreib, Sir.«
Parker wartete, bis sein junger Herr gegangen war. Dann fuhr er mit dem Lift hinunter in das Tiefgeschoß des Hotels, wo er seinen Privatwagen abgestellt hatte. Er setzte sich ans Steuer und fuhr noch einmal hinaus in die Nacht.
Dank der recht leeren Straßen kam er gut voran und erreichte die nördliche Ausfallstraße, auf der er den Buick des jungen Mannes getroffen hatte. Er schaltete die Scheinwerfer seines Wagens voll ein und suchte nach dem Fahrzeug, das der Fahrer aus seiner Ansicht nach ominösen Gründen zurückgelassen hatte.
Irgendwie war Josuah Parker angenehm überrascht, daß dieser Buick jetzt nicht mehr zu sehen war. Man hatte in der Zwischenzeit das defekte Rad ausgewechselt und den Wagen weggeschafft.
Dafür gab es selbstverständlich eine mehr als einfache Lösung. Teddy Colman war zurückgekehrt, hatte das Rad ausgewechselt und war davongefahren.
Parker weigerte sich jedoch, diese Erklärung zur Kenntnis zu nehmen. Sie erschien ihm zu simpel. Er hatte sich darin verbissen, daß irgend etwas nicht stimmte. Und nun wollte er alles sehr genau wissen.
Was lag näher, als weiter hinauf in das Seitental zu fahren, wo die Party hatte stattfinden sollen?
In schneller Fahrt war auch dieses zweite Ziel erreicht. Parker fuhr an der Ziegelmauer entlang, passierte das Tor und stellte fest, daß das Haus nach wie vor dunkel war. Etwa hundert Meter weiter oberhalb der Ziegelmauer hielt er sein hochbeiniges Monstrum an und stieg aus.
Er wollte sich das Grundstück und das dunkle Haus etwas aus der Nähe ansehen. Parker war eben ein ebenso mißtrauischer wie gründlicher Mensch.
Der Rasen war völlig verwildert und reichte hoch bis zu den Waden. Im Mondlicht war zu erkennen, daß der Kiesweg hinüber zum Haus mit Unkraut durchsetzt war. Und das Haus selbst, aus der Nähe betrachtet, machte einen vergammelten Eindruck, die Farbe war abgeblättert und das Holz schrie förmlich nach einem neuen Anstrich. Es gab einige Fenster, die zerbrochen waren.
Parker benutzte das Licht einer seiner Kugelschreiber-Taschenlampen und durchstreifte die Räume im Erdgeschoß. Dicke Staubschichten ließen darauf schließen, daß sich hier seit vielen Monaten kein menschliches Wesen mehr bewegt hatte. Auch die Steintreppe, die hinauf ins Obergeschoß führte, war mit einer kompakten Staub- und Dreckschicht versehen.
In der geräumigen Küche jedoch sah alles anders aus, und Parker fühlte sich innerlich erleichtert, daß dem so war.
Auf einem Küchentisch hatten leere Bierkonserven die Staubschicht zerkratzt und zerstört. Auf einem Unterteller lagen die Reste eines Sandwiches, dessen Brot noch recht frisch wirkte. Auf dem Boden häuften sich Zigarettenenden und Asche.
Parker fand schnell heraus, daß sich zwei Personen in der Küche aufgehalten haben mußten. Die Spuren waren überdeutlich und ließen keinen anderen Schluß zu. Es mußte sich um Männer gehandelt haben, denn die Zigarettenenden wiesen keine Lippenstiftspuren auf.
Hatten Landstreicher hier ein paar Stunden verbracht? Waren sie durch das Auftauchen von Parkers Wagen verscheucht worden?
Der Butler verließ das Haus durch die hintere Küchentür und sah sich auf dem Gelände hinter dem Haus näher um. Er fand schnell, wonach er suchte.
Es handelte sich um Reifenspuren im Kies. Diese Spuren waren ebenfalls sehr frisch, führten durch den rückwärtigen Garten und endeten vor einem Holztor, das nur angelehnt war. Parker zog dieses Tor auf und blickte in einen schmalen Feldweg hinein. Hier führten die Reifenspuren weiter.
Nein, um Landstreicher konnte es sich nicht gehandelt haben. Sie fuhren keine Autos. Wer also mochten diese beiden Männer gewesen sein? Auf wen hatten sie gewartet? Auf Teddy Colman und seine Begleiterin?
Parker ging zurück ins Haus und sah sich noch einmal gründlich in der Küche um. Vielleicht entdeckte er noch weitere Spuren, die er bisher übersehen hatte? Nun, das war zu seinem Leidwesen nicht der Fall. Die beiden Männer hatten demnach nur Bier getrunken und Kette geraucht.
Eine halbe Stunde später tauchte der Butler wieder in einer bestimmten Eingangshalle zu einem Apartmenthaus auf. Nein, hörte er, Mister Colman sei noch nicht zu Hause, ob man etwas ausrichten solle?
»Ich werde später noch einmal vorbeikommen«, sagte Parker. »Mister Colman ist beim Fernsehen beschäftigt, wie ich hörte, nicht wahr?«
»Colman?« Der Hauswart schüttelte den Kopf, »wie kommen Sie denn darauf? Mister Colman ist Autovertreter. Firma Tuscon – Gebrauchtwagen und so …«
»Dann muß ich mich geirrt haben«, räumte Parker höflich ein, »Ich wünsche Ihnen noch eine erholsame und ruhige Nacht!« lüftete seine schwarze Melone und verließ die Eingangshalle.
Er wollte gerade hinüber zum Parkplatz gehen, wo er sein hochbeiniges Monstrum abgestellt hatte, als ein Buick vor dem Haus erschien.
Der gesuchte Teddy Colman stieg aus, rief noch etwas in den Wagen hinein und verschwand dann sichtlich gut gelaunt in der Eingangshalle.
Parker entschloß sich, den Buick zu verfolgen …
Nach etwa zwanzig Minuten hielt der Buick auf einem Parkplatz vor einem kleinen Hotel der unteren Mittelklasse. Ein junger Mann von schätzungsweise dreißig Jahren stieg aus und schlenderte zum Hoteleingang hinüber.
Er ging allerdings an diesem Eingang vorbei und verschwand auf den Stufen einer Kellerbar, die sich »Paradise« nannte. Da der Butler an Paradiesen stets interessiert war, folgte er dem Dreißigjährigen nach unten und entdeckte ihn auf einem Barhocker. Er ließ sich gerade einen Drink reichen und zündete sich eine Zigarette an.
Parker wußte genau, was er tat.
Er kümmerte sich keineswegs um die vielen Leute in der Bar, die zu einer aufpeitschenden Musik tanzten, die aus einer Stereoanlage kam. Er ignorierte die vielen offensichtlich verliebten Pärchen und übersah schließlich die erstaunliche Zahl von angetrunkenen Gästen, die überraschend schweigsam in ihren Nischen hockten und sich ihren Träumen hingaben.
Parker wußte, daß er hier in diesem Paradies Aufsehen erregte. Er gehörte ganz gewiß nicht zu den Gästen, die man hier unten erwartete. Würdevoll und gemessen schritt er hinüber zur Bartheke und blieb neben dem Buickfahrer stehen. Er lüftete höflich seine schwarze Melone.
Der junge Mann sah ihn irritiert an und grinste. Eine Erscheinung wie die des Butlers reizte normalerweise die Lachmuskeln. Das lag allein schon an Parkers schwarzer Dienstkleidung. Über korrekt gebügelten, gestreiften Hosen trug er einen schwarzen Zweireiher altmodischen Zuschnitts. Und der Eckkragen selbst mit dem altmodischen Binder, er allein gehörte schon in ein anderes Jahrhundert.
»Ich hoffe, Sir, der Reifenwechsel ließ sich bewerkstelligen«, sagte Parker zu dem jungen Mann, der, wie schon, gesagt, keineswegs identisch war mit Teddy Colman.
»Reifenwechsel?« Der junge Mann verlor sein amüsiertes Grinsen. Parker reagierte zufrieden, daß sich Wachsamkeit und Vorsicht in die Augen seines Gegenübers einschlichen.
»Sehr wohl, Reifenwechsel«, sagte Parker höflich. Dann erst schien er seinen Irrtum bemerkt zu haben, was Parker gekonnt deutlich machte. »Oh, ich bitte um Vergebung, Sir, mir scheint, daß ich Sie mit einem gewissen Mister Teddy Colman verwechsle.«
»Teddy Colman?« Mehr sagte der Dreißigjährige nicht.
»In der Tat«, antwortete Parker gemessen, »ich bot einem Mister Colman meine bescheidene Hilfe an, als er Schwierigkeiten mit einem Reifenwechsel hatte.«
»Aha!« Die Stimme wurde wieder neutral.
»Mister Colman, so erinnere ich mich, befand sich in der Gesellschaft einer reizenden jungen Dame.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?« Der Dreißigjährige hatte sich von seiner Überraschung erholt.
»Entschuldigen Sie die Geschwätzigkeit eines alten, müden und relativ verbrauchten Mannes«, meinte Parker steif, »ich werde Sie selbstverständlich nicht weiter belästigen.«
Parker lüftete seine schwarze Melone und entfernte sich von der Theke. Er schritt durch den dichten Tabakqualm, bahnte sich seinen Weg durch die sehr innig miteinander tanzenden Pärchen und stieg über die Treppe hinauf zur Straße.
Er nahm sich viel Zeit, um zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum zu gehen. Und genau diese Zeit brauchte der junge Mann aus der Kellerbar auch, um seinerseits hinauf auf die Straße zu kommen. Der junge Mann beobachtete den Butler, den hochbeinigen Wagen und merkte sich mit größter Sicherheit das Kennzeichen.
Doch er tat noch mehr.
Er tat genau das, womit der Butler kaum zu rechnen gewagt hatte. Der junge Mann stieg in den Buick und folgte Parkers Monstrum durch die Straßen. Einige Stichworte, die Parker ihm geliefert hatte, mußten ihn wach und mißtrauisch gemacht haben.
Parker hatte überhaupt keine Bedenken, zu seinem Hotel zu fahren. Umständlich stellte er seinen Wagen in der Tiefgarage ab und fuhr mit dem Lift hinauf in die Hotelhalle, wo er sich den Schlüssel für sein Zimmer geben ließ.
Selbstverständlich machte er den jungen Mann aus, der es sich in der Hotellounge bequem gemacht hatte. Er saß in einem tiefen Sessel und blätterte in einer Zeitung. Er schien sich vergewissern zu wollen, wer Parker war und ob er auch tatsächlich in diesem Hotel wohnte.
Parker übersah selbstverständlich den jungen Mann, stieg in den Lift und fuhr nach oben.
Im ersten Stockwerk programmierte Parker den Lift um und fuhr wieder zurück in die Tiefgarage. Er hatte sich die Sache keineswegs anders überlegt. Er wollte nun seinerseits herausbekommen, wer der junge Mann war und wo er wohnte.
Aus Gründen der Tarnung benutzte Parker den Leihwagen seines jungen Herrn. Es handelte sich um einen völlig unauffällig aussehenden Ford, an dessen Steuer er sich setzte. Parker lenkte den Wagen hinauf auf die Straße und war sicher, daß er nicht allzulange zu warten brauchte.
Seine Rechnung ging auf.
Schon nach drei, vier Minuten erschien der Mann vor dem Hotel, ging hinüber zu seinem Buick und fuhr los. Parker folgte diesem Wägen in angemessener Entfernung und war gespannt, wo die Reise enden würde.
Nun, sie dauerte etwa zwanzig Minuten. Der Buick hielt vor dem Drahtzaun eines großen, umzäunten Freigeländes. Hohe Masten mit Firmenfahnen, die jetzt schlaff herunterhingen, und zahlreiche Reklametafeln verkündeten protzig und laut, daß es sich um die Gebrauchtwagenfirma Tuscon handelte.
Der junge Mann stieg aus, ging zu einem nahen Tor hinüber und klingelte. Wenig später surrte das Tor elektrisch auseinander und gab den Weg frei auf das Grundstück. Der Buick glitt in das Ausstellungsgelände, worauf das Tor sich wieder schloß.
Parker stieg nun aus und begab sich ebenfalls hinüber zum Tor. Es gab eine Sprechanlage, die seinen Wünschen und Zwecken durchaus freundlich entgegenkam.
Parker legte seinen schwarzbehandschuhten Zeigefinger nachdrücklich auf den Klingelknopf und wartete, bis es im Torlautsprecher verheißungsvoll knackte. »Ja, was ist?« fragte eine träge und verschlafen wirkende Stimme.
»Ich erlaube mir, einen sehr schönen Abend beziehungsweise eine angenehme Nacht zu wünschen«, erwiderte Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Läßt es sich einrichten, Mister Teddy Colman zu sprechen?«
»Wen!?«
»Mister Teddy Colman … Mein Name ist Parker, Josuah Parker.«
»Moment mal …!« Es knackte in der Leitung, die wohl sicher kurzfristig abgestellt wurde. Die verschlafene Stimme beriet sich jetzt wahrscheinlich mit dem jungen Mann, der gerade im Buick gekommen war.
Parker wartete das Ergebnis dieser Beratung aber erst gar nicht ab. Es gehörte zu seinem taktischen Konzept, nun das Tor zu verlassen. Er begab sich hinüber zum Leihwagen seines jungen Herrn und setzte sich ans Steuer.
Nur wenige Minuten verstrichen, bis das Tor vom Grundstück aus von den Scheinwerfern eines schnell näher kommenden Wagens bestrichen wurde. Der Wagen hielt vor dem geschlossenen Tor, zwei Männer traten in das Scheinwerferlicht und hielten Ausschau nach dem nächtlichen Besucher.
Sie entdeckten Parkers Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite und verließen das Gebrauchtwagengelände. Sie hatten es sich wohl in den Kopf gesetzt, Parker einige indiskrete Fragen zu stellen. Als sie den Wagen fast erreicht hatten, fuhr der Butler kommentarlos an, und zwar sehr schnell.
Im Rückspiegel sah er die beiden Männer, die wahrscheinlich mehr als verdutzt waren. Ob sie zurück aufs Gelände gingen, konnte Parker schon nicht mehr feststellen, da er den Wagen in eine Seitenstraße gezogen hatte.
Parker stellte den Mietwagen seines jungen Herrn unauffällig am Straßenrand ab. Zwischen vielen anderen parkenden Wagen fiel sein Gefährt nicht auf. Zu Fuß lustwandelte Parker anschließend zurück zum Grundstück der Gebrauchtwagenfirma und interessierte sich für die Maschen des Drahtzaunes.
Die Lage zwang ihn dazu, Zuflucht zu einer kleinen, maßvollen Sachbeschädigung zu nehmen. Das Ergebnis dieser Sachbeschädigung war ein Zaunteil, der sich vor dem Butler türartig öffnete. Parker hatte die betreffenden Drahtmaschen mit einer Spezialfeile durchtrennt, die er mitsamt dem Bambusgriff aus dem Universal-Regenschirm hervorgezogen hatte.
Anschließend brachte er seinen Schirm wieder in Ordnung und schritt erwartungsvoll hinüber zu einem einstöckigen Steinbau, in dem sich seiner bescheidenen Schätzung nach die Büros und Aufenthaltsräume der Gebrauchtwagenfirma befinden mußten.
Er kam gerade zurecht.
Zwei Männer erschienen im Lichtkreis einer Türlampe, redeten leise, auch sichtlich aufgeregt miteinander und verschwanden dann in dem langgestreckten Steinbau.
Parker Süchte sich das passende Fenster aus und beobachtete die beiden Männer. Einer von ihnen war der junge Mann, der den Buick benutzt hatte. Der zweite Mann war untersetzt, stiernackig und sah aus wie ein Schläger, dessen gute Zeit allerdings seit einiger Zeit vorüber war.
Butler Parker, an Informationen stets interessiert, holte seine neueste Errungenschaft hervor. Es handelte sich um eine Sonnenbrille jener Dimension, wie sie von einem griechischen Tankerkönig benutzt wird.
Im breiten Bügel allerdings befand sich eine Miniatur-Tonverstärkeranlage mit einem Ohrclip. Diesen Clip schob Parker sich in das linke Ohr. Ein feiner Draht, beliebig lang abspulbar, stand mit einem Adapter in Verbindung, der nicht größer war als die Batterie für eine elektrische Armbanduhr.
Diesen Adapter klebte Parker an den unteren Rand der Fensterscheibe und war so in der Lage, etwas für seine Information zu tun …
»… klar, daß da was schiefgelaufen sein muß«, sagte der junge Mann gerade und zündete sich eine Zigarette an. »Teddy muß nicht richtig geschaltet haben …«
»Und ob er nicht richtig geschaltet hat!« Der Stiernacken riß eine Bierkonserve auf und nahm einen kräftigen Schluck. Er wischte sich den Mund mit dem breiten, behaarten Handrücken ab und redete weiter: »Diesem grünen Jungen hab’ ich sowieso nicht getraut. Der hat doch keine Nerven, Dave!«
»Aber er hat die richtige Masche, wie man an die Puppen rankommt, Joe«, erwiderte Dave. »Na, vielleicht nehmen wir diesen komischen Butler viel zu ernst.«
»Bist du sicher, Dave?«
»Nee, im Grunde nicht.« Dave schüttelte den Kopf, »es kann kein Zufall sein, daß er mich in der Kellerbar angequatscht hat. Und es kann auch kein Zufall sein, daß er hier vor dem Tor aufgetaucht ist.«
»Ob er was weiß?« fragte der Stiernacken.
»Schwer zu sagen …«
»Sollte man ihn nicht sicherheitshalber aus dem Verkehr ziehen, Dave?«
»Nur nichts überhasten! Wir wissen ja, wo er wohnt. Das hab’ ich rausbekommen. Wir müssen erst mal herausfinden, wer er eigentlich ist? Ein Spitzel, oder vielleicht nur ein neugieriger Bursche mit zuviel Phantasie.«
»Und woran glaubst du, Dave?« wollte der Stiernacken wissen.
»Ich laß mich überraschen. Hauptsache, wir werden nicht nervös.«
»Wir nicht, Dave! Aber was ist mit Teddy? Hält der dicht, falls man ihm Dampf macht?«
»Glaub ich nicht, Joe.«
»Dann sollte man dagegen doch was tun. Teddy ist schließlich zu ersetzen, oder?«
»Ich werde erst mal mit dem Chef reden, Joe, lang mir mal das Telefon rüber!«
Dave, der junge Mann, drückte seine Zigarette in einem bereits überquellenden Aschenbecher aus und wählte eine Nummer, die Josuah Parker sich erfreulicherweise einprägen konnte, da sein Blickfeld mehr als günstig war.
»Hallo, Chef«, meldete sich Dave, nachdem die Verbindung hergestellt worden war, »ich glaube, es könnte da wegen Teddy Schwierigkeiten geben. Wieso?«
Dave setzte es seinem Chef auseinander, doch an diesem Gespräch beteiligte Parker sich schon nicht mehr, was das Zuhören anbetraf. Er baute sein kleines Spezialgerät ab, verstaute es in einer Westentasche und begab sich zurück zu seinem Wagen. Er verschwand zwischen den ausgestellten Gebrauchtwagen, die in Reih und Glied zum Verkauf angeboten waren und blieb plötzlich stehen. Was er brauchte, war ein kleiner Vorsprung. Und für den mußte er schnell, gründlich und schließlich auch unauffällig etwas tun.
Parker ging also noch einmal zurück zur Steinbaracke und entdeckte den Buick, der neben einem Wohnwagen stand. Hier angekommen, zog er einen seiner vielen Spezialkugelschreiber aus einer der vielen Westentaschen. Er hatte die Absicht, den Hinterreifen des Buick mit einigen Tropfen einer klaren Flüssigkeit zu versehen. Erfahrungsgemäß weichte diese Flüssigkeit den Reifen derart auf, daß er nach schätzungsweise sechs bis acht Minuten seinen Geist aufgab.
Doch Parker nahm Abstand von diesem Plan, da seine Augen bereits ausgesprochen wohlwollend auf einem Drahtseil ruhten, das zusammengerollt neben dem Wohnwagen auf dem Boden lag.
Der Butler handelte schnell und geschickt, wie man es bei ihm nicht anders gewohnt war, verband das Drahtseil mit der Anhängerachse des Wohnwagens und schlang das freie Ende um die schwere Stoßstange des Buick. Das Seil selbst ließ er unausgerollt, damit die spätere Überraschung auch perfekt gelang.
Parker blieb in der Nähe, denn der Buick konnte ihm jetzt nicht mehr zuvorkommen.
Dave und der Stiernacken kamen aus der Steinbaracke und gingen auf den Buick zu. Sie sprachen schnell und leise miteinander und schienen sich über ihr taktisches Vorgehen auszutauschen. Sie setzten sich in den Wagen. Der Stiernacken übernahm das Lenkrad und ließ den Motor anspringen.
Parker, im Grunde seines Wesens kaum schadenfroh, verzog sein sonst so kontrolliertes Pokergesicht zur Andeutung, eines feinen Lächelns, als der Buick, fast wie er es erwartet hatte, mit einem Schnellstart nach vorn sprang.
Das Drahtseil wickelte sich ab und … stellte schließlich eine sehr plötzliche und durchaus zähe Verbindung zwischen Buick und Wohnwagen her.
Der Erfolg war frappierend!
Der große Wohnwagen, der hochgebockt und auf seinen Stützen stand, wurde durch einen harten Ruck aus dem Stand und Gleichgewicht gebracht. Er rutschte über das vordere linke Standbein und … stürzte krachend und polternd auf die Seite. Er verschwand in einem dichten Vorhang von Staub und Dreck.
Der Buick erlebte seine eigene Überraschung.
Als das Stahlseil sich strammte und Widerstand bot, dauerte es noch einige Zehntelsekunden, bis die hintere Stoßstange sich aus dem Wagen löste. Sie wurde aber nicht allein und ausschließlich gezogen, als würde ein riesiger Schneidezahn entfernt. Die Wurzeln dieses Zahns nahmen noch ein Stück des Blechs vom Kofferraum mit und deformierten das Wagenheck.
Der Buick, endlich gelöst und getrennt vom hinterlichen Blech, schoß zusätzlich wieder nach vorn. Der Stiernacken verlor die Kontrolle über das Steuerrad und ließ den Wagen in einen Chrysler hineinrauschen, der ahnungslos am Weg stand
Nach diesem Zwischenspiel hielt Parker es für angebracht, erst einmal das Feld zu räumen. Er wollte sich dem Unmut der beiden Männer nicht unnötig aussetzen …
Unhörbar öffnete der Butler die Tür zu Colmans Apartment, betrat den auch hier vorhandenen kleinen Korridor und sah sich interessiert um. Eine Tür führte ins Badezimmer, die nächste in eine kleine Küche, die übernächste in einen Wandschrank und die letzte schließlich in das eigentliche Apartment, in dem Colman wohnte und auch schlief.
Parker, dessen Lautlosigkeit wohl selbst eine erfahrene Katze erschreckt hätte, bewegte sich unhörbar ein Stück in das Apartment und beobachtete Colman, der auf einer ausgezogenen Bettcouch lag und leise schnarchte.
Im Zimmer roch es nach abgestandenem Bier und nach kaltem Zigarettenrauch. Teddy Colman hatte seine Kleider über einen Stuhl geworfen. Und auch sein Schulterhalfter, in dem ein kurzläufiger 38er stak.
Es war diese Waffe, die den Butler beruhigte. Sein Instinkt hatte ihn also doch richtig geleitet. Er hatte es im Falle Colman und Freunde offensichtlich mit Bürgern zu tun, die jenseits der Gesetzeslinie lebten und agierten. Parker brauchte sich wegen einiger Illegalitäten keine zu großen Sorgen zu machen.
Er nahm die Waffe an sich und entlud sie. Er steckte sie zurück ins Schulterhalfter und bemühte einen seiner Spezialkugelschreiber. Er führte ihn in die Nähe des Kopfendes der Couch, drückte auf den Clip und hörte gleichzeitig ein feines, angenehmes Zischen. Der Kugelschreiber versprühte ein Gasgemisch, das tiefen und erholsamen Schlaf garantierte, gesundheitlich aber keineswegs Schaden anrichten konnte.
Nachdem der Butler Colman auf diese Weise unschädlich gemacht hatte, begab Parker sich zurück in den kleinen Korridor und wartete auf weitere Besucher, die seiner Schätzung nach unbedingt erscheinen mußten.
Er brauchte nicht lange zu warten …
Dave und Joe, die beiden Mitarbeiter von Tuscons Gebrauchtwagengeschäft, hatten geräuschlos die Apartmenttür geöffnet und blieben abwartend im kleinen Korridor stehen.
»Dort!« zischte Dave seinem Partner Joe zu und deutete auf eine der Türen, »dort, Joe! Da schläft er!«
»Aber nicht mehr lange«, reagierte Joe grimmig und selbstverständlich leise.
»Ich geh mal vor«, schlug Dave vor und drückte vorsichtig die Türklinke herunter. Er öffnete spaltbreit die Tür und sah in das Apartment hinein.
»Er schläft«, sagte er völlig überflüssigerweise zu Joe, der gerade seinen Totschläger auspackte und ihn liebevoll in der Hand schwang. Nach dieser Feststellung pirschte Dave sich tiefer in den Raum.
Joe wollte sich gerade ebenfalls in Bewegung setzen, als er das sichere Gefühl hatte, daß sich ein harter Gegenstand auf seinen ungeschützten Hinterkopf legte.
Sein Gehirn nahm diese Meldung zwar noch auf, war aber nicht mehr fähig und in der Lage, diese Erkenntnis zu verwerten. Wie gelähmt blieb Joe starr und steif auf dem Fleck stehen. Dann sah er plötzlich einen äußerst bunten Sternenhimmel vor seinen Augen, kam sich wie ein Astronaut vor und … reckte sich wohlig. Er merkte schon nicht mehr, daß fürsorgliche Hände ihn auffingen und fast liebevoll und behutsam zu Boden gleiten ließen.
Dave war inzwischen weiter durchmarschiert und hatte die Bettcouch erreicht. Er sah auf den jetzt nicht mehr schnarchenden Teddy Colman hinunter und wandte sich an Joe, der seiner Schätzung nach ja hinter ihm sein mußte.
»Los«, sagte er leise und fast genußvoll, »lang zu, Joe!«
»Wie Sie meinen«, erwiderte Parker, der tatsächlich hinter Dave stand. Und während er sich äußerte, langte der Butler kurz und nachdrücklich zu.
Dave verdrehte die Augen, tat einen glucksenden Seufzer und legte sich zu Parkers Füßen nieder.
Butler Parker sammelte zwei diverse Handfeuerwaffen ein und stellte sie sicher. Anschließend kümmerte er sich um Teddy Colman, den er jetzt gern zu sprechen wünschte.
Colman hüstelte zuerst nur schwach, dann hustete er wie ein erkälteter Löwe und richtete sich steil im Bett auf. Er hatte einige Rauchschwaden von Parkers Zigarre mitbekommen und war sichtlich beeindruckt.
»Was … Was ist los?« fragte er mit heiserer Stimme und starrte auf den Butler, der steif und korrekt auf der Kante eines Sessels saß und eine seiner Spezialzigarren rauchte.
»Darf ich Sie bitten, Mister Colman, einen Blick auf diese beiden Herren zu werfen?«
Teddy Colman sah zu Boden und entdeckte erst jetzt Dave und Joe, die gerade langsam zu sich kamen.
Dieser Anblick schien Colman zu elektrisieren. Er hüpfte aus dem Bett und griff blitzschnell nach seinem Schulterhalfter. Er zerrte ein wenig ungeschickt den 38er hervor und richtete den kurzen, bulligen Lauf auf den Butler.
»Hände hoch«, befahl er dazu.
»Ich fürchte, Mister Colman, Sie machen sich ein wenig lächerlich«, bemerkte Parker und schüttelte vorwurfsvoll und andeutungsweise den Kopf, »können Sie sich nicht vorstellen, daß ich die Waffe sicherheitshalber entlud?«
Colman starrte auf den 38er, ventilierte Parkers Behauptung in seinem Kopf und warf die Waffe anschließend resigniert zu Boden.
»Was … Was ist passiert, was wollen Sie hier?« wollte er dann wissen. Da Parker gerade etwas Rauch ausgestoßen hatte und einige leichte Schwaden Colman erreichten, warf der junge Mann sich ängstlich zurück und hüstelte betreten. Er war dem Spezialaroma von Parkers Zigarren keineswegs gewachsen.
»Sie sollten fragen, was diese beiden Herren bei Ihnen wollten«, antwortete Parker und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf Dave und Joe, »da Sie im Moment keine Antwort erhalten werden, Mister Colman, werde ich mir erlauben, diese Antwort zu übernehmen. Man wollte Sie, schlicht und einfach ausgedrückt, zumindest unter Anwendung roher Gewalt entführen und wie man sich ausdrückte, aus dem Verkehr ziehen!«
»Mich!« fragte Teddy Colman gedehnt.
»Ich verweise auf den Totschläger und diese beiden Handfeuerwaffen, die ich erbeuten konnte.«
»Aber … Aber warum denn!?« Teddy Colman duckte sich ab, als eine kleine Tabakwolke seine Richtung nahm.
»Man wirft Ihnen offensichtlich vor, in Sachen Miß Hazel Sharon nicht besonders geschickt gewesen zu sein. Was ich übrigens, Recht bleibt Recht, unterschreiben möchte. Ihre Handlungsweise erregte völlig unnötigerweise mein Mißtrauen, wenn ich dies am Rande heraussteilen darf.«
Teddy Colman sah den Butler irgendwie fassungslos an. Dann starrte er auf die beiden Männer am Boden und widmete sich wieder dem Butler. Er schluckte, räusperte sich, winkte eine Rauchwolke aus Parkers Zigarre ab und strich sich fahrig über die Stirn. Er brauchte wahrscheinlich etwas Zeit, um mit den neuen Tatsachen vertraut zu werden.
Parker ließ ihm diese Zeit und befaßte sich mit den beiden Männern Dave und Joe, die miteinander aus verständlichen Gründen nicht recht klar kamen.
Parker hatte aus Gründen der Sicherheit eine seiner Privathandschellen geopfert und die beiden Herren damit aneinandergeschlossen. Allerdings nicht auf normale Art und Weise. Um die Aktionsfähigkeit beider Männer erheblich einzuschränken, verband diese Handschelle die Rechte des Stiernackens mit dem wesentlich schlankeren Dave, beziehungsweise mit Daves linkem Fußknöchel. Beide Männer mochten sich anstrengen und verständigen, wie sie wollten, etwas unternehmen konnten sie nicht.
Dave starrte auf Parker und erinnerte sich wahrscheinlich an eine kurze und knappe Unterhaltung in einer Kellerbar. Stiernacken-Joe hingegen maß den Butler mit wütenden Blicken und hätte ihn am liebsten auf die sprichwörtlichen Hörner genommen.
»Ich bedaure kaum, daß ich mich gezwungen sah, Ihre Aktionsfähigkeit ein wenig einzuschränken«, sagte Parker zu Dave und Joe, »aber ich möchte doch sehr hoffen, daß Sie für mich einiges Verständnis aufbringen!«
»Mit dir rechne ich noch ab, mein Junge«, polterte Joe los und wollte sich auf den Butler werfen, der dabei nicht mit einer einzigen Wimper zuckte.
Dave hingegen zückte. Und zwar mit seinem linken Fuß und Bein, das von Joe abrupt hochgerissen wurde. Dave verlor das Gleichgewicht und rutschte wieder zu Boden. Sein Fall war derart rasant, daß er Joe mitzog. Beide Männer purzelten übereinander und bildeten erst einmal ein unentwirrbares Knäuel auf dem Boden.
»Ich möchte mir den bescheidenen Rat erlauben und empfehlen, auf abrupte Bewegungen zu verzichten«, sagte Parker zu den beiden Männern, die sich langsam wieder entwirrten. Dann wandte er sich an Teddy Colman, der zu einem Entschluß gekommen zu sein schien.
»Kommen Sie mit raus in den Korridor«, sagte Teddy Colman nervös und sah ängstlich auf Dave und Joe.
»Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Mister Colman!« Parker folgte Colman also hinaus in den Korridor und sah ihn fragend an.
»Man will mich umbringen«, sagte Colman leise.
»Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer schnellen Einsicht in die Dinge«, gab Parker gemessen zurück, »sie könnte sich lebensverlängernd für Sie erweisen.«
»Wenn Sie mir ’ne Chance geben, daß ich mich absetzen kann, werde ich Ihnen alles erzählen …«
»Diese Chance wird man Ihnen selbstverständlich einräumen.«
»Und 5.000 Dollar!«
»Mit dieser Barzahlung sollten Sie lieber nicht rechnen, Mister Colman.«
»Dann werde ich den Mund halten.«
»Und Sie werden mir erlauben, daß ich die Herren Dave und Joe wieder aufsperre …«
»Schon gut… Schon gut!« Colman seufzte. »Ich weiß schon längst, daß ich ein Pechvogel bin … Kommen Sie, nichts wie weg! Wer weiß, wer hier noch auftauchen wird. Ich will nicht umgebracht werden!«
»Nun mal hübsch der Reihe nach«, sagte Mike Rander eine Stunde später, nachdem er von seinem Butler aus dem Schlaf geweckt worden war und Colman gegenübersaß. Der junge Mann rauchte nervös und sprach dem angelieferten Whisky fleißig zu.
»Entschuldigen Sie, Sir, wenn ich so durcheinander rede«, sagte er und riß sich zusammen, »aber ich bin ziemlich fertig. Ich hätte niemals gedacht, daß man mich umbringen wollte.«
»Sie gehören also einer Bande an, die sich ›Schlangenbrut‹ nennt?«
»Genau, Sir«, antwortete Teddy Colman, »ich weiß, der Name hört sich makaber an, aber er existierte schon, als ich zu den Jungens stieß.«
»Und womit beschäftigte sich die Bande?«
»Bande ist eigentlich übertrieben … Ich meinte Bande nicht im Sinne von Gangsterbande.«
»Sondern?« Rander führte das Verhör, während Josuah Parker seitlich hinter seinem jungen Herrn stand.
»Mehr im Sinne von Club, verstehen Sie…«
»Okay, und womit beschäftigt sich dieser Club?« Rander blieb sachlichtrocken.
»Na ja, wir haben es auf Girls abgesehen …« Teddy wirkte etwas verlegen.
»In welchem Sinne?«
»Also, das ist so … Wir kapern uns nette Girls und ziehen mit ihnen Parties auf…. Sie verstehen doch längst, was ich meine, oder?«
»Ich hätte es gern präziser, Mister Colman.«
»Hier in Los Angeles laufen doch Tausende von Girls herum, die dicke Rosinen im Kopf haben, oder? Schön, Sir, wir machen uns an sie heran und schleppen sie auf Parties, die wir veranstalten. Okay, ich will zugeben, daß das nicht die feine Tour ist… Wir spielen diesen Mädchen was vor und tun so, als wären wir vom Film und könnten sie lancieren.«
»Und wo linden diese Parties statt?«
»In unseren Wohnungen oder in Bungalows …«
»Mister Parker wird sich gern einige Adressen merken, Mister Colman.«
»Okay, die sollen Sie gleich haben … Aber ich sage noch einmal, mit Gangsterei hat das alles nicht zu tun.«
»Darum schleppen Ihre Freunde auch Schußwaffen mit sich herum!«
»Ich war selbst überrascht.« Teddy Colman hüstelte nervös.
»Und weil alles so fürchterlich harmlos ist, will man Sie ja auch nur umbringen!« Rander stand auf und schüttelte den Kopf. »Verkaufen Sie uns bloß nicht für dumm, Colman! Warum will man Sie umbringen? Wo landen diese Mädchen? Wohin sollte Miß Hazel Sharon gebracht werden und wo befindet sie sich jetzt?«
»Keine Ahnung! Wirklich nicht!«
»Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Sir«, schaltete der Butler sich höflich und gemessen ein, »so könnte man ja zusammen mit Mister Colman auf das Gelände der Tuscon-Gebrauchtwagenfirma fahren, um dort weitere Befragungen durchzuführen.«
Colman stutzte und sah den Butler irritiert an. Der Hinweis auf die Gebrauchtwagenfirma war neu für ihn. Er mußte erkennen, daß Parker bereits erstaunlich viel wußte.
»Sind Sie einverstanden?« erkundigte sich Mike Rander.
»Äh … Also … Wo Hazel jetzt steckt, wollten Sie wissen.« Teddy Colman wechselte schnell das Thema und ließ seine sanfte Erpressung fallen. »Ich glaube, sie ist auf ’ner Party.«
»Die wo stattfindet?«
»Bei unserem Boß. Äh, ich wollte sagen. Also bei Lew Wesson … Der hat die ganzen Partygeschichten aufgezogen.«
»Die Adresse«, mahnte Rander hartnäckig.
Teddy Colman zierte sich noch ein wenig, doch dann gab er sie an …
Sie nahmen ihn sicherheitshalber mit, und er saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum. Colman war mit dieser Lösung einverstanden, zumal Mike Rander ihm nun doch einen kleinen Geldbetrag zugesagt hatte, damit er Los Angeles verlassen konnte.
Während der Fahrt nach Glendale, einem Stadtteil von Los Angeles, gab Teddy Colman sich schweigsam. Er hing seinen Gedanken nach und zuckte zusammen, als Parker sich an ihn wandte.
»Darf ich noch einmal« begann der Butler, »auf die bewußte Reifenpanne zurückkommen, Mister Colman?«
»Wie, bitte? Ja, natürlich!« Colman zündete sich schon wieder eine Zigarette an und beugte sich etwas vor zur Trennscheibe, die den hinteren Fahrgastraum von den Vordersitzen trennte. Die Unterhaltung fand über die Sprechanlage des Wagens statt. »Ich war so frei, mir jenes Ziel anzusehen, daß Sie Miß Hazel Sharon angaben …«
»Ach so, das ist es …« Colman lachte leise und etwas gekünstelt, »diese Adresse hatte ich nur so zur Tarnung angegeben, weil es sich um eine gute und teure Wohnlage handelt.«
»War Ihnen bekannt, daß in dem Haus, das Sie als Partyziel angaben, zwei Männer warteten?«
»Natürlich…« Teddy Colman nickte.
»Die Herren Dave und Joe?«
»Genau, Mister Parker …«
»Und worauf warteten sie?«
»Auf mich und auf das Mädchen. Wir wollten von dem leeren Haus zu Lew Wesson fahren.«
»Ein sehr umständliches Verfahren, nicht wahr?«
»Lew Wesson wollte es so«, gab Teddy Colman schnell zurück. »Die Mädchen sollten ja nicht herausbekommen, wo sie dann später landeten.«
»Hätte man demnach die bewußten Damen, sagen wir, eingeschläfert?«
»So ungefähr …!« Colmans Stimme klang bedrückt. Die Fragen, die ihm da gestellt wurden, wurden von Sekunde zu Sekunde immer mehr zu einem heißen Eisen.
»Wieviele junge Damen wurden bisher auf diese Art und Weise zu Parties eingeladen?« wollte Parker dennoch wissen. Er umschrieb absichtlich, um Colman das Gefühl zu geben, daß man die Dinge auf die leichte Schulter nahm und ihm voll und ganz glaubte.
»Ich habe keine Ahnung. Das heißt, ich hatte bisher drei Mädchen eingeladen. Was Dave und Joe herangeschafft haben, weiß ich nicht…«
Parker verzichtete auf weitere Fragen. Aber er wußte, daß die Dinge längst nicht so harmlos waren, wie Colman sie hinstellen wollte. Tatsache war und blieb, daß junge Mädchen gegen ihren Willen verschleppt wurden. Das war der Kern, wenn man alles schmückende Beiwerk einmal wegließ.
Glendale war übrigens inzwischen erreicht, und Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum bereits in ein kleines Seitental, dessen sanft geschwungene Hänge mit teuren und exklusiven Bungalows besetzt waren.
Trotz der späten Stunden waren viele Häuser noch erleuchtet. Hier machte man aus vielerlei Gründen die Nacht zum Tag.
»Dort vor der Treppe ist es«, rief Colman und beugte sich wieder vor, »links von der Treppe ist der Parkplatz mit den Tiefgaragen. Von den Garagen aus kann man mit einem Lift bis hinauf in Wessons Bungalow fahren.«
»Ist das bewußte Grundstück besonders abgeschirmt?« wollte der Butler wissen.
»Es gibt einen Zaun, mehr nicht…«
»Was werden wir jetzt tun?« fragte Rander, nachdem er die Sprechanlage abgeschaltet hatte, »was machen wir vor allen Dingen mit Colman?«
»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich ihn gern im Wagen zurückbehalten.«
»Okay, einverstanden, Parker. Aber wie kommen wir in Wessons Haus? Glauben Sie die Geschichten, die Colman uns erzählt hat?«
»Keineswegs, Sir. Mister Colman scheint es darauf angelegt zu haben, Ihnen und meiner bescheidenen Wenigkeit Sand in die Augen zu streuen.«
Parker stieg etwa dreißig Treppenstufen hinauf und erreichte den Eingang zum Grundstück. Ein sehr solide aussehendes Tor versperrte ihm den weiteren Weg. Der Zaun links und rechts vom Tor war hoch und verschwand fast vor den dichten Busch- und Strauchreihen auf der Innenseite des Grundstückes. Über dem Tor brannte eine Laterne.
Parker läutete.
Wenig später, bevor die obligate Torsprechanlage eingeschaltet wurde, war das gereizte Bellen von Hunden zu hören. Dieses Bellen kam sehr schnell näher.
»Wer ist da?« fragte eine etwas schrill klingende Frauenstimme dann aus dem Torlautsprecher.
»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor, »ich möchte keineswegs aufdringlich erscheinen, Madam, aber ich wurde gebeten, Miß Hazel Sharon hier abzuholen. Ich hoffe sehr, daß ich mich nicht verspätet habe.«
Während Parker noch sprach, befaßte er sich mit zwei sehr ausgewachsenen irgendwie nackt wirkenden Bluthunden, die jaulend und böse am Torgitter hochsprangen und Appetit auf Parkers Waden zu haben schienen.
Um ihnen diesen Appetit zu nehmen, bemühte Butler einen seiner Spezialkugelschreiber, verdrehte die beiden Hälften gegeneinander und drückte dann auf den Haltclip.
Zischend sprühte ein feiner Spray aus der Kugelschreiberöffnung und beleidigte die empfindlichen Nasen und Schleimhäute der beiden Bluthunde.
Sie bekamen einen mittelschweren Hustenanfall, wischten sich mit ihren Pfoten die Nasen und stahlen sich dann beleidigt von dannen. Sie bellten und hechelten nicht mehr. Sie hüstelten nur noch und verloren jedes Interesse an Waden aller Art.
»Hallo – Hallo! Wen wollen Sie hier abholen?« fragte inzwischen die scharfe Frauenstimme zurück.
»Miß Hazel Sharon ….«
»Die ist hier nicht bekannt«, kam die Antwort über den Torlautsprecher.
»Mister Teddy Colman ist da aber ganz anderer Meinung«, redete Parker gemessen weiter.
»Warten Sie, ich werde sicherheitshalber nachfragen.« Es knackte im Lautsprecher, dann herrschte Stille. Parker, der selbstverständlich nur zu genau wußte, wie die Antwort ausfallen würde, brauchte nicht lange zu warten.
»Hallo!« fragte die harte Frauenstimme, die jetzt ein wenig nervös zu klingen schien.
Parker dachte nicht im Traum daran, sich wieder zu melden. Er hatte sich vom Tor zurückgezogen und hinter dem rechten Torpfosten Deckung genommen.
Aus dem Torlautsprecher quäkte die Stimme der Frau noch einige Male, dann gab sie es auf. Parker war gespannt, ob sein psychologischer Trick wirken würde. Er verhielt sich nach wie vor ruhig, registrierte aber, daß hinter dem Tor eine Lichterkette aufflammte, die einen Treppenweg strahlend hell erleuchtete. Dieser Weg, in den immer wieder Treppenstufen eingebaut waren, führte in Schlangenwindungen hinauf zum Bungalow, von dem man aber nur das Dach sehen konnte, so geschickt war er in den Hügel eingebaut worden.
Bald näherten sich schnelle Schritte.
Parkers Bluff zahlte sich bereits aus. Im Haus war man nervös geworden, nachdem er sich nicht wieder gemeldet hatte. Hinzu kam vielleicht noch, daß die beiden Bluthunde sich nicht mehr meldeten und offensichtlich sauer waren. Nun wollte man nachsehen, was eigentlich los war.
Parker schaltete das scharf gebündelte Licht seiner Kugelschreibertaschenlampe ein und blinkte nach unten in Richtung Mike Rander, der neben dem hochbeinigen Monstrum auf dem Parkplatz stehen mußte.
Mike Rander reagierte augenblicklich.
Er schlug eine Wagentür laut ins Schloß und lockte damit tatsächlich die Torwache vor das Tor.
Parker ließ sich Zeit und überhastete nichts.
Erst als die Torwache knapp seitlich und vor ihm stand, bemühte Josuah Parker seinen Universal-Regenschirm. Der Mann, der eine Schrotflinte mit abgesägtem Lauf schußbereit in der Hand hielt, gluckste fast erfreut auf, wenigstens hörte es sich so an, um dann vor Parkers Füßen sich zu einem kurzen Tiefschlaf zusammenzuringeln …
Als Parker den Treppenweg hinauf zum Bungalow benutzte, erschienen die beiden Bluthunde.
Als sie jedoch erkannten, wen sie da vor sich hatten, kniffen sie ihre Schwänze ein und trollten sich überhastet. Sie wollten sich mit diesem so eigenartig aussehenden und handelnden Besucher nicht noch einmal anlegen.
Parker verließ den Treppenweg, um vom Bungalow nicht beobachtet zu werden. Er wechselte also hinüber auf den steilen Rasen, der mit Blumenbeeten durchsetzt war. Mit einer Kraft und Geschmeidigkeit, die man ihm niemals ansah, stieg Parker hinauf zum Bungalow. Er schaffte diese Strecke innerhalb weniger Minuten.
Vor dem Eingang des Bungalows stand ein mittelgroßer, schlanker Mann, der etwa fünfzig Jahre alt sein mochte. Parker, der sich dicht herangepirscht hatte, konnte das Gesicht dieses Mannes gut sehen. Es wirkte gedunsen, was im ersten Moment gar nicht zur Schlankheit des Körpers paßte. Der Mann hatte dicke Augenbrauen und kurzgeschorenes, graues Haar. Er war offensichtlich ungeduldig und gereizt. Er schaute zur Treppe hinunter und wartete wohl auf die Rückkehr seines Mitarbeiters.
Hinter ihm erschien jetzt eine Frau, knochig und hager, sie war älter als der Mann und trug ein graues, knielanges Kleid. Sie wirkte irgendwie altmodisch und verkniffen..
»Ben schon zurück?« fragte sie.
»Nicht …!« sagte der grauhaarige Mann aufgebracht, »warum meldet er sich nicht?«
»Vielleicht ist was passiert.« Die knochige Frau ging an dem Grauhaarigen vorbei und beobachtete die Treppe.
»Da! Die Hunde!« Sie deutete mit dem ausgestreckten Arm auf den Treppenweg.
Die beiden Bluthunde schlichen sich heran und waren das personifizierte, schlechte Gewissen. Sie krochen fast über den Boden und waren völlig aus der Form geraten.
Der Grauhaarige rief sie an, doch die Tiere mochten im Augenblick nichts mit Zweibeinern zu tun haben. Sie drehten erschreckt ab und verschwanden zwischen den Sträuchern.
»Verstehst du das, Mary?« Der Grauhaarige wandte sich an die Frau, die ihn überrascht anstarrte.
»Ich weiß nicht, Mister Wesson«, sagte Mary, »aber die Tiere scheint man geschockt zu haben …!«
»Zurück ins Haus«, befahl Wesson plötzlich. »Ben soll sehen, wo er bleibt! Wir machen das Haus erst mal dicht. Ich glaube, daß da was schiefgelaufen ist.«
»Dem würde ich allerdings auch beipflichten«, ließ Parker sich in diesem Moment vernehmen und trat aus seinem Versteck. Er lüftete höflich seine schwarze Melone und schloß: »Ich erlaube mir übrigens, eine angenehme Nacht zu wünschen, was aber nicht besagen soll, daß ich die Absicht habe, mich gleich wieder zurückzuziehen.«
Lew Wesson drehte sich überraschend langsam zu Josuah Parker um. Sein Gesicht blieb beherrscht. Er verengte nur etwas die Augen. Mary, die knochige Frau, schien fast vom Schlag getroffen zu sein. Sie holte tief und hörbar Luft, meisterte so etwas wie einen leichten Schwindelanfall und preßte anschließend ihre an sich schon schmalen Lippen zusammen.
»Wer sind Sie?« fragte Wesson.
»Parker ist mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich formgerecht vor, »ich hoffe, Sie haben ein wenig Zeit für meine bescheidene Person.«
»Parker …« Er sprach den Namen ohne jede Betonung aus und nickte dazu, »kommen Sie ins Haus, Mister Parker…!«
»Ich nehme Ihre möglicherweise freundlich gemeinte Einladung gern und dankend an.« Parker lüftete erneut seine schwarze Melone und betrat den Bungalow. Er hielt seine Melone höflich in der Hand, die Außenseite vom Körper weggekehrt. So war er in er Lage, im in der Melone eingebauten Panoramaspiegel genau zu beobachten, was sich hinter ihm tat.
Es tat sich einiges.
Lew Wesson war gerade damit beschäftigt, aus seinem Leibgürtel eine Handfeuerwaffe hervorzuziehen. Und die Dame Mary hob ihre Hundehetzpeitsche, um sie dem Butler wohl über den Kopf zu ziehen. Die Einladung ins Haus war demnach nur ein Lippenbekenntnis gewesen.
Lew Wesson stöhnte beeindruckt, als der bleigefütterte Bambusgriff von Parkers Universal-Regenschirm seinen gerade beschäftigen Oberarm traf. Die Pistole landete polternd auf dem Boden.
Die Dame Mary, die gerade hatte Zuschlagen wollen, kickste überrascht auf, als die Lage sich derart änderte. Dennoch wollte sie ihren Schlag aber um jeden Preis anbringen. Sie schien eine seltsame Art von Ehrgeiz zu besitzen.
Parkers Regenschirm parierte den Schlag. Die Dame Mary schluchzte wie ein Kleinkind auf, dem man ein liebes Spielzeug genommen hat. Dann rieb sie sich das schmerzende Handgelenk und schmollte.
»Ihre Gastfreundschaft ist nicht gerade das, was man rühmenswert nennen möchte«, tadelte Parker die beiden Mitmenschen, »darf ich erwarten und hoffen, daß es dennoch zu einem klärenden Dialog kommen wird?«
Sie hatten die große Wohnhalle des Bungalows erreicht, und Parker deutete auf die tiefen und augenscheinlich sehr bequemen Sessel. Mary plumpste in eines dieser Sitzmöbel, während Wesson böse und feindselig hinter einem der Sessel stehen blieb. Parker baute sich taktisch so auf, daß er nicht überrumpelt werden konnte.
»Ich möchte also noch einmal auf Miß Hazel Sharon zurückkommen«, begann er gemessen, »nach Mister Teddy Colmans Aussage soll sie sich hier in diesem Haus befinden, um an einer Party teilzunehmen, die es aber offensichtlich nicht zu geben scheint…!«
»Ich verstehe überhaupt nichts«, behauptete Wesson mit leicht gepreßter Stimme, da ihn sein Arm nach wir vor böse schmerzte, »wer ist Colman? Wer ist dieses Mädchen? Sind Sie sicher, daß man Sie nicht angelogen hat?«
»Mister Colman stand unter dem Eindruck, von zwei Herren namens Dave und Joe ermordet zu werden. Er sprach die Wahrheit, wenn Sie meine bescheidene Wenigkeit fragen. Ich möchte also noch einmal wiederholen: Wo kann ich Miß Sharon finden und sprechen?«
»Sie war hier, aber sie fuhr wieder weg«, schaltete sich die knochige Mary plötzlich ein, worauf sie von Wesson böse und beschwörend zugleich angesehen wurde.
»Demnach ist Miß Sharon Ihnen also bekannt?«
»Doch, ja!« räumte jetzt auch Wesson notgedrungen ein, »ich wollte Probeaufnahmen von ihr machen.«
»Hier, in Ihrem Bungalow?«
»Im Keller habe ich modern eingerichtete Ateliers…«
»Werde ich möglicherweise die Erlaubnis erhalten, sie einmal aus der Nähe zu besichtigen?«
Bevor Parker eine Antwort erhielt, peitschte ein Schuß auf, den der Butler als peinlich empfand, zumal das Geschoß dicht an seinem Körper vorbeizischte und daraufhin in der Wand verschwand, nicht unter Zurücklassung übrigens von Kalk- und Mörtelspritzern.
Parker reagierte augenblicklich und ließ es erst gar nicht auf einen zweiten Schuß ankommen.
Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms legte er die Kippschalter für die Beleuchtung um, woraufhin das herrschte, was man nur zu gern ägyptische Finsternis nennt.
Unter Ausnutzung dieser Finsternis verließ der Butler die Wohnhalle und verschwand hinter einer Tür, die seinen Wünschen entgegenkam.
Er hörte Rufe, Stimmen, Kommandos und wütende Schreie. Die Gegner formierten sich und wollten die Verfolgung aufnehmen. Aber sie ahnten nicht, mit wem sie es da zu tun hatten und welches edle Wild sie zu jagen gedachten.
Parker sprühte aus einem der vielen Kugelschreiber eine wachsartige Flüssigkeit auf den Boden und schritt gemessen weiter, bis er eine Wendeltreppe erreicht hatte, die hinauf in das Obergeschoß führte.
Er hatte diese Wendeltreppe halb hinter sich gebracht, als die Verfolger auf der Bildfläche erschienen.
Lew Wesson hatte die Spitze übernommen und dachte nicht im Traum, was Parker da auf den Boden gesprüht hatte. Als er die Tür passiert hatte, wußte er es.
Seine Beine stiegen steil nach oben und sein Gesäß senkte sich ebenso steil nach unten. Sein Körper bildete ein überdimensional großes V, und dieses V schwebte für Bruchteile von Sekunden in der Luft. Anschließend kam es zu einer peinvollen Bruchlandung. Über Wesson fielen, rutschten und stolperten die Dame Mary, deren Skelett zu klappern schien, als sie den Boden erreichte, sodann zwei Männer, die sich mit Handfeuerwaffen ausgestattet hatten. Sie ruderten mitsamt ihren Armen und Waffen in der Luft herum und hatten es insofern recht gut, daß sie auf Wesson und Mrs. Mary fielen, die sich gerade wieder aufrappeln wollten. Ein unentwirrbares Knäuel von Armen und Beinen ruderte auf dem Boden und in der Luft herum, kurz, Josuah Parker durfte mit dem Erfolg seiner Sofortmaßnahmen wieder einmal vollauf zufrieden sein.
Er hatte inzwischen die Wendeltreppe verlassen und sah sich interessiert im Obergeschoß des Bungalows um. Hier gab es einen langen Korridor, von dem einige Türen abzweigten.
Vor einer der Türen stand ein Servierwagen, der mit gebrauchtem Geschirr und Gläsern dicht besetzt war. Parker zog die Tür neben diesem Servierwagen auf und nickte andeutungsweise.
In diesem großen Raum, dessen Terrassentüren hinaus in den oberen Teil des Grundstücks führten, mußte tatsächlich so etwas wie eine Party stattgefunden haben. Es roch nach Tabakqualm, nach abgestandenen geistigen Getränken und nach schwerem, üppigem Parfüm.
Parker wurde bedauerlicherweise abgelenkt, da sich auf der Wendeltreppe einiges tat.
Seine Verfolger hatten die Rutschpartie überstanden und brannten nun darauf, es einem gewissen Josuah Parker heimzuzahlen.
Parker mußte also etwas unternehmen, um diesen wilden Tatendrang zu zähmen.
Kurz entschlossen rollte er den Servierwagen hinüber zur Wendeltreppe, versetzte ihm einen derben Stoß und wartete auf das Ergebnis seiner speziellen Bemühungen.
Er ließ nicht lange auf sich warten.
Der in Fahrt geratene Servierwagen rutschte über die Stufen nach unten und verlor dabei seinen Bestand an Geschirr. Porzellan und Gläser ergossen sich wie eine Sintflut nach unten und hemmten den Vormarsch der Verfolger. Der herunterdonnernde Servierwagen machte die Verwirrung vollständig. Er spülte die Nachdrängenden wieder hinunter in die Halle.
Parker hatte sich inzwischen wieder dem großen Raum gewidmet und sichtete die Überbleibsel. Er wunderte sich eigentlich kaum, als er einen Damenschuh fand, der halb unter einer Couch lag. Und er war immer noch nicht sonderlich erstaunt, als er hinter dem Vorhang der Terrassentüren eine Damenhandtasche entdeckte.
Mit diesen beiden Fundstücken verließ der Butler das Zimmer und begab sich hinaus ins Freie. Als diskreter Mensch wollte er nun wirklich nicht länger stören.
Der obere Teil des Grundstückes, der sich an das Obergeschoß des Bungalows anschloß, war im Grunde nur eine kleine Wildnis mit zähem und dichtem Unterholz. Einen begehbaren Weg konnte der Butler hinter der Terrasse nicht entdecken. Wahrscheinlich wurde dieser Teil des Gartens überhaupt nicht gewartet. Vielleicht hatte man ihn sogar absichtlich verwildern lassen.
Um zurück zur Wegtreppe und ans Tor zu gelangen, hätte Parker einen schmalen Plattenweg benutzen können, der um den großzügig angelegten Bungalow herumführte. Da ihm dieser Weg aber äußerst unsicher erschien, arbeitete er sich kurz entschlossen in das Dickicht hinein.
Er blieb überrascht stehen, als er schon nach wenigen Metern Stimmen zu hören glaubte.
Sie kamen etwas dumpf und hohl an sein Ohr, aber es handelte sich einwandfrei um Stimmen, die er allerdings noch nicht zu unterscheiden vermochte.
Er nahm sich Zeit und überhastete nichts, obwohl die Verfolger inzwischen die Terrasse erreicht hatten und laut miteinander beratschlagten.
Parker zwängte sich ohne Rücksicht auf seine schwarze Berufskleidung um einen riesigen Dornbusch herum und blieb wieder interessiert stehen.
Die Stimmen waren nämlich nicht mehr zu vernehmen. Es hatte seiner Ansicht nach so etwas wie ein metallisches Klicken gegeben, worauf die Stimmen schlagartig erstarben.
Was konnte das bedeuten?
Er sah hinüber zum Bungalow. Die Terrasse war inzwischen leer. Dafür hörte er das Brechen von Ästen und das Rauschen von Zweigen. Seine Verfolger hatten sich in Dschungelkrieger verwandelt, die ihn um jeden Preis stellen und erledigen wollten.
Parker war zufrieden.
Er suchte erst einmal nach der Einrichtung, die dieses eigenartige metallische Klicken verursacht haben könnte, doch als dies nicht klappte, widmete er sich seinen Verfolgern. Um ihnen begegnen zu können, hatte der Butler seine zusammenlegbare Gabelschleuder in Arbeitsposition gebracht und sich mit seiner Spezialmunition versorgt, die sich in einer Pillendose befand.
Einem wütenden Eber gleich, nahte der erste Verfolger. Zu sehen war er nicht, dazu war es zu dunkel, aber Parkers Sinne waren zu einem lebenden Radar geworden, das die Position dieses Ebers genau ortete.
Er legte die dünnwandige Tonmurmel in die Lederschlaufe, spannte die beiden Gummistränge und – schickte das erste Geschoß auf die Reise.
Volltreffer.
Ein Aufjauchzen, das sich Sekundenbruchteile später in ein Heulen verwandelte. Dann eine Art Schweinsgalopp, als der jetzt nicht mehr wütende Eber zurück zur Terrasse spurtete.
Um ein Haar wäre der Butler dennoch überrascht worden.
Quasi im letzten Moment machte er dicht in seiner nächsten Nähe einen weiteren Verfolger aus, der sich fast unhörbar genähert hatte. Das Wüten des Ebers hatte ihn, den Butler, wohl absichtlich ablenken sollen.
Parker nutzte die Möglichkeiten, die sich ihm boten. Er zog einen dicht belaubten Zweig langsam aber unnachsichtlich zu sich heran und spannte ihn beträchtlich. Und als der Verfolger, der sicher ahnungslos war, in der richtigen Position stand, ließ Parker diesen dicht belaubten Ast freundlichst los.
Laub und Ast landeten auf dem Gesicht des Dschungelkriegers, der erschreckt kickste, mit den Händen in der Luft herumfuchtelte und im Moment wie geblendet war. Parker, der dem Kicksen gefolgt war, langte kurz und durchaus höflich mit dem Bambusgriff zu und erbeutete auf diese Art und Weise eine handliche Maschinenpistole, gegen deren Besitz er nichts einzuwenden hatte.
Um sich etwas Luft zu verschaffen, entsicherte er diese Maschinenpistole und bemühte eine Heftklammer, die er aus einer der Westentaschen hervorgeholt hatte. Er faltete den dünnen Bürodraht auseinander und bog ihn derart zurecht, daß die Schnellfeuerwaffe ohne Unterbrechung schoß, sobald der Abzug bemüht worden war.
Parker bemühte ihn, warf die Maschinenpistole, die Dauerfeuer produzierte, in einem weiten und hohen Bogen in Richtung Bungalow und wartete ab.
Das volle Magazin ratterte los und schickte Geschoß auf Geschoß durch den Lauf. Da die Waffe nicht festgehalten wurde, sprang und tanzte sie unter der Wirkung ihres Rückstoßes umher und schickte ihre Bleiladungen in alle Himmelsrichtungen. Es entstand so ein Höllenlärm, der an eine mittlere Gefechtstätigkeit erinnerte. Ahnungslose und überraschte Zuhörer mußten annehmen und glauben, in ein Manöverfeld geraten zu sein.
Der ganze Spuk dauerte wenige Sekunden, dann war das Magazin leergeschossen. Parker schaute zum Bungalow hinüber. Durch das dichte Gestrüpp konnte er Einzelheiten schon nicht mehr feststellen, aber er merkte doch, daß sich auf der Rückseite des Hauses die Verfolger zusammenzogen, um dann im Haus zu verschwinden. Das Dauerfeuer hatte sie restlos verwirrt. Und wahrscheinlich waren sie der Ansicht, sie müßten das Haus zur Straße hin verteidigen.
Der Mann, dessen Gesicht von einem Ast und einigen Pfund Laub gestreichelt worden war, rührte sich und stöhnte leise.
»Ich möchte Ihnen versichern, daß Sie auf keinen Fall gesundheitliche Schäden davontragen werden«, tröstete der Butler seinen Gegner, »Sie werden gewiß verstehen, daß die Umstände mich zu meiner Handlungsweise zwangen.«
Der Mann wollte aufspringen und den Butler anfallen, doch er merkte erst jetzt, daß seine rechte Hand mit dem linken Fußknöchel mittels einer Handschelle verbunden war.
»Sie werden sich mit Sicherheit bald wieder auf freiem Fuß befinden«, sagte Parker, »vorher möchte ich aber einige Fragen stellen, auf deren Beantwortung ich Wert lege …«
»Wenden Sie sich an den Chef«, sagte der Mann mürrisch.
»Auch dies wird mit Sicherheit noch geschehen. Ich hörte, um auf meine Fragen zu kommen, daß Miß Hazel Sharon Gast bei Mister Wesson war. Könnte ich in Erfahrung bringen, wo sie sich zur Zeit befindet?«
»Weiß ich nicht.«
»Wenn ich sie richtig verstanden habe, verweigern Sie also die Aussage?«
»Darauf können Sie Gift nehmen.«
»Sie werden verstehen, daß ich dies nicht tun werde. Aber vielleicht hilft uns ein wenig Juckpulver weiter!«
Parker öffnete den Kragen des Mannes unterhalb der langen Schädelhaare und träufelte ein wenig Juckpulver auf die Haut. Der Mann begriff zuerst überhaupt nicht, was Parker gemeint hatte. Vielleicht hielt er den Butler sogar für senil, doch als das Juckpulver wirkte, das der Butler aus einer seiner Spezialzigarren herausgeklopft hatte, als dieses Pulver also wirkte, da glaubte sich der Mann in der Hölle.
Zuerst zuckten nur seine Schultern, dann geriet sein ganzer Körper in Bewegung. Er hüpfte auf seiner Kehrseite herum und ließ sich anschließend auf den Rücken fallen. Er stöhnte, kicherte, grunzte und schnaufte. Der überwältigende Juckreiz schuf ihm Höllenqualen, die einfach kaum auszuhalten waren.
»Mann – Mann, kratzen Sie doch. Jucken Sie! Ich halte es nicht mehr aus …!«
»Ich werde Ihnen gern behilflich sein, falls Sie meiner Wenigkeit mit einigen Informationen dienen würden. Wo befindet sich Miß Sharon?«
»Wie – wie sie heißt – weiß ich nicht! Mann, kratzen Sie doch endlich! Sie ist runter ins Atelier gebracht worden. Da, ja da zwischen den Schulterblättern …!«
Parker hatte sich mit einem kleinen Ast versehen und bekämpfte damit den Juckreiz seines Informanten. Er tat es nicht besonders ausgiebig, um den Strom der Nachrichten nicht zu unterbrechen.
»Wo befindet sich das Atelier?« fragte Parker und kratzte nur mäßig mit dem kleinen Aststück.
»Unten im Bungalow. Mann, kräftiger! Kratzen Sie doch endlich mal richtig! Ich werde noch verrückt.«
»Welche Art von Aufnahmen werden dort gedreht?«
»Ich war noch nie da unten. Ehrlich nicht! Wesson läßt uns da hie hinein.«
»Wen außer Ihnen läßt er niemals ins Atelier?«
»Die Hauswache …«
»Die aus wieviel Männern besteht?«
»Wir sind mit vier Mann. Kratzen Sie doch, ich werde sonst wahnsinnig!«
Parker kratzte und stellte seine nächsten Fragen.
»Ja, der Lift geht hinauf bis ins Haus. Und zwischendurch kann man vor dem Atelier aussteigen. – Ehrlich, ich war noch niemals da unten. Da läßt uns der Chef nicht rein!«
»Und was geschieht mit den jungen Damen, nachdem sie gebracht wurden?«
»Die werden wieder weggeschafft, sobald Wesson sie nicht mehr braucht. Kratzen Sie! Tiefer, da unten, Jaaa…! Sooo …! Mann, tut das gut!«
»Sind Ihnen die Herren Dave und Joe bekannt?«
»Nur so vom Ansehen. Sie zeigen ihre Marken und dann dürfen sie ins Haus!«
»In dem auch Sie und ihre drei Partner wohnen?«
»Wir haben ein Gartenhaus rechts vom Tor …«
»Ist der Drahtzaun elektrisch gesichert?«
»Nicht direkt, aber wir sehen es am Licht, wenn er berührt wird.«
»Wer wohnt außer Mister Wesson und Mrs. Mary noch im Bungalow?«
»Noch zwei Männer. Ja, und eine Frau… Ja, da müssen Sie noch einmal kratzen. Ja …! Mann, ich könnte verrückt werden. Das ist ja schlimmer als eine Folter!«
»Sagt ihnen der Name Tuscon etwas?«
»Nie gehört. Ehrlich nicht. Ich würde es doch sonst sagen. Ich sage, was Sie wollen, aber kratzen Sie! Ja, rechts von der Schulter. Ahhh …!«
Parker hätte zu gern noch weitere Fragen gestellt, aber die Verfolger rückten erneut an und hatten sich jetzt mit Schrotgewehren ausgerüstet, wie Parker erkannte.
»Nehmen Sie ein heißes Bad«, riet Parker seinem Schutzbefohlenen, »der Juckreiz wird sich im Lauf des kommenden Tages wieder geben, dessen bin ich gewiß.«
Parker verschwand im dichten Gestrüpp, hütete sich aber, es lautstark zu durchbrechen. Er wartete, bis der nach wie vor vom Juckreiz gepeinigte Mann schrie und sich verständlich machte…
Parker erreichte den Plattenweg, der um den Bungalow herumführte und prallte an der Hausecke mit einem Mann zusammen, der ein Schrotgewehr hielt.
Der Mann erschrak mächtig, war aber dennoch geistesgegenwärtig genug, den Lauf seines Gewehres auf den Butler zu richten.
Parker reagierte auf seine Art und Weise.
Er lächelte mild und deutete gleichzeitig mit seinem schwarz behandschuhten Finger hinauf zum nächtlichen Himmel, an dem sich bereits das Licht der Morgensonne abzuzeichnen begann.
Der Mann folgte mit seinen Augen dem steil aufgerichteten Zeigefinger und beging den Fehler, ebenfalls hinauf zum Himmel zu schauen.
»Verdammt…!« stieß er anschließend hervor. Er hatte gemerkt, daß man ihn psychologisch überrumpelt hatte. Er wollte sein aus der Richtung gekommenes Schrotgewehr auf den Butler richten, doch dazu kam es nicht mehr.
Aus naheliegenden Gründen war der Butler dagegen, von einer Schrotladung getroffen zu werden. Um dem vorzubeugen, klopfte er mit dem Bambusgriff gegen die Oberarmmuskulatur des Mannes, der daraufhin derart schwach wurde, daß er den betreffenden Arm nicht mehr hochbekam.
Als er es dennoch zwingen wollte, nahm Parker ihm das Gewehr einfach ab und richtete die Mündung auf den leicht verdutzten Mann.
»Ich rate und empfehle dringend, das zu suchen, was man in Ihren Kreisen wahrscheinlich das Weite nennt«, sagte Parker in seiner höflichen Art und Weise, »ich möchte nicht hoffen, daß Sie meine bescheidene Person reizen wollen …«
Obwohl Parker sich äußerst barock ausgedrückt hatte, verstand der Mann ihn sofort. Doch dies hing wohl einzig und allein mit dem Schrotgewehr zusammen, das auf ihn gerichtet war. Aus dem Stand heraus spurtete er los und verschwand hinter der Rückseite des Bungalows.
Parker benutzte den Rasen, um hinunter zum Tor zu gelangen. Das Tor war verschlossen, wie er es erwartet hatte. Und eine Art Torwache stand neben einem der beiden Pfosten und sicherte das Gelände zur Straße hin ab.
Parker bemühte seine Gabelschleuder.
Eine kleine Tonmurmel ohne Spezialfüllung reichte vollkommen aus, diesen Mann in das Land der Träume zu schicken. Nachdem die Tonmurmel sich auf dem Hinterkopf des Mannes breitgemacht hatte, rutschte die Torwache in sich zusammen und legte einen kleinen Schlaf ein. Parker stieg über diesen Mann hinweg, warf die Waffe weit in den Garten und schritt über die Steiltreppe hinunter zur Straße.
Er wunderte sich, daß sein junger Herr samt dem hochbeinigen Monstrum verschwunden war.
»Was war denn eigentlich los?« fragte Mike Rander wenig später, nachdem er seinen Butler aufgelesen hatte, »Ich bin weggefahren, als die Maschinenpistole feuerte. Ihr Wagen brauchte ja nicht unbedingt von den Torwachen gesehen zu werden.«
Parker nahm am Steuer seines geliebten Wagens Platz und schaute sich zu Colman um, der zusammengesunken auf dem Rücksitz saß und mit seinem Schicksal haderte.
Parker gab eine kurze Schilderung seiner Erlebnisse und schaltete anschließend die Sprechanlage zu den Rücksitzen ein.
»Mister Colman«, begann er höflich, während er sein hochbeiniges Monstrum durch das Tal hinaus auf die Schnellstraße steuerte, »Mister Colman, inzwischen habe ich in Mister Wessons Haus in Erfahrung bringen können, daß es dort ein Atelier gibt.«
»Davon – äh – davon weiß ich nichts.« Colman wollte nichts sagen, dies stand fest. »Hören Sie, Sie haben mir versprochen, mich gehen zu lassen. Ich habe Sie zu Wesson gebracht, und Sie wissen jetzt, wohin die Mädchen gebracht wurden. Lassen Sie mich endlich gehen!«
»Sollen wir?« Rander sah seinen Butler zweifelnd an, »eigentlich gehört er in die Hände der Polizei.«
»Ich würde dafür plädieren, Sir, die Abmachung einzuhalten«, erwiderte Parker. Er hatte die Schnellstraße erreicht und deutete auf die Haltestelle einer Fernbuslinie, »vielleicht könnte man Mister Colman dort der Freiheit überantworten.«
Mike Rander war einverstanden und stattete Colman mit dem ihm zugesagten Geldbetrag aus. Nachdem Colman die Banknoten kassiert hatte, nachdem Parker die hinteren Wagentüren elektrisch entriegelt hatte, hüpfte Colman schleunigst ins Freie, überquerte die Straße und verschwand im Ticketgebäude der Buslinie.
»Hoffentlich haben wir keinen Fehler gemacht«, sagte der junge Anwalt, als sie weiterrollten, »ich bin sicher, daß Colman uns noch eine Menge hätte sagen können.«
»Mir scheint, Sir, daß er nur so etwas wie ein Zulieferer gewesen ist.«
»Sie glauben, daß er wirklich nicht weiß, was sich in Wessons Bungalow abspielte?«
»Die besonderen Tätigkeiten Mister Wessons bedürfen noch einer sehr genauen Überprüfung, Sir. Wie ich bereits andeutete, scheint er an jungen Damen interessiert zu sein, die er für spezielle Zwecke in sein Atelier bringen läßt.«
»Darüber denke ich bereits die ganze Zeit nach«, sagte Rander nachdenklich, »was will er mit den Mädchen? Pornoaufnahmen?«
»Möglicherweise, Sir!«
»Wenig wahrscheinlich, Parker.« Rander schüttelte den Kopf, »für diesen Zweck könnte Wesson gewisse Damen bekommen, die das freiwillig erledigen. In Einzelheiten brauche ich ja wohl nicht einzusteigen, oder?«
»Ich muß Ihnen beipflichten, Sir. Ihr Argument macht mich allerdings ratlos.«
»Mädchenhandel!?« tippte Rander an.
»Dazu braucht er die jungen Damen nicht zu fotografieren«, sagte Butler Parker.
»Stimmt auch wieder.« Rander nickte, »zum Henker, aber irgend etwas muß er doch mit ihnen machen!«
»Man müßte Mister Wesson zu einer geeigneten Zeit einen erneuten Besuch abstatten, Sir.«
»Das werden wir vorerst nicht schaffen, Parker. Wesson weiß jetzt sehr genau, was ihn erwartet. Er wird sich so absichern, daß ihm nichts passieren kann!«
»Dagegen, Sir«, sagte Parker gemessen, »müßte man sich möglicherweise etwas einfallen lassen. Wenn Sie erlauben, werde ich mir spezielle Gedanken darüber machen.«
Es war Mittag geworden.
Nach der langen Nacht und den mehr oder weniger aufregenden Abenteuern war: Mike Rander erst sehr spät aufgestanden. Parker hingegen hatte schon einige kleine Einkäufe hinter sich und stand seinem jungen Herrn prompt zur Verfügung. Nach einem ausgiebigen Frühstück fanden Rander und Parker sich bei Lieutenant Haie Sorensen ein.
Haie Sorensen, ein drahtig aussehender, schlanker und mittelgroßer Mann, der wie ein moderner Cowboy aussah und die selbstverständliche Lässigkeit dieser Naturburschen besaß, hatte das seltsame Duo Rander-Parker in seinem Dienstbüro empfangen und sich die bisherige Geschichte sehr intensiv und fast schweigend angehört.
Bevor er in die Diskussion stieg, drückte er auf einen Knopf der Sprechanlage und ließ sich mit seinen Mitarbeitern im Detektivsaal verbinden. Er beauftragte sie, Material über einen gewissen Lew Wesson, die Firma Tuscon und Teddy Colman einzuholen. Und der wünschte diese Unterlagen, wie er lässig, aber unüberhörbar ausdrückte, sehr schnell auf seinem Tisch zu sehen.
»Hören Sie«, sagte er dann zu Rander und Parker, »bevor wir auf Einzelheiten kommen, will ich Ihnen etwas über meine augenblicklichen Sorgen sagen. Seit einigen Wochen suchen wir nach jungen Damen, die spurlos verschwunden sind. Wir haben bisher insgesamt sechs Vermißtenanzeigen erhalten.«
»Na, bitte«, sagte Rander und nickte seinem Butler zu, »und um welche Mädchen handelt es sich?«
»Sie haben alle mehr oder weniger mit Film und Fernsehen zu tun. Es sind weder Stars noch Starlets, aber Schauspielerinnen, die sehr ehrgeizig nach oben drängen. Sie waren namenlos, aber sie nutzten bestimmt jede Möglichkeit, mit wichtigen Leuten in Kontakt zu kommen.«
»Könnten Sie verschleppt oder ermordet worden sein?« wollte der junge Anwalt wissen.
»Lassen Sie mich so antworten«, gab Sorensen zurück, »ihre Leichen sind bisher nicht gefunden worden. Und was das Verschleppen angeht, na ja, Wozu sollte man Mädchen verschleppen? Mädchenhandel? Dazu braucht man in der Regel keine Mädchen zu verschleppen. So was kommt eigentlich nur in einschlägigen Kriminalfilmen noch vor.«
»Sagt ihnen der Name Schlangenbrut etwas?« wollte Mike Rander wissen.
»Wieso? Was soll das sein?
»Ich vergaß, Ihnen davon zu erzählen. Teddy Colman nannte den Verein so, den seine Freunde aufgezogen haben.«
Haie Sorensen bemühte noch einmal das Telefon und verlangte weitere Informationen. Dann räusperte er sich und sah zuerst Rander, dann den Butler an.
»Wie ich Sie einschätze, werden Sie natürlich weiter am Ball bleiben, oder?«
»Fragen Sie Parker, nicht mich!« Mike Rander schmunzelte. Er und Josuah Parker kannten Sorensen von früheren Besuchen in Los Angeles her. Sie brauchten sich nicht gegenseitig an der Nase herumzuführen.
»Ich fürchte, Sir«, sagte nun Parker und sah seinerseits Lieutenant Sorensen an, »daß die Entwicklung inzwischen so weit gediehen ist, daß die Mitglieder der eben erwähnten Schlangenbrut Mister Rander und meiner bescheidenen Wenigkeit kaum eine andere Wahl lassen werden.«
»Und wieso?«
»Man weiß dort inzwischen, in welchem Hotel Mister Rander und meine Person abgestiegen sind.«
»Wie wäre es denn mit einem Hotel-Wechsel?«
»Ich möchte annehmen, Sir, daß Mike Rander sich im augenblicklichen Hotel sehr wohl fühlt.«
»Sie werden also weiter mitmischen?«
»Das wissen Sie doch längst, Sorensen«, sagte Rander und lächelte amüsiert, »wenn Parker einmal Witterung aufgenommen hat, ist er von der Spur nicht mehr abzubringen.«
»Na schön!« Sorensen nickte, »aber lassen Sie mich wissen, wenn sich etwas tut, Rander, ja? Mister Parker … Das gilt auch für Sie!«
»Sie können sich fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen, Sir.«
»Lieber nicht«, sagte Sorensen, »Hauptsache aber, daß wir uns nicht gegenseitig ins Gehege kommen. Moment bitte!« Das Telefon hatte sich gemeldet, und Sorensen hob ab.
Er hörte einen Moment schweigend zu, legte dann auf und erhob sich von seinem Platz.
»Nun sagen Sie schon, was passiert ist«, meinte Rander ungeduldig, »ich wette, dieser Anruf hatte mit unserem Fall zu tun, oder?«
»Diese Wette würden Sie gewinnen«, erwiderte Sorensen, »Teddy Colman ist in Burbank gefunden worden. Überfahren und tot! Ich brauche wohl nicht zusätzlich zu erklären, daß der Fahrer Fahrerflucht begangen hat, oder…!?«
»Ich hege die Neigung und Absicht, einen Ihrer ausgestellten Gebrauchtwagen zu besichtigen und möglicherweise auch zu kaufen«, sagte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone, »würden Sie die Liebenswürdigkeit haben, mir einige dieser Wagen zu zeigen?«
Dave, der den Butler schließlich nur zu gut kannte, man hatte sich in der Hotelhalle gesehen und in Colmans Wohnung ein wenig miteinander geplaudert, wobei Parkers Regenschirm eine gewisse Rolle gespielt hatte, Dave also starrte den Butler entgeistert an und schluckte.
»Mann«, sagte er dann fast andächtig, »Mann, Sie haben Nerven!«
»Ich kann mich wirklich nicht beklagen«, gab Parker höflich zurück, »darf ich am Rande nachfragen, wie Sie der Handschelle Herr wurden?«
»Ich habe Freunde angerufen, die uns aus der Patsche geholfen haben«, antwortete Dave, »wir waren auf jeden Fall weg, bevor die Bullen kamen.«
»Wenn Sie gerade die Polizei meinten, so kann ich Ihnen versichern, daß sie nicht informiert wurde. Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit sind nicht an dem interessiert, was man in Ihren Kreisen wahrscheinlich kleine Fische nennt.«
»Was wollen Sie wirklich hier?« fragte Dave und sah den Butler mißtrauisch an.
»Mir einige Ihrer ausgestellten Gebrauchtwagen ansehen«, wiederholte der Butler noch einmal, »ich darf doch sicher hoffen, daß Sie mich bedienen werden.« Parker deutete auf den umgestürzten Wohnwagen vor der Bürobaracke aus Stein, »hat sich dort ein kleiner Unfall zugetragen, wenn ich fragen darf?«
»Sie wissen doch verdammt genau, wie das passiert ist, Parker«, sagte Dave grimmig, »aber das sage ich Ihnen, dafür werden wir Sie noch zur Kasse bitten.«
»Die Schlangenbrut, nicht wahr?«
»Colman scheint ja ziemlich ausgepackt zu haben.«
»Er war das, was ich mitteilungsfreudig nennen würde.«
»Hoffentlich bekommt es ihm …«
»Es bekam ihm leider nicht, er erlitt einen tödlichen Unfall, aber das werden Sie sicher bereits wissen.«
»Teddy ist tot?« Dave, der junge Mann, sah den Butler ehrlich überrascht an.
»So teilte es die zuständige Polizeibehörde mit.« Parker warf einen Blick in Richtung Stiernacken, der gerade aus der Bürobaracke kam und ihn wohl schon entdeckt hatte. »Hoffentlich trägt man es Ihnen nicht nach, Mister Dave, wenn ich Sie so nennen darf, daß Sie sich mit meiner bescheidenen Person unterhalten. Mißverständnisse, das hat das Beispiel Mister Colman gelehrt, können durchaus tödlich sein.«
»Oder auch nicht!« Dave hatte sich entschlossen, etwas für seine weitere Gesundheit zu tun. Er riß ziemlich umständlich eine flache Pistole aus der Hosentasche, doch als er sie auf Parker anlegen wollte, sah der Butler sich gezwungen, ein wenig unangenehm zu werden.
Dave stöhnte verhalten, als er die flache Pistole verlor. Er mußte sie notgedrungen aus der Hand geben, da Parker den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms bemüht hatte.
Als Dave sich nach der entfallenen Waffe bücken wollte, verlor er sein Gleichgewicht. Und dies hing wiederum mit dem Bambusgriff zusammen. Parker hatte ihn hinter die Kniebeuge gehakt und kurz und nachdrücklich daran gezogen. Es gab eine kleine Staubwolke, als Dave auf dem Boden landete.
Der junge Mann entwickelte dabei zusätzliches Pech, denn er landete mit dem Hinterkopf am Blech eines Wagens. Ein dumpfer Ton, der an das Anschlägen eines Gongs erinnerte, und Dave begab sich freiwillig und leichtfüßig hinüber ins Land der Träume.
Inzwischen war Stiernacken-Joe näher gekommen. Er begriff nicht ganz, was sich ereignet hatte. Er kam gerade um einen Kombiwagen herum, als er plötzlich wie erstarrt stehenblieb und dann betroffen nach seinem rechten Oberschenkel griff. Er riß weit die Augen auf, in denen sich Entsetzen widerspiegelte. Vorsichtig, ja, fast bedächtig, zog er anschließend einen kleinen Blasrohrpfeil aus seinem Muskelgewebe.
Darüber vergaß er seine Waffe zu ziehen. Er stierte und starrte auf den bunt befiederten Pfeil und schluckte. Dann schaute er sich in der Runde um und suchte wahrscheinlich verzweifelt nach einem Amazonas-Indio.
»Darf ich Ihnen meine bescheidene Hilfe anbieten?« erkundigte sich Parker und ging, seine Melone höflich lüftend, auf den Stiernacken zu. »Sollen Sie sich möglicherweise verletzt haben?«
Mister Stiernacken verlor jede Aggressivität.
»Hier! Sehen Sie doch!« stieß er hervor und präsentierte Parker den Pfeil. Er zeigte ihn ausgerechnet dem Butler, der ihn aus seinem Preßluftblasrohr abgeschossen hatte, das sich im Schirmstock befand.
»Ein Blasrohrpfeil, wenn mich nicht alles täuscht.«
»Ja, ja. Aber hier! Ob er vergiftet… Mein Gott. Der ist bestimmt vergiftet.«
»Man sollte solch eine Möglichkeit, nicht ausschließen«, gab der Butler zu überlegen.
»Mir, mir wird auch schon ganz flau im Magen. Curare, wie?«
»Das wäre in der Tat äußerst unangenehm!« Parker konnte und durfte so reden, denn er wußte selbstverständlich, daß er kein Curare verwendet hatte. Die Spitze des Pfeils enthielt allerdings einen Anstrich, der aus einem schnell wirkenden Mittel bestand, das den Tiefschlaf förderte.
Joe, der Stiernackige, verwechselte dies und bemitleidete sich. Er rutschte müde in sich zusammen, fühlte sich vergiftet und stöhnte.
Nicht mehr lange übrigens, denn er gähnte unvermittelt, rollte sich neben Dave zusammen und schlief dann prompt ein.
Parker ließ die beiden Schlaftrunkenen allein und wechselte hinüber zur Bürobaracke. Da der ganze Vorfall unbemerkt geblieben war und sich außer Parker zur Zeit kein Besucher auf dem Ausstellungsgelände befand, stand er nicht unter Zeitdruck.
Parker interessierte sich nur kurz für das Büro. Er rechnete nicht einen Moment lang damit, etwa aufschlußreiche Hinweise oder Spuren zu finden. Er hatte es schließlich mit Profis zu tun, die bestimmt nicht leichtsinnig waren. Der tiefere Sinn seines Besuches war es gewesen, nervöse Unruhe zu stiften. Die Mitglieder der »Schlangenbrut« sollten unsicher werden, damit sie Dummheiten und Fehler begingen.
Parker wollte gerade gehen, als das Telefon sich meldete. Als höflicher Mensch nahm er in Vertretung von Dave und Joe den Hörer ab und meldete sich.
»Tuscon – Gebrauchtwagenhandlung. Kann ich etwas für Sie tun?«
Auf der Gegenseite antwortete eine nette, dunkel gefärbte und sehr jung klingende Frauenstimme.
»Ich möchte Dave Dee sprechen«, sagte die Frauenstimme munter und erwartungsvoll zugleich.
»Ich fürchte, Mister Dee ist im Moment verhindert«, erwiderte Parker, »aber ich bin gern bereit, Mister Dee etwas auszurichten, zumal er Ihren Anruf erwartete.« Dies war zwar eine kühne Behauptung, aber ängstlich war Parker ja noch nie gewesen.
»Fein! Sagen Sie Mister Dee, daß ich ihn um 18.30 Uhr erwarte. Er weiß schon Bescheid!«
»Darf ich erfahren, wer anruft?«
»Arlene Andrews.«
»Verzeihen Sie die Aufdringlichkeit«, sagte Parker höflich, »aber habe ich Ihren Namen nicht vielleicht schon im Zusammenhang mit Film und Fernsehen gehört?«
»Schön wär’s!« sagte sie seufzend, ohne aber dediziert unglücklich zu sein.
»Ich gehöre zwar nur am Rande zur Firma hier«, redete Parker weiter, »aber ich kann und darf nur hoffen, daß Sie die richtige Agentur haben.«
»Kennen Sie die Bayswater-Agency?« fragte sie prompt und arglos zurück.
»Gewiß, Madam. Dort sind Sie in besten Händen. Ich werde Mister Dee von Ihrem Anruf verständigen. Und ich erlaube mir, Ihnen für die Zukunft viel Glück zu wünschen.«
Sie bedankte sich und legte auf. Parker griff nach dem Telefonbuch und suchte sich gleich an Ort und Stelle die Adresse und Telefonnummer einer gewissen Arlene Andrews heraus. Diese Fakten notierte er sich in seinem Kopf, um anschließend die Bürobarracke zu verlassen. Parker fand, daß er genau zur richtigen Zeit die Tuscon-Gebrauchtwagenfirma besucht hatte. Der Anruf von Miß Andrews bot neue Möglichkeiten, die man unbedingt nutzen mußte.
Als. Parker ins Freie trat, um zu seinem hochbeinigen Monstrum zu gehen, erlebte er allerdings eine mehr als peinliche Überraschung.
Der abgesägte Lauf einer Schrotflinte wurde auf ihn gerichtet. Hinter dieser Flinte stand ein Mann namens Ben, der auf dem Grundstück von Lew Wesson nicht gerade auf die feine englische Art gehandelt hatte …
»Sie ersparen es hoffentlich einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann, daß er die Hände hochnimmt«, sagte Parker zu Ben, »ich beuge mich durchaus Ihrem Argument in der Gestalt dieser Schrotflinte.«
»Damit haste wohl nicht gerechnet, wie?« Ben grinste tückisch. Man sah es ihm an, daß er am liebsten jetzt und hier abgedrückt hätte.
»Ich bin in der Tat ein wenig überrascht«, räumte der Butler ein, »handelt es sich um einen Zufall, daß Sie mich hier trafen?«
»Nee, Alter. Alles berechnet! Seitdem Sie Ihren Hotelbau verlassen haben, waren wir hinter Ihnen her!« Ben hatte seinen Mobster-Jargon aufgegeben und sprach wieder wie ein normal-höflicher Mensch.
»Sie sind nicht allem?«
»Lieber nicht, Parker.« Ben grinste. »Ein Bursche mit Ihren Tricks macht wachsam!«
Hinter Ben erschien ein zweiter Mann. Wahrscheinlich gehörte er zum Wachpersonal von Lew Wesson. Er hatte seine rechte Hand in die Tasche seines Jacketts gesteckt. Da diese Tasche sich erheblich aus beulte, lag der Schluß nahe, daß die Hand eine Schußwaffe umklammerte.
Bevor Parker weitere Fragen stellen konnte, erschien Dave, zwar noch mitgenommen und deutlich angeschlagen, aber voller Zorn. Er marschierte auf Parker zu und wollte ihn mit seinem Handrücken schlagen. Ben – Parker nicht aus den Augen lassend – trat etwas zur Seite, damit er besser zulangen konnte.
Dave hob Arm und Hand.
»Hoffentlich haben Sie sich das sehr genau überlegt«, sagte Parker eindringlich, aber sehr leise.
Dave ließ die Hand in der Luft und schaute wie hypnotisiert in die grauen Augen des Butlers. Knapp eine Sekunde lang dauerte dieser Blick, dann hüstelte Dave Dee und senkte verlegen den Kopf.
»Was ist denn, Junge?« fragte Ben überrascht.
»Schon gut«, meinte Dave Dee und hüstelte erneut, »hat sich erledigt.«
»Du bist vielleicht ’ne Flöte«, wunderte sich Ben sichtlich, »hast du etwa Angst vor diesem Burschen?«
»Laß mich in Ruhe«, herrschte Dave Dee seinen Freund Ben an, dann wandte er sich ab und verschwand wieder zwischen den Gebrauchtwagen.
»Dann eben nicht.« Ben sah Dave Dee für einen kurzen Moment nach und kümmerte sich dann wieder um Parker. »Los, Parker, kommen Sie! Wir machen ’ne kleine Spazierfahrt in Ihrem Wagen.«
»Ich erlaube mir, dankend zu akzeptieren«, erklärte Parker. »Darf man fragen, wohin diese Ausfahrt gehen soll?«
»Abwarten!« Ben kam sich sehr überlegen vor, »los, gehen Sie schon rüber zu Ihrem komischen Schlitten.«
Sie ließen den Butler nicht aus den Augen, als sie zum hochbeinigen Monstrum hinüberwechselten. Parker blieb abwartend vor seinem Privatwagen stehen, der früher einmal als Taxi in London seinen Dienst getan hatte. Dieser eckige und hochbeinige Wagen war nach Parkers Plänen und Wünschen umgebaut worden. Er enthielt eine Anzahl mehr oder weniger liebenswürdiger Überraschungen, doch davon konnten die beiden Männer noch nicht einmal etwas ahnen.
»Sie übernehmen das Steuer«, sagte Ben zu Parker, »ich setz mich nach hinten. Und du, Clay, bleibst neben Parker, damit er keine Zicken macht.«
»Wird Mister Dee sich an dieser Ausfahrt nicht beteiligen?« erkundigte sich Parker.
»Der kümmert sich um Joe.« Ben grinste, »Sie müssen diese beiden Trottel ja ganz schön reingelegt haben, Parker.«
»Sie überschätzen meine bescheidene Wenigkeit.«
»Tun Sie doch bloß nicht so, Parker! Sie haben es faustdick hinter den Ohren!«
»Sie lassen mich beschämt erröten, Mister Ben!«
Parker setzte sich vor das Steuer, Clay nahm neben Parker Platz und Ben kletterte in den Fond des Wagens. Da die Trennscheibe versenkt war und scheinbar nicht existierte, konnte Ben sich direkt an den Butler wenden.
»Wir fahren erst mal rauf in Richtung San Fernando«, sagte er, »nette Gegend da oben. Man ist da so schön unter sich!«
Parker ließ den Motor anspringen und fuhr an. Er wandte sich höflich an Clay, der sich vorgebeugt hatte und das Instrumentenbrett fast bewundernd ansah.
»Ist etwas?« erkundigte sich Parker.
»Sieht ja fast aus wie im Cockpit von ’nem Düsenriesen«, meinte Clay grinsend, »was sollen alle diese Hebel, Kippschalter und Knöpfe?«
»Die Marotte eines alten, müden und relativ verbrauchten Mannes«, sagte Parker sein Sprüchlein herunter, »wenn Sie so wollen, ein liebenswertes Steckenpferd, Mister Clay!«
Womit Parker keineswegs übertrieben oder gar gelogen hatte …
Die Gegend war tatsächlich einsam, und man war unter sich. Gut ausgebaute Asphaltstraßen führten immer höher hinauf in die bizarre Bergwelt. Tannenwälder wechselten ab mit nacktem Fels und einem schier undurchdringlichen Strauchwald. Der Verkehr auf der Höhenstraße war jetzt um die Mittagszeit nur sehr gering.
Parker merkte an Clay, daß sie bald ihr Ziel erreicht haben mußten. Ben hingegen blieb gelassen und ruhig. Das Schrotgewehr lag griffbereit über seinen Knien. Für sein Gefühl konnte es keine bösen Überraschungen mehr geben.
»Darf ich noch einmal auf gewisse Vorfälle zurückkommen?« fragte Parker.
»Dürfen Sie, Parker, aber biegen Sie in die nächste Seitenstraße ein. Sie geht rauf zu ’ner alten Mine. Vergessen Sie das Abbiegen nicht, sonst bekommen Sie Ärger mit mir!«
»Ich werde mich selbstverständlich nach Ihren Wünschen richten, Mister Ben. Um aber auf die bewußten Vorfälle noch einmal zurückzukommen, Auf wessen Konto geht, wie es in Ihren Kreisen ja wohl heißt, der Tod Mister Teddy Colmans?«
»Ist denn das noch wichtig?« Ben lachte leise. »Hauptsache, der Boy redet nicht mehr.«
»Zeichneten die Herren Dave Dee und Joe für dieses Verbrechen verantwortlich?«
»Sieht so aus!« Ben hob die Schultern, »warum interessiert Sie das überhaupt noch? Anfängen können Sie damit ja doch nichts mehr.«
»Weil Sie mich, umzubringen gedenken?«
»So ungefähr! Wissen Sie, Parker, wir von der »Schlangenbrut« lassen uns nicht gern ins Handwerk pfuschen.«
»In welches spezielle Handwerk, Mister Ben? Mädchenhandel?«
»Machen Sie sich doch nicht lächerlich«, meinte Ben und grinste, »was würde dabei schon groß herausspringen.«
»Also kein Mädchenhandel, wie ich feststellen darf.«
»Wollen Sie mir die Würmer aus der Nase ziehen?« Ben lachte laut. »Für wie dumm halten Sie mich eigentlich, Parker, he? Unsere Masche ist top secret. Und wer auch nur andeutungsweise quasselt, der ist bereits erledigt!«
»Darf man erfahren, wie Sie mich umzubringen gedenken?«
»Sie werden in einen alten Minenschacht fallen«, sagte Ben mit der Gemütsruhe des professionellen Killers. »Schnüffler leben halt mächtig gefährlich, finden Sie nicht auch?«
Parker wußte, daß Mister Ben keineswegs bluffte. Aber da Josuah Parker an solch einem Tod überhaupt nicht interessiert war, traf er gewisse Vorbereitungen, um die beiden Mitfahrer wenigstens in etwa in einige Verlegenheit zu bringen. Er sah aber wahrscheinlich nicht, daß Ben die Schrotflinte bereits vorsichtig anhob…
»Ihr Butler unterwegs?« fragte Lieutenant Haie Sorensen, nachdem er Anwalt Mike Rander begrüßt hatte. Die beiden Männer hatten sich in einer Cafeteria in der Nähe des Polizeihauptquartiers getroffen, nachdem Sorensen um dieses Treffen gebeten hatte.
»Parker vertritt sich wieder einmal die Beine«, erwiderte Mike Rander lächelnd. »Sie wissen ja von früher her, was das bedeutet.«
»Hat er immer noch seinen eigenen Kopf?« Sorensen lächelte.
»Mehr denn je.« Rander lächelte ebenfalls. »Parker wird für mich im Grunde immer undurchsichtiger. Ich frage mich oft, warum er bei mir als Butler bleibt. Als Privatdetektiv auf eigene Rechnung könnte er ein Vermögen verdienen. Bei seiner Nase!«
»Vielleicht hat er einen Narren an Ihnen gefressen, Rander. Und hoffentlich paßt er in diesem Fall auf sich auf, sonst wird er nicht mehr auf Sie aufpassen können!«
»Hat er in ein Wespennest gegriffen?«
»Scheint so, Rander. Ich habe die ersten ausführlichen Details über Lew Wesson zur Hand. Wesson war früher einmal Kameramann und dann später Produzent von mittelklassigen Westernfilmen. Er hat einige Pleiten hinter sich und wurde in zwei Fällen sogar wegen Unterschlagung angeklagt.«
»Konnte man ihm etwas nachweisen?«
»Leider nein, Rander. Die jeweiligen Hauptbelastungszeugen erlitten immer ein paar Tage vor den entscheidenden Verhandlungen Verkehrsunfälle. Geht Ihnen ein Licht auf?«
»Teddy Colman!«
»Genau, Rander. Um gleich bei Colman zu bleiben. Er arbeitete unregelmäßig und trat als Edelstatist in TV-Produktionen auf. Keine Leuchte! Keine Begabung, die über das übliche Maß hinausging.«
»Und was ist mit der Firma Tuscon?«
»Nach außen hin ein legaler Laden, aber wie’s hinter dem Firmenschild aussieht, geht niemand was an. Tuscon ist ein ehemaliger Gangster aus Milwaukee. Er schlängelte sich durch alle Verfahren in der Vergangenheit und machte hier in Los Angeles vor anderthalb Jahren die Gebrauchtwagenhandlung und bemüht sich, nicht aufzufallen.«
»Haben Sie was über seine Mitarbeiter in Erfahrung bringen können, Sorensen?«
»Tuscon hat zwei fest angestellte Verkäufer. Dave Dee und Joe Hinds. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß sie mehrfach vorbestraft sind. Betrug, Nötigung, leichte Erpressung. Tuscon hat sich genau die Vögel ausgesucht, die er schätzt und vielleicht auch braucht.«
»Kommen wir noch einmal auf Lew Wesson zurück«, bat Rander. »Womit macht er zur Zeit sein Geld? Er bewohnt einen teuren Bungalow und scheint ziemlich flüssig zu sein.«
»Lew Wesson nennt sich Talentscout. Sie wissen, er lockt mit Inseraten dumme Provinzgänschen und affektierte Dreßmen an und verspricht ihnen die Vermittlung an Film- und TV-Produktionen. Wir haben uns genau erkundigt. Er arbeitet tatsächlich nicht ohne Erfolg. Es gibt da eine Reihe von Frauen und Männern, die durch ihn als Kleindarsteller oder Edelstatisten untergekommen sind. Nach außen hin wirkt das alles sehr erfolgreich und legal.«
»Sie glauben aber auch, daß die Sache einen doppelten Boden hat?«
»Mit Sicherheit, Rander. Die Katze läßt das mausen nicht. So, wie ich Wesson einschätze, wird er sich noch zusätzliche Geldquellen angebohrt haben. Er muß sie einfach besitzen, sonst könnte er sich den augenblicklichen Aufwand nicht leisten.«
»Wesson und dumme Provinzgänschen«, faßte der junge Anwalt nachdenklich zusammen, »welche Masche häkelt er wohl, Sorensen? Mädchenhandel haben wir bereits zu den Akten gelegt.«
»Lassen Sie uns erst über diese Schlangenbrut reden«, schlug Haie Sorensen vor, »diese Gang ist polizeilich nicht bekannt. Scheint sich um den hochgestochenen Namen eines privaten Clubs zu handeln.«
»Also Fehlanzeige. Aber ich glaube nicht, daß Teddy Colman uns belogen hat, Sorensen.«
»Ich natürlich auch nicht, aber mir wäre lieber gewesen, solch einen Verein zu kennen, wir hätten dann besser und schneller zupacken können. Na, macht nichts! Gehen wir noch einmal zu. Wesson zurück… Uns bekannte Verbindungen zwischen Wesson und Tuscon gibt es nicht. Wie’s sonst aussieht, ist eine andere Geschichte.«
»Bleibt nach wie vor die Frage, wozu treiben die Mitglieder der ›Schlangenbrut‹ junge und attraktive Mädchen Wesson in die Arme? Was geschieht in Wessons Atelier? Parker und ich dachten schon einmal an Pornoaufnahmen. Sind doch im Moment die große Mode, oder?«
»Wenn er sie macht, Rander, dann aber bestimmt nicht mit den Mädchen, die verschwunden sind. Wir haben natürlich Erkundigungen über die verschwundenen Girls eingezogen. Schön, sie mögen dicke Rosinen im Kopf gehabt haben, aber in keinem Fall traut man ihnen solche Aufnahmen zu. Abgesehen davon, daß Wesson für solche Aufnahmen willigere Mädchen bekommen könnte. Jede Menge sogar, wenn Sie mich fragen!«
»Könnten Sie nicht mit einem vagen Verdacht aufwarten, Sorensen?«
»Fehlanzeige. Ich stehe vor einem Rätsel. Ich frage mich sogar, ob es sinn- oder zwecklos ist, Wessons Haus zu durchsuchen. Ich könnte mir einen Durchsuchungsbefehl besorgen, aber was werde ich finden? Ein Atelier, aber keine Mädchen!«
»Setzen wir also unsere Hoffnungen wieder einmal auf den Butler«, meinte Rander seufzend. »Wie ich ihn kenne, wird er sich bestimmt was einfallen lassen.«
Im Rückspiegel hatte Parker entdeckt, daß Ben mit der Schrotflinte spielte. Und als sie eine scharfe Straßenkehre hinter sich gebracht hatten, sah Parker am Talende den halb verfallenen Schacht einer Mine.
Es war also soweit!
Mit dem linken Fuß tastete er sich vorsichtig an einen Fußknopf heran, der auf der Spritzwand des Wagenbodens angebracht war, kaum sichtbar, sehr unauffällig. Ein kurzer Druck genügte, um den bisher weich schnurrenden Motor in ein verzweifeltes Husten und Stottern zu bringen. Aus dem Auspuff quollen jetzt dicke, schwarze Wolken, die auf einen völlig defekten Motor hindeuteten.
»Was ist denn?« fragte Clay, der neben Parker saß, »Ihre Mühle tut’s wohl nicht mehr, wie?«
»Ein vorübergehendes, technisches Versagen«, sagte Josuah Parker, »ich bitte, nicht nervös zu werden.«
»Wenn überhaupt einer nervös werden kann, dann doch Sie, Parker«, schaltete Ben vom Rücksitz sich ein. Er grinste und schaute nach hinten auf die pechschwarzen Auspuffwolken.
Genau in diesem Augenblick legte Parkers schwarzer Schuh mit der vorderen Kappe einen Hebel um, der sich ebenfalls auf der Spritzwand befand.
Das Ergebnis war frappierend.
Ben brüllte, als sei er von einem Hornissenschwarm angegriffen worden. Ein bohrender Schmerz trieb ihn mit dem Kopf voran zum Wagenhimmel hoch. Er ließ das, Schrotgewehr fallen und faßte dann nach seiner Kehrseite, die wie verrückt brannte und schmerzte.
Gleichzeitig mit dem Hochschnellen seines Körpers zischte die bisher versenkte Trennscheibe aus ihrem getarnten Schlitz und schloß den rückwärtigen Teil des Wagens gegen die Vordersitze hermetisch ab. Doch davon merkte Ben zur Zeit noch nichts. Er war mit seiner Kehrseite beschäftigt und konnte sich einfach nicht erklären, woher der Schmerz kam und wer ihn wohl verursacht haben mochte.
Verständlicherweise übrigens, denn der feine Stahldorn, der aus dem Polster gekommen war, hatte sich bereits wieder versenkt und war nicht mehr zu sehen oder auch nur zu erahnen. Parkers Fußaktion hatte diesen Dorn in das Sitzfleisch des Gangsters getrieben.
Diese Fußschaltung hatte aber noch mehr bewirkt.
Das war eindeutig daran zu erkennen, daß Beifahrer Clay angeschlagen und offensichtlich besinnungslos vor seinem Sitz hockte. Er hatte überhaupt nicht mitbekommen, daß sein Rücksitz ihn plötzlich und ohne jede Vorwarnung katapultiert hatte. Da seine Stirn in eine etwas zu innige Berührung mit der Frontscheibe geraten war, schnappte Clay nun nach Luft und war nicht verhandlungsfähig.
Bevor er es wieder werden konnte, nahm Parker seine perlenverzierte Krawattennadel aus dem Plastron, entfernte eine hauchdünne Schutzscheide und ritzte mit der Nadelspitze die Haut auf dem Handrücken des Gangsters. Nun brauchte er sich nicht weiter um ihn zu kümmern, ein erquickender Tiefschlaf war ihm gewiß.
Im Gegensatz zu Ben, der finster entschlossen war, die Schmach zu rächen, die ihm und seiner Kehrseite zugefügt worden war. Ben faßte nach seiner Schrotflinte und wollte Parker vom Sitz fegen.
»Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, Mister Ben«, sagte Parker über die jetzt eingeschaltete Sprechanlage, »daß die Trennscheibe aus einem Spezialpanzerglas besteht. Mi anderen Worten und noch eindeutiger ausgedrückt, die Schrotladung wird in der Form eines Abprallers auf Sie zurückkommen. Ich weiß nicht, ob dieses Risiko sich für Sie lohnen wird.«
Ben wurde nachdenklich und schläfrig, denn der Dom tat inzwischen seine Wirkung. Ben gähnte, interessierte sich plötzlich nicht mehr für seine Schrotflinte, ließ sie jetzt sogar fallen und kuschelte sich auf dem Rücksitz zurecht. Wenig später bewiesen laute Schnarchtöne, daß er sich von seiner Umwelt zurückgezogen hatte.
Parker hätte nun umkehren können, doch genau das tat er nicht. Es paßte ihm durchaus, daß man hier draußen in der Bergwildnis völlig unter sich war. Er fuhr weiter bis zum verfallenen Förderturm und lud hier seine Mitfahrer aus.
Mit einer Leichtigkeit, die auf erstaunliche Kräfte schließen ließ, trug er seine Begleiter hinüber zum Förderturm und opferte zwei Handschellen aus seinem privaten Besitz.
Als die beiden Gangster zu sich kamen – was nach etwa zwanzig Minuten der Fall war – fühlten sie sich allein und verlassen. Und rettungslos angeschmiedet, denn die beiden Handschellen verbanden ihre Handgelenke, was an sich nicht sonderlich bedeutend war. Zu ihrem Pech aber umschlossen ihre festgeketteten Hände einen schweren Stahlträger, der zum Förderturm gehörte. Er hinderte sie daran, dieses ungastliche Gelände wieder zu verlassen.
Sie fanden sehr schnell heraus, daß sie nicht wegkamen. Ohne das Lösen der beiden Handschellen hatten sie nicht die geringste Chance.
»Ob dieser verdammte Parker tatsächlich abgehauen ist?« fragte Clay mit heiserer Stimme.
»Sieht so aus«, gab Ben kleinlaut zurück«, »der Wagen ist nicht zu sehen. Verdammt, ich möchte wissen, wie er sich das hier mit uns gedacht hat.«
»Wieso?«
»Wieso! Wieso! Und wenn er uns hier schmoren läßt? Wer kommt denn hier schon her?«
»Und wenn keiner kommt?« Clays Stimme enthielt bereits den Anflug einer beginnenden Panik.
»Dann sind wir geliefert!« stellte Ben fest, »dann wird man uns in ein paar Wochen finden. Wie, kannst du dir wohl vorstellen.«
»Ob wir mal rufen? Irgendein Mensch muß uns doch hören!«
»Warum sind wir denn hier raufgefahren?« fragte Ben sachlich, »weil wir genau wußten, daß sich hier nichts abspielt.«
»Aber dieser verdammte Butler kann uns doch nicht einfach so umbringen!«
»Hatten wir ja schließlich auch mit ihm vor«, gab Ben zurück, »ich muß schon sagen, Clay, dieser Bursche ist clever. So was hab’ ich noch nie erlebt. Der steckt uns noch alle in den Sack!«
»Auch den Chef?«
»Auch Tuscon!« antwortete Ben und nickte nachdrücklich, »der hat ja überhaupt keine Ahnung von dem, was noch auf ihn zukommt!«
»Mann, deine Nerven möchte ich haben«, brauste Clay gereizt auf. »Was interessiert mich Tuscon! Ich will weg von hier. Ich hab’ keine Lust, mich umbringen zu lassen!«
»Meinst du etwa, ich? Aber warum soll ich mich aufregen, das bringt uns nicht weiter.«
»Weiß denn außer Tuscon kein Mensch, wohin wir Parker bringen sollten?«
»Nur Tuscon weiß Bescheid. Und er wird hier aufkreuzen, wenn wir uns in ein paar Stunden nicht melden.«
»Ach so.« Clays Stimme klang erleichtert, »daß ich daran nicht gedacht habe. Aber bist du sicher, daß er überhaupt kommen wird? Red doch schon, Ben!«
»Abwarten!« Ben zuckte die Achseln. »Kann ich doch auch nicht genau sagen. Warum sollte er nicht kommen?«
Sie redeten miteinander, machten sich gegenseitig Hoffnung und fielen zurück in tiefen Pessimismus. Sie bekamen Durst, jammerten ein wenig, regten sich auf und beschuldigten sich schließlich gegenseitig, für diese Panne verantwortlich zu sein. Sie verabreichten sich mit ihren freien Händen ein paar saftige Boxhiebe und Ohrfeigen, resignierten, wurden still und stiller und horchten schließlich gespannt auf, als von weither auf der Zufahrtsstraße eine Staubwolke zu sehen war, die schnell näher kam. Sehr zielbewußt übrigens.
»Der Chef«, sagte Clay hoffnungsvoll.
»Oder die Polizei«, erwiderte Ben, »ich laß mich nur noch überraschen!«
Es war der Chef Edward Tuscon.
Er sah wirklich aus wie ein Gangsterboß aus einem einschlägigen Kriminalfilm, vierschrötig, untersetzt, Specknacken, das Gesicht einer ewig gereizten Bulldogge. Er nahm die Sonnenbrille ab, nachdem er aus dem Wagen gestiegen war, und kam langsam auf seine beiden Mitarbeiter zu, die zwar von Wesson beschäftigt wurden, aber offensichtlich zu seiner Gang gehörten.
»Ihr blöden Flaschen!« sagte er gereizt. »Hat man so was schon erlebt! Zwei ausgekochte, ausgewachsene Männer lassen sich aufs Kreuz legen. Das darf einfach nicht wahr sein!«
»Hören Sie, Chef«, sagte Ben, »Hören Sie, dieser Parker ist so gerissen wie zehn Füchse in einem …«
»Ich weiß … ich weiß … Ich habe mich inzwischen über ihn erkundigt. Wird höchste Zeit, daß wir die Schotten dichtmachen, sonst bekommen wir noch Ärger mit ihm!«
»Chef, haben Sie so was wie ’ne Feile bei sich?« fragte Clay nervös, »Ich will weg von dieser verdammten Eisenstange.«
»Ich aber nicht«, sagte Edward Tuscon und grinste, »Versager kann ich nicht brauchen!«
»Was soll denn das heißen, Chef?« Clay richtete sich steif auf.
»Wir müssen diesen Parker auflaufen lassen«, erklärte Tuscon fast geduldig, »dazu gehört, daß die Polizei sich mit ihm befaßt. Und da die es nicht ohne Grund tut, muß man eben für passende Gründe sorgen.«
»Sagen Sie schon, was Sie mit uns Vorhaben, Chef«, erklärte Ben, der bereits verstanden hatte.
»Fahrlässige Tötung!« Tuscon grinste nicht mehr. Er schob sich die Sonnenbrille über die Nase und sah aus wie ein zu massiv geratener Todesengel.
»Was … Was soll das heißen, Chef?« Clay dachte erheblich langsamer als Ben.
»Wenn die Polizei euch findet, findet sie auch die Handschellen von Parker. Und sonst noch ein paar Hinweise auf ihn. Ich habe mir seinen Hotelzimmerschlüssel besorgen lassen. Der bleibt hier so ganz nebenbei zurück.«
»Chef! Hören Sie, Chef. Sie wollen uns doch nicht umbringen? Das können Sie doch nicht machen. Wir haben doch immer erstklassig gearbeitet!«
»Bis heute!«
»Sei doch endlich still«, fuhr Ben seinen Partner Clay an, »hast du noch immer nicht gemerkt, daß er uns ausbooten will?«
»Aber Chef! Hören Sie, Ben und ich kaufen uns diesen Parker! Umgehend! Ehrenwort, der ist in einer Stunde passe! Darauf können Sie Gift nehmen!«
»Gift! Das ist ein gutes Wort!« Tuscon nickte, ging zum Wagen zurück und kam mit einer großen Papiertüte wieder, die für Kartoffeln bestimmt war. In der anderen Hand hielt er einen Spazierstock, den er durch die Luft wirbelte.
»Was macht er denn?« fragte Clay leise bei seinem Partner Ben an.
»Der besorgt sich jetzt ’ne Klapperschlange«, sagte Ben heiser und verfolgte Tuscon mit seinen Blicken.
»Aber warum denn?«
Ben antwortete nicht. Seine Augen verengten sich, als Tuscon plötzlich schneller voranschritt, mit dem Spazierstock ausholte und dann anschließend zwischen dem Geröll herumstocherte.
»Das ist… Das ist ja eine Klapperschlange«, sagte Clay mit fast ersterbender Stimme. Er hatte sich nicht getäuscht. Tuscon hob mit der Stockspitze gerade eine oberarmdicke Klapperschlange auf, die einen leicht mitgenommenen Eindruck machte. Er ließ sie in den Papiersack fallen, den er hastig und vorsichtig zugleich zudrehte. Anschließend schob er den Stock durch den oberen Teil des Papiersacks und trug ihn zurück zu seinen Mitarbeitern, die ihm jetzt lästig geworden waren.
Kurz vor Clay und Ben, die nur einen mehr als begrenzten Spielraum hatten, fetzte er den Papiersäck so auseinander, daß die Klapperschlange frei lag.
Noch war sie mitgenommen und rührte sich nicht sonderlich.
»Viel Vergnügen«, sagte Tuscon und beförderte die Klapperschlange mit der Stockspitze sehr geschickt in den Kreis, den Clay und Ben mit ihren ausgestreckten Armen bildeten. »Viel Vergnügen, Freunde. Sobald sie wieder rege ist, wird sie böse sein! Und die Polizei wird Parker dann unter die Anklage fahrlässiger Tötung stellen, wetten?«
Er nickte seinen Mitarbeitern fast freundlich zu und ging zurück zu seinem Wagen, der bald darauf in einer Staubwolke verschwand.
Clay und Ben starrten auf das Reptil, das bereits recht munter geworden war. Sie riskierten nicht die geringste Bewegung und durften nur hoffen, daß die Klapperschlange sich wieder verzog.
Sie schien jedoch andere Absichten zu haben. Sie war, wie deutlich am Klappern ihrer Schwanzrasseln zu hören war, äußerst unwirsch …
Die Klapperschlange interessierte sich für Clays rechten Fuß. Es mochte die stramme Wade gewesen sein, die ihre Sinne reizte. Sie klapperte also noch ein wenig und nahm anschließend Maß. Sie schlängelte sich ein wenig an Clay heran, doch der sprang plötzlich bogenförmig zur Seite, daß Ben herumgerissen wurde und nun seinerseits seinen sicher geglaubten Knöchel zum Biß darbot. Ben, nicht faul und am Überleben interessiert, riß nun seinerseits Clay herum. Innerhalb weniger Sekunden vollführten die beiden Gangster eine Art Ringeltanz um die Klapperschlange, die äußerst erstaunt und sichtlich beeindruckt war. Sie zischte und klapperte, aber sie konnte sich für keinen der beiden Gangster entscheiden. Bis Clay stolperte, zu Boden stürzte und Ben mit sich riß. Die beiden Gangster blieben stocksteif und starr vor Entsetzen im gelbgrauen Minenstaub liegen und warteten darauf, daß das Reptil sich bediente.
Die Klapperschlange hatte sich entschieden. Wieder einmal für Clay. Die Klapperschlange richtete ihren Kopf auf, visierte Clays Bein an und … zuckte plötzlich zusammen. Sie bäumte sich auf, klapperte nicht mehr und rutschte dann haltlos in sich zusammen.
»Ein Pfeil… Ein Blasrohrpfeil!« Ben schluckte, »haargenau getroffen …! Mensch, Junge … Clay … Wir sind gerettet! Hörst du … Das Biest ist erledigt!«
Clay hörte zwar, doch ihn schüttelte ein trockenes Schluchzen. Er war mit seinen Nerven restlos am Ende und wurde schließlich ohnmächtig.
Als er wieder zu sich kam, hörte er eine vertraute Stimme.
»… muß ich offen gestehen, Mister Ben, daß Sie in der Auswahl Ihres Chefs keine besondere Vorsorge getroffen haben. Mister Tuscon scheint mir der geborene Mörder zu sein!«
»Den bring ich um!« kreischte Ben.
»Davon sollten Sie besser Abstand nehmen, Mister Ben. Sie scheinen Mister Tuscon bisher sehr unterschätzt zu haben. Vielleicht gelingt es, ihn auf legale Art und Weise zur Verantwortung zu ziehen.«
»Ich sage gegen ihn aus, was Sie wollen! Der gehört doch glatt ins Zuchthaus!« Ben war sehr erbost und vergaß darüber seine eigene schwarze Seele.
»Ich pflichte Ihnen vollkommen bei, Mister Ben.« Parker nickte Clay zu, der sich jetzt aufrichtete und mit den Augen nervös zwinkerte. »Ich hoffe, Sie haben sich von Ihrer Überraschung erholt, Mister Clay.«
»Wo …. Wo ist das Biest?« Clay sah sich scheu um.
»Meinten Sie jetzt das an sich unschuldige Reptil oder Mister Tuscon?« erkundigte sich Parker.
»Erst mal die Schlange.«
»Sie stürzte in die Grube, Mister Clay. In jene Grube, die meiner bescheidenen Wenigkeit zugedacht war.«
»Wir wollten Sie doch nicht umbringen«, sagte Ben hastig und viel zu schnell, »wir wollten Sie nur schocken. Ehrenwort!«
»Bleiben wir bei Mister Tuscon«, sagte Parker, ohne auf das erste Thema näher einzugehen. »Ich wäre an Details über Mister Tuscon und Mister Wesson ungemein interessiert. Nach einem erfolgreichen und offenen Dialog bin ich keineswegs abgeneigt, Ihnen die beiden Schlüssel für die Handschellen zu überantworten, doch dies richtet sich, wie ich bereits andeutete, nach dem Grad Ihres Mitteilungsbedürfnisses, wie Sie verstehen werden.«
Sie verstanden den Butler vollkommen.
Es ging auf 18.30 Uhr.
Eine etwa zwanzig Jahre junge Dame langbeinig, ein wenig genormt wirkend in ihrem durchaus attraktiven Aussehen, verließ ein kleines, vierstöckiges Apartmenthaus und trat wartend an den Straßenrand. Sie trug ein leichtes Sommerkostüm mit großzügigem Ausschnitt, der durch eine etwas aufdringliche Zuchtperlenkette verziert wurde.
Sie stellte sich plötzlich auf die Zehenspitzen und winkte einem Wagen, der die Straße herunterkam. Am Steuer dieses Wagens saß Dave Dee, frisch und munter aussehend. Man hätte nicht einmal ahnen können, daß er einige peinliche Erlebnisse hinter sich hatte.
Ausgesprochen höflich half er Arlene Andrews in den Wagen, denn um sie handelte es sich. Er redete lächelnd auf sie ein, zeigte seine schneeweißen, makellosen Zähne und gab sich alle Mühe zu gefallen.
Weder Arlene Andrews noch Dave Dee wußten, daß sie sehr sorgfältig beschattet wurden.
Parker ließ den Ford nicht aus den Augen. Der cremefarbene Wagen bog schon bald von der Hauptstraße ab und bewegte sich durch ein Vorortviertel, in dem nur villenartige Häuser der finanzstarken Mittelschicht standen.
Butler Parkers Neugierde und Geduld wurden auf keine lange Probe gestellt. Der Wagen hielt vor einem Haus, vor dem ganze Pulks parkender Autos standen. Aus dem Haus drangen Gelächter, Stimmengewirr und lautstarke Musik nach draußen. Hier wurde, dies war eindeutig, eine Party gegeben.
Arlene und Dave stiegen aus dem Wagen und betraten das Haus. Parker, der sich einen unauffälligen Buick geliehen hatte, parkte auch sein Gefährt, verließ es und schritt gemessen hinüber zum Haus. Dabei warf er einen prüfenden Blick in die Runde. Er wollte sich vergewissern, ob er nicht vielleicht seinerseits beschattet worden war.
Dies schien nicht der Fall gewesen zu sein.
Er betrat das Haus mit einer Selbstverständlichkeit, als gehöre er zum Personal. Im Vorraum warf er einen zweiten prüfenden Blick in die Runde, dann in den Spiegel. Er fand ein Silbertablett, auf dem Rauchwaren drapiert waren, nahm es in die rechte Hand und begab sich weiter in die Halle des geräumigen Hauses.
Etwa dreißig, vierzig Personen sorgten für Lärm und Treiben. Parker bot die Rauchwaren an und hielt Ausschau nach Arlene und Dave. Noch war er nicht besonders unruhig darüber, daß er sie nicht entdecken konnte. Es gab noch andere Räume, in denen sich Gäste bewegten.
Dennoch stieg in Parker schon nach wenigen Minuten so etwas wie ein vager Verdacht auf. Er hatte das Gefühl, überlistet worden zu sein. War seine Beschattung doch bemerkt worden? Hatte Dave Dee etwa Verdacht geschöpft?
Parker kümmerte sich nicht weiter um die Rauchwaren und suchte die verschiedenen Räume nach dem Pärchen ab. Er geriet in den Garten hinter dem Haus, passierte einen Swimmingpool und entdeckte schließlich am Ende des Gartens eine kleine Gartenpforte, die nur angelehnt war.
Parker schalt sich, was selten war, einen ausgemachten Narren. Dave Dee hatte ihn auf geschickte Art und Weise abgehängt und war mit seiner Begleiterin verschwunden. Nun galt es, verlorene Zeit wieder einzuholen. Hoffentlich kam er noch zurecht, um Arlene Andrews helfen zu können?
Parker beeilte sich, zurück auf die Straße zu kommen, stieg in den Leihwagen und fuhr schleunigst davon. Sein Ziel war das Haus von Lew Wesson. Seiner bescheidenen Schätzung nach mußte er Arlene und Dave dort antreffen.
Zu seinem Pech geriet Parker in den Stoßverkehr nach allgemeinem Büroschluß. Er brauchte eine kleine Ewigkeit, bis er endlich Wessons Haus erreichte.
Von dem Ford war natürlich weit und breit nichts zu sehen. Wie zum Hohn waren die Tore zu den Tiefgaragen weit geöffnet. Sie waren leer. Man wollte Parker wohl eindeutig beweisen, daß hier keine Autos versteckt wurden.
Parker verzichtete darauf, sich, bei Wessen zu melden. Im günstigsten Fall hätte man ihn doch nur ablaufen lassen. Der Butler setzte sich zurück in den Leihwagen und verließ das Seitental in Glendale. Doch noch nicht einmal im Traum dachte er daran, die Waffen zu strecken. Er hatte sich schließlich einiges vorgenommen.
Parker fuhr in das nächste Seitental, von dem er laut Stadtkarte wußte, daß er sich parallel zum ersten Tal befand. Hier ließ er den Buick stehen, legte sich seinen Universal-Regenschirm über den linken Unterarm und machte sich auf den Weg, um sich ein wenig die Füße zu vertreten.
Er fand und benutzte einen kleinen Pfad, der hinauf zum Grat des trennenden Hügels führte. Parker schritt gemessen, aber durchaus kraftvoll bergan. Wenn seine Berechnungen stimmten, mußte er nach etwa einer halben Stunde die Rückseite des Wesson-Grundstücks erreicht haben.
Seine Berechnungen stimmten. Aufs Haar sogar. Nachdem er den Grat des ziemlich steilen Hügels erreicht hatte, schaute er hinunter in und auf das gepflegte Dschungelgebiet des Wesson Grundstücks. Auch hier gab es einen hohen Zaun aus festem Maschendrahtgeflecht. Parker sah sich diesen Zaun sehr genau an, schritt ihn ab und fand eine schmale Tür im Zaun, deren Schloß total verrostet war.
Nun, dieses Schloß bereitete dem Butler überhaupt keine Schwierigkeiten. Er opferte einen der vielen Patentkugelschreiber aus seinen Westentaschen, entzündete die darin befindliche Thermitladung und brannte das Schloß einfach aus dem Rahmen heraus. Dies dauerte im Höchstfall etwa zwei, drei Minuten.
Nach Überwindung dieses kleinen Hindernisses benutzte er einen ehemaligen, jetzt fast zugewachsenen Weg, der in den Privatdschungel führte. Mit seinem Universal-Regenschirm schob er kleine Äste, Ranken und starke Zweige zur Seite. Er kam schneller voran, als er es gedacht hatte.
Dann sah er das Haus vor sich, das er schon einmal besucht hatte. Es machte einen stillen, im Moment fast unbewohnten Eindruck. Ob man ihn allerdings erwartete, stand auf einem anderen Blatt. Parker mußte gerade jetzt mit einer sehr gefährlichen, vielleicht sogar tödlichen Falle rechnen.
Ihn scherte das nicht. Er erreichte die Terrasse, entdeckte die Stellen wieder, die er beim ersten Besuch passiert hatte und sah sich die Terrassentüren genauer an.
Nun, wie Parker es machte, braucht vielleicht nicht besonders erklärt, zu werden, doch eine der Türen schwang plötzlich gehorsam und freundlich auf, um den Butler eintreten zu lassen.
Josuah Parker entnahm seinem Zigarrenetui eine der pechschwarzen Zigarren, die an kleine Torpedos erinnerten. Sie wie absichtslos in der Hand haltend, durchmaß er den großen Wohnraum und fand die Treppe, die zu den Ateliers führte. Während der ganzen Zeit hörte er im Haus nicht einen einzigen Laut. Die Bewohner schienen sich tatsächlich entfernt zu haben.
Die Inspektion des Ateliers war für den Butler irgendwie enttäuschend.
Neben einem großen Raum im Hanggeschoß gab es zwei kleinere Nebenateliers. Die Ausstattung war zwar nicht auf den neuesten Stand gebracht worden, doch reichte sie vollkommen aus, um Probeaufnahmen und Standfotos zu machen. Die fototechnische Einrichtung und Ausrüstung konnte sich allerdings sehen lassen, ebenso die Entwicklungsräume, zwei große Dunkelkammern mit allem Zubehör.
An den Wänden der Atelierräume hingen Fotos von Starlets in mehr oder weniger gewagten Posen, doch nichts überschritt das Maß des Erlaubten. Fotos aus dem Playboy mußten da als wesentlich eindeutiger bezeichnet werden.
Es war gerade diese betonte Harmlosigkeit, die den Butler mißtrauisch werden ließ. Dies hier erschien ihm alles zu sauber, zu absichtsvoll und zu gestellt.
Ließ man ihn absichtlich diese Räume inspizieren? Wollte man ihn ablenken und ihm Sand in die Augen streuen?
Parker schritt wieder hinauf ins Obergeschoß, begab sich durch den Privatdschungel zurück auf den Grat des Hügels und stieg hinab zu seinem Leihwagen.
Von der nächsten Tankstelle aus, die er passierte, rief er Arlene Andrews an und wußte im voraus, was passieren würde. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie sich meldete.
»Arlene Andrews …«, sagte sie.
»Falsch verbunden«, antwortete der Butler und legte auf. Plötzlich war er wieder sehr zufrieden. Er wußte, daß gewisse Leute ihr Spiel überreizt hatten, zumal er ganz eindeutig ihre Stimme erkannt hatte …«
»Selbstverständlich unterließ ich es nicht, Sir, Miß Arlene zusätzlich aufzusuchen, um mich auch durch Augenschein davon zu überzeugen, daß sie tatsächlich zu Hause war.«
»Sie haben recht, Parker, uns soll Sand in die Augen gestreut werden«, meinte Anwalt Rander. »Fragt sich, wie lange dieses Spielchen getrieben wird.«
»Bis man sicher sein darf und kann, Sir, daß die Polizei ihr Interesse verloren hat.«
»Und was ist mit den beiden Gangstern Ben und Clay?«
»Sie müßten sich inzwischen wieder auf freiem Fuß befinden, Sir. Ich verschaffte ihnen die Möglichkeit, sich zu befreien.«
»War vielleicht etwas leichtsinnig, Parker. Diese beiden Kerle hätten Kronzeugen gegen Tuscon abgeben können.«
»Mister Tuscon, Sir, lebt ab sofort gefährlich. Die Herren Ben und Clay mögen ihn nach dem Intermezzo mit der Klapperschlange nicht mehr sonderlich.«
»Sie fördern ja geradezu Mord und Totschlag, Parker«, antwortete Rander vorwurfsvoll.
»Keineswegs, Sir … Mister Tuscon wurde von mir vor einer Stunde informiert, kurz nach meinem Besuch im Wesson-Bungalow. Er kann sich also auf Zwischenfälle aller Art bestens und noch rechtzeitig einrichten.«
»Was versprechen Sie sich von dieser Taktik, Parker?«
»Wie ich schon an anderer Stelle zu bemerken mir erlaubte, Sir, eine allgemeine Verunsicherung unserer Gegner.«
»Okay, warten wir es ab, Parker, aber wie soll es nach Ihrer Pleite im Wesson-Bungalow weitergehen?«
»Ich möchte diesem Haus zu einer anderen Zeit einen dritten Besuch abstatten!«
»Und Sie rechnen nach wie vor damit, daß Sie dort die verschwundenen Mädchen finden werden?«
»Dies, Sir, liegt durchaus im Bereich der Möglichkeiten …«
»An diesem Besuch werde ich mich dann auch beteiligen«, sagte der junge Anwalt, »ich sitze nicht mehr länger im Hotel herum, während Sie sich in der Gegend herumtreiben.«
»Wie Sie meinen, Sir!« Rander verbeugte sich andeutungsweise.
»Nun zurück zu Tuscon und den beiden Gangstern Ben und Clay.« Rander schaltete wieder auf das Hauptthema um. »Haben Sie konkrete Anhaltspunkte erfahren können?«
»Die beiden Herren Ben und Clay bestätigten mir, Sir, daß Mister Wesson sich sein Geld tatsächlich durch Probeaufnahmen verdient, nebenbei unterhält er eine Art Agentur für Fotos und Modelle …«
»Wissen Ben und Clay etwas über verschleppte Mädchen?«
»Sie behaupteten, nichts zu wissen, Sir, was zu glauben ich geneigt bin.«
»Aber sie werden sich doch Gedanken darüber gemacht haben, daß Wessons Grundstück so scharf von ihnen bewacht werden muß.«
»Sie erklärten, Mister Wesson habe eine panische Angst vor einem Überfall durch Gangster.«
»Was sich ja fast wie ein Witz anhört, Parker.«
»In der Tat, Sir! Dies hielt ich den beiden Herren ebenfalls vor und spielte auf die Verbindung Wesson-Tuscon an. Sie gaben sofort zu, daß beide Herren sich sehr gut kennen und häufig treffen.«
»Wußten sie etwas über Hazel Sharon zu sagen?«
»Sie haben die betreffende junge Dame gesehen, als sie zu Wesson kam. Mister Colman habe sie gebracht, wie man mir ferner sagte. Sie haben allerdings auch gesehen, daß Miß Sharon das Haus wieder verließ. Sie fuhr nach einem Aufenthalt von schätzungsweise einer knappen Stunde mit Mister Colman wieder hinunter in die Garage und benutzte den Lift.«
»Und dennoch ist sie wie vom Erdboden verschwunden.« Rander schüttelte fast wütend den Kopf. »Es liegt doch auf der Hand, daß Tuscon und Wesson da ihre Hände im Spiel haben. Was halten Sie davon, Parker, wenn wir uns mal Tuscon ganz aus der Nähe ansehen?«
»Ein Vorschlag, Sir, den ich dankbar aufgreife. Darf ich Sie aber um einen gewissen Zeitaufschub bitten? Ich hätte da noch einige kleine Vorbereitungen zu treffen, über die Mister Tuscon gewiß kaum Freude empfinden wird!«
Es war bereits dunkel, als Rander und Parker das Haus von Edward Tuscon erreichten. Sie stiegen aus Parkers hochbeinigem Monstrum und blieben vor dem schweren Tor aus Eichenbohlen stehen, das das Grundstück zur Straße hin absicherte.
Auch hier gab es selbstverständlich die obligate Sprechanlage, aus der sich nach Parkers Läuten eine kühle, beherrschte Stimme meldete.
»Mister Rander wünscht Mister Tuscon zu sprechen«, sagte Parker in seiner höflichen Art und Weise.
»Moment!« Es knackte in der Leitung, die wohl abgeschaltet wurde. Dennoch legte Rander sicherheitshalber den Finger vor seine Lippen, als Parker ungewöhnlich enthemmt weiterredete und Dinge ausplauderte, die für Tuscon sicher nicht zu diesem Zeitpunkt bestimmt waren.
»Wenn Sie gestatten, Sir«, sagte Parker, »möchte ich Mister Tuscon einige Fotos vorlegen, die eindeutig beweisen, daß er es war, der die Klapperschlange in die Reichweite seiner beiden Mitarbeiter Ben und Clay brachte. Es gelang mir, hervorragende Farbfotos zu schießen, von denen ich einige Abzüge mitgenommen habe.«
Rander hatte inzwischen begriffen.
Sein Butler rechnete damit, daß man die Sprechanlage nur scheinbar abgeschaltet hatte, in Wirklichkeit aber lauschte, Um nähere Einzelheiten zu erfahren. Normalerweise unterhalten sich ja zwei Menschen miteinander, wenn sie vor einer verschlossenen Tür stehen. Parker baute darauf, daß man diese Unterhaltung mit verfolgte.
Es knackte wieder in der Sprechanlage.
»Mister Tuscon erwartet Sie«, sagte die kühle Stimme. »Treten Sie bitte näher!«
Rander und Parker durchmaßen den Vorgarten und wurden an der Haustür zu einem sehr modernen Bungalow von einem schlanken, aber durchtrainiert wirkenden Mann empfangen, der, für den Eingeweihten sichtbar, eine Schulterhalfter trug, in der mit Sicherheit eine Schußwaffe steckte.
»Ich bin der Sekretär von Mister Tuscon«, stellte er sich vor, »Gus Bannister mein Name.«
Er führte die Gäste in einen Salon, der modern und überraschend geschmackvoll aussah. Dann verschwand er, um Mister Tuscon zu holen.
Tuscon erschien. Er trug einen Morgenmantel aus dunkelblauer Seide und hatte sich ein rotes Tuch um den Hals geschlungen. Er versuchte sich höflich zu geben, doch in seinen Augen war nichts als Wachsamkeit.
»Rander«, stellte der Anwalt sich vor, »das hier ist mein Butler … Wir werden nicht lange stören.«
»Zumal ich Ihnen nur einige Fotos zeigen möchte, Mister Tuscon, die gewiß Ihr Interesse erregen werden!«
Tuscon nahm die wirklich ausgezeichneten Farbaufnahmen entgegen und betrachtete sie aufmerksam. Auf diesen Bildern war die ganze trostlose und irgendwie auch unheimliche Szenerie der stillgelegten Mine eingefangen. Ben und Clay waren zu sehen, die ihren Ringtanz um den Stahlpfeiler ausführten. Und auf diesen Fotos war Tuscon zu sehen, der gerade die Klapperschlange zwischen seine ehemaligen Mitarbeiter plazierte.
»Na und?« fauchte Tuscon und warf die Aufnahmen auf einen niedrigen Couchtisch. »Was wollen Sie damit bezwecken?«
»Vorerst überhaupt nichts«, sagte Mike Rander, »Sie können die Aufnahmen übrigens behalten, Mister Tuscon. Wir besitzen schließlich die Negative!«
»Wollen Sie mich erpressen?« Tuscon maß Rander und Parker mit kalten Blicken.
»Was hätten Sie denn noch zu bieten?« fragte Mike Rander und lächelte bewußt mokant, »sobald die Aufnahmen bei der Polizei sind, müssen Sie ihr Geschäft für längere Zeit schließen, Tuscon.«
»Legen Sie Ihre Karten auf den Tisch, Rander! Was wollen Sie von mir?« Tuscon blieb hart und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Wir tauschen diese Bilder plus der Negative gegen eine gewisse Hazel Sharon.«
»Kenne ich nicht!«
»Sie können ja vielleicht einmal herumhorchen, Tuscon, ob Sie sie nicht kennenlernen können. Vielleicht unterhalten Sie sich mal mit Ihrem Geschäftsfreund Wesson.«
»Laß das, Bannister!« Scharf kamen diese Worte aus Tuscons Mund. Er hatte an Rander und Parker vorbeigesehen und schüttelte in Richtung Bannister den Kopf.
Der angebliche Sekretär, der wohl nichts anderes war als der Leibwächter des ehemaligen Gangsters, hatte eine automatische Waffe in der Hand.
Bannister ließ die Waffe zögernd Sinken.
»Ein weiser Entschluß, Mister Tuscon«, schaltete Parker sich höflich ein, »Sie können versichert sein, daß Mister Rander und meine Wenigkeit uns vor diesem Besuch entsprechend abgesichert haben. Wie leicht, so gebe ich zu bedenken, kann man einem Verkehrsunfall zum Opfer fallen, ohne sich am betreffenden Verkehr überhaupt beteiligt zu haben, nicht wahr?«
Tuscon ging auf diese Bemerkung erst gar nicht ein. Sie war ihm gewiß zu heiß.
»Ich werde Sie anrufen, sobald ich mehr weiß«, sagte er dann, »wo kann ich Sie erreichen?«
»Mister Rander und meine bescheidene Person werden in dem Ihnen wohl inzwischen bekannten Hotel warten«, sagte Parker, »darf ich anregen und vorschlagen, daß wir nicht länger als eine Stunde zu warten brauchen?«
Wieder im hochbeinigen Monstrum, schaltete der Butler das Bordradio ein und drückte den Drehknopf für die Tonblende tief in das Gerät hinein, um es dann nach rechts einrasten zu lassen. Damit schaltete er das Gerät auf eine Spezialfrequenz, die genau der entsprach, auf der der kleine Spezialsender arbeitete, den Parker in Tuscons Salon zurückgelassen hatte. Ohne daß Tuscon davon natürlich etwas bemerkt hatte. Dieses kleine Sendegerät lag in Form einer kleinen Metallkapsel hinter einem Sessel und konnte nicht auffallen.
»Mister Tuscon …« sagte Parker und regulierte den einfallenden Sender ein, »er ruft, wie ich es mir gedacht hatte, Sir, gerade an. Wenn meine Vermutungen mich auch weiterhin nicht täuschen, wird er eine Unterhaltung mit Mister Wesson führen!«
Parkers Vermutung war richtig.
»Hier Tuscon«, meldete sich der Gangsterboß, »hören Sie, Wesson, alles gelaufen bei Ihnen?«
»Alles in Ordnung, Tuscon. Was ist bei Ihnen los? Warum rufen Sie an?«
»Dieser komische Butler war hier. Ja, zusammen mit seinem Chef. Sie haben mir da Fotos gezeigt, die verdammt peinlich werden können. Einzelheiten darüber später. Sagen Sie, was ist mit der kleinen Sharon? Wie, bitte? Egal, ich brauche sie. Ja, wegen der Fotos. Damit kann ich die Aufnahmen eintauschen. Natürlich werden diese ausgemachten Trottel ihr Wort halten, davon bin ich fest überzeugt. Aber klar, Wesson, sobald ich die Fotos habe, sind Rander und Parker für mich erledigt. Beeilen Sie sich also! Sagen wir, in einer halben Stunde. Okay, abgemacht!«
Parker sah seinen jungen Herrn an und lauschte weiter.
»Bannister«, sagte Tuscon gerade, »bereiten Sie alles für einen Austausch vor! Wo? Auf unserem Firmengelände natürlich. Dort sind wir nach Dienstschluß vollkommen ungestört. Dave und Joe sollen ’ne richtige und perfekte Falle bauen. Und Sie werden auch draußen sein, klar? Diesmal darf es keine Panne geben!«
Die Stimmen entfernten sich aus dem Bereich des kleinen Senders, was aber nicht weiter tragisch war, da Rander und Parker genau das mitbekommen hatten, was sie an Informationen brauchten.
»Ich denke, diesen Austausch werden wir Lieutenant Sorensen melden«, sagte Rander, als sein Butler das Bordradio ausgeschaltet hatte und den Motor in Gang setzte, »ich habe überhaupt nichts dagegen, daß Tuscon jetzt aus dem Verkehr gezogen wird. Mit diesem Mann steht und fällt auch Wesson.«
»Eine glückliche Entscheidung, Sir.«
»Wundert mich, Parker, daß Sie mal sofort einverstanden sind.«
»Ich begrüße Ihren Entschluß deshalb, Sir, weil mir Mister Tuscons Ablenkung die erfreuliche Möglichkeit verschafft, das Haus und Grundstück des Mister Wesson noch einmal aus der Nähe zu kontrollieren.«
»Wollen Sie dort etwa allein tätig werden?«
»Notgedrungen, Sir, wie ich bedauernd erklären muß, zumal Sie ja Mister Tuscon ablenken wollen!«
»Also gut«, seufzte Rander auf, »tun Sie mal wieder, was Sie nicht lassen können. Aber passen Sie auf sich auf! Wir haben es mit Gangstern zu tun, die genau wissen, daß es um ihre Existenz geht. Rücksicht werden die nicht nehmen!«
Dave Dee und Joe Hinds, der Stiernacken, bekämpften den Pegel einer Whiskyflasche und fühlten sich ausgezeichnet. Sie waren gerade von Bannister angerufen und eingeweiht worden. Sie brannten darauf, sich an zwei ganz bestimmten Herren zu rächen.
Sie saßen in der Bürobaracke, nachdem sie das Grundstück mit dem Tor zugesperrt hatten. Sie wollten sich in aller Ruhe überlegen, wie die Falle für Rander und Parker aussehen mußte. Diesmal, darüber waren auch sie sich klar, durfte es keine Panne geben.
Sie merkten überhaupt nicht, daß sie ihrerseits bereits in einer Falle saßen, da sich die Tür zum Vorraum zu ihrem Aufenthaltsraum vorsichtig öffnete. Und als sie es merkten, nun, da hatten sie bereits verspielt.
Sie rissen sehr schnell die Arme hoch, als sie in die Mündungen von zwei Revolvern blickten. Sie wunderten sich nicht sehr, daß ihre ehemaligen Freunde Ben und Clay diese Waffen trugen.
»Was soll denn der Blödsinn?« fragte Dave Dee und schluckte nervös.
»Macht bloß keinen Unsinn«, beschwor Stiernacken-Joe die beiden Gangster.
»Schnauze«, kommandierte Ben, »jetzt sind wir am Zug, Jungens! Und wenn ihr clever seid, wird euch nichts passieren!«
Um diese Cleverneß aber erst gar nicht auf die Probe stellen zu müssen, mußten Dave und Joe sich mit dem Gesicht gegen die Wand stellen. Anschließend langte Ben mit dem Revolverlauf kurz und trocken zu, woraufhin Dave Dee und Joe Hinds sofort zu Boden gingen.
»Rüber mit ihnen in den Ölbunker«, sagte Ben zu Clay, »schnall sie so fest, daß sie sich nicht rühren können! Und dann warten wir auf Bannister. Auf den freu ich mich ganz besonders!«
»Aber von Tuscon ganz zu schweigen«, Clay grinste, »nach dem leck’ ich mir schon die Finger!«
Beide hatten von draußen mitbekommen, was sich hier auf dem Geländer abspielen sollte. Das Telefongespräch mit Tuscon war durch die Scheibe nach draußen gedrungen. Aus einem kurzen Besuch und dem Raub der Tageskasse sollte nun das große Abrechnen werden.
»Alles klar?« erkundigte sich Ben, als er Schritte hinter sich hörte. Er stand vor dem geöffneten Geldschrank älterer Bauart und raffte gerade Banknoten an sich. Die Beute war größer, als er gerechnet hatte. Clay und er konnten zufrieden sein.
»Alles in Ordnung«, sagte Lieutenant Sorensen und drückte Ben den Lauf seiner Dienstwaffe gegen die Nieren, »vor allen Dingen dann, wenn Sie ganz schleunigst die Hände heben und keine Dummheiten machen! Übrigens, ich bin Lieutenant Sorensen von der Kriminalpolizei.«
Ben steckte sofort auf.
Er hob die Arme und durfte sich vorsichtig umwenden. Er kam mit dieser Wendung gerade zurecht, um Clay zu erblicken, der von zwei Zivilbeamten hereingeführt wurde und bereits Handschellen trug.
»Pech«, sagte Clay in Richtung Ben.
»Wieso Pech?« fragte Sorensen, »Sie leben! Das ist doch eine ganze Menge. Und wenn Sie mit dem Mord an Teddy Colman nichts zu tun haben, werden Sie sogar noch viele Jahre leben, wenn auch hinter Gittern!«
»Fehlt nur noch Tuscon«, sagte Mike Rander, der etwas hinter Sorensen stand und sich eine Zigarette anzündete, »ich bin gespannt, wann er mit Miß Sharon auftauchen wird.«
»Er muß und wird sie in jedem Fall herausbringen, Sorensen. Tuscon braucht die Aufnahmen, sonst ist er geliefert!«
»Ihr privater Nachrichtendienst hat wieder einmal vorzüglich funktioniert«, sagte Sorensen, während Ben und Clay jetzt abgeführt wurden, »darf man erfahren, wie Ihr Butler das alles geschafft hat?«
»Fragen Sie lieber nicht, Sorensen«, sagte Rander und winkte lächelnd ab, »als Anwalt und Vertreter der Gesetze erleide ich nur zu oft Höllenqualen … Parker legt gewisse Dinge mehr als großzügig aus!«
»Ich weiß von nichts und will auch von nichts wissen«, antwortete Sorensen und schmunzelte. »Hauptsache, wir klären diesen Fall der vermißten Mädchen so schnell wie möglich auf. Und das ohne jedes Blutvergießen!«
»Ich denke doch, daß ich mich auf Butler Parker verlassen kann«, meinte Mike Rander, »Sie wissen doch, wie sehr er Gewalt und Brutalität haßt.«
Josuah Parker stand in der Dunkelheit hinter einem dichten Strauch und beobachtete die Tore zu den Tiefgaragen. Tuscon war vor etwa zehn Minuten gekommen, sein Wagen stand vor der Treppe, die hinauf zum Grundstückstor von Lew Wesson führte. Tuscon war durch die geöffnete Tiefgarage hinüber zum Privatlift gegangen und hinauf in den Bungalow gefahren. Nach Parkers Schätzung konnte es nicht lange dauern, bis Tuscon mit Hazel Sharon erschien. Daß sie sich in Wessons Haus befand, stand für den Butler außer Zweifel. Warum hätte Tuscon sonst hierher fahren sollen?
Wenig später erschien Hazel Sharon. Sie ging zwischen Tuscon und Wesson. Sie durchschritt nach dem Verlassen des Lifts die Tiefgarage und setzte sich in Tuscons Wagen. Wesson und Tuscon redeten noch einen Moment lang miteinander und schienen es nicht besonders eilig zu haben. Dann setzte der Gangsterboß sich an das Steuer seines Wagens und fuhr davon.
Wesson blieb noch einen Moment lang stehen und sah dem in der Dunkelheit verschwindenden Wagen nach. Parker kam es fast so vor, als nehme er Abschied von einem Geschäftspartner und offensichtlichen Chef, der gewisse Transaktionen und Geschäfte in die Wege geleitet hatte.
Als Wesson wieder in der Tiefgarage verschwunden war, blieb das Tor erstaunlicherweise geöffnet. Wesson stieg in den Lift – was gerade noch im schwachen Licht der Garagenbeleuchtung zu erkennen war – Und fuhr hinauf in seinen Bungalow.
Um Hazel Sharon brauchte Parker sich nicht weiter zu kümmern. Am Talausgang stand ein Zivilwagen der Kriminalpolizei, der sich an Tuscons Wagen hängen würde. Bis zum Gelände der Gebrauchtwagenfirma wurde Tuscon nicht mehr aus den Augen gelassen. Dafür hatte Lieutenant Sorensen schon Sorge getragen.
Nein, Parker brauchte sich nur noch für das Wesson-Haus zu interessieren, denn hier war mit Sicherheit das Rätsel um das Verschwinden junger Frauen zu lösen.
Tuscon hatte die Hauptstraße fast erreicht und bremste leicht den Wagen ab. Er wandte sich zurück zu der Frau, die hinter ihm im Wagen saß.
»In einer knappen Stunde ist alles wieder in bester Ordnung, Mary«, sagte er zu der Frau, »wenn Rander und Parker erst mal ausgeschaltet sind, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.«
»Können Sie einen Moment anhalten, Mister Tuscon?« bat Mary.
»Was ist denn?« Er bremste noch weiter ab und hielt.
»Mir ist schlecht«, sagte Mary, die knochige Frau mit der kalten Stimme, die die Rolle von Hazel Sharon übernommen hatte. Das war nämlich der Plan der beiden Gangster Tuscon und Wesson. Sie wollten kein Risiko eingehen und Rander und Parker mit einer falschen, unterschobenen Frau düpieren.
Mary wartete, bis der Wagen endgültig stand. Dann, als Tuscon sich nach ihr umdrehte, schoß sie auf ihn.
Tuscon stöhnte und rutschte in seinem Sitz zusammen.
»Sorgen brauchen wir uns ab sofort nicht mehr zu machen«, sagte Mary und schoß erneut. Dann öffnete sie die hintere Wagentür und stieg aus. Sie klinkte die Tür auf Tuscons Seite vorsichtig auf und drückte den schweren Mann hinüber auf den Beifahrersitz. Sie wollte den Wagen anschließend hinunter nach Burbank steuern und irgendwo am Straßenrand stehenlassen. Tuscons Leiche sollte von der Polizei nicht zu nahe an Wessons Bungalow gefunden werden.
»Dürfen wir Ihnen helfen, Madam?« fragte plötzlich eine gelassene, sehr wachsame Stimme hinter Mary. Sie begriff sofort und warf sich herum. Sie wollte sich noch den Weg freischießen, doch die beiden Kriminalbeamten, die sie verfolgt hatten, ließen ihr keine Chance.
Mary erlitt einen hysterischen Schreikrampf. Möglicherweise hatte sie begriffen, daß ihr Spiel verloren war.
Parker hatte sich vorsichtshalber eine kleine, aber leistungsfähige Drahtschere mitgenommen. Mit ihr zwickte er sich einen Durchschlupf durch den Drahtzaun und betrat das Gelände von Wessons Grundstück. Zielstrebig, aber ohne jede falsche Hast schritt er danach gemessen hinauf zum Haus.
Auf diesen Ausflug hatte der Butler sich sorgfältig vorbereitet. Und die Zigarre in seiner rechten, schwarzbehandschuhten Hand sah plötzlich nicht mehr wie eine durchschnittliche Zigarre aus. Sie schien eine geheimnisvolle Waffe zu sein.
Wie wirkungsvoll sie war, sollte sich bald erweisen. Parker hatte den Bungalow fast erreicht, als er vor sich plötzlich einen Mann emporwachsen sah, der im Gestrüpp auf der Lauer gelegen haben mußte.
Dieser Mann hatte die echte Absicht, den Butler niederzustrecken. Die schallgedämpfte Waffe in seiner Hand hätte ihm dabei sicher wertvolle Hilfe geleistet.
Parker reagierte blitzschnell.
Er drückte auf die Zigarre, deren Spitze plötzlich eine grelle Sonne wurde. Die Lichtflut blendete den Mann derart, daß er automatisch und hilflos die Augen schloß und nach seinen schmerzenden Pupillen griff. Bevor er überhaupt wußte, was geschah, war er entwaffnet und hatte keine Schmerzen mehr.
Parker bemühte seine Krawattennadel und verschaffte dem Mann einen kurzfristigen Trip in das Land der Träume.
Parker war froh, seine Patentzigarre mitgenommen zu haben. Vorn in der Spitze befand sich ein kleiner Reflektor, der ein eingebautes Blitzlicht peinvoll hart und grell sammelte und verstärkte.
Parker wartete einen Moment, um sicher zu sein, daß man im Bungalow nichts von dieser Privatsonne mitbekommen hatte. Als dies nicht der Fall zu sein schien, ging er weiter und erreichte endlich ohne weitere Zwischenfälle den Bungalow.
Parker hatte Glück und konnte durch ein leicht hochgeschobenes Fenster in das Haus einsteigen. Er wechselte die erste Zigarre gegen eine zweite aus und suchte die Treppe, die hinunter ins Atelier führte.
Als er diese Treppe fast erreicht hatte, kreuzte ein weiterer Wachtposten seinen Weg, der sehr schnell reagierte und ebenfalls schießen wollte.
Parker und die Zigarre waren aber wieder einmal schneller. Vorn aus der Zigarre kam diesmal kein Elektroblitz, sondern ein klebriger Spray, der sofort die Augen schloß. Der Wachtposten, der um sein Augenlicht fürchtete, was er allerdings nicht brauchte, ließ sich sehr leicht entwaffnen und ebenfalls in das Land der Träume schicken. Vielleicht hatte der Mann das Glück, dort seinen Partner zu treffen.
Parker steckte die Krawattennadel wieder ein und stieg anschließend hinunter ins Atelier. Zu seiner ehrlichen Überraschung, aber auch zu seiner Enttäuschung deutete hier nichts darauf hin, daß Wesson sich mit Mädchen befaßte. Die Atelierräume einschließlich der beiden Dunkelkammern waren leer.
Parker überlegte einen kurzen Moment und stieg wieder nach oben. Wesson ließ sich nach wie vor nicht sehen. Er mußte also zwar im Haus, aber dennoch irgendwo sein, wozu es keinen regulären Zugang gab.
Parker erinnerte sich der Stimmen, die er bei seinem ersten Besuch hier auf dem Grundstück und im Haus draußen im Gestrüpp gehört hatte. Waren sie aus einem unterirdischen Raum gekommen, der tief in den Felsen hineingetrieben worden war?
Parker stand wieder in der Halle des Bungalows und wollte gerade hinaus auf das Grundstück gehen, als sein Blick auf die rote Kontrollampe des Lifts fiel.
Der Lift stand also unter Betriebsstrom oder wurde gerade sogar benutzt. Warum aber, so fragte sich der Butler, fuhr Wesson mit dem Lift spazieren? Doch bestimmt nicht aus Gründen eines ungewöhnlichen Hobbys
Und dann fiel es dem Butler wie Schuppen von den Augen. Die Lösung konnte nur sehr einfach sein. Sie erinnerte ihn überraschend an die Möglichkeiten, die der Lift im Bürohochhaus von Chikago bot, in jenem Bau also, auf dessen Flachdach Mike Rander sein Penthouse bewohnte.
Parker wußte jetzt, was er zu tun, hatte …
Gus Bannister wartete, bis das Tor zum Grundstück geöffnet war. Dann gab er Gas und fuhr in einem Rutsch bis hinüber zur Bürobaracke. Dort hielt er an, stieg aus und marschierte sofort in den Vorraum, um die letzten Einzelheiten des Planes mit seinen Mitarbeitern durchzusprechen.
»Hallo, wo steckt ihr denn?« rief er gutgelaunt.
Sekunden später sank seine Laune tief unter den Nullpunkt. Was verständlich war, denn Sorensen und seine Mitarbeiter schränkten die Bewegungsfreiheit von Bannister erheblich ein und nahmen ihm vor allen Dingen die beiden schallgedämpften Schußwaffen ab, die er mit sich herumgetragen hatte.
»Hören Sie! So hören Sie doch«, sagte er wütend, als ihn Handschellen zierten. »Das muß ein Mißverständnis sein. Mein Chef, Mister Tuscon hat mich hierhergeschickt… und die Waffen … die habe ich gegen Überfälle mitgebracht. Rufen Sie Mister Tuscon an, er kann das alles bestätigen.«
»Ihr Chef kann zur Zeit überhaupt nichts bestätigen«, sagte Sorensen.
»Wieso, wieso nicht?« stotterte Bannister.
»Weil er schwer verletzt worden ist. Zwei Schüsse in Brust und Bauchgegend. Er wird durchkommen, aber das wird seine Zeit dauern.«
»Tuscon angeschossen?« Bannister wußte nicht, was er davon halten sollte.
»Von einer gewissen Mary, die Ihnen ja nicht unbekannt sein dürfte.«
»Mary hat Tuscon niedergeschossen?« Bannister sah den Lieutenant fassungslos an.
»Wesson wollte wohl reinen Tisch machen, Bannister. Wahrscheinlich brauchte er seinen Chef nicht mehr. Aber das ging ins Auge, wie Sie gehört haben. Jetzt dürfte es für ihn kein Entrinnen mehr geben.«
Parker besaß die Kaltblütigkeit, den Lift zu sich heraufzuholen.
Hinter der Sicherheitstür summte und klapperte es sanft. Wenig später glitt die Tür auseinander und lud zum Einsteigen. Parker betrat den Lift und studierte erst einmal das Knopfbrett, das mehr als einfach bestückt war.
Es gab zwei Knöpfe, einen für die Garage, einen für das Haus. Dies ging aus den Symbolen über den Knöpfen eindeutig hervor. Es gab den obligaten Sicherheitsknopf für Soforthalt und einen Alarmknopf, mit dem man sich bei einer Panne bemerkbar machen konnte.
Parker sah sich das Knopfbrett sehr genau an. Er entdeckte an kleinen Kratzspuren, daß man das Knopfbrett wahrscheinlich aus seiner Fassung herausziehen konnte.
Parker versuchte sein Glück.
Er griff nach dem Soforthalt und nach dem Alarmknopf, zog kurz an und hatte das gesamte Brett in der Hand. Zwischen dem obligaten Gewirr von Kabeln fand er einen Kippschalter, den er herumlegte.
Sofort und prompt senkte sich der Lift nach unten.
Parker, der mit peinlichen Überraschungen ja stets zu rechnen pflegte, baute sich seitlich neben der Lifttür auf und hielt seine Sprayzigarre griffbereit in der Hand. Es konnte ja durchaus möglich sein, daß Wesson ihn erwartete und sofort schoß.
Der Lift federte auf, und die Türen öffneten sich.
Keine Spur von Wesson, aber auch keine Spur von einer Tiefgarage! Die Lifttür gab den Zugang frei zu einem Gang, der roh in den Fels hineingetrieben und mannshoch war.
Es roch nach überwarmer, feuchter Luft, nach Muffigkeit und nach Schweiß und irgendwie auch nach Panik und Angst, obwohl dies eigentlich nicht möglich war.
Parker schritt würdevoll durch diesen Felskorridor und hörte plötzlich Stimmen, Schreie und Rufe.
Er erreichte eine Bohlentür, die nur angelehnt war. Und er erblickte, was sein Blut fast zum Gerinnen brachte …
»Hoffentlich kommen wir noch zurecht«, sagte Rander, der neben Sorensen im Wagen saß. Das zivil aussehende Polizeifahrzeug hatte sich unter Sirenengeheul bis in die Nähe des Seitentals vorgekämpft, die Sirene jetzt aber abgeschaltet. Nachdem Bannister, Dave, Joe, Ben und Clay außer Gefecht gesetzt worden waren, nachdem Tuscon im Krankenhaus lag und die Dame Mary bereits im Untersuchungsgefängnis saß, nachdem die Lage sich also geklärt hatte, sollte Wesson das »Spielaus« erleben.
»Seit wann trauen Sie Ihrem Butler nicht mehr zu, sich durchzusetzen?« wollte Sorensen lächelnd wissen. »Ich wette, er hat bereits alles geklärt, wenn wir auftauchen.«
»Ich lasse mich überraschen«, sagte Rander und sah sich nach den anderen beiden Zivilwagen um, die folgten und die mit Kriminalbeamten vollbesetzt waren…
Das Kellergewölbe war niedrig und rundbogenartig ausgemauert. An den nackten, rohen Steinwänden befanden sich Gitterkäfige, die es einem Menschen gerade gestatten sich aufzurichten. In diesen Eisenkäfigen hockten junge Mädchen, deren Aussehen mehr als verzweifelt war.
Ihre Kleidung war mehr als spärlich. Sie bestand aus zerfetzten Stücken, die sich bereits in ihre Bestandteile aufgelöst hatten.
Vor einer Art Quaderwand stand eine junge Frau, deren Hals in einem Rundeisen stak, das sie knapp an der Wand festhielt. Dieses Mädchen war identisch mit Hazel Sharon, doch dies sah Parker erst auf den zweiten Blick.
Wesson stand wie ein Dompteur oder mittelalterlicher Foltermeister vor den Käfigen und rauchte eine Zigarette.
»Ruhe!« rief er gerade, »oder soll ich euch die Wasserrationen entziehen?«
Augenblicklich herrschte Stille.
»Na, also«, meinte Wesson, der seine Rolle sichtlich genoß und psychisch mit Sicherheit krank sein mußte, »ich weiß doch, wie ich euch behandeln muß, meine Häschen. Also, wir schließen den Betrieb hier. Die ganze Geschichte ist zu gefährlich geworden!«
»Und was geschieht mit uns?« rief Hazel Sharon mutig.
»Ja, was wohl? Zurück in die menschliche Gesellschaft kann ich euch nicht mehr lassen. Eine von euch wird bestimmt reden. Früher oder später. Und dann bin ich geliefert. Ich weiß etwas Besseres, meine Häschen!«
Totenstille.
»Ich werde euch hier einschließen und die Lüftung stoppen«, redete Wesson weiter, »es dauert nicht lange, meine Häschen, und wir werden nie wieder etwas von euch hören!«
Parker hob seinen Regenschirm und visierte Wesson an. Er durfte und wollte es auf keinen Kampf ankommen lassen. Bei einem Feuergefecht hätten diese jungen Frauen verletzt werden können.
Wesson zuckte plötzlich zusammen und starrte auf seinen linken Oberschenkel. Dann zog er fast behutsam den bunt gefiederten Pfeil aus dem Muskelgewebe und warf ihn resigniert zu Boden.
Parker hatte einen Blasrohrpfeil der starken Sorte gewählt, damit Wesson nicht noch im letzten Moment eine große Dummheit begehen konnte. Eine Dummheit übrigens, die er tatsächlich begehen wollte, wie sich zeigte.
Er griff nach seiner Schulterhalfter und zog eine Waffe hervor. Doch die Bewegungen waren nicht mehr koordiniert, sie wurden langsam und verloren sich. Polternd landete die Waffe auf dem Steinboden. Wesson rutschte in sich zusammen und blieb regungslos auf dem Boden liegen.
Parker hörte das Luftholen der gefangenen Damen. Er wußte im vorhinein, welch ein Stimmengewirr jetzt anheben mußte. Also trat er schnell vor die Käfige, lüftete seine schwarze Melone und sagte höflich, wie es seiner Art entsprach: »Ich erlaube mir, Ihnen, meine Damen, einen ausgesprochen schönen Abend zu wünschen, zumal ich die erfreuliche Mitteilung machen kann, daß Sie hiermit Ihre Freiheit zurückgewonnen haben. Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen nähere Erläuterungen zu dieser neuen Situation geben.«
Sie hätten es ihm bestimmt erlaubt, aber mit ihrer Fassung war es vorbei.
Die Lautstärke, die sich jetzt erhob, veranlaßte den Butler, schleunigst das Weite zu suchen. Er wollte vorerst nicht stören …
»Wir haben alle Filme und Aufnahmen sicherstellen können«, sagte Lieutenant Sorensen einen Tag später, als er von Rander und Parker in seinem Büro besucht wurde. »Die Damen können sicher sein, daß niemals etwas an die Öffentlichkeit kommen wird. Nach dem Prozeß werden die Aufnahmen und Negative vernichtet.«
»Erfreulich!« meinte Rander, »aber mehr interessiert mich, was Wesson und Tuscon ausgesagt haben. Sie haben doch schon geredet, oder?«
»Selbst Tuscon, dem es den Umständen entsprechend recht gutgeht«, redete Sorensen weiter, »tja, wo soll ich anfangen. Wesson wurde von Tuscon angeheuert und finanziert, Pornoaufnahmen herzustellen. Und zwar für den inländischen und ausländischen Markt. Zuerst hat man’s mit Profimädchen getan. Aber diese Aufnahmen kamen laut Wesson nicht besonders gut an. Tuscon hatte Schließlich die Idee, ahnungslose Mädchen zu kidnappen und sie als Modelle zu verwenden. Und zwar für Bilderserien und Filmaufnahmen. Er hatte so etwas wie eine Vertriebsorganisation aufgezogen und seine kommenden Kunden waren von den Probeaufnahmen geradezu begeistert. Diese anständigen Mädchen boten nämlich die mißhandelte Unschuld, die man erwartete. Wesson und Mary – übrigens seine Stiefschwester – produzierten, was das Zeug hielt.«
»Und die ›Schlangenbrut‹, Sorensen?« Rander sah den Polizeilieutenant erwartungsvoll an.
»Diese Bande war von Tuscon aufgezogen worden, um ahnungslose Mädchen einzufangen. Wie’s gemacht wurde, haben wir ja gesehen. Man gaukelte ihnen etwas von Probeaufnahmen vor und brachte sie auf Umwegen in die Gewölbe von Wesson. Hier wurden sie in diese scheußlichen Käfige gesperrt und festgehalten, bis man sie für Aufnahmen holte. Sie wurden gefügig gemacht durch Wasserentzug und Drogen, die letzten Einzelheiten werden wir ja noch erfahren.«
»Demnach dürfte ich besagte Stimmen, von denen ich sprach, durch die Entlüftungsschächte im Garten gehört haben«, sagte Parker.
»Sehr richtig.« Sorensen nickte. »Die Gewölbe sind nicht von Wesson angelegt worden. Er übernahm sie von seinem Vorgänger, einem skurrilen Chemiker und Erfinder, der sich bei seinen Experimenten selbst in die Luft blies. Von Wesson stammt nur der Lift mit dieser Patentschaltung.«
»Ohne die wir dieses Gewölbe nicht gefunden hätten. Wenigstens nicht so schnell«, sagte Rander und nickte seinem Butler lächelnd zu, »Ihre Nase, Parker, sollten Sie sich vergolden lassen!«
»Hatte Mister Wesson möglicherweise noch weitere Pläne, Sir?« wandte Parker sich schnell an Sorensen. Lob machte ihn sichtlich verlegen.
»Wie Wesson zugibt, sollten später kleine Spielfilme gedreht werden. Welcher Art, kann man sich ja leicht ausrechnen. Ich bin davon überzeugt, daß er geistig krank ist. Auf so etwas kommt ein normaler Mensch überhaupt nicht.«
»Und wer hat nun Teddy Colman ermordet?« fragte der junge Anwalt.
»Laut Wesson, der seine Geständnisse nur so herunterrasselte, die beiden Gangster Dave Dee und Joe Hinds. Sie nahmen Colmans Spur auf, als er sich bei Freunden Geld für seine weitere Flucht leihen wollte. Sie täuschten einen Verkehrsunfall vor und sorgten so dafür, daß er nicht mehr reden konnte.«
»Tja, das wär’s dann wohl gewesen«, meinte Anwalt Rander. »Sobald Sie alle Details zusammenhaben, Sorensen, sollten Sie uns eine Kopie Ihres Gerichts zuschicken.«
»Sie müssen wirklich schon zurück nach Chikago?«
»Läßt sich nicht anders machen, Sorensen. Sie wissen, ich habe noch einen kleinen Nebenberuf als Anwalt, auch wenn Parker das nur zu gern übersehen will. Vielleicht treffen wir uns eines Tages hier in Los Angeles wieder.«
»Würde mich freuen. Vor allen Dingen dann, wenn mir gerade wieder ein vertrackter Fall über den Weg läuft.«
Sie verabschiedeten sich voneinander und trennten sich. Rander und Parker fuhren hinunter in die Halle, gingen hinaus auf die Straße und stiegen in Parkers Monstrum.
Der Wagen sollte per Bahn nachkommen. Rander und Parker wollten mit einem Verkehrsflugzeug vorausfliegen. Während der Fahrt zum Bahnhof passierte es …
Am Straßenrand stand ein roter Sportwagen, der offensichtlich Schwierigkeiten mit einem geplatzten Reifen hatte. Ein junger Mann war gerade damit beschäftigt, das Rad auszutauschen und mühte sich mit dem Wagenheber ab.
Im Sportwagen saß ein sehr attraktiv aussehendes Mädchen von schätzungsweise zwanzig Jahren. Es schaute dem Reifenwechsel etwas gelangweilt zu.
»Was ist denn?« fragte Rander, als Parker sein hochbeiniges Monstrum abbremste.
»Ich möchte den Herrschaften meine bescheidene Hilfe anbieten«, erwiderte der Butler würdevoll.
»Gebranntes Kind scheut Feuer«, sagte Rander hastig. »Bekommen Sie denn niemals genug? Geben Sie Vollgas! Wie das Pech es will, haben wir es wieder mit einer Entführerbande zu tun. Und was das anbetrifft, Parker, so habe ich die Nase gründlich voll. – Vollgas, wenn ich bitten darf!«
Das Monstrum schoß an dem roten Sportwagen vorbei.
»Wie Sie wünschen, Sir«, sagte Parker dazu, »es wäre allerdings mehr als bedauerlich und schade, wenn man durch das Vollgasgeben an einem interessanten Kriminalfall vorbeigekommen wäre!«
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