Читать книгу Butler Parker Staffel 14 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 9
ОглавлениеButler Parker befand sich im Stadium leichter Unruhe, doch er ließ sich das natürlich nicht anmerken.
Er stand in einem Beobachtungsbunker der Armee und versuchte den Gefechtslärm zu ignorieren, der seit knapp einer Stunde seine Ohren beleidigte. Durch einen schmalen Sehschlitz sah er hinunter auf das weite Manöverfeld, wo Krieg gespielt wurde. Dinge dieser Art hatten ihn noch nie interessiert.
Auf dem Kampffeld kurvten gepanzerte, mobile Einheiten der Armee, Mannschaften saßen auf und dann wieder ab, Hubschrauber quirlten die Luft, Tiefflieger warfen Rauchbomben ab, und Panzerwagen pflügten den Boden. Es wurde eine Unmenge von Platzpatronen verschossen, und die Herren im Beobachtungsbunker freuten sich offensichtlich. Im Gegensatz zu Josuah Parker schien ihnen dieses Spektakel sehr zu gefallen.
Eine illustre Gesellschaft hatte sich versammelt. Es gab Uniformierte und Zivilisten, die sich sach- und fachkundig unverständliche Chiffren und Bemerkungen zuriefen. Die Armee hatte hohe Herren des Ministeriums eingeladen und wollte sich von anderen, die zur Industrie gehörten, neue Entwicklungen vorführen lassen.
Das alles aber hatte die leichte Unruhe in Parker nicht ausgelöst Seine sich steigernde Nervosität hing mit der Tatsache zusammen, daß Lady Agatha Simpson diesen Bunker vor einer halben Stunde verlassen hatte. Ein Mann wie Parker nahm so etwas nicht auf die leichte Schulter. Ihm war die Unternehmungslust seiner Herrin nur zu bekannt. Und er wußte, wie sehr sie sich für technische Dinge interessierte.
»Gleich ist es soweit«, sagte General Cummings, ein kleiner, drahtiger Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren. Er hatte sich zu seinen Gästen umgewandt und strahlte. »Sie werden die Uraufführung einer echten Sensation erleben. Ashford, geben Sie die Stichworte!«
Was Ashford prompt tat, denn er war nur Oberst und hatte zu gehorchen. Ashford war etwa vierzig Jahre alt, groß, schlank und erinnerte in seinem Aussehen an einen James-Bond-Darsteller.
»Die Armee wird Ihnen, meine Herren, den XAR III im Einsatz zeigen«, begann Ashford militärisch knapp. »Im internen Sprachgebrauch wurde dieses neue Panzermodell ›Meteor‹ getauft. Es zeichnet sich durch eine niedrige Silhouette aus, ist schneller als vergleichbare und bisher bekannte Panzermodelle und verfügt über einen Aktionsradius, der etwa um zwanzig Prozent über dem bisher üblichen liegt. Seine Feuerkraft ist schon fast bestürzend und übersteigt alle uns bekannten Normen. Hindernisse dürften für den ›Meteor‹ kaum existieren, obwohl er fast fünfzig Tonnen schwer ist. Der ›Meteor‹ kommt mit drei Mann Besatzung aus. Was heute getestet werden soll, ist natürlich der neu entwickelte Motor, der eine echte Sensation darstellt.«
Oberst Ashford verbeugte sich und sah in die Richtung eines seriös aussehenden Mannes, der eine Brille trug und Autorität ausstrahlte.
»Wir werden Ihnen unseren neuen Abgasturboauflader unter härtesten Bedingungen zeigen«, begann Lorne Shuffle, »Einzelheiten dieser Konstruktion sind selbstverständlich streng geheim, dennoch einige pauschale Angaben, damit Sie eine ungefähre Vorstellung haben. Das Trockengewicht dieser Neuentwicklung beträgt rund 2 400 Kilogramm, die Brennstoffe sind Diesel, Otto-Kraftstoff, Düsentreibstoffe und ...«
... wenn es sein muß, sogar Olivenöl«, schaltete sich ein mittelgroßer, ein wenig dicklich aussehender Mann ein, der über eine beachtliche Glatze verfügte. »Wir haben es mit einem sogenannten Allesfresser zu tun. Im Fall eines Falles lassen sich auch Haarwasser, Rasierwasser und Whisky als Treibstoff verwenden, vom letzteren Treibstoff würde ich allerdings abraten.«
Die im Beobachtungsbunker versammelten Militärs und Zivilisten lachten gedämpft.
»Mister Finnegan, mein Chefkonstrukteur«, stellte Lorne Shuffle sicherheitshalber noch mal vor. Lorne Shuffle war der Chef der Firmengruppe, die den Panzer, vor allen Dingen aber diesen neuen Motor entwickelt hatte.
»Ich übertreibe keineswegs«, versicherte der humorige Peter Finnegan. »Die genannten Stoffe werden von unserem Turbomotor ohne weiteres verkraftet, was mit dem neuartigen Vorkammerverfahren zusammenhängt. Nebenbei gesagt, es handelt sich um einen 40-Liter-Motor, Viertakt-Diesel.«
Butler Parker hörte nur mit halben Ohr zu, denn seine Unruhe verstärkte sich von Minute zu Minute. Er vermißte immer noch Lady Agatha.
»Sir, darf ich mir erlauben, eine Frage zu stellen?« Parker hatte sich an General Cummings gewandt, der ihn streng und auch ein wenig herablassend anschaute. Ein General und ein Butler, nun, das paßte seiner Ansicht nach nicht recht zusammen.
»Fragen Sie«, knurrte Cummings.
»Darf ich mich nach Lady Simpson erkundigen?«
»Lady Simpson ist ins Fahrzeugdepot gebracht worden«, erwiderte Oberst Ashford, die vollendete James-Bond-Kopie. »Die Lady möchte zu gern mal mit einem Panzer fahren, das heißt natürlich, sie möchte mitgenommen werden.«
»Sie sehen mich bestürzt, Sir«, erwiderte Parker.
»Wieso, Mann, glauben Sie, daß die Dame das gesundheitlich nicht schafft?« fragte Oberst Ashford.
»Genau das Gegenteil, Sir, dürfte der Fall sein«, antwortete der Butler und fürchtete Schreckliches.
*
»Sehr eigenwillige Schlachtordnung«, konstatierte General Cummings bereits wenig später und schüttelte irritiert den Kopf. »Sagen Sie, Ashford, war das so geplant?«
»Nicht direkt, Sir«, gab die James-Bond-Kopie zurück und zeigte sich nicht weniger irritiert. »Der XAR III sollte eigentlich erst später erscheinen.«
»Die Besatzung da unten im Prototyp scheint besoffen zu sein«, vermutete General Cummings. Seine Feststellung war zwar hart, aber sie entsprach durchaus dem, was man sah. Der neue Panzertyp kurvte auf die Manöverformation der regulären Panzerwagen zu und schien sie unbedingt rammen zu wollen. Er entwickelte dabei eine Schnelligkeit, die beachtenswert war.
»An Tempo nicht zu überbieten«, freute sich Manager Lorne Shuffle und nickte seinem Chefkonstrukteur anerkennend zu.
»Auch die Kurventechnik ist hinreißend«, sagte Peter Finnegan, der sich geschmeichelt fühlende Konstrukteur. »Der Fahrer ist Sonderklasse, würde ich sagen.«
Die beiden Zivilisten und ihre Begleiter waren an einer Schlachtordnung nicht interessiert. Sie wollten nur sehen, wie schnell und handlich der neue Panzerwagen war.
Die im Beobachtungsbunker versammelten Militärs hingegen bewerteten das anders. Der mühevoll und bis ins Detail ausgearbeitete Manöverplan war bereits völlig in Unordnung geraten. Die Fahrer der übrigen Panzer schienen in Panik geraten zu sein und versuchten, den Rammangriffen des Prototyps zu entgehen.
Josuah Parker enthielt sich jeder Stellungnahme.
Ihm kam eine schreckliche Vermutung. Er kannte den verwegenen Fahrstil der Lady. Was der neue Panzer da unten zeigte, entsprach ihrem Temperament. Darüber hinaus aber schien Agatha Simpson ein wenig die Kontrolle über das Kettenfahrzeug verloren zu haben. Dem Prototyp war es gerade gelungen, einen regulären Panzerwagen seitlich voll zu rammen.
Der Vorgänger der Neuentwicklung blieb dabei auf der Strecke. Auch der Motor schien einiges abgekriegt zu haben. Eine dunkle Rauchwolke wallte hoch, die den Panzer einnebelte. Wenig später hüpften und sprangen vier Männer, die offensichtlich in dem rauchenden Ungetüm gesessen hatten, aus dem Qualm hervor und verschwanden in nahen Löchern.
»Wer führt denn da Privatkrieg?« brauste General Cummings auf. Er blitzte Oberst Ashford an, der sich, wie es sich gehörte, prompt schuldig fühlte.
»Ich werde das sofort feststellen lassen«, versprach die James-Bond-Kopie und eilte in den hinteren Raum des Bunkers, um dem Funker spezielle Befehle zu erteilen.
Der neue Panzer rollte inzwischen weiter.
Er walzte eine Baumgruppe nieder, verschwand in einem Bachbett, arbeitete sich wieder heraus und ließ dabei seine Kuppel ununterbrochen rotieren.
Parker beobachtete das mit einigem Mißtrauen, denn ihm entging keineswegs, daß die Kanone, gesteuert von einer feinnervigen Elektronik, immer genau auf den Bunker zielte, in dem auch er sich befand.
»Sir, eine Meldung«, rief Oberst Ashford inzwischen. »Die Besatzung im Prototyp antwortet nicht.«
»Ich werde sie vor ein Kriegsgericht stellen lassen«, brüllte General Cummings, dem im Moment keine bessere Antwort einfiel. »Das ist glatte Sabotage!«
»Gleich wird das Scharfschießen beginnen«, sorgte sich Oberst Ashford. Er lenkte seinen Vorgesetzten ab.
»Sie werden sich wundern, wie präzise die Zielelektronik ist«, versprach Lorne Shuffle, der Chef der Firmengruppe, die den Wunderpanzer gebaut hatte. »Beachten Sie bitte das Ziel, meine Herren: Das Objekt ist der alte Panzer dort drüben vor der Geländekuppe.«
»Schon der erste Schuß wird ein Volltreffer sein«, fügte Chefkonstrukteur Peter Finnegan hinzu und strahlte im voraus.
Parker hingegen strahlte nicht.
Es war schließlich nicht zu übersehen, daß die Kanone nach wie vor auf den Beobachtungsbunker gerichtet war.
Und dann war es soweit!
Der erste Schuß verließ das Rohr, röhrte heran und ... landete rechts von den Beobachtungsschlitzen des Panzers auf dem harten Stahlbeton.
Der Bunker vibrierte nicht nur, er schaukelte und dröhnte. Die gelernten Militärs warfen sich flach auf den staubigen Boden, während die Zivilisten irritiert waren.
Josuah Parker schob sich in eine Ecke des Bunkers und schickte insgeheim ein kleines Stoßgebet zum Himmel. Seiner Vermutung nach war mit weiteren Schüssen zu rechnen. Und er irrte sich nicht! Der neue Wunderpanzer feuerte Schuß auf Schuß auf den Bunker und schien ihn einebnen zu wollen.
»Welche Idioten sitzen denn da in dem Kasten?« donnerte General Cummings während einer kurzen Feuerpause. Parker wußte es inzwischen mit letzter Sicherheit, doch er sagte nichts. Er war ein diskreter Mensch.
*
»Sie sehen sehr erfrischt aus«, meinte Kathy Porter. »Sie hatten einen anregenden Morgen, Mylady?«
»Sehr, Kindchen.« Die ältere Dame, groß, stattlich, seit Jahren sechzig Jahre alt, nickte erfreut. Sie trug ihr obligates, ausgebeultes Tweed-Kostüm und ausgetretene Schuhe, die an Landungsboote der Armee erinnerten. Lady Agatha Simpson, mit dem Blut- und Geldadel Englands eng verschwistert und verschwägert, war Witwe seit vielen Jahren, immens reich und Amateur-Detektivin aus Leidenschaft.
Kathy Porter war eine schlanke, junge Dame, die auf den ersten Blick wie ein scheues, ängstliches Reh wirkte. Sie arbeitete für Lady Agatha als Sekretärin und Gesellschafterin und paßte darüber hinaus im Verein mit Butler Parker darauf auf, daß die aktive Dame sich nicht von einem nervenden Abenteuer ins andere stürzte.
Kathy Porter war Meisterin in der Kunst der Verwandlung und erfahren in allen gängigen Arten westlicher und fernöstlicher Selbstverteidigung. Sie wurde von Lady Simpson wie eine Tochter gehalten und sah in ihr so etwas wie eine Ersatzmutter. Die beiden Frauen sprachen darüber selbstverständlich nicht.
»Gab es einen Unfall?« fragte Kathy und musterte den Butler. Er trug seinen schwarzen Zweireiher, die schwarze Melone und Eckkragen mit schwarzem Binder. An seinem angewinkelten Unterarm hing der Universal-Regenschirm, von dem gewisse Gangster sich wahre Wunderdinge erzählten. Parker besaß ein glattes, höfliches und zeitloses Gesicht. Er war die Würde in Person, der eigentlich nie die Selbstkontrolle verlor.
Dieser sonst stets so korrekt aussehende Mann war über und über mit feinem grauen Staub bedeckt. Und in seinen Augen nistete noch immer so etwas wie Besorgnis.
»Nur ein kleiner Zwischenfall«, erwiderte Josuah Parker. »Mylady testeten ein neues Panzermodell.«
»Reiner Zufall, daß ich in dieses Ding eingestiegen bin«, schaltete die resolute Dame sich ein. »Aber es hat sich gelohnt.«
»Mylady testeten darüber hinaus eine neue Zielelektronik«, zählte Josuah Parker weiter auf.
»Mit Ladeautomatik«, präzisierte Lady Agatha.
»Mylady waren so freundlich, die Statik eines Betonbeobachtungsbunkers zu erproben«, sagte Parker. »Erwähnte Statik bestand diesen Test nur unvollkommen.«
»Du lieber Himmel!« Kathy Porter ahnte, was sich draußen auf dem Manövergelände ereignet haben mußte. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln.
»Mylady nahmen den Bunker unter Dauerbeschuß, um ihn schließlich noch zu rammen.« Parker schaute an sich hinunter. »Die Flucht der Insassen des Beobachtungsbunkers verlief geschlossen, äußerst schnell und geriet später in eine gewisse Unordnung.«
»Die Steuerautomatik dieses neuen Panzers muß noch geändert werden«, stellte Agatha Simpson fest. »Das habe ich Chefkonstrukteur Finnegan sehr deutlich gesagt.«
»Mister Peter Finnegan wurde erst nach längerer Suche in einem alten Einmannloch aufgespürt«, berichtete Parker gemessen. »Er war dort zusammen mit Sir Lorne Shuffle in volle Deckung gegangen.«
»Und wie reagierten die Militärs?« wollte Kathy Porter wissen.
»Hysterisch, Kindchen, hysterisch«, warf die Detektivin verächtlich ein. »Sie kennen doch die Männer!«
»General Cummings leidet wahrscheinlich zur Zeit noch unter einem Nervenzusammenbruch«, vermutete Butler Parker. »Oberst Ashford beabsichtigt, seinen Dienst zu quittieren.«
»Diese Männer haben keine Nerven«, grollte die ältere Dame.
»Und wo waren Sie, Mister Parker?« erkundigte sich Kathy Porter und sah den Butler lächelnd an.
»Meine bescheidene Person hatte das Glück, einen noch fahrbereiten Jeep zu finden«, schloß Parker seinen Bericht. »Unter Mitnahme weiterer Zivilisten und Militärs konnte der Fluchtversuch glücklich beendet werden.«
*
Am Abend dieses denkwürdigen Tages hatte Josuah Parker einen altehrwürdigen Pub aufgesucht, was wirklich nur selten geschah. Die Ereignisse auf dem Manöverfeld wirkten noch in ihm nach, und er brauchte etwas Ablenkung.
Parker hatte sich ein starkes, dunkles Stout geben lassen und entspannte sich. Er war froh, daß die Dinge noch so relativ glimpflich verlaufen waren. Wegen der Kosten, die auf Lady Simpson zukamen, machte er sich keine Gedanken, zumal die Firmengruppe, die Motor und Panzer neu entwickelt hatten, sich zu einem guten Teil in Myladys Verwaltung und Hand befanden.
Josuah Parker genoß also sein Bier und bemerkte, daß er seit einiger Zeit von einem Mann beobachtet wurde, der ebenfalls Butler zu sein schien, wie die Kleidung verriet. Parker fühlte, daß dieser Mann nur nach einer Gelegenheit suchte, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Aus Langeweile wollte dieser Mann sich gewiß nicht mit ihm unterhalten. Er mußte etwas auf dem Herzen haben.
Im Pub, in dem Parker hin und wieder sein Bier trank, verkehrten in der Regel fast nur hochherrschaftliche Angestellte. Man war hier unter sich, tauschte Tips aus, besprach Möglichkeiten neuer Arbeitsstellen und erging sich in mildem Spott über die Herrschaften, für die man arbeitete. Hier konnten sich Seelen öffnen, die sonst vielleicht unter Druck standen.
»Ich... Ich habe Sie hier noch nie gesehen«, eröffnete der Mann unvermittelt die Unterhaltung. Mit dem Glas in der Hand, war er auf Parker zugekommen und lächelte neutral.
»Meine Freizeit ist leider knapp bemessen«, erwiderte Josuah Parker.
»Ich höre, Sie arbeiten für Lady Simpson?«
»In der Tat«, lautete die reservierte Antwort des Butlers. Es war ihm sofort klar, daß dieser Mann kein echter Butler war. Fragen dieser Art, derart direkt gestellt, gehörten sich nicht. Parker spürte weiter, daß dieser Mann nur den Butler spielte. Und er schien dafür einen besonderen Grund zu haben.
»Zufrieden mit dem Job?« Diese Frage war ein weiterer Fehler. Ein echter Butler ging keinem Job nach, er diente aus Berufung und Neigung.
»Man sollte nie unnötig klagen«, entgegnete Parker würdevoll. »Manchmal möchte man sich natürlich verbessern, doch das dürfte eine Frage der Mittel sein.«
»Ich habe es in ein paar Jahren geschafft«, sagte der Gesprächspartner, der ein vorzügliches Englisch sprach, wie der Butler längst festgestellt hatte. Es war so vorzüglich, daß es fast aus einer Sprachretorte stammte. Engländer konnte der Mann wohl nicht sein.
Dies unterstrich auch seine Vertraulichkeit, die er an den Abend legte.
Ein wirklicher Inselbewohner hätte sich einem Unbekannten nie derart intim offenbart und von seinen privaten Dingen und Verhältnissen gesprochen. So etwas tat man einfach nicht.
»Ich werde irgendwo ein kleines Hotel übernehmen«, redete der Unbekannte inzwischen munter weiter. »Dann lasse ich andere für mich arbeiten, verstehen Sie?«
»Eine interessante Vorstellung, von der ich nur zu träumen wage«, gab Josuah Parker zurück. Nun stand es mit letzter Sicherheit fest: Dieser Mann wollte etwas von ihm. Irgendwann würde er mit einem Angebot herausrücken und die sprichwörtliche Katze aus dem Sack lassen.
Parker kam zu dem Entschluß, seine Abneigung zu überwinden und auf das Spiel einzugehen. Wahrscheinlich plante man etwas gegen Lady Agatha. In solch einem Zusammenhang war es immer wichtig, die Absichten etwaiger Gegner kennenzulernen.
Parker ließ sich zu einem Stout einladen und dann zu einem weiteren. Er opferte sich wieder mal für eine Dame, die nur zu gern gefährlich lebte.
*
Als Parker erwachte, hatte er einen pelzigen Geschmack im Mund. Sein Kopf schmerzte. Er entdeckte, daß er auf einem dicken Fell lag, was ihn verständlicherweise stutzig machte. Er richtete sich auf und nahm zur Kenntnis, daß das Eisbärenfell vor einem offenen Kamin ausgelegt war.
Sekunden später genierte der Butler sich ein wenig.
Er trug nur seine diskret gestreifte Unterhose, die fast bis zu den Knien reichte. Sonst fehlte jede Bekleidung. Er konnte sich nicht erinnern, wie es zu dieser Situation gekommen war. Er stützte sich mit der linken Hand auf, drehte sich zur Seite und stutzte erneut. Neben ihm auf dem Eisbärenfell lag eine Frau, die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Sie war fast entkleidet, seiner Schätzung nach etwa vierzig Jahre alt und sah noch recht ansehnlich aus.
Butler Parker räusperte sich diskret, doch sie reagierte nicht darauf. Sie hätte es auch gar nicht mehr gekonnt, denn sie war verblichen, wie Parker es umschrieben hätte. Im Schein des flackernden Kaminfeuers entdeckte Parker einige deutliche Würgemale, darüber hinaus aber auch ein blutbeflecktes Messer, das wohl jene Stichwunde verursacht hatte, die unterhalb der linken Brust der Dame deutlich zu sehen war.
Parker stand auf, fühlte sich noch schlechter und suchte erst mal nach seinen Kleidungsstücken. Er taumelte etwas, als er auf den Sessel zuging, über dessen Lehne sie lagen und hatte Mühe, auf das Geräusch zu reagieren, das plötzlich zu hören war.
»Mensch, was haben Sie denn angerichtet?« fragte eine Stimme entsetzt. »Mann, Parker, sind Sie wahnsinnig? Wie konnten Sie das nur tun?«
Der Butler hatte sich umgewandt und sah den Mann, mit dem er einige Gläser Stout getrunken hatte. Er kam mit schnellen Schritten auf den Kamin zu, beugte sich über die Entseelte und richtete sich dann auf. Er schüttelte immer nur den Kopf und war nicht fähig, jetzt etwas zu sagen.
»Sie sehen mich überrascht«, sagte Parker, während er sich ankleidete und zusah, wie sein Gastgeber sich mit zitternden Händen eine Zigarette anzündete.
»Überrascht? Mann, das ist Mord! Das wird Sie für den Rest des Lebens ins Zuchthaus bringen.«
»Eine unerfreuliche Vorstellung«, antwortete Josuah Parker.
»Das ist stark untertrieben, Parker. Warum nur haben Sie sie umgebracht?«
»Wer ist die Dame, wenn man fragen darf?«
»Unsere Hausbesorgerin. Können Sie sich denn nicht mehr erinnern? Sie haben sie umgebracht.«
»Das erwähnten Sie bereits«, sagte der Butler. »Die Tatsachen reden leider eine nur zu deutliche Sprache.«
»Die arme Rose Floyden«, trauerte der Mann. »Das hat sie bestimmt nicht erwartet, als Sie mit ihr hierher in die Bibliothek gingen, Parker.«
»Davon sollte man wohl ausgehen. Wie war doch noch Ihr Name? Ich bitte zu entschuldigen, daß ich unter einer momentanen Gedächtnislücke zu leiden scheine.«
»Wie ich heiße? Mensch, Parker, ich bin doch Rodney, Rodney Bottning. Können Sie sich tatsächlich nicht mehr erinnern?«
»Und wo befinde ich mich?«
»In Sir Richard Bromleys Haus. Was machen wir jetzt? Wir müssen die Polizei verständigen, das ist doch klar, oder?«
»Wo befindet sich Sir Richard?« fragte Parker und warf einen schnellen, aber auch scheuen Blick auf die Tote vor dem Kamin.
»Der macht Urlaub«, erwiderte der Mann, der sich als Rodney Bottning vorgestellt hatte. »Parker, Sie werden doch hoffentlich nicht auf den Gedanken kommen, etwa mich ...?«
Während der Butler des Hauses Bromley noch redete, wich er vorsichtig in Richtung Tür zurück.
»Ich bin kein Doppelmörder«, antwortete Josuah Parker.
»Vielleicht gibt’s einen Weg, die Sache hier unter den Teppich zu kehren«, sagte Rodney Bottning.
»Wie darf ich Ihre Anmerkung interpretieren?« fragte Butler Parker.
»Na ja, von dieser Geschichte wissen nur Sie und ich«, sprach Rodney Bottning weiter. »Und dazu sind wir Kollegen, verstehen Sie?«
»Momentan bin ich nicht in der Lage, einen einigermaßen klaren Gedanken zu fassen«, gestand der Butler.
»Von mir haben Sie nichts zu befürchten, Mister Parker. Ich meine … Sollte man nicht ... Also, wenn wir Mistreß Floyden ...«
»Ich sollte mich zu meiner schrecklichen Tat bekennen.« Parker streckte sich und schaute hinüber zum Telefon. »Ja, das sollte ich. Ich habe schließlich einen Menschen umgebracht, wenn ich die Dinge richtig beurteile.«
Parker ging zum Wandtisch und griff zum Telefonhörer. Plötzlich aber tauchte sein Berufskollege Rodney Bottning neben ihm auf und drückte den Hörer zurück auf die Gabel. Dazu schüttelte er den Kopf.
»Tun Sie’s nicht«, sagte er eindringlich. »Ein Leben lang in einem Zuchthaus. Sie können sich das wahrscheinlich überhaupt nicht vorstellen.«
»Und was schlagen Sie vor, Mister Bottning?«
»Wir schaffen die Leiche, äh, ich meine, ich werde die Tote aus dem Haus schaffen.«
»Wobei ich Ihnen behilflich sein könnte.«
»Ausgeschlossen, Mister Parker! Sie fahren sofort zurück nach Hause. Verstehen Sie, Ihr Alibi muß fugendicht sein.«
»Und wohin gedenken Sie die Bedauernswerte zu bringen?« erkundigte Parker sich interessiert.
»Ich setze sie irgendwo ab. Mir wird schon was einfallen. Wir haben da draußen im Park einen verschlammten Teich. Ersparen Sie mir die Einzelheiten, aber ich schaffe das schon.«
»Warum, Mister Bottning, wollen Sie das für mich tun?«
»Berufssolidarität, Mister Parker. Und ich fühle mich halt auch ein wenig schuldig, ich habe Sie schließlich in diese verrückte Situation gebracht. Also, sind Sie einverstanden?«
»Ich werde tief in Ihrer Schuld stehen, Mister Bottning.«
»Dafür helfen Sie mir mal aus der Patsche, einverstanden? Aber jetzt sollten Sie gehen. Benutzen Sie möglichst den Bus und die Untergrundbahn. Ich erkläre Ihnen, wie Sie zurück in die City kommen.«
Butler Parker ließ sich aus dem Raum drängen und stand nach wie vor unter einem Schock. Dennoch sorgte er für den korrekten Sitz seiner schwarzen Melone und legte sich den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den angewinkelten linken Unterarm. Dann schritt er hinaus in den Morgen, der sich gerade erst ankündigte.
*
»Da sind Sie ja endlich«, begrüßte Lady Agatha Simpson ihren Butler.
Sie sah ihn vorwurfsvoll an und erhob sich aus dem tiefen Ledersessel des Salons. Sie trug einen bis zu den Knöcheln reichenden Morgenmantel, der sich durch Solidität und Wetterfestigkeit auszeichnete. Mit diesem Kleidungsstück hätte die ältere Dame sich ohne weiteres in die Arktis trauen können, dem Wetter hätte sie damit durchaus getrotzt.
»Mylady warteten auf meine bescheidene Wenigkeit?« Parker legte Melone und Regenschirm ab. »Mylady haben Wünsche? Darf ich einen Tee servieren?«
»Ich habe bereits etwas für meinen Kreislauf getan«, sagte sie abwehrend. »Kathy Porter ist noch nicht nach Hause gekommen. Können Sie das verstehen?«
»Miß Porter übernachtet möglicherweise bei einer Freundin, Mylady.«
»Dann hätte sie angerufen und mich unterrichtet, Mister Parker. Ich will Ihnen sagen, was passiert ist.«
»Mylady erregen meine bescheidene Neugier.«
»Dem Kind ist etwas passiert, Mister Parker.«
»Mylady sollten sich nicht unnötig sorgen«, gab der Butler zurück. »Miß Porter ist eine junge Dame, die nicht so leicht zu verblüffen sein dürfte.«
»Wo haben Sie denn gesteckt, Mister Parker? Ich will ja nicht neugierig sein, aber so lange sind Sie nur selten ausgeblieben.«
»Ich erlaube mir, gerade von einem Tatort zu kommen«, erwiderte Josuah Parker steif und gemessen.
»Tatort? Das klingt gut. Was ist passiert?«
»Es handelt sich um einen Mord, Mylady.«
»Und davon erfahre ich erst jetzt? Ein neuer Fall?« Myladys Augen funkelten. »Wer ist ermordet worden?«
»Eine gewisse Rose Floyden, Mylady, die Hausdame eines Sir Richard Bromley.«
»Bromley, Bromley?« Lady Agatha schüttelte den Kopf. »Mir nicht bekannt. Und wer hat sie warum umgebracht?«
»Die Tatmotive, Mylady, sind mir nicht bekannt«, entgegnete Josuah Parker, »der Täter hingegen bin ich!«
»Ach so ...« Agatha Simpson hatte diese Selbstbezichtigung eindeutig noch nicht ganz verkraftet. Dann jedoch, mit erheblicher zeitlicher Verschiebung, nahm sie ruckartig den Kopf hoch und starrte den Butler an. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Die Begleitumstände, Mylady, reden eine ungemein deutliche Sprache«, ergänzte Parker. »Ich erwachte neben erwähnter Leiche, die Würgemale am Hals und eine erhebliche Stichwunde aufwies, wie ich mich aus einiger Nähe überzeugen konnte.«
»Sie wollen eine Frau umgebracht haben?« Agatha Simpson schnappte betont nach Luft. »Einen Kreislaufbeschleuniger, Mister Parker, ich fühle mich sehr elend.«
Josuah Parker versorgte seine Herrin mit einem Kognak.
»Es interessiert mich nicht, warum Sie es getan haben«, sagte Lady Agatha nach der Stärkung, »aber wir werden selbstverständlich die besten Anwälte nehmen. Weiß die Polizei schon Bescheid? Natürlich nicht, sonst wären Sie ja wohl bereits verhaftet worden.«
»Mister Rodney Bottning will die erwähnte Leiche verschwinden lassen, Mylady«, berichtete Parker weiter. »Mister Rodney Bottning wird den Behörden gegenüber schweigen.«
»Wer ist dieser Rodney Bottning, zum Teufel? Wo hat sich das alles abgespielt? Ich möchte endlich Einzelheiten wissen, Mister Parker. Nehmen Sie sich auch einen Kognak, dann redet es sich besser.«
Parker verzichtete auf den Alkohol, berichtete aber in allen Einzelheiten von den Dingen, die ihm widerfuhren.
»Da stimmt doch einiges nicht«, lautete der Kommentar der Detektivin, als Parker geendet hatte. »Da ist doch etwas oberfaul, Mister Parker.«
»Ich möchte mich erkühnen, Mylady beizupflichten«, antwortete der Butler gemessen. »Ich möchte außerdem hinzufügen, daß die Dame auf dem Eisbärenfell vor dem Kamin keineswegs ermordet wurde. Sie dürfte sich meines Erachtens bester Gesundheit erfreuen.«
»Der Mord wurde nur vorgetäuscht?«
»So könnte man es auch ausdrücken, Mylady.«
»Und warum dieses Theater?«
»Man wird sich meiner bescheidenen Dienste versichern wollen und in naher Zukunft erpressen, Mylady«, antwortete Butler Parker. »Bei dieser Gelegenheit könnte man dann auch mehr über die Absichten in Erfahrung bringen.«
*
Sie machte einen völlig verkaterten Eindruck.
Kathy Porter kam eine Stunde nach Parkers Heimkehr zurück in Myladys Haus, das an einem kleinen Platz im Stadtteil Shepherd’s Market stand. Hier gab es noch altehrwürdige Fachwerkhäuser, die inmitten der hektischen Millionenstadt London eine Oase der Stille und Harmonie bildeten.
»Haben Sie etwa auch einen Mord begangen?« fragte Lady Agatha ihre Gesellschafterin.
»Einen Mord?« Kathy Porter verstand nicht recht.
»Mehr darüber später«, sagte die Hausherrin. »Ich sehe es Ihnen an der Nasenspitze an, Kindchen, daß auch Sie ein tolles Erlebnis hinter sich haben, oder?«
»Ich weiß noch immer nicht, wie das alles passieren konnte.« Kathy strich sich über die Stirn.
»Könnten Tee oder Kaffee helfen?« erkundigte Parker sich höflich.
»Wenn schon, Mister Parker, dann bitte einen sehr starken Kaffee«, bat Kathy Porter. Sie ließ sich in einem Ledersessel nieder und lehnte sich zurück. Parker war hinüber zur Anrichte gegangen, und servierte Kathy Porter den gewünschten Kaffee, den sie schluckweise trank.
»Nun kommen Sie endlich zur Sache«, mahnte Lady Agatha ungeduldig. »Was ist passiert, Kindchen? Ich wette, man hat auch Sie in eine Falle gelockt, wie?«
»Woher wissen Sie das?« Kathy Porter wunderte sich.
»Ich habe eben Phantasie«, lobte die ältere Dame sich.
»Sie erwachten irgendwo aus einer Betäubung und können sich selbst jetzt noch nicht erklären, wie Sie in eine gewisse Situation gerieten, Miß Porter?« Parker stand steif und würdevoll vor der Anrichte.
»Genau, Mister Parker, genau so ist es gewesen!« Kathy nickte vorsichtig und griff an ihre Schläfen. »Ich soll, ich geniere mich fast, es zu sagen, ich soll einen Mann bestohlen haben, der mich mit in seine Wohnung genommen hat.«
»Das hört sich gut an, Kindchen.« Agatha Simpson freute sich. »Und was hatten Sie angeblich gestohlen? Und von wem wurden Sie erwischt?«
»Ich weiß überhaupt nicht, wie ich anfangen soll.«
»Erzählen Sie der Reihe nach, Kindchen!«
»Ich war in einem Warenhaus und wollte mir ein paar Kleider ansehen«, berichtete Kathy Porter. »Ich ging hinauf in die Snack-Bar und trank eine Tasse Kaffee. Dabei passierte einem Gast ein Mißgeschick. Er schüttete mir seinen Drink übers Kleid, entschuldigte sich und bot mir Schadenersatz an. Wir kamen ins Gespräch, tranken zusammen Kaffee – und dann wurde mir übel. Er brachte mich runter zum Parkplatz und wollte mich nach Hause bringen.«
»Und da haben Sie nicht Lunte gerochen?« wunderte sich Lady Agatha.
»Das schon, Mylady.« Kathy Porter nickte. »In meinem Unterbewußtsein warnte mich etwas, aber ich kam dagegen einfach nicht an. Im Wagen dieses Mannes muß ich dann eingeschlafen sein. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem Bett.«
»Wahrscheinlich ziemlich nackt, Kindchen, oder?«
»Eigentlich völlig, Mylady.« Kathy Porter senkte den Kopf und errötete sanft. »Ich wußte nicht, wo ich war. Ich zog mich an und wollte das Haus so schnell wie möglich wieder verlassen, doch dann war da plötzlich ein Mann, der mich aufhielt und meine Handtasche durchsuchte.«
»Ist das nicht wunderbar, Mister Parker?« Mylady sah ihren Butler zufrieden an.
»In meiner Handtasche hatte ich eine schwere Golduhr, Bargeld, ein paar fremde Kreditkarten, Brillantringe und einige goldene Armbanduhren.«
»Die Sie angeblich gestohlen hatten.« Mylady machte einen angeregten Eindruck.
»Das sagte man mir auf den Kopf zu, Mylady. Ich sollte diesen Diebstahl zugeben und schriftlich bestätigen.«
»Sahen Sie den Mann, den Sie angeblich bestohlen haben?«
»Nein, der schlief noch, Mister Parker. Ich hatte nur mit seinem Butler zu tun.«
»Wissen Sie zufällig, wie er hieß?«
»Er nannte sich Perkins, Mister Parker.«
»Und der Bestohlene?«
»Das muß ein Mister Derek Beils sein, Mister Parker, aber wie gesagt, ich habe ihn überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Die schriftliche Bestätigung verlangte der Butler von mir.«
»Also ein Schuldeingeständnis«, stellte Mylady fest. »Sehr schön, Kindchen. Das ist ein herrlicher Morgen.«
»Sie unterschrieben, Miß Porter?« wollte Parker wissen.
»Allerdings, Mister Parker.« Kathy Porter war inzwischen wieder voll bei der Sache. »Diese ganze haarsträubende Geschichte kam mir nämlich verdächtig vor. Ich weiß, daß ich nicht stehle. Und ich weiß auch, daß ich ganz sicher nicht freiwillig mit diesem Mann weggefahren bin. Ich möchte schwören, daß man mich unter Drogen gesetzt hat.«
»Bestimmt, Kindchen.« Mylady war wie elektrisiert. »Man hat Ihnen eine Falle gestellt, um Sie später zu erpressen.«
»Das dachte ich mir auch, Mylady. Darum habe ich das Schuldeingeständnis auch unterschrieben. Ich habe natürlich geweint und meine Unschuld beteuert, aber dann doch unterschrieben. Ich möchte nämlich herausbekommen, warum man mir diese Falle gestellt hat. Richtig, ich habe vergessen zu sagen, daß man nur dann die Polizei nicht verständigen würde, wenn ich das Schriftstück unterzeichne.«
»Was sagen Sie jetzt, Mister Parker?« Mylady wandte sich an ihren Butler. »Hat sie sich nicht wunderbar verhalten?«
»Bemerkenswert geistesgegenwärtig«, urteilte Butler Parker. »Nach Lage der Dinge und nach meiner bescheidenen Einschätzung dürfte es sich um Vorbereitungen handeln, die das Ziel verfolgen, Mylady, wenn auch auf Umwegen, zu Handlungen zu bringen, die man nur als ungesetzlich bezeichnen kann.«
»Wie war das?« Die ältere Dame schluckte, denn Parker hatte sich wieder mal sehr barock ausgedrückt. »Übersetzen Sie das mal bei Gelegenheit, Mister Parker. Ich möchte nämlich wissen, was Sie da gerade sagen wollten.«
*
»Ich habe gute Nachrichten für Sie«, sagte Rodney Bottning zwei Tage später. Er hatte Butler Parker im Pub erwartet, wohin er ihn per Telefon bestellt hatte.
»An gute Nachrichten vermag ich kaum zu glauben«, antwortete der Butler.
»Setzen Sie sich erst mal! Warten Sie, ich werde uns ein Bier holen.« Der angebliche Butler nahmes Bottning ging zum Tresen und kam bald darauf mit zwei Gläsern Bier zurück. Die Männer hatten eine kleine Nische für sich allein und konnten sich ungestört unterhalten.
»Ich habe Rose Floyden zu ihren Eltern nach Südfrankreich geschickt«, meinte Bottning, nachdem er einen Schluck genommen hatte.
»Rose Floyden?« Parker schien nicht zu wissen, von wem sein Gegenüber sprach.
»Na, Sie wissen doch, die Hausdame Sir Richards«, meinte Bottning und zwinkerte Parker zu. »Wenn Rose dort nicht ankommt, dann ist das nicht unsere Sache, verstehen Sie?«
»Sie haben die besagte Dame ...?«
»Die findet kein Mensch mehr«, behauptete Bottning. »Sie sind aus dem Schneider, Parker.«
»Vielleicht materiell gesehen«, antwortete Parker. »Aber Sie ahnen ja nicht, wie es in meinem Innern aussieht, wenn ich es so banal ausdrücken darf. Ich kann kaum sagen, wie dankbar ich Ihnen bin.«
»Ich habe Ihnen das Zuchthaus erspart«, erklärte Bottning.
»Das sehe ich in aller Klarheit.«
»Eine Hand wäscht eben die andere.«
»Darf und muß ich daraus schließen, daß ich mich Ihnen in irgendeiner Weise erkenntlich zeigen kann?«
»Vielleicht, Mister Parker. Sie wissen, daß ich mich selbständig machen will. Ich hatte Ihnen ja davon erzählt.«
»Sie beschäftigen sich mit der Übernahme eines kleinen Hotels?«
»Eben – und dazu gehört ’ne Menge Geld.«
»Eine treffende Feststellung, Mister Bottning.«
»Je schneller man’s hat, desto schneller kann man zulangen.«
»Eine weise Bemerkung.«
»Ich wüßte, wie man ganz schnell an das große Geld kommt.«
»Sie machen mich ein wenig neugierig, Mister Bottning.«
»Sie arbeiten doch für Lady Simpson, nicht wahr?«
»Eine anstrengende Tätigkeit, wenn ich es so andeuten darf.«
»Diese Frau ist doch steinreich, oder?«
»In der Tat, Mister Bottning.«
»Ihr gehören doch auch die ›Motor-Enterprises‹, nicht wahr?«
»Mylady besitzt die Aktienmajorität, wenn ich richtig orientiert bin, Mister Bottning.«
»Sie gehören ihr.« Bottning wußte es. »Diese Firmengruppe hat einen neuen Panzermotor entwickelt, wie in den Zeitungen stand.«
»Ein sogenannter ›Allesfresser‹, wie man ihn nennt.« Parker nickte und wußte jetzt Bescheid. »Mylady interessiert sich gerade für diese Entwicklung. Sie hält sich sehr häufig in dem betreffenden Werk auf, wie ich versichern darf.«
»Für diesen Motor würde man zweihundertfünfzigtausend Pfund zahlen.« Bottning lehnte sich zurück und lächelte überlegen.
»Würden Sie die Güte haben, diese Summe noch mal zu nennen?«
»Zweihundertfünfzigtausend Pfund, Parker.«
»Für die Pläne?«
»Nein, für den kompletten Motor.«
»Die Pläne würden nicht reichen?«
»Nein.« Bottning schüttelte den Kopf. »Es geht gewissen Leuten um die Metallegierungen, verstehen Sie? Die müssen analysiert werden, aber dazu braucht man eben den Motor.«
»Den man nicht gerade in einer Einkaufstasche transportieren kann, wenn ich das ein wenig scherzhaft so sagen darf, Mister Bottning.«
»Der Transport ist kein Problem, das eigentliche Problem liegt woanders. Der neue Panzer müßte samt dem neuen ›Allesfresser‹, wie Sie sagen, an die richtige Stelle geschafft werden.«
»Sollte ich annehmen, daß Sie dabei an mich denken, Mister Bottning?«
»Nicht direkt, Mister Parker.«
»Zu solch einer Handlungsweise würde ich mich niemals hinreißen lassen«, erklärte Parker steif. »In meinen Augen wäre das Landesverrat!«
»Verrat an einem Land, das Sie ins Zuchthaus steckt, wenn gewisse Dinge bekannt werden. Haben Sie daran schon mal gedacht?«
»Wie soll ein einfacher Butler, wie meine bescheidene Wenigkeit, an den Motor herankommen, Mister Bottning? Da sehe ich leider keine Möglichkeit.«
»Wie das zu machen ist, werde ich Ihnen schon noch rechtzeitig sagen.«
»Sie scheinen davon auszugehen, daß ich mitspielen werde, Mister Bottning.«
»Sie haben überhaupt keine andere Möglichkeit, Parker. Denken Sie ans Zuchthaus!«
»Nun ja, Mylady betätigt sich gern als Testfahrerin«, räumte Parker ein.
»Genau das ist es. Sie haben bereits begriffen, Parker. Sie werden Mylady bei solch einer Testfahrt begleiten und dafür sorgen, daß sie, sagen wir mal, für ein paar Stunden außer Gefecht gesetzt wird. Alles Weitere übernehmen meine Interessenten.«
»Sie sind kein Butler, wie ich inzwischen richtig vermute.«
»Stimmt.« Bottning lächelte unergründlich.
»Sie haben den Mord provoziert, um mich erpressen zu können?«
»Natürlich, anders war nicht an Sie heranzukommen. Aber mißverstehen wir uns nicht, diese tote Rosy Floyden gibt es tatsächlich! Und die taucht auf, wenn wir es für richtig halten! Daß Sie dann reif sind, ist Ihnen hoffentlich klar!«
»Sie haben dafür gesorgt, daß sämtliche Indizien gegen meine Person sprechen werden?«
»Sämtliche.« Bottning nickte.
»Daher vermisse ich auch einige persönliche Gegenstände.«
»Bei der Toten würde man Dinge finden, die die Spur schnell auf Sie lenkt.«
»Sie sind also demnach der Vertreter einer ausländischen Macht?«
»Wenn Sie weiterhin so schnell schalten, Parker, werden wir gut zusammenarbeiten. Übrigens, ich habe vergessen, Ihnen noch etwas zu sagen: Sie werden an diesem Geschäft natürlich verdienen.«
»Ein Lichtblick, wenn ich so sagen darf.«
»Fünfzigtausend Pfund, eingezahlt auf ein Schweizer Bankkonto. Sie können sich also zur Ruhe setzen, sobald das Geschäft gelaufen ist.«
»Ein Trostpflaster für meine verwundete Seele. Darf ich mir erlauben, Ihnen ein Kompliment zu machen?«
»Weil wir Sie so geschickt eingewickelt haben?« Bottning schmunzelte.
»In der Tat«, gab Butler Parker zurück. »Ich werde wohl oder übel mitspielen müssen.«
»Ihr Schicksal. Parker! Und sollten Sie Verrat zu üben versuchen, glauben Sie mir: Der Mord wäre nicht wegzudiskutieren. Ihnen bliebe das Zuchthaus, denken Sie daran!«
*
»Ich möchte Sie nicht in Versuchung führen, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson und räumte die großformatigen Bilder weg, die vor ihr auf dem Tisch lagen.
»Versuchung, Mylady?« Parker war von seinem Besuch im Pub ins Haus seiner Herrin zurückgekehrt.
»Miß Porter hat einen Eilbrief erhalten. Er kam vor etwa fünfzehn Minuten hier an.«
»Eilpost, die sich auf den angeblichen Diebstahl Miß Porters bezieht, Mylady?«
»Mit sehr indiskreten Bildern.« Die Detektivin nickte. »Ich muß allerdings zugeben, daß sie sehr gut aufgenommen worden sind.«
»Sie zeigen mich nackt«, schaltete Kathy Porter sich ein. »Genau so etwas habe ich natürlich erwartet. Man will mich mit diesen Bildern unter Druck setzen.«
»Unbekleidet und wahrscheinlich nicht allein in einem Bett ruhend, wie ich zusätzlich vermuten darf?«
»Zusammen mit diesem angeblichen Derek Beils, Mister Parker. Sie wissen, das ist der Mann, für den Butler Perkins arbeitet und der mich gezwungen hat, die Schulderklärung zu unterschreiben.«
»Sie bekommen die Fotos trotzdem nicht zu sehen«, sagte Lady Simpson.
»Man lädt Sie mit diesen Fotos zu einer Unterredung ein, Miß Porter?« Butler Parker ging auf die Bemerkung seiner Herrin nicht ein.
»Ich soll noch heute kommen. Man erwartet mich in einem kleinen Hotel in Soho.«
»Und dort wird man Sie mit Sicherheit mit einem bestimmten Wunsch und Auftrag konfrontieren«, vermutete Parker.
»Sie wissen also schon wieder mal Bescheid, nicht wahr?« Lady Simpson sah ihren Butler gereizt an. »Man scheint mich wieder im unklaren zu lassen.«
»Wenn Mylady gestatten, werde ich sofort Details unterbreiten.«
»Worum ich auch gebeten haben möchte.«
Parker berichtete von seiner Unterhaltung, die sich um den neu entwickelten Panzermotor gedreht hatte.
»Das ist aber doch die Höhe!« Lady Agathas Augen blitzten. »Wieso hat man mich nicht in eine heikle Situation gebracht? Ich bin doch schließlich die Hauptperson.«
»Man fürchtete gewiß Myladys Charakterfestigkeit«, sagte Parker ausweichend.
»Und wieso hofft man, daß Sie, Mister Parker, zusammen mit Kathy an diesen neuen Motor herankommen können?«
»In meinem Fall geht man davon aus, daß es meiner bescheidenen Wenigkeit gelingt, Mylady dazu zu bringen, sich intensiv im Entwicklungswerk zu betätigen. Im Fall Miß Porter wird das wohl ähnlich sein.«
»Ist der Mord an dieser Rose Floyden nur vorgetäuscht worden?« erkundigte sich Kathy Porter.
»In der Tat!« Parker nickte. »Miß Rose Floyd, die Hausdame Sir Richard Bromleys, erfreut sich bester Gesundheit, wie ich bereits sagte. Ein geschickter Maskenbildner ist durchaus in der Lage, tödliche Wunden per Kosmetik herzustellen.«
»Auf dieses Spiel werden wir selbstverständlich eingehen«, meinte Lady Simpson animiert. »Welche ausländische Macht jagt denn nun Ihrer Ansicht nach hinter diesem ›Allesfresser‹ her, Mister Parker? Ich wünsche eine eindeutige Antwort.«
»Mylady werden gütigst verzeihen«, antwortete der Butler gemessen. »Zur Zeit sehe ich mich außerstande, darauf eine präzise Antwort zu geben. Wie der angebliche Butler Rodney mir erklärte, brauchen selbst versierte Konstrukteure nach der Analyse der Metallegierungen noch etwa drei Jahre, um diesen neuen Motor nachzubauen.«
»Wo ist da der Zusammenhang?«
»Demzufolge, Mylady, könnten sich auch durchaus Firmengruppen der westlichen Welt für diesen neuen Motor interessieren, um Entwicklungskosten zu sparen.«
»Das wäre dann ja wohl reine Industriespionage, oder?«
»Mylady drückten es treffend und präzise aus.«
»Ob so oder so, Mister Parker, endlich ein Fall, der sich für meinen geplanten Bestseller eignet, finden Sie nicht auch?«
»Dies, Mylady, kann man nur unterstreichen«, antwortete der Butler würdevoll.
»Ich werde eine gewisse Agatha Christie mit diesem Stoff vom Markt fegen.«
»Mylady machen einen entschlossenen Eindruck«, erwiderte Parker höflich, wobei sich in seinem Gesicht keine Miene verzog. Auch Kathy Porter zeigte keine Reaktion, obwohl sie sich ein Lachen verbeißen mußte.
Die aktive Dame beabsichtigte nämlich schon seit geraumer Zeit, sich als Kriminalautorin zu betätigen, doch über das Einspannen eines Manuskriptbogens in die elektrische Maschine war sie bisher nicht hinausgekommen.
*
Kathy Porter war das scheue Reh, als sie zur vereinbarten Zeit in der Halle des kleinen Hotels erschien. Sie trug einen weiten, schwingenden Rock und eine einfache Bluse. Beiden Kleidungsstücken sah man deutlich an, daß sie nicht viel gekostet hatten.
»Mr. Perkins erwartet mich«, sagte sie zum Porter hinter der Rezeption.
»Miß Porter?« fragte der Mann.
»Kathy Porter«, erwiderte sie.
»Sie können hinaufgehen, er erwartet Sie, Miß Porter.«
Kathy stieg über die Treppe ins erste Obergeschoß und wurde hier bereits von dem angeblichen Butler Perkins in Empfang genommen. Der Mann, der sie zum Schuldeingeständnis gezwungen hatte, trug saloppe Kleidung: Flanellhose, ein Sporthemd, das über der Brust weit geöffnet war und bequeme Schuhe. Er lächelte Kathy freundlich an.
»Schön, daß Sie gekommen sind«, sagte er, »gehen wir in mein Zimmer, Miß Porter.«
»Ich mußte doch kommen«, gab Kathy zurück. »Wie konnten Sie die Fotos nur so einfach ins Haus schicken? Um ein Haar wären sie Mylady in die Hände gefallen.«
»Dann wären Sie wohl geflogen, wie?« Er schloß hinter ihr die Tür, und Kathy Porter sah sich in dem Hotelzimmer neugierig um. Es unterschied sich in nichts von anderen Zimmern dieser Kategorie, war einfach möbliert, schien von Perkins aber bereits seit einiger Zeit bewohnt zu werden. Kathy merkte das an gewissen Kleinigkeiten. Perkins hatte sich offensichtlich häuslich eingerichtet.
»Mylady hätte mir sofort gekündigt«, erwiderte Kathy. »Wie konnten Sie nur diese schrecklichen Aufnahmen machen? Ich schäme mich fürchterlich.«
»Sie brauchen sich nicht zu schämen, Sie sehen prächtig aus. Wußten Sie das etwa nicht?«
»Aber so . . . nackt!«
»Sie sind prüde, nicht wahr?« Er lächelte und mixte zwei Getränke. Er reichte ihr ein Glas, doch Kathy schüttelte ablehnend den Kopf.
»Sie brauchen keine Angst zu haben«, beruhigte er sie. »Diesmal ist alles in Ordnung. Wir haben ja, was wir wollen.«
»Die Aufnahmen?«
»Die Aufnahmen und Ihr Schuldeingeständnis, Miß Porter.«
»Warum das alles? Sie haben mich absichtlich in diese Lage gebracht, nicht wahr?«
»Warum wollen Sie weiterhin für eine launenhafte, alte Frau arbeiten?« fragte er und nahm einen Schluck. »Setzen Sie sich doch, Miß Porter! Was wird diese alte Frau Ihnen schon zahlen? Doch bestimmt nur ein Taschengeld.«
»Wenn man sich einschränkt, kommt man aus«, antwortete Kathy Porter und senkte bescheiden den Blick.
»Was halten Sie denn von zwanzigtausend Pfund?« fragte der angebliche Butler Perkins, der sich weltmännisch gab und ihr jetzt zuzwinkerte. »Zwanzigtausend Pfund steuerfrei, Miß Porter.«
»An solch eine Summe wage ich noch nicht mal zu denken.«
»Aber durch Ihre Hände geht wahrscheinlich das Zehnfache pro Monat, nicht wahr?«
»Mylady lebt ziemlich aufwendig.« Kathy Porter nickte zögernd.
»Vergessen wir mal, was Sie angestellt haben, vergessen wir mal die Fotos«, schlug Perkins vor. »Und vergessen wir vor allen Dingen, daß diese Beweisstücke Sie ins Gefängnis bringen würden, falls die Polizei sie in die Hände bekäme. Nein, nein, sagen Sie nichts, vergessen wir das alles. Denken Sie an Ihre Zukunft, Süße! Zwanzigtausend Pfund!«
»Und ... Und was müßte ich dafür tun?« erkundigte sich Kathy Porter zögernd.
»Diese Alte aufs Kreuz legen, Miß Porter. Ach, was heißt Miß Porter, ich werde Sie Kathy nennen. Einverstanden? Wir werden in Zukunft ja ohnehin eng zusammenarbeiten. Sie können mich Tony nennen, das vereinfacht alles.«
*
»In Anbetracht der prekären Situation sollte man vielleicht die zuständigen Behörden informieren«, schlug Josuah Parker vor. Kathy Porter war von ihrem Treff mit Tony Perkins zurückgekommen und hatte Bericht erstattet.
»Verschonen Sie mich mit den Behörden«, verlangte die ältere Dame grollend. »Was dann nicht alles eingeschaltet wird: Innenministerium, Geheimdienst, Militärabwehr und Gegenspionage. Diese Spezialisten werden sich gegenseitig auf die Füße treten. Nein, Mister Parker, wir werden diesen Fall wieder mal vollständig gelöst auf den Schreibtisch des zuständigen Beamten legen,«
»Mylady sollten nicht übersehen, daß man es nach Lage der Dinge mit Menschen zu tun hat, die über Leichen zu gehen pflegen.«
»Aber nicht über unsere.« Mylady schüttelte energisch den Kopf. »Wir werden diese Agenten hereinlegen. Ich weiß nur noch nicht, wie.«
»Darf ich mich erkühnen, Mylady einen Vorschlag zu unterbreiten?«
»Ich lasse mich überraschen. Wahrscheinlich wollen Sie das sagen, woran ich bereits die ganze Zeit über denke.«
»Die Herren Tony Perkins und Rodney Bottning dürften nur sogenannte untergeordnete Agenten sein, wenn ich dies vorausschicken darf. Mylady kommen es sicher darauf an, die wirklichen Hintermänner zu demaskieren.«
»Davon rede ich doch die ganze Zeit.«
»Man müßte diese Hintermänner also aus ihrem Fuchsbau locken, Mylady.«
»Nichts ist klarer als das.«
»Dazu müßte man den Interessenten an dem neuen Panzermotor sogenanntes Spielmaterial zur Verfügung stellen.«
»Genau das, was ich dachte«, sagte Lady Agatha unverfroren. Doch sie hatte keine Ahnung, worauf ihr Butler hinauswollte. Sie beugte sich vor und sah ihn erwartungsvoll an.
»Man sollte den echten ›Allesfresser‹ als Köder auslegen, Mylady. Wenn es jedoch an die Übergabe geht, so müßte man den Interessenten einen alten Motor zuspielen.«
»Sehr schön, Mister Parker. Sie haben meine Gedanken förmlich erraten.« Mylady nickte zufrieden. »Sie haben die Lage erfaßt. Aber... Aber wieso werden wir auf diese Art und Weise an die wirklichen Hintermänner herankommen?«
»Mylady werden sicher bereits detaillierte Vorstellungen entwickelt haben.«
»Natürlich habe ich sie entwickelt.« Die Detektivin war ratlos, ging dann aber zum Angriff über. »Ich möchte hören, ob Sie auch konsequent weiterdenken können, Mister Parker. Jetzt bin ich wirklich gespannt.«
»Die Agenten, Mylady, werden natürlich mit einem Täuschungsmanöver rechnen, wenn ich es so umschreiben darf. Die Herren Rodney Bottning und Tony Perkins müssen also notgedrungen versierte Fachleute bereitstellen, die sich den ›Allesfresser‹ ansehen.«
»Das ist doch logisch.« Lady Agatha war einverstanden.
»Über diese Herren wird man dann an die Hintermänner herankommen«, vermutete Parker. »Sie werden sich nämlich mit den eigentlichen Käufern in Verbindung setzen müssen, um Bericht zu erstatten.«
»Was ich eben erst gesagt habe.« Die resolute Dame errötete noch nicht mal. »Und diese Subjekte sitzen wahrscheinlich in irgendwelchen Botschaften.«
»Nur in einer gemeinsamen Botschaft?« fragte Kathy Porter, die aufmerksam zugehört hatte.
»Das ist eine Frage, die nur schwer zu beantworten ist«, meinte Lady Agatha schnell und geschickt. »Ich habe da zwar meine Theorie, doch ich möchte Mister Parker nicht vorgreifen.«
»Ob die Herren Bottning und Perkins getrennt operieren, um dann gemeinsam zu kaufen, ist wirklich nicht eindeutig«, antwortete Josuah Parker. »Es kann sich durchaus um zwei verschiedene Käufergruppen handeln, die per Zufall synchron vorgehen, ohne voneinander zu wissen.«
»Eben, Kindchen, eben.« Agatha Simpson tat, als wisse sie Bescheid. »Man muß die Dinge nur richtig sehen, verstehen Sie? Nur nicht ins Bockshorn jagen lassen. Immer streng logisch bleiben.«
Butler Parker und Kathy Porter tauschten wieder mal einen schnellen, diesmal amüsierten Blick, doch sie hüteten sich, Myladys Worte zu kommentieren.
*
Das Teleobjektiv war etwa anderthalb Meter lang und zeichnete sich durch eine einmalige Vergrößerung aus.
Es war samt dahinter geschaltetem Fotoapparat auf einem schweren Dreibeinstativ montiert und wurde von dem angeblichen Butler Rodney Bottning bedient.
Hinter ihm stand ein Mann, der sich Sir Richard Bromley nannte. Sir Richard war etwa vierzig Jahre alt, mittelgroß und schlank. Er hatte kalte Augen, die an die eines toten Kabeljaus erinnerten.
»Nun reden Sie schon endlich«, herrschte er Rodney Bottning an. »Was sehen Sie?«
»Die Alte kurvt tatsächlich in dem neuen XAR herum«, berichtete Rodney Bottning aufgeregt. »Dieser Parker hat es geschafft. Sie kurvt tatsächlich mit dem neuen Modell durch die Gegend.«
»Ich habe eben auf das richtige Pferd gesetzt«, antwortete Bromley großspurig. »Jetzt ist es nur noch eine Frage von ein paar Tagen, bis wir den Panzer haben.«
»Den ganzen Panzer, Chef?« fragte Rodney Bottning und sah seinen Boß überrascht an.
»Wenn schon, denn schon, Bottning.« Bromley lächelte überheblich. »Mit diesem Coup werden wir uns eine goldene Nase verdienen.«
»Und wie wollen Sie den Panzer wegschaffen?« Bottning dachte an die rund fünfzig Tonnen, um die es ging.
»Lassen Sie das mal meine Sorge sein, Bottning. Das ist alles generalstabsmäßig eingefädelt und vorbereitet. Wir lassen den XAR wie von der Bildfläche verschwinden.«
»Gut, daß das Ihr Bier ist, Chef! Ich würde es nicht schaffen. Ich hatte schon gedacht, dieser Parker würde nicht mitspielen.«
»Der Mann ist maßlos überschätzt worden«, mokierte sich Bromley. »Es kommt eben immer auf die richtigen Daumenschrauben an. Jeder Mensch hat seine Leiche im Keller.«
»Wie soll ich denn das verstehen?«
»Jeder hat seinen speziellen schwachen Punkt, Bottning. Und wer wandert schon gern ins Zuchthaus, obwohl er genau weiß, daß er unschuldig ist.«
»Und wenn dieser Parker nur zum Schein mitspielt, Chef?«
»Reden Sie keinen Blödsinn, Bottning! Dieser arrogante Butler befindet sich fest an der Angel. Und dann kommt bei ihm auch noch die Aussicht auf Geld hinzu.«
»Das er niemals sehen wird.« Bottning lächelte wissend.
»Nur keine unnötigen Ausgaben. Dieses Geld sparen wir natürlich.«
Die beiden Männer befanden sich am Rand des Übungsfeldes und beobachteten weiter die Wendigkeit des neuen Panzers. Und sie bewunderten dessen Schnelligkeit, die das Tempo, was sie kannten, weit in den Schatten stellte. Sie ahnten nicht, daß nicht nur sie allein Posten bezogen hatten. Es gab da noch zwei andere Männer. Und auch sie interessierten sich für die Neuentwicklung...
*
Diese beiden Männer hießen Tony Perkins und Derek Beils.
Sie verfügten über ein Teleobjektiv, das allerdings nur einen Meter lang war, aber ebenfalls ausgezeichnete Bilder lieferte und jedes Detail scharf zeichnete.
»Ich kann Lady Simpson genau erkennen«, meldete Tony Perkins, der die Beobachtung übernommen hatte. »Sie steht im geöffneten Turm, Boß.«
»Das ist doch gleichgültig. Hauptsache, diese Kathy Porter hat sie rumgekriegt.«
»Sie war verdammt leicht zu kneten, Boß.«
»Jeder ist käuflich«, lautete die Philosophie des Mannes, der sich Derek Beils nannte. Er war untersetzt, stämmig, ohne aber dick zu wirken. Er mochte etwa fünfzig Jahre sein.
»Die Fotos haben sie weich gekocht, Boß.«
»Die alten Maschen sind immer noch die besten«, erklärte Derek Beils und zündete sich eine Zigarette an. »Von den neuen Methoden halte ich einen Dreck. In ein paar Tagen werden wir den Motor haben.«
»Aber wie schaffen wir ihn weg, Boß?«
»Kleinigkeit – aber zerbrechen Sie sich darüber nur nicht Ihren Kopf, Perkins! Das Ding wird heil rüber auf den Kontinent gebracht.«
»Sie haben sich bereits ’ne Masche ausgedacht, Boß?«
»Alles genau vorbereitet, Perkins. Bevor die hier merken, was passiert ist, steht der ›Allesfresser‹ bereits beim Empfänger.«
»Sie wollen ihn ausfliegen, Boß?«
»Was denn sonst?« Derek Beils deutete zum Horizont. »Der alte Feldflugplätz ist doch wie für uns gebaut, oder? Auf der Piste da drüben kann jederzeit ’ne Hercules runtergehen und wieder starten.«
»Warum nehmen wir nicht den ganzen Panzer, Boß? Die Hercules würde das doch glatt schaffen.«
»Darüber ist die letzte Entscheidung noch nicht gefallen«, meinte Derek Beils. »Der ganze Panzer würde natürlich noch mehr bringen, schon allein wegen der neuartigen Elektronik.«
»Das wird der Fischzug des Jahres, Boß.«
»Der englische Geheimdienst kann sich danach pensionieren lassen«, freute Derek Beils sich bereits im vorhinein. »Soviel Frechheit traut man uns nicht zu.«
»Könnte das Transportflugzeug nicht noch in der Luft abgefangen werden, Boß?«
»Sie denken an Radar und so?« Derek Beils nickte langsam. »Hier gibt’s tatsächlich ’nen neuralgischen Punkt, Perkins. Ich will mich da nicht näher auslassen, aber unsere Auftraggeber haben auch daran gedacht. Der Panzer oder nur der Motor allein können ja ruhig ein paar kräftige Beulen abbekommen. Weit wird die Hercules auf keinen Fall fliegen müssen. Ich meine, mit der Beute.«
»Das verstehe ich nicht so ganz, Boß.«
»Ist auch nicht notwendig. Was Sie nicht wissen, können Sie auch nicht an die große Glocke hängen, Perkins.«
Derek Beils lächelte und hielt sich für weise.
Für ihn war die Entführung des Panzers oder auch nur des neuartigen Motors bereits so gut wie gelaufen. Er arbeitete schließlich für eine Gruppe, die ihm alles bereitstellte, was er brauchte. Kosten spielten da überhaupt keine Rolle.
*
»Sie ahnen nicht, Mylady, wie glücklich ich bin«, sagte Chefkonstrukteur Peter Finnegan, nachdem Lady Simpson aus dem neuen XAR geklettert war. Der glatzköpfige Mann mit den freundlichen und humorvollen Augen strahlte die ältere Dame an. »Dieses neue Modell fährt wie ein Personenwagen, nicht wahr?«
»Da ist Ihnen ein Wurf gelungen«, antwortete Lady Agatha. »Aber ich, werde den Panzer noch einige Male testen, denke ich.«
»Der XAR steht Ihnen jederzeit zur Verfügung, Mylady«, schaltete sich der Leiter der Firmengruppe geschmeidig ein. Sir Lorne Shuffle, der seriös aussehende Spitzenmanager, rückte sich die Brille zurecht. »Ich habe übrigens gute Nachrichten, wenn ich das bereits hier an Ort und Stelle sagen darf.«
»Die Armee greift also zu?« erkundigte sich Agatha Simpson.
»General Cummings hat seinen Abschlußbericht erstattet«, berichtete Lorne Shuffle weiter. »Wir werden schon sehr bald mit dem XAR in Serie gehen können.«
»Und wie sieht es mit der üblichen Abschirmung aus?« erkundigte Lady Agatha sich.
»Sie denken an Industriespionage, Mylady?« Chefkonstrukteur Peter Finnegan lächelte. »Da brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, Mylady. Wir haben einen erstklassigen Werkschutz. Das gesamte Testgelände hier ist nahtlos abgesichert. Und an die Konstruktionspläne komme noch nicht mal ich heran, wenn nicht zwei andere Herren neben mir stehen.«
»Das klingt ja zufriedenstellend«, entgegnete Lady Agatha. »Dann besteht also auch keine Gefahr, daß unser neuer XAR entführt werden kann, wie?«
»Aber Mylady!« Der Generalmanager der Firmengruppe lächelte höflich. »Wie sollte das geschehen? Darf ich mal ganz offen sein?«
»Ich bitte darum, Sir Lorne.«
»Daß Sie, Mylady, mit dem neuen XAR fahren, ist eine Ausnahme, die in der Tatsache begründet liegt, daß Sie, Mylady, praktisch kontrollierende Großaktionärin dieser Firmengruppe sind.«
»Sie reden kaum weniger umständlich als mein Butler«, frotzelte die ältere Dame.
»Hinzu kommt, daß Sie, Mylady, eine ausgezeichnete Testfahrerin sind«, schaltete sich Chefkonstrukteur Peter Finnegan ein.
»Sie wollen einer alten Frau wohl schmeicheln, wie?«
»Der Wahrheit die Ehre, Mylady! Aufgrund Ihrer Fahrtechnik werden wir das Getriebe wahrscheinlich noch ein wenig verstärken müssen.«
»Und warum das?«
»Mylady haben bereits zwei Getriebe ruiniert, äh, ich meine natürlich, einer harten Belastungsprobe unterzogen, wie sie wahrscheinlich nur in Grenzfällen vorkommen wird. Aber dennoch, so etwas muß man einkalkulieren.«
»Ich bin eben immer für den Ernstfall, meine Herren«, antwortete Lady Agatha. »Und diesen Ernstfall werde ich auch noch in den folgenden Tagen testen. Die ganze Geschichte macht mir Spaß und fordert mich.«
Die beiden Firmenvertreter tauschten einen ähnlichen schnellen Blick des Einverständnisses aus, wie er zwischen Kathy Porter und Butler Parker gang und gäbe war, doch sie hüteten sich, auch nur die Andeutung einer Kritik zu äußern.
»Glauben Sie, daß feindliche Mächte hinter dem neuen XAR her sind?« Lady Agatha wechselte das Thema.
»Falls ja, dann geht es nur um den neuen ›Allesfresser‹, Mylady«, sagte Sir Lorne Shuffle. »Er ist wirklich eine Sensation. Aber wie gesagt, er kann nicht entführt werden, wie Sie es ausdrückten. Unsere Sicherheitsvorkehrungen sind wasserdicht.«
»Zudem wird sich bereits in den nächsten Tagen auch der militärische Abschirmdienst einschalten«, fügte Chefkonstrukteur Peter Finnegan hinzu. »Nachdem das Geschäft mit der Armee perfekt ist, fühlte sie sich ebenfalls zuständig.«
Während dieser Unterhaltung, an der Butler Parker und Kathy Porter sich nicht beteiligten – sie standen neben Parkers hochbeinigem Monstrum vor dem Bürogebäude – wurde der XAR auf einen Tieflader verladen und mit Planen zugedeckt. Dann rollte der Zug auf ein Gebäude zu, das halb in den Boden eingebaut war. Hier befanden sich einige Montagewerkstätten, Abstellplätze und Prüfstände für neue Motoren.
Lady Agatha ließ sich das alles zeigen, sie hatte an diesem Nachmittag viel Zeit. Sie deutete auf einige Panzer, die vom Prototyp äußerlich kaum zu unterscheiden waren.
»Die Vorgänger unserer Neuentwicklung«, erklärte Chefkonstrukteur Peter Finnegan. »Sie besitzen selbstverständlich noch die alten Motoren, auch die Elektronik ist bereits bekannter Standard, wie er überall anzutreffen ist.«
»Und es gibt wirklich nur diesen einen ›Allesfresser‹?« Die Detektivin deutete auf den XAR, der mit dem Tieflader in eine Ecke der weiten Halle geschoben wurde.
»Natürlich nicht, Mylady.« Sir Lorne Shuffle, der Generalmanager der Firmengruppe, sah seine Gesprächspartnerin fast empört an. »Es ist nur der einzige, der bereits in einem Panzer arbeitet und hier auf Herz und Nieren geprüft wird. In unserem Hauptwerk stehen ganze Vorserien auf den Prüfständen.«
»Ich werde morgen noch mal vorbeikommen und mich tummeln«, versprach Lady Agatha. »Danach werden Sie mich leider nicht mehr sehen.«
Die beiden leitenden Herren beäugelten sich schnell, erleichtert und dankbar.
»Mylady verreisen?« fragte Chefkonstrukteur Peter Finnegan scheinheilig.
»Ich werde in Paris erwartet«, lautete die Antwort. »Danach muß ich nach Rom. Sehr schade, daß ich mich mit dem XAR nicht weiter befassen kann.«
»Ein Unglück, Mylady«, log Generalmanager Shuffle und atmete innerlich dankbar auf.
»Ich könnte die Reise natürlich auch verschieben, wenn Sie mich noch weiterhin als Testfahrerin haben möchten«, sagte Lady Simpson bereitwillig. »Sie brauchen nur ein Wort zu sagen.«
»Um Himmels willen, nein«, stöhnte Chefkonstrukteur Finnegan ungewollt auf. »Ich meine, Mylady dürften inzwischen sämtliche Schwachstellen abgeklopft und gefunden haben.«
»Mylady können völlig beruhigt reisen«, hechelte Sir Lorne Shuffle und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. »Ich möchte mich an dieser Stelle für Ihr Interesse an unserer Neuentwicklung bedanken.«
»Warum sagen Sie nicht frank und frei, wie froh Sie sind, mich endlich loszuwerden?« Lady Simpson sah die beiden Herren grimmig an, deren Gesichter erröteten. »Ich will Ihnen mal etwas sagen: Von mir aus hätte ich mich kaum für dieses Gerät interessiert, aber Mister Parker war der Ansicht, daß ich es testen müsse, um Material für einen beplanten Bestseller zu sammeln.«
Sie wandte sich ab und marschierte hinüber zum hochbeinigen Monstrum des Butlers. Wie verabredet, hatte sie jetzt gewisse Weichen gestellt. Nun war die Gegenseite an der Reihe.
*
»Sie sind ungewöhnlich gut informiert«, stellte Josuah Parker fest. Er befand sich wieder im Pub und saß zusammen mit seinem angeblichen Butlerkollegen Rodney Bottning in einer kleinen Nische, in der man sich ungestört unterhalten konnte. »Mylady will in der Tat verreisen. Übermorgen ist der gesetzte Termin.«
»Und morgen wird sie noch mal diesen XAR testen«, antwortete Rodney Bottning. »Das ist Ihr Tag, Mister Parker!«
»Soll ich dieser Bemerkung entnehmen, daß der ›Allesfresser‹ bereits morgen seinen Besitzer wechselt?«
»Sie haben eine feine Art, etwas zu umschreiben, Parker. Aber es stimmt schon, morgen ist der bewußte Tag.«
»Sie werden gewiß mit präzisen Anweisungen dienen können, Mister Bottning, wie ich vermute.«
»Und darum sollten Sie jetzt genau zuhören, Parker. Sie werden Lady Simpson morgen während der Testfahrt begleiten und dann außer Gefecht setzen.«
»Denken Sie an nackte und brutale Gewalt, Mister Bottning? So etwas liegt meiner bescheidenen Wenigkeit überhaupt nicht.«
»Sie werden ihr einen Kognak reichen, der sie von den Beinen fegt.«
»Sie denken an Gift?« Parkers Miene wurde eisig.
»Unsinn, an ein leichtes Betäubungsmittel, Parker. Und Sie werden dafür sorgen, daß die Lady den Kognak erst dann bekommt, wenn sie dicht am Zaun zum alten Feldflugplatz steht, ist das klar?«
»Danach werden Sie und Ihre Leute in Erscheinung treten?«
»Richtig. Wir sind pünktlich zur Stelle. Wir schweben mit einem Transportflugzeug ein und schnappen uns den XAR.«
»Den gesamten Panzer, Mister Bottning?« Parker richtete sich steil auf und schüttelte erstaunt den Kopf.
»Den Motor brauchen wir, sonst nichts.«
»Der müßte aber doch erst ausgebaut werden.«
»Das überlassen Sie mal unseren Spezialisten, Parker. So etwas geschieht in Rekordzeit.«
»Sie sehen mich verwirrt, erstaunt und beeindruckt.«
»Sie arbeiten eben für eine Gruppe, für die es kein Hindernis gibt, Parker.«
»Womit der zweite Teil dieser Motorübergabe zur Sprache kommt«, meinte der Butler. »Es widerstrebt mir sehr, vom Mammon zu reden, wie man gemeinhin das Geld zu nennen pflegt, aber hatten Sie mir nicht fünfzigtausend Pfund in Aussicht gestellt?«
»Was ist das hier?« Rodney Bottning langte in die Innentasche seines Jacketts und reichte Parker eine Bankanweisung, die von einer renommierten Schweizer Bank stammte. Auf ihr war die Einzahlung von fünfzigtausend Pfund vermerkt, ausgestellt auf das Konto eines gewissen Josuah Parker.
»Ihr Anteil, verbrieft und versiegelt«, sagte Bottning. »Wir halten unser Wort, Parker. Sie werden, wie ich Sie einschätze, die Bank in der Schweiz anrufen und dort die Bestätigung erhalten, daß alles seine Ordnung hat.«
»Ich bin das, was man gemeinhin beeindruckt nennt, Mister Bottning.«
»Sollten Sie uns aber hereinlegen, Parker, dann sind Sie ein toter Mann!«
»Davon bin ich durchaus überzeugt, Mister Bottning. Um welche Uhrzeit wird das Unternehmen durchgeführt?«
»Den richtigen Zeitpunkt bestimmen Sie, Parker. Hier ist ein kleiner Taschensender. Sie drücken nur auf die Taste, alles Weitere läuft dann wie nach Fahrplan.«
»Falls ich meine Kopfbedeckung noch trüge, Mister Bottning, würde ich sie jetzt durchaus hochachtungsvoll lüften.«
Rodney Bottning lächelte und reichte dem Butler das kleine Funkgerät. Es war nicht größer als eine Zigarettenschachtel und ließ keinen Gegensprechverkehr zu. Wahrscheinlich sendete es nur ein bestimmtes Peilzeichen, auf das die Agenten dann reagierten.
»Darf ich mir eine Frage erlauben, Mister Bottning, die vielleicht keck und neugierig erscheint?«
»Fragen Sie nur!«
»Mir ist durchaus klar, daß der ›Allesfresser‹ per Flugzeug abtransportiert werden soll«, schickte Parker voraus. »Aber wie wollen Sie später den Nachstellungen wahrscheinlich auftauchender Abfangjäger entgehen?«
»Auch dafür haben wir uns einen Trick ausgedacht, Parker, aber den brauchen Sie nicht zu kennen. Ich kann Ihnen nur soviel sagen: Es wird keine Pannen geben!«
*
»Auch ich soll morgen liefern, Mylady«, sagte Kathy Porter. Sie war eine Stunde nach Parker zurück ins Haus der älteren Dame gekommen, nachdem sie sich mit ihrem Erpresser Tony Perkins getroffen hatte.
»Und wie sollen Sie vorgehen?« wollte Lady Simpson wissen.
»Ähnlich wie im Fall Mister Parkers«, gab sie zurück. »Ich soll den XAR in die Nähe des alten Feldflugplatzes dirigieren. Dann wird die Hercules erscheinen und den Panzer übernehmen.«
»Haben wir es nun mit zwei verschiedenen Gruppen zu tun, Mister Parker?« Lady Agatha sah ihren Butler streng an. »Ich hoffe, Sie haben das inzwischen klären können.«
»Nach meiner bescheidenen Beurteilung der Lage, Mylady, hat man es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit nur einem Team zu tun.«
»Hoffentlich können Sie für diese Behauptung auch Gründe ins Feld führen.«
»Beide Agententeams dürften zwar nichts voneinander wissen, Mylady, aber die Steuerung dürfte zentral und von einer Stelle aus erfolgen. Man will sichergehen, wie zu beobachten ist. Im Fall Miß Porters soll der gesamte XAR entführt werden, in meinem Fall nur der sogenannte ›Allesfresser‹. In beiden Fällen aber wird eine Transportmaschine auf der alten Piste landen.«
»Es geht also wirklich nur um den Motor?«
»Mit Sicherheit, Mylady.«
»Und wie will man ihn von der Insel runterbekommen, Mister Parker?«
»Ich habe mir erlaubt, mir darüber Gedanken zu machen. Ich habe versucht, mich in die Lage der Agenten zu versetzen.«
»Und was ist dabei herausgekommen?«
»Ich würde den Vielstoffmotor hinaus auf See fliegen, Mylady, um ihn dann dort außerhalb der sogenannten Hoheitsgewässer auf ein wartendes Schiff abzusetzen.«
»Per Fallschirm, wie?« Die resolute Dame lachte ironisch. »Das ist doch unrealistisch, Parker! Sie wissen, wie schwer der ›Allesfresser‹ ist. Oder sollten Sie das vergessen haben?«
»Es handelt sich um rund 2 400 Kilogramm, Mylady.«
»Eben, und die wirft man nicht mit einem Fallschirm ab. Dazu ist das Beutestück viel zu wichtig und zu einmalig.«
»Man kann es auch nicht wie mit einem Hubschrauber absetzen«, warf Kathy Porter ein. »Die Hercules ist zu schnell.«
»Sie haben sich doch in die Gedankenwelt dieser Agenten hineinversetzt, Mister Parker«, erinnerte Lady Agatha anzüglich. »Bisher hat das aber nicht viel ergeben, was mich übrigens nicht weiter wundert.«
»Ich könnte eine Lösung dieses Problems anbieten, Mylady, wenn es gestattet ist.«
»Dieses Problem ist natürlich zu lösen«, erklärte die Detektivin. »Und im Gegensatz zu Ihnen wüßte ich genau, wie ich diesen Motor absetzen kann.«
»Ich möchte Mylady auf keinen Fall vorgreifen.«
»Sie sind zuerst an der Reihe«, entschied Parkers Herrin klugerweise, denn sie hat im Moment keine Ahnung, wie dieses Problem zu lösen war.
»Umgerechnet, Mylady, handelt es sich um 2,4 Tonnen«, begann Parker, wozu Lady Agatha fachmännisch nickte. »Diese 2,4 Tonnen, Mylady, sind durchaus ballistisch und flugtechnisch zu beherrschen, wenn ich es so ausdrücken darf.«
»Das sagte ich ja bereits.« Sie nickte hoheitsvoll.
»Versehen mit einigen Lastenfallschirmen, Mylady, könnte der Vielstoffmotor also durchaus über See abgeworfen werden«, redete Parker weiter. »Falls man den Motor noch zusätzlich mit Schlauchringen versieht, dürfte eine Art weicher Landung garantiert sein.«
»Wie eine Raumkapsel nach der Wasserung, Mister Parker?« fragte Kathy Porter.
»In der Tat, Miß Porter!« Parker deutete eine anerkennende Verbeugung an.
»Und wenn es dennoch eine Panne gibt?« Mylady hakte nach. »Diese Agenten werden doch jedes Risiko einkalkulieren.«
»Dieses Risiko, Mylady, könnte man durch ein großes Schleppnetz mindern, wie Hochseefischer es verwenden«, erklärte Parker. »Ich möchte sogar davon ausgehen, daß man den ›Allesfresser‹ in solch ein Schleppnetz werfen wird. Er braucht dann anschließend nur noch samt Netz eingeholt zu werden.«
»Sie haben mich nicht enttäuscht.« Agatha Simpson tat so, als habe sie das alles längst gewußt. »Draußen auf See wartet natürlich ein Hochseeheckfänger.«
»Durchaus, Mylady.«
»Wir werden diesen Subjekten eine Abfuhr erteilen, Mister Parker.«
»Mylady werden mit meiner bescheidenen Wenigkeit wahrscheinlich zufrieden sein«, antwortete der Butler. »Wenn es gestattet ist, möchte ich nun einige Vorbereitungen treffen, auf die man nicht verzichten sollte.«
*
Weit nach Mitternacht war Josuah Parker unterwegs.
Er war im Stadtteil Soho und erschien in einer Kellerbar, in der normalerweise Nachtschwärmer mit Sicherheit nicht ihren Drink nahmen, denn dazu war hier die Luft zu gefährlich, vor allem zu eisenhaltig.
Parker fiel in solch einer Umgebung selbstverständlich auf. Und es gab einige Leute, die sich sofort gereizt fühlten und mit ihren Tischnachbarn tuschelten. Sie wollten sich liebend gern mit Josuah Parker anlegen und ihm klarmachen, daß er hier nicht erwünscht war.
Eingeweihte rieten zur Vorsicht und redeten ihren Freunden und Bekannten diese finsteren Absichten aus. Parker war in Kreisen der Unterwelt nicht gerade unbekannt, wenngleich man auch wußte, auf welcher Seite des Gesetzes er stand.
Zwei junge Schläger am Tresen verfügten leider nicht über gute Ratgeber. Sie waren noch relativ neu in dieser Kellerbar und wollten sich offensichtlich profilieren. Sie schoben sich vor der Haltestange des Tresens und schnitten Parker den Weg ab.
»Guten Abend, die Herren«, grüßte Parker höflich. Er trat zur Seite und wollte die beiden jungen Schläger vorbeilassen.
»Hat er nicht gerade Miststück zu dir gesagt?« fragte der größere der beiden jungen Männer seinen Freund.
»Mieses Miststück«, erwiderte der Partner.
»Müssen wir uns das gefallen lassen?« fragte der erste junge Mann.
»Müssen und dürfen wir nicht«, erwiderte der zweite Schläger und ... wollte dem Butler einen Magenhaken verpassen. Er schlug fast ohne Ansatz zu und ... brüllte Bruchteile von Sekunden später auf.
Seine Faust hatte die Wölbung von Parkers Melone getroffen, die mit Stahlblech gefüttert war. Parker hatte seine Kopfbedeckung abgenommen und schützend vor seinen Leib gehalten. Mehr war nicht nötig gewesen, um diesen herben Schlag abzublocken.
Der Schläger verbeugte sich, doch daraus wurde ein Krümmen vor Schmerz. Dann schluchzte er und stierte auf seine leicht deformierte Hand, deren Finger er nicht mehr strecken konnte.
»Ich bitte sehr um Vergebung«, entschuldigte Parker sich. »Sollten Sie sich verletzt haben?«
»Dafür schneid’ ich dich auf«, drohte der erste Schläger. Wie durch Zauberei hielt er ein Stilett in der rechten Hand und ging zum Angriff über.
»Machen Sie sich möglichst nicht unglücklich«, bat Parker den jungen Eiferer. »Ich bin sicher, daß hier gewisse Mißverständnisse vorliegen.«
Der noch intakte Schläger, der sich als Messerheld entpuppt hatte, stach nach Parkers Gesicht.
Dabei übersah er den Universal-Regenschirm des Butlers, der augenblicklich in Aktion trat. Parker schlug mit dem Schirm gegen die Unterseite des vorschnellenden Armes und schleuderte das Stilett hinauf zur Decke.
Butler Parker fuhr im Anschluß daran mit der Stahlzwinge des Regenschirmes in die Magengegend des Schlägers, der sich ebenfalls devot und untertänig verbeugte. Da ihm dieser Stoß die Luft raubte, fiel er auf die Knie und legte sich in verkrümmter Haltung auf den Boden.
»Wir sollten doch die Formen wahren«, schlug Parker den jungen Herren vor. »Lassen Sie sich vom Barkeeper einen Freidrink nach Wunsch und Belieben reichen! Wenn Sie darauf bestehen, kann man sich ja zu einem späteren Zeitpunkt noch mal ausgiebig unterhalten.«
Ohne sich weiter um die beiden Schläger zu kümmern, schritt Parker in die Tiefe der Kellerbar und trat an einen Tisch, an dem ein schmaler, sehr schlanker und verschlagen aussehender Mann saß, der etwa fünfundvierzig Jahre alt war.
»Einen freundlichen Abend erlaube ich mir zu wünschen«, sagte er. »Mister Coburn, ich brauche Ihren fachlichen Rat und Ihre tätige Hilfe.«
»Ist mir ’ne Ehre, was für Sie zu tun, Sir«, sagte Coburn. Er stand sogar auf, was in der Kellerbar mit Erstaunen vermerkt wurde. Coburn war eine Figur in der Unterwelt, der man mit größtem Respekt begegnete. Ihm gehörte nicht nur die Kellerbar, er galt auch als Vermittler und Finanzier von Unternehmungen, die einschlägige Behörden für ungesetzlich hielten.
Joe Coburn war Parker zutiefst verpflichtet. Der Butler hatte diesen Mann mal vor einer fast lückenlos erscheinenden Mordanklage gerettet und den Behörden den wirklich Schuldigen präsentiert.
»Nehmen Sie doch Platz«, bat Coburn. »Was darf ich für Sie bestellen, Mister Parker?«
»Ich würde einen Orangensaft mit einem Schuß Wodka vorziehen«, gab Josuah Parker zurück und nahm umständlich Platz. Dabei sah er zu den beiden jungen Burschen hinüber, die sich von ihrem Schock erholt hatten.
Sie waren inzwischen wohl aufgeklärt worden, denn sie verzichteten auf jede Drohgebärde. Ja, sie grinsten ein wenig verlegen in Richtung Parker und buhlten um sein Wohlwollen. Parker war ein Mann des Ausgleichs. Er nickte andeutungsweise zu den beiden Schlägern hinüber, die darauf fast glücklich waren und sich den Freidrink am Tresen abholten.
»Verfügen Sie über mich«, sagte Coburn inzwischen, nachdem er die Bestellung aufgegeben hatte.
»Eine gewisse Zwangslage, Mister Coburn, erfordert einige hochqualifizierte Spezialisten«, entgegnete Parker. »Ich bin sicher, daß Sie diese Herren kennen und dafür interessieren können.«
»Und was für Spezialisten müssen das sein?«
»Das, Mister Coburn, werde ich Ihnen nun sagen. Absolute Verschwiegenheit ist Voraussetzung, die Bezahlung wird ausgezeichnet sein!«
»Ich liefere Ihnen, was Sie brauchen, Mister Parker.«
»Noch in dieser Nacht?«
»Klar doch.«
»Auch innerhalb der nächsten Stunde?«
»Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern bei mir eine knappe Stunde«, versicherte Joe Coburn. »Jetzt haben Sie mich aber verdammt neugierig gemacht, ehrlich.«
»Sie werden nach wenigen Minuten wahrscheinlich ein wenig staunen und sich wundern«, verhieß Josuah Parker, um dann zur Sache zu kommen.
*
»Mylady wollen anschließend dem Jagdsport frönen?« erkundigte der Butler sich am anderen Morgen, als er das Frühstück servierte. Ihm war nicht entgangen, daß der große Sportbogen samt Pfeilköcher im Vorflur des Hauses stand.
»Ich werde mein Image pflegen«, erklärte Lady Agatha.
»Mylady?« Parker beugte sich ein wenig vor und schaute seine Herrin abwartend und interessiert an.
»Ich gelte doch als alt, schrullig und exzentrisch«, entgegnete sie und lachte mit dröhnendem Bariton. »Ich werde gewissen Beobachtern also etwas bieten.«
»Eine Idee, zu der ich Mylady nur beglückwünschen kann«, erwiderte Parker. »Darf ich bei dieser Gelegenheit berichten, daß die Agenten sich noch mal per Telefon gemeldet haben?«
»Der Termin ist doch nicht etwa geändert worden, wie?« Agatha Simpson wirkte irritiert.
»Keineswegs und mitnichten, Mylady. Man erwartet Mylady in gut einer Stunde auf dem Testgelände.«
»Miß Porter wurde ebenfalls angerufen.« Lady Agatha sah in Richtung Kathy Porter, die am Frühstückstisch saß.
»Auch ich habe mein Startzeichen bekommen, per Telefon.« Kathy Porter lächelte. »Es handelt sich also doch nur um einen einzigen Auftraggeber.«
»Was ich ja die ganze Zeit über gesagt habe, Kindchen. Sie sollten mehr auf das hören, was ich sage. Sie sehen übrigens ein wenig abgespannt und müde aus, Mister Parker.«
»Ich muß gestehen, daß es eine relativ anstrengende Nacht war«, räumte Parker ein. »Ich darf aber berichten, daß alles zu voller Zufriedenheit geregelt werden konnte.«
Man sah Lady Agatha nicht an, was da auf sie zukam. Sie frühstückte ausgiebig, stärkte ihren Kreislauf und kleidete sich dann um. Sie wählte eines ihrer vielen, derben Kostüme aus Tweedstoff, stieg in Parkers hochbeinigen Wagen und nickte zufrieden, als auch der große Sportbogen samt Pfeilköcher verstaut wurde. Anschließend setzte sich Parker ans Steuer und verließ Shepherd’s Market.
»Glauben Sie, daß wir überwacht werden?« fragte die Detektivin.
»Davon sollte man wohl ausgehen, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Die Agenten werden ab sofort jeden Schritt registrieren, es geht ja immerhin um einen Coup, der, wenn er gelingen sollte, einem äußerst verwegenen Handstreich gleichzusetzen wäre.«
»Ich bin gespannt, wie der Motor weggeschafft werden wird.«
»Mylady haben sich eine andere und wahrscheinlich bessere Theorie überlegt?«
»Ich bleibe bei meiner ersten Theorie, Mister Parker«, sagte sie. »Die Sache mit dem Schleppnetz ist ausgezeichnet. So etwas sollte auch mal Ihnen einfallen!«
»Sehr wohl, Mylady!«
»Mister Parker, ich sorge mich um die Wachmannschaften«, warf Kathy Porter ein. »Könnte es nicht zu einer Schießerei kommen?«
»Damit ist kaum zu rechnen, Miß Porter.«
»Sie geben sich wieder mal sehr geheimnisvoll, Mister Parker«, grollte Lady Agatha. »Jetzt sollten Sie endlich Farbe bekennen, finde ich.«
»Der reguläre Werkschutz, Mylady, wurde bereits vor Stunden außer Gefecht gesetzt«, antwortete Parker mit der größten Selbstverständlichkeit.
»Wie war das, Mister Parker?« Lady Agatha erlitt einen leichten Hustenanfall.
»Ich war so frei, Mylady, diesen Werkschutz auszutauschen«, redete der Butler weiter. »Er ist ersetzt worden durch Männer, die man in der Umgangssprache als Profis bezeichnen müßte.«
»Ich verstehe immer noch nichts, Mister Parker.«
»Dank einiger Verbindungen, Mylady, engagierte ich die erwähnten Profis, die jetzt in den Uniformen des Werkschutzes das Testgelände abschirmen.«
»Was sind denn das für Leute, Mister Parker?«
»Die Manieren der betreffenden Herren sind nicht gerade geschliffen oder gar vorbildlich zu nennen, Mylady, doch sie werden von einem Mann namens Joe Coburn geleitet, der für seine Autorität bekannt ist.«
»Und warum dieser Austausch?«
»Um jede Schießerei zu verhindern, Mylady. Mit anderen Worten, ein Blutvergießen wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht stattfinden. Dieser temporär neue Werkschutz wird die Entführung des neuen XAR-Motors durchaus zulassen.«
»Dieser Austausch hat ohne weiteres geklappt? Ist das mit dem Leiter des Werkschutzes so vereinbart worden?«
»Dazu, Mylady, verblieb leider keine Zeit, wie ich gestehen muß«, redete Parker würdevoll weiter. »Es wäre möglicherweise auch zu gewissen Verständigungsschwierigkeiten gekommen. Der Austausch wurde beiläufig vorgenommen, wenn ich es so umschreiben darf.«
»Sie haben doch nicht etwa irgendwelche Individuen aus der Unterwelt engagiert, Mister Parker?«
»Vortreffliche Männer, Mylady.«
»Du lieber Himmel, Kindchen, haben Sie das gehört?« Mylady wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. »Fürchten Sie nicht, von diesen Burschen hereingelegt zu werden?«
»Diese Gefahr existiert nicht, Mylady. Mr. Joe Coburn übernimmt dafür die Gewähr.«
Die Detektivin überlegte, ob dieser Austausch von ihr veranlaßt worden war oder nicht. Sie wollte sich aber noch nicht festlegen und schwieg daher erst mal.
Parker lieferte zudem keine weiteren Erklärungen. Er steuerte den hochbeinigen Wagen – ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach seinen speziellen Wünschen und Plänen umgebaut war – bereits durch die nordwestlichen Außenbezirke der Millionenstadt und näherte sich langsam dem großen Testgelände.
Als das Einlaßtor erreicht war, wurde der Wagen von Männern des Werkschutzes scharf kontrolliert. Agatha Simpson sah sich diese Männer aufmerksam an und hatte den Eindruck, es mit handfesten und auch ein wenig grob aussehenden Werkschutzleuten zu tun zu haben.
»Darf ich Mylady Mister Coburn vorstellen?« Parker deutete auf den Besitzer der Kellerbar, der respektvoll grüßte und sich mühte, paramilitärisch zu wirken.
»Alles in Ordnung, Mister Coburn?« erkundigte Mylady sich leutselig.
»Alles bestens, Lady«, erwiderte Coburn und grüßte sicherheitshalber noch mal. »Die Sache ist so gut wie geritzt. Bald wird Feuer am Himmel sein.«
»Feuer am Himmel?« Agatha Simpson sah ihren Butler fragend an.
»Eine blumige Umschreibung für die Tatsache, Mylady, daß die Dinge bald in Fluß geraten«, übersetzte Parker, während er weiterfuhr.
*
»Gütiger Himmel!«
Sir Richard Bromley wandte sich entgeistert an den angeblichen Butler Rodney und setzte sein Fernglas ab.
»Stimmt was nicht, Chef?« erkundigte sich Bottning.
»Sehen Sie sich die Alte an!«
Bottning spähte durch das anderthalb Meter lange Teleskopobjektiv und zuckte zusammen. Dann schaute er hoch und seinen Chef ebenfalls entgeistert an.
»Habe ich richtig gesehen?« fragte der angebliche Sir Richard Bromley.
»Sie steht im Panzerturm und schießt mit einem Sportbogen«, sagte Rodney Bottning. »Die Frau muß total verrückt sein!«
»Das glaubt mir kein Mensch, so was ist nur in England möglich«, behauptete Richard Bromley. »Steht im Turm eines Panzers, der mit Elektronik vollgestopft ist, aber schießt mit Pfeil und Bogen!«
Die beiden Agenten konnten sich nicht beruhigen. Sie hatten in ihrer aufregenden Laufbahn schon allerhand erlebt, doch das war ihnen noch nie serviert worden.
»Ich werde mal unser zweites Team anrufen«, sagte der angebliche Sir Richard Bromley und griff nach dem Funksprechgerät. »Die müßten doch auch soweit sein.«
»Und wann soll die Geschichte abrollen, Chef?«
»Innerhalb der nächsten halben Stunde«, entschied Bromley. »Die Maschine steht abrufbereit.«
*
»Großer Gott«, sagte Derek Beils und richtete sich auf.
»Ist was, Boß?« fragte der angebliche Butler Perkins.
»Sehen Sie selbst, Perkins!« Der angebliche Butler bückte sich und nahm den XAR durch das Teleskopobjektiv in Augenschein, das in diesem Fall aber nur einen Meter lang war.
»Sie schießt mit Pfeil und Bogen«, stieß Tony Perkins verblüfft hervor. »Und dieser Parker kutschiert mit ihr herum. Er sitzt neben dem Turm auf der Wanne und fuchtelt mit seinem Regenschirm durch die Gegend.«
»Solch ein Gesellschaftssystem muß doch automatisch zu Grunde gehen«, prophezeite Derek Beils. »Typen wie die beiden da unten auf dem Panzer sind die Garantie dafür.«
»Warum hat sie Pfeil und Bogen mitgenommen?« fragte sich Tony Perkins halblaut.
»Die Alte ist exzentrisch«, gab Derek Beils zurück. »Wahrscheinlich ist sie sogar verrückt.«
»Aber sie bringt den Panzer rüber zur vereinbarten Stelle«, freute sich Tony Perkins. »Die kleine Porter spurt wie nach Fahrplan.«
»Moment mal!« Derek Beils hatte den feinen Piepton seiner Funksprechanlage gehört. Er nahm das Gerät hoch und ging auf Empfang.
»Hier Bromley«, meldete sich das erste Team. »Wir sind soweit. Wie sieht es bei euch aus?«
»Ihr könnt starten«, entgegnete Derek Beils. »Weit und breit kein Werkschutz zu sehen. Das Objekt haben wir so gut wie sicher in der Tasche. Habt ihr die komische Alte gesehen?«
»Mit Pfeil und Bogen«, lautet die prompte Antwort.
»Ich lasse jetzt die Maschine kommen«, schloß Derek Beils. »Moment mal, der Panzer steht jetzt! Gleich geht’s los ...«
Er beendete den Funksprechverkehr mit seinem zweiten Team und nickte dem angeblichen Butler Tony Perkins zu. Perkins griff nach einem zweiten, leistungsstärkeren Funksprechgerät und setzte den vereinbarten Spruch für die »Hercules« ab.
*
»Mylady sollten sich jetzt vielleicht der verabredeten und sicher auch erwarteten Ohnmacht hingeben«, sagte Josuah Parker zu seiner Herrin. Er stand neben dem Panzerturm und beobachtete den besonders hohen und dichten Absperrzaun, hinter dem in einiger Entfernung die Piste des ehemaligen Militärflugplatzes zu sehen war.
Parker holte die flache, lederumspannte Flasche aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers und füllte den Silberbecher, der gleichzeitig als Verschluß diente. Da er genau wußte, wie scharf sie beobachtet wurden, reichte er umständlich und übertrieben langsam diesen Silberbecher an Lady Agatha weiter, die ihn leerte, um wenig später aus dem Panzerturm zu steigen.
Parker lehnte die kleine Eisenleiter gegen das gepanzerte Ungetüm und half Lady Agatha herunter auf den festen Boden. Er wurde dabei von Kathy Porter unterstützt, die sich im Innern des Panzers aufgehalten hatte.
Butler Parker und Kathy Porter führten die seitlich taumelnde Lady Simpson ein gutes Stück vom Panzer weg und setzten sie in einen natürlichen Graben, der mit Gras bewachsen war. Jeder Beobachter mußte einwandfrei erkennen, daß die Sechzigjährige sich nicht wohl fühlte.
»Wie lange wird es dauern, bis die Maschine landet?« fragte Lady Agatha.
»Meiner bescheidenen Schätzung nach, Mylady, in etwa zehn Minuten«, gab Parker zurück.
»Woher kommt sie denn Ihrer Ansicht nach?«
»Sie dürften sich bereits seit geraumer Zeit in der Luft befinden«, gab der Butler zurück. »Sitzen Mylady bequem?«
»Wieso bereits in der Luft?« wunderte sich die energische Dame.
»In der näheren Umgebung gibt es keinen Flugplatz, Mylady, von dem eine Hercules unbemerkt und ohne Luftkontrolle starten kann«, versicherte Parker. »Die Hercules dürfte schon vor gut einer Stunde abgehoben haben, und zwar unter Wahrung aller notwendigen Formalitäten. Wahrscheinlich ist ihr Einsatz als Probe- und Wartungsflug von einer Scheinfirma gemeldet worden.«
»Ich höre bereits Motorgeräusche«, meldete Kathy Porter. »Mylady sollten jetzt vielleicht den Eindruck einer Ohnmacht erwecken.«
»Wie werden Ihre neuen Freunde reagieren?« fragte die ältere Dame, die ausgestreckt im Gras lag.
»Sie werden den Schein wahren, Mylady.«
Parker hatte das Geräusch der Motoren ebenfalls gehört. Bald schon entdeckte er in der Luft die Hercules, die stark angedrückt wurde und direkten Kurs auf den alten und verlassenen Feldflughafen nahm.
Dann ging alles sehr schnell...
Die Maschine setzte auf und rollte bis an den äußeren Rand der Piste, der sich erfreulicherweise in der Nähe des Sperrzauns befand. Die hintere Ladeklappe öffnete sich, und gut ein Dutzend Männer stürmte ins Freie. Sie waren ausgezeichnet ausgerüstet, sprengten mit vorbereiteten Langladungen den Zaun und rannten auf den XAR zu.
Die Männer enterten den XAR, während aus der schweren Transportmaschine ein seltsames Fahrzeug kroch. Es handelte sich um einen fahrbaren Kran, der durch die Zaunlücke fuhr und dicht neben dem XAR anhielt.
Nun erst reagierte der Werkschutz.
Eine dünne Alarmsirene ertönte, und von den Montagegebäuden her kamen die ersten Wachleute, die aber von den Angreifern sofort unter Feuer genommen wurden. Wie mit Parker verabredet, zogen sich die Spezialisten des Joe Coburn in Deckung zurück, schossen und sorgten aber dafür, daß nicht getroffen wurde.
»Was tut sich?« fragte Lady Simpson.
»Erfreuliches, Mylady«, gab der Butler zurück. »Die Feindagenten sind zur Zeit damit beschäftigt, den Panzermotor auszubauen. Sie leisten, wie ich gestehen muß, sehr gute und schnelle Arbeit.«
Parker übertrieb nicht.
Unter Einsatz des Lastenkrans waren einige Männer damit beschäftigt, den »Allesfresser«, die Sensation auf dem Gebiet des Vielstoffmotors, aus dem XAR zu entfernen. Es handelte sich um ein eingespieltes Fachteam, und jeder Handgriff saß.
Das Feuergefecht ging derweil munter weiter. Joe Coburns Männer störten, aber sie hüteten sich nach wie vor, genaue Treffer anzubringen, denn Parker hatte sich ausdrücklich gegen jedes Blutvergießen ausgesprochen.
Nach knapp fünfzehn Minuten hing der »Allesfresser« bereits am Haken des Krans, der sich sofort in Bewegung setzte und zurück zur Hercules rollte, deren Propeller sich noch drehten, nun aber langsam auf Touren gebracht wurden.
»Bemerkenswert gute Arbeit«, lobte der Butler erneut. »Ich möchte Mylady vermelden, daß mit dem Start innerhalb der nächsten fünf Minuten gerechnet werden kann.«
Er hatte ein gutes Zeitmaß.
Nach sechseinhalb Minuten dröhnten die Motoren voll auf, die Hercules nahm Fahrt auf, wurde immer schneller und hob dann elegant von der Piste ab. Im Tiefflug verschwand sie dann hinter einem Wäldchen.
»Wo wird man den Motor ab werfen?« fragte Agatha Simpson.
»Dies, Mylady, wird ein Spezialsender ermitteln«, erklärte der Butler. »Der Motor wurde sicherheitshalber damit ausgerüstet. Seine Peilzeichen dürften ab sofort nicht mehr zu überhören sein,«
»Wer hört denn diese Peilzeichen ab?« wollte die ältere Dame wissen. »Kann ich endlich wieder aufstehen? Ich finde es albern, weiter hier herumzuliegen.«
»Wenn ich mir erlauben darf, Mylady behilflich zu sein?« Parker reichte ihr seine schwarz behandschuhte Rechte.
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet«, erinnerte Lady Agatha. »Ich wette, Sie haben hinter meinem Rücken noch einige Dinge in Szene gesetzt, die Sie mir bisher verschwiegen haben.«
»Mylady sehen hoffentlich mein schuldbewußtes Gesicht«, gab Butler Parker zurück. »Mylady, ich bin zerknirscht.«
»Ich sehe das alles, aber ich warte dennoch auf eine Antwort«, grollte sie. »Wollen Sie mich wieder mal ablenken?«
»Mitnichten, Mylady! Die Peilzeichen werden von einigen Amateurfunkern aufgenommen, die ich für diese Tätigkeit interessieren konnte.«
»Wie haben Sie denn das wieder geschafft?« wunderte sich die ältere Dame.
»Ich habe die Ehre und das Vergnügen, Mylady, den Butler Sir Hubert Humbers zu kennen.«
»Und wer ist Sir Hubert Humbers? Warten Sie, der Name kommt mir bekannt vor...«
»Sir Hubert Humbers, Mylady, ist der Präsident der Königlichen Funkamateurvereinigung«, schloß Parker. »Sein Butler hat einige ehrenwerte Amateure, die man als besonders zuverlässig bezeichnen muß, für diesen Funkdienst eingesetzt, wenngleich diese Herren auch nicht wissen, um was es sich genau handelt. Sie sind mit den Vorgängen und Hintergründen nicht vertraut gemacht worden. Sie nehmen an, es handele sich um ein neues Fernlenkflugmodell, das es zu verfolgen gilt.«
*
Auf der Höhe vor Clacton on Sea, etwa vierzig Meilen Nordost von der englischen Küste entfernt, tuckerte ein kleiner Fischkutter durch den feinen Dunst, der sich über dem Wasser gebildet hatte. Die See war ruhig, die Dünung kaum zu spüren.
Der Besitzer des kleinen Kutters, Les Pauling, stand im Ruderhaus und rauchte Pfeife. Bis zu den Fischgründen, die er aufsuchen wollte, hatte es noch Zeit.
Vorn am Bug hantierte sein Maat. Jerry Staft ordnete Netze und überanstrengte sich auch nicht sonderlich. In der kleinen Kombüse unter Deck bereitete der Schiffsjunge, Red Andsly, das Essen vor.
Les Pauling reagierte kaum, als er das Dröhnen von Flugzeugmotoren hörte. Das änderte sich erst, als diese Geräusche fast aufdringlich wurden. Er ließ das Ruder los und trat einen halben Schritt nach draußen. Er schaute hoch zu der schweren Transportmaschine, die aus dem milchigen Dunst auftauchte. Sie flog seiner Schätzung nach höchstens zweihundert Meter hoch und hielt Kurs Nordnordwest wie der Kutter.
Les Pauling nahm sein Glas und versuchte herauszubekommen, welcher Nationalität diese Maschine angehörte. Er konnte jedoch keine Kennung ausmachen, alles an dieser Maschine war graugrün gestrichen.
Das große Flugzeug zog höher und beschrieb einen weiten Halbkreis. Plötzlich, wie durch Zauberei, hörte Les Pauling das Pfeifen von Düsenmaschinen.
Sie jagten in einem irrsinnigen Tempo knapp über der Wasseroberfläche dahin und schienen den Lufttransporter eindeutig zu verfolgen. Sie waren so schnell, daß sie den relativ engen Kreisbogen der Hercules nicht schafften. Die drei Jagdmaschinen, die englische Hoheitszeichen auf ihren Rümpfen hatten, wurden weit hinausgetragen.
»Was läuft denn da?« rief Maat Jerry Staft seinem Kapitän zu. »Sehen Sie mal, da drüben schaukelt ein Heckfänger.«
Les Pauling änderte die Blickrichtung. Durch sein starkes Glas konnte er Einzelheiten dieses Heckfängers erkennen. Es war ein großes Fangschiff, wie es hier in den Gewässern nur selten auftauchte. Dieser Heckfänger war ebenfalls ohne jedes Kennzeichen.
Die Düsenjäger schwenkten ein und rasten auf die langsamere Transportmaschine zu, die genau Kurs auf den Heckfänger hielt.
»Die ... die schmeißen ja was ab!« Maat Staft deutete aufgeregt nach oben. Vom Heck der Transportmaschine fiel ein großer Gegenstand wie ein Stein nach unten. Les Pauling schwenkte erneut sein Glas herum und beobachtete den Behälter, der aus Brettern und Segeltuch zu bestehen schien. Einzelheiten konnte er nicht ausmachen.
»Ein... ein Fallschirm«, brüllte Maat Staft aufgeregt.
»Drei«, erwiderte Les Pauling lakonisch. »Sieht aus, als würden die ’ne Raumkapsel absetzen.«
»Und das Ding segelt direkt auf den Heckfänger zu«, schrie Staft. »Mann, is’ das ’n Ding! Der kracht ja genau auf den Kahn da drüben...«
Les Pauling sah mehr.
Der rechteckige Behälter hing bereits an den drei großen Fallschirmen und klatschte seiner Schätzung nach wenige Sekunden später etwa fünfzig bis hundert Meter vom Heck entfernt ins Wasser, das hoch aufspritzte.
Die drei Düsenjäger kreisten wie aufgeregte Insekten um den Heckfänger, doch sie richteten selbstverständlich nichts aus. Wahrscheinlich hatten sie auch keinen Schießbefehl, denn sie überflogen zwar den Heckfänger, aber sie griffen nicht weiter ein.
»Die zieh’n ein Schleppnetz ein«, wunderte sich Les Pauling. »Tatsächlich ’n Schleppnetz, Jerry. Und in dem Netz hängt die Kiste.«
Les Pauling sprang zurück ins Ruderhaus, ließ die Schraube die höchste Umdrehungszahl machen und steuerte auf den Heckfänger zu. Dann beobachtete er angestrengt weiter. Sein Gefühl sagte ihm inzwischen deutlich, daß hier Dinge geschahen, die mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen waren.
Er hatte die Wachsamkeit und Schnelligkeit der Besatzung des Heckfängers unterschätzt. Das große Schiff hatte bereits Fahrt aufgenommen und steuerte in Richtung offene See. Die drei Düsenjäger der Airforce umkreisten den Heckfänger.
»Jetzt ziehen sie das komische Ding an Bord«, berichtete Les Pauling seinem Maat. »Die Kiste ist aufgeplatzt, verdammt, was mag das wohl sein?«
»Wie sieht’s denn aus, Kapitän?« wollte der Maat wissen.
»Wie ’n Schiffsdiesel«, antwortete Les Pauling. »Ich werd’ das mal sofort an die nächste Küstenstation durchgeben. Vielleicht wissen die dort mehr.«
*
»Was hatten Sie denn da wieder zu telefonieren?« wollte Agatha Simpson wissen.
Butler Parker kam aus dem Bürogebäude, das zum Testgelände gehörte. Er machte einen äußerst zufriedenen Eindruck.
»Ich darf mir erlauben, Mylady gute Nachrichten zu überbringen«, antwortete der Butler. »Myladys Hausbank hat den Transfer und die Gutschrift von insgesamt siebzigtausend Pfund gemeldet. Das Geld wurde vom Schweizer Bankinstitut ordnungsgemäß hierher nach London weitergeleitet und gebucht.«
»Ein hübsches Sümmchen, Mister Parker.« Lady Agatha war ebenfalls zufrieden. »Ich dachte schon, diese Subjekte hätten Miß Porter und Sie hereinlegen wollen.«
»Dies, Mylady, war zweifelsfrei geplant«, gab Butler Parker zurück. »Darum bestanden Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit darauf, daß diese Umbuchung noch vor Beginn der Aktion erfolgte. Sonst hätte man womöglich mit einer Sperrung der beiden Teilbeträge rechnen müssen.«
»Sonst noch etwas?«
»Die Kreuzpeilungen, Mylady, bestätigten eindeutig die Vermutung, daß der begehrte Motor über See abgeworfen wurde.«
»Das hatte ich Ihnen ja gleich prophezeit«, behauptete Agatha Simpson unverfroren.
»Wird man auch bald wissen, wie diese Übergabe erfolgt?« schaltete Kathy Porter sich ein.
»Dies könnten vielleicht Mylady übernehmen«, bat Parker. »Myladys private Verbindungen zu hohen und höchsten Kommandostellen sollte man nutzen.«
»Genau das wollte ich gerade machen.« Sie nickte dem Butler hoheitsvoll zu und marschierte in das Bürogebäude. Parker und Kathy Porter blieben zurück. Sie blickten Joe Coburn entgegen, der langsam heranschlenderte.
»Ich werde mir erlauben, die vereinbarte Summe noch ein wenig aufzustocken«, sagte Butler Parker zum Besitzer der Kellerbar. »Ihre Leute sind bereits zurück in die Stadt gefahren?«
»Die sind längst über alle Berge, Mister Parker. Waren Sie zufrieden?«
»Ein gelungenes Unternehmen. Wann werden die regulären Wachmannschaften wieder einsatzbereit sein?«
»Wir haben ihnen Spitzhacken und Brecheisen zurückgelassen. Ich schätze, daß sie in einer halben Stunde die Kellerwände aufgebrochen haben werden, Mister Parker.«
»Mit einem Fachmann zusammenarbeiten zu dürfen ist immer wieder ein Genuß«, sagte Parker gemessen.
»Hören Sie, Mister Parker, mich geht’s ja ’n Dreck an«, schickte Joe Coburn voraus. »Aber dieser Werkschutz besteht doch nur aus Pfeifen. Und das is’ noch höflich ausgedrückt. Der Laden hier sollte sich richtige Fachleute holen, auf die man sich verlassen kann. Wissen Sie eigentlich, wieviel Zeit wir gebraucht haben, um diese Typen einzusperren?«
»Meiner bescheidenen Vermutung nach werden Ihre Leute und Sie es in wahrer Rekordzeit geschafft haben.«
»Im Handumdrehen«, bestätigte der Mann. »Und solche Hampelmänner bewachen da ’n Laden, in dem streng geheime Sachen über die Bühne gehen. Als Steuerzahler wird man ja direkt unruhig.«
»Sie sollten jetzt vielleicht Ihren Leuten folgen«, schlug Parker vor. »Mich deucht, daß die ersten regulären Wachmänner aus dem Keller kommen. Hier wird bald viel Aufregung und Rätselraten herrschen.«
»Bis zum nächsten Mal, Mister Parker! Hoffentlich haben Sie bald wieder was für uns.«
Joe Coburn setzte sich in seinen Wagen und fuhr los. Parker versäumte nicht, höflich seine schwarze Melone zu lüften. Dank der wertvollen und diskreten Mitarbeit dieses Mannes war alles so verlaufen, wie er es sich gewünscht hatte.
Agatha Simpson marschierte aus dem Bürogebäude.
Sie strahlte.
»Drei Düsenjäger haben die Hercules verfolgt, aber nichts ausrichten können«, berichtete sie. »Das ist mir gerade von einem Herrn des Kriegsministeriums bestätigt worden.«
»Konnten Mylady nähere Einzelheiten in Erfahrung bringen?«
»Die drei Düsenpiloten haben genau gesehen, daß eine schwere und große Transportkiste in das Schleppnetz eines Heckfängers geworfen wurde.«
»Ein Heckfänger, dessen Nationalität wahrscheinlich nicht auszumachen war, wie ich unterstellen darf?«
»Richtig, Mister Parker. Damit dürfte der Motor sich in der Hand der gegnerischen Macht befinden.«
»Welcher Macht, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter.
»Das steht noch nicht fest. Das wird man erst in einigen Tagen wissen. Der Heckfänger steht natürlich ab sofort unter Luftbeobachtung.«
»Er kann nicht gestoppt werden, Mylady?«
»Das könnte zu internationalen Verwicklungen führen, wie man mir sagte. Im Kriegsministerium war man sehr aufgeregt, als ich erste Andeutungen machte.«
»Mylady werden wahrscheinlich noch heute in die zuständigen Ministerien gebeten werden«, vermutete der Butler. »Der Wunsch nach Informationen dürfte dort ungewöhnlich groß sein.«
»Sie werden mich selbstverständlich begleiten. Und Sie, Kindchen, ebenfalls.« Lady Simpson sah ihre beiden Begleiter an. »Sie werden mit den unwichtigen Einzelheiten dienen. Sie wissen, daß ich mich ja nur um die große Linie kümmere.«
»Wie Mylady befehlen.« Parker und Kathy Porter tauschten wieder mal einen schnellen Blick des Einverständnisses.
»Diesen Herren werde ich einiges über ihre sogenannten Sicherheitsvorkehrungen erzählen«, redete die ältere Dame energisch weiter. »Es ist doch ein Skandal, wie leicht man hier Panzer stehlen kann. So etwas darf sich nicht wiederholen!«
»In dieser Hinsicht möchte ich mich erkühnen, Mylady voll und ganz beizupflichten.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an.
»Was wird sich inzwischen wohl auf dem Heckfänger tun?« Lady Agatha schmunzelte. »Ob man dort mehr weiß?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« Parker öffnete den Wagenschlag für seine Herrin. »Hochqualifizierte Techniker dort müßten längst bemerkt haben, daß man sich einen Panzermotor einhandelte, wie er längst aus der Mode gekommen ist und gerade noch während des Zweiten Weltkrieges benutzt wurde. Die allgemeine Enttäuschung, Mylady, wird daher wohl exorbitant sein, wenn ich es so allgemeinverständlich und volkstümlich ausdrücken darf!«
*
»Sie ... Sie haben ...?« General Cummings, Gesicht war puterrot eingefärbt. Er schnappte nach Luft. Er blieb wie angewurzelt neben seinem Schreibtisch stehen und sah dann hilfesuchend zu Oberst Ashford hinüber, doch auch der litt unter Luftschwierigkeiten. Ganz zu schweigen von einigen Zivilisten, die zu Geheimdienststellen der Krone gehörten. Sie alle hatten sich von Butler Parker einen Lagebericht geben lassen und wollten noch immer nicht an das glauben, was sie da gehört hatten.
»Ist Ihr Blutdruck nicht in Ordnung, General?« fragte Lady Agatha besorgt. »Mister Parker, vielleicht braucht der General einen kleinen Kreislaufbeschleuniger.«
»Mylady«, keuchte Cummings. »Mylady, wissen Sie, was Sie da getan haben?«
»Natürlich«, erwiderte die selbstbewußte Dame gelassen.
»Sie haben mit der Sicherheit der Krone gespielt. Sie haben ...«
»Mit dieser Sicherheit war es nicht weit her«, schlug Agatha Simpson zurück. »Wo waren denn der Werkschutz und die Angehörigen des Sicherheitsdienstes?«
»Eine Frage, die man nur unterstreichen kann«, warf der Butler ein.
»Wir... wir sind reingelegt‘ und überlistet worden«, schnauzte ein Zivilist. Er hatte sich inzwischen wieder leicht erholt.
»Und zwar von Freunden, junger Mann«, grollte Lady Agatha. »Stellen Sie sich mal vor, es hätte sich um echte feindliche Agenten gehandelt? Dann wäre dieser neue Panzermotor jetzt in der Hand der Gegner. Haben Sie daran schon mal gedacht?«
Der Zivilist schwieg.
»Sie sollten mir, und meinetwegen auch Mister Parker und Miß Porter, auf den Knien danken, daß wir diesen neuen Motor gerettet haben«, fügte Lady Simpson hinzu. »Ich hoffe, daß man mich für einen entsprechenden Orden vormerkt, obwohl ich mir aus Blech nichts mache.«
»Die Sache hätte aber auch ins Auge gehen können«, ließ Oberst Ashford sich vorsichtig vernehmen.
»Wenn das Militär den Fall in die Hand genommen hätte, dann wohl mit Sicherheit«, raunzte die ältere Dame.
»Wir... wir hätten den gegnerischen Agentenring überwacht und dessen Hintermänner hochgehen lassen«, warf ein zweiter Zivilist ein. »Jetzt ist das natürlich nicht mehr möglich. Ein zweites Mal werde die Agenten sich keine Blöße mehr geben. Sie hatten die Pflicht, Mylady, dem Geheimdienst Meldung zu erstatten!«
»Myladys Pflicht war es, Schaden von der Krone abzuwenden«, schaltete der Butler sich gemessen ein. »Darüber hinaus konnten noch siebzigtausend Pfund als Einnahme verbucht werden.«
»Ja, was wird nun aus diesem Geld?« fragte ein dritter Zivilist, der bisher geschwiegen hatte. Er machte einen unscheinbaren Eindruck und war daher wohl als besonders hoch einzustufen, was seinen Rang innerhalb des Geheimdienstes anbetraf.
Dieser Mann schien Sinn für Humor zu haben. Er schmunzelte.
»Mylady haben bereits über die Summe verfügt«, erwiderte Parker.
»Das dachte ich mir.« Der Zivilist schmunzelte ungeniert weiter.
»Die Summe ist an den Waisenfonds für die Polizei gegangen«, fügte der Butler hinzu.
»Mit diesem Geld sollen besonders begabte Kinder gefördert werden«, stellte die Detektivin klar. »Die Polizei braucht erstklassigen Nachwuchs, was natürlich auch fürs Militär und den Geheimdienst gilt.«
»Mylady, Sie fürchten nicht, daß Sie ab sofort das erklärte Ziel aufgebrachter Feindagenten sein werden, was natürlich auch für Miß Porter und Mister Parker gilt?«
Der Zivilist parodierte ein wenig die Lady, was sie lächelnd quittierte, denn auch sie hatte Humor.
»Gegen ein weiteres Tänzchen mit diesen Subjekten habe ich nichts einzuwenden«, sagte Agatha Simpson dann.
»Hinzu kommt, daß Mylady, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit gewisse Spuren entdecken konnten, die auf die Hintermänner der Luftlandeaktion deuten«, erklärte Josuah Parker. »Diese Hintermänner müssen ihre baldige Entdeckung fürchten. Sie werden daher wohl alles unternehmen, um aktiv zu werden.«
*
»Nachrichten, Chef?« erkundigte sich der angebliche Butler Rodney Bottning. Er hatte in gespannter Erwartung verfolgt, wie sein Chef Bromley nach dem Läuten des Telefons den Hörer abgehoben hatte. Bromley hatte schweigend zugehört und legte auf. Als er sich seinem Untergebenen zuwandte, war sein Gesicht kreideweiß.
»Ist der Motor glücklich an Bord, Chef?« fragte Rodney Bottning, bereits etwas unsicherer.
»Er ist an Bord des Heckfängers«, antwortete Sir Richard Bromley. »Es hat alles wunderbar geklappt, Bottning, wunderbar!«
»Sagenhaft«, freute sich der angebliche Butler, der mit dem richtigen Butler, namens Josuah Parker, ins Gespräch gekommen war. »Was hätte denn auch nicht klappen sollen?«
»Es handelt sich um einen Schrottmotor, Bottning!«
»Wie war das?«
»Es handelt sich um einen Schrottmotor, den dieser Parker uns angedreht hat. Haben Sie begriffen? Muß ich noch deutlicher sprechen? Es ist ein Motor, der gerade noch für den Schuttplatz taugt.«
»Au ... Au ... Ausgeschlossen.« Rodney Bottning wurde nun seinerseits kreideweiß.
»Man hat uns aufs Kreuz gelegt. Sie können sich ja vorstellen, was jetzt bei uns los ist! Man wird uns in die Wüste schicken, Bottning. Wir können einpacken, genauer gesagt, uns begraben lassen.«
»A ... A ... Aber ich begreife das nicht.«
»Weil Sie von Anfang an nichts begriffen haben, Bottning, weil Sie so dumm waren, auf diesen Butler zu setzen! Sie hätten wissen müssen, daß dieser Mann ein Gauner ist...«
»Aber Chef, das mit Butler Parker war doch Ihre Idee!«
»Das verbitte ich mir! Das ist eine böswillige Unterstellung, Bottning! Sie haben mir diesen Butler aufgeschwätzt, von mir aus wäre ich nie auf diese Schnapsidee gekommen! Aber darüber werde ich an höchster Stelle berichten, mein Wort darauf!«
»Chef, das lasse ich mir nicht bieten, ich werde auch einen Bericht schreiben. Und ich werde darin sagen, wie es wirklich gewesen ist.«
»Wir haben noch eine einzige Chance, Bottning«, sagte Sir Richard Bromley einlenkend. »Wir können uns noch rausboxen.«
»Und wie, Chef?« Auch Bottning lenkte sofort ein. Er wollte überlegen wie sein Chef.
»Wir müssen diese Alte, diese Miß Porter und den Butler kidnappen und die Gegenseite zwingen, den richtigen Motor rauszurücken.«
»Sie glauben, das könnte klappen?«
»Darüber werden wir gemeinsam nachdenken. Und zwar mit der anderen Gruppe.«
»Mit Beils und Perkins, Chef?«
»Genau. Wir müssen zusammen einen Weg finden, um den richtigen ›Allesfresser‹ doch noch zu bekommen.«
»Im Austausch gegen Lady Simpson vielleicht, Chef?«
»Das wäre die beste Möglichkeit. Aber diesmal darf es keine Panne geben.«
»Wann werden wir uns mit dem anderen Team treffen, Chef?«
»Umgehend! Jetzt muß sehr schnell gehandelt werden. Und dann will ich die siebzigtausend Pfund wieder zurückholen, Bottning.«
»Chef, ich habe da eine Frage.«
»Schießen Sie schon los, Bottning!«
»Glauben Sie, daß die Lady und ihr Butler noch immer auf eigene Faust arbeiten?«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Na ja, weil die Aktion doch inzwischen gemeldet wurde und dem britischen Sicherheitsdienst bekannt sein muß. Ob Parker nicht die ganze Zeit über mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hat?«
»Diese Frage interessiert doch jetzt nicht mehr, Bottning. Jetzt geht es nur darum, eine Geisel in die Hand zu bekommen und die Gegenseite zu zwingen, den ›Allesfresser‹ herauszurücken!«
*
»Ich wollte ja nicht vor all den hohen Herren da reden, Mylady«, schickte Sir Lorne Shuffle voraus, der Chefmanager der Unternehmungen, »aber da sind ein paar Dinge, die mir doch einige Sorgen bereiten.«
Sir Lorne war Mylady hinunter zum Wagen gefolgt und druckste ein wenig herum.
»Reden Sie forsch von der Leber weg«, sagte Lady Agatha.
»Ich weiß nicht, wer meinen Werkschutz eingesperrt hat«, sagte Sir Lorne, »ich weiß nur, daß aus den Büros einige Dinge verschwunden sind, die recht wertvoll sind.«
»Wenden Sie sich an meinen Butler«, entgegnete die resolute Dame.
»Um welche Verluste handelt es sich?« fragte Josuah Parker gemessen. Ihm war sofort ein bestimmter Verdacht gekommen.
»Die Leute des Werkschutzes und des Geheimdienstes wurden regelrecht ausgeplündert«, beschwerte sich der Generalmanager. »Armbanduhren wurden geraubt, dann sämtliches Bargeld aus den Brieftaschen, wertvolle Büromaschinen aus den Büros, und dann sind leider auch noch zwei sehr sichere Safes aufgebrochen worden, wie mir eben mitgeteilt wurde.«
»Aufgebrochen?« wunderte der Butler sich. So etwas wollte er kaum glauben.
»Geschickt geöffnet«, korrigierte Sir Lorne. »Man hat die beiden Safes wie mit Nachschlüsseln behandelt.«
»Das klingt schon besser«, stellte der Butler fest.
»Wieso klingt das besser?« Sir Lorne rückte sich die Brille zurecht. »Möchten Sie wissen, wieviel an Bargeld aus beiden Safes verschwunden ist?«
»Die Gesamtsumme muß beträchtlich sein, wie ich vermuten darf.«
»Weit über tausendachthundert Pfund.«
»Wie erklären Sie sich das, Mister Parker?« Agatha Simpson sah ihren Butler fragend an.
»Wahrscheinlich handelt es sich um ein paar Fingerübungen, wie ich es umschreiben möchte. Ich werde diese Summe verrechnen, wenn Mylady einverstanden sind.«
»Regeln Sie das, Mister Parker!« Sie war sofort einverstanden und stellte in Gegenwart Sir Lornes absichtlich keine weiteren Fragen. Erst als der Generalmanager sich verabschiedet hatte und gegangen war, schüttelt sie den Kopf.
»Seltsame Freunde haben Sie, Mister Parker«, sagte sie.
»Mister Coburn wird dieses Vorgehen seiner Helfershelfer mit Sicherheit mißbilligen«, erwiderte Parker. »Dieserhalb werde ich natürlich sofort Kontakt mit ihm aufnehmen.«
»Wie habe ich Ihnen vor diesen hohen Herrschaften gefallen?« wollte sie jetzt wissen.
»Mylady waren überzeugend«, gestand Parker. »Gewisse Warnungen sollte man allerdings nicht in den sprichwörtlichen Wind schlagen.«
»Man wird wie der Satan hinter mir her sein, nicht wahr?«
»Mit Myladys Erlaubnis möchte ich dies unterschreiben und unterstreichen, Was die Feindagenten anbetrifft. Darüber hinaus aber ist fest damit zu rechnen, daß Mylady ab sofort auch vom Geheimdienst überwacht wird.«
»Wie hübsch.« Die ältere Dame freute sich. »Ein sehr netter Kriminal- und Spionagefall, Mister Parker, finden Sie nicht auch?«
»Mylady werden daraus mit Sicherheit einen Bestseller machen.«
»Ich kann es kaum erwarten, mich an die Schreibmaschine zu setzen, Mister Parker. Ist genügend Manuskriptpapier vorrätig?«
»Ich war so frei, en gros einzukaufen, Mylady.«
»Wann werde ich diese Hintermänner entlarvt haben?« fragte Lady Agatha weiter. »Sie deuteten eben an, es gäbe schon gewisse Hinweise, Mister Parker?«
»Eine taktische Maßnahme, Mylady. Zu meinem großen Bedauern kann von einer sogenannten heißen Spur leider nicht gesprochen werden.«.
»Aber Sie haben bereits einen bestimmten Verdacht, oder?«
»Ich könnte mit einem bestimmten Verdacht dienen, Mylady«, schaltete Kathy Porter sich ein.
»Ich selbstverständlich ebenfalls, Kindchen, doch lassen Sie mal hören. Ich möchte erfahren, ob Sie logisch denken können.«
»Ihr Entschluß, Mylady, den neuen Panzer samt Motor zu testen, kam völlig spontan«, schickte Kathy Porter voraus.
»Natürlich, Kindchen, so etwas plane ich niemals im vorhinein.«
»Sie erfuhren von Sir Lorne Shuffle vom Allesfresser«, redete Kathy Porter weiter. »Er mußte Sie zwangsläufig einladen, als Sie den Motor testen wollten.«
»Weil ich an diesem Unternehmen immerhin recht gut beteiligt bin.« Lady Agatha nickte.
»Diese Testfahrten wurden natürlich vertraulich behandelt, Mylady. Es erfuhren davon nur noch Mr. Peter Finnegan, der Chefkonstrukteur, und die beiden Militärs Cummings und Ashford, die noch vor dem Manöver auf dem Testgelände waren.«
»Sie haben vergessen, den Werkschutz und das technische Personal zu erwähnen, Kindchen. Sie alle könnten es den Feindagenten gesteckt haben.«
»Darf ich ganz frei reden, Mylady?«
»Dumme Frage, Kindchen!«
»War es wirklich Ihr spontaner Entschluß, den Panzer samt Motor zu testen, Mylady? Würden Sie noch mal genau nachdenken? Sind Sie nicht doch zu einigen Testfahrten eingeladen worden?«
»Wieso fragen Sie, Kindchen?«
»Erst nach den Testfahrten wurden Mister Parker und ich erpreßt und zur Mitarbeit für die Gegenseite geworben.«
»Ach so, Kindchen.« Agatha Simpson dachte nach und gab sich dann einen inneren Ruck. »Genau betrachtet hat Sir Lorne mich eingeladen und mir von dem Wundermotor berichtet.«
»So weiß ich es auch nur, Mylady«, sagte Kathy Porter. »Ich war nämlich anwesend, als Sir Lorne und Chefkonstrukteur Finnegan Ihnen einen Vortrag hielten.«
»Natürlich, Herzchen, Finnegan war ja auch dabei.« Lady Simpson sah wieder alles genau vor sich. »Ja, glauben Sie denn, Sir Lorne oder dieser Finnegan würden mit der Gegenseite zusammenarbeiten?«
»So weit möchte ich nicht gehen, Mylady«, schränkte Kathy Porter sofort ein.
»Was sagen Sie zu Kathys Anmerkungen?« Die Detektivin beugte sich vor, denn Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr durch die City zurück in Richtung Shepherd’s Market.
»Es handelt sich um wertvolle Hinweise«, faßte Josuah Parker zusammen. »Darf ich mir jedoch erlauben, dieses Thema durch eine Warnung zu ersetzen?«
»Eine Warnung?«
»Mylady werden bereits seit geraumer Zeit von zwei unauffällig aussehenden Wagen der Firma General Motors verfolgt. Ich möchte davon ausgehen, daß die Gegenseite zu einem ersten Gegenschlag auszuholen gedenkt.«
*
Butler Parker änderte seine Dispositionen.
Er hielt es für wichtig herauszufinden, von wem sie im Augenblick verfolgt wurden. Waren es Mitglieder des britischen Geheimdienstes? Wollten sie in Erfahrung bringen, mit wem Kathy Porter und er in Verbindung getreten waren? Agatha Simpson, Kathy Porter und auch er hatten sich strikt geweigert, Namen der Gegenseite zu nennen. Den Herren, mit denen sie eben erst zusammen gewesen waren, waren der angebliche Butler Perkins, Rodney Bottning und Sir Richard Bromley völlig unbekannt. Auch der Name Derek Beils war ungenannt geblieben. Parker wollte die geheimnisvollen Männer zwingen, ihre Karten aufzudecken.
»Vielleicht erfahre ich mal bei Gelegenheit, was Sie jetzt schon wieder planen«, ließ die Detektivin sich grimmig vernehmen. Ihr war natürlich nicht entgangen, daß Parker die Fahrtrichtung geändert hatte.
»Es deuten sich zwei Möglichkeiten an, Mylady«, antwortete Josuah Parker würdevoll. »Entweder werden Mylady vom britischen Geheimdienst verfolgt, oder aber die Gegenseite versucht bereits, zu einem Gegenschlag auszuholen.«
»Ich möchte doch sehr hoffen, daß die zweite Möglichkeit eintrifft«, gab Lady Agatha unternehmungslustig zurück. »Finden Sie nicht auch, Kindchen, daß die vergangenen Stunden recht langweilig gewesen sind?«
»Nicht unbedingt, Mylady«, sagte Kathy Porter und lächelte. »Die Ereignisse haben sich doch eigentlich überschlagen.«
»Sie fühlen sich doch nicht etwa überfordert?«
»Natürlich nicht, Mylady.«
»Und wie sieht es mit Ihnen aus, Mister Parker?«
»Mylady sehen mich in einem Zustand froher Erwartung«, ließ der Butler sich vernehmen. »Ich hoffe ebenfalls, daß Mylady von der Gegenseite verfolgt werden. Daraus ließen sich weitere Schlüsse ziehen.«
»Natürlich, Mister Parker, Welche, zum Beispiel? Ich möchte doch hören, ob Sie auch so denken wie ich.«
»Sollte die Gegenseite sich bereits eingeschaltet haben, Mylady, so muß sie noch während Myladys Vortrag verständigt worden sein.«
»Und zwar von einem dieser Leute, die in General Cummings’ Büro gewesen sind, nicht wahr?«
»Diesen Schluß sollte und müßte man dann ziehen, Mylady.«
»Damit hatten wir den Kreis der verdächtigen Personen erheblich eingegrenzt.«
»So erlaube ich mir die Dinge ebenfalls zu sehen, Mylady,«
»Hinzu kämen vielleicht noch zwei Sekretäre aus General Cummings’ Vorzimmer«, warf Kathy ein.
»Sehr gut beobachtet.« Agatha Simpson nickte zufrieden, hütete sich jedoch zuzugeben, daß sie an diese beiden Sekretäre überhaupt nicht gedacht hatte. Es waren junge Offiziere, die zum Stab General Cummings’ gehörten.
»Myladys Einverständnis vorausgesetzt, sollte man die beiden verfolgenden Wagen hinaus in neutrales Gelände locken.« Parker hatte die Außenbezirke der Millionenstadt erreicht und steuerte das hügelige Gelände hinter Highgate an, das einer weiten, romantisch aussehenden Parklandschaft glich. Hier draußen konnte man sich seiner Ansicht nach recht ungestört, aber auch sehr intensiv mit den Verfolgern in beiden Wagen befassen.
Parker spielte diesen Leuten inzwischen so etwas wie leichte Panik vor. Er schien erst jetzt begriffen zu haben, daß er verfolgt wurde, steigerte die Geschwindigkeit seines hochbeinigen Monstrums und bog in eine enge Seitenstraße ab, die zu beiden Seiten von Bruchsteinmauern begrenzt wurde. Er fuhr noch schneller, ließ seinen Wagen absichtlich ein wenig schlingern und täuschte seinen Verfolgern eine völlig falsche Kurventechnik vor. Sie mußten inzwischen längst den Eindruck erhalten haben, daß sie es mit einem Fahrer zu tun hatten, der mit seinem Wagen nicht so recht fertig wurde.
»Was halten Sie von den Flegeln, die uns verfolgen?« erkundigte sich die ältere Dame.
»Es dürfte sich um Agenten der anderen Seite handeln«, antwortete der Butler. »Dem Geheimdienst müßte eigentlich bekannt sein, daß meine bescheidene Wenigkeit in der Handhabung eines Wagens ein wenig versierter ist. Die Verfolger aber gehen auf das Spiel ein, wie ich feststelle, und versuchen nun aufzuschließen. Mylady sollten sich auf einige turbulente Minuten einstellen.«
»Ich bitte darum, Mister Parker«, gab sie animiert zurück. »Erteilen Sie diesen Subjekten eine Lektion, die sie so schnell nicht mehr vergessen werden!«
*
»Jetzt sitzen sie in der Falle«, behauptete der angebliche Butler. Tony Perkins saß am Steuer des zweiten Verfolgerwagens und warf einen kurzen, triumphierenden Blick auf seinen Nebenmann. Derek Beils schien diese leichtsinnige Auffassung durchaus zu teilen, denn er nickte.
»Sie rennen sich da drüben in der Farm fest«, redete Tony Perkins weiter. »Gut, daß wir den Tip bekommen haben, Boß. In zehn Minuten hat die Lage sich gründlich geändert, dann müssen sie den ›Allesfresser‹ rausrücken, ob sie wollen oder nicht.«
Rein optisch sah der angebliche Butler das vollkommen richtig. Der Wagen fuhr schlingernd auf eine offensichtlich verlassene Farm zu, deren Wohnhaus einen trostlosen Eindruck machte.
Es gab ferner Stallgebäude, eine Scheune und einen Hochsilo, der an einen riesigen, etwa zehn Meter hohen Bottich erinnerte. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Auch auf den Weiden war kein Vieh. Diese Farm mußte schon vor geraumer Zeit aufgegeben worden sein.
Tony Perkins preschte mit seinem Wagen durch das geöffnete, verfallene Gatter und trat voll auf die Bremse. Das Fahrzeug schleuderte leicht, lief aus und blieb dann neben dem ersten Wagen stehen, aus dem bereits drei handfest aussehende Männer fielen, die mit kurzläufigen Maschinenpistolen ausgestattet waren. Sie warteten, bis Tony Perkins und Derek Beils aufgeschlossen hatten.
»Die sind da drüben im Stall, Boß«, meldete der Anführer der drei Schützen. »Sollen wir sie mit Tränengas ausräuchern? Haben wir alles dabei.«
»Sicher ist sicher.« Derek Beils, der Boß des Unternehmens, wollte kein Risiko mehr eingehen. »Räuchert sie aus!«
»Und was ist mit Parkers Wagen?« fragte Tony Perkins. In seiner Stimme lag einige Verachtung, als er auf das hochbeinige Taxi zeigte, das sehr harmlos wirkte.
»Diese alte Kiste lassen wir später verschwinden. Erst will ich jetzt die drei Gauner haben. Beeilt euch!«
Derek Beils zündete sich eine Zigarette an und schickte seine Helfershelfer los. Er fühlte sich sehr wohl in seiner Haut. Nach der peinlichen Pleite mit dem Schrottmotor konnte er nun Pluspunkte sammeln. In seiner Personalakte würde sich das wahrscheinlich sehr günstig ausnehmen.
Sekunden später zuckte er zusammen.
Aus einem ihm unerfindlichen Grund taumelte sein Assistent Perkins plötzlich. Er wollte sich an den Kopf fassen, schaffte diese Bewegung jedoch nicht mehr. Er fiel auf die Knie, sackte zur Seite und blieb regungslos im Staub liegen.
Die drei Scharfschützen hatten diesen Zwischenfall nicht bemerkt, da sie bereits vorausgegangen waren. Derek Beils lief zu Tony Perkins hinüber und beugte sich über ihn.
»Was ist denn los, Perkins?« fragte er eindringlich. »Mann, reden Sie doch! Was ist passiert?«
Der angebliche Butler, den man auf Kathy Porter angesetzt hatte, gab keine Antwort. Er rührte sich nicht, atmete tief und hielt die Augen fest geschlossen.
Derek Beils spürte plötzlich, daß er die Lage völlig falsch eingeschätzt hatte. Dieser Butler hatte es mehr als faustdick hinter den Ohren. Dieser so steif und daher auch so skurril aussehende Mann schüttelte die Tricks wahrscheinlich nur so aus den Ärmeln. Beils richtete sich wieder auf und wollte seine drei Scharfschützen warnen, doch dazu kam er nicht mehr.
Derek Beils spürte einen harten Schlag in der Schläfengegend, schnappte verzweifelt nach Luft und fiel dann über seinen Assistenten. Er begriff nicht mehr, daß er von einer Tonmurmel voll getroffen worden war.
*
Derek Beils war wieder zu sich gekommen und hatte bösartigen Brechreiz, den er sich nicht erklären konnte. Dann aber schnupperte er und wußte, womit diese Übelkeit ursächlich zusammenhing. Es roch penetrant säuerlich, nach verfaultem Gras und -Rübenblättern.
Sehen konnte er zuerst nichts.
Er tastete um sich herum und merkte, daß er mit seiner Kehrseite in einer fauligen Brühe saß, aus der dieser Geruch strömte. Er nahm den Kopf hoch und schluchzte fast vor Freude und Erleichterung. Über ihm, etwa zehn Meter entfernt, sah er ein kleines Stück des Himmels.
»Boß«, hörte er die Stimme seines Assistenten. »Boß, was ist passiert? Wo sind wir? Wo sind Sie?«
»Hier, Perkins«, gab Derek Beils zurück.
»Alles in Ordnung, Boß?« fragte Tony Perkins.
»Nichts ist in Ordnung«, sagte Beils scharf. »Wo wir sind? Wir stecken in ’nem Silo, haben Sie das noch nicht gemerkt? Parker hat uns geschafft.«
»Aber da sind noch die drei Scharfschützen«, erklärte Tony Perkins hoffnungsvoll.
»Ja«, sagte die Stimme ihres Anführers. »Wir sind auch hier.«
»Wie, zum Henker, konnte das passieren?« Derek Beils wollte brüllen und toben, doch dazu war er nicht in der Lage. Es würgte ihn erneut, und er hätte sich am liebsten übergeben. Er sprach also fast sanft und elegisch.
»Ich... Ich bin plötzlich umgefallen«, sagte Tony Perkins und planschte in der fauligen Brühe. »Irgendwas muß mich getroffen haben Boß.«
»Mich hat ’n Pfeil erwischt«, ließ der Anführer der drei Scharfschützen sich vernehmen. »Das Ding war plötzlich in meinem Oberschenkel.«
»In meinem auch«, meldete der zweite Schießkünstler.
»Mein Pfeil landete im Hintern«, fügte der dritte Mann hinzu. »Und das verdammte Ding hab’ ich immer noch nich’ rausbekommen.«
»Pfeile?« Derek Beils glaubte nicht richtig gehört zu haben.«
»Pfeile«, kam es im Terzett zurück.
»Sie müssen vergiftet gewesen sein«, vermutete Tony Perkins. »Wie hätten wir sonst hier landen können? Bei uns allen muß doch für ’ne gewisse Zeit das Licht ausgegangen sein.«
»Wir müssen hier raus«, drängte Derek Beils und schaute wieder nach oben zur Öffnung des Silos. »Wir fangen sofort damit an.«
»Man könnte sich ja übereinander stellen«, schlug der angebliche Butler Perkins vor.
»Reden Sie nicht, Perkins, tun Sie was!« Derek Beils ließ sich seine Verzweiflung nicht anmerken. Wie gut hatte doch alles ausgesehen, als man Lady Simpson, Butler Parker und Kathy Porter verfolgt hatte. Und nun saßen sie hier in einer geradezu teuflischen Falle, die dazu noch grausam stank ...
Die drei Scharfschützen betätigten sich inzwischen als Artisten und wollten eine Art fleischgewordene Säule bauen, doch der Untermann hatte einfach nicht den richtigen Standpunkt, was seine Füße anbetraf. Er rutschte auf dem glatten Boden wie auf Schmierseife aus und ließ die menschliche Pyramide prompt wieder in sich Zusammenstürzen.
Derek Beils, der dazu einen Kommentar liefern wollte, wurde empfindlich gestört. Die hochschwappende, stinkende Brühe füllte auch seinen Mund. Beils hustete und spuckte, fühlte, wie sein Magen sich zusammenzog und nahm sich vor, bei erstbester Gelegenheit seinen Beruf zu wechseln. Das hier war einfach kein Leben.
Die menschliche Pyramide wurde erneut errichtet.
Diesmal lehnte der Untermann sich gegen die glitschig-feuchte Wand des Holzsilos, ließ den nächsten Mann auf seine stämmigen Schultern klettern und ächzte, als der dritte Mann an ihm hochstieg, den zweiten Mann passierte und sich dann auf dessen Schultern vorsichtig aufrichtete.
»Hier muß wenigstens noch einer rauf«, rief er nach unten in die Dunkelheit.
»Perkins, worauf warten Sie noch?« schrie Derek Beils. »Wollen Sie hier unten Wurzeln schlagen?«
Tony Perkins gehorchte augenblicklich und machte sich an die Ersteigung der Pyramide. Als er den zweiten Mann erreicht hatte, wankte das Fundament. Ein Aufbrüllen war zu hören, ein Fluch, dann ein paar Schreie und plötzlich ein donnerndes Gepolter, das im Hochschlagen der übel riechenden Silobrühe unterging.
Sekunden später saßen die Amateurartisten einträchtig nebeneinander auf dem Boden des Silos und gaben sich ihrer echten Verzweiflung hin. Sie kamen sich von Butler Parker verraten und verkauft vor.
*
»Ich war so frei, Mister Coburn, Ihr Kommen zu erwarten«, sagte Josuah Parker. Er hatte die Tür von Myladys Haus geöffnet und nickte dem Besitzer der Kellerbar zu, der ihm so wertvolle Dienste erwiesen hatte.
»Ich hab’ Ihnen was mitgebracht, Mister Parker«, sagte Joe Coburn und schob den Pappkarton vor, den er unter dem rechten Arm hielt.
»Auch diese Geste hatte ich erwartet, Mister Coburn. Aber wollen Sie nicht nähertreten?«
»Nee, ich hab’ nicht viel Zeit, Mister Parker. Und dann, wissen Sie, möchte ich Lady Simpson erst gar nicht unter die Augen treten. Sie wissen schon!«
»In der Tat, Mister Coburn!«
»Also, da haben einige meiner Bekannten ein paar fremde Sachen mitgehen lassen«, entschuldigte sich der: Besitzer der Kellerbar. »Armbanduhren, Brieftaschen, Ringe und sonst so ’n Zeug. Die Jungens bedauern das sehr.«
»Die Gegenstände werden ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückgeschickt werden, Mister Coburn.«
»Da wär’ noch was, Mister Parker. Und das is’ mir verdammt peinlich.«
»Sie denken in diesem Zusammenhang wahrscheinlich an die eintausendachthundert Pfund, nicht wahr?«
»Ich hab’ getobt, als ich davon gehört habe.«
»Mylady werden diesen Verlust aus ihrer Privatschatulle begleichen, Mister Coburn.«
»Aha. Und was bedeutet das?«
»Mylady bestehen nicht auf der Rückgabe der Summe. Mylady sind der Ansicht, daß Sie und Ihre Mitarbeiter diese Sonderprämie verdient haben.«
»Die Frau is’ ja Spitze, Mister Parker.«
»Sie sagen es, Mister Coburn.«
»Meine Jungens werden strahlen, Mister Parker.«
»Davon bin ich überzeugt, Mister Coburn.«
»Wir stehen jederzeit zu Diensten, Mister Parker. Hoffentlich haben Sie bald mal wieder was für uns.«
»Wer vermag schon in die Zukunft zu sehen, Mister Coburn?« Parker hob bedauernd die Schultern. »Warten wir die Entwicklung der Dinge gelassen ab.«
»Und wo is’, wenn man fragen darf, jetzt der Schrottmotor, den wir in den Panzer eingebaut haben?«
»Er nimmt Kurs Nordost, Mister Coburn. Bei dieser Gelegenheit übrigens meine private Anerkennung. Ihre Spezialisten haben den Aus- und Umbau in geradezu überzeugender Art und Weise getätigt. Selbst die Herren einschlägiger Dienste waren voll des Lobes und der Bewunderung.«
»Gelernt is’ gelernt, Mister Parker«, gab Coburn geschmeichelt zurück. »Hauptsache, Sie hatten Ihren Spaß.«
»Es wird mit Sicherheit nicht nur gelacht worden sein, Mister Coburn.« Parker deutete allerdings ein Schmunzeln an. »Ich denke in diesem Zusammenhang an jene Herren, die sich von dem Motor viel versprachen.«
»Werden Sie jetzt keinen Ärger haben, Mister Parker?« wollte Joe Coburn wissen. »Könnt’ ja sein, daß die sauer sind.«
»Ein gewisser Ärger wird sich mit Sicherheit einstellen, Mister Coburn«, räumte der Butler ein.
»Okay«, gab Coburn zurück, »dann werden Sie mich vielleicht doch noch mal brauchen, wie?«
»Bei Bedarf werde ich mir erlauben, auf Sie zurückzukommen«, versprach Parker. »Hoffentlich sehe ich mich in der Lage, auch für Sie wieder mal tätig werden zu dürfen.«
*
»Wie vom Erdboden verschwunden! Ich verstehe das nicht. Da muß es doch wieder mal ’ne Panne gegeben haben.«
Sir Richard Bromleys Kabeljauaugen hatten sich belebt und drückten echte Sorge aus.
»Der Anruf wird bestimmt innerhalb der nächsten Sekunden kommen«, sagte der zweite angebliche Butler namens Rodney Bottning. Er schaute auf seine Armbanduhr. »Beils und Perkins sind doch erstklassige Leute, Sir. Und die drei Scharfschützen gehören zur Spitzenklasse.«
»Spitzenklasse ist auch dieser verdammte Butler Parker«, seufzte Bromley auf. »Rufen Sie mal bei Lady Simpson an, Bottning! Vielleicht bringt uns das weiter.«
Rodney Bottning ging zum Telefon und wählte die Nummer, die er im Kopf hatte. Er brauchte nur wenige Sekunden zu warten, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. Da Bottning den Telefönverstärker zugeschaltet hatte, konnte Bromley das Gespräch verfolgen.
»Bei Lady Simpson?« meldete sich die würdevolle Stimme des Butlers. »Mit wem habe ich die Ehre?«
»Parker?« fragte Rodney Bottning sinnloserweise, denn er hatte die Stimme sofort erkannt.
»Oh, Mister Bottning«, kam die prompte Antwort. »Sie haben ziemlich lange gezögert, sich zu melden. Wie ist das werte Befinden, wenn man höflichst nachfragen darf?«
»Mein Befinden geht Sie einen Dreck an, Parker«, brauste Bottning auf.
»Mister Bottning, ich muß mich doch sehr wundern«, entgegnete Josuah Parker. Mißbilligung war in seiner Stimme. »Sie werden in Ihrem Land doch gewiß auch über gewisse Grundregeln der Höflichkeit verfügen, wie ich hoffen möchte.«
»Wo ... Wo sind Ihre, äh, sagen wir, Begleiter, geblieben, Parker?«
»Hoffentlich hören Sie aus meiner Stimme ein gewisses Staunen heraus, Mister Bottning.«
»Sie wissen genau, was ich meine.« Bottning geriet in Wut.
»Im Augenblick sehen Sie meine bescheidene Person ein wenig ratlos.«
»Hören Sie, Parker, sind Sie wild darauf, daß gewisse Dinge an die große Glocke gehängt werden? Haben Sie mich jetzt wenigstens verstanden?«
»Sie brauchen nicht in mehr oder weniger blumigen Umschreibungen zu sprechen«, schlug Josuah Parker höflich vor. »Ich darf Ihnen versichern, daß die Telefonverbindung keineswegs angezapft ist. Eine gewisse Klarheit der Aussage wäre also durchaus empfehlenswert.«
»Möchten Sie unter Mordanklage vor Gericht stehen? Denken Sie mal an Miß Rose Floyden! Muß ich, verdammt, muß ich denn noch deutlicher werden?«
»Aber Mister Bottning!« Parkers Stimme drückte jetzt fast so etwas wie Bedauern aus. »Sie glauben doch nicht im Ernst daran, daß ich Ihnen diese Mordgeschichte abgenommen habe, oder? Miß Rose Floyden erfreut sich wahrscheinlich bester Gesundheit. Dieses Druckmittel ist gegenstandslos geworden, wir sollten nicht mehr darüber sprechen.«
»Sie... Sie haben von Anfang an...?«
»Ich war so frei, Ihnen diesen Mord nicht abzunehmen«, sagte Josuah Parker. »Er war recht nett vorgetäuscht, aber als Kenner der Verhältnisse durchschaute er Ihre Absichten. Dies bezieht sich selbstverständlich auch auf Miß Porter, um diesen Fall gleich mit einzuschließen.«
»Miß Porter?« Bottnings Stimme drückte Verblüffung aus.
»Natürlich, Mister Bottning. Auch Miß Porter sollte unter Druck gesetzt werden, als man sie zwang, eine gewisse Schuldanerkenntnis zu unterschreiben. Sie wissen, die Herren Derek Beils und der angebliche Butler Tony Perkins zeichneten dafür verantwortlich. Streichen Sie auch das!«
»Lassen Sie mich mal!« Sir Richard Bromley hatte die Geduld verloren. Er riß seinen Mitarbeiter Bottning fast den Telefonhörer aus der Hand. »Hier Bromley, Parker!«
»Habe ich den Vorzug, mit dem Leiter des Gesamtprojektes zu sprechen?« erkundigte der Butler sich würdevoll.
»Wenn Sie wollen, ja, Parker.« Bromley zwang sich zur Ruhe. »In Ordnung, ich räume ein, daß Sie einige Runden an sich gebracht haben. Wir haben Sie unterschätzt.«
»Sie scheinen ein guter Verlierer zu sein.«
»Das eben bin ich nicht, Parker, verlassen Sie sich darauf! Ich habe sehr viel eingesetzt und sehr viel verloren.«
»Siebzigtausend Pfund, von den übrigen Spesen erst gar nicht zu reden. Die Hercules muß nicht gerade billig gewesen sein, Mister Bromley. Ich darf doch davon ausgehen, daß Sie keinen englischen Adelstitel besitzen, nicht wahr?«
»Bei uns kennt man solche lächerlichen Titel nicht.«
»Jeder nach seiner Façon, Mister Bromley. Ich möchte allerdings behaupten, daß auch Ihr Land gewisse Rangordnungen kennt und sie durch Titel, wenn auch anderer Art, auszudrücken beliebt.«
»Bleiben wir doch beim Thema«, erwiderte Bromley verärgert. »Und hören Sie mir jetzt genau zu.«
»Ich leihe Ihnen mein verständnisvoll geneigtes Ohr, Mister Bromley, oder wie Sie immer heißen mögen.«
»Ich werde sofort eine gnadenlose Treibjagd auf Lady Simpson starten«, drohte Bromley, der sich gegen seinen Willen erregte. »Das gilt auch für Sie und diese kleine Porter. Ich werde alles an Leuten mobilisieren, was ich auftreiben kann. Ich werde Sie zur Strecke bringen!«
»Ihre Rachsucht muß demnach sehr ausgeprägt sein, Mister Bromley.«
»Ich lasse mich nicht durch den Kakao ziehen, verstanden? Ich will den Motor haben!«
»Und wie stellen Sie sich das vor? Sie wissen doch längst, daß Mylady, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit beim britischen Geheimdienst waren, um gewisse Dinge zu erhellen und zu klären. Der bewußte ›Allesfresser‹ wird ab sofort schärfer bewacht als die wirklich sehenswerten Kronjuwelen. Kennen Sie sie übrigens? Sie sollten sie sich mal bei Gelegenheit ansehen.«
»Machen Sie mich bloß nicht wahnsinnig, Parker! Hören Sie auf mit den Kronjuwelen! Ich will den ›Allesfresser‹ haben! Und ich werde Ihnen jetzt sagen, wie Sie noch mal an ihn rankommen können.«
»Sie werden meiner bescheidenen Person mit Sicherheit eine Überraschung bieten, Mister Bromley.«
»Der Prototyp des ›Allesfresser‹ wird noch heute vom Testgelände weggeschafft«, antwortete Bromley mit einer Sicherheit, hinter der nur eine echte Information stand. »Sie, Mister Parker, werden diesen Transport abfangen und den Motor an eine Stelle bringen, wo ich ihn dann mit einem Lastwagen übernehme.«
»Dieser Transport wird wahrscheinlich streng militärisch abgesichert sein, Mister Bromley.«
»Das ist Ihr Problem, Sie wollen schließlich überleben. Und denken Sie dann noch an Lady Simpson und Miß Porter.«
»Warum entführen Sie nicht den Chefkonstrukteur des neuen Motors?« erkundigte Parker sich höflich. »Wäre das nicht wesentlich einfacher zu bewerkstelligen?«
Auf der Gegenseite blieb es einen Moment lang still. Bromley schien sich Parkers Vorschlag gründlich durch den Kopf gehen zu lassen. Dann erfolgte ein Räuspern.
»Finnegan kennt die Metallegierungen nicht«, lautete die Antwort. »Er würde uns nicht entscheidend weiterhelfen können. Nein, nein, es bleibt dabei. Ich will den Motor haben! Die genaue Zeit für den Abtransport werde ich Ihnen noch mitteilen, dann noch die Route, die der Transport nehmen wird.«
»Sie verfügen – wie ich anerkennen möchte – über erstaunlich gute Informationsquellen, Mister Bromley.«
»Und über erstaunlich gute Schützen, die treffen werden, wenn Sie diesmal nicht spuren!«
*
Es war dunkel geworden.
Josuah Parker stand neben seinem hochbeinigen Monstrum auf einer leichten, bewaldeten Anhöhe und beobachtete durch ein lichtstarkes Nachtglas den Konvoi, der in zügiger Fahrt über die Straße rollte.
Es handelte sich um zwei Militärlastwagen, zwei Jeeps und einige Kradfahrer, vermutlich ein völlig normaler Militärtransport, der da in die Dunkelheit hineinfuhr. Daß hier ein Objekt von höchstem militärischem Wert bewegt wurde, war den beiden Lastwagen nicht anzusehen. Und doch befand sich auf der Ladefläche des zweiten Fahrzeugs der vielbegehrte »Allesfresser« auf dem Weg in ein streng bewachtes Militärdepot Parker hatte seine Stichworte vor einer Stunde von Bromley erhalten und alles vorbereitet. Er war wieder mal sehr aktiv gewesen und hatte seine Beziehungen spielen lassen. Erstaunlicherweise aber war er allein. Es war ihm gelungen, seine Herrin davon zu überzeugen, eine andere Aufgabe zu übernehmen. Parker ging es darum, daß Chefkonstrukteur Finnegan rund um die Uhr scharf bewacht wurde. Parker traute diesem Bromley nicht über den Weg. Vielleicht hatte der Chef des gegnerischen Agentenrings seine Anregung aufgegriffen und wollte auch Finnegan mit ins Ausland nehmen.
Butler Parker hatte weder das Militär noch den Geheimdienst der Krone eingeweiht. Er handelte wieder mal auf eigene Faust. Ihm ging es nach wie vor darum, den eigentlichen Hintermann und Verräter zu entlarven.
Dieser Mann mußte seiner Ansicht nach in General Cummings Dienststelle zu finden sein, denn woher hätte sonst Bromley seine erstklassigen Informationen, die unter höchster Geheimhaltungsstufe standen?
Kam als Verräter der General in Betracht? War es sein Adjutant Ashford? Waren es andere Soldaten der Dienststelle? Eine schlüssige Antwort darauf fand Parker nicht, er mußte sich überraschen lassen und seinen Gegnern weitere Schachzüge aufzwingen.
Der Konvoi unten auf der Straße steuerte inzwischen auf die Hauptstraße zu, die hinter einem leichten Höhenzug war und dann hinauf nach Norden führte. Parker sah mehr als die Männer des Transports. In seinem Nachtglas machte er die beiden Lastwagen aus, die sich vor einem kleinen Wald gegenseitig lädiert hatten. Es handelte sich um einen Möbelwagen und um einen kleinen Tankwagen für Benzin.
Butler Parker hatte nicht die Absicht einzugreifen.
Er wußte, daß er sich auf einen gewissen Joe Coburn verlassen konnte, den er schneller erneut verpflichten mußte, als er geglaubt hatte.
Durch das Glas war alles gut zu beobachten.
Die beiden vorausfahrenden Motorradfahrer hatten inzwischen die Stelle erreicht, wo die Zivillaster sich ausgiebig berührt hatten.
Sie hielten, beratschlagten offensichtlich miteinander, gaben die Tatsache des Unfalls per Sprechfunk an die eigentliche Kolonne weiter und warteten erst mal ab. Dann erschienen die beiden Jeeps, in denen je drei Uniformierte saßen. Sie schlossen zu den beiden Motorradfahrern auf und warteten, bis endlich auch die beiden Militärlastwagen angerollt waren. Zu ihnen gesellten sich dann noch die beiden letzten Kradfahrer.
Butler Parker begab sich zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum, setzte sich ans Steuer und fuhr los. Weitere Einzelheiten interessierten ihn nicht mehr. In einer Viertelstunde würde er ohnehin mehr wissen.
*
»Un’ so was verteidigt unser Weltreich«, beschwerte sich Joe Coburn zwanzig Minuten später. Er saß im Fond von Parkers hochbeinigem Wagen und rauchte eine Zigarette. »Ich sollte mich beim Verteidigungsministerium beschweren, Mister Parker.«
»Wie verlief die Aktion?« erkundigte sich der Butler gemessen, als sei überhaupt nichts passiert. Er schaute in den Rückspiegel und sah darin die Scheinwerfer des Militärkonvois.
»Die Jungen vom Militär hatten noch nicht mal Zeit, dämlich aus der Wäsche zu gucken«, berichtete der Besitzer der Kellerbar und grinste. »Die palaverten rum, Sie wissen schon, wegen meiner beiden Lastwagen, tja, und dann waren meine Jungens plötzlich da und haben den Konvoi übernommen.«
»Sie kamen aus dem Möbeltransportwagen, wie ich vermute?«
»Genau! Mensch, Donnerwetter, waren die platt, als wir uns da plötzlich ranmachten. Die haben sich widerstandslos ergeben, bis auf die beiden Offiziere.«
»Es ist ihnen doch nichts passiert?« sorgte Parker sich.
»Nee, bestimmt nicht, Mister Parker, die wollten, aber sie konnten nicht verrückt spielen. Das wurde mit ein paar Kinnhaken geklärt.«
»Und wo befinden sich die Herren des Militärs jetzt?«
»Im Möbelwagen, Mister Parker. Keine Sorge, die liegen weich auf alten Packdecken. Man weiß ja, was sich gehört.«
»Mylady werden von dieser Aktion sehr angetan sein«, glaubte Parker bereits jetzt sagen zu können. »Sie sollten vielleicht den Beruf wechseln, Mister Coburn.«
»Und zur Polizei gehen, wie?« Der Besitzer der Nachtbar lachte gemütlich. »Nee, lassen Sie man, Mister Parker! Jeder muß wissen, wohin er gehört. Wie soll’s denn jetzt weitergehen? Darf ich das erfahren?«
»Sie und Ihre Leute werden noch mal einen kleinen Einsatz haben«, antwortete Parker. »Es wird übrigens Zeit, daß ich meine Nachricht absetze. Die Herren Bromley und Bottning werden gewiß bereits Ungeduldig warten.«
Während Parker weiterfuhr, griff er zum Hörer seines Funktelefons, ließ sich von der Postzentrale eine Verbindung herstellen und hatte schon nach wenigen Augenblicken Richard Bromley in der Leitung.
»Ich möchte den glücklichen Abschluß der Aktion vermelden«, sagte der Butler. »Würden Sie mir nun freundlicherweise sagen, wohin ich mich mit dem Lastwagen wenden soll?«
»Wie... Sie haben den Motor?« fragte Bromley, dessen Stimme prompt vibrierte.
»Selbstverständlich, Mister Bromley.«
»Nehmen Sie Richtung nach Watford, zum Golfplatz«, lautete Bromleys Anordnung. »Sie müßten es in zwanzig Minuten geschafft haben, oder?«
»Ich werde sehr bemüht sein, Mister Bromley.«
»Dann bis gleich, Parker. Ende!«
Josuah Parker legte auf und nickte seinem Begleiter zu. Joe Coburn brauchte keine langen Erklärungen. Er nickte nur.
»Die wollen das Ding wahrscheinlich wieder mal per Luft wegschaffen, wie?« meinte er dann.
»Diese Vermutung hege ich auch, Mister Coburn«, antwortete Josuah Parker. »Möglicherweise wird man diesmal einen entsprechenden Lastenhubschrauber einsetzen.«
»Mit dem kommen die aber nicht weit.« Coburn schüttelte den Kopf.
»Diesmal will man das Objekt wohl nur in ein Versteck schaffen«, entgegnete der Butler. »Der eigentliche Abtransport soll dann Tage oder auch Wochen später erfolgen.«
»Rechnet dieser Typ eigentlich nicht damit, daß Sie ihn mal wieder reinlegen?« erkundigte sich Coburn und schüttelte den Kopf. »Also ich, Mister Parker, ich würd’ ihnen nicht mehr trauen.«
»Mister Bromley weiß genau, daß sich das begehrte Objekt im Lastwagen befindet«, erwiderte Josuah Parker. »Ich gehe davon aus, daß der Überfall des Konvois von seinen Spähern genau beobachtet wurde. Diese Tatsache macht ihn sicher. Und die Späher werden ihm weiterhin mitteilen, daß auch während der Fahrt unter meine Regie keine Veränderungen vorgenommen wurden. Mister Bromley wird sich also in einem Vorstadium eines gewissen Siegesrausches befinden.«
»Na, der wird sich wundern, wenn meine Jungens zulangen.« Joe Coburn schlug mit der geballten rechten Faust in seine flache linke Hand.
»Sie sollten Ihre Freunde verständigen«, bat der Butler. »Diesmal ist vielleicht mit einer Schießerei zu rechnen. Mister Bromley wird inzwischen nicht mehr wissen, was Rücksichtnahme ist. Ihm wird es darum gehen, jeden Augenzeugen aus dem Weg zu räumen.«
»Soll er mal versuchen, Mister Parker.« Joe Coburn zeigte sich überhaupt nicht beeindruckt. »Wenn der Kerl uns dumm kommt, wird er keine Freude dran haben, nee, wird er nicht!«
*
»Da kommen sie!«
Mister Bromleys Stimme vibrierte noch immer. Parker hatte diese Klangfärbung durchaus richtig gedeutet: Der Agentenführer befand sich tatsächlich im Stadium eines Siegesrausches. Es war ihm also doch noch gelungen, den »Allesfresser« in seine Hand zu bekommen. Man würde ihm an höchster Stelle die erste Panne verzeihen und ihn nachträglich belobigen. Mit einer Versetzung in besonders kalte Landstriche seiner Heimat war nun nicht mehr zu rechnen.
»Parkers Wagen und ein Lastwagen«, sagte Rodney Bottning.
»Ein Lastwagen mit dem neuen Motor, Bottning. In ein paar Tagen werden wir dieses Wunderwerk von der Insel schmuggeln, und wenn wir es in seine Einzelbestandteile zerlegen müßten.«
»Was geschieht mit Parker und den Burschen, die ihm geholfen haben?«
»Werden für immer mundtot gemacht, Bottning, das dürfte doch wohl klar sein.«
»Nachdem Parker uns verraten hat, wo das zweite Team sich befindet.«
»Sie werden das aus ihm herausholen, Bottning. Und scheuen Sie sich nicht, die Daumenschrauben brutal anzuziehen, wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Richard Bromley kontrollierte noch mal per Sichtverbindung die Anordnung seiner Mitarbeiter.
Hinter der Baumgruppe stand der Lastenhubschrauber, der den Motor übernehmen sollte. Er war gut getarnt und von der nahen, schmalen Straße aus nicht zu sehen.
Einige seiner Leute hatten Posten im Gebüsch bezogen. Hinter dem kleinen Pavillon am Ende des Golfplatzes war ein leichter Kranwagen aufgefahren, der den Motor vom Militärlastwagen herunterheben und an den Hubschrauber bringen sollte. Diese Nacht- und Nebelaktion, wie er sie insgeheim nannte, war perfekt durchorganisiert.
Rodney Bottning gab inzwischen Lichtzeichen zur Straße hinüber. Hier war der leichte Holzzaun des Golfplatzes bereits eingerissen worden. Parkers Wagen und der Laster brauchen nur von der Straße abzubiegen und auf diese Lichtzeichen zuzufahren.
Und sie reagierten prompt.
Parkers hochbeiniges Monstrum rumpelte diskret durch den niedrigen Graben, während der Laster schon erheblich größere Schwierigkeiten hatte. Langsam rollten die beiden Fahrzeuge auf Bromley und Bottning zu und wurden bereits von Bromleys Leuten halbkreisförmig eingeschlossen und in die Zange genommen.
»Ich erlaube mir, einen wunderschönen Abend zu wünschen«, sagte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. Er war aus dem Wagen gestiegen und stand vor Bromley. »Ich hoffe, daß man diesmal mit meiner bescheidenen Person zufrieden war und ist.«
»Wer ist das?« fragte Bromley und deutete auf Joe Coburn.
»Ein Mitarbeiter, ohne den diese Transaktion nicht möglich gewesen wäre, Mister Bromley.«
»Und der prächtig mit ’ner Bleispritze umgehen kann«, fügte der Besitzer der Kellerbar hinzu und... hatte plötzlich wie durch Zauberei eine Maschinenpistole in Händen, deren Mündung auf Bromley und Bottning zeigte. Dazu pfiff er durch eine ansehnliche Zahnlücke, worauf seiner Freunde, die sich auf dem Laster befanden, ihre Schnellfeuerwaffen auf Bromleys Mitarbeiter richteten, die dummerweise eng aufgeschlossen hatten.
»Was ... Was soll das, Parker?« fragte Bromley scharf.
»Eine Antwort auf diese Frage dürfte sich erübrigen«, antwortete Josuah Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Darüber hinaus möchte ich mich für einen Moment entschuldigen. Es gilt, noch eine kleine Vorsichtsmaßnahme zu treffen.«
Parker setzte sich zurück in sein hochbeiniges Monstrum und preschte über den gepflegten Rasen des Golfplatzes und kurvte auf den hinter der Baumgruppe stehenden Lastenhubschrauber zu.
»Ist der Mann nicht einmalig?« freute sich Joe Coburn, der zusammen mit Bromley und Bottning dem Wagen nachschaute. »Warten Sie mal, was gleich noch alles passiert. Sie werden Bauklötze staunen.«
»Mann, ein Vermögen für Sie, wenn Sie zu uns übergehen«, sagte Bromley eindringlich und hastig. »Sie können die Summe bestimmen. Sie werden für Ihr Leben ausgesorgt haben.«
»Was schwebt Ihnen denn so vor?« erkundigte sich der Besitzer der Nachtbar, ein Mann, der immerhin zur Unterwelt zu zählen war, wie Bromley natürlich sofort erkannt hatte.
»Fünfhunderttausend Pfund«, sagte Bromley. »Siebenhundertfünfzigtausend! Entscheiden Sie sich schnell!«
»Ist der Motor soviel wert?« Coburn tat ahnungslos. Er ließ die beiden Agenten keinen Moment aus den Augen und rechnete mit ihrer Tücke und Verzweiflung. Darüber hinaus vergewisserte er sich mit schnellem Blick, daß seine Leute alles unter Kontrolle hatten. Bromleys fünf Unteragenten waren inzwischen sogar entwaffnet worden. Coburns Männer legten diesen Agenten bereits offiziell Handschellen an.
»Sie gehören doch zu uns«, drängte Bromley. »Warum arbeiten Sie mit einem Mann wie Parker zusammen, der nur der Speichellecker der hier herrschenden Klasse ist.«
»Ich hau’ Ihnen gleich eine aufs Maul«, antwortete Coburn verärgert. »Auf Butler Parker lass’ ich nichts kommen, klar? Und wenn ich für die Bullen auch nicht gerade schwärm’, so bin ich doch immer noch Brite, aber das werden Sie nie kapieren.«
Eine weitere Unterhaltung über Klasse und Gesellschaft wurde durch ein kleines Feuerwerk unterbrochen. Kurz hintereinander zischten drei Raketen hoch, hinterließen eine feurige Kometenspur und senkten sich nach kurzem Flug.
»Feuerwerk für Sie«, sagte Coburn ironisch zu Bromley und Bottning. »Hat Parker extra für euch veranstaltet. Der Butler ist Klasse, oder?«
*
»Ein Feuerwerk haben Sie abgebrannt?«
General Cummings war wieder mal aus der Fassung geraten und starrte den Butler an.
»Nur in übertragenem Sinn, Sir«, korrigierte Josuah Parker. Er befand sich in dem ihm bereits bekannten Büro und sah sich außer dem General noch Oberst Ashford und einigen Zivilisten gegenüber, die er von seinem ersten Besuch her kannte. Es waren Spitzenleute diverser Geheimdienste der Krone, und sie alle zitterten noch nachträglich um den »Allesfresser«, der inzwischen aber sicher in einem Militärdepot stand.
»Wie soll ich das verstehen? Feuerwerk in übertragenem Sinn?« Oberst Ashford, die James-Bond-Kopie, hüstelte nervös.
»Ich war so frei, meine Herren, mich jener Signalraketen zu bedienen, die in der Schiffahrt benutzt werden, um Gestrandeten und Schiffbrüchigen Hilfe angedeihen zu lassen.«
»Ich verstehe kein Wort.« General Cummings lief wieder mal rot an.
»Mit diesen Signalraketen, Sir, werden dünne Leinen zu in Seenot sich befindenden Schiffen hinübergeschossen«, erläuterte Josuah Parker höflich und geduldig. »Mittels dieser dünnen Leinen wiederum werden dann dicke Trossen befördert, an die man zu einem späteren Zeitpunkt sogenannte Hosenbojen befestigt, die dann ihrerseits in der Lage sind, Rettungsbedürftige an Land zu befördern.«
Der unscheinbare Zivilist, der natürlich wieder anwesend war, lächelte und amüsierte sich.
»Und warum haben Sie diese Signalleinen verschossen?« Oberst Ashford hatte noch nicht begriffen.
»Mittels dieser dünnen Leinen war es meiner bescheidenen Wenigkeit möglich, Sir, den Lastenhubschrauber quasi zu fesseln«, sagte Josuah Parker. »Der Pilot erkannte danach sofort die Unmöglichkeit eines Starts, denn er mußte befürchten, daß die dünnen Leinen sich um die Kupplungen der Rotoren wickelten.«
»Ausgezeichnet, Mister Parker«, ließ der unscheinbare Zivilist sich vernehmen. »Sehr gut! Meine Anerkennung!«
»Sie beschämen einen müden, alten und relativ verbrauchten Mann, Sir«, erwiderte Parker.
»Wo befindet sich dieses zweite Agententeam inzwischen?« schaltete General Cummings sich ein.
»Und das erste?« fügte Oberst Ashford schnell hinzu.
»Das erste Team unter der Führung der Herren Beils und Perkins müßte meiner Schätzung nach noch damit beschäftigt sein, ein Futtermittelsilo zu verlassen«, erwiderte der Butler. »Das zweite Agententeam, dem die Herren Bottning und Bromley vorstehen, langweilt sich wahrscheinlich zur Zeit in einem Möbelwagen, der mir zur Verfügung gestellt wurde.«
»Ashford, sorgen Sie dafür, daß diese Leute schnellstens verhaftet werden«, ordnete General Cummings an.
»Überlassen Sie das lieber uns, General«, bat der unscheinbare Zivilist mit eine Autorität, die keine Gegenfrage aufkommen ließ. »Ich möchte mich jetzt mit Mister Parker allein unterhalten, wenn es recht ist.«
Die Versammelten räumten Cummings’ Büro, und der unscheinbare Zivilist wandte sich dem Butler zu.
»Ich bin Clansing«, stellte er sich vor und reichte dem Butler die Hand.
»Sir Hubert Clansing.« Parker wußte jetzt Bescheid. Sir Hubert war so etwas wie die »Graue Eminenz« der Geheimdienste und koordinierte im Auftrag des Ministers die Zusammenarbeit. Er mochte sechzig Jahre alt sein, war schmächtig und eigentlich nur ein freundlicher, alter Herr mit humorvollen, braunen Augen, dem man zutraute, Schwäne zu füttern.
»Sie haben erstklassige Arbeit geleistet, Mister Parker«, begann Sir Hubert. »Aber das brauche ich Ihnen ja wohl nicht besonders zu sagen, oder?«
»Sie war vielleicht ein wenig eigenwillig, Sir«, räumte der Butler ein. »In diesem Zusammenhang möchte ich den Einsatz gewisser Herren unbedingt erwähnen, aber auch entschuldigen.«
»Coburn und Freunde, nicht wahr?« Sir Hubert schmunzelte.
»Sie wissen Bescheid, Sir?«
»Unsere Geheimdienste schlafen nicht nur«, meinte Sir Hubert. »Ich habe Ihre Aktionen durch Spezialisten meines Büros zusätzlich absichern lassen.«
»Eine nachträglich beruhigende Vorstellung, Sir, wenn ich so sagen darf.«
»Ohne Ihre Eigenwilligkeit hätten wir aber die beiden Agententeams nicht kassieren können«, stellte der freundliche, ältere Herr ehrlich fest. »Inoffiziell ging es eben doch wesentlich besser.«
»Wobei nachzutragen ist, Sir, daß der wahre Drahtzieher noch nicht ermittelt werden konnte.«
»Das eben beschäftigt mich. Irgendwo gibt es eine undichte Stelle.«
»Dieser Ansicht möchte ich beipflichten, Sir.«
»Sie haben einen bestimmten Verdacht, Parker?«
»Sir, er ist vage, um ihn äußern zu können.«
»Sie wollen weitermachen, Mister Parker?«
»In der Tat, Sir! Die Gegenseite hat jetzt nur noch eine einzige Möglichkeit, den ›Allesfresser‹ zu bekommen.«
»Das denke ich auch. Sie wird Chefkonstrukteur Finnegan entführen wollen.«
»Dies, Sir, macht auch meiner bescheidenen Wenigkeit Sorge.«
»Zumal Finnegan seit einigen Stunden wie vom Erdboden verschwunden ist.« Der freundliche, unscheinbare Herr zündete sich gelassen eine Zigarre an.
»Dieses Verschwinden, Sir, würde ich nicht zum Anlaß von Sorgen machen«, erwiderte der Butler. »Nach meinen Informationen geht es Mister Finnegan recht gut.«
»Das wollte ich nur hören. Vielen Dank, Mister Parker! Wir werden uns ja in aller Kürze Wiedersehen, denke ich.«
»Was mir, Sir, eine Ehre sein wird.«
»Ihm wird doch nichts passieren, wie?«
»Auf keinen Fall, Sir! Mylady waren so freundlich, Mister Finnegan eine Art Aus weichquartier anzubieten.«
»Und wo befindet sich das? Keine Sorge, ich bin nun wirklich kein Verräter, Mister Parker.«
»Sir, auf solch einen Gedanken würde ich mir niemals zu kommen erlauben.«
»Also?«
»Mister Finnegan hält sich zur Zeit in Myladys kleinem Landhaus in Eton auf. Es liegt noch vor der Stadt selbst an den Coine Hills, gar nicht zu verfehlen. Das Landhaus trägt den Namen: Coine-Gardens.«
»Was unter uns bleiben wird, Mister Parker.«
»Selbstverständlich, Sir.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an, bevor er das Büro verließ.
*
»Hallo, Finnegan, da sind Sie ja endlich. Dieser Park ist das reinste Labyrinth.«
»Hallo«, gab Chefkonstrukteur Finnegan überrascht zurück und nickte dem Besucher zu. »Wie haben Sie mich denn gefunden?«
»Parker hat mir verraten, wo Sie untergetaucht sind, Finnegan. Hoffentlich hatten Sie ein paar ruhige Stunden.«
»Ich bin vor Langeweile fast umgekommen.«
»Das wird sich sehr schnell ändern. Ich bin gekommen, um Sie abzuholen. Sie werden dringend benötigt.«
»Ich komme nur zu gern mit.« Chefkonstrukteur Finnegan blieb völlig arglos. Er sah sich einem guten Bekannten gegenüber, dem er nichts Böses zutraute.
»Mein Wagen wartet draußen am Tor, wir können sofort rübergehen, Finnegan.«
»Müßte ich vorher nicht Lady Simpson verständigen?«
»Das habe ich bereits getan. Man erwartet Sie im Ministerium, Finnegan.«
Der arglose Konstrukteur hätte sich wahrscheinlich nicht in seinen kühnsten Träumen vorgestellt, daß sein Chef ein Verräter sein könnte. Für ihn war Sir Lorne Shuffle völlig integer.
Sir Lorne schien in großer Eile zu sein, marschierte flott los und strebte dem nahen Tor zu. Als sie den Wagen erreicht hatten, überließ Sir Lorne Shuffle, der Generalmanager der Unternehmensgruppe, seinem Chefkonstrukteur das Steuer und setzte sich neben ihn.
»Was will man denn im Ministerium von mir?« erkundigte sich Finnegan.
»Irgendeine Geheimsache.«
»Ist der ›Allesfresser‹ etwa doch noch gestohlen worden?«
»Nein, nein, das alles ging in Ordnung, Finnegan.« Sir Lorne Shuffle lächelte beruhigend. »Wir werden übrigens nicht weit fahren. Wir nehmen einen Hubschrauber.«
»Jetzt, in der Nacht?«
»Der Pilot ist ausgezeichnet. Sie kennen ihn.«
»Keine Ahnung, Sir, wen Sie meinen.«
»Oberst Ashford, Finnegan.«
»Dann sind die Agenten also noch von Parker reingelegt worden?« freute sich Finnegan. Seine Stimme war ein wenig heiser, aber das störte weder ihn noch Sir Lorne.
»Noch mal.« Der Chef der Unternehmensgruppe nickte. »Aber ein drittes Mal wird er das nicht schaffen.«
»Wieso, Sir, planen die Agenten denn eine Neuauflage?«
»Sie sind mitten drin in dieser Neuauflage, Finnegan.«
»Wieso, Sir, das verstehe ich nicht.«
»Diesmal geht es um Sie, Finnegan! Wenn wir den Motor schon nicht bekommen können, dann halten wir uns eben an den Chefkonstrukteur!«
»Moment mal!« Finnegan hegte endlich einen Verdacht. Er verlangsamte die Fahrt und sah Sir Lorne Shuffle unsicher an.
»Sie haben begriffen, Finnegan.«
»Dann sind Sie...! Großer Gott, nein, das kann doch nicht wahr sein, Sir, ich meine ...«
»Ashford und ich haben das alles aufgezogen«, bestätigte Sir Lorne und lachte leise. »Fahren Sie weiter, Finnegan! Ich würde sofort schießen, wenn Sie Dummheiten machen. Nein, nein, ich würde Sie nicht töten, dazu sind Sie zu wertvoll, aber ich würde Sie schmerzhaft verletzen.«
»Sir, wie können Sie so etwas tun? Der Motor ist...«
» ... eine technische Revolution, Finnegan, keiner weiß das besser als Sie und ich.«
»Das ist doch Landesverrat, Sir!«
»Das ist eine Frage des Geldes und einer Erpressung, Finnegan!« Sir Lorne Shuffle dachte nicht daran, den Lauf seiner Waffe von Finnegan zu wenden. »Ich bin erpreßt worden, Finnegan, wie Ashford übrigens auch. Weibergeschichten, Spielschulden, was weiß ich, darauf kommt es jetzt nicht mehr an.«
»Dann hat also Ashford alles an die Gegner weitergeleitet?«
»Sogar Ihre Adresse, Finnegan. Parker hat sie ungewollt verraten, als er sich mit diesem Geheimdienstmann Clansing unterhielt.«
»Über eine Wanze, nicht wahr?«
»Ashford hatte solch ein Ding in Cummings’ Büro untergebracht. Nun drehen Sie nicht durch, Finnegan! Ihnen wird’s sicher nicht schlecht gehen, Sie sind ein begehrter und wertvoller Mann. Ihre neuen Auftraggeber werden Ihnen ein Leben in Luxus garantieren.«
»Auch in Freiheit, Sir?«‚
»Alles hat seinen Preis, Finnegan.«
»Ich kenne mich doch in den Metalllegierungen überhaupt nicht aus, Sir. Sie wissen das.«
»Dann dauert der Nachbau des ›Allesfressers‹ eben ein paar Monate länger.«
»Und wie verlassen wir die Insel?« Finnegan reagierte, als Sir Lorne Shuffle nach links deutete. Finnegan steuerte den Wagen hinunter in ein weites, sanftes Tal.
»Per Flugzeug, Finnegan. In ein paar Stunden haben wir alles hinter uns.«
»Werden Sie denn mitkommen, Sir? Ich meine, können Sie überhaupt noch bleiben?«
»Aber selbstverständlich werde ich bleiben, Finnegan. Es gibt ja noch soviel, was man an den Mann bringen kann.«
»Und Oberst Ashford?«
»Der wird Sie begleiten, Finnegan, als Ihr persönlicher Adjutant. Es kann nicht mehr lange dauern, bis man ihn durchschaut haben wird. Für ihn ist es außerhalb der Insel sicherer.«
»Ich ... Ich habe Familie, Sir, haben Sie daran gedacht?« Finnegan geriet in leichte Panik.
»Die wird bald nachkommen, im Austausch gegen Agenten von uns, die man drüben geschnappt hat. Daran ist schon gedacht.«
»Ich kann es immer noch nicht glauben, Sir. Ich weigere mich einfach, das so hinzunehmen.«
»Wollen Sie von mir angeschossen werden?« drohte der Generalmanager. »Dort unten steht der Hubschrauber, Finnegan. Tut mir leid, daß ich Ihnen diese Suppe eingebrockt habe, aber es ließ sich nicht anders machen. Bedanken Sie sich bei Parker, der hat Ashford und mich gezwungen, diesen Schlußstrich zu ziehen.«
Der Wagen rollte über den Rasen auf den wartenden Hubschrauber zu.
»Schnell«, rief er, »Sir Lorne ...! Da ist was mit seinem Herzen!«
Oberst Ashford stieg aus dem Hubschrauber. Er war mißtrauisch, hielt eine Pistole in der Hand und ging vorsichtig auf Finnegan zu.
»Was ist mit Sir Lorne?« fragte er dann mit scharfer Stimme.
»Er... er rührt sich nicht mehr«, erwiderte Chefkonstrukteur Finnegan, immer noch heiser, was wohl mit seiner Aufregung zusammenhing. »Er sackte plötzlich in sich zusammen und griff dabei nach seinem Herzen.«
Ashford schob sich in den Wagen und quiekte plötzlich wie ein kleines Ferkel, das sich erschreckt hat. Er blieb einen Moment unbeweglich stehen, um dann über Sir Lorne zusammenzubrechen.
Er hörte gerade noch, bevor er bewußtlos wurde, eine ihm wohlbekannte Stimme, die sich wortreich für das, was sie hatte tun müssen, entschuldigte, nämlich für den Schlag, den Oberst Ashford einfing.
*
»Nun gut, Ihre Maske als Finnegan war recht passabel«, äußerte Agatha Simpson beiläufig. »Ihn zu kopieren war ja auch nicht schwer.«
»Wie Mylady meinen.« Parker hatte sich in den Butler zurückverwandelt und wartete zusammen mit seiner Herrin und Kathy Porter auf die Ankunft Sir Hubert Clansings, den man natürlich umgehend verständigt hatte.
»Auch die Lösung dieses Falles war nicht besonders schwer«, redete Agatha Simpson weiter.
»Mylady sprachen ja schon zu Beginn davon, daß die Herren Shuffle und Ashford als Täter in Betracht kämen«, meinte Parker würdevoll.
»Eben«, gab sie wie selbstverständlich zurück. »Ein leichter Fall! Ob er sich für meinen geplanten Bestseller eignen wird? Was meinen Sie, Kindchen?«
»Ein sehr interessanter Fall, Mylady«, warf Kathy Porter ein.
»Ich werde mir die Sache gründlich überlegen«, sagte die Detektivin unverbindlich. »Vielleicht bietet sich schon in naher Zukunft noch ein viel besseres Thema!«
»Mit neuen Fällen ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest zu rechnen«, entgegnete Parker gemessen.
»Was ich mir auch ausgebeten haben möchte«, schloß die Sechzigjährige grollend. »Sie werden es mir ja nicht glauben, Mister Parker, aber ich langweile mich bereits wieder. Gegen einen neuen Fall hätte ich überhaupt nichts einzuwenden. Sorgen Sie dafür!«
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