Читать книгу Der exzellente Butler Parker Staffel 4 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 9
Оглавление»Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, Mister Parker!« stellte Agatha Simpson mit erhobenem Zeigefinger klar und sah unternehmungslustig auf die grüne Waldlichtung.
»Wie Mylady wünschen«, entgegnete der Butler höflich und reichte seiner Herrin einen leeren Weidenkorb.
»Ich werde mich auf Trüffeln und Steinpilze konzentrieren«, kündigte sie an und stapfte los.
»Sind die nicht herrlich, Mister Parker?« ließ sie sich gleich darauf vernehmen und zeigte auf eine Gruppe Pilze mit weißen Pusteln auf den prachtvollen roten Hüten.
»Falls man nicht gründlich irrt, dürfte es sich um Exemplare der Gattung Amanita muscaria handeln, die auch unter dem Namen Fliegenpilz bekannt ist, Mylady«, warnte der Butler. »Der Genuß ist nicht selten tödlich.«
»Wie auch immer. Hübsch sind diese Bienenpilze auf jeden Fall«, reagierte Lady Agatha enttäuscht und setzte die Suche fort.
Parkers Aufmerksamkeit wurde in diesem Moment von einem Gebilde gefesselt, das auf den ersten Blick wie der olivgrüne Hut eines großen Pilzes wirkte. Doch dieser »Pilz« bewegte sich...
Entschlossen beseitigte der Butler letzte Zweifel am Wesen des merkwürdigen Gebildes, das sich langsam unter den tiefhängenden Zweigen einer jungen Fichte herausschob, indem er mit gewissem Nachdruck seinen schwarzen Lacklederschuh daraufsetzte. Der halb erstickte Jaulton, der postwendend unter der grünlichen Halbkugel aus dem Waldboden quoll, hörte sich eindeutig menschlich an.
»Was ist denn da los, Mister Parker?« wollte die ältere Dame wissen und kam erwartungsvoll näher. Argwöhnisch musterte sie den ungewöhnlichen Fund, der sich heftig zu schütteln begann, sobald Parker den Fuß zurückzog.
»Los, treten Sie raus aus dem Dickicht!« unterbrach die passionierte Detektivin das Schnauben zu ihren Füßen. »Sie sind umstellt. Gegenwehr ist zwecklos.«
Zögernd kam das unbekannte Wesen der Aufforderung nach. Unter dem olivgrünen, mit Zweigen besteckten Stahlhelm erschien ein lehmverschmiertes, mit Tannennadeln gespicktes Gesicht.
Nach und nach schob sich der athletisch gebaute Körper eines jungen Mannes aus dem Dickicht. Der Fremde steckte in einer Art Kampfanzug aus grünlichem Tuch und war mit einem Infanteriegewehr älterer Bauart ausgerüstet.
»Was sagen Sie dazu, Mister Parker?« verwunderte sich Agatha Simpson. »Durch Wachsamkeit und Taktik habe ich einen hinterhältigen Anschlag auf mein Leben vereitelt.«
»Quatsch!« knurrte der Mann und raffte sich mühsam auf, derweil Parker vorsorglich das Gewehr an sich nahm. »Ich wollte von Ihnen doch gar nichts. Aber Sie hätten mir fast das Genick gebrochen.«
»Spielen Sie nicht den Harmlosen, junger Mann!« entgegnete die resolute Dame, während der Unbekannte seinen Nacken massierte. »Gangster Ihrer Sorte erkenne ich immer.«
»Gangster?« wiederholte der Mann unter dem Stahlhelm. »Das ist eine Beleidigung, Madam.«
»Was eine Beleidigung ist, weiß ich besser«, sagte Mylady in einem Ton, der jeden Widerspruch als gefährlichen Leichtsinn erscheinen ließ. »Wenn Sie nicht unverzüglich mit der Wahrheit herausrücken, müßte ich mich beleidigt fühlen. Und das hätte unangenehme Folgen für Sie.«
»Was meine Wenigkeit aus reicher Erfahrung nur bestätigen kann«, fügte der Butler mit einer angedeuteten Verbeugung hinzu.
»Moment mal, was wird hier eigentlich gespielt?« erkundigte sich der Fremde irritiert.
»Gespielt wird überhaupt nicht, junger Mann«, fuhr Agatha Simpson ihm über den Mund. »Das Verhör ist bitterernst. Ich möchte sofort die Wahrheit ...«
»Was für eine Wahrheit wollen Sie denn eigentlich hören, Madam?« unterbrach der Mann im Kampfanzug gereizt.
»Daß Sie sich heimtückisch angepirscht haben, um mich durch einen Schuß aus Ihrem Gewehr ins Jenseits zu befördern!« grollte Mylady.
»Unsinn«, widersprach der Entwaffnete. »Das Gewehr ist ja nicht mal geladen.«
»Der dreiste Lümmel lügt wie gedruckt, Mister Parker«, ereiferte sich die ältere Dame. »Aber eine Kriminalistin führt man nicht hinters Licht.«
Mit grimmiger Miene stellte sie ihren Pilzkorb weg, um den perlenbestickten Pompadour besser handhaben zu können. Dabei handelte es sich um einen ledernen Beutel, der mit den zierlichen Damenhandtäschchen der Jahrhundertwende nicht viel mehr als den Namen gemein hatte.
Myladys Pompadour enthielt auch keine Toilettenartikel, sondern ein veritables Pferdehufeisen, das sie zärtlich ihren »Glücksbringer« nannte. Aus humanitären Gründen war es in eine dünne Lage Schaumstoff gewickelt.
»Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, als Mylady zu widersprechen«, meldete sich Parker in diesem Moment zu Wort. »Dennoch sieht man sich zu der Mitteilung genötigt, daß das Gewehr des Herrn tatsächlich nicht geladen ist.«
»Dann hat der Lümmel die Munition schnell in die Tasche gesteckt, als er sich entdeckt fühlte«, behauptete Lady Agatha unbeeindruckt. »Durchsuchen Sie ihn, Mister Parker.«
»Finger weg!« knurrte der Mann. »Das geht entschieden zu weit.«
Der Bedauernswerte ahnte nicht, daß er mit dieser widerborstigen Äußerung zu weit gegangen war – jedenfalls nach Agatha Simpsons Meinung. Als der Fehler ihm bewußt wurde, war es schon zu spät.
Die ledernen Halteriemen des Pompadours durchschnitten die Luft. Ein dumpfer Ton erschwoll, als Myladys sogenannter »Glücksbringer« sein Ziel erreichte.
Stöhnend verdrehte der Unbekannte die Augen und sackte zusammen wie eine Marionette.
Nach dieser »kleinen Belehrung«, wie Agatha Simpson den Vorgang lächelnd nannte, ließ der Mann es widerspruchslos geschehen, daß Parker seine Taschen durchsuchte. Patronen kamen zur Enttäuschung der Detektivin allerdings nicht zum Vorschein.
*
»Verdammt, mein Schädel«, brummte der Stahlhelmträger, als er wieder zu sich kam.
»Seien Sie nicht so wehleidig, junger Mann!« reagierte die resolute Dame ungerührt.
»Das werden Sie büßen«, schwor der Unbekannte. »Anzeigen werde ich Sie.«
»Wollen Sie sich etwa bei der Polizei darüber beklagen, daß Sie durch eine kleine Lektion daran erinnert wurden, wie man sich in Gesellschaft einer Dame benimmt?«
»Kleine Lektion?« wiederholte ihr Gegenüber vorwurfsvoll.
»Ich kann auch anders, junger Mann«, teilte Lady Agatha gelassen mit und ließ neckisch ihren Pompadour wippen.
»Was meine Wenigkeit nur mit allem Nachdruck bestätigen kann«, meldete Parker sich zu Wort. »Es dürfte in Ihrem wohlverstandenen Interesse liegen, wahrheitsgemäß auf Myladys Fragen zu antworten, Mister ...?«
»Walker. Patrick Walker«, nannte der Mann seinen Namen. »Aber was denn für Fragen, verdammt noch mal?«
»Auf der Stelle will ich wissen, wer Sie in Marsch gesetzt hat.« Mylady stampfte ungeduldig mit dem Fuß. »Welche Kreatur hat Sie beauftragt, mich heimtückisch zu ermorden?«
»Niemand«, gab Walker mit deutlichen Anzeichen von Irritation zurück. »Ich wollte ...«
»Der Lümmel will sich herausreden, Mister Parker«, wandte Agatha Simpson sich grollend an ihren Butler. »Ich denke, ich werde ihn einer verschärften Behandlung unterziehen.«
»Das sind doch alles Hirngespinste«, protestierte Walker. »Ich kenne Sie ja nicht mal.«
»Eine Kriminalistin führt man nicht aufs Glatteis, junger Mann«, beschied ihn die ältere Dame. »Die Situation war eindeutig. Sie können froh sein, daß ich keine Notwehr angenommen habe.«
Selbst die Lehmkruste in seinem Gesicht konnte nicht verbergen, daß Walker bei diesen Worten ausgesprochen blaß wurde.
»Öffnen Sie Ihren Mund«, verlangte die Detektivin. »Wie heißt Ihr Auftraggeber?«
»Den gibt’s nicht«, beteuerte der Mann mit hilfloser Geste. »Ich hatte überhaupt keine Absicht, Ihnen was zu tun, Madam.«
»Unter diesen Umständen darf man möglicherweise auf eine plausible Erklärung hoffen, was Ihre nicht alltägliche Art angeht, sich in der freien Natur zu bewegen, Mister Walker«, griff Parker in das festgefahrene Frage- und Antwort-Spiel ein.
»Ich bin Mitglied in einem Sportclub«, gab der Mann im Kampfanzug Auskunft. »Heute nachmittag stand eine Geländeübung auf dem Plan.«
»Das muß ja ein merkwürdiger Verein sein, der seine Mitglieder mit Stahlhelm und Gewehr durch den Wald schickt«, höhnte Agatha Simpson. »Habe ich so was schon mal gehört, Mister Parker?«
»Mylady dürften gelegentlich von sogenannten Wehrsportgruppen erfahren haben«, gab der Butler zur Antwort. »Vereinigungen der genannten Art dienen jedoch weniger der körperlichen Ertüchtigung als der Durchsetzung politischer Ziele, die man nur als radikal bezeichnen kann und muß.«
»Keine Belehrungen, Mister Parker«, winkte Mylady ab. »Natürlich weiß ich, was eine Lehrsportgruppe ist.«
»Verzeihung, Mylady«, korrigierte Parker mit höflicher Verbeugung. »Man war so frei, von Wehrsportgruppen zu sprechen, falls der Hinweis erlaubt ist.«
»Nichts anderes habe ich doch gesagt, Mister Parker«, behauptete Agatha Simpson umgehend und wandte sich wieder dem Mann im Stahlhelm zu: »Sie geben also zu, ein politischer Krimineller zu sein?«
»Ich ein Krimineller?« entrüstete sich Walker. »Ich sagte Ihnen doch, daß ich Mitglied in einem Sportclub bin.«
»... der illegale Ziele verfolgt«, ergänzte Mylady.
»Nicht die Spur, Madam«, versicherte Walker treuherzig. »Wenn Sie’s nicht glauben, kann ich Sie ja zum Commander führen.«
»Commander?« wiederholte die Detektivin.
»Eigentlich heißt er Eric Millstone und ist unser Übungsleiter«, erläuterte Walker. »Aber wir nennen ihn Commander.«
»Eine bemerkenswerte Gepflogenheit für Mitglieder eines Sportclubs«, ließ der Butler sich vernehmen. »Falls man nicht sehr irrt, dürfte Mylady durchaus interessiert sein, Mister Millstone näher kennenzulernen.«
»Selbstverständlich, Mister Parker«, nickte die ältere Dame. »Ich werde diesen Mister Killbone unter die Lupe nehmen.«
»Millstone, Madam«, meldete Walker sich schüchtern zu Wort. »Nicht Killbone.«
»Reden Sie, wenn Sie gefragt werden, junger Mann«, reagierte Agatha Simpson frostig.
Wenig später saß Parker am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, Patrick Walker auf dem Beifahrersitz. Mylady teilte sich den Fond mit dem üppigen Picknickkorb, dessen Inhalt noch unberührt war.
»An der Waldarbeiterhütte rechts ab und dann immer geradeaus«, wies Walker den Weg, während Lady Simpson sich eingehend einer knusprig gebratenen Hühnerkeule widmete.
*
»Ich hoffe, Sie haben alle nötigen Vorkehrungen getroffen, damit ich einen eventuellen Hinterhalt erkenne, Mister Parker?« vernahm der Butler Agatha Simpsons Stimme.
»Mylady rechnen mit einer Falle?« erkundigte er sich.
»Sie nicht, Mister Parker?«
»Myladys Besuch dürfte für Mister Millstone ohne Zweifel überraschend kommen, falls die Anmerkung erlaubt ist.«
»Wie auch immer, Mister Parker. Ich traue dem Lümmel nicht über den Weg«, erwiderte die passionierte Detektivin, ohne von Walkers Anwesenheit Notiz zu nehmen.
»Mit einem begeisterten Empfang dürfte kaum zu rechnen sein«, bemerkte Parker, während er sein eckiges Gefährt über eine schmale Forststraße lenkte.
»Da ist es schon«, sagte Walker in diesem Moment und deutete nach vorn. »Das ist Oakhill Manor.«
Der Wald öffnete sich. In einer flachen Talmulde war ein burgähnlich befestigter Landsitz auszumachen, der nach Parkers Einschätzung aus dem 18. Jahrhundert stammte. Die Gebäude machten einen leicht heruntergekommenen, aber durchaus wehrhaften Eindruck. Umgeben war das Gemäuer von einem ringförmigen Wassergraben, der von einer offenbar noch intakten Zugbrücke überspannt wurde.
Mit Besuch schien Eric Millstone nicht zu rechnen. Der Wachposten, der es sich auf einem Mauervorsprung neben dem Tor in der Sonne bequem gemacht hatte, schreckte erst aus seinem Schlummer, als das hochbeinige Monstrum schon über die Brücke rollte.
»Was halte ich denn davon, Mister Parker?« fragte die ältere Dame irritiert, während der Butler sein altertümlich wirkendes Vehikel auf dem gepflasterten Innenhof zum Stehen brachte.
»Mylady dürften sich auf einer Art Exerzierplatz befinden, sofern der Augenschein nicht trügt«, gab Parker zur Antwort.
Schätzungsweise drei Dutzend junger Männer waren in Reih und Glied auf dem Burghof angetreten. Sie hatten ihre Gewehre geschultert und trugen Kampfanzüge und Stahlhelme wie Patrick Walker.
Wie elektrisiert fuhr der untersetzte Mittfünfziger, der das Kommando führte, auf dem Absatz herum und sah den Ankömmlingen mit unverhohlenem Mißtrauen entgegen.
»Das ist der Commander«, erklärte Walker, der sich nicht besonders wohl in seiner Haut zu fühlen schien.
»Mylady halten nach wie vor an der Absicht fest, Mister Millstone einer Befragung zu unterziehen?« erkundigte sich der Butler vorsichtshalber.
»Selbstverständlich, Mister Parker«, erwiderte die resolute Dame. »Ich werde diesem Killbone und seiner Privatarmee schon zeigen, was eine Harke ist. Oder zweifeln Sie daran?«
»Keineswegs und mitnichten, Mylady«, versicherte Parker und verließ in würdevoller Haltung das Fahrzeug.
In seinen dezent gestreiften Beinkleidern, mit schwarzem Covercoat und Melone, den altväterlich gebundenen Regenschirm am angewinkelten Unterarm, stellte Josuah Parker das Urbild eines hochherrschaftlichen Butlers dar.
Makellose Umgangsformen korrespondierten mit seinem äußeren Erscheinungsbild. Das glatte, alterslos wirkende Gesicht spiegelte nur selten eine Gefühlsregung wider.
Steif, als hätte er einen Ladestock
verschluckt, schritt Parker zur Fondtür und half seiner Herrin diskret beim Aussteigen.
Lady Agatha, die die Sechzig längst überschritten hatte, war eine Erscheinung, die man nur als beeindruckend bezeichnen konnte. Zudem wußte sie sich mit dem Pathos einer Bühnenheroine in Szene zu setzen.
Mylady war mit einem derben Lodenkostüm bekleidet, das zwar nicht der neuesten Mode entsprach, dafür aber ihre ausufernde Leibesfülle einigermaßen bändigte. Ergänzt wurde der Aufzug der steinreichen Witwe durch rustikale Schnürschuhe und eine Hutschöpfung von zeitloser Form. Zwei Hutnadeln, deren Format an Grillspieße erinnerte, steckten in dem phantasievollen Filzgebilde.
Aus den Augenwinkeln registrierte Parker, daß Millstones Truppe sich ausgesprochen diszipliniert verhielt. Die Männer standen stramm und hatten die Blicke ins Leere gerichtet.
Sie rührten sich auch nicht, als Agatha Simpson erhobenen Hauptes an ihnen vorüberschritt. Mylady ihrerseits bedachte die Behelmten mit huldvollem Nicken, als handelte es sich um das Abschreiten einer Ehrenformation.
»Mister Patrick Walker war so freundlich, Mylady und meiner Wenigkeit den Weg zu Ihnen zu weisen, Mister Millstone«, sprach Parker den »Commander« an.
Obwohl Millstone sich intensiv bemühte, Haltung und Fassung zu bewahren, war der Ärger, der in seinem Innern brodelte, nicht zu übersehen. Sein Gesicht zeigte ungesunde Rotfärbung. Heftig zuckende Mundwinkel ließen auf eine gewisse Nervosität schließen.
»So, Patrick hat Sie hergeführt«, wiederholte der »Commander« zähneknirschend und bedachte seinen Untergebenen, der wie eine begossener Pudel abseits stand, mit frostigem Blick. »Darf man denn fragen, welchem Zweck Ihr Besuch dient?«
»Zunächst muß ich mich über diesen Rüpel beschweren, Mister Killbone«, nahm Lady Agatha das Wort.
»Millstone«, korrigierte ihr Gegenüber.
»Ich habe Ihren Namen schon richtig gespeichert, Mister Billphone«, entgegnete die Detektivin. »Sie müssen sich verhört haben.«
»Na gut«, ging Millstone einer längeren Diskussion aus dem Weg. »Und was war mit Patrick?«
»Der Schurke hat sich an mich herangepirscht und wolle mich kaltblütig aus dem Hinterhalt erschießen«, breitete Agatha Simpson ihre Sicht der Dinge aus, ohne den verhalten protestierenden Walker eines Blickes zu würdigen. »Als ich ihn dann entdeckt und überwältigt hatte, wollte er sich mit dem dummen Märchen von einem Sportclub herausreden.«
Augenblicklich zeigte Millstones Gesicht einen lauernden Ausdruck. Seine dunklen Augen unter den buschigen Brauen verengten sich zu Schlitzen.
»Was für ein Sportclub?« fragte der »Commander« wie in beiläufigem Ton.
»Das müssen Sie am besten wissen, Mister Killbone«, entgegnete Mylady. »Schließlich sind Sie der Chef, wenn der Lümmel mich nicht belogen hat.«
Millstones Brustkorb hob und senkte sich unter heftigen Atemstößen. Die Rotfärbung seines Teints vertiefte sich.
»Der gute Patrick ist unser Sorgenkind. Er hat die Weisheit nicht gerade mit Löffeln gegessen und redet deshalb manchmal dummes Zeug«, ließ der »Commander« wissen.
»Also hat er mich doch belogen!« grollte Lady Simpson.
»Nicht direkt«, wich Millstone aus. »Am besten sollten wir die Sache in Ruhe unter vier Augen besprechen. Darf ich Sie zu einem Gläschen einladen?«
»Eigentlich rühre ich ja keinen Alkohol an«, schwindelte Mylady ungeniert. »Aber ein Schlückchen würde meinem strapazierten Kreislauf bestimmt guttun.«
»Ihr könnt jetzt in die Unterkünfte abrücken und eure Ausrüstung in Ordnung bringen«, wies der »Commander« seine Leute an. Während die Truppe wortlos dem Befehl Folge leistete, schritt Eric Millstone zu einer Tür, die er seiner Besucherin öffnete.
»Legen Sie Wert darauf, daß Ihr – äh – Butler bei der Unterredung zugegen ist, Mylady?« erkundigte er sich, als Parker sich unaufgefordert anschloß.
»Warum sollte Mister Parker nicht dabei sein?« fragte die passionierte Detektivin überrascht.
»Ja – warum eigentlich nicht?« reagierte Millstone mit einem Lächeln, das ein wenig verkrampft wirkte, und ging voran.
*
»Natürlich sind wir kein gewöhnlicher Sportclub, Mylady«, begann Millstone, nachdem er seinen Gästen Plätze in einer Art Salon angeboten hatte. »Unsere Zielsetzung geht über die körperliche Ertüchtigung weit hinaus.«
»Hervorragend!« bemerkte die ältere Dame mit sichtlichem Wohlgefallen.
Der Gastgeber, der diesen Kommentar auf seine einleitende Äußerung bezog, lächelte geschmeichelt. Daß Mylady nur die Flasche feinen, alten Kognaks meinte, die er gerade entkorkte, entging ihm.
»Darf man möglicherweise erfahren, welche Art von Zielsetzung Sie zu meinen belieben, Mister Millstone?« erkundigte sich Parker, während der »Commander« einschenkte.
»Nun ... äh ...« druckste Millstone herum. »Was wir hier tun, könnte man am ehesten mit dem Begriff ›Sozialarbeit‹ erklären.«
»Eine Mitteilung, die man mit einer gewissen Überraschung zur Kenntnis nimmt, Mister Millstone«, merkte der Butler an.
»Sie werden gleich verstehen, was ich meine, Mister Parker«, erwiderte der Hausherr und erhob sein Glas. »Zuerst wollen wir aber einen Schluck trinken.«
»Eine gute Idee, Mister Billphone«, pflichtete Agatha Simpson dem »Commander« bei und schob ihm ihr leeres Glas hinüber.
»Verzeihen Sie meine Unaufmerksamkeit, Mylady«, entschuldigte sich Millstone. »Ich dachte, ich hätte schon eingeschenkt.«
»Sie machen einen etwas zerstreuten Eindruck, junger Mann«, stellte die Detektivin fest. »Meditation oder autogenes Training würden Ihnen bestimmt guttun.«
»Ja, vielleicht«, erwiderte Millstone verwirrt und schenkte kopfschüttelnd in Myladys Glas.
»Unsere wichtigste Aufgabe sehen wir darin, junge Arbeitslose von der Straße zu holen«, begann er dann seine Erläuterungen.
»Man bittet um Nachsicht, Mister Millstone«, unterbrach Parker. »Wären Sie so freundlich, Mylady näher zu erläutern, wen Sie mit ›wir‹ zu meinen geruhen?«
»Wir – das sind die Mitglieder mehrerer Sportclubs, die sich alle einen schwarzen Stier als Symbol von Stärke und Selbstvertrauen zum Wappentier gewählt haben«, gab der Mann nach kurzem Zögern Auskunft. »Darüber hinaus verfügen wir über eine Reihe fördernder Mitglieder, die unsere patriotischen Ziele unterstützen und überwiegend in Kreisen des britischen Hochadels zu finden sind.«
»Bemerkenswert«, reagierte Mylady, und diesmal wußte selbst der Butler nicht, ob sie den Kognak oder Millstones Ausführungen meinte.
Der Gastgeber schien das Lob wiederum auf sich zu beziehen und fühlte sich zu weiteren Erklärungen ermuntert. Seine anfängliche Nervosität wich einer jovialen Redseligkeit, die schon fast vertraulich wirkte.
»Dabei brauchte es gar keine Arbeitslosigkeit zu geben, wenn unser ›Merry Old England‹ nicht von Ausländern überschwemmt wäre, die unserer Jugend die Arbeitsplätze wegnehmen und ihren Leistungswillen aushöhlen«, plauderte er unbekümmert weiter.
»Das ist eine Ansicht, die ich schon lange vertrete, Mister Billphone«, nickte Agatha Simpson und schob dem Hausherrn mit gewinnendem Lächeln ihr leeres Glas hin.
»Leider trifft man heutzutage nur noch wenige Menschen, die über ein derartiges Maß an gesellschaftlicher Einsicht verfügen, Mylady«, schmeichelte Millstone, der zusehends Oberwasser bekam. »Insofern könnte man es eine glückliche Fügung des Zufalls nennen, daß wir uns kennengelernt haben.«
»Meiner Wenigkeit liegt es fern, Mister Millstone, die von Ihnen erwähnten Probleme gesellschaftspolitischer Art wegzudiskutieren«, meldete Parker sich zu Wort. »Da es bisher jedoch an überzeugenden Lösungsvorschlägen fehlt, wäre man dankbar für einen Hinweis, welche Rezepte Sie anzubieten haben.«
Besonders gelegen schien Millstone diese Frage nicht zu kommen. Er bedachte den Butler mit argwöhnischem Blick, ehe er sich zur Antwort bequemte.
»Wir wollen den jungen Leuten wieder eine Perspektive geben und sie motivieren, aus eigener Kraft den Platz in der Gesellschaft einzunehmen, der ihnen zusteht«, erklärte der »Commander«.
»Eine Absicht, die man nur als ehrenwert und verdienstvoll bezeichnen kann«, erwiderte Parker. »Darf man im übrigen die höfliche Frage anschließen, welche Rolle kriegsmäßige Bewaffnung und paramilitärische Geländeübungen im Konzept der ›Schwarzen Stiere‹ spielen?«
Die steile Falte auf Millstones Stirn vertiefte sich kaum merklich. Hilfesuchend sah er zu Lady Agatha hinüber, doch die ältere Dame dachte nicht daran, die aufmüpfigen Fragen des Butlers zu unterbinden.
»Ein verantwortungsbewußter Patriot sollte im Fall einer akuten Bedrohung für sein Vaterland und seine Ideale eintreten können«, erklärte der Hausherr. »Aber seien Sie unbesorgt! Die Gewehre, mit denen wir die Männer ausgerüstet haben, sind ungeladen und deshalb genauso harmlos wie eine Attrappe. Die ›Schwarzen Stiere‹ sind vaterländisch gesonnene Briten, keine roten Revoluzzer.«
»Sehr beruhigend«, kommentierte Mylady und meinte damit den Kognak.
Millstone jedoch bezog die Äußerung wiederum auf seine abenteuerlichen politischen Vorstellungen und fühlte sich deshalb ermuntert, endlich zur Sache zu kommen.
»Natürlich erfordert die Aufgabe, die wir uns gestellt haben, neben Idealismus auch immense finanzielle Mittel«, schickte er voraus.
»Das erwähnen Sie sicher nicht ohne Grund, Mister Killbone«, mutmaßte die Detektivin, deren Sparsamkeit ebenso sprichwörtlich war wie ihr Reichtum.
»Natürlich nicht, Mylady«, entgegnete der Gastgeber, der den mißtrauischen Unterton anscheinend überhört hatte. »Wer sich so aufgeschlossen für unsere Ziele zeigt, ist bestimmet auch bereit, uns konkret zu unterstützen«.
»Wie meinen Sie das, Mister Killbone?« Der Argwohn in Myladys Stimme wurde überdeutlich.
»Nun... äh…« Millstone wirkte leicht verunsichert, sah aber trotzdem keinen Grund, den eingeschlagenen Weg nicht zu Ende zu gehen.
»Ich dachte an eine Spende, die Ihren finanziellen Möglichkeiten entspricht, Mylady« sagte er. »Sie befänden sich damit in bester Gesellschaft, mit anderen Angehörigen des Adels, denen wir eine großzügige Förderung verdanken.«
»Eine Spende?« wiederholte die sparsame Dame grollend.
»Selbstverständlich können wir Ihnen auch eine Bescheinigung für das Finanzamt ausstellen, falls Sie es wünschen«, schob Millstone eilig nach.
»Das ist ja wirklich die Höhe!« schien Mylady empört. »Sie wollen junge Leute an die Arbeit bringen und wagen es, eine mittellose Witwe schamlos auszubeuten?«
»Aber Mylady!« setzte der Hausherr zu einer Rechtfertigung an.
»Papperlapapp«, fuhr die resolute Dame dazwischen. »Vom ersten Moment an habe ich Sie durchschaut. Und so etwas will Vorbild für die britische Jugend sein.«
Ächzend wuchtete Agatha Simpson ihre Fülle aus dem Sessel und steuerte zum Ausgang. »Mister Parker, ich habe hier nichts mehr zu suchen.«
Eric Millstone sah seine Felle davonschwimmen. Der Zeitpunkt, die Maske des patriotischen Biedermannes fallenzulassen, war gekommen.
»Halt!« brüllte er, sprang auf und eilte zur Tür, um seiner Besucherin den Weg zu verstellen. Sein Pech war, daß er nicht mit Parkers Reaktion gerechnet hatte.
*
Mit ruckartiger Bewegung ließ der Butler den schwarzen Universal-Regenschirm vom angewinkelten Unterarm in die Höhe schnellen. Sekunden später hielt er die Spitze in der schwarz behandschuhten Rechten, und der Bambusgriff beschrieb einen flachen Halbkreis über dem Boden.
Eric Millstone stieß einen völlig unpatriotischen Schrei aus, als die Krücke sich unversehens um seine Fußgelenke ringelte. Umgehend breitete er die Arme aus und schickte sich an, seine Fähigkeiten im Gleitflug zu erproben.
Der Auftrieb, den er durch heftiges Rudern zu erzeugen versuchte, reichte jedoch bei weitem nicht, um der Schwerkraft Paroli zu bieten. Die Folge war, daß der »Commander« die Luftreise im Versuchsstadium abbrach und mit einer harten Landung auf den Fliesenboden aufsetzte. Nur seiner fülligen Statur hatte der bedauernswerte Bruchpilot es zu verdanken, daß die Rückkehr zur Mutter Erde glimpflich abging.
Mit einer Gewandtheit, die jahrelanges Training verriet, rollte sich der Hausherr auf die Seite und faßte blitzschnell in seinen Jackenausschnitt.
Parker, der mit dieser Zuspitzung der Lage gerechnet hatte, war jedoch auf dem Posten und vereitelte die ungastlichen Absichten ebenso gelassen wie wirkungsvoll.
Millstone heulte wie ein liebestoller Wolf bei Vollmond, als er den eindeutig unangenehmen Druck von Parkers schwarzem Lacklederschuh auf seinem Handgelenk verspürte. Bereitwillig spreizte er die Finger und ließ den kurzläufigen Revolver fallen.
Daß die Waffe des »Commanders« im Gegensatz zu den Gewehren seiner Untergebenen geladen war – davon mußte sich der Butler nicht erst überzeugen. Seelenruhig steckte er das stählerne Mordgerät zu sich und gab anschließend die Hand des Hausherrn wieder frei.
»Im Umgang mit Feuerwaffen sollte man sich die größte Zurückhaltung auferlegen, falls die Anmerkung gestattet ist, Mister Millstone«, sagte Parker in seiner höflichen Art. »Sie sind keinesfalls geeignet, eine kultivierte Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Im übrigen erlaubt man sich, noch einen möglichst angenehmen Tag zu wünschen.«
»Geschieht dem Schurken recht«, bemerkte Lady Agatha mit verächtlichem Blick auf den lebhaft wimmernden »Commander«, der sich am Boden wand und sein schmerzendes Handgelenk massierte. »Erst bettelte er mich an, und dann will er mich auch noch überfallen und berauben. Ein schöner Sportclub ist das!«
Selbstbewußt nahm die Lady Kurs auf das im Hof geparkte hochbeinige Monstrum. Doch plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen und lauschte.
»Was ist das für ein merkwürdiges Geräusch, Mister Parker?« wollte die ältere Dame wissen. »Es hört sich an, wie bei den Fußballübertragungen im Fernsehen.«
»Falls man nicht sehr irrt, dürfte es sich um Mister Millstone handeln, der mittels einer Trillerpfeife seine Mannschaften alarmiert«, gab der Butler Auskunft und hielt seiner Herrin den Wagenschlag auf.
Schon hörte man im Innern der Gebäude Türen klappen. Eilige Schritte hallten durch lange Gänge.
Als Parker einsteigen wollte, stürmte der erste »Schwarze Stier« schon über den Hof. Ein zweiter folgte ihm auf dem Fuß.
Ohne ein Zeichen von Hast drehte der Butler sich auf dem Absatz um und hielt sein altväterlich gebundenes Regendach dem Angreifer entgegen.
Der temperamentvoll nahende »Stier« schien das Hindernis überhaupt nicht zu bemerken. Das änderte sich abrupt, als die bleigefüllte Spitze neugierig seinen Solarplexus betastete.
Unter Geräuschen, die an eine altersschwache Dampflok erinnerten, gab der Mann schlagartig die Atemluft von sich. Röchelnd knickte er in der Hüfte ein und legte ein paar Sambaschritte aufs Pflaster.
Dabei kam der ungeübte Tänzer jedoch seinem Kollegen ins Gehege, der auf diese Einlage in keiner Weise vorbereitet war und nun Schwierigkeiten mit dem Bremsweg hatte. Der Laut, den der zweite »Stier« beim Aufprall auf den ersten produzierte, hatte nur noch entfernte Ähnlichkeit mit einer menschlichen Äußerung.
Da in diesem Moment fast gleichzeitig drei Türen aufflogen, aus denen die »Schwarzen Stiere« nur so herausquollen, zog Parker es vor, sich ans Lenkrad zu begeben und den Motor zu starten.
Gelassen legte er den ersten Gang ein und ließ das ehemalige Taxi anrollen, da waren die spurtstärksten »Stiere« schon heran. Im Laufen versuchten sie, auf die hintere Stoßstange zu springen, doch dabei zeigte sich, daß der schwarze Kasten nicht annähernd so bieder war, wie er für Uneingeweihte wirkte.
Kenner nannten das Fahrzeug ohnehin ein »Trickkiste auf Rädern« und spielten damit auf die zahllosen Überraschungen an, die das hochbeinige Monstrum bereithielt.
Seit Parker das schwerfällig wirkende Vehikel erstanden und nach seinen Vorstellungen umgebaut hatte, verfügte es zum Beispiel über ein Zusatztriebwerk unter der eckigen Haube, über schußsichere Panzerung und über eine Reihe von Vorrichtungen, die der Abwehr von Verfolgern dienten.
Ein Auge nach vorn, das andere auf den Rückspiegel gerichtet, legte der Butler einen der vielen Kipphebel am Armaturenbrett um, deren Funktion nur ihm selbst bekannt war. Postwendend hüllte eine fettige, pechschwarze Rußwolke das Heck seines Privatwagens ein.
Der Angriffswille der wütenden »Stiere« erhielt durch die undurchsichtige Überraschung einen merklichen Dämpfer. Taumelnd rieben sie sich die rußverschmierten Augen und wurden zusätzlich von krampfartigen Hustenanfällen geschüttelt.
Fluchend ließen Millstones Männer von der Verfolgung ab. Ein paar Geistesgegenwärtige schrien dem Brückenwärter noch zu, er solle gefälligst »dichtmachen«. Doch dafür war es schon zu spät.
Mit einem Hechtsprung brachte sich der Brückenwärter in Sicherheit, als das schwarze Gefährt durch den Torbogen schoß. Als der Mann endlich den schweren Elektromotor in Gang setzte, donnerte der altertümliche Kasten schon über die Bohlen der Zugbrücke.
Die Winde arbeitete schnell, aber nicht schnell genug.
»Hoppla!« entfuhr es Mylady, als der Wagen auf dem Festland aufsetzte.
*
»Was halte ich von diesen ›Schwarzen Ochsen‹, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame, als Oakhill Manor hinter einer Straßenbiegung verschwunden war.
»Darf man vermuten, daß Mylady die ›Schwarzen Stiere‹ zu meinen belieben?« vergewisserte sich der Butler.
»Seien Sie doch nicht immer so kleinlich, Mister Parker«, beschwerte sich die ältere Dame. »Wo liegt denn da der Unterschied?«
Sie gab Parker jedoch keine Gelegenheit, den kleinen Unterschied zu erläutern, sondern redete ungebremst weiter, wobei sie den verbliebenen Inhalt des Picknickkorbes einer eingehenden Inspektion unterzog.
»Mister Killbone sollte seinen Männern eine Mindestmaß an Umgangsformen beibringen, wenn er sie zu anständigen Staatsbürgern erziehen will«, meinte die passionierte Detektivin. »Aber wie soll das klappen, wenn sein eigenes Benehmen zur Mißbilligung Anlaß gibt?«
»Mylady gehen davon aus, daß Mister Millstone die Absicht hat, aus den Schwarzen Stieren‹ anständige Staatsbürger zu machen, wie Mylady sich auszudrücken geruhten?« wollte der Butler wissen.
»Eigentlich nicht«, räumte die ältere Dame nachdenklich ein. »Aber warum sonst sollte er diesen ganzen Firlefanz veranstalten?«
»Meine Wenigkeit bedauert, momentan keine schlüssige Antwort auf Myladys Frage geben zu können«, erwiderte Parker. »Dennoch dürften Mylady zweifellos der Annahme zuneigen, daß Mister Millstone seine ehrenhaften Absichten nur vortäuscht, um andere, möglicherweise weniger ehrenhafte, zu verschleiern.«
»Natürlich, Mister Parker«, nickte Agatha Simpson. »Solche Zusammenhänge bleiben einer Kriminalistin nie verborgen.«
»Darf man vermuten, daß Mylady bereits einen konkreten Verdacht hegen?«
»Verdacht ist stark untertrieben, Mister Parker. Für mich steht unumstößlich fest, daß dieser Billphone ein gerissener Betrüger ist.«
»Eine Mitteilung, die man nicht ohne Überraschung zur Kenntnis nimmt, Mylady.«
»Ihnen fehlen Talent und Erfahrung, auf die ich zurückgreifen kann, Mister Parker. Die Sache liegt doch sonnenklar auf der Hand. Pillbone erschwindelt sich Spenden, indem er hilfsbereiten Menschen das Märchen von der Betreuung der Arbeitslosen auftischt.«
»Eine Möglichkeit, die man keinesfalls von vornherein ausschließen sollte, Mylady. Gegebenenfalls ist jedoch der Hinweis gestattet, daß Delikte der genannten Art nicht unbedingt den Aufbau einer Privatarmee erfordert.«
»In seinen bescheidenen Grenzen ist der Lümmel eben doch schlau, Mister Parker. Er will was zum Vorzeigen haben, falls ein Spender mißtrauisch wird.«
»Myladys kühne Theorien erfüllen meine bescheidene Wenigkeit immer wieder mit tiefer Bewunderung.«
»Ihre Bewunderung spricht für Sie, Mister Parker«, gab die passionierte Detektivin geschmeichelt zurück. »Das zeigt, daß Sie die Kühnheit meiner Gedanken begreifen.«
»Man ist immer bestrebt, Myladys leuchtendem Vorbild nach Kräften nachzueifern. Darf man in diesem Zusammenhang die Frage anschließen, wie Mylady weiter gegen Mister Millstone und die ›Schwarzen Stiere‹ vorzugehen gedenken?«
»Das ist kein Fall für mich, Mister Parker. Ich habe Wichtigeres zu tun, als einem kleinen Spendenbetrüger nachzulaufen.«
»Mylady haben nicht die Absicht, Ermittlungen aufzunehmen?«
»Um diesen Kleinkram soll sich die Polizei kümmern. Ich werde mich nur größeren Herausforderungen stellen, Mister Parker. Nach dem Denkzettel werden die ›Schwarzen Ochsen‹ mich ohnehin in Ruhe lassen.«
»Myladys Äußerungen haben ihr Für und Wider. Dennoch sieht man sich bedauerlicherweise genötigt, auf einen kleinen, aber nicht ganz belanglosen Irrtum hinzu weisen.«
»Unmöglich, Mister Parker!« protestierte die Detektivin. »Oder werde ich etwa verfolgt?«
»Nichts anderes gedachte meine Wenigkeit anzudeuten, Mylady.«
»Ich habe die Lümmel natürlich längst bemerkt, Mister Parker«, behauptete die ältere Dame umgehend. »Ich wollte nur prüfen, ob Sie auch wachsam sind.«
»Mylady wünschen konkrete Anordnungen hinsichtlich der Verfolger zu treffen?«
»Machen Sie es kurz, Mister Parker. Ich will mich mit diesem Gesindel nicht länger aufhalten als nötig.«
»Wie Mylady meinen.«
Ein Blick in den Rückspiegel zeigte, daß die Verfolger inzwischen bis auf wenige Wagenlängen aufgeholt hatten. Zwei Männer saßen in dem nicht mehr ganz taufrischen Ford, dessen hellblaue Farbe von Rostflecken übersät war, die aus der Entfernung wie Sommersprossen wirkten.
Mit verbissener Miene holte der Mann hinter dem Lenkrad aus der offensichtlich frisierten Maschine heraus, was drinsteckte. Gegen Parker, der in diesem Augenblick das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat und damit das Renntriebwerk zuschaltete, hatte der »Stier« jedoch nicht den Hauch einer Chance.
Fluchend mußte der Fordlenker zur Kenntnis nehmen, wie das behäbig wirkende Gefährt regelrecht nach vorn katapultiert wurde. Der Abstand zwischen den Fahrzeugen vergrößerte sich rasch.
Wenig später schöpfte der Verfolger wieder Hoffnung, da der Butler unvermittelt Gas wegnahm und die hellblaue Limousine aufschließen ließ. Doch die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Im nächsten Moment jagte der schwarze Kasten erneut davon wie ein leichtfüßiger Hirsch.
Verzweifelte Wut packte den »Schwarzen Stier«, der daraufhin die Gebote der Vorsicht außer acht ließ. Als der Mann in einer scharfen Kurve mit Entsetzen merkte, daß die Räder seines Fahrzeugs plötzlich dem Lenkrad den Gehorsam verweigerte, war es für gute Vorsätze zu spät.
*
»Ihr glaubt gar nicht, Kinder, wie herrlich das gespritzt hat, als der Wagen in dem Tümpel auf der Kuhweide landete«, äußerte Lady Simpson knapp vierundzwanzig Stunden später. »Und wie die Ochsen Hals über Kopf vor den Kühen geflüchtet sind! Es war wirklich hübsch, was ich mir da wieder ausgedacht habe. Ihr hättet es erleben müssen.«
Man saß beim Tee in der Nachmittagssonne auf der Terrasse von Myladys Villa in Richmond. Als Gäste und Zuhörer hatten sich Anwalt Mike Rander und dessen ständige Begleiterin, die attraktive Kathy Porter, eingefunden.
Der rund vierzigjährige Anwalt, dessen sportliche Erscheinung an einen prominenten James-Bond-Darsteller erinnerte, hatte mit Parker etliche Jahre in den Staaten verbracht. Es war eine turbulente Zeit gewesen, in der die Männer aufsehenerregende Fälle lösten.
Als der Butler nach London zurückkehrte und in Lady Agathas Dienste trat, war auch Rander bald gefolgt und hatte an der Curzon Street eine Kanzlei eröffnet. Inzwischen bestand seine Hauptaufgabe jedoch darin, das schwer zu beziffernde Vermögen der älteren Dame zu verwalten.
Im Hause Simpson, wo Parker ihn eingeführt hatte, war der Anwalt auch zum ersten Mal der knapp dreißigjährigen Kathy Porter begegnet, die für Mylady als Gesellschafterin und Sekretärin tätig war. Beide hatten auch privat Gefallen aneinander gefunden, aber Myladys Traum, die »Kinder«, wie sie die beiden nannte, vor dem Traualtar zu sehen, wollte und wollte sich nicht erfüllen.
Kathy Porter war eine zierliche Person, die sich aber blitzschnell in eine Pantherkatze verwandeln konnte, wenn aufdringliche Ganoven ihr zu nahe kamen. Leicht mandelförmig geschnittene Augen und dunkle Haare mit einem Kastanienschimmer verliehen der jungen Dame eurasisches Flair.
»Wirklich schade, daß wir nicht dabei waren, Mylady«, meinte die attraktive Kathy. »Mir steht schon länger der Sinn nach etwas Abwechslung. Und Mike geht es genauso, glaube ich.«
»Stimmt«, bestätigte der Anwalt und wandte sich an Parker, der Sachertorte, knuspriges Blätterteiggebäck und rotgoldenen Darjeelingtee servierte.
»Wie haben Sie die Burschen denn überredet, die Straße zu verlassen und in den Tümpel zu fahren?« wollte er wissen. »Wahrscheinlich mußten sie mit dem Krähenfußstreuer ein bißchen nachhelfen?«
»Keineswegs und mitnichten, Sir«, gab der Butler zur Antwort. »Meine Wenigkeit hielt es jedoch für angebracht, aus den Düsen am Heck einige Liter flüssige Seife auf die Fahrbahn zu sprühen.«
»Das ist manchmal allerdings noch wirkungsvoller als Krähenfüße«, schmunzelte Rander. »Die Jungs werden sich ganz schön gewundert haben über das plötzliche Glatteis mitten im Sommer.«
»Jedenfalls wagen es die ›Schwarzen Ochsen‹ nicht noch mal, mich zu belästigen«, schaltete die Hausherrin sich ein. »Die Lümmel haben eingesehen, daß sie gegen mich keine Chance besitzen.«
Daß die »Schwarzen Stiere« längst nicht so einsichtig waren, wie die passionierte Detektivin glaubte, stellte sich schon Minuten später heraus ...
»Was ist das?« fragte Mike Rander unvermittelt. Auch Kathy Porter ließ ihre Teetasse sinken und spitzte die Ohren.
Ein zorniges Brummen wie von einem großen Insekt durchbrach die nachmittägliche Stille und kam rasch näher. Im nächsten Moment tauchte ein kleines Modellflugzeug über den Baumwipfeln des Parks auf, zog eine elegante Schleife und nahm anschließend Kurs auf die Terrasse.
*
Mylady und ihre Gäste folgten wie gebannt dem Flug der kleinen Maschine. Parker setzte rasch die Teekanne auf den Beistelltisch und zog seine Gabelschleuder aus der rechten Außentasche des schwarzen Zweireihers.
Dabei handelte es sich im Prinzip um dasselbe Gerät, mit dem Lausbuben verbotene Jagd auf Vögel machten. Die Sonderanfertigung, die der Butler benutzte, verfügte jedoch über eine Gabel aus speziell gehärtetem Edelstahl und extra starken Gummisträngen, die nur Parker spannen konnte. Natürlich war diese Zwille den aus einer Astgabel und Weckgummis gebastelten Standardmodellen an Reichweite und Treffsicherheit haushoch überlegen.
Sorgfältig plazierte der Butler eine hartgebrannte Tonmurmel in der Lederschlaufe, strammte die Gummistränge und visierte kurz das fliegende Ziel an. Sekundenbruchteile später glitt das kleine Geschoß davon und flog dem störenden Brummer entgegen.
Inzwischen war das Flugmodell so nahe gekommen, daß die Teerunde eilig die Plätze verließ und hinter den Pfeilern des Balkons in Deckung ging.
Die Maschine, die den britischen Spitfire-Jägern des Zweiten Weltkriegs nachgebaut war, änderte jedoch abrupt ihren Kurs, als die tönerne Kugel die rechte Tragfläche durchschlug.
Ziellos trudelte das Miniaturflugzeug durch den Park, zeigte noch einen gewagten Looping und bohrte sich anschließend mit der Propellernase in den Stamm einer mächtigen Ulme.
Im selben Moment ließ ein ohrenbetäubender Knall die Fensterscheiben des Hauses klirren. Ein Feuerball verschlang die kleine Maschine. Splitter und Trümmer regneten in hundert Schritten Umkreis auf den gepflegten Rasen.
»Erstaunlich, wieviel Treibstoff diese kleinen Modelle an Bord haben«, kommentierte Mike Rander die Detonation. »Das ist ja regelrecht gefährlich.«
»Durch den Treibstoffvorrat allein dürfte die Stärke der Explosion wohl kaum zu erklären sein, Sir«, entgegnete Parker. »Vielmehr sollte man davon ausgehen, daß es sich um einen gezielten Anschlag handelte, der Mylady und meiner Wenigkeit galt.«
»Sie meinen, daß es sich um einen fliegenden Sprengkörper handelte, Parker?« vergewisserte sich der Anwalt.
»In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler. »Falls man nicht sehr irrt, dürfte die Propellernase des Modells als Aufschlagzünder gedient haben.«
Inzwischen war auch Kathy Porter näher gekommen und begutachtete die qualmenden Reste des kleinen Modells. »Glauben Sie denn, daß die ›Schwarzen Stiere‹ hinter dem Anschlag stecken, Mister Parker?« wollte die junge Dame wissen.
»Eine Vermutung, die sich auch meiner Wenigkeit aufdrängt, Miß Porter«, antwortete Parker. »Allerdings erfordert der Bau eines derartigen Fluggerätes technische Fähigkeiten und Einrichtungen, über die Mister Eric Millstone wohl kaum verfügen dürfte, sofern der Hinweis erlaubt ist.«
»Unerhört!« dröhnte in diesem Augenblick Myladys baritonal gefärbtes Organ durch den Park. »Nicht genug, daß die Modellflieger ständig meine Wochenendruhe stören – jetzt verwüsten sie auch noch meinen Garten.«
»Wie – kommt so etwas denn häufiger vor?« fragte Rander überrascht.
»In etwa einer Meile Entfernung befindet sich ein Gelände, das von einem Modellfliegerclub als Start- und Landeplatz genutzt wird, Sir«, gab der Butler Auskunft. »Belästigungen durch Lärm sind leider nicht ganz auszuschließen. Von Zwischenfällen, wie Sie sie soeben erlebt haben, Sir, blieb man allerdings bislang verschont.«
»Können die Lümmel denn nicht auf ihre Flugzeuge aufpassen?« grollte die Detektivin und wollte wieder an den Teetisch zurückkehren. »Erinnern Sie mich daran, daß ich dem Vorstand des Clubs eine Beschwerde schicke, Mister Parker.«
»Wie Mylady zu wünschen belieben«, erwiderte der Butler mit einer höflichen Verbeugung.
»Außerdem bestehe ich natürlich auf Schadenersatz und Schmerzensgeld«, setzte Lady Agatha rasch hinzu.
»Mylady neigen der Annahme zu, daß das Flugmodell sich zufällig in Myladys Park verirrte?«
»Selbstverständlich, Mister Parker, Ihre Theorie von einem gezielten Anschlag ist zwar phantasievoll, aber völlig abwegig«, urteilte die Hausherrin. »Wer sollte denn auf diese makabre Weise versuchen, mich aus dem Weg zu räumen?«
Die Frage blieb – vorerst – unbeantwortet, denn in diesem Moment befand sich schon das nächste »Spitfire«-Modell im Anflug auf die Terrasse.
Kaum waren Mylady und ihre Gäste erneut hinter den schützenden Balkonpfeilern in Deckung gegangen, nahm die kleine Maschine im Tiefflug Kurs auf den Teetisch. Sekundenbruchteile später knallte das Modell gegen die schwere Porzellankanne.
Unter Krachen und Blitzen flogen Tassen und Kuchen nach allen Seiten. Augenblicklich ging die Tischdecke in Flammen auf. Als Parker mit dem Handfeuerlöscher zur Stelle war, hatte sich der sorgfältig gedeckte Tisch schon in ein verkohltes Chaos verwandelt.
»Jetzt ist das Maß aber voll!« empörte sich Lady Agatha, während die Qualmschwaden sich verzogen. »Fahren Sie auf der Stelle zum Modellflugplatz und sorgen Sie dafür, daß dieser Unsinn aufhört, Mister Parker!«
»Myladys Wunsch kommt einer entsprechenden Anregung meiner bescheidenen Wenigkeit zuvor«, sagte der Butler und wandte sich zum Gehen.
»Moment, Parker, ich komme mit«, ließ der Anwalt sich vernehmen. »Oder spricht etwas dagegen?«
»Keineswegs und mitnichten, Sir«, versicherte Parker. »Man empfindet es als Auszeichnung, von Ihnen begleitet zu werden.«
Zügig schritten die Männer durch das Haus zum Hinterausgang, wo des Butlers hochbeiniges Monstrum parkte.
»Warum fahren sie denn nicht den üblichen Weg?« wollte Rander wissen, als Parker sein eckiges Gefährt nicht über die Hauptzufahrt zur Straße lenkte, sondern einen kiesbestreuten Fahrweg einschlug, der tiefer in den weitläufigen Park führte.
»Es handelt sich lediglich um eine Art Vorsichtsmaßnahme, Sir«, beantwortete der Butler die Frage. »Vermutlich kann und muß man davon ausgehen, daß die Vorderfront des Hauses aus einer gewissen Distanz beobachtet wird. Anders dürfte der gezielte Einsatz der ferngelenkten Modelle kaum zu bewerkstelligen sein,«
»Wäre es dann nicht sinnvoller, den Mann zu suchen, der die fliegenden Sprengkörper per Funk dirigiert?« wandte der Anwalt ein.
»Eine solche Suche dürfte kaum Aussicht auf Erfolg haben, Sir«, gab Parker zu bedenken. »Andererseits dürfte einiges dafür sprechen, daß die Modelle auf dem Fluggelände gestartet wurden, wo die notwendigen Vorbereitungen nur geringe oder gar keine Aufmerksamkeit erregen.«
Daß diese Vermutung haargenau den Tatsachen entsprach, stellte sich schnell heraus, nachdem Butler Parker und Myladys Anwalt am Rand des Modellfluggeländes eingetroffen waren.
*
»Stimmt. Die Männer mit den Spitfires sind mir aufgefallen«, bestätigte ein junger Bursche, der gerade ein Segelflugmodell startklar machte, als Parker ihn ansprach. »Die Maschinen müssen eine Menge Geld gekostet haben. So etwas Perfektes habe ich selten gesehen.«
»Darf man vermuten, daß die erwähnten Herren inzwischen das Fluggelände verlassen haben?« fragte der Butler.
»Sie hatten Probleme mit der Funksteuerung«, berichtete sein Gegenüber. »Beide Modelle gerieten gleich nach dem Start außer Kontrolle. Daraufhin sind die Männer losgefahren, um die Spitfires zu suchen.«
»Kann und muß man Ihre Äußerungen so verstehen, daß die Genannten nicht zu den Mitgliedern Ihres Clubs zählen?« hakte Parker nach.
»Ich habe die beiden jedenfalls noch nie hier gesehen«, teilte der junge Mann mit. »Aber das Gelände ist ja öffentlich. Hier kann jeder sein Modell starten, der will.«
»Man erlaubt sich, weiterhin einen möglichst angenehmen Tag zu wünschen«, sagte der Butler und lüpfte die schwarze Melone, nachdem sein Gesprächspartner die Unbekannten und ihren Wagen, einen azurblauen Alfa Romeo, beschrieben hatte.
»Da sind wir leider ein paar Minuten zu spät gekommen, Parker«, meinte Mike Rander, als man wieder im hochbeinigen Monstrum Platz genommen hatte. »Aber vielleicht ergibt sich noch eine Gelegenheit, die Burschen kennenzulernen.«
»Womit man durchaus rechnen sollte, Sir«, pflichtete Parker ihm bei.
Wie schnell sich die Gelegenheit zum Kennenlernen ergab, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
»Da, der blaue Alfa!« rief der Anwalt unvermittelt, als die beiden Männer Lady Simpsons Anwesen fast wieder erreicht hatten.
Der Wagen, auf den die Beschreibung des jungen Modellfliegers zutraf, parkte in einer Seitenstraße. Er war leer, wie sich beim Näherkommen herausstellte.
Gemächlich ließ der Butler sein altertümlich wirkendes Vehikel auf der anderen Straßenseite ausrollen und nahm eine Tube Alleskleber aus dem Handschuhfach. Anschließend begab er sich in würdevoller Haltung zu dem Alfa Romeo und drückte kleine Portionen der glasklaren Flüssigkeit in alle Türschlösser.
Von den Insassen der temperamentvollen Limousine war weit und breit keine Spur zu entdecken.
»Ob die Burschen gerade unterwegs sind, um Mylady einen Besuch abzustatten?« überlegte Rander laut, als Parker zurückkehrte.
»Diese unerfreuliche Möglichkeit sollte man unbedingt in Betracht ziehen, Sir«, antwortete der Butler und gab wieder Gas.
Die Fahrt endete vor der rückwärtigen Grundstückszufahrt. Den Rest des Weges legten die Männer zu Fuß zurück.
Mannsdicke Baumstämme und düster wuchernde Rhododendronbüsche gewährten ausreichende Deckung, während das Paar sich im Bogen der Rückfront der Villa näherte. Schon tauchten hinter grünem Blattwerk die Umrisse des Gebäudes auf.
»Darf man sich erlauben, den Weg über den seitlichen Anbau zu empfehlen, Sir?« flüsterte Parker, als der Anwalt zum Hintereingang steuern wollte.
Das flache Dach des eingeschossigen Seitenflügels, auf den der Butler deutete, war von der Parkseite her über eine Treppe zu erreichen. Von dort gelangte man mit wenigen Schritten auf den vorderen Balkon, der einen Teil der Terrasse überspannte.
Schon am Fuß der Treppe war ein Gewirr wütender Stimmen zu vernehmen, das aus dem Haus nach draußen drang. Das unbeherrschte Gebrüll zweier Männer wurde übertönt von Lady Agathas baritonal gefärbtem Organ. Worum es bei dem heftigen Wortwechsel ging, war jedoch nicht zu verstehen. Oben angekommen, beugte der Butler sich über die Balkonbrüstung und sah auf die verwüstete Terrasse hinab. Unten war kein Mensch zu sehen, doch Parker, der sich nicht nur auf seine Augen, sondern auch auf sein präzises Gehör verließ, entgingen die leise knirschenden Schritte nicht, die langsam unter dem Balkon hin und her wanderten. Mit wortloser Geste machte er Mike Rander auf den Wachposten aufmerksam. Den Männern, die früher ein eingeschworenes Team gebildet hatten und auch nach der Rückkehr aus den USA regelmäßig zusammenarbeiteten, genügten stumme Blicke, um sich über das weitere Vorgehen zu verständigen.
Mit beiden Händen, die in schwarzen Lederhandschuhen steckten, faßte der Butler einen der schwergewichtigen Geranientöpfe auf der breiten Brüstung. Gleichzeitig versuchte sich der Anwalt als Tierstimmen-Imitator und produzierte ein klägliches Miauen, das jedem Tierfreund sofort ans Herz gegangen wäre.
Der Unbekannte, der unten Wache schob, während im Inneren das Wortgefecht tobte, schien keine ausgeprägte Zuneigung zu Katzen zu haben. Als das jämmerliche Mauzen aber kein Ende nehmen wollte, wurde seine Neugier doch geweckt.
Mit gemächlichen Schritten schlenderte der Mann auf die Terrasse hinaus und blickte zum Balkon hoch, wo er das klagende Tier vermutete. Als ihm schlagartig klar wurde, daß er einen Fehler begangen hatte, war es zum Ausweichen bereits zu spät.
*
Der Fremde bekam kein Wort mehr heraus, sondern ließ lediglich ein dumpfes Röcheln hören, als der Geranientopf auf seiner Schädeldecke landete. Gleichzeitig warf er die Arme in die Luft. Die superschallgedämpfte Automatic, die er in der Rechten gehalten hatte, flog in hohem Bogen in ein Blumenbeet.
Anschließend torkelte der überrumpelte Wächter noch ein paar Schritte weiter. Schwankend knickte er dann in den Knien ein und streckte sich auf den Marmorfliesen zu einem Nickerchen aus.
Augenblicke später durchschritten Parker und Rander eine Glastür und nahmen die Treppe zum Untergeschoß. Auf leisen Sohlen glitten sie durch den Flur und näherten sich der verschlossenen Tür zum Frühstückssalon. Immer deutlicher drang das Stimmengewirr an ihre Ohren.
»Wenn ihr nicht endlich ausspuckt, wohin die beiden Kerle verduftet sind, mach’ ich euch kalt!« war eine wutgeladene Männerstimme zu vernehmen. »Ich trag’ die Kugelspritze nicht zum Vergnügen mit mir rum,«
»Ich erwarte, daß Sie endlich das komische Ding da wegstecken, sich für Ihr ungebührliches Eindringen entschuldigen und Auskunft geben, wer Sie geschickt hat«, dröhnte Myladys Bariton unbeeindruckt dagegen. »Wenn mein Geduldsfaden erst mal reißt, wird es ausgesprochen ungemütlich für Sie, meine Herren.«
»Was meine Wenigkeit nur mit dem allergrößten Nachdruck unterstreichen kann«, sagte Parker und trat mit schnellem Schritt in den Raum.
Wie elektrisiert fuhren die beiden Gangster, die mit dem Rücken zur Tür gestanden hatten, auf dem Absatz herum. Sie schienen fest entschlossen, ihre langläufigen Revolver sprechen zu lassen.
Gleichzeitig stießen die ungebetenen Besucher markerschütternde Jaultöne aus. Der eine, weil Parkers altväterlich gebundener Schirm mit der bleigefüllten Spitze auf seine Fingerknöchel getippt, der andere, weil Randers spitzer Schuh ihm die Waffe schwungvoll aus der geballten Faust gekickt hatte.
Agatha Simpson und Kathy Porter, die den Gangstern gegenüber auf dem Chippendalesofa gesessen hatten, erledigten den Rest.
Die resolute Dame schickte ihren perlenbestickten Pompadour auf die Reise. Der Mann, an dessen schon etwas kahlen Hinterkopf sich der lederne Beutel schmiegte, unterlag für Augenblicke dem Eindruck, ein Pferd hätte ihn getreten.
Verständlich war dieser Eindruck, wenn man an die Herkunft des schmiedeeisernen »Glücksbringers« denkt. Jedenfalls reagierte der Getroffene mit Unmutsäußerungen, die er allerdings nicht mehr klar artikulieren konnte.
Um der Situation eine heitere Note zu geben, entschloß er sich zu einer Pirouette, scheiterte jedoch nach der ersten Umdrehung an dem ehrgeizigen Versuch. Röchelnd ging der offenbar nicht schwindelfreie Tänzer zu Boden und entschied sich für einen kostbaren chinesischen Läufer als Ruhestatt.
Seinem Komplizen erging es nicht besser.
Wie eine angreifende Raubkatze schnellte Kathy Porter aus dem Sitz und flog auf den Gangster zu, der ihr ahnungslos den Rücken zudrehte, weil seine Aufmerksamkeit von Mike Rander beansprucht wurde.
Der Mann produzierte einen dumpfen Schmerzlaut, als die angezogenen Knie der hübschen Kathy sich ebenso unerwartet wie nachdrücklich an seine Nieren drängten. Fast im selben Moment trafen ihn kurz nacheinander zwei Handkantenschläge, die dem Jammern abrupt ein Ende setzen.
Eilig suchte der Ganove innigen Kontakt zu seinem bereits schlummernden Begleiter. Friedliches Schnarchen ließ keinen Zweifel daran, daß er das Interesse an seiner Umgebung gründlich verloren hatte.
Agatha Simpson jedoch dachte nicht daran, ihm die Ruhepause zu gönnen, die er sich wünschte.
»Sorgen Sie dafür, daß mir die Lümmel kurzfristig für ein Verhör zur Verfügung stehen, Mister Parker«, sagte die ältere Dame mit triumphierendem Blitzen in den Augen. »Die sollen mich kennenlernen!«
»Die Umgangsformen der Herren fordern eine deutliche Mißbilligung geradezu heraus, wenn man es einmal so formulieren darf, Mylady«, bemerkte der Butler und zog ein Fläschchen mit Riechsalz aus der Tasche seines schwarzen Zweireihers.
»Diesen Rüpeln mußte ich einfach Nachhilfe in Benehmen erteilen«, entgegnete die Detektivin und verbuchte damit die Aktion wie selbstverständlich auf ihrem Konto.
»Was die sich einbilden!« grollte sie nach kurzem Luftholen. »Erst verwüsten sie meinen Park und setzen den Teetisch in Brand, dann stürmen sie hier herein und führen sich auf, als wären sie die Besitzer. Aber gegen eine Kriminalistin hatten diese Anfänger nicht die Spur einer Chance. Da konnten sie mit ihren Pistolen fuchteln, soviel sie wollten.«
»Mir war zeitweise aber nicht so ganz wohl, Mylady«, gab Kathy Porter zu bedenken. »Die Männer machten einen nervösen Eindruck. Das kleinste Mißverständnis hätte einen tödlichen Schuß auslösen können.«
»Sie irren, Kindchen«, warf sich Lady Agatha in die ohnehin imponierende Brust. »Die Bengel hatten nur Angst, weil sie meine Überlegenheit von Anfang an spürten.«
Kathy Porter ließ es dabei bewenden. Sie konnte es sich jedoch nicht versagen, Mike Rander einen amüsierten Blick zuzuwerfen.
*
Josuah Parker hatte die noch apathisch wirkenden Eindringlinge auf Stühlen plaziert und mit Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl an den Lehnen fixiert. Auch der dritte im Bund, den Mike Rander von der Terrasse hereingeschleift hatte, war dabei.
Lange konnten die Männer dem stechenden Geruch des Riechsalzes, das der Butler ihnen abwechselnd unter die Nase hielt, nicht widerstehen. Zögernd schlug einer nach dem anderen die Augen auf.
Alle drei hatten sichtliche Schwierigkeiten, sich in der veränderten Situation zurechtzufinden. Einer stöhnte und jammerte noch lauter als der andere, bis Agatha Simpson energisch Ruhe gebot.
»Sie können sich viele Unannehmlichkeiten ersparen, wenn Sie alle Fragen im folgenden Verhör wahrheitsgemäß und ohne Zögern beantworten«, setzte die passionierte Detektivin das plötzlich verstummte Trio ins Bild. »Zuerst wird Mister Parker Ihre Personalien aufnehmen.«
»Meine Wenigkeit ist bereit, Mylady«, meldete der Butler und zückte mit offizieller Geste einen Block und einen Kugelschreiber.
»Wird’s bald?« fuhr die erzürnte Lady den ersten Ganoven an.
»Jan Smith aus London«, antwortete der Mann, wie aus der Pistole geschossen.
»Jack Miller, auch aus London«, schloß der zweite sich an.
»Dick Buster, natürlich auch aus London«, knurrte der dritte und warf Agatha Simpson einen giftigen Blick zu.
»Wehe, wenn das gelogen ist«, grollte die Hausherrin. »Die weiteren Fragen wird Mister Parker stellen. Sie wissen ja, worauf es mir ankommt.«
»Mylady wünscht zu wissen, welchem Zweck Ihr nicht gerade formgerechter Besuch in diesem Haus dienen sollte«, wandte Parker sich an die Männer.
Keiner sah den Butler an. Keiner sagte ein Wort.
»Ich zähle jetzt bis drei«, kündigte Agatha Simpson mit einer Stimme an, die nichts Gutes verhieß. »Wenn ich dann nicht eine klare und wahre Antwort erhalte, haben Sie sich die Folgen selbst zuzuschreiben.«
In der Pose einer zürnenden Rachegöttin trat sie auf den mittleren der Männer zu und ließ den Pompadour vor seiner Nase kreisen.
»Eins ... zwei...«
»Halt, ich rede!« schrie der Auserwählte in heilloser Panik und atmete gleich danach erleichtert auf, weil die ältere Dame den sogenannten Glücksbringer sinken ließ.
»Bist du lebensmüde?« zischten seine Sitznachbarn.
»Laßt mich!« fauchte er zurück.
»Eins ... zwei...« begann die passionierte Detektivin einen zweiten Countdown.
»Wir wollten doch nur unsere Modelle abholen«, behauptete der Redewillige eilig mit Unschuldsmiene. »Die verdammten Dinger gerieten aus der Funkkontrolle und flogen uns weg.«
»Gelogen!« erwiderte Mylady und sorgte dafür, daß der Mann seine Lüge nicht wiederholen konnte.
Der Gangster stöhnte, als der Glücksbringer sich mit der Zärtlichkeit eines Nilpferdes an seine Schläfe schmiegte. Der Kopf pendelte ein paarmal von links nach rechts, dann verabschiedete sich sein Besitzer sich schon wieder aus dem Geschehen.
»So ergeht es jedem, der es wagt, einer Lady Simpson ins Gesicht zu lügen«, herrschte sie mit Stentorstimme die Flügelmänner des Trios an, die ängstlich die Köpfe einzogen und mit argwöhnischen Blicken den unternehmungslustig wippenden Pompadour verfolgten.
»Wir wollten wirklich nur die Modelle ...« beteuerte der linke Flügelmann.
»Unerhört!« grollte die ältere Dame und langte noch mal in ihrer beherzten Art zu.
Der letzte des Trios wußte nicht, wie ihm geschah, als Mylady ihn ungeschoren ließ, obwohl auch er behauptete, man hätte nur die Flugmodelle holen wollen.
»Setzen Sie das Verhör fort, Mister Parker!« verlangte Lady Simpson und ließ sich stöhnend auf das Chippendalesofa plumpsen. »Der Ärger über dieses verlogene Gesindel ist zuviel für meinen Kreislauf.«
»Ich hole Ihnen rasch etwas zu trinken«, bot Kathy Porter an und ging zur Tür.
»Aber kein Wasser, Kindchen«, rief die Hausherrin überflüssigerweise. Gleich darauf war die hübsche Kathy mit einer Flasche Kognak zurück und schenkte ein.
»Abgesehen von dem Zweck Ihres Besuches interessiert Mylady auch der Name des Auftraggebers, der Sie entsandte«, setzte Parker mit dem verbliebenen Gangster die Vernehmung fort.
»Auftraggeber?« wiederholte der Mann und schien verblüfft. »Was denn für ein Auftraggeber?«
»Mylady hat ausreichend Anhaltspunkte dafür, daß der Angriff Ihrer brisanten Flugmodelle kein Betriebsunfall, sondern ein gezielter Anschlag war, der zumindest der Einschüchterung dienen sollte«, wurde der Butler deutlicher. »Man wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn Sie mitteilen könnten, wer an einer solchen Einschüchterung Interesse hat.«
»Das sind doch alles Hirngespinste«, gab sein Gegenüber knurrig zurück. »Sie haben wohl zu viele Krimis gelesen.«
»Leider sieht man sich veranlaßt, Sie höflich, aber mit einem gewissen Nachdruck an den Ernst der Situation zu erinnern«, mahnte Parker. »Allzu leicht könnte Mylady sich veranlaßt fühlen, ihre derzeitige Zurückhaltung aufzugeben, falls der Hinweis gestattet ist.«
»Also gut«, brummte der Gangster mürrisch. »Wir sind alle drei Mitglieder eines Modellbauclubs und haben Spaß an unserem Hobby. Deshalb lassen wir unsere Modelle fliegen. Das mit dem Auftraggeber können Sie getrost vergessen.«
»In diesem Zusammenhang ist möglicherweise die Anmerkung gestattet, daß Sie und Ihre Begleiter den Mitgliedern des örtlichen Modellflugclubs nicht bekannt sind«, entgegnete der Butler kühl, aber dadurch ließ sich der Mann nicht aus dem Konzept bringen.
»Wir sind ja auch nicht aus dieser Gegend«, gab er mit trotzig vorgeschobenem Kinn zur Antwort. »Wir gehören einem Club im Osten der Stadt an und kommen nur manchmal nach Richmond.«
»Darf man gegebenenfalls hoffen, Namen und Anschrift des Clubs von Ihnen zu erfahren?« blieb Parker hartnäckig am Ball.
»Er heißt einfach Modellflugclub Wapping«, behauptete sein Gegenüber, ohne auch nur einen Moment zu überlegen. »Die Mitglieder treffen sich im Pub zum ›Roten Löwen‹ an der Prusom Street. Der Inhaber ist gleichzeitig Vorsitzender des Clubs.«
»Hat man richtig vernommen, daß Ihr Clublokal zum ›Roten Löwen‹ heißt?« vergewisserte sich der Butler.
»Ja, wieso?«
»Sollte das erwähnte Etablissement nicht eher zum ›Schwarzen Stier‹ heißen?« wollte Parker wissen.
Die plötzliche Röte, die über das Gesicht des Mannes huschte, war kaum zu bemerken, Dem Butler entging sie nicht.
»Keine Ahnung, wie Sie das meinen«, erwiderte sein Gegenüber achselzuckend und hatte sich schon wieder in der Gewalt. »Am besten fahren Sie mal hin und fragen nach dem Modellflugclub Wapping.«
»Eine Anregung, die man zweifellos zu gegebener Zeit aufgreifen wird, sofern Mylady keine Ein wände erhebt«, sagte Parker. »Darf man zum Abschluß noch den Namen des Club Vorsitzenden und Pubinhabers erbitten?«
»Das ist Hank Leads. Sie werden ihn schon finden.«
»Woran man nicht im mindesten zweifelt, Mister...?«
»Masters«, antwortete der Mann, der sich vor ein paar Minuten Jack Miller genannt hatte.
»Richtig, Mister Miller«, machte der Butler ihn gelassen auf das peinliche Versehen aufmerksam.
Miller-Masters jedoch schien die Panne nicht im geringsten zu stören.
»Dann sind ja alle Mißverständnisse aufgeklärt, und wir können endlich gehen«, meinte er forsch.
»Irrtum, junger Mann«, schaltete Lady Agatha sich mit schadenfrohem Grinsen ein. »Sie dürfen einstweilen den Vorzug genießen, sich als mein Gast zu fühlen. Mister Parker wird dafür sorgen, daß es Ihnen an nichts fehlt.«
»Aber wieso denn?« spielte Miller-Masters mit wenig Geschick den Ahnungslosen.
»Selbstverständlich muß ich Ihre Angaben erst überprüfen«, ließ die passionierte Detektivin ihn wissen. »Sollte sich heraussteilen, daß Sie gelogen haben, womit ich fest rechne, lernen Sie mich von meiner unangenehmsten Seite kennen.«
*
Nach dieser wenig ermutigenden Ankündigung hatte Mylady umgehend den Salon verlassen. Parker und Rander hatten das Ganoventrio in den Autos verstaut. Anschließend war man gemeinsam zu Lady Agathas Stadthaus in Shepherd’s Market gefahren.
Dort gab es die besseren Möglichkeiten, unangemeldete Gäste unterzubringen. Zudem verfügte das repräsentative Fachwerkhaus im Herzen von London über eine Reihe von Alarm- und Verteidigungseinrichtungen, die es nahezu uneinnehmbar machten.
Daß der Auftraggeber der Modellflieger den Fehlschlag der »Aktion Spitfire« schon bald bemerken und zur nächsten Attacke blasen würde – daran zweifelte Parker keinen Augenblick.
»Wollen Sie den ›Roten Löwen‹ denn heute abend noch unter die Lupe nehmen, Mylady?« erkundigte sich Rander, während der Butler gebratene Ente mit Orangen zum Dinner servierte.
»Ich denke überhaupt nicht daran, mein lieber Junge«, gab die ältere Dame kopfschüttelnd zurück. »Ich lasse mich von diesem verlogenen Pack doch nicht an der Nase herumführen.«
»Daß die Burschen ihre wahren Absichten verschleiern und ihren Auftraggeber decken wollen, steht wohl außer Zweifel«, räumte der Anwalt ein. »Aber vielleicht findet sich im ›Roten Löwen‹ doch eine Spur, die weiterführt.«
»Eine Vermutung, der auch meine bescheidene Wenigkeit sich anschließen möchte, Sir«, ließ Parker sich vernehmen. »Mister Miller dürfte die Anschrift nicht ohne Grund genannt haben.«
»Darauf wollte ich auch gerade hinweisen«, meldete die Hausherrin sich zu Wort. »Erläutern Sie bitte den Kindern, welche Absichten ich dem Schurken unterstelle, Mister Parker.«
»Mister Miller dürfte sich der Hoffnung hingeben, daß seine Freunde im Roten Löwen‹ Mylady überwältigen und anschließend eine Befreiungsaktion in die Wege leiten«, kam der Butler der Aufforderung nach.
»Da hat der Lümmel sich aber gründlich in den Finger geschnitten«, freute sich die Detektivin. »Meine Taktik wird seine heimtückischen Pläne zunichte machen.«
»Darf man sich höflich erkundigen, wie Mylady diese Äußerung verstanden wissen möchten?« fragte Parker und entkorkte eine weitere Flasche Chablis.
»Ich werde mich ahnungslos stellen und tatsächlich den ›Rosa Panther‹ besuchen.«
»Verzeihung, Mylady. Kann und muß man vermuten, daß Mylady den ›Roten Löwen‹ zu meinen geruhen?« korrigierte der Butler in seiner höflichen Art.
»Lassen Sie die Haarspaltereien, Mister Parker. So groß ist der Unterschied nicht«, erwiderte Agatha Simpson unwirsch. »Jedenfalls werde ich den Hinterhalt, in den man mich locken will, sprengen. Über die Details dürfen Sie sich Gedanken machen, Mister Parker.«
»Man dankt in aller Form für den ehrenvollen Auftrag und wird sich bemühen, Mylady keinesfalls zu enttäuschen«, versicherte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung.
»Mike und ich könnten ja zur Verstärkung mitkommen, Mylady«, schlug Kathy Porter vor.
»Nicht nötig, Kindchen«, wehrte Agatha Simpson ab. »Ich werde mit den Lümmeln schon allein fertig.«
»Woran man keine Sekunde zweifelt, Mylady«, warf der Butler ein.
»Wir wollen Ihnen ja auch gar nicht in die Quere kommen, Mylady«, erklärte Rander und warf seiner attraktiven Begleiterin einen belustigten Blick zu. »Aber wir würden Sie gern mal wieder in voller Aktion erleben.«
»Dagegen habe ich natürlich nichts einzuwenden«, gab die Hausherrin geschmeichelt zur Antwort. »Aber ihr müßt versprechen, wirklich im Hintergrund zu bleiben. Es reicht schon, wenn ich ständig schützend meine Hand über Mister Parker halte.«
»Dann brechen wir am besten gleich auf, Mike«, wandte Kathy Porter sich an den Anwalt. »Ich muß mich noch umziehen.«
»Und ich habe noch ein paar Terminsachen zu erledigen«, ergänzte Rander. »Vielleicht können Sie uns telefonisch verständigen, wenn es losgeht, Parker?«
»Man wird es keinesfalls versäumen, Sie rechtzeitig zu informieren, Sir«, versprach der Butler, während Myladys Gäste sich erhoben.
In der Diele öffnete Parker den Wandschrank und schaltete mit routiniertem Handgriff die hauseigene Video-Überwachungsanlage ein.
»Leider muß man darum bitten, sich noch einige Minuten in Geduld zu fassen«, teilte er den Besuchern mit, sobald das kristallklare Bild auf dem kleinen Monitor aufleuchtete.
Genau gegenüber der Einfahrt parkte ein weißer Chevrolet, den Parker noch nie in dieser Gegend gesehen hatte. Deutlich waren auf dem Bildschirm die beiden Insassen zu erkennen, die Zigaretten rauchten und gelangweilt zum Haus herübersahen.
»Vermutlich nur eine Einschüchterungsaktion«, tippte der Anwalt. »Sonst hätten die Burschen sich doch einen weniger auffälligen Platz gesucht.«
»Eine Möglichkeit, die man keinesfalls von vornherein ausschließen sollte, Sir«, entgegnete der Butler. »Andererseits könnte man den Herren auch die Absicht unterstellen, daß sie Aufmerksamkeit erregen wollen, um von anderen Personen oder Vorgängen abzulenken.«
»Sie rechnen mit Scharfschützen, Mister Parker?« erkundigte sich Kathy Porter.
»Davon sollte man bis zum Beweis des Gegenteils vorsichtshalber ausgehen, Miß Porter«, antwortete Parker.
Während die Gäste noch mal zu Mylady in die Wohnhalle zurückkehrten, lenkte der Butler seine Schritte ins Souterrain. Dort befand sich neben der Küche und seinen privaten Räumen eine kleine Bastelwerkstatt, die Josuah Parker als sein Labor bezeichnete.
Aus Regalen und Schubladen versorgte sich Parker mit Kleinigkeiten, die sich als nützlich erweisen konnten. Anschließend stieg er in würdevoller Haltung auf den Speicher.
*
Mit der Gewandtheit einer Katze durchquerte der Butler den stockfinsteren Dachboden und öffnete vorsichtig eines der kleinen Fenster an der Straßenseite. Der weiße Chevrolet stand noch immer an seinem Platz. Aus den halb geöffneten Seitenfenstern zogen Schwaden von Zigarettenqualm.
Sorgfältig musterte Parker mit seinen scharfen Nachtvogelaugen die Umgebung des Hauses. Zunächst deutete nichts auf die Anwesenheit versteckter Scharfschützen hin.
Doch plötzlich wurde der Späher auf dem erhöhten Ausguckposten auf den Baum rechts von der Einfahrt aufmerksam. Draußen war es windstill. Warum hatte sich trotzdem in der dicht belaubten Krone ein Zweig bewegt?
Gelassen nahm der Butler den schwarzen Universal-Regenschirm vom angewinkelten Unterarm, löste einen kleinen Sicherungshebel am Griff und klappte die bleigefüllte Spitze im rechten Winkel zur Seite. Dadurch entpuppte sich der hohle Schaft als Lauf und das Regendach selbst als eine Art Gewehr, mit dem Parker kleine, gefiederte Pfeile verschießen konnte. Zum Antrieb diente eine Patrone mit komprimierter Kohlensäure.
Als der Zweig sich zum zweiten Mal bewegte, hatte der Butler sein Ziel schon im Visier und ließ das erste der kaum stricknadelgroßen Geschosse aus dem Lauf. Lautlos glitt der zierliche Pfeil davon und tauchte in das undurchdringliche Blätterdach.
Ein unterdrückter Schrei signalisierte Parker, daß die scharfe Spitze ihren Bestimmungsort erreicht hatte.
In der Baumkrone wurde es lebendig. Doch das aus pflanzlichen Essenzen destillierte Betäubungsmittel, mit dem der kleine Pfeil präpariert war, wirkte schnell.
Sekunden später landete polternd eine Maschinenpistole auf dem Straßenpflaster. Kurz darauf plumpste auch ihr Besitzer wie eine reife Frucht vom Baum.
Natürlich blieb das Geschick, das den Heckenschützen ereilt hatte, nicht unbemerkt.
Bei den Chevrolet-Insassen löste der Zwischenfall eine offenbar hitzige Diskussion aus. Aber sie waren nicht die einzigen, die sich beunruhigt zeigten.
Als auch in dem Baum links der Einfahrt Zweige zu wedeln und Blätter zu rascheln begannen, setzte Parker umgehend den zweiten Pfeil in Marsch. Der Erfolg ließ auch in diesem Fall nicht lange auf sich warten.
Für die Männer im weißen Chevrolet war der Ausfall auch des zweiten Scharfschützen das Signal, ihre fruchtlose Diskussion zu beenden und den Rückzug anzutreten.
Hastig startete der Fahrer die Maschine und rangierte das Fahrzeug so neben den ersten Heckenschützen, daß die Karosserie als Deckung dienen konnte. Anschließend verließen die Männer auf der dem Haus abgewandten Seite den Wagen und verstauten ihren sanft schlummernden Komplizen auf dem Rücksitz.
Wenig später hatten sie auch den vierten im Bund eingeladen. Erleichtert atmete der Fahrer auf, schwang sich ans Lenkrad und absolvierte auf durchdrehenden Pneus einen perfekten Kavaliersstart.
Der Mann ahnte nicht, daß Parker in der Zwischenzeit seinen altväterlich gebundenen Schirm an die Fensterbrüstung gelehnt und die Gabelschleuder aus der Tasche gezogen hatte.
Seelenruhig »lud« der Butler die lederne Schlaufe mit einer kleinen Papiertüte, die zu einem zierlichen Päckchen von der Größe einer Streichholzschachtel zusammengefaltet und mit einem dünnen Gummiring gegen vorzeitiges Öffnen gesichert war.
Die nicht gerade reißfeste Verpackung enthielt ein Häufchen sogenannter Krähenfüße. Dabei handelte es sich um Stahlnägel, die im Winkel miteinander verschweißt waren.
Wie diese Krähenfüße auch immer auf der Fahrbahn landeten – eine der scharfen Spitzen zeigte stets nach oben und wartete nur darauf, sich in einen prall gefüllten Pneu bohren zu können.
In hohem Bogen flog das Päckchen über den anfahrenden Chevrolet hinweg und landete wenige Meter vor der Schnauze des Wagens auf der Straße. Postwendend platzte die Papiertüte und verstreute ihren reifenkillenden Inhalt.
Unter Zischen und Pfeifen ging allen vier Pneus der weißen Limousine schlagartig die Luft aus. Die Folge war, daß das temperamentvolle Gefährt sich in einen scheppernden Kasten verwandelte, der mühsam auf blanken Felgen davonhumpelte.
*
Die Gegend, in der Hank Leads’ Pub zum »Roten Löwen« lag, zählte nicht gerade zu den feinsten Adressen in London. In den halb verfallenen Häusern, die nur noch auf den Abbruchbagger zu warten schienen, waren abwechselnd illegale Freudenhäuser, Spielhöllen und schmuddelige Bierkneipen untergebracht.
Unter einer Gaslaterne, die vor dem Eingang zum »Roten Löwen« ihr trübes Licht verbreitete, standen vier Männer. Sie hatten die Hände in den Hosentaschen und machten auf Parker nicht den Eindruck, als ob sie ihre Brötchen auf legale Weise verdienten.
»Mylady wünschen, daß meine Wenigkeit zunächst einen Erkundungsgang unternimmt?« erkundigte sich der Butler, während sein altertümlich wirkendes Gefährt langsam zu dem Pub rollte.
»Auf keinen Fall, Mister Parker«, entgegnete die unternehmungslustige Dame. »Ich habe mich entschieden, das Lokal zu stürmen. Halten Sie direkt vor dem Eingang. Sie wissen, daß ich lange Fußmärsche verabscheue.«
»Wie Mylady wünschen«, sagte Parker und kam der Anordnung nach.
Das Quartett unter der Laterne reagierte mit verhaltener Neugier, als der schwarz gewandete Butler den Wagenschlag öffnete und seiner Herrin diskret beim Aussteigen half. Instinktiv nahmen die Männer die Hände aus den Taschen, als Mylady erhobenen Hauptes an ihnen vorüberging.
Parker folgte der wacker ausschreitenden Detektivin.
Vor dem Eingang blickte er sich kurz um. Randers dunkelblauer Austin war zwar nirgends zu entdecken, aber der Butler konnte darauf vertrauen, daß der Anwalt und seine ebenso attraktive wie schlagfertige Begleiterin sich in der Nähe aufhielten, wie man es telefonisch verabredet hatte.
Der Pub mit dem stolzen Namen erwies sich als finsteres Loch. Mit einem Blick machte der Butler linker Hand eine barähnliche Theke aus, an der Rückwand zwei Hinterausgänge.
Drei Gäste, die den Eintretenden in einer Mischung aus Heiterkeit und Argwohn entgegenblickten, saßen auf Barhockern, vier weitere an einem der billigen Resopal-Tische.
Der Mann hinter der Theke war breitschultrig und mindestens einen Kopf größer als Parker. An Leibesfülle konnte der schätzungsweise Fünfunddreißigjährige es sogar mir Agatha Simpson aufnehmen. In anderer Hinsicht war er ihr jedoch eindeutig unterlegen, wie sich im weiteren Verlauf zeigen sollte.
Die listigen Knopfaugen im schwammigen Hamstergesicht des Wirtes bekamen einen lauernden Ausdruck, als der Butler auf ihn zuschritt und höflich die schwarze Melone lüftete.
»Darf man die Hoffnung äußern, Mister Hank Leads gegenüberzustehen?« vergewisserte sich Parker.
Das »Ja...« kam zögernd. Leads musterte das skurrile Paar mit einem langen Blick von Kopf bis Fuß.
»Mylady wünscht Ihnen einige Fragen vorzulegen, die den Modellflugclub Wapping betreffen«, kam der Butler auf den Anlaß des Besuches zu sprechen.
»Modellflugclub Wapping?« wiederholte der Mann hinter dem Tresen, wobei er jede einzelne Silbe betonte.
»Mylady ist außerordentlich ungehalten über drei Mitglieder des genannten Clubs«, wurde Parker konkreter. »Die fraglichen Herren behüteten motorisierte und ferngelenkte Flugmodelle, um Myladys nachmittägliche Ruhe in einer Weise zu stören, die man nur als nachhaltig bezeichnen kann und muß.«
Im Zeitlupentempo überzog ein breites Grinsen das Gesicht des Wirtes.
»Dann sind Sie vermutlich Butler Parker«, sagte er so laut, daß jeder seiner Gäste es hören konnte.
Anschließend beugte er sich über die Theke und deutete mit rosigen Wurstfingern auf Lady Agatha.
»Und diese Spinatwachtel«, prustete er einem deplaziert wirkenden Anfall von Fröhlichkeit los, »ist die berühmte Privatdetektivin Lady Simpson.,.«
»... die sich von einem Rüpel nicht ungestraft beleidigen läßt«, fuhr die ältere Dame mit ihrem baritonalen Organ dazwischen und schuf sofort vollendete Tatsachen.
Wie der Schatten eines Raubvogels huschte der Pompadour durch die rauchgeschwängerte Luft und nahm im Sturzflug Kurs auf Hank Leads’ Schädel. Ein dumpfes Klatschen wurde hörbar, als Mylady den sogenannten Glücksbringer auf der schon etwas schütteren Frisur des Mannes ablegte.
Dem Kneipier, der von Lady Agathas spontaner Reaktion förmlich überrollt wurde, brachte der Glücksbringer jedoch alles andere als Glück.
Kalter Schweiß trat auf die abrupt erbleichte Stirn. Die dunklen Knopfäugen schienen aus der Verankerung zu springen.
Zitternd und röchelnd torkelte Leads rückwärts und suchte an einem Gläserregal Halt. Die wurmstichige Stellage, die einer derartigen Beanspruchung nicht im entferntesten gewachsen war, entledigte sich postwendend unter beträchtlichem Klirren ihres Inhalts, kippte nach vorn und katapultierte den Wirt wieder in Richtung Theke zurück.
Tolpatschig, wie der Hamstergesichtige nun mal war, stolperte er über einen Eimer und landete bäuchlings auf dem Tresen. Der Zufall wollte es, daß er dabei mit dem Gesicht ins Spülbecken für die Biergläser geriet.
Ein guter Taucher schien Leads nicht zu sein. Vielleicht lag es auch nur daran, daß das kalte Wasser eine wohltuende Wirkung auf seine umnebelten Sinne ausübte. Jedenfalls tauchte der füllige Kneipier schon nach zwei Sekunden prustend aus dem Naß und setzte schwankend seine Suche nach einem Halt fort.
Inzwischen war der Mann jedoch so entnervt, daß er nicht mal den gewichtigen Lampenschirm aus Keramik wahrnahm, der in seinem Weg hing. Mit der Stirn entlockte er der tönernen Glocke einen vollen, dunklen Klang, ehe er sich aus dem Geschehen verabschiedete und hinter der Theke verschwand.
Dafür hielt es jetzt Leads’ Gäste, die der turbulenten Darbietung in ehrfürchtigem Schweigen gefolgt waren, nicht mehr auf den Plätzen. Sie glaubten, die Ehre des Hauses retten zu können. Da Parker mit solch einer Zuspitzung gerechnet hatte, blieb dem Bemühen jedoch der durchschlagende Erfolg versagt.
*
Am schnellsten reagierte das Trio auf den Barhockern. Die athletisch gebauten Männer in den schwarzen Lederanzügen machten einen durchtrainierten Eindruck.
Geschmeidig glitten sie von ihren hochbeinigen Stühlen, federten am Boden ab und warfen sich mit wütendem Grunzen in Lady Simpsons Richtung.
Alle drei mußten kurz vor dem Ziel aufgeben, weil der Butler mit einer kaum merklichen Handbewegung einen Barhocker zum Kippen überredete, der den Angreifern quer vor die Füße rollte. Die Männer reagierten mit überraschtem Quieken, als sie das störende Stahlrohrgestell zwischen den Beinen bemerkten.
Sie breiteten die Arme aus und versuchten sich im Formationsflug. Das Unternehmen scheiterte jedoch an der bekannten Wirkung der Schwerkraft und endete mit einer dreifachen Bauchlandung.
Die Rückkehr zur Mutter Erde verlief nicht ganz schmerzlos und war den wenig artikulierten Äußerungen des Trios zweifelsfrei zu entnehmen. Den Rest besorgte Agatha Simpson selbst, indem sie ihren perlenbestickten Pompadour kreisen ließ.
Das Quartett vom Tisch war heran. Die Männer, die im Schnitt etwas älter wirkten als ihre unbesonnenen Vorgänger, machten nicht gerade den Eindruck, als wären sie es gewohnt, Meinungsverschiedenheiten fair auszutragen. Sie versuchten jedoch, auf weniger spontane Weise ihr Ziel zu erreichen.
Schritt für Schritt kamen die bulligen Gestalten näher. Enger wurde der Halbkreis, den sie bildeten. Eine Eisenkette klirrte. In einer tätowierten Faust blitzte der kalte Stahl einer Dolchklinge.
Den Angreifern, die allesamt hämisch grinsten und sich eindeutig als Herren der Lage fühlten, wurde jedoch ausgerechnet der Umstand zum Verhängnis, daß sie in diesem Augenblick Verstärkung erhielten.
Alarmiert durch den Lärm, den Hank Leads und das Trio von der Bar produziert hatten, stürmten die Männer von der Straße herein. Ihr Eintreffen zog für den Bruchteil einer Sekunde die Aufmerksamkeit der bedrohlichen Phalanx auf sich, und Parker nutzte die Chance, die in dieser winzigen Zeitspanne lag, zu einem blitzartigen Ausfall.
Röcheln und Stöhnen wurden hörbar, als der Butler die bleigefüllte Spitze seines Universalschirmes in der Magengrube eines Gegners spazierenführte und gleichzeitig dem nächsten Mann die stahlverstärkte Melone ins Gesicht drückte. Den dritten Burschen setzte Mylady durch einen wütenden Schwung ihres perlenbestickten Handbeutels außer Gefecht.
Um so eifriger widmete sich das frisch eingetroffene Quartett dem, was es für seine Pflicht hielt. Dabei entging den Männern jedoch, daß Mike Rander und Kathy Porter wenige Schritte hinter ihnen durch die Tür kamen und sich unverzüglich ins Getümmel stürzten.
Unversehens zwischen zwei Fronten geraten, verdoppelten die Platzherren ihre Anstrengungen. Tische und Stühle flogen. Flaschen zerplatzten an den Wänden. Eine Weile wogte der Kampf im »Roten Löwen« hin und her, dann trat plötzlich Stille ein.
Kathy Porter hatte den letzten Gegner, einen grobschlächtigen Zweizentnermann, mit einem schulmäßigen Schulterwurf hinter die Theke befördert, wo Hank Leads noch immer das von Lady Simpson verordnete Nickerchen hielt.
*
»Länger als unbedingt nötig sollten wir uns in diesem Schuppen nicht aufhalten«, meinte Mike Rander, nachdem er sorgfältig die Tür zur Straße abgeriegelt hatte. »In der Nachbarschaft hat man das Getöse bestimmt vernommen.«
»In der Tat sollte man fest damit rechnen, daß kurzfristig weitere Freunde von Mister Leads hier eintreffen, Sir«, pflichtete Parker dem Anwalt bei.
»Warum die Hektik?« beschwerte sich die ältere Dame. »Zuerst muß ich Mister Keats verhören. Anschließend werde ich über die weiteren Schritte entscheiden.«
»Ihre Ruhe möchte ich haben, Mylady«, sagte Mike Rander, dessen Stimme ungewohnt nervös klang. »Ich rieche förmlich schon das Blei in der Luft.«
»Papperlapapp, mein Junge«, entgegnete Agatha Simpson unbekümmert und klopfte dem Anwalt aufmunternd auf die Schulter. »Ich habe die Bande hier auf die Bretter geschickt und mich keineswegs dabei angestrengt. Sollen die anderen nur kommen.«
Der Butler hatte inzwischen einen Eimer mit kaltem Wasser dazu verwendet, den reichlich angeschlagen wirkenden Wirt in die schmerzliche Realität zurückzuholen.
»Verdammt!« knurrte Leads und tastete vorsichtig erst das feuerrote Horn an der Stirn, dann die hufeisenförmige Schwellung auf seiner Schädeldecke ab. »Ihr habt aber ganz schön aufgeräumt. Hätte ich euch nicht zugetraut.«
»Darf man die Hoffnung äußern, daß Ihre Gesprächsbereitschaft nach den Erfahrungen der vergangenen Minuten entscheidend gewachsen ist, Mister Leads?« fragte Parker in seiner höflichen Art.
»Ich weiß überhaupt nicht, was Sie von mir wollen«, wich der Kneipier mit dem leicht deformierten Hamstergesicht aus. Seine dunklen Knopfaugen hielten dem Blick des Butlers nicht stand.
»Möglicherweise darf Mylady von der Annahme ausgehen, daß Sie es waren, der die Herren mit den explosiven Flugmodellen nach Richmond entsandte, Mister Leads«, sagte Parker, doch sein Gegenüber meldete augenblicklich schärfsten Protest an.
»Hab’ ich nichts mit zu tun«, beteuerte er und hob beschwörend die Hände.
»Der Lümmel wagt es, mir ins Gesicht zu lügen, Mister Parker«, schob sich Agatha Simpson empört dazwischen. »Ich werde ihm eine weitere Lektion erteilen müssen.«
»Um Himmels willen, nein!« schrie Leads in höchster Not. »Sie bringen mich ja um!«
»Davon kann überhaupt keine Rede sein, junger Mann«, entgegnete die ältere Dame. »Ich möchte nur Ihrem Gedächtnis nachhelfen. Gelegentliche Schläge erhöhen das Denkvermögen, wie man weiß.«
»Ehrlich, ich hab’ die Männer, von denen Sie reden, nicht geschickt«, wimmerte der Gastwirt und zog vorsichtshalber den Kopf ein. »Warum sollte ich mich mit Ihnen anlegen, wo ich Sie doch gar nicht kenne?«
»Auf diese Frage dürfte eine Antwort nicht allzu schwer fallen, Mister Leads«, nahm Parker wieder die Fäden in die Hand. »Beispielsweise könnte ein guter Freund Sie um einen entsprechenden Gefallen gebeten haben.«
»Was für ein Freund?« stellte Leads sich dümmer, als er offensichtlich war.
»Die Antwort sollten Sie selbst geben, falls der wohlgemeinte Hinweis erlaubt ist, Mister Leads«, ließ der Butler sich vernehmen. »Im übrigen darf man Sie mit einem gewissen Nachdruck auffordern, Myladys Geduld nicht länger auf die Probe zu stellen.«
Aber Leads sah zu übereilten Äußerungen keinen Anlaß. Im Gegenteil – er spielte auf Zeitgewinn und hoffte auf Verstärkung, die irgendwann eintreffen mußte. Allerdings hatte er die Rechnung ohne die resolute Dame gemacht.
»Wird’s bald, junger Mann?« herrschte sie den Hausherrn an. »Meine Zeit ist kostbar.«
Um ihren Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, zog Agatha Simpson mit grimmiger Miene eine der martialischen Hutnadeln aus ihrer Kopfbedeckung. Die Spitze, die Parker mit einem rasch wirkenden Betäubungsmittel präpariert hatte, setzte sie dem schlagartig erbleichenden Wirt auf den wohlgerundeten Bauch.
Des Mannes Augen waren vor Schreck geweitet. Seine Zähne klapperten unüberhörbar.
»Ich kann Ihnen höchstens die Werkstatt nennen, in der die Flugmodelle gebaut werden«, stammelte er mit brüchiger Stimme. »Aber sagen Sie bloß keinem, daß ich Sie geschickt habe. Dann kann ich gleich mein Testament machen.«
»Da Sie es ausdrücklich wünschen, wird man darauf verzichten, Grüße zu übermitteln, Mister Leads«, versprach der Butler.
»Das ist ein kleiner Betrieb in der Nähe der Garnet Street in Shadwell«, sagte der Hamstergesichtige und beschrieb die genaue Lage.
»Gegebenenfalls ist Ihnen auch der Name des Inhabers geläufig?« bohrte Parker weiter.
»Ich glaube, er heißt Fred Brighton«, gab Leads nach kurzem Zögern Auskunft. »Aber näher kenne ich den Mann auch nicht.«
»Man dankt in aller Form für die geradezu freudige Aussagebereitschaft.« Der Butler lüpfte andeutungsweise die schwarze Melone. »Darf man zum Abschluß noch die Frage stellen, ob Ihnen die Bezeichnung ›Schwarzer Stier‹ etwas sagt?«
Diesmal gelang es dem Wirt überraschend gut, den Unbedarften zu spielen. »Nein, ist das der Name eines Pubs?« erkundigte er sich mit dem Gesichtsausdruck eines neugierigen Kindes.
Parker blieb die Antwort schuldig und entfernte noch rasch das Mikrofon aus der Sprechmuschel des Telefons.
»Man erlaubt sich, noch einen möglichst heiteren Abend zu wünschen, Mister Leads«, sagte er und folgte seiner Herrin, die mit Kathy Porter und Mike Rander bereits am Ausgang stand.
»Nichts wie raus. Noch ist die Luft rein«, meldete der Anwalt, nachdem er die Tür einen Spaltbreit geöffnet und auf die Straße gesehen hatte.
Augenblicke später saßen Parker und Mylady im hochbeinigen Monstrum, Mike Rander und Kathy Porter im dunkelblauen Austin des Anwalts. Es war keine Sekunde zu spät, denn auf wimmernden Pneus schossen zwei schwere, offenbar gepanzerte Limousinen um die nächste Straßenecke.
Ehe die Chauffeure die Situation richtig einordnen und auf der schmalen Fahrbahn wenden konnten, waren das ehemalige Taxi und die dunkelblaue Limousine schon ihren Blicken entschwunden.
Zwar nahmen die Gangster umgehend die Verfolgung auf, doch weit kamen sie nicht. Parker hatte sich erlaubt, im Wegfahren eine Handvoll Krähenfüße aus dem Fenster zu werfen, die unfehlbar ihre Wirkung taten.
*
Während der Fahrt nach Shadwell schaltete der Butler das Sprechfunkgerät ein und betätigte die Ruftaste.
»Hallo, Parker«, meldete sich der Anwalt. »Das war ziemlich knapp. Wohin geht die Reise jetzt?«
»Mylady wünscht, dem Hersteller der brisanten Flugmodelle einen Besuch abzustatten, Sir«, beantwortete Parker die Frage und gab die genaue Lage der Werkstatt durch.
»Sollen wir uns wieder draußen zum Eingreifen bereithalten, oder haben Sie andere Pläne, Parker?« wollte Rander wissen, »Keineswegs und mitnichten, Sir«, erwiderte der Butler. »Ihr Vorschlag entspricht exakt dem Wunsch, den meine Wenigkeit soeben zu äußern beabsichtigte.«
Der von Leads genannte Betrieb war schnell gefunden. Er bestand aus einer langgestreckten Produktionshalle, an die ein zweigeschossiges Wohngebäude angebaut war, und lag an einer düsteren, wie ausgestorben wirkenden Seitenstraße. Der Vorplatz war unbeleuchtet. Durch die Ritzen des Hallentores drang dagegen noch Licht.
»Ich werde einen Frontalangriff starten und die Lümmel in flagranti überwältigen, Mister Parker«, kündigte die energische Dame an und ließ ihren Pompadour wippen.
»Myladys Mut und Tatkraft geben Anlaß zu rückhaltloser Bewunderung«, erwiderte Parker in seiner höflichen Art.
»Das sind genau die Eigenschaften, die Sie sich zulegen sollten, Mister Parker. Warum halten Sie denn nicht?« fragte die ältere Dame, als der Butler sein eckiges Gefährt an der Einfahrt vorbeirollen ließ.
»Mylady dürften zweifellos damit rechnen, daß der Betriebsinhaber, der angeblich auf den Namen Fred Brighton hört, sich inzwischen auf einen Besuch eingestellt hat.«
»Auf meinen Besuch, Mister Parker?«
»Mister Leads dürfte alles in seiner Macht stehende unternommen haben, um Mister Brighton vor Myladys Eintreffen zu warnen, falls der Hinweis erlaubt ist.«
»Diesen Umstand habe ich längst in meine taktische Planung einbezogen, Mister Parker«, zeigte die Detektivin sich flexibel. »Deshalb werde ich eine List an wenden und den Burschen in den Rücken fallen.«
»Wie Mylady zu wünschen belieben«, sagte Parker und stellte sein hochbeiniges Monstrum in eine Querstraße.
Von hier aus auf Brightons Gelände zu gelangen, war kein Problem. Der Weg führte über ein verlassenes Fabrikgelände. Einziges Hindernis war ein rostiger Maschendrahtzaun, in den der Butler mit wenigen Handgriffen ein großes Loch knipste, so daß selbst Mylady mühelos hindurchsteigen konnte.
Die Produktionshalle, in der zu mitternächtlicher Stunde noch emsig gewerkelt wurde, verfügte über einen Hintereingang, der erwartungsgemäß verschlossen war. Für Parker stellte das Zylinderschloß in der schweren Stahltür jedoch kein ernstzunehmendes Hemmnis dar.
Mit sicherem Griff zog er sein handliches Universalbesteck aus einer der unergründlichen Innentaschen seines schwarzen Covercoats. Auf den ersten Blick erinnerte es an das Werkzeug eines passionierten Pfeifenrauchers. Die Anwendungsmöglichkeiten waren jedoch ungleich vielseitiger.
Bedächtig wählte der Butler die passende Metallzunge und ließ sie geräuschlos in den schmalen Schlitz des Schlosses gleiten. Der Mechanismus leistete nur kurzen Widerstand. Dann gab er Parkers Überredungskünsten nach. Mit kaum hörbarem Klicken glitt der Riegel zurück.
Langsam drückte Parker die zum Glück gut geölte Tür ein kleines Stück auf und spähte durch den Spalt.
Der Teil der Halle, der unmittelbar vor ihm lag, war mit Regalen vollgestellt, in denen verschiedene Materialien und Ersatzteile lagerten. Die Stellagen boten einen perfekten Sichtschutz, so daß der Butler die Tür ganz öffnete und Agatha Simpson eintreten ließ.
An den Werkbänken im weiter entfernten Abschnitt des langgestreckten Gebäudes waren drei Männer beschäftigt. Sie drehten den Eindringlingen ahnungslos den Rücken zu und waren derart vertieft in ihr nächtliches Tun, daß sie sogar das explosionsartige Niesen überhörten, von dem Mylady unversehens heimgesucht wurde.
»Worauf warte ich noch, Mister Parker?« erkundigte Lady Agatha sich ungeduldig. Sie hatte sichtlich Mühe, ihren Tatendrang zu bändigen und wollte unverzüglich zum Angriff übergehen.
»Möglicherweise darf man Mylady bitten, sich noch eine Minute in Geduld zu fassen«, raunte der Butler ihr zu. Er hatte das Geräusch eines Autos vernommen, das in diesem Augenblick draußen vor der Halle hielt.
Es dauerte nur Sekunden, bis das Tor ruckartig aufgerissen wurde und vier maskierte Gestalten die Werkstatt stürmten. Die großkalibrigen Pistolen, die sie gezogen hatten, machten das Quartett nicht gerade sympathischer.
*
Die Aktion verlief mit der Routine eines professionell geplanten Unternehmens. Brightons Mitarbeiter wurden mit Pistolenhieben zu Boden geschickt. Dann rafften die Unbekannten alles zusammen, was sie an fertigen Modellen und Konstruktionszeichnungen tragen konnten, und traten den Rückzug an.
»Warum tun Sie denn nichts, Mister Parker?« beschwerte sich die ältere Dame. »Wollen Sie die Lümmel einfach entwischen lassen?«
»Keineswegs und mitnichten, Mylady«, entgegnete der Butler. Er hatte seine Melone schon an der Krempe gefaßt, um sie als fliegendes Kampfmittel einzusetzen, aber Myladys ausladende Fülle versperrte ihm in dem schmalen Gang zwischen den Regalen die Sicht nach vorn.
Als Parker die Kopfbedeckung doch noch einsetzen konnte, waren drei der Männer schon zur Tür hinaus. Den vierten erwischte die stahlgefütterte Krempe am Ellenbogen.
Jaulend ließ der Gangster ein fertiges Flugmodell fallen. Aber er entkam.
Der Wagen, der mit laufendem Motor vor dem Tor gestanden hatte, setzte sich auf wimmernden Pneus in Bewegung, und Agatha Simpson grollte. »Sie bringen mich noch um den Erfolg meiner Ermittlungen«, behauptete die resolute Lady. »Diese kriminellen Subjekte sehe ich nie wieder.«
»Meine Wenigkeit bedauert das Entkommen der Gangster zutiefst, Mylady«, gab der Butler mit einer höflichen Verbeugung zur Antwort. »Möglicherweise ist jedoch der Hinweis erlaubt, daß Miß Porter und Mister Rander die Spur der unbekannten Herren aufgenommen haben dürften, falls man sich nicht gründlich täuscht.«
»Und wenn den Kindern etwas zustößt?«
»Man wäre untröstlich, falls Myladys Befürchtung eintreffen sollte«, erwiderte Parker ruhig. »Allerdings dürfte die Anmerkung erlaubt sein, daß Miß Porter und Mister Rander über gewisse Erfahrungen im Umgang mit Kriminellen verfügen.«
»Ich habe mich auch redlich bemüht, den Kindern etwas mit auf den Weg zu geben«, fügte Agatha Simpson hinzu, schon wieder halb versöhnt.
Eine nachdenkliche Falte zeigte sich auf ihrer Stirn.
»Was hatte ich denn als nächsten Ermittlungsschritt geplant, Mister Parker?« wollte die Detektivin wissen.
»Mylady dürften sich mit der Absicht tragen, Mister Brightons Betriebsangehörigen Erste Hilfe zukommen zu lassen, sofern die Schwere der Verletzungen dies erfordert«, kam der Butler auf das Nächstliegende zu sprechen.
»Na gut, ich werde mir die Lümmel mal ansehen«, willige die ältere Dame ein, »obwohl es sich mit Sicherheit um Kriminelle handelt, die eine solche Behandlung nicht verdient haben.«
Mit sachverständiger Miene beugte sie sich über den ersten der im wahrsten Sinn des Wortes niedergeschlagen wirkenden Bastler, während Parker seine Melone holte und aufsetzte, ehe er die langsam zu sich kommenden Männer untersuchte.
Die Blessuren, die das Trio bei dem Überfall davongetragen hatten, erwiesen sich als überraschend glimpflich. Offenbar hatten die Maskierten nur verhalten zugeschlagen.
»Hände hoch!« verlangte plötzlich eine schneidende Stimme.
Der Butler, der gerade neben einem der Verletzten am Boden kniete und sich durch eine Werkbank ausreichend geschützt fühlte, sah sich blitzschnell nach seiner Herrin um: Auch Lady Agatha war in Deckung.
Sie kniete neben einem der unruhig stöhnenden Männer und fischte gerade einen kurzläufigen Revolver aus der Innentasche seines Arbeitskittels. Sie lächelte und schien den störenden Zwischenruf gar nicht bemerkt zu haben.
Entschlossen setzte Parker seine schwarze Kopfbedeckung erneut als Frisbee-Scheibe ein. Ohne den Kopf über die Kante der Werkbank zu erheben, schickte er den Bowler in die Richtung, aus der die unfreundliche Aufforderung gekommen war.
Heftiges Zetern und Jammern signalisierte ihm gleich darauf, daß die stahlharte Krempe ihr Ziel gefunden hatte.
Der Mann, der auf unsicheren Beinen im Türrahmen eines seitlichen Zugangs stand und beide Hände gegen die offenbar schmerzende Stirn preßte, hatte die Fünfzig mit Sicherheit überschritten. Die leicht untersetzte Gestalt steckte in einem eleganten Maßanzug.
»Darf man vermuten, Mister Fred Brighton vor sich zu haben?« erkundigte sich der Butler und hob die schallgedämpfte Automatic vom Boden auf, die ihren Besitzer ohnehin nicht mehr zu interessieren schien.
»Der bin ich«, preßte sein Gegenüber unter verhaltenem Wimmern hervor. »Und wer sind Sie?«
»Ich bin die Privatdetektivin Agatha Simpson«, schob die ältere Dame sich umgehend in den Vordergrund. »Mister Parker ist mein Butler.«
»Detektivin sind Sie?« zeigte Brighton sich überrascht. »Dann war wohl alles ein Mißverständnis.«
»Darf man höflich um Auskunft darüber bitten, wie Sie diese Äußerung verstanden wissen möchten, Mister Brighton?« hakte Parker nach.
»Ich dachte schon, ich hätte es mit Gangstern zu tun«, erklärte der Werkstattinhaber.
»Die konnten durch Mister Parkers unverzeihliche Nachlässigkeit vor einer Minute entkommen«, berichtete Mylady mit vorwurfsvollem Seitenblick auf den Butler. »Eine Reihe hübscher Flugmodelle und diverse Papiere haben die Lümmel mitgenommen.«
»Um Himmels willen!« Brighton stöhnte. »Das ist mein Ruin. Also hat Glen Packard seine Drohung doch wahrgemacht.«
»Kann und muß man Ihre Mitteilung so verstehen, daß Sie mit einem Überfall auf Ihren Betrieb gerechnet haben, Mister Brighton?« wollte Parker wissen.
»Ich hätte damit rechnen müssen, Mister Parker«, erwiderte sein Gegenüber. »Warum habe ich nicht gleich die Polizei verständigt?«
»Gut, daß Sie es nicht getan haben, junger Mann«, schaltete die ältere Dame sich ein. »Die Polizei schafft es kaum, den Verkehr zu regeln. Bei mir dagegen wäre Ihr Fall in besten Händen.«
»Sie wären wirklich bereit, sich dieser Sache anzunehmen, Mylady?« fragte Brighton und setzte eine erleichterte Miene auf. »Dann kann ich ja noch hoffen.«
»Der Gangster, der einer Lady Simpson gewachsen wäre, muß erst noch geboren werden, Mister Brighton«, verkündete die Detektivin. »Außerdem ermittle ich zur Zeit sowieso in einem Fall, der mit Ihren Modellflugzeugen zusammenhängt.«
»So?« Fred Brighton zeigte sich überrascht. »Das ist aber ein Zufall. Wollen wir nicht in mein Büro gehen und alles in Ruhe besprechen?«
»Ein Vorschlag, dem man unverzüglich nähertreten sollte, Mister Brighton«, sagte der Butler, und Mylady nickte zustimmend.
»Dann könnt ihr jetzt erst mal nach Hause gehen und euch ausschlafen, Jungs«, wandte er sich an seine Mitarbeiter, die inzwischen wieder auf den Beinen standen. »Wo habt ihr denn die Revolver, die ich euch zum Schutz gegeben habe?«
Auf das Stichwort »Revolver« griffen alle drei unter ihre Arbeitskittel und ... zogen enttäuscht die Hand zurück. Wortlos wechselten die Männer irritierte Blicke und sahen hilfesuchend zu ihrem Chef hinüber.
»Sind nicht mehr da, Boß«, bekannte einer von ihnen kleinlaut. »Die müssen die Gangster uns abgenommen haben.«
»Ärgerlich«, erwiderte Brighton und schickte seine Männer endgültig nach Hause.
Parker, der die Pistolen unter seinem schwarzen Covercoat hatte verschwinden lassen, enthielt sich einer Äußerung. Möglicherweise konnte Brighton sich denken, wer in Wahrheit seine Männer entwaffnet hatte.
*
»Sagten Sie, daß Sie ohnehin wegen meiner Flugmodelle ermitteln, Mylady?« eröffnete der Firmenchef das Gespräch, nachdem er seinen Besuchern bequeme Plätze in einem luxuriös eingerichteten Büro angeboten hatte.
»Drei unverschämte Lümmel haben versucht, mich mit den explosiven Brummern in die Luft zu sprengen«, gab die Detektivin bereitwillig Auskunft. »Selbstverständlich habe ich den heimtückischen Anschlag abgewehrt und die Subjekte überwältigt.«
»Das waren garantiert die beiden Modelle, die Packards Leute mir vor ein paar Tagen gestohlen haben«, wußte Brighton sofort. »Konnten Sie erkennen, ob es sich um Nachbauten von Spitfire-Jägern handelte?«
»Dies dürfte eindeutig der Fall sein, Mister Brighton«, bestätigte der Butler. »Meine Wenigkeit möchte im übrigen die Frage anschließen, ob die betreffenden Modelle bereits in Ihrer Werkstatt mit Sprengsätzen ausgerüstet wurden, oder ob die Attentäter für eine entsprechende Umrüstung sorgten?«
»Die meisten Modelle sind so ausgerüstet, daß sie mit Sprengkapseln bestückt werden können«, erläuterte der Werkstattinhaber. »Bei den Spitfires wirkt zum Beispiel die Propellernase als Aufschlagzünder.«
»Eine entsprechende Vermutung drängte sich meiner Wenigkeit bereits auf, Mister Brighton«, sagte Parker. »Als Kunden dürften gewisse Unterweltkreise in Frage kommen, falls man sich nicht irrt?«
»Keineswegs, Mister Parker«, rief der Mann im Maßanzug, eine Spur zu pathetisch. »Ich habe nur seriöse Kunden, überwiegend Filmproduktionen.«
»Filmproduktionen?« wurde Agatha Simpson hellhörig. Unvermittelt fiel ihr ein, daß sie mit ihrem ersten Kriminalroman immer noch nicht weitergekommen war.
»In Filmen braucht man manchmal eine Szene, in der ein Flugzeug gegen eine Felswand rast und explodiert«, erzählte Brighton. »Dafür echte Flugzeuge zu nehmen, wäre viel zu teuer, zumal die Aufnahmen oft wiederholt werden müssen, bis der Regisseur zufrieden ist.«
»Außerdem würden die Begräbnisse der vielen Piloten ein Vermögen kosten«, steuerte die in Kostenfragen empfindliche Dame bei.
»Das Pilotenproblem könnte man auch bei echten Maschinen mit Fernsteuerung lösen, Mylady«, entgegnete Brighton, unschlüssig, ob er über einen vermeintlichen Witz kichern sollte, oder nicht. »Aber Modelle sind eben billiger, selbst wenn es sich um hochwertige Einzelstücke handelt.«
»Mister Glen Packard, sofern man sich an den Namen korrekt erinnert, dürfte demnach nicht zu Ihrem regulären Kundenkreis zählen, Mister Brighton?« vergewisserte sich der Butler und lenkte damit gleichzeitig das Gespräch in interessantere Gefilde.
»Ich wollte es vorher nicht glauben, aber seit die beiden ›Spitfires‹ weg sind, weiß ich, daß Packard ein Gangster ist«, erwiderte der Hausherr.
»Sie hegen keinerlei Zweifel, daß der bereits mehrfach erwähnte Mister Packard sowohl für den Diebstahl als auch für den Überfall als Auftraggeber zu gelten hat?« wollte Parker wissen.
»Nicht die Spur, Mister Parker. Als Packard zum ersten Mal in meine Werkstatt kam und ein Modell kaufen wollte, habe ich nein gesagt, weil ich ein ungutes Gefühl hatte und nicht wollte, daß jemand mit den Dingern Unsinn anstellt«, erzählte der Betriebsinhaber. »Deshalb wurde er furchtbar wütend und sagte, ich sollte mich nicht wundern, wenn demnächst eines der Modelle verschwunden wäre.«
»Was kurze Zeit später geschah, Mister Brighton.«
»Zwei Tage danach«, nickte der Firmenchef. »Daraufhin wurde ich natürlich selber zornig und habe ihn angerufen. Aber Packard hat nur gelacht und gefragt, ob ich nicht meine ganze Produktion an ihn verkaufen wollte – ehe alles verschwunden wäre.«
»Deutlicher kann man eine Drohung wohl kaum formulieren, falls die Anmerkung erlaubt ist«, ließ der Butler sich vernehmen.
»Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, wie ernst die Drohung gemeint war, hätte ich mich natürlich an die Polizei gewandt«, betonte Brighton. »Glauben Sie denn wirklich, daß Sie dem Gangster die Modelle wieder abjagen können, ehe man noch mehr Unheil damit anstellt?«
»Auf jeden Fall, Mister Mighton«, versicherte Agatha Simpson in unverwüstlichem Optimismus. »Wie ich schon sagte: Der Gangster, der einer Lady Simpson gewachsen wäre ...«
»... muß erst noch geboren werden«, zeigte Brighton, daß er gut aufgepaßt hatte.
»Darf man möglicherweise hoffen, daß Mister Packards gewöhnlicher Aufenthaltsort Ihnen bekannt ist, Mister Brighton?« fragte Parker.
»Er wohnt Millwater Lane 43«, lautete die überraschend präzise Antwort.
»Dann werde ich das Subjekt unverzüglich zur Rede stellen«, entschied die passionierte Detektivin und erhob sich.
»Sie haben keine weiteren Fragen im Moment?« wollte Brighton wissen.
»Später vielleicht, Mister Mighton«, erwiderte die ältere Dame auf dem Weg zur Tür. »Meine Zeit ist knapp bemessen.«
»Allerdings hätte meine bescheidene Wenigkeit noch eine Frage anzubringen, falls es genehm ist, Mister Brighton«, meldete Parker sich unvermittelt noch zu Wort.
»Fragen Sie schon, Mister Parker«, ermunterte ihn der Firmenchef.
»Darf man davon ausgehen, daß in Ihrer Werkstatt ausschließlich Modelle von Flugzeugen hergestellt werden?« erkundigte sich der Butler.
»Wieso – ach deshalb!« entgegnete Brighton. Er hatte bemerkt, daß die an der Wand hängende Konstruktionszeichnung eines Panzers Parkers Aufmerksamkeit fesselte.
»Das ist nur eine Ideenskizze«, sagte der Werkstattinhaber leichthin. »Bisher gibt es nicht mal einen Prototyp. Solange keine Filmgesellschaft kommt, die Interesse anmeldet, ist mir die Investition zu riskant.«
»Leute vom Schlage Mister Packards dürften sowohl ein Interesse als auch die nötigen Finanzen besitzen, um ein solches Vorhaben zu realisieren«, bemerkte Parker.
»Kann ich mir denken«, lächelte der Firmenchef. »Aber zum Glück weiß er nichts davon.«
»Ein Umstand, den man nur begrüßen kann, Mister Brighton«, erwiderte der Butler. »Darf man im übrigen noch die Frage anschließen, ob Sie jemals von einer Organisation gehört haben, die sich ›Schwarzer Stier‹ nennt?«
»›Schwarzer Stier‹?« wiederholte der Hausherr gedehnt und pickte einen nicht vorhandenen Fussel vom Revers seines Jacketts. »Nicht daß ich wüßte, Mister Parker.«
»Man dankt für die Auskünfte und erlaubt sich, noch eine möglichst ungestörte Nacht zu wünschen, Mister Brighton«, sagte Parker, lüpfte andeutungsweise die schwarze Melone und geleitete Lady Agatha hinaus.
*
Von Mike Rander und Kathy Porter war keine Spur zu entdecken. Anscheinend waren die beiden wirklich dem maskierten Quartett gefolgt, das die Modelle und Konstruktionszeichnungen aus Brightons Werkstatt geraubt hatte, »Haben Sie sich auch die Anschrift von diesem Mister Lackbart gemerkt, Mister Parker?« fragte Mylady, sobald man wieder im hochbeinigen Monstrum Platz genommen hatte.
»Mister Glen Packard, den Mylady vermutlich meinen, wohnt angeblich Millwater Lane 43«, wiederholte der Butler Brightons Angabe. »Kann und muß man Myladys Frage entnehmen, daß Mylady die fragliche Anschrift aufzusuchen beabsichtigen?«
»Warum denn nicht, Mister Parker?«
»Mylady dürften mit der Möglichkeit rechnen, daß es sich um eine Falle handelt, sofern die genannte Hausnummer überhaupt existiert.«
»Weshalb sollte ausgerechnet der bedauernswerte Mister ...«
»... Brighton«, ergänzte Parker.
»Richtig, warum sollte ausgerechnet Mister Mighton mich in eine Falle schicken? Schließlich will er, daß ich die Gangster fange und ihm seine Flugzeuge zurückbringe.«
»Gewisse Vorbehalte gegenüber Mister Brightons Schilderung dürften sich zweifellos empfehlen, Mylady«, sagte der Butler lediglich.
»Und worauf stützen sich meine Vorbehalte, Mister Parker?« schnappte die ältere Dame sofort zu.
»Myladys Aufmerksamkeit dürfte kaum entgangen sein, daß Mister Brightons Mitarbeiter nicht einmal den Versuch einer Gegenwehr unternahmen, obwohl sie selbst bewaffnet waren«, gab Parker zu bedenken.
»Selbstverständlich ist mir das aufgefallen, Mister Parker«, nickte Agatha Simpson umgehend.
»Mit Verlaub – die Verletzungen, die die Herren bei dem Überfall erlitten, dürften als überraschend geringfügig gelten, Mylady.«
»In der Tat, Mister Parker. Welche Schlüsse ziehe ich daraus?«
»Mylady dürften die Annahme ins Auge fassen, daß der Überfall lediglich dem Zweck diente, Mylady auf eine falsche Spur zu locken,«
»Was dem Lümmel natürlich nicht gelingen wird, Mister Parker. Unabhängig davon muß ich Sie aber auf eine entscheidende Schwäche Ihrer Argumentation hin weisen.«
»Darf man fragen, welche Schwäche Mylady zu meinen belieben?«
»Woher sollte Mister Mighton wissen, daß ich bei ihm aufkreuze?«
»Mister Brighton dürfte von Mister Hank Leads, dem Besitzer des Pubs zum ›Roten Löwen‹, gewarnt worden sein. Die Zeit, die Mylady für den Ortswechsel benötigten, müßte ausgereicht haben, um die Inszenierung vorzubereiten.«
»Wie auch immer, Mister Parker«, gab Lady Agatha ausweichend zur Antwort. »Dann bleibt aber noch die Frage, warum Nighton seine Männer überhaupt mit Waffen ausstattete, wenn sie nicht schießen sollten.«
»Mylady dürften in Betracht ziehen, daß es sich dabei um eine Vorsichtsmaßnahme handelte, die sich nicht gegen die maskierten Gangster, sondern gegen Mylady und meine Wenigkeit richtete.«
»Als ob eine Detektivin durch ein paar Bewaffnete aufzuhalten wäre!«
»Dennoch dürfte Mister Brighton sich solchen Illusionen hingegeben haben. Vermutlich sollten die Bediensteten des Herrn von den Feuerwaffen Gebrauch machen, wenn Mylady vor dem Überfallkommando am Ort des Geschehens eingetroffen wäre.«
»Also hat dieses Subjekt es doch gewagt, mir ins Gesicht zu lügen«, stellte Agatha Simpson grollend fest. »Das wird er büßen!«
»Woran man keine Sekunde zweifelt, Mylady. Im übrigen muß meine Wenigkeit darauf hinweisen, daß Mister Brighton sich noch eine weitere Unwahrhaftigkeit zuschulden kommen ließ.«
»An welche Unwahrhaftigkeit denke ich dabei?« wollte Agatha Simpson wissen.
»Mylady dürften sich erinnern, daß Mister Brighton behauptete, von dem Panzer gebe es bisher nicht mal einen Prototyp.«
»Richtig. Und weiter, Mister Parker?«
»Vorher hatte meine Wenigkeit zufällig zwischen den Papieren auf Mister Brightons Schreibtisch ein Foto entdeckt, das eindeutig den angeblich nicht existenten Prototyp zeigt.«
»Das ist mir natürlich auch aufgefallen, Mister Parker«, schwindelte die ältere Dame ungeniert. »Aber technische Spielzeuge interessieren mich nur am Rande.«
»Man sieht sich zu dem Hinweis genötigt, Mylady, daß die Bezeichnung ›Spielzeug‹ auf den erwähnten Panzer noch weniger zutreffen dürfte als auf die ›Spitfire‹-Modelle«, erwähnte der Butler höflich und gemessen.
»Ich gehe also davon aus, daß das Ding wirklich gefährlich werden kann, Mister Parker?«
»Soweit auf dem Foto zu erkennen war, scheint das Panzer-Modell mit einem kleinen Schnellfeuergeschütz ausgerüstet zu sein, Mylady«, bestätigte Josuah Parker. »Außerdem beherbergt das Modell Fernsehkameras, falls man diesen Hinweis anbringen darf.«
»Fernsehkameras, Mister Parker?«
»Diese Einrichtungen dürften es erlauben, das Kettenfahrzeug als ferngelenkte Mordwaffe einzusetzen«, erläuterte der Butler. »Dabei könnte ein geheimer Kommandostand mit entsprechenden Monitoren zur präzisen Steuerung dienen.«
»Gar nicht so dumm«, räumte Lady Agatha ein. »Mighton scheint nicht auf den Kopf gefallen zu sein.«
»Die Arbeiten des Herrn dürften innerhalb der Unterwelt auf lebhaftes Interesse stoßen, Mylady.«
»Ich werde dem Schurken schon rechtzeitig das Handwerk legen«, kündigte die resolute Dame an. »Bei dieser Gelegenheit werde ich ihn auch zwingen, alles auszuplaudern, was er über die ›Roten Ochsen‹ weiß, Mister Parker.«
»Einschlägige Informationen dürften möglicherweise auch den drei Herren zu entlocken sein, die derzeit Gastrecht unter Myladys Dach genießen«, warf Parker ein.
»Deshalb wollte ich Sie auch bitten, nach Shepherd’s Market zu fahren, Mister Parker«, fing Mylady mühelos den Ball auf, den der Butler ihr zugespielt hatte. »Wenn die Lümmel sich schon auf meine Kosten mästen, müssen sie mir wenigstens für eingehende Vernehmungen zur Verfügung stehen.«
»Wie Mylady meinen«, erwiderte Parker und schlug die gewünschte Richtung ein.
Die Fahrt zu Lady Simpsons Stadthaus erwies sich als keineswegs überflüssig.
*
Das repräsentative Anwesen machte einen vertrauten und friedlichen Eindruck. Dennoch beschlich den Butler ein unruhiges Gefühl, als er sein hochbeiniges Monstrum auf dem Vorplatz parkte.
Das Kribbeln in der Magengrube war wie eine innere Stimme. Parker hatte es bisher immer dann verspürt, wenn Gefahr lauerte.
Er konzentrierte sich auf verdächtige Bewegungen. Die Fenster waren ebenso unversehrt wie die Haustür. Auch an dem Sicherheitsschloß war nichts zu entdecken, was auf eine Manipulation hingedeutet hätte.
Erst als der Butler in der Dunkelheit auf Glassplitter trat, kam ihm ein Gedanke. Der Blick zum Dach bestätigte die Vermutung.
Unbekannte hatten eines der kleinen Fenster eingeschlagen. Daß das Trio aus dem Gästezimmer auf diesem Weg in die Freiheit entkommen war, hielt Parker für unwahrscheinlich, obwohl die Glassplitter dafür sprachen, daß der Schlag gegen die Scheibe von innen geführt worden war.
Lautlos ließ der Butler den Schlüssel ins Schloß gleiten, während Agatha Simpson ungeduldig darauf wartete, endlich eintreten zu können. Doch Parker gab den Weg noch nicht frei, sondern blieb lauschend auf der Schwelle stehen.
Schlagartig wurde ihm bewußt, vor welcher Gefahr die geheimnisvolle »innere Stimme« ihn hatte warnen wollen. Der ungewohnte Geruch, der im Haus herrschte, stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem leisen Zischen, das von der Küche an sein Ohr drang.
»Leider muß meine Wenigkeit Mylady höflichst ersuchen, sich noch einige Augenblicke zu gedulden«, sagte der Butler und trat in den verglasten Vorflur. Sekunden später hatte er alle Fenster geöffnet und in der Küche den Gashahn abgedreht.
»Was soll dieser Umstand, Mister Parker?« rief die Hausherrin von der Schwelle her. »Warum machen Sie nicht wenigstens Licht?«
»Schon der winzige Funke im Innern eines Lichtschalters würde ausreichen, um das explosive Gas-Luft-Gemisch zu entzünden, das sich im Haus angesammelt hat«, erläuterte Josuah Parker. »Eine Detonation hätte vermutlich Myladys Wohnsitz nebst den angrenzenden Gebäuden zerstört.«
Selbst in der Dunkelheit glaubte der Butler zu erkennen, daß Mylady erbleichte.
»Und mich hätte es wahrscheinlich auch erwischt, Mister Parker«, brachte die ältere Dame stockend hervor.
»Eine Vorstellung, die man nur als unerträglich bezeichnen kann, Mylady.«
»Scherze dieser Art gehen zu weit«, grollte die Detektivin, deren Energie sofort wieder erwachte. »Noch in dieser Nacht werde ich das Mordgesindel dingfest machen, Mister Parker.«
»Ein Vorsatz, den man uneingeschränkt begrüßen kann und muß, Mylady.«
»Ich werde mich nur mit ein paar Häppchen stärken und meinen Kreislauf pflegen, Mister Parker«, ließ Agatha Simpson den Butler wissen. »Anschließend breche ich wieder auf.«
»Myladys Wünsche sind meiner Wenigkeit Befehl«, versicherte Parker und deutete eine Verbeugung an.
»Oder war da noch etwas anderes, was ich vorher erledigen wollte?« dachte sie laut nach.
»Sofern man sich korrekt erinnert, äußerten Mylady die Absicht, die Herren im Gästezimmer einer eingehenden Befragung zu unterziehen«, half der Butler ihr auf die Sprünge. »Inzwischen dürften die Genannten es jedoch vorgezogen haben, Myladys Gastfreundschaft zu entsagen und das sprichwörtliche Weite zu suchen.«
Da der Geruch sich mittlerweile verzogen hatte, knipste Parker das Licht an und geleitete die ältere Dame in die Wohnhalle. Sobald er Mylady den sogenannten Kreislaufbeschleuniger serviert hatte, begab er sich ins Souterrain und fand seine Vermutung bestätigt.
Der Flur bot ein Bild der Verwüstung. Offenbar hatten die ungebetenen Besucher Dynamit benutzt, um die stählerne Feuerschutztür aus den Angeln zu sprengen und ihre Komplizen zu befreien. Von den Befreiten und ihren Befreiern fehlte natürlich jede Spur.
*
»Wer kann das sein, mitten in der Nacht?« fragte die passionierte Detektivin überrascht, als eine Viertelstunde später das Telefon klingelte.
»Möglicherweise Miß Porter und Mister Rander«, mutmaßte der Butler und lenkte seine Schritte in Richtung Diele.
»Dann fragen Sie gleich, wie es den Kindern geht und wo sie sind, Mister Parker«, trug Lady Simpson ihm auf.
Es waren aber gar nicht die Vermuteten.
Als Parker sich meldete, hörte man am anderen Ende der Leitung lediglich das stoßweise Atmen eines Menschen. Der anonyme Anrufer sagte kein einziges Wort, obwohl der Butler ihn ausdrücklich dazu ermunterte, sondern legte gleich wieder auf.
»Welche Schlüsse ziehe ich daraus, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame, als sie von dem wortlosen Anruf erfuhr.
»Mylady dürften der Annahme zuneigen, daß der Gegner sich vom Erfolg der ›Aktion Gashahn‹ überzeugen wollte, falls man nicht sehr irrt.«
»Die Lümmel werden frustriert sein, daß ihr teuflischer Plan mißlungen ist«, erwiderte die Hausherrin. »Wer eine Kriminalistin aus dem Weg räumen will, muß sich schon etwas Intelligenteres einfallen lassen.«
In diesem Augenblick schlug erneut das Telefon an.
»Da sind die Schurken schon wieder«, wußte Mylady im vorherein. »Sagen Sie den Subjekten, daß sie sich wenigstens zu erkennen geben sollen, Mister Parker!«
»Man wird es keinesfalls versäumen, Mylady«, versprach der Butler, doch diesmal war es wirklich der Anruf von Mike Rander, mit dem er schon gerechnet hatte.
»Darf man vermuten, daß Sie den vier Maskierten gefolgt sind, die Mister Brightons Werkstatt überfielen, Sir?« erkundigte sich Parker, »Genau das haben wir getan«, bestätigte der Anwalt. »Hoffentlich war es richtig.«
»Meine Wenigkeit war überzeugt, daß Sie so handeln würden, Sir.«
»Um so besser, Parker. Wissen Sie auch, bis wohin Kathy und ich die Burschen verfolgt haben?«
»Ihre Fragestellung legt den Schluß nahe, daß Sie sich in der Nähe von Oakhill Manor befinden, Sir«, antwortete der Butler.
»Stimmt«, erwiderte Rander verblüfft.
»Demnach dürfte eindeutig belegt sein, daß Mister Brighton geheime Verbindungen zu den ›Schwarzen Stieren‹ unterhält«, fügte Parker hinzu.
»Der Überfall war also fingiert?« schaltete der Anwalt sofort.
»Daran dürfte kaum zu zweifeln sein, Sir.«
»Daß die drei Modellflieger und der Wirt vom ›Roten Löwen‹ zu den ›Schwarzen Stieren‹ gehören oder zumindest mit ihnen Zusammenarbeiten, ist sowieso keine Frage«, resümierte Rander. »Alle Spuren laufen im Trainings camp dieses merkwürdigen Sportclubs in Oakhill Manor zusammen.«
»Eine Feststellung, der man keinesfalls widersprechen möchte, Sir.«
»Und wie geht’s weiter?« wollte der Anwalt wissen.
»Man wird Mylady vorschlagen, unverzüglich zu Ihnen und Miß Porter zu stoßen, Sir.«
»Alles klar, Parker«, verabschiedete sich Rander. »Kathy wird Sie an der Landstraße erwarten. Ich behalte solange das Schlößchen im Auge.«
»Das war mir natürlich von Anfang an klar, Mister Parker«, behauptete Lady Agatha erwartungsgemäß, nachdem der Butler sie über den aktuellen Stand der Dinge ins Bild gesetzt hatte.
»Mylady wünschen unverzüglich aufzubrechen?« erkundigte sich Parker.
»Warum die Eile?« gab Agatha Simpson mürrisch zurück. »Erst werde ich mir noch einen Schluck zum Aufwärmen genehmigen. Die Nacht ist kühl.«
»Darf man möglicherweise vermuten, daß Mylady sich des anonymen Anrufs erinnern?«
»Selbstverständlich, Mister Parker.«
»Das offensichtliche Mißlingen seines Anschlags dürfte den Anrufer zu weiteren Aktivitäten ermuntern, falls der Hinweis erlaubt ist.«
»Soll er seine Killerkommandos nur schicken«, warf Mylady sich in die ohnehin voluminöse Brust.
»Woran man nicht im mindesten zweifelt, Mylady«, erklärte der Butler. »Eine Auseinandersetzung mit möglichen Belagerern würde einen Zeitaufwand erfordern, den man nur als überflüssig bezeichnen kann und muß.«
»Auf diesen Aspekt wollte ich gerade aufmerksam machen«, schwenkte die Hausherrin in ihrer eleganten Art auf Parkers Linie ein und erhob sich.
*
Über den bewaldeten Hügeln graute der Morgen. Parker stoppte sein hochbeiniges Monstrum und ließ die am Straßenrand wartende Kathy Porter zusteigen.
»Wachposten sind offenbar nicht aufgestellt«, meldete die junge Dame. »Die Bande fühlt sich wohl sicher, weil die Zugbrücke hochgezogen ist.«
»Demnach gibt es keine Möglichkeit, trockenen Fußes zu den Gebäuden zu gelangen, Miß Porter?« vergewisserte sich der Butler.
»Im rückwärtigen Teil des Geländes hat Mike einen alten Kahn entdeckt«, berichtete Kathy Porter. »Aber der liegt am anderen Ufer und ist an einen Holzpflock gebunden.«
»Das ist überhaupt kein Problem, Kindchen«, zeigte Mylady ihre bekannte Zuversicht. »Mister Parker wird schon etwas einfallen. Details sind seine Sache.«
Natürlich ließ der Butler sich etwas einfallen.
Als er Minuten später sein altertümlich wirkendes Gefährt an sichtgeschützter Stelle zum Stehen brachte, hatte die ältere Dame sich entschieden, im Fond zu warten, bis die Zugbrücke herabgelassen war und ihr die Möglichkeit zu standesgemäßem Einzug auf Oakhill Manor eröffnete. Zugleich bestand Mylady nachdrücklich darauf, daß ihre Gesellschafterin ihr auch wirklich Gesellschaft leistete.
»Wollen Sie etwa das Boot mit einem Lasso einfangen, Mister Parker?« fragte Lady Simpson belustigt, als der Butler ein längeres, kräftiges Nylonseil einsteckte, ehe er den Wagen verließ.
»In der Tat dürfte die Technik, die meine Wenigkeit anzuwenden gedenkt, am ehesten der des Lassowurfs entsprechen, Mylady«, bestätigte Parker und empfahl sich mit höflicher Verbeugung.
Beim Gehen zog er das Nylonseil aus der Tasche, und als er gleich darauf zwischen Weidenbüschen am Rand des Wassergrabens mit Mike Rander zusammentraf, hatte er das eine Ende schon an der Spitze seines altväterlichen Regendaches verknotet.
Lautlos wie ein schwarzer Vogel flog der angeseilte Universal-Regenschirm über den fast zwanzig Schritte breiten Graben und landete sanft auf der anderen Seite im kurzgeschorenen Rasen. Ein Stück war er über den Pflock hinausgeflogen, an dem das Boot angebunden war.
Langsam holte der Butler das Nylonseil wieder ein, bis der über den Rasen gleitende Bambusgriff sich am Holz festhakte. Da langte auch der Anwalt zu und sorgte dafür, daß der in den weichen Boden geschlagene Pflock seinen Widerstand aufgab.
Das Boot herüberzuziehen, war eine Kleinigkeit. Zwei Minuten später hatten Parker und Rander die Überfahrt im Morgengrauen hinter sich und betraten die künstliche Insel von Oakhill Manor.
Die Bewohner des Landsitzes schienen Frühaufsteher zu sein. Aus den Fenstern einer ehemaligen Remise fiel helles Licht in den gepflasterten Hof.
Der gelbliche Schein traf zwei männliche Gestalten vor der Tür. Das Duo hatte Maschinenpistolen geschultert, schien aber nicht ernsthaft mit einem Angriff zu rechnen.
Fast gleichzeitig stöhnten die Männer dann aber doch. Der eine, weil der bleigefüllte Griff von Parkers Universalschirm eindringlich an seine Schädeldecke pochte, der andere, weil Randers rechter Haken ihn erwischte. Anschließend suchten die Wächter eilig den Kontakt zum Boden.
Die Fenster des Raumes waren beschlagen, so daß man nicht hineinsehen konnte. Dafür drang durch offene Oberlichter ein vielstimmiges Gemurmel nach draußen, das aber plötzlich verstummte.
Sekunden später war eine einzelne Stimme zu vernehmen, die dem Butler noch gut in Erinnerung war.
Sie gehörte Eric Millstone, dem »Commander«. Und was der seinen Untergebenen zu sagen hatte, ließ die ungebetenen Zuhörer aufhorchen.
*
»Männer!« rief Millstone schneidig wie ein altgedienter Feldwebel. »Der Tag der Bewährung bricht an. Monatelang haben wir alles getan, um eure Kampfbereitschaft zu stärken.«
»Starke Sprüche«, kommentierte Rander flüsternd.
»Sobald die BBC in den Abendnachrichten unseren Bekennerbrief verlesen hat, werden die ›Schwarzen Stiere‹ in aller Munde sein«, redete der »Commander« weiter. »Man wird dann nicht mehr umhinkönnen, auf unsere Forderung nach Ausweisung aller Nicht-Engländer einzugehen.«
»Das ist ja Hetze der übelsten Sorte«, quittierte der Anwalt wütend diesen Spruch. »Wenn wir nur wüßten, was die Halunken konkret vorhaben.«
»Haltet euch in den Unterkünften bereit! Es wird eine spektakuläre Aktion werden, die unser Anliegen schlagartig ins Bewußtsein der Nation rückt. Im übrigen soll ich euch die Grüße des Chefs übermitteln.«
Eine kurze Pause entstand.
»Den Einsatzort weiß hoffentlich jeder von euch«, brachte Mills tone die makabre Veranstaltung zu Ende. »Hat noch jemand eine Frage?«
Niemand meldete sich. Offenbar wußten die »Schwarzen Stiere«, was sie zu tun hatten.
Das wußte auch Josuah Parker.
Mit routiniertem Griff fischte er aus der linken Außentasche seines schwarzen Covercoats eine kleine Plastikkapsel, die einem Pingpongball nicht unähnlich sah. Erst auf den zweiten Blick fielen die nadelstichähnlichen Löcher auf, mit denen die Oberfläche perforiert war.
Mit der schwarz behandschuhten Rechten preßte der Butler das Bällchen zusammen, bis feines Knistern von splitterndem Glas hörbar wurde. Im nächsten Moment flog die weiße Kugel durch eines der offenen Oberlichter in den Versammlungsraum. Eine zweite folgte auf dem Fuß.
Augenblicklich verband sich die glasklare Flüssigkeit aus den zerbrochenen Ampullen auf eine Weise mit dem Luftsauerstoff, die man nur als stürmisch bezeichnen konnte. Zischend entwich das betäubende Gas, das aus dieser Verbindung entstand, durch die zahllosen winzigen Löcher und füllte im Handumdrehen den ganzen Raum.
Keuchen und krampfartige Hustenanfälle signalisierten gleich darauf, daß die beizenden Nebel die Atemwege der Insassen erreicht hatten. Die Geräusche hielten jedoch nur kurze Zeit an. Dann verebbten sie und gingen nahtlos in friedliches Schnarchen über.
Einer der Männer schaffte es gerade noch, die Tür aufzureißen. Er taumelte dem Anwalt in die Arme, der ihm eine kurze Kinnmassage verabreichte und ihn wie einen nassen Sack zu Boden sinken ließ.
Parker hatte in der Zwischenzeit den Hof überquert und schaltete den starken Elektromotor ein, der die Zugbrücke senkte. Wenig später saß er hinter dem Lenkrad seines hochbeinige Monstrums und verhalf Mylady zum triumphalen Einzug auf Oakhill Manor.
*
Um den entspannt wirkenden »Schwarzen Stieren« einen ungestörten Schlummer zu ermöglichen, schloß der Butler Tür und Oberlichter des Versammlungsraumes. Nur Eric Millstone wurde in den Besuchersalon gebracht, wo Lady Simpson ihn zum Verhör erwartete.
Parker plazierte den »Commander« in einem Sessel und legte ihm Handschellen aus speziell gehärtetem Stahl an, ehe er ihn mit Hilfe des Riechsalz-Fläschchens in die harte Realität zurückholte. Als Millstone die Augen aufschlug und irritiert um sich blickte, war die Detektivin schon über den Verlauf des Appells informiert.
»Sie, Mylady?« stammelte der Mann, als seine verschleierten Augen die ältere Dame wahrnahmen. Fast gleichzeitig wollte Millstone zum Angriff übergehen. Dank der Handschellen blieb sein Bemühen jedoch im Versuchsstadium stecken.
»Diese unnütze Kraftanstrengung hilft Ihnen auch nicht mehr, junger Mann«, sagte Agatha Simpson. »Ihre kriminelle Organisation ist dank meiner Taktik zerschlagen. Ich werde die ›Roten Ochsen‹ zum Gespött der Nation machen.«
»›Rote Ochsen‹?« wiederholte Millstone stirnrunzelnd.
»Mylady geruht, die ›Schwarzen Stiere‹ zu meinen, falls der Hinweis erlaubt ist, Mister Millstone«, griff der Butler erläuternd ein.
»Niemand kann unsere Organisation zerschlagen«, reagierte der »Commander« trotzig, aber ohne Überzeugungskraft.
»Niemand – außer mir«, präzisierte die Detektivin. »Jetzt, wo das Spiel für Sie sowieso aus ist, sollten Sie sich nicht länger zieren und endlich ein umfassendes Geständnis ablegen junger Mann.«
»Für mich gibt es nichts zu gestehen«, knurrte Millstone. »Ich habe getan, was meine Pflicht ist.«
»Zu Ihren Pflichten dürfte es wohl kaum gehören, bewaffnete Anschläge anzuordnen, Mister Millstone«, schaltete Parker sich in das Gespräch ein.
»Was denn für Anschläge?« versuchte der »Commander«, den Ahnungslosen zu spielen.
»Meine Wenigkeit wurde mehr oder weniger zufällig Ohrenzeuge der anfeuernden Rede, die Sie hielten, Mister Millstone«, ließ der Butler sein Gegenüber wissen.
»Da geht es doch nur um Ausländer, um ganz bestimmte Leute. Der Kampf ist nichts als Notwehr.«
»Notwehr?« griff Agatha Simpson das Stichwort auf. »Soll ich Ihnen mal demonstrieren, was Notwehr ist, junger Mann?«
Ruckartig zog sie die wie martialische Bratspieße aussehenden Hutnadeln aus ihrer Kopfbedeckung.
»Wenn ich mit diesen niedlichen Nadeln zusteche, weil ich mich von Ihnen bedroht oder beleidigt fühle, ist das Notwehr«, dozierte die resolute Dame.
»Aber«, protestierte Millstone, der die Spitzen mit besorgten Blicken näherkommen sah. »Was haben Sie denn davon, wenn Sie mich umbringen, Mylady?«
»Nichts, junger Mann«, gab die Detektivin zurück und steckte die sogenannten Hutnadeln wieder an ihren Platz. »Deshalb werde ich zu anderen Methoden greifen, um Ihrer Gesprächsbereitschaft nachzuhelfen.«
»Sie wollen mich doch nicht etwa foltern?« Millstone wurde blaß wie eine gekalkte Wand. Seine Augen weiteten sich vor Schreck.
»Was für ein häßliches Wort, Mister Killbone«, entrüstete sich Lady Agatha. »Ich spreche lieber von verfeinerten Vernehmungsmethoden.«
*
Was seine Besucherin konkret darunter verstand, bekam der Mann umgehend zu spüren.
Beherzt faßte Agatha Simpson nach den Ohren des »Commander« und drehte daran, als habe sie die Knöpfe eines Radios in der Hand.
Millstone wand sich wie ein Schlangenmensch und bekundete sein Einlenken.
»Wie sollte denn Ihre sogenannte Notwehraktion ablaufen, Millstone?« griff Mike Rander ein.
»Unsere Männer sollten sich auf vorher abgesprochene Einsatzorte verteilen und die Stärke der ›Schwarzen Stiere‹ demonstrieren«, gab der »Commander« vorsichtig Auskunft.
»Dabei sollte auch scharf geschossen werden?« hakte der Anwalt nach.
»Nur auf Parasiten, die junge Leute ins Verderben treiben wollen«, entgegnete Millstone. Mit dem Schneid, den er noch beim Appell demonstriert hatte, war es nicht mehr weit her.
»Danken Sie Gott, daß ich eine Kultivierte Dame bin, die selbst Verbrecher noch fair behandelt«, äußerte die Detektivin.
»Möglicherweise darf man die Frage anschließen, mit welcher Art von »Signal die ›Schwarzen Stiere‹ ihre Terrorwelle eröffnen wollten, Mister Millstone«, nahm Parker wieder die Fäden in die Hand.
Der Mann zögerte einen Moment, aber der demonstrative Griff Lady Simpsons an ihre Hutnadeln löste seine Zunge augenblicklich.
»Der Chef wird zum ersten Mal eine neuartige Waffe einsetzen«, gestand Millstone, den Blick zu Boden geheftet.
»Darf man die Vermutung äußern, daß es sich dabei um einen Miniaturpanzer handelt, der mit Hilfe eingebauter Videokameras von einer geheimen Kommandozentrale aus ferngelenkt wird?« wollte der Butler wissen.
Millstone zuckte zusammen, als hätte er unversehens eine Starkstromleitung angefaßt. Seine Augenlider flatterten nervös.
»Sie wissen ja schon alles«, stellte er deprimiert fest.
»Haben Sie etwa daran gezweifelt, junger Mann?« brüstete sich die passionierte Detektivin.
»Dennoch wäre Mylady Ihnen sehr verbunden, Mister Millstone«, fuhr Parker fort, »wenn Sie sich bereit fänden, den genauen Zeitpunkt und den Ort zu nennen, an dem die ferngelenkte Mordwaffe erprobt werden soll.«
»Soviel ich weiß, findet um neun Uhr am Hyde Park Corner eine Demonstration statt«, teilte Millstone mit. »Nähere Einzelheiten hat der Chef mir nicht gesagt.«
»Übrigens dürfte die Diskretion, mit der Sie die Person Ihres Auftraggebers behandeln, als überflüssig gelten, Mister Millstone«, warf der Butler ein. »Mylady ist ohnehin bekannt, daß es sich dabei um einen gewissen Fred Brighton handelt, der in Shadwell eine Werkstatt für Modellbau betreibt.«
»Dachte ich mir schon«, räumte der »Commander« ein.
»Und dieser brutale Einsatz gegen wehrlose Menschen soll der Auftakt zu einer Welle von Anschlägen sein?« faßte der Anwalt noch mal nach.
»Landesweit«, nickte Millstone.
»Landesweit?« stutzte Rander. »Wollen Sie damit sagen, daß Oakhill Manor nicht das einzige Trainingscamp der ›Schwarzen Stiere‹ ist?«
»Weitere Stützpunkte sind in Southampton, Birmingham und Manchester«, verriet der Terrorist.
»Man dankt, auch in Myladys Namen, für die Auskunft, Mister Millstone«, sagte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung, nachdem er sich die genaue Lage der »Stützpunkte« notiert hatte.
»Wie spät ist es, Mister Parker?« fragte Lady Agatha in diesem Moment. »Mir bleibt doch hoffentlich Zeit genug, um das Schlimmste zu verhüten?«
»Inzwischen ist es dreizehn Minuten nach sieben Uhr, Mylady«, gab der Butler, der seine altväterliche Taschenuhr mit dem gewölbten Sprungdeckel konsultiert hatte, die gewünschte Auskunft. »In Anbetracht des zu erwartenden Berufsverkehrs dürfte die verbleibende Zeit ausreichen, um rechtzeitig am Hyde Park Corner zu sein.«
Ehe das Quartett nach London aufbrechen konnte, begab sich Parker noch mal in den Versammlungsraum. Dort leerte er drei Dosen mit betäubendem Spray, um die Träume der schlummernden ›Stiere‹ bis zum Eintreffen der Polizei zu verlängern.
Anschließend telefonierte der Butler mit Chief-Superintendent McWarden, der bei Scotland Yard eine Spezialeinheit zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens leitete.
Der einflußreiche Beamte, der dem Haus Simpson durch gelegentliche Besuche verbunden war, fiel aus allen Wolken, als der Butler ihn über die geplanten Terroranschläge der »Schwarzen Stiere« ins Bild setzte und deren Trainingscamps nannte.
»Ich werde sofort alle verfügbaren Polizeikräfte zusammenziehen, Mister Parker«, versprach der Chief-Superintendent. »Innerhalb einer Stunde sitzt die Bande hinter Schloß und Riegel.«
»Eine Ankündigung, die man mit der großen Genugtuung zur Kenntnis nimmt, Sir«, sagte Parker und beendete das Gespräch.
Ein Blick auf seinen Chronometer belehrte den Butler darüber, daß es mittlerweile halb acht vorbei war. Die Zeit drängte. Wenn man auf der Fahrt in die Stadt in einen Verkehrsstau geriet, konnte es schon zu spät sein.
*
Kerzengerade, als hätte er einen Ladestock verschluckt, saß Josuah Parker hinter dem Lenkrad seines hochbeinigen Monstrums. Die würdevolle Haltung stand in lebhaftem Kontrast zu seinem Fahrstil, den man andeutungsweise mit dem Wort »gewagt« charakterisieren konnte.
Obwohl der Butler reaktionsschnell jede Lücke nutzte, um im dichten Berufsverkehr schneller voranzukommen, war sein Tempo nie wirklich leichtsinnig. Er schöpfte nur die Möglichkeiten aus, die die spurtstarke Rennmaschine und das Spezialfahrwerk mit seiner schon legendären Straßenlage boten.
Hie und da bog Parker unvermittelt von der breiten Piste ab und nahm weniger befahrene Parallelstraßen, die ein schnelleres Fortkommen ermöglichten. Mike Rander, der mit Kathy Porter in deren Mini-Cooper folgte, hatte nicht geringe Mühe, die »Trickkiste auf Rädern« im Auge zu behalten.
In Kensington trennten sich die Wege. Der Butler schwenkte nach links ab, um über die Vauxhall Bridge in Richtung Hyde Park zu fahren, Kathy Porter mit dem Anwalt nahm Kurs auf die Tower Bridge.
Unterwegs hatte man per Sprechfunk vereinbart, daß Parker und Mylady sich an den mutmaßlichen Einsatzort des gefährlichen Elektronik-»Spielzeugs« begeben würden. Mike Rander und seine Begleiterin wollten Fred Brightons Betrieb in Shadwell aufsuchen.
Vielleicht gab es noch eine hauchdünne Chance, den Drahtzieher des Terrors zu stoppen, ehe er das Mordgerät vom Monitor aus auf ahnungslose Demonstranten dirigierte.
Schon in Höhe von Shepherd’s Market nahm die Verstopfung der Park Lane beängstigende Formen an. Ein gutes Stück von Speaker’s Corner entfernt erlahmte der Autoverkehr.
Die Menschenmenge, die sich unter Transparenten und Spruchbändern versammelt hatte, ging in die Tausende. Der Polizei blieb keine andere Wahl, als die übervölkerte Straße zu sperren.
Inmitten der festgefahrenen Blechschlange stieg der Butler aus seinem schwarzen Gefährt, öffnete den Wagenschlag und half seiner Herrin beim Aussteigen.
Die Veranstaltung war gerade eröffnet worden. Hinter einem erhöhten Pult stand ein nicht mehr ganz junger Redner, der in diesem Moment unvermeidliche Begrüßungsfloskeln von sich gab. Dicht gedrängt standen seine Zuhörer.
»Gibt es hier eigentlich etwas gratis, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame interessiert.
»Damit dürfte kaum zu rechnen sein, Mylady«, erwiderte der Butler.
»Dann verstehe ich nicht, warum Menschen in solcher Zahl zusammengeströmt sind«, fuhr Agatha Simpson fort. »Für nichts steht man sich doch nicht die Beine in den Leib.«
Parker unterließ es, die Mylady über Sinn und Zweck einer Demonstration aufzuklären. Daß es Menschen gab, denen das Leben manches schuldig blieb, hätte sie ohnehin vehement bestritten. Überdies traten Ereignisse ein, die die Aufmerksamkeit des Butlers beanspruchten.
Am Rande der disziplinierten Menge, die den Worten des Redners lauschte, war Unruhe ausgebrochen. Menschen liefen in alle Richtungen auseinander. Schreie wurden hörbar.
»Man bittet höflich, die kurze Abwesenheit meiner bescheidenen Wenigkeit zu entschuldigen, Mylady«, sagte Parker. Er verneigte sich knapp und beschleunigte anschließend seine Schritte, soweit es sich mit der würdevollen Haltung eines hochherrschaftlichen Butlers vereinbaren ließ.
Lady Agathas wütender Protest erreichte sein Ohr nicht mehr. Er hätte ihn auch überhören müssen, denn jetzt ging es um Sekunden. Schon griff die Panik um sich.
*
Später wußte niemand, woher der Panzer im Rasenmäherformat gekommen war. Unvermittelt war das ferngelenkte Kettenfahrzeug am Rand der vielköpfigen Menschenmenge aufgetaucht und hatte Kurs auf die Rednertribüne genommen.
Unaufhaltsam war das trotz seiner bescheidenen Maße bedrohlich wirkende Modell zwischen den Beinen der Versammlungsteilnehmer hindurchgerollt, hatte Hühneraugen plattgewalzt und Kinderwagen beiseite geschoben. Die Schreie der zurückweichenden Menge waren zu diesem Zeitpunkt noch harmlose Schreie des Erschreckens. Noch hatte niemand die tödliche Bedrohung erkannt, die von dem Miniaturpanzer ausging.
Sekunden später hatte Parker sich soweit heran gearbeitet, daß er das Produkt aus Fred Brightons Werkstatt zum ersten Mal in. Augenschein nehmen konnte. Sofort fiel ihm das rote Wappen mit dem schwarzen Stierkopf ins Auge, das auf die Urheber dieses wahnwitzigen Anschlags hinwies.
Gerade faßte der Butler mit der schwarz behandschuhten Rechten nach der Krempe seiner Melone, als der Kommandoturm des gemächlich rollenden Kettenfahrzeugs sich plötzlich zu drehen begann. Unmißverständlich schwenkte der Lauf des Geschützes in Richtung der schwarz gewandeten Gestalt.
Wie im Traum tauchte vor Parkers Augen das Bild Fred Brightons auf, der vor einem Monitor saß und kaltblütig die Chance nutzen wollte, um mit seinem gefährlichsten Widersacher abzurechnen.
Dank der Reaktion des Butlers, der mit derartigen Rachegelüsten bereits gerechnet hatte, blieb dem Mörder am Monitor jedoch der Erfolg seines Bemühens versagt.
Mit ruckartiger Bewegung ließ Josuah Parker seine Kopfbedeckung wie eine Frisbee-Scheibe davonschwirren. Nach kurzem Flug setzte sich die Melone auf den Kommandoturm des Miniaturpanzers.
Zwar ragte das Geschützrohr noch unter der Krempe hervor, aber die »Augen« der beiden Videokameras waren bedeckt. Damit war das ferngelenkte Modell nicht gerade führerlos, aber immerhin sein Lenker so blind wie ein Maulwurf.
Fred Brighton, der noch nichts vom Zusammenbruch seiner Terrororganisation ahnte, setzte alles auf eine Karte und ... feuerte!
In Panik warf sich die Menge zu Boden, als das Geschütz losratterte und seine Geschoßgarben ausspuckte.
Auch Parker war in Deckung gegangen, was sich jedoch als überflüssige Vorsichtsmaßnahme erwies. Der Lauf der Miniaturkanone war viel zu hoch eingestellt.
Ohne Schaden anzurichten, verschwanden die Geschosse im grauen Morgenhimmel, während der Kommandoturm sich ziellos mal nach links, mal nach rechts drehte.
In gebückter Haltung hatte der Butler gleich darauf das Kettenfahrzeug erreicht. Entschlossen knipste er mit einer Universalzange, die er aus einer der unergründlichen Innentaschen seines altväterlich geschnittenen Covercoats gezogen hatte, die Antenne am Heck des Modells durch.
Augenblicklich verstummte das Geschütz.
Das Modell aber rollte weiter. Mit der geradezu sprichwörtlichen Sturheit eines Panzers rasselte es durch die Gasse, die die Demonstranten freigemacht hatten, warf das inzwischen verwaiste Rednerpult um und nahm anschließend die Rasenfläche des Parks unter die Ketten.
Polizisten in Uniform rannten hinter dem Panzer her und stießen heftig in ihre Trillerpfeifen, als ließe sich das außer Kontrolle geratene Gefährt durch Signale aufhalten.
Parker hatte Wichtigeres zu tun, als sich um die entschärfte Mordwaffe zu kümmern, die niemand mehr gefährden konnte.
»Mister Parker!« drang das baritonale Organ der älteren Dame an sein Ohr. »Wo stecken Sie?«
»Stets zu Diensten, Mylady«, meldete sich der Butler zurück.
Agatha Simpson war ungehalten, daß Parker sie in der Menschenmenge hatte stehen lassen. Ihr Zorn verrauchte aber schnell, als sie vom Erfolg der Aktion erfuhr.
»Wieder mal hat meine Taktik sich bewährt«, rief sie den Menschen ins Gesicht, die sie verständnislos ansahen. »Die Nation ist mir zu Dank verpflichtet.«
»Was meine Wenigkeit mit allem Nachdruck unterstreichen möchte, Mylady«, sagte Parker und wies seiner Herrin den Weg zum Wagen.
»Mylady waren schlechthin unvergleichlich, falls der Hinweis erlaubt ist.«
»Hoffentlich waren die Kinder auch erfolgreich«, bemerkte Agatha Simpson, als sie im gepolsterten Fond des hochbeinigen Monstrums Platz genommen hatte.
»Ich mache mir immer Sorgen, wenn ich Mike und Kathy allein losschicken muß. Wer soll ihnen denn beistehen, wenn ich nicht meine schützende Hand über sie halte?«
Myladys Angst war unbegründet, wie sich bald nach der Rückkehr nach Shepherd’s Market herausstellte. Telefonisch meldete Rander, Fred Brighton befinde sich mittlerweile in Polizeigewahrsam.
Gemeinsam mit der ebenso schlagfertigen wie attraktiven Kathy Porter hatte er den Chef der Terrororganisation überwältigt, als dieser wie wild an den Reglern seiner plötzlich schwarz gewordenen Monitoren drehte.
*
Der Teetisch in der weitläufigen Wohnhalle war festlich gedeckt. Eine Fruchttorte, duftender Königskuchen und knuspriges Blätterteiggebäck standen bereit.
Josuah Parker, im schwarzen Zweireiher mit blütenweißen Eckkragen, schenkte goldgelben Darjeelingtee der ersten Ernte ein und trat anschließend in seiner unvergleichlichen Art einen halben Schritt zurück.
»Nach meiner umsichtigen Vorbereitung war es natürlich kein Problem, den Oberochsen zu fangen«, breitete die Hausherrin ungeniert ihre ganz persönliche Sicht des gerade abgeschlossenen Falles aus. »Reine Formsache sozusagen.«
Mike Rander und Kathy Porter, die sich als Gäste zum Fünfuhrtee eingefunden hatten, beschränkten sich auf zustimmendes Nicken. Dabei tauschten sie verstohlene Blicke, die der Butler zwar bemerkte, aber in seiner diskreten Art übersah.
»Unsere Polizei wäre den ›Roten Ochsen‹ nie auf die Spur gekommen«, hielt Lady Agatha die Fahne des Eigenlobs hoch, während Parker ihr das zweite Tortenstück vorlegte. »Aber Mister McWarden hält es ja nicht für nötig, sich bei mir zu bedanken.«
»Vielleicht ist er das«, mutmaßte Kathy Porter, als die Hausglocke läutete.
Parker, der sich inzwischen gemessenen Schrittes in den verglasten Vorflur begeben hatte, mußte zweimal hinsehen, als er öffnete. Erst dann gewahrte er das runde, stets leicht gerötete Gesicht McWardens hinter einem prächtigen Blumengebinde, das mit dem Wort »verschwenderisch« nur unzureichend umschrieben ist.
»Einen wunderschönen, guten Tag, Mister Parker!« strahlte der Chief-Superintendent, der offensichtlich bei bester Laune war.
»Man dankt in aller Form und erlaubt sich, ebenfalls einen angenehmen Tag zu wünschen, Sir«, erwiderte der Butler und ließ den Besucher ein.
»Hoffentlich störe ich nicht?« vergewisserte sich der Yard-Beamte, während Parker ihm Hut und Mantel abnahm.
»Mylady nimmt gerade den Tee, Sir«, teilte der Butler mit.
»Oje!« rief McWarden in gespieltem Entsetzen. »Dann wird sie mir bestimmt wieder meine Figur vorhalten.«
Der professionelle Ganovenjäger, der zwar untersetzt, aber für seine fünfundfünfzig Jahre keineswegs dick war, kannte die kleinen Boshaftigkeiten, deren die ältere Dame fähig war, aus leidvoller Erfahrung. Dennoch stellte er sich immer wieder im Hause Simpson ein, wenn seine konventionellen Ermittlungsmethoden nicht weiterhalfen.
Parkers ausgewogenes Urteil schätzte er außerordentlich. Dafür ertrug er die Sticheleien der Hausherrin zwar tapfer, aber nicht immer mit der gebotenen Gelassenheit.
»Wie reizend, Sie zu sehen, mein lieber McWarden«, verfiel Lady Simpson in die lieblichste Tonart, die ihr zu Gebote stand. Sie hatte sofort registriert, daß der Besucher ihr nicht nur Blumen mitgebracht hatte, sondern zusätzlich eine in Geschenkpapier gewickelte Schachtel.
»Es drängt mich förmlich, Ihnen zu Ihrem glänzenden Fahndungserfolg zu gratulieren, Mylady«, erwiderte der Chief-Superintendent und beugte sich galant zum Handkuß über die muskulöse Rechte, die Agatha Simpson ihm entgegenhielt.
»Wer hat Ihnen denn wieder die Kastanien aus dem Feuer geholt, McWarden?« wollte die Detektivin wissen.
»In diesem Fall stimmt es sogar, Mylady«, räumte ihr Gegenüber ein. »Wir brauchten nur noch zuzuschlagen und haben einen Fang gemacht, dessen Tragweite nicht abzuschätzen ist.«
»Darf man höflich nachfragen, wie Sie diese Äußerung verstanden wissen möchten, Sir?« meldete Parker sich zu Wort.
»Meine Leute haben innerhalb einer Stunde hundertachtunddreißig Verdächtige festgenommen. Das dürfte der komplette Personalbestand der ›Schwarzen Stiere‹ sein«, holte der Besucher etwas weiter aus. »Zusätzlich haben wir fünf wohlbestückte Waffendepots beschlagnahmt.«
»Ein lohnender Fischzug«, merkte Mike Rander an.
»Das ist aber noch nicht alles«, fuhr McWarden fort. »Zusätzlich sind uns Namenslisten von betuchten Spendern in die Hände gefallen, die diese Terrororganisation unterstützt haben.«
»Da steht mein Name aber mit Sicherheit nicht drauf«, warf Agatha Simpson ein.
»Damit hätte ich auch nie gerechnet, Mylady«, schmunzelte der Chief-Superintendent. »Im übrigen laufen Ermittlungen bei der Army, wo die ›Schwarzen Stiere‹ ein Netz von Werbern unterhielten, die regelmäßig geschmiert wurden. Sogar Interpol ist eingeschaltet.«
»Interpol?« wunderte sich der Anwalt.
»Fred Brighton war nicht nur der Kopf der ›Schwarzen Stiere‹«, erläuterte McWarden. »Er unterhielt auch Verbindungen zu befreundeten Terrororganisationen auf dem Festland und in den USA. Zu den Anschlägen, die dort geplant waren, wird es nun wohl nicht mehr kommen.«
»Das sollte Ihnen schon einen Blumenstrauß wert sein, McWarden«, rückte sich die Hausherrin eilig ins rechte Licht. »Und was ist eigentlich in dem Päckchen, das Sie mir mitgebracht haben?«
»Nougatpralinen! Welch hübsche Idee«, flötete die überraschte Lady, nachdem Parker die Verpackung entfernt hatte. »Eigentlich wollte ich gerade wieder mit einer Diät beginnen, aber eine kleine Kostprobe werde ich mir noch genehmigen dürfen.«
»Ich habe ja noch was vergessen«, rief der Chief-Superintendent und strebte zum Ausgang.
Wenn Mylady gehofft hatte, noch eine dritte Aufmerksamkeit kassieren zu können, sah sie sich getäuscht, als der Yard-Beamte gleich darauf zurückkehrte.
In der Hand hielt er ... Parkers Melone. Ein Polizist hatte sie aus dem »Serpentine« genannten See im Hyde Park gefischt, wo Brightons Miniaturpanzer seine Amokfahrt beendet hatte.
Mylady fiel sofort auf, daß das gute Stück nicht mehr ganz sauber war.
»Sie hätten das Ding ja wenigstens vorher reinigen lassen können, McWarden«, sagte sie. »Eine alleinstehende Dame wie ich kann sich solche Ausgaben nicht leisten.«
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