Читать книгу Der exzellente Butler Parker Box 8 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 6
ОглавлениеJosuah Parker schob sich unauffällig zwischen die Halbwüchsigen und sah, daß der schlaksige junge Mann Gebäck verteilte, das sich großer Beliebtheit zu erfreuen schien. Die Zehn- bis Vierzehnjährigen rissen sich darum.
Der Butler zog sich diskret zurück und informierte seine Herrin.
»Gebäck, Mister Parker?« überlegte sie. »Wenn ich es recht bedenke, könnte ich vor dem Lunch durchaus noch eine Kleinigkeit vertragen. Besorgen Sie mir etwas.«
Der Butler tat wie geheißen. »Könnte man möglicherweise ein Stück Gebäck käuflich erwerben?« erkundigte er sich bei einem jungen Mädchen, das gleich mehrere erbeutet hatte und sich gerade aus der Menschenmenge zurückziehen wollte. Die junge Dame verfügte bereits über ausgeprägte weibliche Formen und betonte diese noch durch aufreizende Kleidung. Sie musterte den Butler spöttisch und schüttelte den Kopf.
»Nichts da, Opa, bin froh, daß ich meine Wochenration gekriegt habe. Guy kommt nämlich nur einmal die Woche. Du mußt schon selbst zusehen, wie du an das Zeug kommst.« Sie drehte sich um, bestieg ihr Fahrrad und verschwand um die nächste Straßenecke.
Die Wortwahl der jungen Dame gab Josuah Parker zu denken.
Er schob sich unauffällig nach vorn zu dem freigebigen jungen Mann und schaffte es schließlich, etwas von dem Gebäck zu bekommen. Einen Moment später jedoch bemerkte der edle Spender seinen Irrtum und forderte das Gebäck lautstark zurück.
»He, Mann, das ist nichts für Erwachsene, gib’ mir die Kekse sofort wieder zurück«, forderte er und streckte die Hand aus.
»Man ist durchaus bereit, dafür einen gewissen Obulus zu entrichten«, bemerkte Parker. »Jede Ware hat schließlich ihren Preis, wie man sehr wohl weiß.«
»Sitzt nicht drin, Mann, wirklich nicht«, beteuerte der Schlaksige und schüttelte bedauernd den Kopf. »Das hier is’ ’ne Werbeaktion, die sich ausschließlich an Kinder wendet. Wenn ich das Zeug nicht samt und sonders an die Gören verteile, krieg’ ich mächtigen Ärger mit dem Boß, klar?«
»Durchaus, Sir«, zeigte Parker Einsicht in die Lage des Mannes. »Dennoch dürften zwei anderweitig vergebene Exemplare nicht weiter auffallen. Man geht davon aus, daß ein Pfund der angemessene Gegenwert darstellt.« Der Butler ließ eine Pfundnote in den Korb des jungen Mannes fallen, lüftete grüßend die Melone und begab sich zurück zu Agatha Simpson, die bereits ungeduldig wartete.
»Das hat aber lange gedauert, Mister Parker«, grollte sie und musterte begehrlich das Gebäck. »Ich dachte schon, Sie kämen heute nicht mehr.«
»Meine bescheidene Wenigkeit mußte erst ein klärendes Gespräch mit dem Verteiler der Backwaren führen, Mylady«, entschuldigte sich Parker. »Er zeigte sich zunächst nicht sonderlich geneigt, etwas von seiner Ware abzugeben.«
»Sehr seltsam«, überlegte sie und runzelte nachdenklich die Stirn. »Wo er sie doch sowieso anscheinend verschenkt, nicht wahr?«
»Dem ist in der Tat so, Mylady. Aber aus bisher noch ungeklärten Gründen legt er Wert darauf, daß sein Backwerk ausschließlich in die Hände jener Kinder dort gelangt und nicht in die von Erwachsenen.«
»Das verstehe ich nicht, Mister Parker.«
»Hinzu kommt, daß man Gelegenheit hatte, ein recht interessantes Gespräch mit einer jungen Dame zu führen«, berichtete Parker weiter. »Die Ausdrucksweise stimmte meine bescheidene Wenigkeit außerordentlich nachdenklich.«
»Darüber können wir uns unterwegs unterhalten«, meinte die Lady und streckte ihre Hand aus. »Zunächst werde ich das Gebäck probieren, Mister Parker, ich möchte herausfinden, warum sich die Kinder dort förmlich darum prügeln.«
»Mylady sollten auf den Genuß verzichten«, riet Josuah Parker höflich. »Dieses Backwerk enthält möglicherweise Bestandteile, die man als irregulär und gesundheitsschädigend bezeichnen muß«, wurde er deutlicher.
»Was wollen Sie damit sagen, Mister Parker?« Lady Agatha blieb stehen und blickte ihn gereizt an. »Kommen Sie bitte zur Sache, oder geben Sie mir die Kekse«, forderte sie und streckte erneut eine Hand aus.
»Man sollte das Gebäck in einem Lebensmittellabor untersuchen lassen«, schlug der Butler vor. »Myladys Verdacht dürfte sich dann mit Sicherheit bestätigen.«
»Ich habe einen Verdacht?« wunderte sie sich, um anschließend heftig zu nicken. »Gleich als ich die Kinderversammlung sah, wußte ich, daß da etwas nicht stimmt«, behauptete sie ungeniert. »Intuition, Mister Parker, das ist es, worauf es im Leben ankommt. Und was habe ich nun für einen Verdacht?«
»Mylady vermuten in diesem Backwerk möglicherweise rauschfördernde Mittel«, riet Parker.
»Aber Mister Parker, das glauben Sie doch wohl selbst nicht.« Agatha Simpson sah den Butler empört an und blickte in Richtung der sich inzwischen auflösenden Versammlung. »Ihre Phantasie geht mit Ihnen durch, Mister Parker. Sie vergessen, daß das dort Halbwüchsige sind und die Kekse vor einer Schule verteilt werden.«
»Gerade deshalb ist der Verdacht so naheliegend, wie Mylady bereits andeuteten«, gab Parker gemessen zurück. »Man scheint durch Gratisproben einen zukünftigen Kundenkreis für härtere und vor allem kostspieligere Drogen aufbauen zu wollen.«
»Wenn das zutreffen sollte, werden mich diese Gangster kennenlernen«, versprach die Lady und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Wo kommen wir denn hin, wenn die Drogenstrolche aber auch vor nichts haltmachen.«
*
Bevor sie das hochbeinige Monstrum erreichten, passierte es. Die beiden jungen Männer erreichten Lady Agatha und Josuah Parker und stellten sich ihnen in den Weg. Sie hielten Stahlruten in den Händen und hatten ganz offensichtlich die Absicht, diese auch zu gebrauchen.
»Sie haben die erklärte Absicht, uns mit diesen Instrumenten körperliche Pein zuzufügen?« vergewisserte sich Parker höflich.
Der kleinere der beiden Schläger blinzelte seinen Partner verwirrt an und dachte angestrengt über den Sinn von Parkers Satz nach. Dann ging der ihm plötzlich auf, und er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Mann, du hast aber ’ne Art, dich auszudrücken«, sagte er fast bewundernd und schüttelte den Kopf. »Wenn wir mit euch fertig sind, wirst du allerdings die nächste Zeit verdammt schlecht sprechen.«
»Es ist möglicherweise kein Zufall, daß Sie uns als Opfer ausersehen haben?« vermutete Parker.
»Ihr gefallt uns nicht«, stellte der größere Mann klar. »Außerdem habt ihr da was, was wir gern zurück hätten.«
»Sie sprechen sicher von jenem Gebäck, das zu erhalten man in der erfreulichen Lage war?«
»Das war mit Sicherheit nicht erfreulich, und schon gar nicht für euch«, stellte der kleinere Mann richtig. »Und das werden wir euch jetzt mal deutlich zeigen.« Er hob den Arm, ließ die Stahlrute durch die Luft zischen und sprang gleichzeitig vor.
Parker hatte den Angriff vorausgesehen und war blitzschnell zu Seite getreten.
Die Stahlrute sauste vorbei. Ihr Besitzer wurde durch den eigenen Schwung nach vorn gerissen. Dann senkte sich der bleigefüllte Bambusgriff von Parkers Universal-Regenschirm auf seinen Hinterkopf. Der Getroffene stöhnte laut, ließ sein Schlaginstrument fallen und legte sich einen Moment später auf den Boden.
Sein Partner hatte sich inzwischen auf Lady Agatha konzentriert und ging davon aus, daß er einer alten Frau gegenüberstand, von der mit Sicherheit keine Schwierigkeiten zu erwarten waren. Doch er hatte sich verkalkuliert.
Lady Agatha hob ihren rechten Fuß vor, holte kurz Schwung und trat kräftig gegen das Schienbein des Mannes. Aus Gründen der Symmetrie wiederholte sie das Manöver einen Augenblick später und widmete sich diesmal dem anderen Bein.
Der solcherart Attraktierte zeigte sich äußerst beeindruckt und ließ seine Stahlrute fallen. Er umspannte mit beiden Händen die lädierten Schienbeine und massierte sie heftig.
Die ältere Dame löste den Handbeutel von ihrem Unterarm, hob ihn ein wenig an und ließ ihn dann auf den üppig behaarten Kopf des jungen Mannes fallen. Der stöhnte nahezu wohlig, knickte in den Knien ein und folgte dem Beispiel seines Partners, der bereits leise vor sich hin schnarchte.
»Der Vormittag fängt ja recht gut an«, freute sich die passionierte Detektivin und rieb sich zufrieden die Hände. »Sehen Sie mal nach, wer die beiden Lümmel sind, Mister Parker.«
Der Butler hatte sich bereits gebückt und war dabei, die Taschen der Schläger mit der Geschicklichkeit eines Profis zu durchsuchen.
Er nahm zwei Pistolen, Schlagringe und Messer sowie zwei Brieftaschen an sich und richtete sich dann wieder auf.
»Man sollte die beiden Herren vielleicht besser anderweitig unterbringen, Mylady«, schlug er vor. »Einige Passanten werden bereits aufmerksam.«
Tatsächlich hatten sich Fußgänger genähert und sahen zu ihnen herüber. Ein älterer Mann löste sich aus dieser Gruppe und kam auf kurzen Beinen herangestapft.
»Was’n hier los?« wollte er mit unangenehm klingender Fistelstimme wissen. »Wohl ’n Überfall oder so, was?«
»In der Tat, Sir.« Parker lüftete die Melone und bückte sich erneut, um die beiden Bewußtlosen unter den Achseln zu fassen und vor einem Gebüsch am Bürgersteigrand abzulegen. »Sie machen einen soliden Eindruck, Sir«, fuhr Parker an den Mann mit der Fistelstimme gewandt fort. »Wenn Sie freundlicherweise ein Auge auf die beiden Herren haben würden, würde meine Wenigkeit die Polizei verständigen.«
»Klar doch, Mann, auf mich können Sie sich verlassen.« Der Kleine nickte eifrig und baute sich neben den zweiten Siegern auf. Er blickte grimmig um sich und erweckte den Eindruck eines Mannes, der eine verantwortungsvolle Aufgabe übernommen hat und sich von nichts und niemand daran hindern läßt, sie gewissenhaft zu erfüllen.
Josuah Parker öffnete seiner Herrin den Schlag des in der Nähe stehenden ehemaligen Londoner Taxis und ließ sie einsteigen.
»He, Moment mal, ich denke, Sie wollen die Polizei rufen?« schrie der kleine Mann und gestikulierte wild mit den Armen.
»Man verfügt über Autotelefon«, teilte Parker ihm höflich mit und ließ das hochbeinige Monstrum anrollen.
*
»Aber das ist doch wohl nicht möglich, Mister Parker«, ereiferte sich Kathy Porter, die mit Mike Rander aus der nahegelegenen Kanzlei in der Curzon Street herübergekommen war, nachdem der Butler seinen Bericht beendet hatte.
»Und dennoch ist es so, Kindchen«, nickte Mylady und sah Kathy Porter, die offiziell als ihre Gesellschafterin und Sekretärin fungierte, traurig an. »Zum Glück habe ich sofort erkannt, um was es da ging, als ich die Verteilung der Kekse beobachtete.«
Sie verwechselte wieder souverän den Ablauf der Geschehnisse und war es wieder mal selbst, die dem kriminellen Treiben vor der Schule auf die Spur gekommen war.
»Ich finde es einen Skandal, daß die Strolche jetzt schon Drogen vor Schulen verteilen«, zeigte sich Kathy Porter erschüttert. »Wie kann man nur so skrupellos sein?«
»Manche Individuen schrecken leider vor nichts zurück, Miß Porter«, bedauerte Parker.
»Dem muß umgehend ein Riegel vorgeschoben werden«, bemerkte Mike Rander grimmig. »Solche Leute verdienen keine Rücksicht, ich bestehe darauf, diesen Fall sofort anzugehen.«
»Das trifft natürlich auch auf mich zu«, schloß sich Kathy Porter an. »Die Strolche müssen schnell hinter Schloß und Riegel.«
»Genauso ist es, Miß Porter«, stimmte Parker zu. »Hier heißt es in der Tat, den üblen Anfängen zu wehren.«
»Zum Glück bin ich gerade noch rechtzeitig gekommen«, ließ sich Lady Agatha vernehmen. »Ich werde die Drogenlümmel aufstöbern und den Behörden übergeben.«
»Ganz schön raffiniert eigentlich«, meinte Mike Rander nachdenklich. »Die Kekse sehen relativ harmlos aus. Niemand würde darin etwas so Gefährliches wie Rauschgift vermuten.«
»Ein neuer Trend, der sich hier ankündigt, Sir«, bemerkte Parker. »Es handelt sich hierbei um das sogenannte Crack, dessen Vertrieb in den Vereinigten Staaten bereits seit Monaten im Gange ist und bereits verheerende Folgen zeigt.«
»Davon habe ich einen Bericht im Fernsehen verfolgt«, erinnerte sich die Hausherrin. »Es ist eine Mischung aus Heroin und Gips, nicht wahr?«
»In etwa, Mylady«, stimmte Parker höflich zu. »Man vermischt Backpulver und Kokain zur Grundsubstanz eines neuartigen Teiges und fertigt daraus dieses Gebäck.«
»Einfach scheußlich«, schüttelte sich Mike Rander. »Wer kommt nur auf eine derartige Idee?«
»Diese neue Droge soll doch außerdem recht preiswert sein, oder?« fiel Kathy Porter ein. »Ich meine, ich hätte irgendwo Derartiges gehört.«
»Das macht Crack so besonders gefährlich«, bestätigte Parker. »Der relativ niedere Preis macht es auch für Taschengeldbezieher erschwinglich, so daß hier ein ganz neuer, lukrativer Markt für die Verteiler entstehen dürfte.«
»Den ich aber schnellstens schließen werde.« Lady Agatha nickte heftig und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. »Ich werde nicht dulden, daß man Kinder und Halbwüchsige zu Süchtigen macht. Mister Parker, ich erwarte Ihre Vorschläge, was ich zu tun gedenke.«
*
Butler Parker saß am Steuer seines Privatwagens, eines ehemaligen Londoner Taxis älterer Bauart, dessen äußere Erscheinung den Betrachter nicht zu Beifallsstürmen hinriß. Eher forderte es Spott und Mitleid heraus, obwohl es sich bei dem hochbeinigen Monstrum, wie der Wagen von Freund und Feind genannt wurde, im Grund um eine sogenannte Trickkiste auf Rädern handelte. Die technische Ausstattung war nach den sehr speziellen Plänen des Butlers vorgenommen worden.
Es war kurz nach dem Lunch, als Parker sich in Richtung Innenstadt bewegte. Horace Pickett hatte vor einer halben Stunde angerufen und ihn mit einer Adresse versorgt, die er aufzusuchen gedachte. Es handelte sich dabei um eine kleine Pizzeria, in der der schlaksige junge Mann untergetaucht war, der am frühen Morgen Lady Agathas Mißfallen erregt hatte.
Nachdem die Auseinandersetzung mit den beiden Männern beendet war, hatte Parker von einer nahegelegenen Telefonzelle aus Horace Pickett angerufen und ihn gebeten, sich um den Gebäckverteiler zu kümmern.
»Dort habe ich es also mit der Keksefabrik zu tun, nicht wahr, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson im Fond des hochbeinigen Monstrums.
»Möglicherweise, Mylady«, gab Parker vorsichtig zurück. »Zumindest scheint die jetzt aufzusuchende Adresse der Ausgangspunkt zu sein. Möglicherweise wird er aber dort nur mit Ware versorgt, während die eigentliche Fabrikation an anderer Stelle erfolgt.«
»Das sind doch Haarspaltereien, Mister Parker«, reagierte sie ein wenig gereizt. »Jedenfalls hält sich der Lümmel jetzt dort auf, und das reicht mir. Ich werde ein ernstes Wort mit ihm reden, zumal er mir Kekse nicht gegönnt hat.«
»Was in der Tat schon Grund für eine Rüge wäre«, bestätigte Parker gemessen.
»Wie Mister Pickett weiter mitzuteilen geruhte, sind kurze Zeit nach dem Kekseverteiler zwei weitere junge Männer an besagter Adresse aufgetaucht, die zweifellos mit jenen Schlägern identisch sind, die Mylady frevelhafterweise überfielen.«
»Das ist den Lümmeln aber schlecht bekommen, Mister Parker«, freute sich Agatha Simpson und lächelte versonnen. »Aber ich denke, auch mit diesen Subjekten werde ich mich noch mal eindringlich unterhalten.«
»Mister Pickett ist übrigens gerade dabei, nähere Informationen über die Eigentumsverhältnisse der besagten Pizzeria einzuholen«, fuhr Parker fort. »Möglicherweise kann er Mylady bei Myladys Eintreffen zu diesem Punkt bereits mit näheren Informationen dienen.«
»Ach ja, der gute Pickett.« Die ältere Dame lehnte sich zurück und verschränkte lächelnd die Arme vor dem üppigen Busen. »Erinnern Sie mich daran, Mister Parker, daß ich ihn endlich mal zum Tee einlade, er hat es wirklich verdient, denke ich.«
»Mister Pickett leistet in der Tat wertvolle Dienste in Sachen Hintergrund-Aufklärung«, entgegnete Parker, der natürlich Myladys Wertschätzung für den ehemaligen Eigentumsumverteiler kannte.
Der Butler war mit Horace Pickett seit einigen Jahren gut bekannt. Er hatte ihn vor langer Zeit aus einer heiklen Situation gerettet. Seitdem stand er auf der richtigen Seite des Gesetzes und stellte seine nach wie vor bemerkenswerten Verbindungen zur Unterwelt sowie seine Kenntnisse über sie Lady Agatha und dem Butler zur Verfügung, um bei der Aufklärung diverser Fälle zu helfen. Pickett hatte schon manchmal entscheidend zum Abschluß eines Falles beigetragen.
Inzwischen hatte man die Straße erreicht, in der die Pizzeria lag. Etwas weiter vor ihnen an einer kleinen Kreuzung trat ein Mann in Trenchcoat und Travellerhut auf die Fahrbahn und winkte dem vermeintlichen Taxi.
Parker hielt kurz, und Horace Pickett, dessen äußerliche Erscheinung und aufrechte Haltung an einen pensionierten Offizier erinnerten, besetzte den Beifahrersitz neben dem Butler.
Er drehte sich zu Lady Agatha um, lüftete höflich den Hut und begrüßte sie respektvoll. Die Lady reagierte erstaunlich freundlich und nickte lächelnd.
»Ich hoffe, Sie hatten Erfolg bei Ihren Recherchen, mein lieber Pickett«, bemerkte sie. »Ich bin wieder mal einem neuen, brandheißen Fall auf die Spur gekommen, auch wenn ich Mister Parker erst davon überzeugen mußte.«
»Inzwischen ist meine bescheidene Wenigkeit voll und ganz Myladys Meinung«, ließ sich der Butler höflich vernehmen, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, unbewegten Gesicht rührte. Parker war es gewohnt, daß Agatha Simpson die Dinge entsprechend ihrer ganz persönlichen Sicht darstellte und abweichende Äußerungen souverän überging.
»Die Pizzeria gehört einem gewissen Sandro Puccini«, berichtete Horace Pickett. »Er hat den Laden vor gut drei Jahren von seinem Vater übernommen, der sich damit schlecht und recht durchgeschlagen hat.«
»Was jetzt jedoch anders sein dürfte?« vermutete Parker.
»Auf jeden Fall geht es ihm wesentlich besser als seinem Vater«, wußte Pickett. »Er fährt einen Jaguar und liebt auch sonst das süße Leben, wie man so sagt.«
»Der Mensch ist doch sicher vorbestraft«, äußerte die Lady auf dem Rücksitz. »Ich hoffe, daß Sie mich in diesem Punkt nicht enttäuschen, mein lieber Pickett.«
»Ich hatte noch keine Zeit, mich damit eingehender zu befassen, Mylady«, stellte Pickett höflich fest. »Allerdings ist allgemein bekannt, daß er einige Jugendstrafen wegen der üblichen Delikte auf seinem Konto hat. Sie wissen schon, Aufbrechen von Autos und Diebstahl der eingebauten Radios und Cassettenrecorder, Körperverletzung und Fahren ohne Führerschein.«
»Das alte Lied«, stellte die Detektivin sachkundig fest und seufzte. »Es ist immer dasselbe!«
»Die drei Herren befinden sich zur Zeit noch in der Pizzeria?« fragte Parker.
»Allerdings, Mister Parker. Einige meiner Neffen beobachten den Laden und halten per Sprechfunk Kontakt zu mir.« Er holte einen schmalen, länglichen Kasten aus seiner Manteltasche und zeigte ihn Parker.
»Es ist immer wieder eine Freude, mit Ihnen zu arbeiten, Mister Pickett«, stellte Parker fest und nickte höflich.
»Was man auch umgekehrt so sagen darf«, gab Pickett das Kompliment zurück.
Lady Agatha machte sich bemerkbar und räusperte sich lautstark. Sie schätzte es nicht, an einer Unterhaltung nicht beteiligt zu sein und mochte es noch viel weniger, wenn dabei Komplimente verteilt wurden, die nicht ihr galten.
»Wann sind wir denn endlich da, Mister Parker?« nörgelte sie. »Ich denke, die Pizzeria befindet sich hier in der Straße.«
»In der Tat, Mylady. Es handelt sich um jenes Etablissement auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Meine bescheidene Wenigkeit ging davon aus, daß sich Mylady zunächst einen allgemeinen Überblick verschaffen wollte.«
»Richtig, Mister Parker, aber jetzt zur Tat!« bemerkte sie und rieb sich unternehmungslustig die Hände. »Ich möchte diesen Strolchen meine Meinung sagen, und zwar umgehend.«
*
»Pizzeria Palermo«, las die ältere Dame und rümpfte mißbilligend die Nase, »das ist wirklich ein passender Name, muß ich sagen, Mister Parker.«
»Mylady hegen jener malerischen sizilianischen Stadt gegenüber gewisse Vorbehalte?« erkundigte sich der Butler, während er seine Herrin in das Lokal geleitete.
»Was heißt hier Vorbehalte, Mister Parker, man weiß doch, was da los ist«, stellte sie fest und musterte neugierig das Interieur. Sie sah weißverputzte Wände, die mit farbenfrohen Bildern geschmückt waren, die obligatorischen großen Weinflaschen, die man zu Kerzenhaltern umfunktioniert hatte, und karierte Decken auf den einfachen Tischen.
Aus versteckt angebrachten Lautsprechern wurden die Gäste mit temperamentvoller Musik berieselt und akustisch auf die gebotenen Genüsse eingestellt.
»Nun ja, Mister Parker, das hier ist nicht eben das Ritz, aber dafür riecht es hier recht angenehm«, bemerkte Lady Agatha und bewegte witternd die Nasenflügel. Sie schnupperte in der Luft und sog genüßlich die diversen Gerüche ein.
»Mylady wollten ein ernstes Gespräch mit Mister Sandro Puccini führen«, erinnerte Parker, nachdem sich die ältere Dame seufzend auf einem Stuhl niedergelassen hatte.
»Zuccini?« überlegte sie und musterte den Butler stirnrunzelnd. »Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor, Mister Parker. Was fällt mir dazu ein?« Sie war schon nicht mehr ganz bei der Sache und studierte angelegentlich die Speisekarte, die vor ihr auf dem Tisch lag.
»Mister Sandro Puccini, Mylady«, korrigierte Parker diskret den Namen. »Es handelt sich bei ihm um den Betreiber dieses Lokals.«
»Nur keine Eile, Mister Parker«, winkte sie ab. »Sie neigen etwas dazu, überstürzt vorzugehen. Man sollte seinen Gegner immer erst eingehend studieren, das bewahrt vor unliebsamen Überraschungen.«
Das war eine bemerkenswerte Erkenntnis aus Myladys Mund, die bisher immer rasches, entschlossenes Handeln langen Recherchen vorgezogen hatte. Aber sie setzte ihre neue Erkenntnis konsequent in die Tat um und vertiefte sich in das Studium ihres Gegners auf dem Umweg über die Speisekarte. Agatha Simpson las sie sorgfältig durch und fuhr sich dabei immer wieder genießerisch mit der Zunge über die Lippen.
»Mylady können gewisse Erkenntnisse aus der Karte ziehen?« erkundigte sich Parker diskret.
»Unbedingt, Mister Parker«, behauptete sie und sah kurz auf. »Zeig mir, was auf deiner Speisekarte steht, und ich sage dir, wer du bist, wie es so zutreffend in einem alten Sprichwort heißt.«
»Eine bemerkenswerte Volksweisheit«, gab Parker zurück, »die zwar meiner bescheidenen Wenigkeit nicht bekannt war, aber durchaus wert ist, gespeichert zu werden.«
»Ich halte sehr viel von alten Sprichwörtern«, stellte die ältere Dame fest. »Sie enthalten immer einen Funken Wahrheit und sollten mehr Beachtung finden.«
»Haben Sie schon gewählt?« erkundigte sich in diesem Augenblick ein Kellner, der an Myladys Tisch getreten war.
»Noch nicht ganz«, seufzte sie und blickte stirnrunzelnd auf die umfangreiche Karte. »Was können Sie mir denn empfehlen?« Sie sah auf und in das Gesicht des Kellners, der daraufhin blaß wurde und seinen Block fallenließ.
»Kennen wir uns nicht, junger Mann?« grollte Agatha Simpson und musterte ihn mit grimmigem Blick. »Mir ist so, als wären wir uns schon mal begegnet.«
»Ich ... äh ... entschuldigen Sie, ich höre gerade die Küchenglocke, ich muß eine Bestellung abholen«, stammelte der junge Mann und entfernte sich hastig.
*
Wenige Augenblicke später erschien ein Mann mittleren Alters und verbeugte sich lächelnd vor Lady Agatha. Er war mittelgroß, sehr schlank und trug einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, der ihm ausgezeichnet stand.
»Willkommen in meinem bescheidenen Lokal«, sagte er und verbeugte sich erneut. »Darf man fragen, ob Sie bereits Ihre Wahl getroffen haben?«
»Wo ist der junge Mann geblieben, der mich bedienen wollte?« erkundigte sich die Detektivin und musterte den Strahlemann kritisch.
»Er ist anderweitig beschäftigt, bitte nehmen Sie mit mir vorlieb«, versprühte der schlanke Mann seinen nicht unbeträchtlichen Charme. »Besondere Gäste werden stets von mir persönlich bedient.«
»Sie halten Mylady für einen besonderen Gast?« fragte Parker höflich.
»Aber natürlich, Sir, das sieht man doch auf den ersten Blick«, kam umgehend die Antwort. »Dafür hat man doch einen Riecher, wenn ich es mal so leger ausdrücken darf. Diese natürliche Autorität, diese Grandezza!« Er schnalzte mit der Zunge und warf Lady Agatha einen feurigen Blick zu.
»Nun ja, Mister Parker, der Mann hat natürlich nicht ganz unrecht«, zeigte Mylady Wirkung. Sie lächelte dem Charmeur geschmeichelt zu und strich sich kokett über ihr Haar.
»Darf man fragen, ob man Mister Sandro Puccini persönlich gegenübersteht?« erkundigte sich der Butler gemessen und nickte dem Schlanken knapp und gemessen zu.
»So ist es, Sir.« Der Mann im blauen Nadelstreifen verbeugte sich und bedachte auch Parker mit seinem Lächeln.
»Nun, was können Sie mir empfehlen, junger Mann?« fragte die Lady, die ihr ursprüngliches Anliegen inzwischen längst vergessen hatte und sich in der offensichtlichen Bewunderung des feurigen Südländers sonnte. »Ich hoffe, Sie können mir einen guten Rat geben, junger Mann.«
»Aber sehr gern, Signora.« Der Restaurantchef warf ihr einen glutvollen Blick zu und brachte es fertig, noch verführerischer zu lächeln. »Ich werde Ihnen ein Überraschungsmenü zusammenstellen, Verehrteste, ich werde sofort in die Küche eilen und persönlich die Zusammenstellung überwachen. Bis dahin seien Sie bitte mein Gast und erlauben Sie mir, Ihnen eine Flasche unseres besten Weines servieren zu lassen.«
»Zu dem Sie mich einladen, junger Mann?« erkundigte sich die Detektivin vorsichtshalber und spielte kokett mit den Wimpern.
»Aber selbstverständlich, Mylady. Es ist mir ein außerordentliches Vergnügen, eine Dame wie Sie einladen zu dürfen«, bestätigte er umgehend.
»Dann will ich mal nicht so sein«, gab Agatha Simpson huldvoll zurück. »Im allgemeinen lasse ich mich natürlich nicht so ohne weiteres einladen, aber in Ihrem Fall werde ich eine Ausnahme machen, denke ich.«
»Verbindlichsten Dank«, wußte Sandro Puccini die Ehre zu schätzen. »Der Wein wird umgehend serviert. Wenn Sie gestatten, ziehe ich mich jetzt in die Küche zurück, um Ihr Menü vorzubereiten.«
»Lassen Sie sich nicht aufhalten«, bemerkte die Detektivin großzügig. »Und achten Sie darauf, daß die Portionen nicht zu klein ausfallen, ich muß strikte Diät beachten.«
Einen Moment stutzte der charmante Gastronom ob dieser offensichtlichen Unlogik, dann hatte er sich sofort wieder in der Gewalt und brachte ein letztes strahlendes Lächeln an. Unter Verbeugungen zog er sich zurück und verschwand schließlich in einem schmalen Gang am Ende des Raumes.
»Nehmen Sie sich ein Beispiel an diesem Mann, Mister Parker«, wandte sich Lady Agatha an den Butler. »An diesem Menschen sehen Sie, was echte Höflichkeit ist.«
»Mylady sahen sich leider dem Herrn gegenüber, dessen Angestellte die Drogen-Kekse vor der Schule verteilten bzw. im Anschluß daran Mylady überfielen«, kam Parker unverblümt auf den Grund ihres Besuches zu sprechen.
»Aber ich bitte Sie, Mister Parker!«
Agatha Simpson schüttelte entschieden den Kopf. »Man sieht auf den ersten Blick, daß dieser liebenswerte Mensch mit solchen Dingen nichts zu tun hat. Nein, nein, der Mann hat keine Ahnung vom Doppelleben seiner Mitarbeiter.«
»Sehr oft trügt natürlich der sogenannte erste Schein, wie der Volksmund zu sagen pflegt«, versuchte Parker seiner Herrin klarzumachen. »Mylady sind grundsätzlich und unter gar keinen Umständen zu täuschen, wie man sehr wohl weiß.«
»So ist es, Mister Parker, und deshalb weiß ich auch in diesem Fall, woran ich bin«, stellte sie fest und nickte überzeugt. »Dieser Mann ist so unschuldig wie Sie und ich, das sagt mir mein untrügliches Gespür.«
»Um das Mylady glühend beneidet wird«, schmeichelte Parker ihr und deutete eine Verbeugung an.
*
»Wo bleibt denn der Wein, Mister Parker, dieser charmante junge Mann wird doch nicht etwa sein Versprechen vergessen haben?« sorgte sich die Lady und blickte ungeduldig in die Gegend.
In diesem Augenblick erschien der Besitzer wieder an ihrem Tisch und verbeugte sich. »Bitte entschuldigen Sie, daß ich Sie warten ließ, aber ich war in der Küche, um einige Anweisungen bezüglich Ihres Menüs zu geben«, lächelte er. »Außerdem möchte ich eine Bitte äußern, wenn Sie gestatten.«
»Warum nicht, mein Lieber?« Agatha Simpson lächelte zurück und fuhr noncholant mit der Hand durch die Luft. »Sie haben doch sicher nicht vergessen, daß Sie mich zum Wein eingeladen haben, oder?«
»Aber ich bitte Sie!« Der Restaurantbetreiber hob abwehrend in gespieltem Entsetzen die Hände. »Ich möchte Sie jedoch bitten, mir die Ehre zu erweisen, in meinen Privaträumen zu lunchen. Dort steht auch der Wein für Sie bereit.«
»Nur keine Umstände, junger Mann, ich weiß mich zu bescheiden«, reagierte die ältere Dame geschmeichelt, während Sandro Puccini höflich den Stuhl zurückzog. »Ich liebe das einfache, unverfälschte Leben.«
Josuah Parker verbeugte sich würdevoll, als Mylady wie eine regierende Monarchin an ihm vorbeirauschte, und folgte ihr in angemessenem Abstand. Sein inneres Alarmsystem hatte sich gemeldet und signalisierte ihm Gefahr.
Diese Einladung des undurchsichtigen und entschieden zu freundlichen Gastronoms hatte mit Sicherheit einen realen Hintergrund. Parker ging davon aus, daß man seine Herrin und ihn in eine Falle locken und sie beide in den Privaträumen des Mannes attackieren wollte.
Als sie einen schweren Brokatvorhang, der die Wirtschaftsräume des Lokals offenbar von Puccinis Privatreich trennte, passiert hatten, spürte der Butler plötzlich eine Bewegung hinter sich. Ohne auch nur die gewohnte Würde zu verlieren, trat er reaktionsschnell zur Seite und setzte seinen Universal-Regenschirm zur Abwehr ein.
Er stieß mit der Spitze des Regendaches nach hinten und hörte einen unterdrückten Aufschrei, der in nur mühsam zurückgehaltenes Stöhnen überging. Parker wandte sich um und sah sich einem der jungen Männer gegenüber, die Lady Agatha und ihn nach der kleinen Episode vor der Schule verfolgt und belästigt hatten.
Der Bursche litt offensichtlich unter akuter Atemnot und krümmte sich, während er die Hände gegen den Solarplexus preßte. Dort hatte ihn die Spitze von Parkers Regenschutz getroffen und auf diese Weise die momentane Unpäßlichkeit verursacht.
Vor ihm auf dem Boden lag ein Bleirohr, mit dem er den Butler von hinten hatte niederschlagen wollen.
»Kann man Ihnen behilflich sein, Sir?« bot Parker an und lüftete höflich die Melone.
Der junge Mann schüttelte den Kopf und stützte sich gegen die Wand. Parker warf einen Blick zurück und sah Mylady durch eine holzgetäfelte Tür verschwinden. Er entdeckte eine schmale, weißlackierte Tür wenige Schritte entfernt und drückte vorsichtig die Klinke. Der dahinterliegende Raum war nicht verschlossen und erwies sich als Lager für Hilfsmaterial und Reinigungsutensilien.
Parker führte den nach wie vor unpäßlichen jungen Mann in die Kammer und drückte ihn auf einen Karton nieder, der Papierservietten enthielt. Dann versorgte er die Fuß- und Handgelenke des Burschen mit breiten Klebestreifen von einer großen Rolle, die er aus den unergründlichen Tiefen seiner zahlreichen Innentaschen hervorgezaubert hatte. Schließlich ließ er ihm noch medizinische Hilfe angedeihen und an einem Fläschchen riechen, das ein entspannendes, von ihm selbst komponiertes Mittel enthielt.
Der junge Mann atmete tief ein und fühlte sich einen Augenblick später leicht und schwerelos. Ein glückliches Lächeln legte sich um die Lippen, sein Kopf sank zurück.
Parker versorgte ihn mit einem stützenden Kissen in Form einiger Tischtücher, die er in einer Ecke entdeckt hatte. Dann verließ er den Raum, den er sorgfältig mit Hilfe seines Spezialbestecks verschloß.
Er eilte, ohne die gewohnte Würde zu verlieren, seiner Herrin nach und hoffte, nicht zu spät zu kommen.
*
Agatha Simpson thronte in einem schweren, chintzbezogenen Sessel und sah wohlgefällig zu, wie Sandro Puccini die Weinflasche öffnete und ihr Glas füllte. Der Tisch vor ihr trug eine schwere Damastdecke, auf der silbernes Besteck, handbemaltes altes Porzellan und blinkende Kristallgläser warteten, benutzt zu werden. Auf einem Servierwagen neben dem Tisch standen diverse Platten, Schalen und Behälter, denen köstlicher Duft entströmte.
Die Detektivin winkte huldvoll mit der Hand und gab dem wartenden Kellner ein Zeichen, mit dem Servieren zu beginnen. Dann ergriff sie ihr Glas und hob es dem Gastronom entgegen.
»Ein Traum von einem Wein«, schwärmte Puccini und hielt sein Glas gegen das Licht des schweren Kronleuchters unter der holzgetäfelten Decke. »So was stammt nur aus meiner Heimat, glauben Sie mir. Salute, Mylady!«
Er deutete eine Verbeugung an und sah lächelnd zu, wie Agatha Simpson ihr Glas an die Lippen setzte.
»Man bittet um Verzeihung, daß man erst jetzt eintrifft, Mylady«, meldete sich in diesem Augenblick der Butler zu Wort und nahm hinter dem Sessel seiner Herrin Aufstellung. »Dürfte meine Wenigkeit übrigens anraten, von dem Genuß dieses sicher recht köstlichen Weines Abstand zu nehmen?«
»Warum denn, Mister Parker?« Lady Agatha zeigte sich von Parkers Rat alles andere als angetan und ließ das Glas sinken, ohne einen Tropfen getrunken zu haben. Sie runzelte die Stirn und wartete ungeduldig auf eine Erklärung.
Sandro Puccini war beim Klang von Parkers Stimme herumgefahren und starrte Myladys Butler aus weitaufgerissenen Augen an. Es war ihm deutlich anzusehen, daß er mit dessen Erscheinen nicht mehr gerechnet hatte. Auch der Kellner, der mit Servieren beschäftigt war, schien von Parkers Auftauchen überrascht zu sein. Er hielt in seiner Tätigkeit inne und schüttelte verwundert den Kopf.
»Sie sind überrascht, meine bescheidene Wenigkeit hier und jetzt zu sehen, Sir?« wandte sich Parker an den Gastronom.
»Äh ... nun ja ... ich meine, wieso ...« stammelte der Mann und versuchte verzweifelt, sich zu fangen.
»Mister Parker, ich erwarte eine Erklärung«, grollte Agatha Simpson und wandte sich nach ihrem Butler um.
»Meine Wenigkeit wurde auf dem Weg hierher Ziel eines Angriffs«, berichtete Parker. »Man trachtete danach, mich mittels eines soliden Bleirohrs niederzuschlagen und aus dem Verkehr zu ziehen.«
»Das ... das ist ja ungeheuerlich«, stieß Puccini hervor und schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. »Im Prinzip verkehrt bei uns nur solides Publikum, ich kann mir das gar nicht erklären.«
»Der Angriff wurde keinesfalls von einem Ihrer Gäste verübt, wie Sie sicher wissen, Sir«, korrigierte der Butler gemessen. »Es handelte sich vielmehr um einen Angehörigen Ihres Personals, der sich meiner bescheidenen Person in unbotmäßiger Weise näherte.«
»Ich werde den Mann sofort entlassen, so was dulde ich nicht«, knurrte der Restaurantchef. »Das ist ja wirklich die Höhe!«
»Sie monieren sicher das Versagen Ihres Angestellten, Sir«, stellte Parker richtig.
Sandro Puccini lief rot an und musterte den Butler giftig. »Was wollen Sie damit andeuten?«
»Man geht davon‘ aus, daß der Angriff von Ihnen angeordnet wurde, Sir«, antwortete Parker, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Während man auf dem Weg hierher niedergeschlagen und anschließend beiseitegeschafft werden sollte, wollten Sie Mylady mittels einer dem Wein beigefügten Droge überwältigen.«
»Ich höre wohl nicht recht!« Lady Agatha stemmte sich aus ihrem Sessel hoch und baute sich grollend vor Sandro Puccini auf. Sie hatte völlig vergessen, daß sie bis zu diesem Augenblick begeistert von ihm war, und funkelte ihn aus wütenden Augen an.
»Das ... das ist doch alles nur ein Irrtum, Mylady«, wiegelte er ab und streckte die Hände vor. »Ein Mißverständnis, ganz bestimmt, das läßt sich klären.«
»Und ob sich das klären läßt!« Agatha Simpson ergriff ihr Glas und hielt es dem Zurückweichenden entgegen. »Sie können mich überzeugen, Sie Lümmel, trinken Sie!« forderte sie und schwenkte das Glas auffordernd vor seiner Nase.
»Äh, danke, nein, Mylady, ehrlich gesagt, ich vertrage Wein nicht, meine Leber, wissen Sie ...« Sandro Puccini wich noch weiter zurück und brachte sich außer Reichweite von Myladys ausgestreckter Hand.
»Papperlapapp, ich will nicht so sein«, verkündete sie und faßte den Kellner ins Auge. »Dann überzeugen Sie mich, junger Mann, ich bin schließlich nicht wählerisch.«
»Pardon, aber ich darf im Dienst nicht trinken«, bedauerte der Kellner und winkte hastig ab. »In diesem Punkt versteht der Chef keinen Spaß.«
»Sie erlauben es ihm doch sicher ausnahmsweise, oder?« wandte sich die energische Lady an den Gastronom und lächelte gewinnend.
»Nun ja, Mylady, eigentlich darf ich keine Ausnahme machen. Wissen Sie, wenn sich das unter den Leuten herumspricht ...«, zögerte Puccini.
»Papperlapapp, trinken Sie jetzt endlich, oder ich werde ausgesprochen ungemütlich!«
*
»Man muß den Leuten nur gut zureden, Mister Parker, dann klappt es auch«, stellte Agatha Simpson fest und betrachtete zufrieden den schnarchenden Kellner, der auf dem dicken Teppich lag und dort eine Ruhepause einlegte.
Sie hatte zum Überreden einen kleinen Bratspieß eingesetzt, der bis zu diesem Moment auf einer Warmhalteplatte geruht und köstlich duftende Fleischstücke getragen hatte.
Lady Agatha hatte die Fleischstückchen verspeist, den heißen Metallspieß zur Hand genommen und sich damit dem Kellner genähert. Der Mann hatte schließlich eingesehen, daß er sich keinen Kontakt mit dem Spieß zumuten sollte und statt dessen Myladys Glas geleert. Einen Augenblick später hatten die Knie nachgegeben, und er streckte sich mit einem fast schon zufrieden klingenden Seufzer auf dem Teppich aus.
»Ich... ich verstehe das nicht«, stammelte der Besitzer und sah die Lady beschwörend an. »Der Wein muß während der Lagerung irgend etwas abbekommen haben, anders kann ich mir das nicht erklären.«
»Sie bekommen von mir gleich was ab, Sie Lümmel«, versprach die Lady und brachte ihren Pompadour in Schwingung. »Ich erwarte eine Erklärung, aber beeilen Sie sich, ich bin es nicht gewohnt zu warten.«
»Wie gesagt, durch die lange Lagerung ...« begann der Gastronom und griff dabei unter sein Jackett. Einen Moment später schrie er auf und starrte entsetzt auf seine Hand. Lady Agathas Pompadour mit dem darin befindlichen sogenannten Glücksbringer in Form eines veritablen Hufeisens hatte sie nachhaltig geprellt.
»Sie gestatten, Sir?« Bevor der Restaurantbetreiber auf Parkers Frage reagieren konnte, hatte der Butler schon mit der Geschicklichkeit eines professionellen Taschendiebs die Waffe an sich genommen und in einer der zahlreichen Innentaschen seines Covercoats verstaut.
»Sie haben mir die Hand gebrochen«, beschwerte sich Puccini und taumelte quer durch den Raum zu einer Couch, auf der er sich schweratmend niederließ. Die unverletzte Hand tastete unter einen kleinen Beistelltisch neben der Couch.
»So, jetzt ist aber Schluß mit dem Theater«, schrie er gleich darauf und sprang von seinem Platz auf. Er gab den beiden jungen Männern einen Wink in Richtung der Lady und des Butlers. »Schafft mir endlich die lächerlichen Figuren aus den Augen, ich kann sie nicht mehr sehen!« knurrte er und funkelte seine Gäste haßerfüllt an.
»Ihre Umgangsformen haben in außerordentlich tadelnswerter Weise nachgelassen«, rügte Parker gemessen.
»Halte keine Volksreden, Alterchen, ab mit dir, aber ’n bißchen plötzlich!« befahl der Kompaktere der beiden jungen Männer und winkte mit seiner Pistole in Richtung einer Tür im Hintergrund.
»Darf man sich nach den weiteren Absichten Ihrerseits hinsichtlich Myladys und meiner bescheidenen Wenigkeit erkundigen?« wandte sich Parker an Sandro Puccini.
»Erst mal in den Keller, da können wir uns ungestört unterhalten«, entschied der Gastronom. »Sie können mir dort erzählen, warum Sie sich so hartnäckig um unsere Spezialkekse bemüht haben und wo die geblieben sind.«
»Ihre Backwaren bergen ein Geheimnis, das Sie zu wahren wünschen?« fragte Parker höflich.
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Mann?« Sandro Puccini starrte den Butler verärgert an. »Sie wissen doch ganz genau, was mit den Keksen los ist. Umsonst waren Sie doch nicht dahinter her.«
»Und was ist Ihre Vermutung hinsichtlich des Motives dieser Bemühungen, Sir?«
»Eure vornehme Masche zieht bei mir nicht, obwohl die nicht schlecht ist, das muß ich ehrlich zugeben«, zischte der Besitzer des Restaurants, »aber wir werden schon aus euch rausprügeln, wer euch geschickt hat, um unseren Verteilerring auszukundschaften.«
»Sie glauben, wir sind von der Konkurrenz?« erkundigte sich die Detektivin. Agatha Simpson schien die auf sie gerichteten Waffen gar nicht wahrzunehmen und hob während ihrer Frage den Deckel eines silbernen Bräters, um sich dessen Inhalt anzusehen.
»Lassen Sie sich etwas einfallen, Mister Parker, sonst wird mein Essen kalt«, bemerkte sie und angelte einen appetitlich duftenden Fasan aus dem Bräter.
»Das darf doch wohl nicht wahr sein«, spottete Puccini und schüttelte ungläubig den Kopf, während er Lady Agatha zusah! »Naja, betrachten Sie’s als Henkersmahlzeit, die will ich Ihnen gern noch gönnen.«
»Sie haben die Absicht, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit vom Leben zum Tod zu befördern, Sir?« ließ sich Parker ruhig vernehmen.
»Das haben Sie sehr schön gesagt«, höhnte Puccini und grinste tückisch. »Genau das habe ich vor. Bald gibt’s euch nicht mehr!«
»Proteste gegen Ihre Absichten dürften wohl wenig Erfolg haben«, vermutete Parker.
»So ist es, Mann, mit euch ist’s aus und vorbei. Ihr habt ganz einfach zu viel gewagt.«
Sandro Puccini rieb sich zufrieden die Hände und nickte seinen Angestellten zu.
Parker hob die Schirmspitze und zielte wie zufällig auf die beiden jungen Männer. »Die Herren wollen sich tatsächlich zu einem Doppelmord hergeben?«
Die beiden Bewaffneten sahen sich an, tippten mit den Fingern gegen die Stirn und brachen in Gelächter aus.
Einen Moment später lachten sie nicht mehr. Aus dem Oberschenkel des kompakteren Burschen ragte plötzlich ein kleiner, bunt gefiederter Pfeil, der irgendwie unheimlich aussah.
Der getroffene Mann starrte entsetzt auf den Pfeil und atmete tief durch. Er ließ die Pistole fallen und hob die Hände in hilfloser Gebärde. Er machte Anstalten, nach dem Pfeil zu greifen und überlegte es sich im letzten Augenblick. Seine Augen drohten aus den Höhlen zu quellen, sein ganzer Körper verfiel plötzlich in konvulsivische Zuckungen.
Sein Partner starrte gleichfalls auf den exotisch wirkenden Pfeil und schluckte. Er beugte sich etwas vor, um ihn besser betrachten zu können, und vergaß darüber völlig seine ursprüngliche Absicht, Lady Agatha und den Butler mit Waffengewalt in den Keller zu transportieren.
»Man empfiehlt, allzu hastige Bewegungen zu vermeiden«, riet Parker gemessen. »Dies würde den Kreislauf unnötig anregen und für eine schnellere Verteilung des Giftes sorgen.«
»Gift?« Der Getroffene schüttelte verzweifelt den Kopf. Von seiner Stirn perlten Schweißtropfen und liefen ihm übers Gesicht.
»In der Tat, Sir.« Parker nickte knapp und lüftete dazu seine Melone. »Eine südamerikanische Spezialität, die man von einem dortigen Aufenthalt bei den Eingeborenen mitbrachte.«
»Curare«, warf die Lady ein, während sie einen Hummer fachmännisch zerlegte. »Wirkt erstaunlich schnell, nicht wahr, Mister Parker?«
»In der Tat, Mylady.« Parker näherte sich dem Getroffenen und zog eine Spritze aus einer seiner zahlreichen Innentaschen. »Ein absolut zuverlässiges Gegenmittel«, erläuterte er, während er eine gleichfalls hervorgeholte Ampulle zerbrach und die Spritze aufzog. »Allerdings sollten Sie als Gegenleistung einige Fragen beantworten, Sir.«
»Erst die Spritze, ich will nicht sterben!« heulte der Getroffene und sah den Butler verzweifelt an.
»Könnten Sie das einen Moment halten, Sir?« wandte sich Parker an seinen Partner. Der wollte nach dem hingehaltenen Schirm greifen, erwischte ihn aber nicht, was daran lag, daß der Butler den Schirm plötzlich hob und den bleigefüllten Bambusgriff einen Moment über den Kopf des Pistolenhelden schweben ließ, um ihn dann fallen zu lassen.
Es gab ein dumpfes Geräusch, als der Griff mit dem Schädel des Gangsters in Berührung kam. Dann sackte der Bursche zusammen, ließ die Pistole fallen und legte sich auf den Teppich.
Sandro Puccini sah ein, daß ihm die Ereignisse außer Kontrolle gerieten. Er wollte retten, was zu retten war, und ergriff eine Bodenvase, um den Butler damit niederzustrecken. Doch er machte die Rechnung ohne den Wirt.
Bevor der Italiener den Butler erreichte, wurde er von einem delikat zubereiteten Fisch, der durch die Luft flog, im Nacken getroffen. Das köstlich duftende Meerestier legte sich um seinen Hals und überredete auch ihn zu einer kleinen Pause, wie Josuah Parker als trefflicher Schütze mit Wohlbehagen registrierte.
*
»Ich war gerade in der Nähe und wollte wirklich mal vorbeischauen«, erklärte der Chief-Superintendent McWarden, während er an Parker vorbei die große Wohnhalle betrat. Er begrüßte die Hausherrin, die gerade ihren Tee nahm, freundlich und ließ sich ihr gegenüber in einen Sessel sinken.
»Ich freue mich immer, Sie zu sehen, mein lieber McWarden«, behauptete Lady Agatha ungeniert. »Und ich würde Ihnen auch gern noch etwas Tee oder Gebäck anbieten, aber leider war Mister Parker gerade dabei abzutragen. Außerdem werden Sie zu korpulent, das muß ich Ihnen in aller Freundschaft sagen, mein Lieber.«
»Es tut gut, unter Freunden zu sein und deren Fürsorge zu spüren, Mylady«, fügte sich der Mann vom Yard, »aber ich denke, auf eine Kleinigkeit mehr oder weniger kommt es bei mir jetzt nicht mehr an.«
»Nun gut, Mister Parker, servieren Sie unserem Gast etwas Tee«, wandte sie sich an den Butler.
»Ihre Gastfreundschaft beeindruckt mich immer wieder, Mylady«, erwiderte McWarden anzüglich, während er den Tee von Parker entgegennahm.
»Dafür bin ich bekannt, mein Lieber«, lobte sie sich. »Man sagt mir manchmal auch nach, daß ich zu großzügig bin.« Sie blickte stirnrunzelnd auf einen Teller, den der Butler vor McWarden stellte. Dieser musterte dessen süße Last und nickte anerkennend.
»Eine sogenannte Schwarzwälder Kirschtorte, Sir«, erläuterte Parker. »Eine kontinentale Spezialität, die ein meiner bescheidenen Wenigkeit bekannter Konditor herstellt und Mylady hin und wieder zukommen läßt.«
»Man legt Wert auf mein Urteil«, rühmte sich die Hausherrin. »Meine Geschmacksnerven sind hoch entwickelt wie mein Talent, Verbrecher zu fangen.«
»Sie sind ausgesprochen vielseitig«, bestätigte McWarden grinsend und ließ genüßlich ein Stück Torte auf der Zunge zergehen.
»Das stimmt allerdings.« Lady Agatha fühlte sich geschmeichelt. Sie litt auf keinen Fall unter Zweifeln und falscher Bescheidenheit.
»Noch ein Stück, Sir?« Parker beugte sich etwas vor und legte ein zweites Stück Torte nach. Die Hausherrin schüttelte den Kopf und blickte anklagend zur Decke.
»Ihr Heißhunger auf Kuchen wird Sie noch ins Grab bringen, mein lieber McWarden«, seufzte sie. »Beschweren Sie sich dann aber nicht bei mir. Ich habe Sie oft genug gewarnt.«
»Ich nehme doch an, daß das hier Diät-Torte ist, die so gut wie keine Kalorien enthält«, stichelte McWarden, der Myladys Diätsucht nur zu gut kannte. »Ich dürfte also unbesorgt noch ein drittes Stück nehmen, hoffe ich.«
»Bei soviel Unvernunft fehlen mir fast die Worte, Mister Parker«, klagte sie und sah ihren Butler mit leidender Miene an. »Tragen Sie die Torte ab, bevor Mister McWarden aus dem Anzug platzt.«
»Herzlichen Dank!« McWarden legte den Löffel beiseite und lächelte die Hausherrin zufrieden an.
»Darf man noch einen Sherry servieren, Sir?« fragte Parker und näherte sich mit einer Kristallkaraffe.
Lady Agatha kniff resigniert die Lippen zusammen und sah kopfschüttelnd zu, wie Parker ihren Gast bediente.
»Nun haben Sie bei mir wieder mal alle Herrlichkeiten des Lebens genossen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« grollte sie und beherrschte sich mühsam.
»Nein, vielen Dank, Mylady. Sie haben mich ausgiebig verwöhnt.« Der Chief-Superintendent lehnte sich behaglich zurück und blickte seine Gastgeberin an. »Sie hatten nicht zufällig gestern in der Innenstadt zu tun, sagen wir mal, in der Nähe einer Schule?« erkundigte er sich wie beiläufig.
»Ich bin aus dem schulpflichtigen Alter heraus, mein Lieber, das sollten Sie wissen«, konterte sie genüßlich. »Ich wußte nicht, was ich in der Nähe einer Schule hätte tun sollen.«
»Vielleicht haben Sie sich ganz zufällig dort aufgehalten, kann doch sein, oder?« McWarden lächelte freundlich. »Mir wurde da nämlich ein interessanter kleiner Vorfall gemeldet, der mich sofort an Sie und Mister Parker denken ließ.«
»Und was war das für ein Vorfall?« erkundigte sie sich. »Vielleicht fällt mir dazu etwas ein, obwohl ich es mir beim besten Willen nicht vorstellen kann.«
»Nun ja, anscheinend wurde in der Nähe besagter Schule ein älteres Paar überfallen«, begann McWarden und blickte die Lady aufmerksam an.
»Älteres Paar?« entrüstete sie sich umgehend und sah ihn an. »Dann kann ich nichts mit der Sache zu tun haben, McWarden, das dürfte Ihnen doch klar sein.«
»Also, ein Paar mittleren Alters«, korrigierte sich der Chief-Superintendent grinsend. »Jedenfalls, dieses Paar wurde von zwei jungen Burschen überfallen, konnte diese aber anscheinend überwältigen.«
»Man ist heutzutage nicht mal mehr am hellen Tag auf offener Straße sicher«, seufzte sie. »Aber das ist kein Wunder bei unserer Polizei, finde ich.«
»Dieses Paar erinnerte mich, als ich die Beschreibung hörte, sofort an Sie und Mister Parker«, stellte McWarden fest.
»Wie ging es denn weiter, als die beiden Strolche überwältigt waren?« wollte sie wissen und sah ihn gespannt an.
»Der Mann, dessen Beschreibung verblüffend auf Mister Parker zutrifft, bat einen Passanten, auf die beiden Schläger aufzupassen, während er selbst die Polizei verständigen wollte«, erinnerte McWarden. »Danach bestiegen die Frau und der Mister Parker erstaunlich ähnliche Mann ein Fahrzeug, das die Zeugen als ein altes, klappriges Taxi beschrieben. Damit fuhren die beiden davon und wurden nicht mehr gesehen.«
»So ein Zufall!« staunte die ältere Dame und blickte den Mann vom Yard unschuldig an. »Und was geschah mit den Gangstern?«
»Die ihrerseits behaupteten, von diesem Paar überfallen worden zu sein«, fuhr McWarden fort. »Da wir keine Zeugen für den eigentlichen Vorfall hatten, mußten wir sie laufenlassen. Wir haben allerdings ihre Personalien festgestellt.«
»Interessieren Sie sich möglicherweise aus einem ganz bestimmten Grund für Dinge, die sich in der Nähe von Schulen abspielen, Sir?« ließ sich Parker gemessen vernehmen.
»Allerdings, Mister Parker.« McWarden nickte energisch und setzte sich entschlossen auf. »Wir befürchten, daß die Drogenkriminalität in eine ganz neue Dimension eintritt. Haben Sie schon mal was von Crack gehört?«
»Der Begriff ist durchaus bekannt, Sir.« Parker nickte McWarden zu.
»Sie sollten unserem lieben Gast vielleicht doch noch etwas Gebäck anbieten, Mister Parker«, schlug die Hausherrin überraschend vor und zwinkerte Parker zu.
»Mit dem größten Vergnügen, Mylady.« Der Butler verließ die Halle und kehrte kurz darauf zurück. Auf einem silbernen Tablett präsentierte er McWarden die Kekse, die er bei dem Zwischenfall vor der Schule an sich genommen hatte.
»Was hat das denn zu bedeuten?« staunte McWarden und sah die Lady mißtrauisch an. »Seit wann sind Sie so freigiebig? Außerdem bin ich satt, tut mir leid.«
Dann begriff er und nahm einen der Kekse zur Hand. Er untersuchte ihn flüchtig und legte ihn angewidert zurück auf das Tablett.
»Wie kommen Sie dazu?« erkundigte er sich.
»Diese Drogenkekse habe ich persönlich sichergestellt«, sagte die Lady und verdrehte damit die Tatsachen ein wenig zu ihren Gunsten. »Als ich die Kinder um den jungen Mann sah, wußte ich sofort Bescheid. Ich habe die Versammlung gesprengt und zum Beweis die Kekse mitgenommen.«
»Und wurden anschließend überfallen, weil man sie Ihnen wieder abnehmen wollte«, setzte der Chief-Superintendent hinzu. »Jetzt verstehe ich die Zusammenhänge.«
»Ich werde diesen Kinder-Verführern das schmutzige Handwerk legen, mein Lieber«, behauptete die Detektivin.
»Die Burschen schrecken vor nichts zurück, Mylady«, warnte McWarden sie. »Die wittern in Crack das große Geschäft und gehen dabei über Leichen.«
»Aber nicht über meine«, grollte die energische Lady. »Bevor die Subjekte wissen, wie ihnen geschieht, präsentiere ich sie dem Yard schon auf dem Silbertablett, und Sie können sich wieder mal mit einem Erfolg schmücken,«
»Seien Sie vorsichtig, Mylady«, warnte McWarden erneut. »Ich habe keine Lust, an Ihrer Beerdigung teilzunehmen.«
»Papperlapapp, mein Lieber, die Gangster sind es, die sich Sorgen machen müssen«, stellte sie fest. »Ich werde unter diesen Drogenbäckern rigoros aufräumen, das verspreche ich Ihnen.«
*
Horace Pickett rief an. Der ehemalige Eigentumsumverteiler hatte mit seinen sogenannten Neffen die Pizzeria Palermo weiterhin im Auge behalten und wußte Neues zu berichten.
»Es geht wieder um den schlaksigen jungen Mann, den zu beobachten Sie mich baten, Mister Parker, den, der vor der Schule die Kekse verteilt hat.«
»Man ist im Bilde, Mister Pickett«, reagierte Parker gemessen.
»Er heißt übrigens Jake Slater und verfügt mit seinen dreißig Jahren über ein beachtliches Vorstrafenregister, in der Hauptsache allerdings kleinere Delikte.«
»Besagter Mister Slater wurde wieder aktiv, nachdem Mylady und meine bescheidene Wenigkeit die Pizzeria Palermo verlassen hatten?« vergewisserte sich der Butler.
»So ist es, Mister Parker. Trotz des Fiaskos, das Mylady und Sie diesen Strolchen bereiteten, hat sich Slater anschließend wieder auf den Weg gemacht, um sein Drogengebäck an den Mann zu bringen. Bei der Gelegenheit wurde ein neuer, sehr gefährlicher Verteiler entdeckt, Mister Parker.«
»Sie machen meine bescheidene Wenigkeit neugierig, Mister Pickett«, gab Parker zurück.
»Slater fuhr zu einer Schule im East-End und besuchte dort den Hausmeister«, berichtete Pickett weiter. »Diesem hat er ganz offensichtlich eine Sendung mit Keksen überbracht, denn nach dem Verlassen der Schule hatte er die Einkaufstüte, die er vorher bei sich trug, nicht mehr dabei.«
»Eine bestürzende Neuigkeit, Mister Pickett«, räumte Parker ein. »Ein Hausmeister dürfte über jeden Verdacht erhaben sein und bei den Kindern über entsprechendes Vertrauen verfügen.«
»So ist es, Mister Parker. Hinzu kommt, daß speziell dieser Mann hier, der übrigens Ronald Boyce heißt, besonders gut geeignet zum Verteilen der Drogen-Kekse ist. Er verkauft nämlich in den Pausen Getränke und Süßigkeiten und im Sommer auch Eis an die Schüler.«
»Ideal für solche Zwecke, in der Tat, Mister Pickett.«
»Ich habe meine Neffen angewiesen, die Pizzeria weiter im Auge zu behalten und sämtliche Angestellten zu überwachen«, fuhr Pickett fort. »Möglicherweise ergeben sich weitere Hinweise.«
»Das wäre zwar wünschenswert, Mister Pickett, aber andererseits müssen zumindest die Gangster aus der Pizzeria davon ausgehen, erkannt zu sein. Deshalb dürfte es wahrscheinlicher sein, daß sie untertauchen und von einem anderen Punkt aus weiteroperieren. Die Sendung, die Mister Slater dem Hausmeister überbrachte, war womöglich nur ein Restbestand, den man schleunigst aus dem Haus haben wollte für den Fall, daß der Polizei ein Hinweis zugespielt würde.«
»Durchaus möglich, Mister Parker. Auf jeden Fall scheint mir die Sache mit dem Hausmeister bedeutsam. Ich glaube, daß das eine wichtige Verteilerschiene der Banditen ist. Dieser Boyce wird nicht der einzige Hausmeister sein, der sich auf diese Weise ein Zubrot verdient.«
»In diesem Punkt muß ich leider mit Ihnen übereinstimmen, Mister Pickett. Man wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn Sie und Ihre geschätzten Herren Neffen verstärkt weiterrecherchieren könnten. Mylady wird möglicherweise Mister Boyce einen Besuch abstatten wollen, um ihn zu vernehmen.«
Horace Pickett lachte leise, er kannte die Vernehmungen der älteren Dame. »Ehrlich gesagt, gönne ich das diesem Strolch, Mister Parker«, stellte er fest und legte auf.
*
»Was habe ich heute vor, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha unternehmungslustig. Sie hatte gerade ihr als Diät bezeichnetes Frühstück zu sich genommen und trachtete nun danach, die solcherart erworbene Energie irgendwie wieder freizusetzen.
»Mylady gedenken möglicherweise, einem gewissen Mister Ronald Boyce Ihre Aufwartung zu machen«, erläuterte Parker, während er abtrug. »Mister Boyce betätigt sich hauptberuflich als Hausmeister in einer Schule und nebenberuflich als Drogenvertreiber.«
»Wollen Sie damit sagen, dieser Lümmel verteilt ebenfalls diese Kekse?« erkundigte sich die Hausherrin mit strenger Stimme. »In diesem Fall hat er kein Entgegenkommen von mir zu erwarten, Mister Parker!«
»In diesem Sinn äußerte sich Mister Pickett«, teilte der Butler ihr mit. »Mister Boyce verkauft in den Pausen Süßigkeiten und Getränke und dürfte bei dieser Gelegenheit auch gleich die bewußten Kekse verteilen.«
»Ich möchte sofort aufbrechen, Mister Parker. Diesem Lümmel werde ich meine Meinung dazu sagen«, verkündete sie und erhob sich. »Ich hoffe, Sie sind startklar.«
»Werde ich bereits verfolgt, Mister Parker«, ließ sie sich eine Viertelstunde später aus dem Fond des hochbeinigen Monstrums vernehmen. »Schließlich wissen die Strolche, daß ich ihnen dicht auf den Fersen bin.«
»Dem ist in der Tat so, Mylady«, gab Parker gemessen zurück und warf einen Blick in den Rückspiegel. Hinter ihnen hielt sich hartnäckig seit Verlassen von Shepherd’s Market ein blauer Ford, der mit zwei Insassen besetzt war.
Lady Agatha nickte zufrieden und drehte sich um. Sie spähte ungeniert aus dem Rückfenster und hielt nach ihren Verfolgern Ausschau.
»Aha, der rote Fiat also«, stellte sie fest und wandte sich wieder um. »Ich habe den Wagen schon seit Shepherd’s Market im Auge, Mister Parker.«
»Inzwischen hat man einen Fahrzeugwechsel vorgenommen, Mylady«, korrigierte Parker diskret. »Es handelt sich nunmehr um einen blauen Ford, der Mylady folgt.«
»Tatsächlich, sie haben jetzt abgewechselt«, bestätigte sie ungeniert, nachdem sie erneut aus dem Rückfenster geschaut hatte. »Ich hoffe, Mister Parker, Sie wissen, was ich jetzt vorhabe.«
Die Detektivin lehnte sich entspannt in eine Ecke und freute sich, den Butler in Zugzwang gebracht zu haben.
»Mylady möchten die Verfolger gern ausschalten, um ihr Ziel geheimzuhalten«, vermutete Parker, der seinen Privatwagen längst aus dem Weichbild der City gesteuert hatte und über eine Ausfallstraße aufs flache Land lenkte. »Zudem dürften die Insassen des Wagens Mylady bereits hinreichend bekannt sein und bei einem Verhör nicht viel hergeben.«
»Richtig, Mister Parker, ich möchte auf keinen Fall jetzt schon meine Karten aufdecken«, stimmte sie zu und nickte. »Diese Lümmel brauchen nicht zu wissen, daß ich ihren Hausmeister-Komplicen bereits entdeckt habe.«
Der Verkehr hatte nachgelassen. Außer dem Verfolger und dem hochbeinigen Monstrum befand sich auf der Straße kein anderes Fahrzeug.
Parker rechnete mit einem Feuerüberfall, der sie aus dem Verkehr ziehen sollte. Sie hatten die Geschäfte der Gangster zwar noch nicht allzusehr gestört, doch inzwischen hatte sich sicher ihr Ruf auch bei Sandro Puccini und seinen Leuten herumgesprochen und zwang sie, etwas zu unternehmen.
In der Unterwelt war nur zu gut bekannt, wie hartnäckig sich eine gewisse Lady Simpson und deren Butler eines Falles annahmen, wenn sie erst mal darauf aufmerksam wurden. Den Gangstern mußte deshalb daran gelegen sein, sie schnell und für immer aus dem Verkehr zu ziehen.
»Mylady gehen sicher davon aus, daß die Herren Verfolger Mylady nach dem Leben trachten«, bemerkte Parker, während er das ehemalige Taxi beschleunigte.
»Sehr schön, Mister Parker«, freute sie sich. Die ältere Dame kannte keine Angst und wertete die Tatsache, daß man ihr nach dem Leben trachtete, als angenehme und interessante Abwechslung.
»Man scheint zum Angriff übergehen zu wollen«, meldete Parker, nachdem er einen Blick in den Rückspiegel geworfen hatte. Der blaue Ford hatte gleichfalls beschleunigt und schob sich näher heran.
Hinter der Windschutzscheibe blinkte es einen Moment, als würde die von vorn kommende Sonne auf einen reflektierenden Gegenstand treffen, zum Beispiel das Metall einer Waffe.
Parker trat das Gaspedal weiter durch, und das hochbeinige Monstrum reagierte umgehend. Der Rennmotor unter der eckigen Haube röhrte auf und zog den äußerlich klapprig und alt aussehenden Wagen mit der Gewalt einer gezündeten Rakete durch die nächste Kurve.
Lady Agatha wurde von der Fliehkraft in ihren Sitz gepreßt und klammerte sich an einen Haltegriff.
Parker saß stocksteif, als habe er den sprichwörtlichen Ladestock verschluckt, hinter dem großen Steuerrad, während das hochbeinige Monstrum auf zwei Rädern durch die nicht ganz ungefährliche Kurve radierte.
Kurz hinter der Kurve tastete Parkers behandschuhte Rechte über das reichhaltig ausgestattete, an das Cockpit eines modernen Düsenjägers erinnernde Armaturenbrett und legte einen kleinen Hebel um. Einen Moment später schoß unter dem Heck des ehemaligen Taxis eine fette Rußwolke hervor und verteilte sich auf der Straße.
Der Ford der Verfolger schoß aus der Kurve direkt in die sichtraubende Überraschung. Der Ruß legte sich als öliger Film auf die Windschutzscheibe und behinderte den Fahrer augenblicklich.
»Nun, Mister Parker, was ist?« erkundigte sich Lady Agatha, während sie ihre eigenwillige Hutschöpfung, die irgendwie eine pikante Mischung aus einem Napfkuchen und einem Südwester darzustellen schien, zurechtrückte.
»Myladys Verfolger scheinen ein wenig vom rechten Kurs abgekommen zu sein«, stellte Parker fest. Der Ford war aus seinem Rückspiegel verschwunden und nicht mehr zu sehen.
»Ich möchte mich davon überzeugen, daß die Lümmel außer Gefecht sind«, verlangte die Detektivin und rieb sich unternehmungslustig die Hände. »Außerdem möchte ich ihnen persönlich sagen, was ich von Leuten halte, die mich umbringen wollen.«
Parker verzichtete auf eine Antwort und stoppte seinen Privatwagen. Er legte den Rückwärtsgang ein, setzte etwa zwanzig, dreißig Meter zurück und stoppte erneut.
»Eine gewisse Vorsicht dürfte durchaus angebracht sein«, warnte er, als Agatha Simpson bereits die Tür öffnen wollte. »Die Herren sind mit Sicherheit bewaffnet und möglicherweise noch aktionsfähig.«
»Papperlapapp, Mister Parker, ich fürchte mich nicht vor zwei kleinen Nachwuchsmördern!« gab sie zurück und stieß die Tür weit auf.
Die Antwort erfolgte postwendend. Aus dem Straßengraben, in dem der Ford lag, blitzte es. Eine Kugel schrammte an der Karosserie des ehemaligen Taxis entlang. Das zweite Geschoß klatschte gegen die Kante von Myladys geöffneter Tür und sirrte anschließend als Querschläger davon.
»Das ist ja wohl die Höhe, Mister Parker«, fand sie und zog die Tür wieder zu. »Man erdreistet sich, auf mich zu schießen!«
»Eine bedauerliche Verrohung der Sitten, Mylady«, stimmte der Butler ihr zu. »Wenn Mylady gestatten, wird man mit bordeigenen Mitteln die Herren Attentäter ausschalten.«
»Und anschließend werde ich mich mit den Subjekten ein wenig unterhalten«, kündigte sie grimmig an und tätschelte ihren Handbeutel. »Ich werde diesen Burschen klarmachen, was ich davon halte, wenn man auf eine Dame schießt.«
»Die Herren dürften nicht ahnen, was ihnen bevorsteht«, kommentierte Josuah Parker gemessen. »Myladys Verhöre genießen in einschlägigen Kreisen nicht umsonst einen gewissen Ruf.«
»Und woher der kommt, werden die Strolche gleich erfahren.« Lady Agatha war in ausgesprochen kriegerischer Stimmung und konnte es kaum erwarten, aktiv zu werden.
»Wenn Mylady noch einen Augenblick Geduld haben würden?« Parker griff in eine seiner zahlreichen Innentaschen und entnahm ihr einen Kugelschreiber, der einen durchaus regulären Eindruck machte. Er verdrehte die beiden Hälften des Schreibinstruments gegeneinander und warf sie anschließend durch einen Spalt des Seitenfensters in Richtung des gestrandeten Ford. Danach wandte er das Gesicht ab und vermied es, von dem grellen Lichtblitz getroffen zu werden, der plötzlich vom Straßengraben her aufzuckte.
»Ich muß doch sehr bitten, Mister Parker. Warum haben Sie mich nicht gewarnt?« beklagte sich Mylady aus dem Fond und tastete geblendet mit den Händen herum. Der Lichtblitz hatte ihre Augen, die zum Zeitpunkt der Detonation auf den Straßengraben gerichtet waren, getroffen und für vorübergehende Orientierungslosigkeit gesorgt.
»Man bittet Mylady nachdrücklich um Entschuldigung«, bemerkte Parker höflich. »Sicher billigen Mylady nachträglich den Einsatz dieses an sich ungefährlichen Mittels.«
*
Die Herren waren außerordentlich schlechter Laune und nahmen übel. Sie kamen gerade wieder zu sich, nachdem sie der Butler vorübergehend mit dem bleigefüllten Baumbusgriff seines Universal-Regenschirmes außer Gefecht gesetzt hatte, um sie zu entwaffnen und mit solidem Klebeband zu versehen.
Dieses sehr zähe Band, wie es in der Industrie verwendet wurde, um Kartons zu verschließen, zierte jetzt die Fuß- und Handgelenke der verhinderten Mörder und schränkte ihre Bewegungsfreiheit ein.
Sie lehnten einträchtig an einem Baum, der hinter dem Straßengraben auf einer Wiese stand. Parker hatte mit seinem Privatwagen den gestrandeten Ford aus dem Graben gezogen und auf einen kleinen Weg bugsiert, wo er den Verkehr nicht behinderte.
Agatha Simpson musterte die beiden jungen Männer grimmig. Es handelte sich um jene Herren, die den Überfall in der Nähe der Schule gewagt hatten.
»Sie wollten mich also umbringen«, stellte die Lady fest und sah sie scharf an. »Dafür werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen. Ich gelte als sehr nachtragend.«
»Unsinn«, wir sollten Sie verfolgen und feststellen, wo Sie hinfahren«, knurrte der eine der beiden. »Wie kommen Sie darauf, daß wir Sie umbringen wollten, das ist doch lächerlich.«
»Genau«, pflichtete sein Partner ihm bei. »Sehen wir vielleicht wie Mörder aus?« Er warf Lady Agatha einen unschuldigen Blick zu und versuchte vergeblich, harmlos und bieder zu sein.
»Natürlich sehen Sie so aus«, konterte die ältere Dame. »Ich überlege die ganze Zeit, was ich mit Ihnen anfange.«
»Übernehmen Sie sich bloß nicht, Oma!« Der jüngere Mann mit dem pockennarbigen Gesicht und den schadhaften Zähnen grinste höhnisch. »Wenn Sie glauben, daß wir uns vor Angst in die Hosen machen, täuschen Sie sich. Sie haben Glück gehabt, weiter nichts. Wenn Sie uns jetzt losbinden und gehen lassen, vergessen wir die ganze Sache, sonst...« Er brach mitten im Satz ab und zuckte vielsagend mit den Schultern.
»Sie drohen mir?« erkundigte sich die energische Lady erfreut und trat näher.
»Nennen Sie es, wie Sie wollen, ich versuche Ihnen nur klarzumachen, was gut für Sie ist«, geiferte der Mann mit den Pockennarben. »Unsere Firma läßt es sich mit Sicherheit nicht gefallen, daß ihr ’ne abgetakelte Fregatte in die Suppe spuckt.«
»Sie haben es gehört, Mister Parker, das war eine Beleidigung«, rief sie den Butler als Zeugen an und beugte sich zu dem leichtsinnigen Gangster hinunter. Einen Moment später zierte der rote Abdruck ihrer fünf Finger seine rechte Wange.
»Das ... das werden Sie mir büßen, dafür garantiere ich Ihnen«, keuchte der Gemaßregelte und musterte Lady Agatha haßerfüllt.
»Übernehmen Sie sich nicht, junger Mann«, riet Lady Agatha und wandte sich ab.
*
Die Kühe auf der Weide hörten auf zu grasen. Sie hoben die Köpfe und sahen befremdet auf die beiden Menschen, die sich seltsam gebärdeten.
Die Zweibeiner trugen nur farbenfreudige Slips und sonst nichts. Sie tollten ausgelassen über die Wiese und schienen außer Rand und Band.
Der Pockennarbige spähte umher und entdeckte einen großen Wasserball, den ein gewisser Butler Parker hinterlassen hatte.
Er hob ihn auf und warf ihn seinen Kollegen zu, der ihn lachend erwartete und zurückboxte. Dabei stolperte er über einen Maulwurfhügel und legte sich der Länge nach hin.
Unbemerkt war ein Streifenwagen an den Rand der Wiese gerollt. Ihm entstiegen drei Polizisten, die über den Weidezaun interessiert zuschauten.
Sie erblickten zwei Männer, die alles andere als korrekt bekleidet waren. Diese Burschen waren sehr ausgelassen, was auf ein Spezialpräparat Josuah Parkers zurückzuführen war.
Sie jagten hinter den Kühen her und versuchten einen Ritt, landeten aber immer wieder auf dem feuchten Boden.
Die Polizisten, die von einem Autofahrer alarmiert worden waren, sahen sich vielsagend an und machten sich schweigend daran, den Zaun zu übersteigen.
Dann wurden sie von den beiden Männern entdeckt und sofort zum Mitspielen aufgefordert.
Der Pockennarbige warf ihnen den Wasserball zu und schrie enttäuscht, als dieser auf den Stacheldraht landete und umgehend seiner Luft beraubt wurde.
Er sah sich nach einem anderen Spielzeug um und entdeckte einen großen Wassereimer, der offensichtlich vergessen worden war. Er funktionierte diesen zum Flugkörper um und schickte ihn auf die Reise. Der Eimer suchte sich den mittleren Polizeibeamten aus und stülpte sich zielsicher über dessen Kopf.
Der Partner des Pockennarbigen wollte nicht hinter seinem Kollegen zurückstehen, erweckte aber das Mißfallen der Ordnungsschützer. Sie stürzten sich wie auf Kommando vor und überwältigten den unerwarteten Gegner.
»Das hat mir ausgezeichnet gefallen, Mister Parker«, fand Lady Agatha. Sie stand etwas erhöht auf einem kleinen Hügel und schaute auf die Wiese unter ihr. Mit einem großen Fernglas in Händen blickte die Detektivin lächelnd auf die Szene, die sich dort abspielte.
»Mylady waren mit dem Gebotenen zufrieden?« Josuah Parker stand neben ihr und sah gleichfalls hinunter.
»Sogar sehr«, lobte sie ihn und nickte bekräftigend. »Ich werde diese Szene in meinen Roman einbauen, Mister Parker.«
*
Lady Agatha stand vor der Tür einer Schule in East-End, in der Ronald Boyce tätig sein sollte. Sie klopfte nachdrücklich an, die da Klingel offenbar nicht funktionierte.
Zufrieden registrierte sie dann das dumpfe Geräusch, das durch ihr Klopfen verursacht wurde. Hastig nähernde Schritte waren zu hören.
Einen Moment später wurde die Tür aufgerissen, und das gerötete Gesicht des Wohnungsinhabers erschien.
»Verdammt, was soll der Unsinn?« fauchte er und sah Lady Agatha wütend an.
»Ich hoffe, ich störe«, gab sie genüßlich zurück und stemmte sich gegen das Türblatt. »Sind Sie dieser Hausmeister, der den Kindern Süßigkeiten und Drogen verkauft?« Mylady kam in ihrer direkten Art sofort zur Sache und verblüffte damit ihr Gegenüber.
»Hauen Sie ab, Sie sind hier fehl am Platz!« knurrte der Mann und wollte die Tür zuschlagen. Doch dies gelang ihm nicht.
Lady Agatha drückte die Tür ganz auf und trat ein. Sie schob den wehleidigen Mann beiseite und sah sich neugierig um.
Josuah Parker folgte seiner Herrin und schloß die Tür. Dort blieb er abwartend stehen und harrte der Dinge, die da kommen mußten. Seine innere Alarmanlage hatte sich gemeldet und signalisierte ihm Gefahr.
»Sie sind allein, Sir?« erkundigte er sich höflich bei dem Wohnungsinhaber, der seine ungebetenen Gäste mit hinterhältigem Blick musterte.
»Ja ... ja, natürlich«, gab er zurück und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Also, was wollen Sie? Ich hoffe, Sie haben ’ne verdammt gute Erklärung für Ihren Überfall, ich müßte nämlich sonst die Bul... äh, die Polizei holen, klar?«
»Das werden Sie ganz sicher nicht tun«, grollte die ältere Dame und baute sich wie eine Rachegöttin vor ihm auf. Der korpulente Mann mit der ausgeprägten Stirnglatze und dem aufgedunsenen Gesicht, das ihn als Liebhaber eines guten Tropfens auswies, wich beeindruckt zurück und raffte seinen Kittel, den er über einem grauen Unterhemd trug, zusammen. Er stieß mit den Beinen gegen einen Schirmständer hinter sich und erschrak, als dieser laut scheppernd umstürzte.
»Äh ... wer sind Sie, was wollen Sie von mir?« jammerte er. »Das ist bestimmt ’n Irrtum, ich kann mir nicht vorstellen, was Sie hier wollen.«
»Sie sind doch der Lümmel, der die Kinder in der Schule zum Drogenkonsum verführt, nicht wahr? Leugnen hat keinen Zweck, ich weiß genau Bescheid über Sie«, warf die Detektivin ihm vor.
»Aber ich bitte Sie, was sagen Sie denn da?!« Der kleine Mann warf sich in die Brust und musterte die Lady gespielt unschuldig.
»Sie leugnen also?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Sie bestreiten, daß Sie sich als Dealer in Ihrer Schule betätigen?«
»Ich hab doch nichts mit Drogen zu tun, wie kommen Sie bloß darauf?« wunderte er sich. »Und dann auch noch dieses Giftzeug an Kinder verkaufen, ich bitte Sie, wer macht denn so was!«
»Sie sind dieses verkommene Subjekt!« behauptete die energische Dame.
»Dem kann man nur vollinhaltlich zustimmen, Mylady«, mischte sich der Butler ein. »Man sollte Mister Boyce jedoch eine kleine Verschnaufpause gönnen, damit er Mylady für ein weiteres Verhör zur Verfügung steht.«
»Das ist alles Schauspielerei, Mister Parker«, grollte sie und musterte den verängstigten Hausmeister.
»Bitte, ich sage alles, was Sie wollen, aber tun Sie mir nichts«, flehte er und streckte abwehrend die Hände vor.
Der Hausmeister schien verwirrt. »Sie wollen von mir etwas über die Drogen erfahren?« stammelte er.
»Sie treffen durchaus den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf«, erwiderte der Butler und wartete interessiert auf die Beichte des Mannes. Doch es kam anders ...
*
»Man wünscht einen guten Tag, Mister Slater«, grüßte Josuah Parker und lüftete andeutungsweise die schwarze Melone.
»Sie kennen meinen Namen?« wunderte sich der Dreißigjährige, der hinter einem Vorhang aufgetaucht war, und sah Parker verblüfft an.
»In der Tat, Sir, man war so frei, einige Erkundigungen einzuziehen.«
»Das hätten Sie mir aber besser nicht gesagt.« Slater, der eine Pistole trug, schüttelte den Kopf und grinste zynisch. »Es dürfte Ihnen klar sein, daß das Ihr Todesurteil ist, oder?«
»Sie wollen mich umbringen?« empörte sich Lady Agatha und funkelte ihn gereizt an.
»Dich auch, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, inwiefern ’ne alte Tante gefährlich sein könnte. Aber der Boß hat sich über euch beide erkundigt und ’n Heidenrespekt vor euch, nicht zu glauben, wirklich.«
Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler. »Die Jugend wird immer respektloser, Mister Parker, das schlägt mir richtig auf den Kreislauf.«
»Gestatten Sie, daß man Mylady ihre Medizin reicht?« erkundigte sich Parker höflich bei Slater, während er bereits in eine seiner zahlreichen Innentaschen griff.
»Aber schön vorsichtig, Mann, wenn du ’ne Kanone dabei hast, vergiß’ sie besser«, warnte der Schlaksige ihn und beobachtete ihn mißtrauisch.
Parker zog eine lederumhüllte Taschenflasche hervor und füllte den als Verschluß dienenden silbernen Becher mit dem Inhalt der Flasche. Lady Agatha nahm den Becher dankbar entgegen und leerte ihn herzhaft.
»Ich fürchte, mir geht es noch nicht viel besser«, klagte sie anschließend und griff theatralisch an die Stelle, wo sie ihr Herz vermutete.
Parker füllte den Becher erneut und half seiner Herrin mit einer zweiten Dosis. Slater beobachtete die kleine Szene und amüsierte sich offenbar köstlich. »Eigentlich völlig überflüssig, daß die Oma noch ihre Medizin süffelt«, mokierte er sich. »In ’n paar Minuten ist für euch beide sowieso alles vorbei, dann hilft auch die beste Medizin nichts mehr.«
»Sie haben tatsächlich die Absicht, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit in das sogenannte Jenseits zu befördern?« vergewisserte sich Parker, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht rührte.
»Genauso ist es, Mann, wenn du also noch ’n Gebet sprechen willst...« Slater fühlte sich als Herr der Lage und genoß es, dies zu zeigen. Er grinste spöttisch und sonnte sich förmlich in seiner Rolle.
»Du willst die beiden doch nicht etwa hier in meiner Wohnung umlegen?« kreischte der Hausmeister und starrte seinen Lieferanten entsetzt an. »Das kannst du nicht machen, Mann, das will ich nicht.«
»Du hast nichts zu sagen, du Idiot«, knurrte Slater. »Du wolltest doch singen und den beiden alles erzählen, stimmt’s? Plaudertaschen wie dich können wir nicht gebrauchen, du kommst gleich nach den beiden dran!«
»Du ... du meinst ...«, flüsterte der Hausmeister und griff sich unwillkürlich an den Hals. »Du willst mich auch ...« ‚
»Du hast es erfaßt«, gab der schlaksige junge Mann ungerührt zurück und lachte höhnisch. »Auf dich ist kein Verlaß, deshalb ist es besser, wenn du auch verschwindest.«
»Ich... ich sag kein Wort, ehrlich, ich schwör’s!« wimmerte Ronald Boyce und wischte sich mit dem Ärmel über die schweißnasse Stirn. »Ich hab’ ’n Bruder in Australien, ich verschwinde aus England, ich geh’ zu ihm, ehrlich.«
»Zu spät, Mann, deine Uhr ist abgelaufen«, zeigte sich Slater ungerührt. »Immerhin hast du noch ’n paar Minuten länger als die beiden da, du kommst erst zum Schluß dran.«
»Ist es erlaubt, noch eine Zigarre zu rauchen?« erkundigte sich Parker höflich. »Der letzte Wunsch eines alten, müden und relativ verbrauchten Mannes an diese Welt, bevor er dahinscheidet.«
Slater grinste. »Warum nicht, als Henkersmahlzeit sozusagen«, gestattete er großzügig und nickte.
Parker zog sein silbernes Zigarrenetui aus einer der zahlreichen Innentaschen seines Covercoats und traf sorgfältige Wahl. Jake Slater sah ihm dabei lächelnd zu und amüsierte sich offenbar über die pedantische Art, in der diese Auswahl getroffen wurde.
»Hoffentlich findest du heute noch die richtige Zigarre«, knurrte er. »Beeil dich, Mann, sonst kommst du doch nicht mehr dazu, sie zu rauchen.«
»Man hat sich bereits entschieden«, bemerkte Parker und entnahm dem Etui eine dicke schwarze Zigarre. »Meine Wenigkeit hat wohl Zeit genug, sie in aller Ruhe zu genießen, Sir?«
»Aber klar doch, man ist ja kein Unmensch.« Slater winkte ihm aufmunternd mit der Pistole zu und beobachtete, wie Parker die Zigarre mit einem vorsintflutlich aussehenden Feuerzeug in Brand setzte. Dabei zeigte die Zigarrenspitze wie zufällig in Slaters Richtung.
Parker steckte sein Feuerzeug ein und nahm einen tiefen Zug. Die Zigarre schien jedoch nicht seinen Vorstellungen entsprechend zu brennen. Er drückte an ihrem Ende herum und paffte dicke Wolken, die ihn mehr oder weniger einhüllten und seinen Kopf fast vollständig verbargen.
Slater wollte gerade eine abfällige Bemerkung über Rauchkünste machen, als es passierte. Aus der dichten Qualmwolke, die um des Butlers Kopf waberte, löste sich plötzlich ein winziger, silbern blinkender Gegenstand und sauste auf den Gangster zu.
Bevor Slater überhaupt begriff, wie ihm geschah, bohrte sich der seltsame Gegenstand bereits in seinen Hals. Der Überraschte griff danach und zog ihn heraus. Angewidert starrte er auf die winzige Hohlnadel, als die sich der Gegenstand herausstellte.
Diese Hohlnadel, die mit einem schnell wirkenden, aber absolut unschädlichen Narkotikum gefüllt war, hatte bis zu ihrem Flug in Parkers Spezialzigarre gesessen und war durch energischen Druck auf den im Mundstück verborgenen Auslöser auf die Reise geschickt worden.
»Was ... was ist das?« fragte Jake Slater mit heiserer Stimme und ließ die Nadel fallen.
»Natürlich war die Nadel vergiftet«, meldete sich Lady Agatha zu Wort und musterte den Burschen voller Genugtuung. »Ich bin gespannt, wie lange Sie es aushalten, Sie Lümmel.«
»Gift?« Slater schüttelte sich unwillkürlich und ließ die Pistole fallen. Er fühlte deutlich, wie sein Körper unangenehm reagierte. Er griff an den Hals und atmete tief durch.
Der Gangster glaubte, bereits jetzt eine gewisse Atemnot zu verspüren und riß entsetzt den Mund auf, um nach Luft zu schnappen. Dicke Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn und rannen ihm übers Gesicht.
»Natürlich verfügt man über ein geeignetes Gegenmittel«, ließ sich Parker vernehmen. »Unter gewissen Umständen ist man durchaus bereit, dieses zu verabreichen.«
»Auf gar keinen Fall, Mister Parker! Schließlich wollte mich dieses Subjekt umbringen«, zeigte sich Lady Agatha unversöhnlich und schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, nein, kommt nicht in Frage, Strafe muß sein!«
*
Josuah Parker hatte seiner Herrin gerade das Dinner serviert, als sich das Telefon meldete. Gemessen begab er sich zu dem Apparat und nahm den Hörer ab.
Die Stimme Sandro Puccinis klang gehetzt und angespannt. Der Pizzeriabetreiber schien unter Druck zu stehen und sprudelte sein Anliegen förmlich heraus.
»Ich muß unbedingt mit der Lady und Ihnen reden. Es ist sehr wichtig«, erklärte er und räusperte sich lautstark. »Ich habe Informationen für Sie, mit denen Sie den ganzen Crack-Ring ausheben können.«
»Dem Sie selbst angehören, Mister Puccini, wenn Sie diesen Hinweis gestatten.«
»Ich steige aus, Mann, ich haue ab ... Ich gehe nach Italien zurück, ich hab’ da Verwandte und werde dort neu anfangen. Hier wird mir der Boden einfach zu heiß unter den Füßen.«
»Und warum wollen Sie ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt Ihre Zelte hier abbrechen, Sir?«
»Sagte ich doch, mir wird der Boden zu heiß unter den Füßen ... und daran sind Sie und Ihre Lady schuld, verdammt noch mal.«
»Das sollten Sie näher erklären, Mister Puccini«, bat Parker, der längst einen Cassetten-Recorder eingeschaltet hatte, um das Gespräch aufzuzeichnen.
»Sie haben mir meinen ganzen Laden durcheinander gebracht«, klagte der Pizzeriabäcker. »Sie haben inzwischen zwei meiner weniger wichtigen Leute, aber auch Slater, einen meiner besten Verteiler, aus dem Verkehr gezogen, wie ich feststellen mußte.«
»Das ist allerdings richtig, Mister Puccini. Sowohl die beiden weniger wichtigen Herren, wie Sie sie nennen, als auch Mister Slater befinden sich im Gewahrsam der Polizei. Die ersteren wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und Widerstand gegen die Staatsgewalt, Mister Slater wegen illegalem Waffenbesitz und Drogenhandel. Er führte, als ihn die Polizei antraf, beträchtliche Mengen sogenanntes Crack mit sich, in Keksen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Ihrer Pizzeria hergestellt wurden.«
»Und der Hausmeister ist auch verschwunden ...«, beschwerte sich Puccini mit weinerlicher Stimme.
»Er hat sowohl seine Karriere als Schulhausmeister als auch die als Drogenverteiler aufgegeben und fängt ein neues Leben auf dem flachen Lande an«, informierte Parker den Restaurantbesitzer. »Man konnte ihn davon überzeugen, daß dies der richtige Schritt in eine bessere Zukunft ist.«
»Ich bin nicht der ganz große Boß, für den Sie mich vielleicht halten«, fuhr Sandro Puccini fort.
»Davon ist meine Wenigkeit ohnehin nie ausgegangen, Mister Puccini«, beruhigte der Butler ihn. »Hierzu mangelt es Ihnen – mit Verlaub – entschieden an dem nötigen kriminellen Format, wenn Sie diese Bemerkung gestatten.«
Für einen Moment war es am anderen Ende der Leitung still, dann sprach Puccini weiter. Seine Stimme klang eindeutig ein wenig beleidigt, die Bemerkung nahm er wohl doch etwas übel.
»Mein Chef nimmt mir die Pannen krumm«, klagte er. »Er tut gerade so, als wäre ich persönlich dafür verantwortlich.«
»Sie sind also in Ihrer Organisation in Ungnade gefallen, Sir, und fürchten, daß gewisse Sanktionen gegen Sie in die Wege geleitet werden«, vermutete Parker.
»Genau. Und ich hab’ natürlich nicht die geringste Lust, mich umlegen zu lassen, das werden Sie verstehen, oder? Jedenfalls, ich haue ab, noch heute nacht, aber ich brauche ’n bißchen Startkapital, wenn ich in Italien neu anfangen will.«
»An welche Summe dachten Sie, Mister Puccini?« erkundigte sich Parker höflich.
»Zehntausend Pfund, ich denke, das ist ’n verdammt bescheidener Betrag für die Informationen, die ich zu bieten habe. Und verdammt wenig, um irgendwo anders wieder von vorn anzufangen.«
»Man wird Sie bei Gelegenheit bedauern, Sir«, versprach Parker ihm. »Wo würden Sie die erwähnten Informationen übergeben wollen?«
»Es gibt da einen Privatflugplatz im Norden, ’n bißchen außerhalb, aber gut erreichbar. Ein ehemaliges Militärgelände, glaube ich.«
»Dieser Ort ist meiner bescheidenen Wenigkeit durchaus bekannt«, stellte Parker gemessen fest. »Gibt es einen bestimmten Grund, gerade diesen Platz vorzuschlagen?«
»Und ob, Mann!« Sandro Puccini lachte leise. »Ich hab’ dort ’ne kleine Maschine stehen, von der niemand weiß. Auch daß ich selbst ’ne Fluglizenz habe, habe ich keinem auf die Nase gebunden, die hab’ ich heimlich gemacht. Das zahlt sich jetzt aus, das wird meine Rettung sein.«
»Sie gedenken, von dort aus zu einem Flug in Richtung Kontinent zu starten, Sir?«
»Genau, Mann! Aber vorher werde ich Ihnen noch einiges über die Organisation flüstern, ’ne Schweinerei, mich wegen so ’ner kleinen Panne gleich fallenzulassen, nachdem ich vorher jahrelang dicke Profite abgeführt habe. Ich will mich rächen, Mister Parker, das werden Sie doch verstehen, oder?«
»Durchaus, Sir. Und welche Zeit schlagen Sie vor?«
»Na, sagen wir mal, heute abend um acht, geht das? Und denken Sie daran, das Geld mitzubringen. Rache ist zwar ganz schön, aber man wird leider nicht satt davon.«
»Meine Wenigkeit wird alles entsprechend arrangieren, Sir«, gab Parker etwas zweideutig zurück und legte auf.
»Wer war das, Mister Parker?« wollte Lady Agatha wissen und wandte sich nach ihm um.
»Mister Sandro Puccini, Mylady, er schlug einen kleinen Handel vor.«
»Puccini, Puccini... irgendwie kommt mir dieser Name bekannt vor, Mister Parker«, überlegte sie und runzelte nachdenklich die Stirn. »Habe ich nicht erst vor kurzem eine Oper besucht, die von diesem Mann stammte?«
»In diesem Fall handelt es sich um einen Pizzeriabetreiber gleichen Namens«, stellte Parker richtig. »Mylady besuchten vor wenigen Tagen sein Etablissement, um sich mit ihm über gewisse Kekse zu unterhalten.«
»Richtig, Mister Parker. Wußte ich’s doch.« Agatha Simpson nickte huldvoll und lächelte versonnen in der Erinnerung an die kleine Auseinandersetzung, die sich in den Privaträumen hinter der eigentlichen Pizzeria abgespielt hatte. »Und was will dieser Lümmel nun von mir?«
»Er schlägt Mylady einen Handel vor. Er bietet umfassende Informationen über seine Organisation an und möchte dafür einen Betrag von zehntausend Pfund vereinnahmen.«
Die ältere Dame verschluckte sich beinahe an ihrem Tee mit Rum und stellte vorsichtig die Tasse auf den Tisch. Erschüttert blickte sie Parker an. »Sagten Sie zehntausend Pfund, Mister Parker?« vergewisserte sie sich und griff erschrocken ans Herz.
»In der Tat, Mylady, genau diese Summe sprach Mister Puccini an.«
»Mein Kreislauf, Mister Parker, helfen Sie mir!« röchelte sie.
Parker hatte angesichts dieser Summe Myladys Zusammenbruch vorausgesehen und hielt bereits eine Karaffe hochkonzentrierter Medizin in den behandschuhten Händen. Es handelte sich dabei um einen speziellen, sehr alten französischen Cognac, der eigens für Mylady von einer kleinen Firma auf dem Kontinent hergestellt wurde.
»Zehntausend Pfund«, hauchte sie und nahm einen Schluck. »Das ist ja ein Vermögen, Mister Parker, diese Summe wird mich ruinieren.«
*
»Also, wenn das keine Falle ist, Parker.« Mike Rander starrte kopfschüttelnd auf die Karte, die Parker auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Er hatte von Sandro Puccinis Angebot erfahren und sich spontan erboten, sich bereits ein oder zwei Stunden vor dem vereinbarten Zeitpunkt zu dem kleinen Privatflugzeug zu begeben, um dort nach dem Rechten zu sehen.
»Man sollte in der Tat davon ausgehen, daß man Mylady in einen Hinterhalt locken will oder ein Anschlag auf sie geplant ist«, räumte Parker ein. »Möglicherweise handelt Mister Puccini im Auftrag seiner Vorgesetzten, die sich um ihre einträglichen Geschäfte sorgen.«
»Ich komme natürlich mit«, stellte Kathy Porter, die sich in Begleitung des Anwalts befand, klar.
»Das ist unter Umständen sehr gefährlich«, versuchte Mike Rander ihr diesen Ausflug auszureden, obwohl er natürlich wußte, daß das sinnlos war. Aber er sah es nunmal nicht gern, wenn sich die junge Frau in Gefahr begab. So wollte er wenigstens den Versuch unternommen haben, es ihr auszureden.
»Keine Diskussion«, machte sie denn auch umgehend ihre Meinung dazu deutlich. »Ich komme mit, und damit ist die Sache klar.«
Mike Rander seufzte und zuckte die Achseln. Er kannte Kathy Porter lange genug, um zu wissen, daß sie sich nicht mehr umstimmen ließ, wenn sie sich erst mal was in den Kopf gesetzt hatte.
»Na schön«, gab er klein bei. »Ich würde sagen, wir fahren dann gleich los, damit wir rechtzeitig da sind und das Terrain sondieren können.«
»Die Drogengangster dürften zu allem entschlossen sein«, warnte Josuah Parker. »Man darf Sie bitten, Sir, dies bei Ihrem Vorgehen zu berücksichtigen«, äußerte er gemessen.
»Keine Angst, Parker, wir passen schon auf«, versprach Rander und nickte ihm zu. »Wir wollen schließlich noch ’n Weilchen leben.«
»Das gefällt mir gar nicht, Mister Parker«, monierte Lady Agatha stirnrunzelnd. »Die Kinder sind noch jung und unerfahren und einer solchen Aufgabe nicht gewachsen.«
Lady Agatha betrachtete den Anwalt und ihre Gesellschafterin gern als ihre Kinder und tat im übrigen alles, um die beiden einander näherzubringen. Sie war der Ansicht, daß Kathy Porter und Mike Rander das ideale Paar waren und tat alles, um sie eines Tages unter die Haube zu bringen.
»Man ist sich des Umstandes sehr wohl bewußt, Mylady«, gab Parker höflich zurück. »Meine bescheidene Wenigkeit sprach eine entsprechende Warnung aus, aber Miß Porter und Mister Rander bestanden darauf, Mylady in diesem Fall zu unterstützen. Sie brechen bereits auf, um den Treffpunkt in Augenschein zu nehmen.«
»Ach ja, die guten Kinder«, seufzte sie verhalten und lächelte. »Aber das eine sage ich Ihnen, Mister Parker, wenn den beiden etwas zustößt, werde ich ernsthaft ungehalten.«
Sie sah auf die große Uhr in der Halle und ergriff dann ihren Pompadour, der auf dem Lieblingssofa auf einen neuen Einsatz wartete.
»Nun gut, Mister Parker, gehen wir auch«, entschied sie und nickte entschlossen. »Ich brenne darauf, diesem Caruso die Leviten zu lesen.«
»Mylady meinen sicher Mister Sandro Puccini«, vermutete Parker, während er seiner Herrin die Tür öffnete.
»Namen sind Schall und Rauch. Seien Sie doch nicht immer so pingelig, Mister Parker«, reagierte sie auf die Korrektur. »Jedenfalls werde ich diesem Subjekt mit dem musikalischen Namen die Flötentöne beibringen, darauf können Sie sich verlassen.«
»Mister Puccini ist auf keinen Fall zu beneiden«, ahnte Parker im voraus und verbeugte sich höflich, während Agatha Simpson an ihm vorbei nach draußen rauschte.
*
Der ehemalige Behelfsflugplatz lag in einem hügeligen, vereinzelt von Baumgruppen, Büschen und Gestrüpp bestandenem Gebiet gut hundert Kilometer nördlich von London.
Im Prinzip war er direkt nach dem Krieg aufgegeben worden und seitdem in Vergessenheit geraten. Dann aber hatten ihn vor einigen Jahren jüngere Leute wiederentdeckt und notdürftig in Ordnung gebracht, um ihn für kleine Privatmaschinen zu nutzen. Die Behörden hatten keine Einwendungen vorgebracht, so hatte sich schließlich ein zwar relativ geringer, aber dennoch mehr oder weniger regelmäßiger Privatflugverkehr entwickelt, der insbesondere an Wochenenden zu verzeichnen war.
Josuah Parker kannte den kleinen Flugplatz von einem anderen Fall her, der sich vor einigen Jahren abgespielt hatte. Damals hatte ein Londoner Gangsterboß versucht, von hier aus mit seiner Privatmaschine in Richtung Kontinent zu entkommen, war aber im letzten Augenblick von Parker daran gehindert worden. Fast schien es so, als sollte sich eine Parallele zu dem länger zurückliegenden Fall entwickeln.
»Bei der Gelegenheit fällt mir ein, daß ich schon lange keine Maschine mehr selbst gesteuert habe«, machte sich Lady Agatha vom Rücksitz des hochbeinigen Monstrums bemerkbar. »Ich muß unbedingt mal wieder aktiv werden, Mister Parker.«
»Möglicherweise ergibt sich hierzu in der nahen Zukunft eine Gelegenheit, Mylady«, äußerte sich der Butler recht vage vom Volant her. Er erinnerte sich noch gut an die verschiedenen Male, als Agatha Simpson selbst zum Steuerknüppel gegriffen hatte.
Myladys Umgang mit der Technik war ein wenig ungewöhnlich, und ihre Flugmanöver wichen in bedenklicher Weise von der Norm und den üblichen Gepflogenheiten ab. Sie hatte auf ihren Flügen mühelos einigen erfahrenen Piloten das Fürchten beigebracht und ihnen auf diese Weise nahegelegt, sich einem anderen Beruf zuzuwenden.
»Sagten Sie nicht, dieser Lümmel verfügt über eine Privatmaschine?« erkundigte sich die energische Dame und beugte sich interessiert vor. »Nun, Mister Parker, ich werde diese Maschine konfiszieren und bis zu seiner Entlassung aus dem Gefängnis hegen und pflegen.«
»Eine durchaus löbliche Absicht, Mylady, die aber dennoch von den zuständigen Behörden möglicherweise mißverstanden werden könnte«, gab Parker zurück.
»Über kleinliche Bedenken setze ich mich natürlich hinweg«, kündigte sie an und wischte mit der Hand großzügig durch die Luft. »Ich beschlagnahme die Maschine einfach, Mister Parker. Man darf mit den Behörden nicht lange diskutieren, sondern muß sie vor vollendete Tatsachen stellen.«
»Eine Maxime, die Mylady in der Vergangenheit sehr oft und mit unterschiedlichem Erfolg vorgelebt haben«, stimmte Parker gemessen zu, während er aufmerksam die Umgebung der schmalen Straße zum Flugplatz beobachtete. Man war nicht mehr allzuweit davon entfernt, und der Butler ging davon aus, daß das Gelände unter der Beobachtung der Gangster und ihrer Helfershelfer stand.
»Ich hoffe, wir sind bald da«, bemerkte die Detektivin, während sie sich entspannt zurücklehnte. »Ich brenne darauf, diesem Lümmel meine Meinung zu sagen, Mister Parker. Ich nehme an, er wird versuchen, mich umzubringen, nicht wahr?« Sie empfand bei diesem Gedanken keinerlei Furcht, sondern betrachtete einen solchen Versuch lediglich als willkommene Abwechslung ihres Alltags.
»Damit dürfte durchaus zu rechnen sein, Mylady«, erwiderte Parker. »Mylady können davon ausgehen, die Drogenbäcker nachhaltig verärgert zu haben.«
»Sehr schön, Mister Parker, sehr schön«, freute sie sich. »Ist es noch weit?«
*
Die Straße wurde immer schmaler und war schließlich nur noch ein asphaltierter Weg, auf dem mit Mühe und Not ein Auto Platz hatte. Der Asphalt war an vielen Stellen aufgebrochen, Unkraut und Gras wucherten durch die Löcher. Links und rechts des Weges erhoben sich alte Bäume, deren Wipfel sich neigten und die Fahrspur verdunkelten.
»Schön gruselig«, stellte Lady Agatha nach einem Blick aus dem Seitenfenster fest. »Eigentlich der ideale Ort für einen Überfall.«
»Dem kann man sich nur anschließen«, sagte der Butler, während er die Scheinwerfer einschaltete. »Man sollte in der Tat damit rechnen, jeden Augenblick Ziel einer Attacke zu werden.«
»Es wird aber auch Zeit, ich beginne bereits, mich zu langweilen«, gab sie zurück. »Ich hoffe doch sehr, daß man sich diesmal etwas mehr Mühe gibt, Mister Parker.« In Lady Agathas Stimme schwang deutliche Besorgnis mit, die Gangster könnten den erwarteten Überfall nicht mit der nötigen Intensität besorgen.
Im Scheinwerferlicht von Parkers hochbeinigem Monstrum tauchte ein verrotteter Schlagbaum auf, der sich quer über den Weg spannte.
»Hier ist es«, bemerkte Lady Agatha im Brustton der Überzeugung. »Genau hier will man mich überfallen.«
Parker verzichtete auf eine Antwort. Er hatte links und rechts vom Schlagbaum Bewegungen in den Büschen am Wegrand wahrgenommen und richtete sich innerlich auf die Dinge ein, die unweigerlich kommen mußten.
Das ehemalige Londoner Taxi hielt vor der verrotteten Sperre, im gleichen Augenblick tauchten mehrere dunkel gekleidete Gestalten neben dem Wagen auf. Eine Maschinenpistole wurde gegen die Seitenscheibe auf der Fahrseite gepreßt. Ihr Besitzer klopfte zusätzlich mit den Fingerknöcheln gegen das Glas.
»Sie wünschen?« erkundigte sich der Butler, nachdem er die bordeigene Übertragungsanlage eingeschaltet hatte. Seine Stimme wurde durch einen versteckt angebrachten Lautsprecher nach draußen übertragen, so daß er die Scheibe an seiner Seite nicht zu öffnen brauchte. Das verblüffte und verärgerte den Klopfer, der fest mit dem Herunterkurbeln gerechnet hatte, um seine Maschinenpistole in den Fahrgastraum schieben zu können.
Auf Lady Agathas Seite versuchte ein anderer Mann, die Tür aufzureißen, was sich jedoch als unmöglich erwies. Parker hatte bereits beim Auftauchen der Barriere im Scheinwerferlicht die Zentralverriegelung eingeschaltet und so ein Öffnen von außen unmöglich gemacht.
Auch dieser Mann zeigte sich frustriert und starrte wütend auf die ältere Dame, die seinen Bemühungen mit einer gewissen Schadenfreude folgte und ihm sogar huldvoll zuwinkte.
Dieser Mann fand das alles andere als komisch und zeigte ihr daraufhin eine abgesägte Schrotflinte, deren Doppelläufe er gegen die Scheibe preßte. Die Detektivin war davon jedoch nicht sonderlich beeindruckt und zog einfach die Gardine zu, die in einer schmalen Schiene über der Tür befestigt war.
»Was kann und darf man für Sie tun?« machte Parker einen neuerlichen Versuch der Konversation.
Der Gangster neben seiner Tür öffnete den Mund und wollte etwas sagen, sah dann auf die nach wie vor geschlossene Scheibe und schüttelte den Kopf.
»Etwaige Äußerungen Ihrerseits würden durchaus Gehör finden, wie man Ihnen versichern darf«, ermunterte Parker ihn. »Ein entsprechendes technisches System wird Ihre Wünsche ins Wageninnere übertragen.«
»Na schön, Mann, versuchen wir’s mal.« Der Mann preßte sein Gesicht gegen die Scheibe und starrte den Butler grimmig an. »Siehst du, was ich hier in der Hand halte, du Komiker?« Er hob die Waffe und hielt sie demonstrativ in Parkers Gesichtsfeld.
»Eine sogenannte Uzzi«, bemerkte der Butler sachkundig über die bordeigene Übertragungsanlage. »Eine israelische Entwicklung – mit Verlaub – mit einem zweiunddreißigschüssigen Magazin. Man darf sicher davon ausgehen, daß Sie diese interessante Waffe aus einem Militärdepot entwendet haben, Sir.«
Der Mann mit der Uzzi war sichtlich verblüfft. Mit einer derartigen Antwort hatte er nicht gerechnet. Dann riß er sich zusammen und setzte das Gespräch fort. »Okay, du Schlauberger, wenn du dich so gut auskennst, dann weißt du bestimmt auch, was so’n Ding anrichten kann, Also mach’ besser die Tür auf, bevor ich sie perforiere, und dich dazu.«
»Man will mich also mit einer Maschinenpistole beschießen, Mister Parker?« bezog Agatha Simpson die Äußerung prompt auf sich und nickte. Sie wußte, wie die Unterwelt sie einschätzte und wunderte sich deshalb nicht über die Mittel, die gegen sie eingesetzt wurden.
»In der Tat, Mylady«, bemerkte Parker höflich und lüpfte andeutungsweise die Melone. »Man scheint Wert darauf zu legen, Myladys habhaft zu werden.«
»Was mich keinesfalls wundert, Mister Parker«, erwiderte sie selbstbewußt. »Diese Strolche wissen, daß ich ihnen dicht auf den Fersen bin und wollen mich aus dem Weg räumen.«
»He, spinnt ihr?« ereiferte sich der Uzzi-Liebhaber und gestikulierte wild vor Parkers Tür mit den Armen. Die kleine Unterhaltung zwischen Lady Agatha und dem Butler war nach draußen übertragen worden und hatte die um das ehemalige Taxi stehenden Gangster verunsichert.
»Bedauerlicherweise kann man Ihrem Wunsch nicht entsprechen, Sir«, teilte Parker dem MPi-Mann mit. »Es sei denn, Sie könnten noch bessere Argumente ins Feld führen.«
»Mann, ich säg’ die Kiste mit der Knarre entzwei«, brüllte der Gangster gereizt und verlor ein wenig die Kontrolle über sich.
»Dürfte man Ihnen mit einem kleinen Hinweis dienen, Sir?« fragte Parker höflich zurück. »Sowohl die Karosserie als auch die Glasflächen sind gepanzert, so daß Sie bei einem Beschuß mit Querschlägern und möglicherweise daraus resultierenden Verletzungen rechnen sollten. Einem Versuch Ihrerseits steht natürlich grundsätzlich nichts im Weg. Man wird anschließend mit bordeigenen Mitteln soweit wie möglich sogenannte Erste Hilfe leisten.«
»Nichts als Bluff!« brüllte der Mann mit der Schrotflinte an Lady Agathas Seite. Er drehte seine Waffe um, holte aus und schmetterte den Kolben gegen das Seitenfenster. Einen Moment später ließ er die Schrotflinte fallen und schrie auf.
Die solide Panzerscheibe hatte dem Kolben der Waffe mühelos standgehalten und diesen zurückprallen lassen. Darauf resultierte eine mittelschwere Prellung, die den Gangster veranlaßte, auf seine Waffe zu verzichten und einen improvisierten Tanz zu beginnen, zu dem er spitze Schreie ausstieß.
Die passionierte Detektivin beobachtete ihn interessiert und wandte sich dann an den Butler. »So etwas ähnliches habe ich schon mal gesehen, irgendwo in Afrika, Mister Parker«, erinnerte sie sich. »Ich glaube, es handelte sich um eine Art Fruchtbarkeitstanz.«
»In diesem Fall dürften die Motive anderweitig zu suchen sein«, vermutete Parker. »Dennoch ist eine gewisse Ähnlichkeit in der Tat unverkennbar.«
»Zum Teufel, was soll das eigentlich, wir wollen Ihnen doch gar nichts tun«, schwenkte der Mann mit der MPi um und trat von Parkers Wagen zurück.
»Demnach dürfte es sich bei Ihrem Auftritt um einen Irrtum handeln?« vergewisserte sich der Butler.
»Na klar, Mann, wir sollen euch nur nach Waffen abklopfen und dann zu Puccini bringen, mit dem sind Sie doch verabredet, oder?«
»In der Tat, Sir. Sie dürfen übrigens davon ausgehen, daß man keine Waffen bei sich führt, eine entsprechende Durchsuchung dürfte sich erübrigen.«
»Muß ich aber, ist mir extra aufgetragen worden«, widersprach der MPi-Träger. »Andererseits sieht man ja auf den ersten Blick, daß ihr harmlos seid. Ich denke, wir können’s riskieren.«
»Worunter Sie was verstehen, Sir?« erkundigte sich der Butler gemessen.
»Okay, macht die Türen auf, und wir steigen ein und bringen euch zu Puccini. Das mit der Waffendurchsuchung hat sich erledigt, denke ich.«
»Darf man Ihnen trauen, Sir?« vergewisserte sich Parker.
»Ich bitte Sie, wofür halten Sie uns denn?« Der Gangster warf sich förmlich in die Brust und hob abwehrend die Hände. »Wir sind doch keine Strolche, Mann, und das von vorhin war ’n Irrtum, wie gesagt.«
Parker schaltete die Übertragungsanlage für einen Moment aus und wandte sich zu seiner Herrin um.
»Man sollte die Herren möglicherweise zusteigen lassen, Mylady«, schlug er vor. »Man könnte sie dann im Wagen unter Kontrolle bringen.«
»Rein mit den Kerlen«, forderte die Lady resolut und tätschelte ihren perlenbestickten Handbeutel, der neben ihr auf dem Sitz lag.
»Ich werde den Herren schon Manieren beibringen.«
»Man wird Ihrem Vorschlag folgen, meine Herren«, äußerte sich Parker, nachdem er die Übertragungsanlage wieder aktiviert hatte. »Wenn Sie jetzt freundlicherweise zusteigen wollen?«
Josuah Parker hatte kaum die Arretierung der Zentralverriegelung gelöst, als auch schon die Türen aufgerissen wurden. Der Mpi-Träger war blitzschnell um den Wagen herumgerannt und warf sich schweratmend auf den Beifahrersitz. Einen Moment später spürte Parker die Mündung der Uzzi in der Seite.
Auch die hinteren Türen wurden schwungvoll geöffnet. Der Mann mit der Schrotflinte drängte Lady Agatha zur Sitzmitte und zwängte sich neben sie. Von der anderen Seite stieg ein weiterer Mann zu, so daß die ältere Dame eingerahmt war.
»Ich freue mich immer über nette Gesellschaft«, flötete die Detektivin und nickte nach links und rechts. »Ich denke, wir werden uns gut verstehen«, fuhr sie ein wenig zweideutig fort und lächelte versonnen.
»Das denken wir auch«, grinste der Mann mit der Schrotflinte, der sich inzwischen wieder einigermaßen von seiner Prellung erholt hatte, und preßte ihr die Doppelmündung in die füllige Seite.
*
»Sollte man nicht den Schlagbaum öffnen?« erkundigte sich Parker, ohne die Maschinenpistole zu beachten.
»Fahr einfach durch, der fällt schon zusammen, wenn man ihn nur scharf ansieht«, antwortete sein Beifahrer. »Und beeil’ dich, Opa, Sandro wartet schon auf uns.«
»Man darf sicher davon ausgehen, daß ihm seitens einer übergeordneten Stelle weitere Kräfte zugeteilt wurden, die bei der Beseitigung Myladys und meiner bescheidenen Wenigkeit helfen sollen.«
»Genau, Mann. Bist ’n schlaues Kerlchen ...« lobte der MPi-Besitzer. »Obwohl ich nicht verstehe, was der ganze Aufwand soll. Nur um zwei alte Leute einzufangen ... lächerlich so was.«
»Ich muß doch sehr bitten, junger Mann«, grollte Lady Agatha vom Rücksitz, der die ›alten Leute‹ keineswegs nicht gefielen.
Parker ließ die massive Stoßstange seines Privatwagens gegen den Schlagbaum prallen und diesen dadurch zur Seite räumen. Das Hindernis löste sich in seine Bestandteile auf und regnete in zahlreichen Splittern und Holzstücken auf den schadhaften Asphalt.
»Darf man Näheres über die weiteren Pläne Ihrer Firma erfahren, soweit Sie Mylady und meine bescheidene Wenigkeit betreffen?« setzte Parker das Gespräch fort.
»Oh, ganz einfach, ihr bekommt n kleinen Freiflug spendiert«, antwortete der Mann mit der Schrotflinte vom Rücksitz. »Ihr macht einen kleinen Hüpfer zum Kanal und geht dann baden.«
»Wobei Mister Puccini die Maschine steuert, Sir?« wollte der Butler wissen.
»So ist es.« Der Mann auf dem Beifahrersitz nickte zur Bestätigung. »Nachdem er es sich hat gefallen lassen, daß ihr beide seinen Verteilerring sprengt, muß er nun die Sache auch wieder in Ordnung bringen. Er hat ’ne Menge Ärger gehabt, der Junge ist nicht gut auf euch zu sprechen.«
»Man hat ihm seitens der übergeordneten Stellen eine Rüge erteilt?«
»Und ob, Mann, worauf du dich verlassen kannst. Die Sache hier ist seine letzte Chance, sonst ist er selber dran. Versager können die Bosse nicht leiden, da reagieren sie allergisch.«
Parker nickte zustimmend, genauso hatte er sich die Sache vorgestellt.
»Ihr werdet übrigens nicht allein sein, ihr bekommt Gesellschaft«, fuhr der Mann auf dem Beifahrersitz fort. »Wird euch doch recht sein, oder? Wie ich hörte, kennt ihr euch ja.«
»Sie drücken sich rätselhaft aus, Sir«, stellte Parker fest. »Wäre es möglich, deutlicher zu werden?«
»Aber klar doch, Mann, warum denn nicht?« Der Mpi-Träger war bester Laune und befand sich in Siegesstimmung. »Wir haben da so ’n junges Pärchen aufgegabelt, das hier rumgeschnüffelt hat. ’ne flotte Braut mit rötlichen Haaren und so’n komischer Typ, der auf lässig macht. Na, ihr wißt schon, wen ich meine, schließlich habt ihr die beiden ja vorausgeschickt.«
»Ich habe gleich gesagt, daß das zu gefährlich ist für die Kinder, Mister Parker«, machte sich Lady Agatha umgehend aus dem Fond bemerkbar. »Ich möchte, daß Sie etwas unternehmen und sie wieder befreien.«
»Na, wie ’n Kind sah die Kleine nicht gerade aus«, grinste der Mann rechts von der Lady und formte mit den Händen eine weibliche Figur. »Im Gegenteil, die schien mir ganz schön ausgewachsen zu sein.«
»Ich werde Sie persönlich zur Rechenschaft ziehen, wenn den Kindern etwas zugestoßen ist, Sie Subjekt«, grollte Lady Agatha und musterte ihn grimmig. »Ich hoffe in Ihrem Interesse, daß es ihnen gutgeht.«
»Im Augenblick schon noch«, machte der Mann mit der Schrotflinte deutlich. »Ob das nach dem Absprung über dem Kanal auch noch so ist, bezweifle ich.« Er lachte laut und schien sich bei diesem Gedanken prächtig zu amüsieren.
»Da vorn ist es schon«, erklärte der Beifahrer und wies mit dem Lauf seiner Waffe auf eine Baracke, die vor ihnen auftauchte. Rechts von ihr mündete der schmale Weg auf eine asphaltierte Fläche, auf der ganz hinten ein kleines Flugzeug zu erkennen war.
Josuah Parker ließ seine behandschuhte Linke über das reichhaltig ausgestattete Armaturenbrett gleiten und drückte unbemerkt von seinem Beifahrer einen kleinen unscheinbaren Knopf. Einen Augenblick später schrie der Mann neben ihm überrascht auf und faßte mit der Hand nach seiner Kehrseite, die ihn plötzlich schmerzte.
»Verdammt, was war das?« wollte er wissen und rieb intensiv an der Stelle, von der der Schmerz ausstrahlte.
Parkers Fuß fand einen Gummiball neben den Pedalen und trat ihn nieder. Daraufhin sahen sich auch die Gäste im Fond genötigt, ihre Hinterteile anzulüften und leicht aufzuschreien.
»Man bittet vielmals um Entschuldigung«, ließ sich Parker vernehmen, »aber die Sitze meines bescheidenen Wagens sind möglicherweise nicht mehr in bester Verfassung. Die Federn neigen bedauerlicherweise von Zeit zu Zeit dazu, sich unangenehm bemerkbar zu machen.«
»Das kann man wohl sagen.« Parkers Beifahrer hatte seine MPi neben sich zwischen Sitz und Tür geklemmt und bearbeitete die Einstichstelle mit beiden Händen.
Auch die Herren im Fond rieben sich intensiv die Kehrseiten. Augenblicke später allerdings erlahmten ihre Bemühungen und wichen einer gewissen Müdigkeit, die sich ihrer bemächtigte. Sie gähnten anhaltend, kuschelten sich in den Sitz zurück und schlossen die Augen.
Der Mann mit der Sehrotflinte schrak noch mal auf, fand die plötzlich einsetzende Müdigkeit nach dem Stich verdächtig und wollte seine Waffe auf Lady Agatha richten.
Die ältere Dame nahm sie ihm freundlich lächelnd aus der Hand und streichelte ihn ein wenig mit dem Kolben. Gleichzeitig sorgte dieser Kontakt dafür, daß sich der Mann endgültig zu einem Nickerchen entschloß.
Auch der Mann auf dem Beifahrersitz wollte noch mal die Initiative an sich reißen, aber Parker kam ihm zuvor. Der Butler lüftete kurz seine Melone und ließ die stahlblechgefütterte Wölbung auf seinen Hinterkopf fallen.
Der Mann sah ein, daß er müde war, ließ sich entspannt zurücksinken und produzierte einen Augenblick später ein diskretes, aber unüberhörbares Schnarchen.
*
»Ich freue mich, daß Sie meiner Einladung gefolgt sind.« Sandro Puccini, der Pizzeriabetreiber, stand vor der Baracke des ehemaligen Feldflugplatzes und verbeugte sich, nachdem er Lady Agatha die Tür geöffnet hatte und ihr beim Aussteigen behilflich gewesen war.
Neben Puccini stand ein vierschrötiger Mann um die vierzig und betrachtete Lady Agatha und Parker, der inzwischen gleichfalls das hochbeinige Monstrum verlassen hatte, mit lässiger Miene.
Über der Tür der Baracke flackerte eine Leuchtstoffröhre und verbreitete kaltes Licht.
»Diese Dummköpfe haben also nicht auf unsere Warnung gehört«, stellte der Vierschrötige fest, nachdem er seinen Platz neben Puccini aufgegeben und einen Blick in Parkers Wagen geworfen hatte.
»Was für eine Warnung, Sie Lümmel?« grollte die Detektivin und musterte ihn grimmig.
»Wir wissen natürlich, wer Sie sind, Mylady«, lächelte der Mann. »Wir haben die drei Narren ausdrücklich vor Ihren Tricks gewarnt, aber wie man sieht, war das alles umsonst. Die Leute haben sich von Ihnen leimen lassen.«
»Das war nicht schwer, Ihr Personal zählt nicht gerade zum besten«, kommentierte Agatha Simpson genüßlich und ein wenig schadenfroh.
»Auch wir müssen nehmen, was sich auf dem Markt bietet«, seufzte der Vierschrötige. »Da ist natürlich viel Ausschuß dabei.«
»Zu dem ich Sie auch zähle«, herrschte die ältere Dame ihn an. »Kriminelle Ihrer Sorte gehören für mich zum menschlichen Müll, damit wir uns da richtig verstehen.«
Der Vierschrötige lachte amüsiert. »Sie scheinen ein offenes Wort zu schätzen, Mylady, aber auch davon habe ich schon gehört. Nun, toben Sie sich ruhig aus, wenn es Ihnen hilft. Bald werden Sie ohnehin nichts mehr zu sagen haben.«
Er wandte sich an Sandro Puccini und befahl ihm etwas in einer fremden Sprache. Parker, der auch italienisch verstand, registrierte aufmerksam, daß der Vierschrötige das Kommando führte. Er hatte gerade dem Pizzeriabetreiber befohlen, die Maschine anzulassen und alles für den möglichst umgehenden Abflug vorzubereiten.
»Wo sind die Kinder, Sie Lümmel?« wollte die Detektivin wissen und musterte ihn unwirsch. »Ich hoffe nicht, daß Sie Ihnen etwas angetan haben, ich bin sehr nachtragend, junger Mann.«
»Ich zittere vor Ihnen, sehen Sie?« spottete der Vierschrötige und lachte hämisch. »Die junge Dame und ihr Galan sind gut untergebracht. Sie werden sie in Kürze wiedersehen, dann nämlich, wenn Sie alle zusammen in der Maschine sitzen und Ihre letzte Reise gemeinsam antreten.«
»Und Sie glauben, ich warte hier seelenruhig?«
»Oh, Sie haben durchaus die Wahl«, erwiderte der Vierschrötige. »Wenn Sie noch mal eine große Szene hinlegen wollen – bitte sehr... Aber ich warne Sie: Hinter mir am Fenster steht einer meiner Leute, der uns beobachtet. Sobald er sieht, daß Sie einen Angriff inszenieren, wird er abdrücken. Seine Waffe ist auf Ihre Bekannten gerichtet.«
Lady Agatha drehte sich um und musterte schweigend die hinter ihr liegende Baracke. Dann ging sie entschlossen darauf zu, baute sich vor dem Fenster auf, hinter dem sie schemenhaft einige menschliche Umrisse erkannte, und beschattete ihre Augen mit der Hand, um besser sehen zu können. Sie starrte angestrengt durch die dunkle Scheibe und nickte.
»Na schön, Sie Lümmel, und wie soll es jetzt weitergehen?« erkundigte sie sich, nachdem sie an ihren Platz zurückgekehrt war.
»So ist es in Ordnung«, lobte der Vierschrötige und lachte zufrieden. »So gefallen Sie mir, Mylady, friedlich und folgsam wie ein Lamm... ganz anders, als man Sie im allgemeinen in der Branche kennt.«
»Wie ist der weitere Verlauf des angebrochenen Abends, Sir?« erkundigte sich Parker gemessen.
»Oh, ganz einfach, Mister Parker«, teilte der Gangster mit. »In wenigen Minuten starten wir mit Ihnen allen an Bord, in einer Stunde sind wir über dem Kanal, tja, und das war’s dann wohl, wenigstens für Sie. Naja, irgendwann muß jeder mal dran glauben, also tragen Sie’s mit Fassung. Ich verdiene mir noch eine Sonderprämie mit Ihrem Tod. Sie wissen ja sicher, daß auf Ihre Köpfe ’ne nette Belohnung ausgesetzt ist.«
»Sie reden von jener Organisation, die gemeinhin als Mafia bezeichnet wird, Sir?« wollte Parker wissen. »Darf man fragen, welches Ihre Position innerhalb dieser Firma ist? Verzeihen Sie einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann die Neugier, aber .angesichts des nahenden Todes meiner bescheidenen Person könnten Sie vielleicht die Frage beantworten.«
»Warum nicht, alter Knabe, wenn ich Ihnen eine Freude damit mache?« Der Vierschrötige deutete eine Verbeugung an und zog einen nicht vorhandenen Hut. »Gestatten, Hank Foster, ich bin der Leiter einer Sonderabteilung, wir werden immer dann eingeschaltet, wenn es irgendwo brenzlig wird. Wir sind sozusagen die hauseigene Feuerwehr.« Er lachte laut und schien sich prächtig über diese Vorstellung zu amüsieren.
»Sie werden diesen Flug begleiten, um sich vom vorgesehenen Ablauf der Dinge zu überzeugen?« fuhr Parker seine Befragung unbeeindruckt fort.
»Aber nicht doch, das wird nicht nötig sein. In dieser Hinsicht haben wir volles Vertrauen zu Mister Puccini.«
»Erstaunlicherweise«, fand Parker. »Schließlich hat er Ihrer Organisation einige Probleme eingebracht. Wie man hört, neigt Ihre Firma nicht eben zum Vergeben und Vergessen.«
»Oh, in diesem Fall schon, Mister Parker, wir geben ihm ’ne echte Chance, seinen Fehler wieder gutzumachen. Wenn Sie beseitigt sind, hat er sich voll rehabilitiert.«
»Eine ungemein beruhigende Vorstellung für Mister Puccini«, bemerkte der Butler gemessen. »Er dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit erheblichen Schwierigkeiten gerechnet haben, unter Umständen sogar mit der eigenen Hinrichtung, wie Sie es wohl bezeichnen würden.«
»Er wird uns in Zukunft noch von großem Nutzen sein, das ist der Grund«, erläuterte Foster. »Als wir ihn ... äh verhörten, erfuhren wir von seiner Fluglizenz und seiner Maschine, und das veranlaßte uns, die Sache noch mal zu überdenken. Möglicherweise liegt seine Zukunft bei uns auf dem Nachschubsektor.«
»Sie gedenken also, ihn und seine Maschine für Kurierdienste einzusetzen, Sir?«
»Aber natürlich, Mister Parker, das bietet sich doch förmlich an.« Foster unterbrach sich, als er das Aufheulen der Triebwerke hörte.
»Es ist soweit, wenn ich bitten darf?« Er wies mit der Hand in Richtung Flugfeld und setzte sich selbst in Bewegung. Hinter ihnen wurde eine Tür geöffnet, Kathy Porter und Mike Rander traten heraus. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Zwei Männer stießen die Maschinenpistolen in die Rücken der Gefangenen.
»Nun, damit hätten wir ja alle Passagiere beisammen«, erklärte Hank Foster erfreut. »Dann steht dem Abflug ja nichts mehr im Weg.«
*
»Tut mir leid, Parker, wir haben uns wohl nicht eben mit Ruhm bekleckert«, entschuldigte sich Mike Rander, während er hinter dem Butler die schmale Gangway hochstieg.
»Des Schicksals Wege sind unergründlich, Sir«, philosophierte Josuah Parker gemessen. »Sie sollten sich über das Mißlingen Ihrer Mission weiter keine Gedanken machen.«
»Dazu habe ich auch nicht mehr allzuviel Zeit«, stellte der Anwalt sarkastisch fest. »Etwa ’ne Stunde noch, würde ich sagen.«
»Haltet keine Volksreden unterwegs, macht, daß ihr reinkommt«, meldete sich ein Gangster, der hinter ihnen die Leiter erklomm, zu Wort und stieß Rander den Lauf seiner MPi in den Rücken.
Bei der Maschine handelte es sich um ein zweimotoriges Turboprop-Flugzeug, das alles andere als eine kleine Sportmaschine war. Es war ein sogenanntes Geschäftsflugzeug, das über bemerkenswerte Reichweite verfügte und neben der Besatzung sechs bis acht Passagieren Platz bot.
»Mit der Kiste können die Strolche bequem ihren Nachschub aus dem Nahen Osten holen«, bemerkte Rander, während ihn einer der Gangster in einen Sessel drückte und mit einer Nylonschnur am Gestell des Sitzes festband.
Kathy Porter ging an ihnen vorbei und wurde zwei Sitze vor Rander und Parker untergebracht. Lady Agatha bekam einen Sitz ganz hinten zugewiesen und ließ sich schnaufend in den engen Sitz fallen.
»Was sind denn das für Kinderstühle?« beschwerte sie sich und versuchte, ihre Fülle einigermaßen auf dem schmalen Sitz zu verteilen. »Das ist höchstens vierte Klasse hier, wenn überhaupt.«
»Sie sollten sich über ganz andere Dinge Gedanken machen, Mylady«, regte Hank Foster an, der mit an Bord gekommen war und argwöhnisch die Unterbringung der unfreiwilligen Passagiere überwachte. »Vielleicht beten Sie schon mal, wenn ich Ihnen diesen Rat geben darf.«
»Sie werden von mir noch hören«, Sie Lümmel«, versprach die Lady ihm grollend. »So lasse ich nicht mit mir umgehen, das sollten Sie sich merken.«
»Na, in diesem Leben wird nichts mehr daraus«, grinste Foster und musterte sie hämisch. »In ’ner guten Stunde sitzen Sie schon als Engelchen auf ’ner Wolke und singen zur Harfe.«
»Das hätten Sie wohl gern.« Lady Agatha schüttelte entschieden den Kopf. »Wie gesagt, junger Mann, bereiten Sie sich schon mal darauf vor, daß wir uns demnächst wiedersehen, und dann werden Sie keine Geiseln haben, die mich zur Tatenlosigkeit verurteilen.«
»Ich möchte Ihnen nicht Ihre Illusionen rauben, Mylady.« Foster wandte sich ab und ging nach vorn, wo er im Cockpit verschwand. Dort wechselte er einige Worte mit Sandro Puccini, der als Pilot fungierte, und kam kurz danach wieder zurück.
»Tja, dann angenehme Reise«, wünschte er und musterte sie der Reihe nach. »Bedauerlicherweise kann ich Sie nicht begleiten, aber Sie werden Verständnis dafür haben. Dringende Geschäfte, Sie verstehen ... und außerdem bin ich sensibel, ich könnte nicht mit ansehen, wie Sie aus der Maschine fallen und ins Meer stürzen.«
»Und ihr meldet euch gleich nach der Landung zurück bei mir«, befahl er den beiden »Flugbegleitern«, die die Passagiere über See aus der Maschine werfen sollten. »Schließlich möchte ich vom guten Gelingen der Aktion bald hören, damit ich meine Prämie kassieren kann. Für euch fällt dabei auch einiges ab, wie ihr wißt.«
Hank Foster nickte den beiden Männern zu und verließ die Maschine. Einen Augenblick später hörte man, wie draußen die Gangway weggezogen wurde, während Sandro Puccini die Einstiegsluke verriegelte.
Er ging an ihnen vorbei zum Cockpit, wo er kurz stehenblieb und grinsend seine Passagiere musterte.
»Tja, das hätten Sie nicht gedacht, was? So schnell kann sich das Blatt wenden. Genießen Sie den Flug, meine Herrschaften! Mafia-Airlines wünscht Ihnen einen angenehmen Aufenthalt an Bord ihres Clippers in den Tod!« Er lachte höhnisch und verschwand in der Kanzel. Einen Moment später dröhnten die Motoren unter Vollast auf, und die Maschine ruckte an.
Sie nahm Geschwindigkeit auf und wurde immer schneller. Die Räder holperten und stießen über den nicht ganz ebenen Untergrund des Platzes und ließen das Flugzeug in allen Fugen und Nieten vibrieren. Schließlich hob sich die Nase, und die Räder lösten sich vom Boden. Einen Moment später schwebten sie über die Bäume am Ende des Platzes und gewannen langsam an Höhe.
»Ich hoffe, Sie lassen sich etwas einfallen, Mister Parker, schließlich ist es Ihre Schuld, daß wir uns in dieser Situation befinden«, grollte Lady Agatha aus dem Heck der Maschine, ohne sich um ihre Begleiter zu kümmern.
»Wie meinen Mylady?« erkundigte sich der Butler höflich.
»Ich habe gleich gesagt, lassen Sie die Kinder nicht allein gehen, aber Sie wollten ja nicht auf mich hören«, fuhr sie fort. »Also sehen Sie zu, wie wir hier wieder herauskommen.«
»Mylady sind das geborene Glückskind und werden das schwebende Verfahren meistern«, antwortete Parker zweideutig, ohne eine Miene zu verziehen.
*
»Wie wär’s mit ’nem kleinen Griff in Ihre Trickkiste. Parker?« flüsterte Mike Rander über die Schulter dem hinter ihm sitzenden Butler zu. »Schätze, allmählich wird es Zeit.«
»In der Tat, Sir, die fortschreitende Zeit macht gewisse Eingriffe in den geplanten Ablauf der Dinge erforderlich«, erwiderte Parker, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht bewegte.
Die Situation war alles andere als angenehm. Ein Blick aus dem Fenster zeigte deutlich, daß es inzwischen fast dunkel geworden war und die Maschine über See schwebte. Weit unter ihnen glitzerte die Oberfläche des englischen Kanals und vermittelte den Eindruck eines dunklen, unendlich großen Spiegels.
Die Cockpit-Tür öffnete sich. Sandro Puccini trat mit triumphierendem Grinsen in die kleine Kabine.
»Ich habe auf Autopilot geschaltet, damit ich Ihnen persönlich die frohe Kunde bringen kann, falls Sie es selbst noch nicht bemerkt haben«, verkündete er und schritt langsam die Sitze entlang. »Wenn Sie mal ’n Blick aus dem Fenster werfen, was da unten wie ’n Spiegel glitzert und blinkt, ist der Kanal. Und in den werden Sie in wenigen Minuten eintauchen, nachdem Sie die Maschine etwas unfreiwillig verlassen haben.«
»Wieviel Zeit wird uns noch vergönnt sein, Sir?« erkundigte sich Parker gemessen.
»Na, noch zehn Minuten.« Puccini warf einen Blick auf seine Armbanduhr und nickte. »Ja, zehn Minuten, das dürfte hinkommen. Wir sind noch zu nahe an der Küste, wir wollen nicht, daß Ihre Leichen so schnell gefunden werden. Von hier aus könnten sie schnell durch die Strömung an Land geschwemmt werden. Außerdem ist hier zuviel Schiffsverkehr, wir werden Sie deshalb weiter draußen ausladen.«
»Auch dort könnten sich Schiffe aufhalten, Sir«, gab Parker zu bedenken. »Immerhin gilt der Kanal als die meistbefahrene Schiffsroute der Welt.«
»Nun ja, irgendwo müssen wir Sie ja rausschmeißen.« Sandro Puccini zuckte die Achseln und wandte sich an die beiden »Flugbegleiter«, die ihr Gespräch unterbrochen hatten, um ihm zuzuhören. »Also paßt auf, in zehn Minuten ist es soweit. Ich gebe euch über die Lautsprecheranlage Bescheid, und dann werft ihr sie raus. Und denkt daran, was ich euch erklärt habe. Paßt an der Luke auf, daß ihr nicht vom Sog erfaßt werdet, sonst geht ihr mit auf die Reise. Benutzt die Gurte, die ich euch gezeigt habe, um euch vorsichtshalber festzuschnallen. Ich denke, ihr könnt schon mal unsere Passagiere vorbereiten.«
Sandro Puccini lachte, drehte sich um und ging ins Cockpit zurück.
Die beiden Männer erhoben sich. »Also, Leute, auf gehts«, sagte einer von ihnen. »Zeit für euer Bad, wir werden euch schon mal losbinden und zur Luke schaffen.«
Sie bauten sich neben Lady Agathas Sitz auf und lösten die Nylongurte, mit denen sie am Gestänge ihres Sessels fixiert worden war. »Dürfen wir bitten, Mylady?« lästerte der eine und deutete eine Verbeugung an.
»Dürfen Sie, Sie Lümmel!«
Lady Agathas Fuß schoß vor und die Kniescheibe des Spötters. Der Mann schrie auf und taumelte zurück, stieß gegen einen Sessel und ließ sich fallen, um sich hingebungsvoll der Massage seines mißhandelten Knies zu widmen.
Der zweite Kerl war einen Moment verwirrt, dann zog er blitzschnell die Pistole und drückte sie Lady Agatha in die Seite. »Sie sind ja ’ne verdammt muntere Oma«, knurrte er und musterte sie böse. »Aber bei mir kommen Sie mit solchen Mätzchen nicht durch.«
»Warum drücken Sie nicht ab, junger Mann?« grollte die Lady und sah ihn herausfordernd an. »Sie werden doch nicht etwa so intelligent sein und wissen, daß Ihre Kugel, sofern Sie irrtümlich die Bordwand durchschlägt, die Maschine zum Absturz bringen kann?«
Der Pistolenheld sah sie einen Augenblick unschlüssig an, aber sein Kollege, der sich inzwischen von Lady Agathas Tritt erholt hatte, ergriff die Initiative. Er stand neben Kathy Porter und drückte ihr ein Messer an den Hals. »Jetzt ist Schluß mit diesen Scherzen«, knurrte er wütend. »Wenn Sie sich nicht sofort anständig benehmen, Lady, wird die Kleine hier an Bord verbluten.«
»Nehmen Sie darauf keine Rücksicht, Mylady«, flüsterte Kathy Porter angestrengt. »Ist doch egal, wo ich sterbe, hier oben oder da unten.«
Mike Rander bäumte sich in seinen Nylonfesseln auf, aber die hielten seinen verzweifelten Anstrengungen stand.
»Na, willste noch mal den edlen Ritter und Beschützer spielen?« erkundigte sich der Mann mit dem Messer spöttisch. Dann beugte er sich blitzschnell vor, ballte die Faust und ließ sie gegen Randers Kinn krachen.
Kathy stöhnte unterdrückt auf und sah entsetzt auf den Anwalt, der in seinem Sitz zusammensackte.
»Eine außerordentlich mutige Tat, Sir«, bemerkte Josuah Parker.
»Halt bloß die Klappe, Mann, sonst kommst du auch noch an die Reihe«, zischte der Messerheld und musterte den Butler tückisch. »Bei mir zieht die vornehme Masche nicht, so was stinkt mir sowieso, kapiert?«
»Ihre Ausdrucksweise ist zwar im ordinären Bereich angesiedelt, nichtsdestotrotz jedoch ungemein deutlich«, stimmte Parker zu.
»Ich bin sehr enttäuscht, Mister Parker«, wandte sich Lady Agatha an ihren Butler. »Fällt Ihnen nichts mehr ein, um uns aus dieser Lage zu befreien?«
»Was kann man denn schon von so ’nem klapprigen Kerl erwarten?« höhnte der Pistolenmann und winkte in Richtung Luke.
*
Parkers Rechte tastete über die gestärkte Manschette des Ärmels und befühlte dessen vorderen Saum, unter dem sich ein dünner, mit winzigen Diamantsplittern besetzter Draht befand und auf seinen Einsatz wartete. Während Lady Agatha sich im Hintergrund der Kabine mit dem Pistolenmann stritt und der Messerheld neben Kathy Porters Sitz ebenfalls abgelenkt war, zog der Butler diesen Draht heraus und streckte die Unterarme vor, um ihn an Mike Randers Nylonschnüren, die die Metallstreben des Sitzes umspannten, zu erreichen.
Da seine Oberarme durch die eigene Fesselung blockiert und an den Sitz geschnürt waren, war die Bewegungsfreiheit der Unterarme nicht allzugroß. Aber Parker verfügte über eine erstaunliche Gelenkigkeit.
Die winzigen Diamantzähne fraßen sich in die Nylonschnüre, die um die linke Stütze vor Parker gewunden waren, und zertrennten sie. Einen Moment später fielen sie zu Boden, und Parker beugte sich, so weit das überhaupt möglich war, etwas vor.
»Ihre Arme sind frei, Sir«, flüsterte er Rander erstaunlich kurz und bündig zu. »Wenn Sie sie jetzt freundlicherweise nach hinten strecken würden, um meine bescheidene Wenigkeit zu befreien?«
Kathy Porter ahnte instinktiv, daß hinter ihrem Rücken etwas vorging. Deshalb versuchte sie alles, um den Mann neben ihrem Sitz abzulenken.
»Wenn Sie mich nicht runterwerfen, haben Sie ’ne Freundin fürs Leben gewonnen«, strahlte sie den Mann mit dem Messer an und spannte ihren Oberkörper, so gut es ging. »Und ’n bißchen Erspartes hab’ ich auch, außerdem erbe ich.«
»Is’ wahr?« Der Gangster leckte sich die Lippen und starrte auf Kathy s Blusenausschnitt. Seine Augen waren von dem, was sich seinen Blicken bot, gänzlich gefangen.
Mike Rander wand die Arme nach hinten und streckte Parker die Hände entgegen. Der Butler legte den Diamantdraht hinein und begann die Hände des Anwalts an seine Fesseln zu dirigieren. Einen Augenblick später waren auch Randers Hände frei, kurz darauf auch die Fußfesseln.
In diesem Moment meldete sich die Lautsprecheranlage. »Los, Jungs, es ist soweit! Schmeißt sie runter!« befahl Sandro Puccini aus dem Cockpit. »Wir fliegen langsam genug, daß es eigentlich keine Probleme geben dürfte.«
»Na endlich.« Der Mann mit der Pistole winkte Lady Agatha unmißverständlich Richtung Luke. In diesem Augenblick erhob sich Parker und zückte seine Melone. Die stahlgefütterte Kopfbedeckung sauste wie eine Frisbeescheibe durch die Luft, steuerte zielsicher auf den Mann mit der Pistole und klatschte ihm ins Genick.
Der Kontakt hatte Folgen. Der Gangster glaubte, von einem mittleren Baumstamm getroffen worden zu sein und ließ die Pistole fallen.
Lady Agatha fing sie geistesgegenwärtig auf und steckte sie in den Gürtel ihres sackähnlichen Gewandes. Der Gangster legte sich in der Zwischenzeit auf den Kabinenboden zur Ruhepause.
»Das war aber höchste Zeit, Mister Parker«, monierte sie und kam den Gang herunter.
Die Detektivin hatte die Absicht, sich umgehend ins Cockpit zu begeben und Sandro Puccini zur Rechenschaft zu ziehen.
Einen Augenblick mußte sie allerdings noch warten. Vor ihr war der Anwalt damit beschäftigt, dem Messerhelden die Meinung zu sagen.
Als sich Parker erhob, um seine Melone auf den Weg zu bringen, war Mike Rander gleichzeitig aufgesprungen und hatte sich auf den Gegner gestürzt. Der hatte im letzten Moment etwas geahnt und war zu Mike Rander herumgefahren, das Messer in Bereitschaft. Mike Rander unterlief den Gegenangriff des Mannes und setzte ihm die Handkante in die Halsbeuge.
»Nicht schlecht, mein lieber Junge, aber trotzdem, Sie sollten wieder mehr trainieren«, kommentierte Lady Agatha und nickte dem Anwalt zu.
»Man kann unmöglich so gut in Form sein wie Mylady«, reagierte Rander ironisch und deutete eine Verbeugung an. »Ich werde mir jedenfalls Ihren Rat zu Herzen nehmen und in Zukunft wieder mehr Sport treiben.«
»Aber jetzt sollten Sie sich lieber erst mal um das Kindchen kümmern«, verlangte die Lady und nickte in Richtung Kathy Porter. »Es ist ja ganz durcheinander.«
Sie zwängte sich an dem Anwalt vorbei, erreichte das Cockpit und riß das Schott auf.
Einen Moment später geriet die Maschine ins Trudeln und stürzte mit aufheulenden Motoren dem Meer entgegen.
*
Die Insassen wurden wie Puppen durcheinandergewirbelt. Mike Rander schlug mit dem Kopf gegen das Gestänge eines Sitzes und verlor vorübergehend das Bewußtsein. Kathy Porter stürzte auf einen der am Boden liegenden Gangster, der gerade wieder aufgewacht war und die Situation geistesgegenwärtig ausnutzte. Er schlang die Arme um die junge Frau und preßte sie eng an sich. Gleichzeitig versuchte er, in seiner Tasche an ein Messer zu kommen.
Sein Komplice erwachte ebenfalls, als er gegen die Bordwand geschleudert und dadurch nachhaltig in die Realität zurückgeholt wurde. Er sah den Butler, der sich eine Armlänge entfernt an einen Sitz klammerte, und beschloß, die günstige Gelegenheit zu nutzen und das Blatt noch mal zu wenden.
Er kauerte sich zusammen, drückte die Füße gegen die Bordwand und stieß sich ab. Wie von einem Katapult abgefeuert, schoß er auf den Butler zu und wollte ihm die vorgestreckten Fäuste in den Solarplexus rammen, aber Parker war schneller.
Seine innere Alarmanlage hatte ihm die drohende Gefahr gemeldet und ihn veranlaßt, rechtzeitig zu reagieren. Er löste eine Hand von dem haltspendenden Sitz, lüftete die Melone, die er wieder an sich genommen hatte, hielt sie vor die bedrohte Körpermitte und erwartete den Angriff des Gegners.
Die Fäuste des Gangsters trafen auf die Melone, die dank ihrer Stahlblechfütterung über eine gewisse Solidität verfügte, rutschten daran ab und fühlten intensiven Schmerz, der ihren Besitzer zu einem lauten Aufschrei veranlaßte. Er segelte, da Parker höflich beiseite trat, an diesem vorbei und absolvierte eine mißglückte Bauchlandung.
Der Gangster zog sich erneut ins Reich der Träume zurück und spielte nicht mehr mit.
Im Cockpit kümmerte sich Lady Agatha um die Steuerung der Maschine. Daraufhin hob sich steil die Nase des kleinen Flugzeuges, die Motoren heulten auf, und die Maschine schien sich förmlich in den dunklen Himmel bohren zu wollen.
Das hatte in der Kabine Folgen. Der Mann unter Kathy Porter mußte die junge Frau loslassen und nach einem Halt suchen. Bevor er aber begriff, in welcher Gefahr er schwebte, traf ihn Kathys Handkante und setzte ihn matt.
Als die Maschine einen Augenblick ruhig in der Luft lag, was möglicherweise damit zusammenhing, daß Lady Agatha im Cockpit gleichfalls aus dem Gleichgewicht geraten war, konnte sich Sandro Puccini der Steuerung widmen und diese wieder austrimmen.
Parker nutzte diesen Moment relativ ruhiger Fluglage und versah die »Flugbegleiter« mit breiten, zähen Klebestreifen, die er den unergründlichen Tiefen seiner Covercoat-Innentaschen entnommen hatte. Die Gangster waren bestens versorgt und klebten mittels des starken Bandes an zwei Sitzen fest, so daß sie vom weiteren Geschehen an Bord ausgeschlossen waren.
Parker ging einen Moment in sich und prüfte blitzschnell die Möglichkeiten. Er zog dabei auch Lady Agathas Aufenthalt im Cockpit ins Kalkül und kam zu dem Ergebnis, daß dies keinesfalls die Gefahrenquelle war, die ihm seine Alarmanlage anzeigte.
»Was ist los, Parker?« erkundigte sich Mike Rander, der aufgewacht war und sich stöhnend aufrichtete, um seinen schmerzenden Schädel zu reiben. »Ist irgendwas?« Dann fiel ihm wieder ein, was ihn außer Gefecht gesetzt hatte, und er sprang erschrocken auf. »Mein Gott, Mylady ist im Cockpit«, sagte er. »Wir müssen sie rauskriegen. Parker, wenn wir wieder heil nach Hause kommen wollen.«
»Könnten Sie sich möglicherweise dieser Aufgabe widmen, Sir?« erkundigte sich Parker höflich. »Meine bescheidene Wenigkeit möchte sich einer dringlicheren Aufgabe widmen.«
»Die welche wäre?« fragte Rander, der schon auf dem Weg nach vorn war. Er kannte den Butler gut genug, um zu wissen, daß es noch eine andere große Gefahr an Bord gab.
»Man fragt sich, warum Mister Foster nicht mitflog, um die Erledigung der Mission persönlich zu überwachen«, antwortete Parker gemessen, während er sich aufmerksam in der Kabine umsah.
»Na, weil er keine Lust dazu hatte oder dringend nach London zurück mußte, dafür gibt es doch Gründe genug«, reagierte Mike Rander stirnrunzelnd. »Daran kann ich eigentlich nichts Verdächtiges entdecken, Parker.«
»In den Augen der Organisation hat Mister Puccini versagt, indem er nicht verhinderte, daß sich Mylady und meine bescheidene Wenigkeit intensiver mit ihm befaßten«, gab Parker zu bedenken. »Er hat es nicht geschafft, diese Gefahrenquelle aus dem Weg zu räumen und hat die unerwünschte Aufmerksamkeit Außenstehender auf sich und seinen Verteilerring gezogen. Die Erfahrung lehrt, daß die Firma, wie diese kriminelle Organisation gerne verharmlosend genannt wird, solche Fehler niemals verzeiht, sondern – mit Verlaub – rigoros bestraft.«
»Verdammt, Parker, worauf wollen Sie hinaus?«
Mike Rander, der mit Parker lange in den Vereinigten Staaten zusammengearbeitet hatte, konnte sich ihm gegenüber diesen Ton erlauben. Die beiden Männer kannten und schätzten sich und wußten, was sie voneinander zu halten hatten.
»Mister Puccini hat außerdem seine Firma in deren Augen hintergangen, indem er sowohl seine Pilotenlizenz als auch den Besitz dieser Maschine verschwieg«, führte Parker weiter aus. »Das alles zusammengenommen dürfte ausreichen, um ihm endgültig das Vertrauen zu entziehen.«
»Und wie?« Mike Rander ahnte, was der Butler dachte, wollte es aber aus Parkers Mund hören.
»Eine Bombe an Bord dieser Maschine würde aus der Sicht dieser obskuren Firma eine Reihe von Problemen lösen«, wurde Parker deutlich. »Man wäre mit Sicherheit einige unliebsame Neugierige los und gleichzeitig auch einen nicht mehr vertrauenswürdigen Mitarbeiter. Denken Sie daran, Sir, wie relativ leicht es fiel, die begleitenden Herren zu überwältigen. Sie dürften nicht unbedingt die erste Garnitur repräsentieren, die sonst für die Firma arbeitet, also entbehrlich sein. Es könnten Statisten sein, die mitgeopfert werden.«
»Mann, Parker, sehen Sie zu, daß Sie diese Bombe finden! Die muß doch jeden Augenblick hochgehen, wenn sie existiert. Ich wette, in dem Fall ist sie so eingestellt, daß sie hier über dem Kanal zündet.«
»In der Tat, Sir. Wenn Sie sicherstellen würden, daß meine Suche nicht unnötigerweise durch unkonventionelle Flugmanöver behindert wird?«
*
»Das ist ja wohl der Gipfel!« Lady Agatha musterte die Tasche mit dem Metallbehälter und schüttelte den Kopf.
Parker hatte die unauffällige kleine Tasche, die das Emblem und den Schriftzug einer bekannten Fluglinie trug, unter einem der hinteren Sitze entdeckt und hervorgeholt. Der Behälter darin machte einen ausgesprochen unverdächtigen Eindruck und sah aus wie eine Thermosflasche. Das Ticken, das aus dem Inneren kam, war sehr leise und kaum zu hören.
Parker versenkte den Behälter wieder vorsichtig in der Tasche und ging damit zum Einstieg.
»Wenn Sie sich jetzt auf Ihre Sitze begeben und sich festschnallen würden?« bat er, während er nach dem Verschluß des schmalen Einstiegs faßte. »Nach dem Öffnen des Schotts dürfte sich ein gewisser Sog störend bemerkbar machen.«
»Seien Sie vorsichtig, Parker!« Mike Rander hatte in einem Sitz nahe dem Einstieg Platz genommen und sicherte den Butler mit einer Nylonschnur.
»Beeilen Sie sich, Mann, das verdammte Ding muß jeden Augenblick hochgehen!« keuchte einer der »Flugbegleiter«, die inzwischen aufgewacht waren und zuerst ungläubig, dann wütend und schließlich voller Angst Parkers Suche nach der Bombe und deren Entdeckung mitverfolgt hatten.
Mike Rander hatte Sandro Puccini im Cockpit informiert und angewiesen, die Maschine so ruhig und langsam wie nur möglich zu fliegen, damit Parker die Bombe ungefährdet nach draußen befördern konnte.
Der Butler zog das Schott auf. Sofort fuhr ein eisiger Wind in die Kabine. Der Sog zerrte an Parkers Kleidern und wollte ihn nach draußen zerren, aber die Nylonseile erwiesen sich als stabil und hielten.
Parker holte aus, schleuderte die Tasche nach draußen und sah einen Augenblick zu, wie sie nach unten stürzte.
In der Kabine konnte er deutlich das Aufatmen der Insassen hören, denen mit dem Verschwinden der Bombe eine Zentnerlast vom Herzen fiel.
Josuah Parker verriegelte wieder das Schott und löste die Nylonschnüre von seiner Taille.
Eine Minute später wurde die Maschine heftig durchgeschüttelt. Sie geriet ins Taumeln, schmierte über eine Tragfläche ab und ging in rasanten Sturzflug über.
»Die Bombe scheint hochgegangen zu sein«, bemerkte Mike Rander sarkastisch, während er sich festklammerte. »Das war wirklich in letzter Sekunde, Parker!«
»In der Tat, Sir«, gab Parker ihm recht. »Glücklicherweise war es meiner bescheidenen Wenigkeit vergönnt, den Sprengkörper rechtzeitig zu finden.«
»Ich wäre früher drauf gekommen«, meldete sich Lady Agatha zu Wort, »aber ich will nicht länger darauf herumreiten, Mister Parker.«
»Man dankt für Myladys Verständnis«, erwiderte Parker gemessen, während sich die Fluglage der Maschine stabilisierte, da sie Sandro Puccini im Cockpit wieder in den Griff bekommen hatte. »Mylady erreichen zu wollen, wäre ein vergebliches Unterfangen.«
»Das haben Sie schön gesagt, Mister Parker.« Sie nickte und erhob sich. »Ich werde jetzt nach vom gehen und die Führung übernehmen, damit wir nach Hause kommen.«
»Mister Puccini vermittelte durchaus den Eindruck einer gewissen fliegerischen Kompetenz, Mylady«, gab Parker zu bedenken. »Während sich Mylady hier entspannen und vielleicht etwas Medizin zu sich nehmen könnten, dürfte Mister Puccini die Maschine sicher zurückbringen.«
»Nun ja, das mit der Medizin ist keine schlechte Idee, Mister Parker«, fand die Lady und sah ihn nachdenklich an. »Die Aufregung hat meinen Kreislauf doch etwas durcheinander gebracht.«
Kathy Porter und Mike Rander atmeten erleichtert auf und blickten sich aufmunternd an, als die Lady fortfuhr. »Andererseits, Mister Parker, die Medizin kann ich auch vorn im Cockpit nehmen, während ich die Maschine steuere. Ich möchte in Übung bleiben, und deshalb kann ich mir diese Gelegenheit einfach nicht entgehen lassen.«
Sie nickte ihrem Butler erneut zu und ging entschlossen in Richtung Cockpit.
»Äh, Sie haben Erfahrung mit diesem Muster?« erkundige sich Mike Rander ein wenig nervös.
»Natürlich, mein lieber Junge, ich bitte Sie!« Agatha Simpson blieb an der Cockpit-Tür stehen, drehte sich noch mal zur Kabine hin um und sah den Anwalt kopfschüttelnd an. »Ich bin eine erfahrene Pilotin, das sollte sich inzwischen herumgesprochen haben«, rügte sie und drohte ihm schelmisch mit dem Finger.
»Eben deshalb«, murmelte Kathy Porter, die eine leichte Schwäche in sich aufsteigen spürte und sich in einen Sitz fallen ließ, um sich sorgfältig festzuschnallen. Sie wußte, daß ihr gewisse Turbulenzen bevorstanden und wollte sich wenigstens einigermaßen dagegen sichern.
»Gerade diesen Typ habe ich sehr oft geflogen«, behauptete die Lady unverfroren und lächelte versonnen. »Es dürfte ein ausgesprochener Fluggenuß werden.«
Das befürchtete auch Parker, der Myladys Flugkünste nur zu gut kannte. Er hatte bereits mehrfach Gelegenheit, das besonders innige Verhältnis seiner Herrin zur Technik kennenzulernen.
»Sie sollten sich auch etwas entspannen«, schlug Kathy Porter vor. »Im Grund ist die Fliegerei doch nichts als ermüdende, langweilige Routine, die Sie getrost Mister Puccini überlassen können.«
»Da haben Sie nicht ganz unrecht, Kindchen«, stimmte die Lady ihr zu. »Aber man muß eben Opfer bringen und auch mal Dinge tun, die nicht so interessant sind. Und wie gesagt, ich muß in der Übung bleiben, außerdem muß ich für meine Lizenz ja auch Stunden nachweisen.«
»Ist Ihre Lizenz nicht schon seit Jahren abgelaufen?« erinnerte sich Mike Rander.
»Im Prinzip schon, mein lieber Junge, ich hatte einfach nicht die Zeit, mich um ihre Erneuerung zu kümmern«, gab die Detektivin zurück. »Außerdem hasse ich bürokratischen Kleinkram, der jedesmal erforderlich ist, um sie neu bestätigen zu lassen. Lächerliche Prinzipienreiterei ist das, wenn Sie mich fragen. Wenn ich nicht die Voraussetzungen dafür erfülle, wer denn dann?«
»Eine durchaus berechtigte Frage«, meinte Josuah Parker wider besseres Wissen. »Myladys souveräner Umgang mit Technik macht jegliche Lizensierung zu einem überflüssigen Akt der Bürokratie.«
»So sehe ich das auch, Mister Parker«, erwiderte Mylady lächelnd, während sie die Cockpittür öffnete. »Entspannen Sie sich ruhig, ich übernehme das Steuer.«
Mit dieser Ankündigung verschwand sie in der Kanzel.
Einer der Gangster räusperte sich und wandte sich fragend an Parker. »Kann die Lady wirklich fliegen?«
»In etwa schon«, gab der Butler eine etwas ausweichende Antwort. »Mylady pflegt einen etwas unkonventionellen Flugstil.«
»Was soll das heißen?« wollte der zweite Gangster wissen, der durch diese Auskunft ein wenig beunruhigt wirkte. »Kann sie nun fliegen oder nicht?«
»Sie sollten sich überraschen lassen, Sir«, empfahl Parker ihm, der die Gurte der Kerle noch mal überprüfte. »Ihnen steht ein unvergeßliches Erlebnis bevor, wenn man es mal so ausdrücken darf.«
*
Der kleine Frachter hatte vor drei Stunden den Hafen von Ostende verlassen und war auf dem Weg nach Dover. Der Kapitän stand auf der Brücke seines etwas altersschwachen Schiffes und sog gedankenverloren an der Pfeife.
Er wollte sich gerade wieder unter Deck begeben, als Motorenlärm an seine Ohren drang.
Er legte die Pfeife ab und starrte über die Wasseroberfläche, die im Mondlicht silbern blinkte, aber er konnte nichts entdecken. Schließlich wurde ihm klar, daß das Geräusch von einem Flugzeug stammte, und er legte den Kopf in den Nacken, um den Himmel abzusuchen.
Steuerbord voraus tauchte ein Schatten auf, der sich schnell näherte. An seiner Unterseite blinkten Positionslichter und verrieten, daß der Schatten ein Flugzeug war, das jeden Augenblick über dem Schiff sein mußte.
Der Kapitän stellte erst verwundert und schließlich besorgt fest, daß das Flugzeug an Höhe verlor und sich bedenklich der Wasseroberfläche näherte. Er überlegte gerade, ob er den Funker anweisen sollte, einen Spruch an die britische Behörden abzusetzen, da sich das Flugzeug vermutlich in Not befand, als es auch schon heran war.
Das Motorengeräusch schwoll an. Dicht über den Masten des kleinen Dampfers brauste die zweimotorige Maschine dahin und schaukelte den Frachter gehörig durch.
Die Wasseroberfläche kräuselte sich, kleine Wellenberge überspülten die Bordwände des Schiffes, dann war das Flugzeug schon wieder Hunderte von Metern entfernt und gewann mit aufheulenden Triebwerken an Höhe.
Der Kapitän erhob sich fluchend von den glitschigen Planken, auf die er sich reaktionsschnell hätte fallen lassen, und suchte nach seiner Pfeife.
Das Flugzeug war verschwunden. Nur noch entfernt klingendes Summen erinnerte daran, daß es überhaupt existiert hatte.
Der Kapitän beschloß, den Vorfall zu vergessen und aus seinem Gedächtnis zu streichen.
Er ließ sich von einem Matrosen ablösen und stieg nach unten in seine Kabine, um bei einem Gläschen Rum seinem Gedächtnis beim Verdrängen dieses seltsamen Erlebnisses zu helfen.
*
»Können Sie denn nicht aufpassen?« fuhr Lady Agatha etwa zur gleichen Zeit, als der Kapitän des kleinen Frachters sein Rumglas an die Lippen setzte, Sandro Puccini im Cockpit des Flugzeuges an. »Fast wären wir im Wasser gelandet, weil Sie geträumt haben.«
»Na, hören Sie mal, Sie haben doch das Ruder an sich gerissen und die Maschine aus dem Kurs gebracht«, protestierte der verdatterte Italiener umgehend und sah die Lady wütend an. »Überhaupt wäre es mir lieber, wenn Sie aus dem Cockpit verschwinden würden, Sie sind eine Gefahr für uns alle hier an Bord!«
»Das ist eine Beleidigung!« Agatha Simpson maß den Piloten mit blitzenden Augen und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Aber gut, ich will nicht so sein und Ihre Unverschämtheit vergessen«, kündigte sie an und stemmte sich aus dem Sitz. »Ich sehe nur mal nach den Passagieren und hoffe, Sie können die Maschine auf Kurs halten.«
Sie nickte hoheitsvoll und stieß die Tür um Passagierraum auf.
»Alles in Ordnung hier?« erkundigte sie sich mit ihrer baritonell gefärbten Stimme.
»Mir war so, als wären wir eben knapp über dem Wasser gewesen«, ließ Mike Rander vernehmen. »Einem Schiff müßten wir ziemlich nahe gekommen sein, hatte ich den Eindruck.«
»Papperlapapp, dieser Lümmel im Cockpit hat mich für einen Augenblick abgelenkt«, erklärte sie ungeniert und winkte nonchalant ab. »Er fiel mir ins Steuer und wollte die Führung der Maschine an sich reißen.«
»Mylady verhinderten im letzten Augenblick eine Katastrophe?« vermutete Parker, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten, ausdruckslosen Gesicht bewegte. Der Butler ahnte, was sich abgespielt hatte und ging davon aus, daß es Sandro Puccini gewesen war, der die Maschine hatte abfangen können.
»So ist es, Mister Parker«, nickte die ältere Dame. »Zum Glück konnte ich noch rechtzeitig eingreifen und die Maschine hochreißen.«
Damit drehte sie sich um und ging entschlossen ins Cockpit zurück.
»Um Himmels willen, Parker, unternehmen Sie was!« forderte Mike Rander und sah den Butler an. »Gehen Sie ins Cockpit und halten Sie Mylady von ihrem Vorhaben ab.«
Die Maschine huschte über den nur als heller Fleck erkennbaren ehemaligen Feldflugplatz.
Josuah Parker hatte sich unbemerkt von Lady Agatha und Sandro Puccini ins Cockpit begeben.
Er sah durch die Verglasung und stellte fest, daß die Maschine bereits über den Bereich des ehemaligen Feldflugplatzes hinausgeraten war. Außerdem vermißte er auf der Instrumententafel ein bestimmtes Licht, das kurz vor einer Landung unbedingt zu sehen sein sollte.
Er räusperte sich diskret und äußerte gemessen seine Ansicht. »Sollte man nicht besser das Fahrwerk ausfahren?« erkundigte er sich. Das fehlende Leuchtsignal war die Anzeige dafür und sollte nach dem Ausfahren und Arretieren desselben leuchten.
»Genau das wollte ich gerade dem Lümmel hier klarmachen, Mister Parker«, behauptete Lady Agatha und sah unwillig zu dem zitternden Puccini hinüber. »Muß ich Ihnen denn alles vorkauen, junger Mann?«
»Aber hören Sie mal, ich war es, der Ihnen sagen wollte, daß das Fahrwerk raus muß. Sie lassen mich ja nicht zu Wort kommen«, empörte sich der Pilot.
»War das eine Beleidigung, Mister Parker?« erkundigte sie sich und drehte sich zu Sandro Puccini herum.
»Keineswegs und mitnichten, Mylady«, erwiderte Parker ruhig. »Wenn Mylady gestatten?« Der Butler trat etwas vor, beugte sich nach vorn und zog das Steuer energisch an. Die Nase der Maschine, die eben noch steil abwärts gerichtet war, hob sich und bohrte sich in den Himmel. Der eben noch bedenklich nahe Boden sank unter der Maschine zurück und ging auf Distanz.
Lady Agatha blickte stirnrunzelnd aus dem Fenster und wandte sich dann um. »Was soll das, Mister Parker?«
»Meine bescheidene Wenigkeit glaubte einen Augenblick, der Boden wäre schon zu nahe«, entschuldigte er sich, während er die Melone lüftete. »Aber das war möglicherweise ein Irrtum.«
»So ist es, Mister Parker, ich habe die Situation nämlich vollständig unter Kontrolle«, behauptete sie und starrte auf die kleine rote Lampe, die auf dem Instrumentenbrett leuchtete. »Was bedeutet das, Sie Lümmel, haben wir etwa kein Benzin mehr?« erkundigte sie sich bei dem entnervten Puccini.
»Es handelt sich lediglich um das Signal, daß Mylady zwischenzeitlich die Landeklappen ausgefahren haben«, griff Parker vermittelnd ein.
»Ich weiß, Mister Parker, ich wollte dieses Subjekt lediglich mal prüfen«, gab sie zurück und winkte ab. »Jetzt stören Sie mich nicht weiter, da unten liegt die Landebahn.«
Agatha Simpson griff ins Steuer und drückte es energisch nach vorn. Die Flugzeugnase senkte sich gehorsam und zielte die Landepiste an, die Parker einwandfrei als Landstraße identifizierte. Auch Sandro Puccini auf dem Pilotensitz erkannte Myladys Irrtum und wollte sie darauf aufmerksam machen, aber die energische Dame winkte ab. »Still, ich muß mich konzentrieren«, sagte sie und sah aus zusammengekniffenen Augen auf die Landebahn, die eine Straße war.
Sandro Puccini hielt sich eine Hand vor den Mund und stand auf. Er wankte an Parker vorbei und taumelte in die hintere Kabine. »Mir ist schlecht«, begründete er sein Tun.
Parker ließ sich auf Puccinis Platz nieder und kontrollierte die Instrumente. Dann faßte er nach dem Steuer an seiner Seite und korrigierte diskret den Kurs der Maschine.
»Irgendwie fühlt sich die Steuerung jetzt so schwerfällig an«, beschwerte sich Lady Agatha nach geraumer Zeit. »Ich habe den Eindruck, sie gehorcht mir nicht mehr.«
»Mylady unterliegen sicher nur einer Sinnestäuschung«, vermutete Parker. »Mylady haben die Situation wie stets im Griff.«
»Stimmt, Mister Parker, wir werden gleich aufsetzen.« Sie sah zufrieden auf die Straße unter ihr und war wieder mal höchst zufrieden mit sich.
Wenig später sah Parker den ehemaligen Flugplatz, richtete die Maschine vorsichtig aus und steuerte ruhig und mit ausdrucksloser Miene die Piste an. Er saß stocksteif und aufrecht auf seinem Sitz und schien nie etwas anderes getan zu haben als Flugzeuge zu steuern.
Einen Moment später berührten die Räder den Boden und rumpelten über den nicht mehr allzu ebenen Asphalt. Lady Agatha nickte zufrieden und drehte sich lächelnd zu Parker um.
»Na, Mister Parker, war das eine Landung?« fragte die ältere Dame. »Sie geben doch zu, daß Sie noch nie so sanft aufgesetzt haben.«
»In der Tat, Mylady.« Parker erhob sich und warf einen letzten Blick aus dem Fenster. »Dürfte man Mylady übrigens auf die Baracke aufmerksam machen?« erkundigte er sich höflich.
»Welche Baracke, Mister Parker?« reagierte Lady Agatha irritiert.
Sie hatte ein wenig mit dem Gashebel gespielt, den der Butler bereits zurückgezogen hatte. Daraufhin hatten die Motoren noch mal an Drehzahl gewonnen und die Maschine vorwärts gezogen, obwohl sie schon ausgerollt war, als sich Parker erhob.
»Jenes holzverfertigte Gebäude, Mylady«, antwortete Parker und deutete aus der Cockpitverglasung, vor der die Flugplatzbaracke plötzlich aufwuchs.
Die Nase der Maschine bohrte sich in die baufällige Halle und ließ sie erbeben. Einen Moment später stürzte sie krachend zusammen und war nur noch ein ungeordneter Bretterhaufen.
»Die Bremsen sind nicht in Ordnung, Mister Parker«, urteilte sie, während sie sich erhob. »Ein Glück, daß ich am Steuer saß. Bei einem Anfänger hätte das böse ausgehen können.«
»Mylady sind einfach bewundernswert«, bescheinigte Parker ihr und verneigte sich höflich, während Agatha Simpson an ihm vorbei in die Kabine rauschte.
»Wir sind glücklich gelandet«, verkündete sie und sah sich lächelnd um.
Mylady wirkte leicht irritiert, als sie keine Antwort erhielt. Die beiden Gangster gaben sich noch immer ihrer Ohnmacht hin. Sandro Puccini lag in einem Sessel und stöhnte leise. Kathy Porter hatte sich eng an Mike Rander geschmiegt und die Augen geschlossen, während der Anwalt mit bleichem Gesicht nach draußen starrte.
»Undank ist der Welt Lohn«, seufzte die energische Dame und ging ins Cockpit zurück, um den Butler an einen Kreislaufbeschleuniger zu erinnern.
*
»Eigentlich müßte ich sauer auf Sie sein, Mylady, weil Sie sich wieder mal Polizeibefugnisse angemaßt haben, aber ich will ein Auge zudrücken«, erklärte Chief-Superintendent McWarden, der keinesfalls zufällig vorbeigekommen war.
In der vergangenen Nacht war er, nachdem er von Parker telefonisch Nachricht erhalten hatte, mit einigen Beamten auf dem Feldflugplatz nördlich von London erschienen und hatte Sandro Puccini und seine Helfershelfer, die als Ted Willcox und Jack Snyders identifiziert wurden, in Gewahrsam genommen.
»Was heißt angemaßt, mein lieber McWarden?« Die Hausherrin, die gerade beim Frühstück saß und sich mit Torte, Keksen und sonstigem Gebäck begnügte, lächelte herablassend. »Ohne mich, mein Lieber, stünde Scotland Yard wieder mal mit leeren Händen da.« Sie betrachtete prüfend ein Stück Cremetorte und entschied dann, daß diese geballte Kalorienladung durchaus zu ihrem Diätplan paßte. Der Einfachheit halber nahm sie gleich zwei Stücke und setzte ihre Kuchengabel in Tätigkeit.
»Darüber mag ich nicht mit Ihnen streiten. Auf jeden Fall möchte ich mich aber bei Ihnen bedanken.« McWarden hatte nicht die Absicht, mit Mylady einen Disput zu führen, was die ältere Dame ein wenig ärgerte, da sie die Wortgefechte mit dem Mann vom Yard außerordentlich liebte.
»Dieser Puccini ist zwar nur ein verhältnismäßig kleiner Fisch«, fuhr McWarden fort, »aber dafür hat er sich einen höchst gefährlichen Verteilerring einfallen lassen. Wir haben bis jetzt sechs Schulhausmeister und vier Hilfskräfte verhaften können, deren Namen und Anschriften er uns nannte. Der Mann ist wild darauf, seinen Bossen zu schaden, nachdem sie ihm das Kuckucksei in Form dieser Bombe in seine Maschine schmuggelten.«
Der Chief-Superintendent sah sich wohlgefällig auf dem Tisch um und spießte mit seiner Gabel ein Stück Käsetorte auf.
»Denken Sie an Ihre Figur«, mahnte Lady Agatha besorgt. »Sie werden zu dick, mein Lieber. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«
»Ich darf ja davon ausgehen, daß diese Torte so gut wie keine Kalorien enthält?« lächelte McWarden. »Schließlich halten Mylady doch strenge Diät...«
»Im Prinzip stimmt das schon, aber was für mich gut ist, taugt nicht automatisch auch für Sie.« Lady Agatha preßte die Lippen zusammen, als sie sah, wie McWarden auch noch die Cremetorte heranzog.
»Mir wird schlecht, Mister Parker«, teilte sie dem Butler mit, der den Schwächeanfall seiner Herrin bereits vorausgesehen hatte. Er servierte ihr umgehend einen alten französischen Cognac.
»Apropo Aufklärung«, fuhr McWarden fort, der in der festen Absicht gekommen war, sich auf keinen Fall provozieren zu lassen. »Es wäre natürlich schön, wenn wir auch an Puccinis Hinterleute herankämen. Sie wissen, die Bekämpfung der Drogenkriminalität ist unser Hauptanliegen.«
»Die Medien werden wie vereinbart über das Verschwinden der Privatmaschine und über eine geheimnisvolle Explosion über dem Kanal berichten?« erkundigte sich Parker gemessen.
»Genauso, wie wir es vereinbart haben, Mister Parker«, bestätigte McWarden. »In den Nachmittagszeitungen werden bereits die ersten Berichte mit Kommentaren erscheinen. Die Gangster müssen glauben, daß ihr mieser Plan geklappt hat und sowohl Sie wie Mylady, Miß Porter und Mister Rander als auch Puccini und die beiden Schläger längst als Wasserleichen irgendwo im Kanal treiben.«
»Das werde ich den Strolchen teuer heimzahlen«, grollte Agatha Simpson und richtete sich bei dieser Ankündigung unwillkürlich auf. »Eine Unverschämtheit, mich in dieser Jahreszeit über dem Kanal in die Luft sprengen zu wollen! Das Wasser muß doch eiskalt sein.«
»Sie haben die Maschine abtransportieren lassen?« fragte Parker weiter, während er seiner Herrin, die bei dem Gedanken an ein eiskaltes Erlebnis zu frösteln begonnen hatte, einen weiteren wärmespendenden Cognac servierte.
»Selbstverständlich, Mister Parker. Inzwischen hat auch die Besatzung eines Schnellboots das Auffischen diverser Flugzeugwrackteile gemeldet, die natürlich zu weiteren Untersuchungen abgeholt wurden. Auch das wird in der Nachmittagspresse zu lesen sein.«
Chief-Superintendent McWarden und die zuständige Abteilung des Yard waren Parkers Anregungen gefolgt und hatte alles seinen Vorstellungen entsprechend eingerichtet.
»Man muß kreativ sein und viel Phantasie entwickeln, wenn man das Verbrechen wirksam bekämpfen will«, dozierte die Hausherrin und hob zur Unterstreichung ihrer Thesen den Zeigefinger. »Das heißt, wenn man sich nicht mit den kleinen Fischen begnügen, sondern die Drahtzieher haben will. Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel, ich habe dies oft genug demonstriert.«
»Wofür wir Mylady außerordentlich dankbar sind«, bemerkte McWarden und drehte sich schnell zur Seite, um den aufsteigenden Heiterkeitsausbruch zu verbergen.
»Sie können Mylady möglicherweise mit einem namentlichen Hinweis dienen, was den oder die sogenannten Drahtzieher betrifft, Sir?« erkundigte sich Parker, nachdem McWarden wieder ansprechbar war.
»Ein gewisser Frank Masters, Mister Parker. Aber Vorsicht, dieser Mann ist gefährlich wie ’ne gereizte Giftschlange. Sie wissen, ich darf keine Informationen weitergeben, die mir dienstlich zur Kenntnis gelangt sind, nicht wahr?«
Der Yard-Beamte nestelte in seiner Tasche herum und brachte ein großes Tuch zum Vorschein, mit dem er sich umständlich die Nase putzte. Bei dieser Gelegenheit rutschte ein kleiner Zettel heraus, der ganz zufälligerweise einige Angaben zu dem erwähnten Frank Masters bot.
*
»Nun, Mister Parker, was habe ich herausgefunden?« erkundigte sich Lady Agatha, als Parker nach Shepherd’s Market zurückkehrte. Der Butler hatte sich mit Horace Pickett, dem ehemaligen Eigentumsumverteiler, getroffen, der ihm weitere Informationen über Frank Masters, den Mann im Hintergrund der Crack-Drogen-Gangster beschafft hatte.
»Wie Mylady bereits wissen, betreibt Mister Masters nicht nur einen lukrativen Immobilienhandel, sondern ist auch als Gemüse- und Obstgroßhändler tätig. Er besitzt eigene landwirtschaftliche Betriebe und Gewächshäuser, die ihn mit den entsprechenden Produkten versorgen.«
»Und was sagt mir das, Mister Parker?« Lady Agatha war nicht zufrieden, mit dem was sie zu hören bekam.
»Mister Picketts Informationen zufolge wurde ein Betrieb südlich von London in jüngster Zeit mehrmals von Lieferwagen des Mister Puccini angefahren. Auch ein gewisser Mister Hank Foster soll dort oft gesehen worden sein«, teilte Parker mit. »Die betroffene Firma verfügt über Sicherheitseinrichtungen, die keineswegs und mitnichten zu einem landwirtschaftlichen Betrieb passen wollen.«
»Und was bedeutet das nun, Mister Parker«, reagierte sie ungeduldig und wedelte mit der Hand durch die Luft.
»Mylady gehen sicher davon aus, daß dieser Betrieb als Herstellungsort oder zumindest Lagerplatz gewisser Drogen dient«, erläuterte Parker. »Hiervon möchten sich Mylady aber möglicherweise selbst überzeugen.«
»So ist es, Mister Parker.« Agatha Simpson straffte sich und richtete sich entschlossen auf. »Ich möchte umgehend aufbrechen, Mister Parker. Ich brenne darauf, diese Räuberhöhle auszuräuchern.«
»Sollte man eventuell Mister McWarden benachrichtigen?« erkundigte sich Parker höflich.
»Auf keinen Fall, Mister Parker! Nein, die Sache muß ich allein durchstehen, nur so ist sichergestellt, daß es auch klappt.«
»Wie Mylady meinen.« Parker deutete eine Verbeugung an und entfernte sich, um gewisse Vorbereitungen zu treffen.
*
Mylady schüttelte mißbilligend den Kopf. Parker hatte sie vor der Abfahrt davon in Kenntnis gesetzt, daß auch Kathy Porter und Mike Rander dabeisein würden. Die beiden jungen Leute waren der Ansicht, daß sie mit den Gangstern noch eine Rechnung zu begleichen hatten.
Die ältere Dame richtete im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum ihren Blick aus dem Rückfenster. Hinter dem ehemaligen Londoner Taxi löste sich Kathy Porter roter Mini-Cooper vom Straßenrand und folgte Parkers Privatwagen.
»Nun gut, Mister Parker, aber ich bitte darum, daß Sie diesmal besser auf die Kinder aufpassen«, grollte sie. »Ich möchte nicht noch mal erleben, daß sie in die Hände von Banditen fallen.«
»Meine Wenigkeit wird ihr Bestes tun, Mylady«, versprach Josuah Parker, der das hochbeinige Monstrum auf eine in Richtung Süden führende Ausfallstraße lenkte.
Eine Stunde später hatten sie das Weichbild der Stadt verlassen und rollten durch ländliches Gebiet. Um sie her häuften sich Wiesen, Felder und vereinzelte Busch- und Baumgruppen, nur hin und wieder tauchte ein kleines Haus auf, das bewies, daß die Gegend nicht ganz verlassen war.
In einem schmalen Seitenweg, der von der Hauptstraße abzweigte und zu einem Eichenwäldchen führte, wartete ein Lieferwagen auf sie, der laut Beschriftung einem Londoner Obst- und Gemüsehandel gehörte.
Neben diesem Lieferwagen stand Horace Pickett, der bei ihrer Ankunft grüßend die Kappe lüftete, die er trug.
Parker stoppte seinen Privatwagen hinter dem Gemüsetransporter und stieg aus. »Ich freue mich, Sie zu sehen, Mister Pickett«, begrüßte er den ehemaligen Eigentumsumverteiler. »Sie haben auch für meine bescheidene Wenigkeit die gewünschte Kleidung bereitgestellt?«
»Aber natürlich, Mister Parker. Wenn Sie sich freundlicherweise hier herein begeben würden?« Pickett öffnete die hinteren Türen des Lieferwagens und wies einladend nach innen.
»Was hat Mister Parker denn wieder vor?« wunderte sich Lady Agatha, als sie sah, wie der Butler im Lieferwagen verschwand. Sie wandte sich mit dieser Frage an Kathy Porter, die ihren Mini-Cooper hinter das ehemalige Londoner Taxi gelenkt hatte und zu ihr in das hochbeinige Monstrum gestiegen war, um sie zu begrüßen.
Fünf Minuten später öffneten sich die Türen des Lieferwagens erneut, und Parker stieg aus. Er hatte sich in einen typischen Gärtner verwandelt und trug grünes Drillichzeug, hohe Gummistiefel, eine wadenlange Schürze und wie Pickett eine speckig aussehende Lederkappe. Ein ungepflegt wirkender Schnauzbart hing zu beiden Seiten des Mundes herab. Im Mundwinkel klemmte eine kurze Pfeife, der mächtige Rauchwolken entstiegen.
Agatha Simpson starrte den Gärtner verblüfft an und kurbelte das Fenster herunter, um ihn heranzuwinken. »Sagen Sie, guter Mann, was treibt mein Butler da drin?« erkundigte sie sich und zuckte zurück, als der Gärtner eine dichte übelriechende Qualmwolke in ihre Richtung trieb.
»’n Butler in meinem Wagen, Lady?« nuschelte der Gärtner und kratzte sich mit dem Pfeifenstiel hinter dem Ohr. »Irren’se sich da nich, oder wollende ’n alten Mann aufn Arm nehmen?«
»Mein Butler ist da drin«, grollte die Lady, während Kathy Porter begriff und sich kichernd abwandte.
»Man bittet um Verzeihung, Mylady, man wollte lediglich die Glaubwürdigkeit der Maske testen«, entschuldigte sich der vermeintliche Gärtner und zog seine Kappe.
Agatha Simpson sah ihn verblüfft an und musterte ihn grimmig. »Sie konnten mich mit dieser Maskerade keinen Augenblick täuschen, Mister Parker. Ich wollte Ihnen nur nicht den Spaß verderben.«
»Mylady sind zu gütig«, bedankte sich Parker gemessen, und in seinem glatten Pokergesicht verzog sich kein Muskel.
*
»Was ist los?« erkundigte sich der untersetzte Mann, der am Tor der Gärtnerei erschienen war. Er führte zwei gefährlich aussehende Doggen an der Leine und war, wie Horace Pickett mit fachmännischem Blick bemerkte, bewaffnet.
»’tschuldigen Sie, Sir«, bemerkte Pickett und tippte mit dem Finger an seine Kappe, »kommen hier zufällig vorbei, mein Partner und ich, und wollten nur mal fragen, ob Sie frische Gurken, Blumenkohl und ...«
»Nein, haben wir nicht, Mann, kriegen wir auch nicht mehr rein.« Der Untersetzte bückte sich, um die Hunde von der Leine zu lassen. Einen Moment später stemmten sich die großen Tiere mit den Pfoten gegen das Drahtgitter des Zaunes und sahen Pickett aus blutunterlaufenen Augen an.
»Ärger, Fred?« erkundigte sich der zweite Gärtner, der ebenfalls den Lieferwagen verlassen hatte. Er griff in seine Schürzentasche und brachte eine unförmige Zigarre zum Vorschein, die er sich in den Mund steckte, ohne sie jedoch anzustecken.
»Der gute Mann hat anscheinend schlechte Laune«, beklagte sich Pickett bei seinem Partner, »dabei hab’ ich ihn bloß nach Ware gefragt, wenn wir schon mal hier vorbeikommen.«
»Und? Hat er, was wir brauchen?« fragte der Gärtner mit dem Schnauzbart. Er nahm seine Zigarre aus dem Mund, betrachtete sie prüfend und richtete dann die Spitze auf die beiden Hunde, die nach wie vor ihre Pfoten gegen das Gitter stemmten und die beiden Gärtner knurrend musterten.
Eine Sekunde später schoß ein dünner, fast durchsichtiger Strahl aus der Spitze der Zigarre den Hunden in die Gesichter. Sie heulten auf, ließen die Pfoten vom Gitter rutschen und fuhren sich damit über Nasen und Augen. Fast zu gleicher Zeit brachen sie in kollektive Tränen aus und setzten sich auf die Hinterteile, um sich ausgiebig der Pflege ihrer Gesichter zu widmen. Danach gähnten sie wiederum fast gleichzeitig, rollten zur Seite und streckten die Glieder von sich. Schnarchen zeugte davon, daß sie fest schliefen.
Der Untersetzte starrte verblüfft auf seine Vierbeiner und schüttelte den Kopf. Dann begriff er, daß da etwas nicht stimmte, und wollte sich absetzen. Aber Horace Pickett hatte das vorausgesehen und reagierte bereits. Den Spazierstock, den er bei sich führte, schob er durch das Gitter und verhakte ihn im Revers des Hundeführers. Pickett zog kräftig und holte den Mann an das Gitter heran. Einen Moment später war er entwaffnet und blickte in die Mündung seiner eigenen Pistole.
»Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, uns aufzumachen?« bat Horace Pickett.
»Ich ... also hören Sie mal...« Der Untersetzte wußte nicht, was er sagen sollte, und machte sich mit zitternden Fingern daran, das Tor zu öffnen.
Josuah Parker zog die beiden Hunde hinter ein Gebüsch und sorgte dafür, daß sie nicht entdeckt werden konnten. Dann machte er sich mit Horace Pickett auf den Weg ins Innere der Gärtnerei.
Sie benutzten dazu das kleine Elektromobil, auf dem der Hundeführer mit seinen Doggen an der Leine zum Tor gekommen war. Das Gefährt bewegte sich nahezu lautlos und würde sie nicht verraten.
*
»Zum Teufel, was ist das für ein Lärm?« Frank Masters, groß, schlank, ein Mann um die fünfzig, der mit seinem maßgeschneiderten, grauen Anzug wie die Verkörperung des erfolgreichen Unternehmers aussah, blickte auf und schüttelte den Kopf. Er stand am Ende des Gewächshauses mit Hank Foster und überprüfte gewisse Vorräte, die in der nächsten Nacht in verschiedene englische Großstädte geschafft werden sollten.
Es handelte sich um Kartons, die kleine, unscheinbar wirkende »Kekse« enthielten, das in Mode gekommene Crack. In verschiedenen Pizzerien und Kleinbäckereien, die Masters kontrollierte, wurde es hergestellt und danach hier eingelagert, bis es zur endgültigen Verteilung gelangte.
»Hört sich an wie’n Automotor«, stellte Hank Foster fest und lauschte angestrengt nach draußen.
»Das höre ich selbst. Geh raus und sieh nach, was da los ist«, befahl der Elegante und wandte sich wieder dem Kistenstapel zu, der auf einer Palette ruhte und auf den Abtransport wartete. Er zählte die Kartons durch, verglich das Ergebnis mit einer Liste, die er auf einem Klemmbrett befestigt hatte, und nickte zufrieden.
Hank Foster verließ das Gewächshaus und wollte zu dem schmalen Weg gehen, der das Gelände der Gärtnerei durchzog und zum Haupttor führte.
Er kam jedoch nicht weit. Plötzlich tauchte am Ende des Weges ein Wagen auf und raste auf ihn zu. Der schwarze Kasten schlingerte von einer Seite zur anderen und machte den Eindruck, außer Kontrolle geraten zu sein.
Hinter den Rädern spritzten Kies und Erdbrocken nach allen Seiten davon.
Hank Foster schätzte die Entfernung ab und erkannte, daß er handeln mußte. Er hechelte reaktionsschnell zur Seite, landete in einem Rosenstrauch und fluchte laut. Diverse Dornen bohrten sich in seine Haut und brachten ihm kleine Wunden bei.
Nur eine Armlänge entfernt donnerte der schwarze Kasten vorbei und überschüttete ihn mit einem Hagel von Steinen, Grassoden und Erdbrocken. Foster rang keuchend nach Luft und rieb sich den Dreck aus den Augen. Verwirrt starrte er hinter dem eckigen Fahrzeug her, das ihm merkwürdig bekannt vorkam.
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»Mylady, das Treibhaus!« rief Kathy Porter, die neben Agatha Simpson auf dem Beifahrersitz saß, und deutete mit dem ausgestreckten Arm nach vorn.
»Aber Kindchen, das sehe ich doch.« Die ältere Dame lachte amüsiert über Kathys Warnung und gab erneut Gas. Sie steuerte zielsicher auf die offene Tür des Treibhauses zu und war felsenfest davon überzeugt, daß sie breit genug sei, um das ehemalige Taxi durchzulassen.
»Das klappt nie, Mylady, Sie müssen bremsen!« drängte Kathy Porter.
»Ach, wirklich?« wunderte sich Agatha Simpson. Sie langte nach dem Pompadour, den sie an den Rückspiegel gehängt hatte, steuerte mit einer Hand weiter und griff mit der anderen nach ihrer Lorgnette.
Sie hielt die antiquierte Sehhilfe vor die Augen und mußte einräumen, daß ihre Gesellschafterin und Sekretärin recht hatte.
Die Detektivin stemmte ihren Fuß auf die Bremse und riß das Steuer nach rechts. Sie hatte die Absicht, den Weg zu verlassen und vor dem Treibhaus seitlich auszuweichen.
Die Geschwindigkeit des Wagens und der rutschige Untergrund machten ihr jedoch einen Strich durch die Rechnung.
Das Heck schwang herum, krachte gegen die Front des Treibhauses direkt neben der Tür und testete bei dieser Gelegenheit dessen Festigkeit. Das Glas war dem Ansturm nicht gewachsen und gab nach. Es klirrte, als es auseinanderbarst. Dann regnete ein Hagel aus Splittern auf das ehemalige Londoner Taxi.
Lady Agatha schüttelte den Kopf und stieß die Tür auf, um auszusteigen. Sie hatte die Absicht, den Betreiber des Glashauses zur Rechenschaft zu ziehen und ihn der vorsätzlichen Unfallverursachung anzuklagen.
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»Sie also sind dieser Lümmel, der die Halbwüchsigen mit Drogen versorgt«, stellte sie einen Moment später fest und musterte den überraschten Frank Masters grimmig.
»Wer sind Sie denn?« erkundigte der Mann sich amüsiert, nachdem er den ersten Schrecken überwunden hatte. Seine Hand kroch Unter einen Karton und umfaßte eine dort deponierte Pistole, die er stets und für alle Fälle mit sich führte.
»Ich bin Lady Simpson, junger Mann. Ich werde Ihnen jetzt mal zeigen, was ich von einem Strolch halte.«
Lady Agatha brachte ihren Pompadour in Schwingung und nahm mit den Augen Maß.
»Gar nichts werden Sie«, fauchte der so seriös wirkende elegante Mann und riß die Pistole hervor. Er zielte damit auf die Lady und lächelte schadenfroh. »Lassen Sie diesen lächerlichen Beutel fallen, den brauchen Sie nicht mehr«, befahl er und winkte ungeduldig mit der Waffe.
Einen Moment später schrie er überrascht auf. Ungläubig starrte er auf den kleinen, bunt gefiederten Pfeil in seinem Unterarm. Er ließ die Waffe fallen und hob den Arm, um den Pfeil vor die Augen zu halten.
Er wollte nicht glauben, was er sah. Den Pfeil herauszuziehen, traute er sich aber doch nicht. Der Ärmel seines eleganten Maßanzuges färbte sich rot und ließ seinen Träger, als der es bemerkte, erblassen.
»Gestatten Sie, Sir?« Parker hatte sich unbemerkt von allen Anwesenden genähert und zog vor dem Gangsterboß die Melone.
»Mister Frank Masters, wie zu vermuten ist?« Der Mann war nicht imstande zu antworten, sondern starrte nur stumm auf den Pfeil.
Hinter Parker tauchten Mike Rander und Horace Pickett auf, die jeweils einen Gangster vor sich hertrieben. Die beiden Männer hatten das Gelände der kleinen Gärtnerei abgesucht und dabei die Kerle aufgescheucht, die wohl zur Absicherung des Anwesens abkommandiert waren.
»Stellen Sie sich nur nicht so an!« fauchte Agatha Simpson und trat vor den immer noch sprachlosen Gangsterboß. Sie ließ ihre Hand vorschnellen, ergriff den kleinen Pfeil und riß ihn mit einem Ruck heraus.
Frank Masters erwachte in diesem Augenblick aus seinem Schockzustand und starrte die Lady verwirrt an. Dann klärte sich sein Blick, er begriff seine Situation und warf sich auf den Absätzen herum, um zu fliehen.
Lady Agatha erspähte eine große Melone, riß sie hoch und zielte sorgfältig. Wie ein geübter Diskuswerfer schleuderte sie die saftige Frucht hinter dem Fliehenden her.
Die Melone erwischte den Eleganten im Genick und brachte ihn ins Taumeln.
Während er um sein Gleichgewicht kämpfte und sich Mylady mit neuer Munition versorgte, wandte sich Parker an Horace Pickett.
»Sie haben zwischenzeitlich auch Mister McWarden verständigt?« erkundigte er sich.
»Er müßte jeden Augenblick hier sein, Mister Parker.«
Die zweite Melone war unterwegs und rauschte auf Frank Masters zu. Der hatte das große Loch, das Mylady in die Front gezaubert hatte, erreicht und wollte sich hindurchzwängen. Die vollreife Frucht klatschte dicht neben ihm gegen restliche Glasfragmente und platzte auseinander. Sie spritzte dem Gangster ins Gesicht und raubte ihm die Sicht.
In diesem Augenblick tauchte vor dem Treibhaus, direkt dem Drogenhändler gegenüber, McWarden auf, dessen stets leicht gereizt wirkende Gesichtszüge unverkennbar waren.
Die Melone war groß genug und versorgte auch McWarden ausgiebig mit Fruchtfleisch, das sich auf Gesicht und Oberkörper des Chief-Superintendent verteilte.
Masters und McWarden kamen fast gleichzeitig ins Rutschen, als ihre Füße auf Melonenstücken ausglitten. Sie fielen sich gegenseitig in die Arme.
»Man kann Mylady zu diesem Treffer nur gratulieren«, wandte sich Parker an seine Herrin und verbeugte sich respektvoll. »Mylady haben Mister McWarden das Wild sozusagen direkt in die Arme getrieben!«