Читать книгу Butler Parker Staffel 22 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 9

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Lady Agatha nickte wohlwollend.

Sie hatte das kalte Büfett erspäht und blitzschnell zur Kenntnis genommen, welche Köstlichkeiten da angeboten wurden. Man hatte sich außerordentlich große Mühe gegeben und alles aufgeboten, was Küche und Keller anzubieten vermochten.

»Ich werde diesen Verlockungen selbstverständlich widerstehen, Mister Parker«, sagte sie zu ihrem Butler, der in steif-korrekter Haltung hinter ihr stand. »Ich werde Ihnen wieder mal demonstrieren, was Selbstbeherrschung ist.«

Agatha Simpson war eine majestätische Erscheinung, groß, füllig und strotzend vor Energie. Sie hatte das sechzigste Lebensjahr überschritten, war in der Londoner Society eine überaus bekannte Erscheinung und berühmtberüchtigt wegen ihrer unkonventionellen Art. Immens vermögend, konnte sie sich jede Extravaganz leisten. Sie trat grundsätzlich in jedes erreichbare Fettnäpfchen, sagte stets das, was sie gerade dachte und hielt sich für eine einmalige Detektivin.

Die ältere Dame war zu einem Empfang erschienen, den eine amerikanische Handelsgesellschaft gab. Alles, was Rang und Namen in Wirtschaft und Politik hatte, war erschienen. Lady Agatha grüßte hoheitsvoll und auch wohlwollend, plauderte und musterte immer wieder die Köstlichkeiten auf dem meterlangen Büfett. Sie hatte sich seit geraumer Zeit einer strengen Diät unterzogen, wie sie behauptete.

»Wann wird das Büfett endlich eröffnet?« fragte sie grollend ihren Butler. »Mister Parker, ich hoffe nicht, daß ich mir noch ein paar langweilige Reden anhören muß.«

»Mylady werden fest damit rechnen müssen«, gab Josuah Parker zurück. »Auf der Einladung sind wenigstens sechs entsprechende Hinweise zu finden.«

Josuah Parker war eine alterslose Erscheinung, mehr als mittelgroß, fast schlank. Er hatte das glatte, ausdruckslose Gesicht eines ausgebufften Pokerspielers und bot das Bild eines hochherrschaftlichen Butlers.

Wie auf ein geheimes Kommando hin strebten die vielen Gäste in das Innere des Hauses, um die Reden über sich ergehen zu lassen. Lady Agatha und Butler Parker aber blieben auf der Terrasse. Die ältere Dame hatte sich wie zufällig immer näher an das Büfett herangeschoben und nahm eindeutig Maß.

»Was empfehlen Sie mir, Mister Parker?« erkundigte sie sich. »Aber denken Sie an meine Diät.«

»Mylady könnten vielleicht mit diversen Früchten des Meeres vorsichtig beginnen«, schlug Parker vor, »dann wäre ein zartes Roastbeef zu empfehlen, garniert mit einem Hauch der außerordentlich gutaussehenden Remouladensauce.«

»Das klingt nicht schlecht, Mister Parker.« Sie nickte wohlwollend.

»Anschließend könnten Mylady sich für ein Lammkotelett entscheiden«, zählte Josuah Parker weiter auf. »Diese Köstlichkeit wird von den Köchen gerade zubereitet.«

»Kaum Kalorien«, meinte sie zuversichtlich. »Weiter, Mister Parker. Ich will keinen Fehler machen.«

»Der Schweineschinken in Salzkruste sieht ungemein einladend aus, Mylady.«

»Ich werde ein wenig davon kosten«, entschied sie. Agatha Simpson wollte noch etwas hinzufügen, doch sie wurde abgelenkt. Sie musterte einige Neuankömmlinge, die durch den Park gekommen waren und der Terrasse zustrebten. Ein untersetzter Mann von etwa fünfzig Jahren war umgeben von einigen wesentlich jüngeren Herren, die durchweg einen sportlichen Eindruck machten.

»Wer ist denn das?« fragte sie. »Moment, sagen Sie nichts, Mister Parker, mir wird es gleich einfallen. Sie wissen, daß ich ein ausgezeichnetes Gedächtnis besitze.«

»Meine Wenigkeit muß bedauern«, entschuldigte sich der Butler. »Möglicherweise aber handelt es sich um Mister Robert Carnach.«

»Das sagte ich doch.« Sie nickte nachdrücklich. »Und wer ist das?«

»Ein Zeitungsverleger, Mylady, falls der Herr wirklich Mister Carnach sein sollte.«

»Und welche Blätter gibt er heraus?«

»Unter anderem die Morning Review, Mylady.«

»Ich wußte es doch, Mister Parker.« Der wohlwollende Ausdruck verschwand aus ihrem Gesicht. Der perlenbestickte Pompadour an ihrem linken Handgelenk geriet in leichte Pendelbewegung. Ihre Augen blitzten unternehmungslustig.

»Meine Wenigkeit möchte sich auf keinen Fall dafür verbürgen, Mylady, daß es sich um Mister Carnach handelt«, warnte der Butler, der das ungestüme Temperament seiner Herrin kannte.

»Es ist dieses Subjekt«, entschied sie und marschierte auf den untersetzten Mann zu, der höflich-abwesend lächelte.

»Sie sind das also«, sagte Lady Agatha, die sich jetzt vor ihm aufbaute.

»Ich bin es also«, antwortete der Mann ein wenig ironisch.

»So sehen Sie auch aus«, grollte Agatha Simpson leicht gereizt.

»Verzeihung, ich habe keine Ahnung, was Sie wollen, Madam«, erwiderte der Mann, während seine drei jungen Begleiter bereits ausschwärmten und einen wachsamen Eindruck machten.

»Sie behaupten also, ich hätte ein Verhältnis mit meinem Butler«, schickte Agatha Simpson voraus. »Dafür sollte ich Sie ohrfeigen.«

Sie holte aus, doch sie ohrfeigte nicht. Lady Agatha trat ungeniert und kraftvoll gegen das rechte Schienbein des völlig verdutzten Mannes, der aufheulte und anschließend auf dem noch intakten Bein herumhüpfte. Die drei jungen Begleiter reagierten und wollten eingreifen, doch sie hatten natürlich ihre Rechnung ohne einen gewissen Butler Parker gemacht, der sich für Lady Agatha selbstverständlich einsetzte.

*

»Ich habe natürlich mit einer Finte gearbeitet«, berichtete Lady Agatha stolz. »Dieses Subjekt rechnete mit einer Ohrfeige, aber nicht mit einem Fußtritt.«

»Wobei bemerkt werden sollte, daß es sich keineswegs um Mister Robert Carnach handelte«, warf Parker höflich ein.

»Wie war das?« Rander tauschte einen schnellen Blick mit Kathy Porter, die vor wenigen Minuten erst in das altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady Simpson gekommen war.

»Mylady traten einen gewissen Ernest Lesbury«, präzisierte der Butler gemessen.

»Was macht das schon für einen Unterschied?« fragte die ältere Dame wegwerfend. »Es hätte aber auch dieser Zeitungsverleger sein können.«

»Und wer ist Ernest Lesbury?« wollte Kathy Porter wissen. Sie war die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Agatha.

»Ein vorerst noch Unbekannter, Miß Porter«, erwiderte der Butler. »Er wurde allerdings von drei Leibwächtern begleitet, die ohne Ausnahme Schußwaffen trugen, wie sich später zeigte.«

»Sie haben sich vergewissert, wie ich annehme«, stellte Mike Rander fest. Der vierzigjährige Anwalt war groß, schlank und erinnerte an einen bekannten James Bond-Darsteller. Er besaß in der nahen Curzon Street eine Anwaltskanzlei, verwaltete das immense Vermögen der älteren Dame und fand dabei die intensive Unterstützung Kathy Porters, die eine reizvoll-pikante Erscheinung war. Kathy war ebenfalls groß und schlank, hatte kastanienbraunes Haar mit einem kräftigen Rotstich und betonte Wangenknochen, die zusammen mit den ein wenig mandelförmig geschnittenen Augen ihr einen etwas exotischen Ausdruck verliehen.

»Meine Wenigkeit vergewisserte sich tatsächlich, Sir«, beantwortete der Butler die Frage des Anwalts. »Dazu kam es allerdings erst, als die drei Begleiter den Boden aufsuchten.«

»Es kam zu einem Kampf?« Kathy Porter lächelte wissend.

»Nun, ich mußte mit meinem Pompadour zulangen, meine Liebe«, erklärte Lady Agatha. »Ich traf diesen Mann, der kein Zeitungsverleger ist. Anschließend hatte Mister Parker kaum noch Mühe, die drei Lümmel auszuschalten. Ich hatte schließlich die Vorarbeit dazu geleistet.«

»Ernest Lesbury«, wiederholte Mike Rander leise, »irgendwie kommt der Name mir bekannt vor. Na, es wird mir schon noch einfallen. Sie haben anschließend diesen Zeitungsverleger erwischt, Mylady?«

»Er war gar nicht zur Party erschienen, mein Junge«, bedauerte die passionierte Detektivin. »Er hätte sein blaues Wunder erlebt. Eine Frechheit, mir ein Verhältnis mit Mister Parker zu unterstellen.«

»Eine Vorstellung, an die man sich erst noch gewöhnen müßte«, spöttelte Rander.

»Für private Affären habe ich keine Zeit«, machte Agatha Simpson klar, »vielleicht später mal, nicht wahr, Mister Parker?«

Sie schaute ihn fast kokett an, und Josuah Parker deutete eine knappe Verbeugung an. Auch jetzt blieb sein Gesichtsausdruck glatt und undurchdringlich. Er ließ nicht erkennen, was er dachte.

»Nun werden Sie nicht gleich verlegen«, stichelte sie dennoch munter. »Ich habe nur einen Scherz gemacht.«

»Was meine bescheidene Wenigkeit sofort unterstellte, Mylady.«

Mike Rander hätte sich liebend gern eingeschaltet, doch in diesem Augenblick führte der Zufall wieder mal Regie. Die Glocke an der Haustür meldete sich. Butler Parker entschuldigte sich, ging durch die große Wohnhalle des Hauses hinüber zum völlig verglasten Vorflur und öffnete einen rechts daneben angebrachten Einbauschrank. Er schaltete die Fernsehkamera über der Haustür ein und brauchte nur wenige Augenblicke zu warten, bis der Monitor ein gestochen scharfes Bild lieferte.

Draußen stand ein mittelgroßer, schlanker Mann von etwa vierzig Jahren, der einen gehetzten und ängstlichen Eindruck machte. Parker schaltete die Wechselsprechanlage ein und erkundigte sich nach den Wünschen des Mannes.

»Bitte, öffnen Sie ... schnell«, kam die Antwort. Der Mann wandte sich halb um, während er sprach. Er blickte zum Gittertor, das den Vorplatz zur Durchgangsstraße hin abschirmte.

»Darf man um Ihren geschätzten Namen bitten, Sir?« fragte Josuah Parker.

»Randy Driffers«, antwortete der Mann. »Schnell, machen Sie auf, sonst knallt man mich ab!«

»Könnten Sie möglicherweise übertreiben?« wollte Josuah Parker wissen. Der Mann, der sich Randy Driffers nannte, zuckte zusammen, fiel schwer gegen die Haustür und rutschte dann an ihr hinab zur Türschwelle. Daraufhin verzichtete der Butler auf weitere Fragen und öffnete.

*

Der Mann war kaum in der Lage, das Türblatt aufzustoßen. Er schaffte es nur mit Mühe und Not, rutschte dann auf die Knie und blieb im verglasten Vorflur liegen. Die Tür schwang automatisch in den Rahmen zurück und schloß sich.

Josuah Parker war und blieb mißtrauisch.

Immer wieder versuchten Gangster, sich mit Tricks ins Haus zu schleichen, um hier ihre tödlichen Aufträge zu erledigen. War das auch jetzt der Fall? Parker trat zur Seite, als Lady Agatha neben ihm erschien, gefolgt von Mike Rander und Kathy Porter.

»Er blutet an der Hüfte, Mister Parker«, sagte Myladys Gesellschafterin.

»Eine Schußwaffe führt der Besucher mit Sicherheit nicht mit sich«, erklärte der Butler. Im Vorflur gab es elektronische Detektoren wie auf einem Flughafen. Sie hätten mit durchdringendem Pfeifton eine Schußwaffe gemeldet.

»Ich werde erste Hilfe leisten«, kündigte die Hausherrin energisch an. »Ich war Pfadfinderin und kenne mich in Notverbänden aus. Öffnen Sie, Mister Parker.«

Es zeigte sich, daß der Mann, der sich Randy Driffers nannte, nur leicht verletzt worden war. Die linke Hüfte war nur oberflächlich angekratzt worden. Lady Agatha bestand aber auf Jod. Sie wollte die Wunde desinfizieren.

»Das ist wirklich nicht nötig«, meinte Randy Driffers, der auf der Lehne eines tiefen und bequemen Sessels saß. Der Mann hatte sich inzwischen erholt und rauchte eine Zigarette, die Mike Rander ihm angeboten hatte.

»Was notwendig ist oder nicht, entscheide ich, junger Mann«, erwiderte Lady Agatha grollend. »Mischen Sie sich gefälligst nicht in meine Kompetenzen. Mister Parker, das Jod!«

Randy Driffers zog den Kopf ein, als Parker das gewünschte Desinfektionsmittel brachte. Es handelte sich um eine große Flasche, die er bereits aufgeschraubt hatte. Agatha Simpson nahm einen dicken Wattebausch in die linke Hand und tränkte ihn. Dann lächelte sie fast ein wenig sadistisch, als sie sich der Hüftwunde des Mannes näherte.

»Es wird gleich etwas brennen«, kündigte sie an, »aber es wird sich auch auszahlen.«

Sie preßte den Wattebausch auf die Wunde und beobachtete dabei den Gast. Randy Driffers schnappte nach Luft, jaulte verhalten und litt sichtlich.

»Haben Sie sich nicht so«, fuhr Agatha Simpson ihn an, um dann die Behandlung noch mal intensiv nachzuholen. »Und Sie sollten nicht stöhnen, junger Mann, sondern mir sagen, wer Sie angeschossen hat.«

»Ich... ich weiß es nicht«, stöhnte Randy Driffers.

»Überlegen Sie«, forderte Lady Agatha ihn auf und rieb eine weitere Jodportion kraftvoll in die kleine Wunde.

»Ich weiß es wirklich nicht, Lady«, behauptete Randy Driffers erneut. »Ich hab’ eine Menge Leute, die hinter mir her sind.«

»Was mit einiger Sicherheit nicht grundlos der Fall sein kann«, vermutete Josuah Parker.

»Ich bin Journalist und Schriftsteller«, stellte Randy Driffers sich nun genauer vor, »und habe bestimmt einigen Leuten auf die Füße getreten.«

»Und Sie arbeiten für welche Zeitung?« wollte Mike Rander wissen.

»Ich bin freiberuflich tätig«, lautete die Antwort, »ich habe zusammen mit meinem Freund Buffin eine Agentur aufgezogen.«

»Sprechen Sie jetzt von Ron Buffin?« Rander war hellhörig geworden.

»Von Ron Buffin«, bestätigte der Gast des Hauses. »Ich weiß, sein Name ist bekannter als mein eigener.«

»Ich kenne weder Sie noch Ihren Freund, junger Mann«, schaltete die ältere Dame sich ein. Sie war dabei, Randy Driffers einen Verband anzulegen. Er hatte sich die Hose ein wenig über den Schenkel gestreift und blickte verwundert auf das künstlerische Gebilde, das die Lady anfertigte. Mit Mull und Heftpflaster schuf sie ein Objekt, das in jeder Galerie Aufsehen erregt hätte.

»Mister Ron Buffin, Mylady, gilt als sogenannter Enthüllungs-Journalist«, ließ Josuah Parker sich höflich vernehmen. »Er berichtet Interna aus allen Gebieten der Verwaltung und der Wirtschaft. Seine Faktensammlungen gelten als bestürzend genau.«

»Ich würde gern wissen, wieso Sie sich hierher zu Lady Simpson flüchteten«, fragte Kathy Porter.

»Ich wurde verfolgt«, lautete die Antwort, »und rannte auf das erstbeste Haus zu, das ich sah. Ich war drüben im Green Park, als die beiden Schläger auftauchten.«

»Sie haben nichts mehr zu befürchten, junger Mann«, beruhigte Agatha Simpson ihren Patienten. »Ab sofort stehen Sie unter meinem Schutz. Mister Parker, leiten Sie alle erforderlichen Maßnahmen ein, ich gebe Ihnen völlige Handlungsfreiheit.«

*

Sie übersahen den alten Mann, der mit gebeugtem Rücken dahinschlurfte und sich den Hut tief in die Stirn gezogen hatte.

Die beiden Männer hatten sich hinter einem parkenden Wagen aufgebaut und blickten über die Straße hinweg zum halb geöffneten Gittertor, hinter dem der große Vorplatz, die beiden Häuserzeilen links und rechts davon und schließlich das bemerkenswerte Fachwerkhaus der Lady Simpson zu sehen war. Diese U-förmige Anlage aus stilvollen Fachwerkhäusern bot einen einzigartigen Anblick.

Für diese Reize hatten die beiden Männer aber wohl kaum ein Gefühl.

Sie warteten auf die Rückkehr ihres Opfers, das sich dort ins Haus geflüchtet hatte. Einer der beiden Männer hatte zwar gerade noch einen Schuß auf den Flüchtenden abfeuern können, doch sie hatten genau mitbekommen, daß es sich nur um einen Streifschuß gehandelt hatte.

Natürlich zeigten sie nicht ihre Waffen. Sie befanden sich in den Innentaschen ihrer Trenchcoats und warteten darauf, blitzschnell hervorgeholt zu werden. Die beiden Wartenden waren Profis der kriminellen Szene und brachten die nötige Geduld auf, ihrem Opfer aufzulauern. Sie fühlten sich völlig sicher hier jenseits der Straße und kamen noch nicht mal auf den Gedanken, daß man sie ihrerseits bereits im Visier hatte.

Der alte Mann mit dem tief gebeugten Rücken war natürlich Josuah Parker. Er war ein Meister der Maske. Er brauchte nur wenige Mittel, um sich in eine andere Person zu verwandeln. Der Butler trug einen schäbigen Mantel und stützte sich auf einen knorrigen Stock. In seiner rechten Hand befand sich eine Art Parfümzerstäuber. Dieses Gerät war derart klein, daß es von den beiden Wartenden nicht wahrgenommen werden konnte.

»Kann man mal hören, wie spät es ist?« erkundigte sich der alte Mann mit heiserer Stimme.

»Hau ab«, sagte einer der beiden Männer wenig freundlich.

»Habt ihr das hier verloren? Sieht nach Geld aus.«

Dieser Hinweis veranlaßte die beiden Männer, sich nun doch zu dem alten Mann umzuwenden. Für Geld hatten sie einen sehr wachen Sinn. Sie blickten in die rechte Hand des Butlers und wußten mit dem kleinen Zerstäuber nichts anzufangen. Sie hatten immerhin mit einer Münze oder sogar mit einer Banknote gerechnet.

Eine Sekunde später wußten sie genau, daß sie düpiert worden waren. Parker hatte auf den Auslöseknopf gedrückt und eine Dosis seines Patentsprays verabreicht. Die Augen der beiden Profis wurden voll getroffen. Sie hatten zwar die Absicht, nach ihren Waffen zu langen, doch das teuflische Brennen hinderte sie daran. Sie rissen die Hände hoch und rieben sich intensiv die Augen. Sie konnten nichts mehr sehen und kamen sich ungemein hilflos vor. Dabei stöhnten sie ausgiebig, denn das Brennen verwandelte sich ohne Übergang in penetranten Juckreiz, der kaum zu ertragen war.

»In etwa zehn bis fünfzehn Minuten wird der Juckreiz mit Sicherheit nachlassen«, versprach Parker. »Legen Sie meine Wenigkeit jedoch nicht auf die Minute fest, es handelt sich nur um gewisse Erfahrungswerte.«

Die beiden Profis hörten kaum hin. Stöhnend vor Wonne rieben sie sich noch ausgiebiger die Augen und nahmen auf den Rat des Butlers hin dann Platz auf der Kante des Gehweges.

Es war für Parker selbstverständlich, daß er den beiden Männern half, als sie sich ein wenig umständlich niederließen. Dabei entpuppte der Butler sich als ein wahrer Meister in Sachen Taschendiebstahl. Die beiden ausgebufften Männer bekamen überhaupt nicht mit, daß sie nicht nur ihre Waffen verloren, sondern auch ihre sonstige Habe bei Parker landete. Er ließ zwei Brieftaschen, zwei Schnappmesser und einen Hotelschlüssel in den Taschen seines überlangen Mantels verschwinden.

Als sie dann saßen, zog der Butler eine Taschenflasche aus seinem Mantel hervor. Er schraubte den Verschluß auf und goß den Inhalt über die Schultern der Männer. Dabei entwickelte sich ein aufdringlicher Geruch nach äußerst billigem Brandy.

»Man wünscht noch einen halbwegs erträglichen Verlauf des Abends«, sagte Parker danach und verließ die beiden Männer. Die Szene war wegen der herrschenden Lichtverhältnisse unbeobachtet geblieben. Die vielen Wagen auf der Durchfahrtsstraße fuhren weiter, ihre Fahrer bekamen nichts mit. Parker überquerte die Straße und benutzte nun den Haupteingang, um ins Haus zurückzukehren. Von der großen Wohnhalle aus rief er dann das zuständige Polizeirevier an und teilte dem diensttuenden Sergeant höflichst mit, zwei angetrunkene Männer säßen an einer ganz bestimmten Stelle auf dem Gehweg und benähmen sich in einer mehr als ungenierten Art, die einem Skandal gleich käme.

*

Das Hotel in der Avery Row war gute Mittelklasse.

Der Hotelschlüssel, den Parker an sich genommen hatte, war ein guter Wegweiser gewesen. Parker befand sich bereits in der kleinen Halle des Hotels und hatte sich, was die Kleidung betraf, in einen hochherrschaftlichen Butler zurückverwandelt. Er lüftete überaus höflich die schwarze Melone, als er sich der Rezeption näherte.

»Man wünscht einen erfreulichen Abend«, sagte er zu dem Mann hinter dem Tresen. »Mister Rutherford wird nach meiner Wenigkeit fragen. Würden Sie ihn entgegenkommenderweise verständigen, daß man dort drüben in der Lounge auf ihn wartet?«

»Selbstverständlich«, lautete die ebenfalls höfliche Antwort. »Nach wem wird er fragen?«

»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, sagte der Butler, lüftete erneut die schwarze Melone und nahm in einer Sitzgruppe in der Halle Platz, die den beiden Lifts sehr nahe war. Hier wartete er, bis man seine Anwesenheit vergessen hatte. Als vor der Rezeption einige Gäste erschienen, stand Parker auf und schritt wie selbstverständlich hinüber zum ersten Lift. Er fuhr in die dritte Etage und näherte sich dann würdevoll dem Doppelzimmer Nr. 336.

Diese Nummer entsprach der, die er auf dem Anhänger des Schlüssels gefunden hatte. Parker legte diskret sein Ohr gegen die Tür und lauschte ungeniert. Anschließend öffnete er und trat ein. Als er am geöffneten Badezimmer vorbeikam, langte er nach einem der weißen Handtücher neben dem Handwaschbecken, legte es sich quer über den linken Unterarm und ließ Universal-Regenschirm und Melone in der Garderobe zurück.

Das Zimmer war leer.

Josuah Parker erfaßte mit einem Blick den Koffer, der auf einem Hocker stand. Er öffnete ihn vorsichtig und suchte fingerfertig nach einem Geheimfach. Er entdeckte eine Art doppelten Boden, der allerdings leer war.

Nach dieser Visitation begab er sich in das angrenzende Zimmer und durchforschte hier einen zweiten Koffer. Auch das Geheimfach dieses Gepäckstücks, das sich unter dem Boden befand, war leer.

Parker durchsuchte die beiden Kleiderschränke, in denen nur je ein Mantel, ein Reserveanzug und etwas Wäsche anzutreffen waren. Die beiden Profis hatten keine Spuren hinterlassen, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie sich in ihrem Geschäft bestens auskannten. Parker befaßte sich gerade mit dem ersten Papierkorb, als plötzlich die Tür zum ersten Raum geöffnet wurde.

»Ben, seid ihr schon zurück?« fragte eine rauhe Stimme, der schnelle Schritte folgten.

»Der Herr belieben zu wünschen?« Parker erschien in der Verbindungstür. In seinem schwarzen Zweireiher, dem Eckkragen und dem schwarzen Binder sah er aus wie ein dienstbereiter Geist des Hauses.

»Was machen Sie denn hier?« fragte ein etwa vierzigjähriger, schlanker Mann, der einen grauen Straßenanzug trug.

»Es gehört zu den guten Gepflogenheiten des Hauses, Sir, die Zimmer noch mal zu kontrollieren, bevor die Gäste sich zur Ruhe legen«, erklärte Josuah Parker überaus geschmeidig und höflich.

»Okay, aber Sie werden jetzt nicht gebraucht.« Der Mann hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht und einen schmalen Mund.

»Verzeihung, Sir, eine Frage.«

»Reden Sie schon.« Der Mann war ungeduldig.

»Sie haben möglicherweise die Erlaubnis, hier warten zu können, Sir?«

»Ach so, jetzt begreife ich.« Der Mann lächelte verkniffen. »Ja, das geht schon in Ordnung. Ich bin mit den beiden Leuten hier gut bekannt. Ich habe das Zimmer 332, Jack Berwick ist mein Name.«

»Sehr wohl, der Herr.« Parker deutete eine Verbeugung an und verließ das Doppelzimmer durch die Tür, durch die er gekommen war. Bei dieser Gelegenheit legte er das weiße Handtuch ab und nahm Regenschirm und Melone wieder an sich.

Anschließend ging er in das Zimmer 332, um sich dort ein wenig umzusehen.

*

»Und was haben Sie gefunden?« wollte Mike Rander wissen, der im hochbeinigen Monstrum des Butlers vor dem Avery Hotel gewartet hatte.

»Eine Automatic samt Schalldämpfer, Sir«, meldete Parker, der gerade am Steuer Platz genommen hatte. »Mister Jack Berwick, wie der Tourist sich nennt, stammt eindeutig aus den Staaten. Er kam heute morgen in Heathrow an.«

»Seine beiden Freunde dann wohl auch«, vermutete Rander. »Wie haben sie die Waffen wohl durch die Schleuse bekommen?«

»Die drei vorgefundenen Koffer, Sir, sind das, was man brandneu zu nennen pflegt«, entgegnete der Butler. »Man dürfte Sie den drei Herren hier in London zugespielt haben. Daraus wäre dann zu schließen, daß sie in einem fest umrissenen Auftrag auf die Insel kamen.«

»Um die beiden Journalisten umzubringen?« Rander schüttelte ungläubig den Kopf. »Killer haben wir leider genügend in London. Auf fremde Hilfe ist man hier bestimmt nicht angewiesen.«

»Dem kann man leider nur zustimmen, Sir. Es besteht aber durchaus die Möglichkeit, daß der Auftraggeber der drei Männer in den Staaten wohnt und von dort aus einen Mord bestellt hat.«

»Klingt durchaus plausibel, Parker. Was wollen wir jetzt machen? Warten wir auf diesen Jack Berwick?«

»Momentan, Sir, dürfte er keine neuen Erkenntnisse liefern. Als sogenannter Insider wird er sich abwartend verhalten und keine Kontakte pflegen.«

»Wie ich Sie kenne, haben Sie aber eine deutliche Spur hinterlassen, nicht wahr?«

»In der Tat, Sir. Mister Berwick wird sich früher oder später nach meiner Wenigkeit erkundigen und dabei den Namen Josuah Parker erfahren.«

»Wird der Name reichen, ihn auf Trab zu bringen? Wie will er an Sie herankommen?«

»Mein bescheidener Name ist im Telefonbuch verzeichnet, Sir. Meine Wenigkeit rechnet mit einem Kontrollanruf.«

»Sie spielen also wieder mal Schach mit Gangstern, ja?« Rander lächelte.

»Man lädt solch einen Gangster zumindest dazu ein, Sir.« Parker setzte sein hochbeiniges Monstrum langsam in Bewegung. Es handelte sich dabei um ein schon betagtes Londoner Taxi, wie es nur noch in wenigen Exemplaren in den Straßen der Millionenstadt zu sehen war. Der äußere Eindruck täuschte allerdings.

Parker hatte diesen Wagen nach seinen speziellen Vorstellungen umbauen lassen, was die Technik betraf. Jetzt war dieses antiquiert wirkende Gefährt nichts anderes als eine raffinierte Trickkiste auf Rädern.

»Ich habe über diesen Enthüllungs-Journalisten nachgedacht, Parker, als Sie im Hotel waren«, schickte Mike Rander voraus. »Ron Buffin ist gefürchtet. Er deckt Dinge auf, die man am liebsten unter dem Teppich halten würde. Und was er bringt, ist hieb- und stichfest. Es gibt da eine Menge Leute, die ihn bereits verklagten, aber sie mußten schließlich immer wieder zurückstecken.«

»Meiner Wenigkeit war es nicht bekannt, Sir, daß er einen Partner hat, eben jenen Mister Randy Driffers, der jetzt bei Mylady Gastrecht genießt.«

»War mir ebenfalls neu, Parker, dieser Knabe ist noch nie in Erscheinung getreten.«

»Dennoch dürfte er in diesem Team eine nicht unwichtige Rolle spielen, Sir.«

»Eben, Parker, sonst wäre man nicht hinter ihm her. An Driffers Stelle würde ich London so schnell wie möglich verlassen und irgendwo untertauchen.«

»Da Mister Randy Driffers sich in Lebensgefahr befindet, müßte dies wohl auch für seinen Partner Ron Buffin zutreffen.«

»Dachte ich auch bereits dran, Parker. Ron Buffin ist immerhin der eigentliche Enthüllungs-Journalist, wie’s so schön falsch heißt.«

»In der Tat, Sir«, bemerkte Josuah Parker. »Man kann nach gängiger Meinung nur etwas enthüllen, was man verhüllt halten will.«

»Wir sollten uns so schnell wie möglich mit Ron Buffin unterhalten. Telefonisch war er ja nicht zu erreichen, wie?«

»Bis vor der gemeinsamen Fahrt zum Avery Hotel hat meine Wenigkeit dies verschiedentlich versucht, Sir, Mister Buffin meldete sich nicht. Man kann nur hoffen, daß Miß Porter inzwischen erfolgreicher gewesen ist, um Mister Buffin zu warnen.«

»Ich will ja nicht gerade den Teufel an die Wand malen, Parker, aber hoffentlich ist er noch in der Lage, uns zu empfangen. Sie haben seine Adresse?«

»Zu dienen, Sir«, lautete die Antwort des Butlers, »das Haus, in dem sich das Büro und die Privatwohnung Mister Ron Buffins befinden, liegt ebenfalls hier im Stadtteil Mayfair. Man bewegt sich bereits dorthin, wie Sie sicher schon festgestellt haben dürften.«

»Um Kleinigkeiten kümmere ich mich nicht, Mister Parker«, parodierte Mike Rander die ältere Dame. »Die Details überlasse ich Ihnen ...«

*

»Wir kommen wohl eindeutig zu spät«, sagte der Anwalt eine Viertelstunde später. Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum an einer Straßenecke angehalten und deutete mit der schwarzbehandschuhten rechten Hand auf einige Feuerlöschfahrzeuge und Streifenwagen der Polizei.

Aus einem schmalen, vier Etagen hohen Haus leckten lange Flammenzungen aus den geborstenen Fenstern. Das Dach war bereits in Feuer gehüllt, weißgraue Rauchwolken drangen auf die Straße.

»Meine Wenigkeit möchte Ihnen vollinhaltlich beipflichten, Sir«, meinte Josuah Parker. »Dies dort müßte das Haus des Mister Ron Buffin sein.«

»Hoffentlich war er erst gar nicht zu Hause«, redete Mike Rander weiter. »Wollen wir näher ranfahren, Parker?«

»Man könnte sich der Brandstelle zu Fuß nähern, Sir«, schlug der Butler vor, »die Polizei hat eine Straßensperre errichtet.«

Die beiden Männer stiegen aus und näherten sich der Menge der Schaulustigen. Rander und Parker trennten sich, um möglichst viele und verschiedene Kommentare zu hören. Parker schritt würdevoll auf einen Offizier der Feuerpolizei zu und lüftete formvollendet seine schwarze Melone.

»Parker, mein Name, Josuah Parker«, stellte er sich vor. »Besteht die Möglichkeit, an meinen Arbeitsplatz zu gelangen. Meine Wenigkeit hatte Ausgang und ist nun bestürzt.«

»Wo arbeiten Sie denn?« fragte der Angesprochene.

»Jenseits der Brandstelle, bei Sir George Nyland«, gab Parker wie selbstverständlich zurück. Er erfand den Namen aus dem Handgelenk.

»Dann müssen Sie noch warten, guter Mann«, sagte der Offizier ein wenig herablassend. »Jetzt kommen Sie da nicht durch.«

»Konnte man Mister Buffin bereits verständigen, Sir? Dies dort ist unzweifelhaft sein Haus.«

»Das Haus war leer, soviel wissen wir genau.«

»Eine Nachricht, Sir, die man nur als erfreulich bezeichnen kann.«

»Aber sein Haus ist hin. Hoffen wir, daß wir ein Übergreifen des Brandes verhindern können. Warten Sie, ich werde Sie durchlotsen, Sie werden vielleicht bei Ihrer Herrschaft gebraucht.«

»Man wird sich sofort zurückbemühen«, erwiderte der Butler. »Sicherheitshalber sollte man seinen Wagen vorher noch abschließen.«

»Würde ich auch empfehlen.« Der Offizier nickte, wurde abgelenkt und vergaß darüber den Butler, der gemessen zu seinem Wagen zurückging, um dort auf Mike Rander zu warten. Er hatte das hochbeinige Monstrum noch nicht ganz erreicht, als ihm eine bemerkenswerte Erscheinung auffiel.

Es handelte sich um einen untersetzten, fülligen Mann, der eine sehr eigenwillige Brille trug. Sie schien aus einem anderen Jahrhundert zu stammen, war klein, hatte kreisrunde Gläser und dünne Bügel.

Der Mann mochte etwa fünfzig Jahre alt sein, trug einen dunklen Mantel und einen dunklen Hut mit überraschend breiter Krempe. Auch diese Kopfbedeckung war nicht gerade modisch zu nennen. Der Mann starrte fasziniert auf das Feuer und lächelte versonnen. Dann aber merkte er plötzlich, daß er gemustert wurde.

Er starrte Parker an, lächelte nicht mehr und ging mit kleinen, schnellen Schritten davon. Nach wenigen Augenblicken war er zwischen den Neugierigen verschwunden. Parker war aufgefallen, wie behend und leichtfüßig dieser Mann sich bewegte.

»Is’ was, Parker?« hörte der Butler neben sich Mike Randers Stimme.

»Nicht direkt, Sir«, erwiderte der Butler, während er gemeinsam mit dem Anwalt zum Wagen ging. »Meine Wenigkeit wurde auf eine Erscheinung aufmerksam, die recht ungewöhnlich war. Sie erinnerte an eine Figur aus einem Roman von Dickens.«

»Seit wann werden Sie literarisch, Parker?« frotzelte Rander.

»Dieser Gedanke drängte sich meiner Wenigkeit geradezu auf, Sir. Hinzu kommt noch die Tatsache, daß man sich alarmiert fühlte, ohne einen akuten Grund dafür angeben zu können.«

Rander warf dem Butler einen kurzen Blick zu, sagte aber nichts.

*

Josuah Parker hielt sich in seinen Privaträumen auf, die sich im Souterrain des alten Fachwerkhauses befanden. Er verfügte hier über einen Wohnraum, der wie die komfortable Kabine eines Kapitäns eingerichtet war. Dann gab es einen Schlafraum, Bad, Toilette und schließlich einen Raum, den er sich als Werkstatt eingerichtet hatte. In diesem Labor, wie Rander den Raum gern nannte, entwickelte der Butler seine kleinen Überraschungen, um sich seine diversen Gegner vom Leib zu halten.

Es war bereits weit nach Mitternacht.

Lady Agatha hatte sich zur Ruhe begeben, Mike Rander und Kathy Porter befanden sich im Haus des Anwalts in der nahen Curzon Street. Parker trug eine korrekt geschnittene Hausjacke und hatte sich selbstverständlich auch hier in seiner privaten Umgebung nicht den schwarzen Binder abgenommen. Er kam gerade aus seinem sogenannten Labor, als ein kleines rotes Licht auf der Wandtafel neben der Tür aufflammte. Gleichzeitig war ein heller Piepton zu vernehmen.

Die elektronische Sicherung des Hauses meldete sich. Irgendwer war dabei, sich dem Fachwerkhaus der Lady Agatha zu nähern. Parker schaltete die hauseigene Fernsehanlage ein und ließ sich über die Fernsehkameras ausgezeichnete Bilder liefern. Er fand schnell heraus, welchen Weg die nächtlichen Besucher wählten. Sie hatten sich die Rückseite des Hauses ausgesucht und wollten die hohe Mauer übersteigen, die den hauseigenen Wirtschaftsgang vom angrenzenden Park trennte. Dieser Park, ebenfalls von Mauern umgeben, wurde nachtsüber geschlossen. Er gehörte einer Stiftung, die dort ein kleines Museum eingerichtet hatte.

Parker hatte diesen Schwachpunkt des Hauses seinerzeit sehr bald erkannt und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Jetzt befanden sich in der runden Mauerkrone kleine Stahlborsten, die man vom Haus aus unter Strom setzen konnte. Es handelte sich dabei um einen sehr hochgespannten Strom, wobei die Amperezahl aus gesundheitlichen Gründen natürlich sehr gering gehalten wurde.

Der Butler sah den ersten Mauerübersteiger.

Der Mann hatte sich von der Parkseite aus hochgezogen und lag flach auf den niedrigen Stahlborsten, die wie eine Bürste wirkten. Der nächtliche Besucher kam überhaupt nicht auf die Idee, er könnte sich in Gefahr befinden. Er rief einem zweiten Mann auf der Parkseite etwas zu und lieh ihm dann seine hilfreiche Hand. Wenig später erschien der Kopf des zweiten Übersteigers vor der Mauerkrone.

Parker korrigierte die Feineinstellung der rückwärtigen Fernsehkamera und schaute sich den Mann sehr aufmerksam an. Er wußte sofort, daß er dieses schmale Gesicht schon mal gesehen hatte. Das war auf der bewußten Terrasse gewesen, als Lady Agatha einem gewissen Ernest Lesbury gegen das Schienbein getreten hatte.

Dieser junge Mann dort an der Mauer war einer der drei Begleiter des Getretenen gewesen. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Auf der Rückseite des Hauses brannten zwei Lampen, die ausreichend Licht für gute Bilder lieferten.

Nun lag auch der zweite Mann auf der Mauerkrone. Die beiden Nachtschwärmer richteten vorsichtig die Oberkörper auf und musterten die Rückseite des altehrwürdigen Fachwerkhauses. Sie nahmen zur Kenntnis, daß auch hier alle Fenster vergittert waren. Zusätzlich hatte Parker noch die Stahlrolläden geschlossen.

Die beiden Besucher schienen zu einem Entschluß gekommen zu sein. Sie drückten sich wieder flach auf die Stahlborsten und ... schnellten dann hoch wie Fische, die man an Land gezogen hatte. Parker hatte den elektrischen Strom veranlaßt, sich in die Stahlborsten zu verfügen. Der Strom war diesem Befehl sofort nachgekommen und verwandelte die beiden Männer in zappelnde Gliederpuppen. Einer von ihnen kippte zurück in den Park, der zweite landete auf dem Wirtschaftsweg und blieb geschockt liegen.

Aus einschlägiger Erfahrung wußte der Butler, daß dieser Schock etwa zwei bis vier Minuten lang andauern würde. Die Muskeln des Getroffenen hatten sich verspannt, er war nicht in der Lage, eine koordinierte Bewegung auszuführen. Parker begab sich also in den Korridor des Souterrains, von dort zur Außentür und öffnete sie. Gemessen und würdevoll stieg er dann über eine Außentreppe auf den Wirtschaftsweg und lud den nächtlichen Besucher in höflicher Form ein, doch näher zu treten.

Der Mann kam dieser Einladung nach, brauchte allerdings Parkers Hilfe.

*

»Aus mir holen Sie nichts raus«, behauptete der junge Mann, der in der fast riesigen Wirtschaftsküche des Hauses auf einem Stuhl festgebunden war. Parker hatte dazu zähes Packband aus Kunststoff verwendet.

»Sie brauchen keine Fragen zu befürchten«, erwiderte der Butler. »Mister Ernest Lesbury wird ohnehin davon ausgehen, daß Sie gesungen haben, wie es in Ihren Kreisen wohl genannt wird.«

»Der weiß genau, daß ich ...« Mehr sagte der Mann nicht, denn er hatte sich wütend auf die Unterlippe gebissen, Ihm war nicht entgangen, daß er bereits eine wichtige Aussage gemacht hatte.

»Mister Ernest Lesbury scheint ein ungemein nachtragender Mensch zu sein«, stellte Josuah Parker fest. »Er dürfte den Tritt gegen sein Schienbein nicht vergessen haben.«

»Ich sag’ überhaupt nichts mehr.« Der junge Mann, der übrigens eine schallgedämpfte Automatic mitgebracht hatte, blickte zu Boden.

»Dazu besteht nun wirklich nicht der geringste Anlaß«, ließ Parker sich daraufhin vernehmen. »Nach den bisher eingeholten Informationen ist Mister Ernest Lesbury in der Bekleidungsindustrie tätig und in Insiderkreisen geradezu berühmt wegen seiner Billigstangebote.«

»Ich sage kein Wort.« Der junge Mann preßte die Lippen fest aufeinander. Er wollte sich nicht noch mal überlisten lassen.

»Mister Lesbury importiert Oberbekleidung aus Ländern des Fernen Ostens«, faßte der Butler weiter zusammen. »Darüber hinaus läßt er auch hier in London in Heimarbeit seine Ware herstellen.«

»Wer ist Ernest Lesbury?« wollte der junge Mann wissen. Es war sein verzweifelter Versuch, vom Thema abzulenken.

»Meine Wenigkeit möchte Ihnen die freie Wahl unterbreiten«, kündigte Parker an, »Sie können sich verhaften lassen, oder aber zu Mister Lesbury zurückkehren. Sie sollten sich diese Wahl allerdings nicht leichtmachen.«

»Ich kenn’ keinen Mister Lesbury«, meinte der junge Mann wütend.

»Möchten Sie gehen oder sich verhaften lassen? Meine Wenigkeit richtet sich ganz nach Ihren Wünschen.«

»Nee, holen Sie die Polizei«, erwiderte der nächtliche Besucher.

»Sie können sich also sehr gut vorstellen, daß Mister Lesbury ihnen keineswegs abnimmt, nicht ausgesagt zu haben?«

»Welcher Mister Lesbury?« fauchte der Besucher.

»Nun gut, Sie sind frei, man wird Ihren Wunsch respektieren. Da Sie einen Mister Lesbury eindeutig nicht kennen wollen, dürfen Sie dieses Haus als freier Mensch verlassen. An dieser Stelle möchte man sich erlauben, Ihnen noch eine gesunde Restnacht zu wünschen.«

»Wieso? Moment mal, Sie wollten mich doch verhaften lassen, oder?«

»Ein unnötiger Aufwand, den man der Polizei ersparen sollte.«

»Hören Sie, ich wollte hier immerhin einbrechen«, erinnerte der junge Mann eindringlich.

»Man hat Ihnen bereits verziehen.«

»Meine Partner und ich wollten hier ganz groß abräumen.«

»Ihr Reuebekenntnis hebt dies alles auf.«

»Ich hab’ immerhin ’ne Kanone bei mir gehabt.«

»Die Sie sicher wohl nie benutzt hätten.«

»Da sind Sie aber auf dem Holzweg, Mann. Wir hätten geschossen, das kann ich Ihnen versprechen.«

»Wenn Sie gestatten, möchte meine Wenigkeit Ihnen solch eine Handlungsweise nicht zutrauen.«

»Und ob wir gezielt geschossen hätten! Verdammt, warum rufen Sie nicht die Polizei?«

»Mit einer Anklage und einer wahrscheinlichen Strafe dürfte Ihnen kaum gedient sein. Denken Sie an die Zeit nach der Verbüßung einer Haftstrafe. Sie würden keine Arbeit mehr finden. Ihnen scheint nicht bekannt zu sein, wie gering die Chancen für einen Vorbestraften sind.«

»Verdammt, das is’ doch meine Sache«, brüllte der Mann los. »Rufen Sie die Polizei an, klar? Oder Sie werden sich später verdammt wundern.«

»Meine Wenigkeit wird Sie jetzt zur Tür geleiten«, entgegnete der Butler, »wahrscheinlich wird man Sie bereits erwarten. War Ihr dritter Partner übrigens mit von der Partie, um höflichst nachzufragen?«

»Los, rufen Sie endlich die Polizei an«, bat der junge Mann jetzt. »Haben Sei denn nicht kapiert? Lesbury bringt mich um.«

»Es scheint sich demnach um einen recht gewalttätigen Menschen zu handeln.«

»Der is’ knochenhart, wer mal ’nen Fehler gemacht hat, der is’ für ihn gestorben.«

»Sie sollten sich jetzt bei einer Tasse Tee entspannen und ausgiebig erzählen«, schlug Josuah Parker vor. »Man wird Sie im Gegenzug von der Polizei verhaften lassen, was ja wohl Ihr erklärter Wunsch sein dürfte.«

»Verdammt, Sie haben mich ganz schön geschmort«, erwiderte der junge Mann, der nun einen sehr erleichterten Eindruck machte. »Aber ich steck’ auf, ich hab’ keine Lust, mich abservieren zu lassen.«

*

»Eine ganz schöne Strecke«, stellte Chief-Superintendent McWarden fest. Er hatte sich am Morgen im Haus der Lady eingefunden, die am Tisch saß, um ihr Diätfrühstück einzunehmen.

»Nun übertreiben Sie nicht gleich wieder, mein lieber McWarden«, antwortete die ältere Dame grollend. »Es sind nur ein paar Kleinigkeiten.«

Sie blickte zufrieden auf das sahnige Rührei, zu dem sich zwei gebackene Tomaten gesellten, auf gebratene Speckscheiben, auf das Roastbeef, die kleinen Rostbratwürstchen und schließlich auf die Käseplatte. Parker reichte dazu frische Brötchen, Landbrot und Butter. Aus dem Glas, das den Fruchtsaft enthielt, stieg ein feiner Duft alten Cognacs.

»Sie haben mich mißverstanden«, entschuldigte sich McWarden umgehend und lächelte. »Ich habe an die Burschen gedacht, die Sie mir zugespielt haben, Mylady.«

Der Chief-Superintendent war etwa fünfundfünfzig, untersetzt und präsentierte einen Bauch. Er erinnerte, was seine leicht vorstehenden Augen noch unterstrichen, an eine stets gereizte Bulldogge. McWarden leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit organisiertem Verbrechen befaßte.

Er war dem Innenminister direkt unterstellt, ein erstklassiger Kriminalist und brauchte doch immer wieder die Hilfe des Butlers. Dafür nahm er gern in Kauf, daß Lady Agatha ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit frotzelte.

»Was wären Sie ohne mich, mein lieber McWarden?« fragte die Hausherrin und begann mit dem Frühstück. »Ich gehe übrigens davon aus, daß Sie schon gefrühstückt haben.«

»Eigentlich nicht«, erwiderte McWarden.

»Machen Sie sich nichts daraus, mein Lieber«, sagte Agatha Simpson überaus freundlich. »Man soll sich ja bekanntlich nie den Magen überladen. Wen soll ich Ihnen übrigens zugespielt haben?«

»Diesen Mann, der bei Ihnen einbrechen wollte.«

»Eine Bagatelle«, sagte die passionierte Detektivin wegwerfend. »Es handelt sich wahrscheinlich um einen kleinen Dieb, nicht wahr?«

»Das wissen wir noch nicht«, bedauerte McWarden. »Der Mann hatte nichts bei sich und verweigert jede Aussage.«

»Eine Feststellung, die meine Wenigkeit nur unterscheiden kann«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Der Einbrecher erwies sich als ungewöhnlich schweigsam.«

»Er stieg über die Mauer hinter dem Haus, Mister Parker?« vergewisserte sich der Chief-Superintendent.

»In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler. »Bei diesem Versuch rutschte er ab, verursachte Lärm und weckte meine bescheidene Aufmerksamkeit.«

»Ich bin gespannt, was wir noch herausfinden werden«, meinte McWarden achselzuckend. »Vorerst sitzt der Bursche erst mal. Und er macht dabei einen sehr zufriedenen Eindruck. Wissen Sie, ich glaube, er ist ganz froh, daß er in Untersuchungshaft ist.«

»Wer kennt sich schon in den Gefühlen seiner Mitmenschen aus, Sir?« fragte Parker höflich. »Es könnte übrigens durchaus sein, daß er nicht allein war.«

»Wie auch immer, wenn er in der Vergangenheit mal etwas angestellt haben sollte, besitzen wir seine Fingerabdrücke und können ihn identifizieren.«

»Sie haben von mehreren Leuten gesprochen, McWarden«, erinnerte die ältere Dame. »Oder sollte ich mich da verhört haben?«

»Da waren tatsächlich noch zwei andere Männer«, sagte McWarden und nickte. »Sie wurden aber schon vor Stunden festgenommen. Sie saßen hier ganz in der Nähe auf einem Gehweg und schienen sturzbetrunken gewesen zu sein. Später stellten wir dann allerdings fest, daß sie in gewissem Sinne high waren, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Etwas deutlicher, wenn ich bitten darf«, grollte Lady Agatha.

»Man hatte sie mit billigem Brandy übergossen, um Trunkenheit vorzutäuschen«, erklärte McWarden. »Aber das merkten wir schon sehr bald. Danach wurden die beiden Kerle heiter, pöbelten herum und sangen schmutzige Lieder.«

»Reicht das zu einer Verurteilung?« fragte die Lady.

»Das allein hätte nicht gereicht«, sagte McWarden. »Aber dann brachen die beiden Männer einen Streit vom Zaun und legten sich mit den Beamten des Reviers an. Jetzt reicht es, würde ich sagen.«

»Die Identität dieser beiden Personen konnte bereits festgestellt werden, Sir?« ließ der Butler sich vernehmen.

»Auch noch nicht«, meinte der Chief-Superintendent. »Hauptsache, andere wissen diese beiden Typen einzuordnen.«

»Und wer sollte das sein, mein lieber McWarden?« flötete die ältere Dame geradezu. Sie hatte ihr Frühstück beendet und lehnte sich zufrieden zurück.

»Es war nur so dahingesagt«, lautete McWardens Antwort, wobei er wissend lächelte. »Messen Sie meinen Worten kein Gewicht bei.«

»Das tue ich niemals«, schnappte Lady Agatha wonnevoll zu. »Sie können in dieser Hinsicht völlig beruhigt sein.«

*

»Darf man sich nach Ihrem derzeitigen Befinden erkundigen?« fragte Josuah Parker eine halbe Stunde später. Er hatte eines der Gästezimmer im Souterrain des Hauses betreten, in dem man Randy Driffers untergebracht hatte.

»Befinden? Das fragen Sie noch? Werde ich hier festgehalten?« brauste der Journalist auf. »Ich erwarte eine Antwort.«

»Meiner bescheidenen Auffassung nach baten Sie um Schutz, Sir, der Ihnen nach den Regeln der Gastfreundschaft selbstverständlich gewährt wurde«, antwortete der Butler und stellte das Servierbrett auf dem Tisch ab.

»Die Tür war verschlossen«, beschwerte sich Randy Driffers bereits wesentlich ruhiger.

»Möglicherweise wird das Schloß ein wenig geklemmt haben, Mister Driffers.«

»Unsinn, das hätte ich gemerkt. Die Tür war verschlossen.«

»Sie hatten vor, das Haus zu verlassen, Sir?«

»Natürlich nicht. Oder doch? Ich weiß es nicht, verdammt. Ich kann’s nur nicht ausstehen, wenn ich eingeschlossen werde.«

»Sie werden sich mit Sicherheit nicht mehr zu beklagen brauchen«, versprach Josuah Parker, der die Tür natürlich absichtlich verschlossen hatte. Randy Driffers konnte sich übrigens keineswegs beklagen, was seine Unterbringung betraf. Der Wohn-Schlafraum war modern eingerichtet, enthielt eine bequeme Bettcouch, ein Sideboard, einen Schrank, eine Sitzgruppe und einen Couchtisch. Der Gast verfügte über ein perfekt eingerichtetes Badezimmer mit allen sanitären Einrichtungen und konnte sogar vergessen, daß es kein Fenster gab. Dafür war die Beleuchtung ausgezeichnet und ließ keine Beklemmung aufkommen.

»Sie wünschen Neuigkeiten zu hören, Mister Driffers?« fragte Parker.

»Gibt es denn welche?« Der Gast ließ sich am Couchtisch nieder und begann mit dem Frühstück.

»Das Haus Ihres Freundes und Partners Buffin brannte in der vergangenen Nacht aus«, sagte Parker.

»Wie war das?« fragte Randy Driffers. »Rons Haus ist abgebrannt? Und was ist ihm dabei passiert?«

»Nach Auskunft der Polizei war Mister Ron Buffin eindeutig nicht im Haus, was Sie sicher erleichtert zur Kenntnis nehmen werden.«

»Das war natürlich Brandstiftung«, meinte Randy Driffers. »Man will Ron und mich fertigmachen.«

»Dieser Auffassung möchte meine Wenigkeit sich vollinhaltlich anschließen«, gab der Butler zurück. »Sie hegen einen bestimmten Verdacht, was die Verfolger und Brandstifter betrifft?«

»Im Grunde nicht«, lautete die Antwort des Journalisten. »Ron hat schon vielen Leuten auf die Zehen getreten.«

»Wobei Sie allerdings namentlich in Erscheinung traten, Mister Driffers.«

»Ich bin der Mann im Hintergrund«, lautete die Antwort. »Ich recherchiere und trage die Fakten zusammen, Ron arbeitet dann alles auf und präsentiert die Ergebnisse.«

»Seine scharfe Feder wird allenthalben gerühmt, Mister Driffers.«

»Sie ist auch wirklich einsame Spitze«, meinte Randy Driffers und nickte. »Das bekäme ich nie hin. Ich hätte auch nicht den Mut, wochenlang irgendwo zu arbeiten, um an Details ranzukommen. Für so etwas muß man eine besondere Ader haben.«

»Gab es in der jüngsten Vergangenheit vielleicht gewisse Drohungen, die Sie und Ihren Partner erreichten?«

»Drohungen und Prozesse gibt es am laufenden Band«, entgegnete der Journalist. »Jeder Bericht von uns ist doch ein Stich ins Wespennest. Aber bisher haben wir noch nie draufgezahlt, vor den Gerichten haben stets wir gewonnen.«

»Könnten Sie sich vorstellen, daß Mister Ron Buffin Sie inzwischen sehr vermißt?«

»Natürlich, das ist doch auch der Grund dafür, daß ich mich geärgert habe, weil die Tür abgeschlossen war. Ich hätte Ron längst anrufen müssen. Aber das Telefon funktionierte ja ebenfalls nicht.«

»Was Sie umgehend bewerkstelligen können, Mister Driffers. Das Telefon auf dem Sideboard ist durchgestellt.«

»Okay, ich werde nach dem Frühstück anrufen.« Randy Driffers hatte plötzlich doch Zeit.

»Wenn Sie erlauben, wird meine Wenigkeit jetzt gehen«, schlug der Butler vor. Er deutete eine knappe Verbeugung an und verließ das Gästezimmer. Wann Randy Driffers auch immer anrufen würde, die Telefonnummer und das Gespräch wurden aufgezeichnet. Parker hatte da seine technischen Vorkehrungen getroffen.

Der Butler begab sich ins Erdgeschoß des Hauses und verständigte seine Herrin, die bereits ungeduldig wartete.

»In wenigen Minuten werden Mylady wissen, mit wem Mister Driffers sich wo ins Benehmen setzte«, sagte der Butler.

»Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben, Mister Parker«, erwiderte sie leicht gereizt. »Ich habe nicht die Absicht, meine Hände in den Schoß zu legen. Ich weiß längst, daß ich hier auf einen sehr interessanten neuen Kriminalfall gestoßen bin.«

Parker dachte nicht daran, der Lady auch nur andeutungsweise zu widersprechen.

*

Vor dem altehrwürdigen Haus hielt ein normales Taxi, das Parker bestellt hatte. Der Gast des Hauses bedankte sich noch mal bei Lady Agatha.

»Ohne Sie hätte es mich bestimmt erwischt«, sagte er abschließend.

»Das ist richtig, junger Mann«, entgegnete die Detektivin. »Was macht Ihre Hüfte?«

»Die ist so gut wie vergessen, Mylady«, redete Randy Driffers weiter. »Ich glaube nicht, daß sie doch noch Arger machen wird.«

»Sie fahren jetzt in Ihre Wohnung?« wollte Agatha Simpson wissen.

»Ich weiß nicht recht.« Randy Driffers zögerte. »Vielleicht erwartet man mich dort. Ich denke, ich werde erst mal wegtauchen und mich unsichtbar machen.«

»Ein Entschluß, zu dem man Sie nur beglückwünschen kann«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Darf man übrigens fragen, wo Mylady Sie erreichen kann?«

»Ich weiß es selbst noch nicht«, gab Randy Driffers zurück. »Aber ich werde mich umgehend melden.«

Parker glaubte ihm kein Wort. Er begleitete den Journalisten zur Tür und dann zum wartenden Taxi. Am Steuer dieses Wagens saß ein etwa fünfundfünfzigjähriger Mann, der schlank war und einen fast weißen Schnurrbart trug. Mit diesem Mann tauschte der Butler einen schnellen, kaum wahrnehmbaren Blick.

Der Taxifahrer war ein gewisser Horace Pickett, der in früheren Jahren mal als Taschendieb gearbeitet hatte und Meister seines Fachs gewesen war. Pickett hatte sich selbst stets als Eigentumsumverteiler bezeichnet und nur solche Klienten ausgewählt, die einen finanziellen Verlust mit leichter Hand ertragen konnten.

Nachdem Parker ihn mal vor den mörderischen Nachstellungen eines Gangsters bewahrt hatte, war Horace Pickett in sich gegangen und hatte die Seite gewechselt. Er hatte seinen »Beruf« aufgegeben und arbeitete jetzt immer wieder für Lady Simpson und den Butler.

Parker hatte Pickett an diesem Morgen angerufen und ihn gebeten, sich ein Taxi zu beschaffen, was bei Picketts Verbindungen keine Schwierigkeit gewesen war. Der ehemalige Eigentumsumverteiler hatte es nun übernommen, Randy Driffers zu beschatten. Parker wollte herausfinden, wohin der Journalist fuhr.

Driffers schöpfte keinen Verdacht.

Er nahm auf dem Rücksitz des Taxi Platz und winkte dem Butler noch mal kurz zu. Wenig später passierte der Wagen das Tor und verschwand auf der Durchgangsstraße.

»Mit wem hat er von seinem Zimmer aus gesprochen?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Hat er Kontakt mit seinem Partner aufgenommen?«

»Nicht direkt, Mylady«, erwiderte Parker. »Mister Driffers sprach mit einem gewissen Paul Baltson in Soho, wie festgestellt werden konnte.«

»Und wer ist dieser Mann?« fragte die Detektivin weiter.

»Mister Paul Baltson ließ dies in seiner Antwort nicht erkennen, Mylady« bedauerte Parker. »Er scheint mit Mister Driffers allerdings recht gut bekannt zu sein.«

»Nun, ich werde mir diesen Mann bei Gelegenheit mal aus der Nähe ansehen«, kündigte die ältere Dame an. »Merken Sie sich das vor, Mister Parker.«

»Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker deutete eine Verbeugung an.

»Und was steht jetzt auf meinem Programm?« wollte sie wissen.

»Mylady deuteten an, Mister Ernest Lesbury aufsuchen zu wollen.«

»Wer ist denn das?« wunderte sie sich sichtlich. Namen konnte Agatha Simpson sich einfach nicht merken.

»Mylady sahen sich veranlaßt, gegen das Schienbein des erwähnten Mister Lesbury zu treten«, erinnerte der Butler. »Einer seiner jungen Begleiter erstieg zusammen mit einem Gefährten die Mauer des Hauses und konnte dann später der Polizei überantwortet werden.«

»Ich weiß«, gab sie umgehend zurück. »Ich habe alle Einzelheiten genau im Kopf. Dieses Subjekt ist der Zeitungsherausgeber, dessen Leute mir ein Verhältnis mit Ihnen unterstellten, nicht wahr?«

»Nicht direkt«, korrigierte Parker höflich. »Dieser Herausgeber heißt Robert Carnach, wie Mylady natürlich wissen. Sein Schienbein konnte von Mylady bisher nicht erreicht werden.«

*

Das Backsteinhaus stammte aus den Gründerjahren, war drei Stockwerke hoch und stand in Lambeth, ganz in der Nähe der Themse. Rechts davon gab es eine Einfahrt, hinter der eine große Lagerhalle zu sehen war.

Vor dem Eingang langweilten sich einige abgestellte Wagen. Nichts deutete daraufhin, daß in diesem etwas schäbig aussehenden Bau die Fäden eines kleinen Imperiums zusammenliefen.

Mylady schritt energisch in die Halle des Hauses und blieb vor einer Pförtnerloge stehen, in der ein junger Mann in einem Magazin blätterte und sich nicht die Zeit nahm, aufzublicken.

Er tat es, nachdem Lady Agatha ihren perlenbestickten Pompadour nachdrücklich auf die Bedienungsplatte abgelegt hatte. Der im Pompadour befindliche Glücksbringer, nämlich das mächtige Hufeisen eines Brauereipferdes, schlug eine tiefe Delle in das Holz und ließ die Scheiben der Pförtnerloge vibrieren.

»Stehen Sie gefälligst auf, wenn eine Dame Auskunft verlangt«, raunzte die Detektivin den jungen Mann an, den Parker sofort wiedererkannte. Es war der dritte Begleiter des Ernest Lesbury, den er auf der Terrasse entwaffnet hatte.

Der Mann sprang auf und starrte Lady Simpson entgeistert an. Mit diesem Besuch hatte er nicht gerechnet.

»Sie?« fragte er gedehnt und wich zurück.

»Zu Mister Lesbury«, schaltete der Butler sich ein.

»Mo... Moment, ich werde nachfragen, ob er überhaupt da ist«, antwortete der Mann und langte nach dem Telefon.

»Mylady wünschen nur in Erfahrung zu bringen, wo sich sein Büro befindet«, meinte der Butler. »Weiter brauchen und sollten Sie sich nicht bemühen.«

Der junge Mann schien nichts gehört zu haben. Er wählte eine hausinterne Nummer, das heißt, er wollte, doch Parker ließ es nicht dazu kommen. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes drückte er nachhaltig auf die Gabel des Apparates und rutschte dabei etwas ab. So geschah es, daß der Griff sich auf die Stirnpartie des Mannes legte. Er schnaufte daraufhin tief, verdrehte die Augen und nahm dann auf seinem Stuhl Platz.

Da er etwas zu viel an Schwung mitbrachte, kippte er mit dem Sitzmöbel nach hinten und fiel gegen einen Schaltkasten. Als er auf dem Boden landete, war er bereits nicht mehr in der Verfassung, am weiteren Geschehen teilzunehmen.

»Nur weiter so in Zukunft«, meinte die ältere Dame wohlwollend. »Unnötige Höflichkeit zahlt sich nicht aus, Mister Parker.«

»Ein Ausrutscher, Mylady, der meiner Wenigkeit fast unangenehm ist.«

»Papperlapapp, Mister Parker. Wo finde ich jetzt dieses Subjekt, dem ich einige Fragen stellen will?«

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im höchsten Geschoß«, beantwortete der Butler die Frage. »Man könnte den Lift nehmen.«

»Was sonst?« Sie schritt hinüber zum Lift und ließ ihren Pompadour unternehmungslustig pendeln. Agatha Simpson freute sich auf das Gespräch mit jenem Mann, dessen Schienbein sie bereits nachdrücklich beehrt hatte.

Parker öffnete, oben angekommen, die Tür und steuerte dann einen Raum an, aus dem man das Klappern einer Schreibmaschine und Stimmen hörte. Dazwischen brandete Gelächter auf.

Parker, der die weitere Führung übernommen hatte, blieb in der Tür zu einem großen Büro stehen. Zwei Männer und eine Blondine schienen eine Teepause eingelegt zu haben. Sie hielten große Porzellantassen in Händen, rauchten und waren eindeutig bester Laune.

»Zu Mister Lesbury«, ließ Parker sich vernehmen und lüftete die schwarze Melone. »Man wurde bereits telefonisch angemeldet.«

»Da haben Sie aber Pech«, sagte einer der beiden Männer. »Der Boß ist nicht da.«

»Was sage ich denn dazu?« Agatha Simpson schob ihre majestätische Fülle in das Büro. »Das ist doch eine Unverschämtheit. Wo finde ich Mister ...«

»... Lesbury«, half Parker aus.

»Wer sonst?« grollte die ältere Dame. »Wo also finde ich ihn? Ich habe meine Zeit schließlich nicht gestohlen.«

»Er wird in etwa einer Viertelstunde zurückkommen«, sagte der junge Mann verdutzt.

»Konnten Sie das nicht früher sagen?« raunzte die energische Dame prompt.

»Wer, ich meine, wer sind Sie denn?« wollte der Mann wissen.

»Sie haben die Ehre, Lady Simpson Rede und Antwort stehen zu dürfen«, schaltete der Butler sich ein. Bevor der Mann dazu Stellung nehmen konnte, läutete eines der vielen Telefone. Der zweite junge Mann hob ab, meldete sich, hörte einen Moment zu und blickte dabei ruckartig auf Lady Simpson und Butler Parker.

»Wir rufen zurück«, sagte er dann und bemühte sich um Gleichgültigkeit. Dann stellte er die Porzellantasse ab und schlenderte wie zufällig zu einem Schreibtisch. Als er eine Lade öffnen wollte, stieß Parker sie mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes nachdrücklich zu. Dabei ließ es sich nicht vermeiden, daß der Mann sich den Handrücken einklemmte.

»Eine rein prophylaktische Maßnahme«, meinte Parker gemessen und höflich. »Ihre Bewegung läßt den Schluß zu, daß Sie die Absicht hatten, nach einer Schußwaffe zu greifen.«

Der erste Mann reagierte umgehend und wollte sich mit dem Butler anlegen. Dabei beging er den Fehler, sich nicht weiter um Lady Agatha zu kümmern. Er passierte sie und ... legte sich eine Sekunde später mit dem Bauch auf einen der Schreibtische. Er segelte auf der Platte energiereich weiter, bis sein Kopf gegen eine Teekanne stieß, die umkippte und ihren nicht gerade kalten Inhalt auf sein Oberhemd ergoß.

Daraufhin jaulte der Mann, rollte sich vom Schreibtisch ab und vollführte einen wilden Veitstanz, der aus dem Moment heraus geboren wurde. Dabei zeigte der Mann enorme Begabung für den Ausdruckstanz.

Die Blondine produzierte inzwischen schrille Töne, die das Trommelfell beleidigten. Nach einer Ohrfeige, die Mylady verabreichte, wurde sie schlagartig ruhig, setzte sich auf einen Stuhl und starrte Agatha Simpson entgeistert an.

»Sie bringen unnötigerweise eine gewisse Hektik in die momentane Situation«, stellte der Butler fest, um sich dann an den jungen Mann zu wenden, der sich mit seinem gestauchten Handrücken befaßte. »Darf man erfahren, mit wem Sie eben gesprochen haben?«

»Mit mir«, erwiderte eine ironisch-überlegene Stimme. Parker wandte sich um und sah sich Ernest Lesbury gegenüber, der eine Automatic in der rechten Hand hielt.

»Da sind Sie ja endlich«, fauchte Agatha Simpson den Unternehmer gereizt an.

»In voller Größe«, meinte Lesbury. Er trug einen elegant geschnittenen Nadelstreifenanzug und ein Seidenhemd. Hinter ihm war ein junger Mann zu sehen, der ebenfalls seine Schußwaffe ausgepackt hatte.

»Wie kommen Sie dazu, mir einige Ihrer Subjekte ins Haus schicken zu wollen?« erkundigte sich die ältere Dame, die die Schußwaffe überhaupt nicht zur Kenntnis nahm.

»Wie ich dazu komme?« Lesbury lächelte kalt. »Weil ich nachtragend bin, Mylady.«

*

»Haben Sie sich gefälligst nicht so«, meinte Agatha Simpson abfällig. »Diesen Fußtritt werden Sie doch wohl längst verschmerzt haben, oder?«

»Sie haben mich blamiert«, antwortete Ernest Lesbury. »Und Sie haben mir meine Leute durcheinandergebracht.«

»Darf man in Erfahrung bringen, Mister Lesbury, wie Sie sich die weitere Entwicklung vorstellen?« erkundigte sich der Butler.

»Sie wollten mich sprechen, ich stehe also zur Verfügung.« Lesbury ließ die Schußwaffe verschwinden. Er lächelte wieder kalt bis kühl und deutete dann auf eine Verbindungstür. »Gehen wir in mein Privatbüro. Kann ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?«

»Von Ihnen werde ich nichts annehmen«, entschied die ältere Dame grimmig, »höchstens einen Cognac, aber auch den nur unter Protest.«

»Sie gehen sicher davon aus, Mister Lesbury, daß dieser Besuch bei Ihnen vorher an gewisser Stelle erwähnt wurde.« Parker folgte seiner Herrin, die sich in Bewegung gesetzt hatte.

»Natürlich gehe ich davon aus. Wahrscheinlich stehen ein paar Leute vor dem Haus, die alles sehr genau registrieren.«

»Dem sollte man nicht widersprechen.« Parker trat zur Seite und ließ Lesbury passieren. Lady Agatha nahm wie selbstverständlich in einem Sessel der Sitzgruppe Platz und musterte den Firmenchef, der sich auf die Kante seines Schreibtisches setzte.

»Ich mache Ihnen ein Friedensangebot«, sagte Lesbury. »Vergessen wir den ganzen Zwischenfall, streichen wir die Sache mit dem nächtlichen Besuch.«

»Sie machten vor wenigen Augenblicken deutlich, Mister Lesbury, daß Sie nachtragend sind«, erinnerte Josuah Parker.

»Legen Sie diese Bemerkung nicht auf die Goldwaage«, schlug der Firmenchef vor. »Was halten Sie von meinem Angebot, Mylady?«

»Mister Parker wird sich näher dazu äußern«, gab sie zurück.

»Mylady ist durchaus geneigt, dieses sogenannte Friedensangebot anzunehmen«, machte der Butler deutlich. »An dieser Stelle sollte man noch mal klarstellen, daß der bewußte Fußtritt einem Mister Robert Carnach galt.«

»Den ich aber serviert bekam.« Lesbury lächelte schief.

»Der Mensch an sich ist oft ein irrendes Wesen, Mister Lesbury, wie es so treffend heißt.«

»Gut, also Schwamm drüber.« Lesbury stand auf. Er hatte sich voll unter Kontrolle. »Ich denke, wir sollten uns in Zukunft aus dem Weg gehen. Was hat Ihnen eigentlich mein Angestellter erzählt, den Sie in der vergangenen Nacht abgefangen haben?«

»Er verweigerte jede Aussage, Mister Lesbury.«

»Was hätte er denn aussagen können, junger Mann?« fragte Lady Agatha.

»Nichts, rein gar nichts«, behauptete Lesbury. »Ich bin ein seriöser Unternehmer, der sich dem Markt anpaßt.«

»Sie lassen Damen- und Herrenoberbekleidung herstellen, Mister Lesbury?« schaltete der Butler sich ein.

»Richtig«, bestätigte Lesbury. »Meine Firma stellt sich auf jeden Modetrend sofort ein.«

»Sie importieren Oberbekleidung und lassen sie auch hier in London in Heimarbeit herstellen?«

»Ich beschäftige Viele Heimarbeiter und kleinere Betriebe, Mister Parker. Und das alles geht sehr reell über die Bühne, auch wenn manchmal etwas anderes behauptet wird.«

»Sie werden also angefeindet?«

»Jeder erfolgreiche Mensch hat seine Neider.« Lesbury winkte ab. »Man gewöhnt sich mit der Zeit daran, Mister Parker.«

»Was wirft man Ihnen denn vor, junger Mann?« wollte die ältere Dame ungeniert wissen. »Haben Sie übrigens meinen doppelten Cognac vergessen? Mein Kreislauf scheint ein wenig abzubauen.«

»Entschuldigung, Mylady.« Lesbury ging zu einem Schrank hinüber, in dem Flaschen und Gläser standen. Er füllte einen Cognacschwenker nicht unbeträchtlich und trug das Glas zu Agatha Simpson hinüber, die hoheitsvoll nickte, als sie es entgegennahm.

»Sie sind mir noch eine Antwort schuldig«, erinnerte sie, nachdem sie getrunken hatte.

»Ich soll angeblich schlechte Löhne zahlen und Einwanderer aus dem Commonwealth ausnutzen«, gab Lesbury zurück. »Natürlich sind das reine Verleumdungen. Diese Leute sollen froh sein, daß sie in Lohn und Brot stehen.«

»Falls meine Wenigkeit nicht alles täuscht, Mister Lesbury, dann gab es eine Artikelserie über Sie in einem Londoner Massenblatt«, tippte der Butler an. Seine Intuition ließ ihn diese Frage stellen.

»Buffin war der Schmierer«, sagte der Unternehmer. »Ich weiß nicht, ob Sie schon von ihm gehört haben. Dieser Mann hat sich in meine Firma eingeschlichen als Heimarbeiter. Ich prozessiere zur Zeit mit ihm und werde ihn zwingen, seine Behauptungen zu widerrufen. Darauf können Sie sich verlassen!«

»Buffin?« echote die Detektivin und runzelte die Stirn. »Habe ich diesen Namen nicht schon mal gehört?«

»Ein sogenannter Enthüllungsjournalist, Mylady«, half Parker diskret und höflich aus. »Mister Buffin ist gerade gefürchtet, was seine Artikel betrifft.«

»Irgendwann wird er sich mal den Hals brechen«, prophezeite der Unternehmer. »Ich würde ihm dann keine Träne nachweinen, das können Sie mir abnehmen!«

*

»Sehr unbefriedigend, Mister Parker«, räsonierte Lady Agatha, als sie auf das hochbeinige Monstrum zuging. »Dieses Subjekt hat sich doch wirklich erdreistet, höflich zu bleiben.«

»Eine Taktik, Mylady, die sich mit Sicherheit bald ändern wird.«

»Das möchte ich diesem Unternehmer aber auch geraten haben«, drohte sie förmlich. »Daß er ein Gangster ist, sieht man ihm doch an der Nasenspitze an.«

»Hoffentlich«, meinte die ältere Dame, »stimmt es wirklich, was dieser Enthüllungsjournalist über ihn geschrieben hat?«

»Meine Wenigkeit erlaubte sich, auf den sprichwörtlichen Busch zu klopfen, Mylady. Mister Lesbury reagierte umgehend, wie zu vernehmen war.«

»Dann könnte auch er diese beiden Subjekte losgeschickt haben, die meinen Gast verwundeten, wie?«

»Solch eine Möglichkeit sollte man keineswegs ausschließen, Mylady.«

»Weiß ich inzwischen, wo dieser Gast sich versteckt hält?«

»Mister Pickett, der als Taxifahrer auftrat, hat sich bisher noch nicht gemeldet, Mylady.«

»Nun ja, alles zu seiner Zeit. Was werde ich jetzt unternehmen? Ich habe keine Lust, die Hände in den Schoß zu legen.«

»Mylady werden bald zerstreut werden«, prophezeite der Butler. »Nach Lage der Dinge werden Mylady verfolgt.«

»Tatsächlich? Ich ahnte es.« Sie nickte zufrieden. »Dieser Unternehmer wird seine Leibwächter auf mich hetzen wollen.«

»Der von meiner Wenigkeit beobachtete Vauxhall war bereits auszumachen, als Mylady den Firmensitz des Mister Lesbury ansteuerten.«

»Unwichtige Details«, tat sie diesen nicht unwichtigen Hinweis ab.« Hauptsache, ich werde verfolgt. Selbstverständlich werde ich mir diese aufdringlichen Subjekte kaufen, Mister Parker.«

»Wie Mylady zu wünschen belieben.«

Parker blickte erneut in den Rückspiegel des hochbeinigen Monstrums. Der Vauxhall hielt sich vorsichtig zurück und sorgte stets für hinreichenden Abstand. Nach der Vorstellung des Butlers hatte man es wohl kaum mit Lesburys Mitarbeitern zu tun.

Parker dachte an einen gewissen Jack Berwick aus dem Avery Hotel. Dieser Mann, der aus den Staaten gekommen war, hatte die beiden Männer auf Randy Driffers angesetzt, der sich ins Haus der Lady Simpson geflüchtet hatte.

War es mehr als nur ein Zufall gewesen, daß dieser Journalist sich gerade in Shepherd’s Market aufgehalten hatte? Hatte er wirklich keine andere Möglichkeit gehabt, als sich zu Lady Agatha zu flüchten? Oder war dies alles ein raffiniert eingefädeltes Spiel? Falls dem so war, so konnte Parker noch nicht ausmachen, um was es dabei ging.

»Ist der Vauxhall noch hinter mir?« erkundigte sich die ältere Dame.

»Nach wie vor, Mylady«, gab Parker Auskunft. »Man könnte sich mit dem Fahrer des Wagens vielleicht im Archbishop Park befassen, der ganz in der Nähe zu finden ist.«

»Sie haben völlig freie Hand«, gab die Detektivin zurück. »Hauptsache ist, daß ich erfahre, wer mich verfolgt. Ich werde dann daraus meine Schlüsse ziehen.«

Josuah Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum in Richtung Park und bog dann, da er sich bestens auskannte, in eine ruhige Seitenstraße. Er hatte die Absicht, den Fahrer des Vauxhall noch tiefer in das Gewirr der vielen kreuz und quer verlaufenden Straßen zu lotsen, um dann die verborgenen Tricks seines Wagens ausspielen zu können.

Doch er hatte die Rechnung ohne den Verfolger gemacht.

Der Vauxhall tat plötzlich einen Satz nach vorn und holte schnell auf. Parker witterte plötzlich Gefahr und rechnete mit einer bösen Überraschung. Er hielt Ausschau nach einem Fluchtweg und konnte es wegen eines ausscherenden Wagens vom Straßenrand nicht vermeiden, daß der Vauxhall jetzt rechts neben seinem Wagen auftauchte.

Am Steuer des Wagens, dies konnte er erst jetzt ausmachen, saß ein offensichtlich fülliger Mann, der eine Nickelbrille trug, in die Sonnengläser eingesetzt waren. Auf dem Kopf des Mannes saß ein breitkrempiger Hut, den der Butler schon mal gesehen hatte.

Nun, akute Gefahr bestand natürlich nicht, denn Parkers Monstrum war schußsicher. Die Spezialscheiben hätten jeden Schuß leicht abgewehrt. Dennoch: Parkers innere Alarmanlage schrillte.

Und da passierte es auch schon ...

Der Mann hielt ebenfalls kurz an und streckte seinen linken Arm aus dem geöffneten Wagenfenster. In dieser Hand entdeckte der Butler einen grauen Kasten, etwa so groß wie eine halbe Zigarrenkiste. Als der Mann die Hand samt Arm wieder über den Beifahrersitz in den Wagen zurücknahm, war der graue Kasten nicht mehr zu sehen.

Parker wurde stutzig.

*

Der Butler reagierte instinktiv.

Er nahm wahr, wie der Vauxhall ihn nun vollends überholte, rücksichtslos seinen Weg über einen Gehsteig suchte und dann zwischen einer Hauswand und einem Laternenpfahl strandete. Er wurde eingeklemmt und blieb stecken.

Die Fahrertür öffnete sich.

Der untersetzte, füllige Mann im grauen Straßenanzug ließ sich förmlich vom Sitz fallen, raffte sich auf und beeilte sich dann, den Wagen hinter sich zu lassen.

Parker dachte an das graue Kästchen und steuerte einen am Straßenrand abgestellten Möbelwagen an. Er brachte sein hochbeiniges Monstrum geschickt an die aufgeklappte Ladefläche des Transporters und blickte dabei durch das geöffnete Fenster nach draußen. Nach einer letzten, zentimetergenauen Korrektur schaffte er es, das graue Kästchen, das er jetzt sehen konnte, von seinem Wagen abzustreifen.

Das Kästchen klatschte auf die Straße und schlitterte dann unter den Möbelwagen. Parker gab Gas und veranlaßte seine Herrin, unwillig zu protestieren.

»Was soll denn das?« grollte sie und versuchte, sich gegen den Anpreßdruck zu wehren. Doch sie schaffte es nicht. Sie wurden tief in die Polster gedrückt und dort festgehalten.

Und dann passierte es bereits ...

Ein greller Feuerblitz erhellte den Möbelwagen und hüllte ihn ein. Dann hörte man eine schmetternde Detonation und spürte den harten Luftdruck, der das hochbeinige Monstrum durchschüttelte. Parker hatte gehalten und blickte durch das Wagenfenster nach hinten.

Der Möbelwagen erinnerte an eine riesige Rakete auf einem Starttisch. Die Zündung war erfolgt. Jetzt hob sich die Rakete langsam ab und gewann an Höhe. Nach einem halben Meter aber brach sie auseinander und wurde wieder zu einem regulären Möbelwagen, der sich in seine Bestandteile auflöste und einen wüsten Trümmerregen bescherte. Dies alles geschah innerhalb weniger Augenblicke.

Parker konnte nur hoffen, daß der Möbelwagen unbesetzt war. Sein Gesicht blieb maskenhaft unbeweglich, als er ausstieg und langsam zur Explosionsstelle schritt. Dabei mußte er aufpassen, um nicht von herabregnenden Wrackteilen getroffen zu werden.

Und er dachte immer wieder an die beiden Möbelpacker, an die er sich erinnern konnte. Sie waren auf dem Weg zurück ins Haus. Aber sollte es noch einen dritten Packer gegeben haben?

Staub wallte hoch, die letzten Trümmer landeten auf der Straße oder auf abgestellten Autos. Fensterscheiben platzten, die ersten Rufe von Hausbewohnern oder Passanten waren zu vernehmen.

Parker erreichte die Stelle, wo das rauchende und brennende Wrack des Möbelwagens stand. Er blickte auf die beiden Packer, die aus dem Haus stürzten und dann wie versteinert stehenblieben.

»Darf man sich nach Ihrem dritten Mitarbeiter erkundigen?« fragte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone.

»Was heißt hier dritter Mitarbeiter?« Der Mann schüttelte zu Parkers grenzenloser Erleichterung den Kopf. »Den Kram hier schaffen wir allein und ... Verdammt, was ist mit unserem Möbelwagen passiert?«

»Sie sollten sich bei Gelegenheit vielleicht tunlichst nach einem anderen Wagen umsehen«, schlug der Butler vor.

»Das darf doch nicht wahr sein?« Der zweite Packer schüttelte ungläubig den Kopf.

»Das Leben ist voller Überraschungen, wenn man diese Bemerkung machen darf«, erklärte Josuah Parker und ging dann zu seinem hochbeinigen Monstrum zurück. Lady Agatha war ausgestiegen, und blickte ihren Butler an.

»Das galt mir, nicht wahr?« fragte sie, ohne sich jedoch sonderlich beeindruckt zu zeigen.

»Myladys Frage kann man rundheraus bejahen«, erwiderte Parker höflich.

»Und wer hat sich da erlaubt, mich derart zu belästigen?« grollte sie.

»Dem wird man noch nachzugehen haben, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers. »Man sollte schnell zu einem Ergebnis kommen, bevor weitere Anschläge ausgeführt werden können.«

»Ich lasse Ihnen freie Hand«, gab Lady Agatha wohlwollend zurück. »Nur auf diese Art und Weise können Sie selbständig werden, Mister Parker.«

*

»Dieser Mann kann nur die Kröte sein«, sagte Chief-Superintendent McWarden, der sich wieder mal im Haus der älteren Dame eingefunden hatte.

»Was stelle ich mir denn darunter vor, mein Bester?« wollte Lady Agatha umgehend wissen.

»Die Kröte ist ein international bekannter Killer«, antwortete der Chief-Superintendent. »Ich werde Ihnen gleich die nächste Frage beantworten, bevor Sie sie stellen können, Mylady.«

»Wie rücksichtsvoll«, erwiderte die Detektivin ironisch. »Und wie hätte Ihrer Ansicht nach meine Frage gelautet?«

»Warum konnte man dieses Subjekt bisher nicht festnehmen?«

»Ausnahmsweise liegen Sie mal richtig, McWarden«, räumte Agatha Simpson ein. »Diese Frage hätte ich tatsächlich gestellt. Hoffentlich fällt die Antwort befriedigend aus.«

»Man hat dieser Kröte bisher nichts nach weisen können«, lautete McWardens Antwort. »Spuren hinterließ sie nie, Waffen wurden bei ihr niemals gefunden.«

»Und womit tötet sie dann?« Lady Agatha schüttelte unzufrieden den Kopf.

»Die Kröte hat Helfershelfer«, berichtete der Chief-Superintendent weiter. »Die führen die eigentlichen Morde aus. Die Kröte legt die Taktik fest, und sie hat sich in der Vergangenheit bereits eine Menge einfallen lassen. Das können Sie mir glauben.«

»In Myladys Fall dürfte die sogenannte Kröte dann zum erstenmal sehr persönlich gewirkt haben«, warf der Butler ein. »Es steht außer Zweifel, daß sie die Sprengladung am Wagen meiner Wenigkeit befestigte, und zwar mittels – wie man unterstellen kann – eines Haftmagneten.«

»Ungewöhnlich«, räumte McWarden ein. »So weit hat die Kröte sich noch nie aus dem Fenster gehängt.«

»In des Worten wahrster Bedeutung, Sir«, meinte der Butler. »Sie mußte sich weit über den Beifahrersitz beugen.«

»Ich gehe davon aus, daß ich den Ehrgeiz dieser Kröte geweckt habe«, stellte die Detektivin voller Zuversicht fest. »Aber das wundert mich nicht besonders. Was mich betrifft, so muß man sich schon etwas einfallen lassen.«

»Das kann man wohl sagen, Mylady«, sagte der Chief-Superintendent und lächelte flüchtig. »Gehen Sie aber davon aus, Mylady, daß diese Kröte nicht allein ist.«

»Sie könnte die Taktik verfolgen, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen«, vermutete der Butler. »Man konzentriert sich auf sie und vergißt darüber die Helfershelfer. Darf man erfahren, Sir, wie es zu diesem Spitznamen kam?«

»Der Killer ist giftig wie eine tropische Kröte«, erklärte McWarden. »Es gibt da solche Kröten, die man besser nicht berührt, wenn man nicht prompt sterben will.«

»An mir wird diese Kröte sich verschlucken«, prophezeite Agatha Simpson und lehnte sich zurück. »Ich weiß auch schon, wer sie auf mich angesetzt hat.«

»Ausgeschlossen«, ließ McWarden sich vernehmen.

»Dieser Lümmel aus der Oberbekleidungsbranche«, redete die ältere Dame munter weiter. »Ich trat dem Subjekt ans Schienbein.«

»Ernest Lesbury?« Der Chief-Superintendent kannte die Geschichte inzwischen und schüttelte nach der Nennung des Namens den Kopf. »Also ehrlich, das kann ich mir nicht vorstellen. Dazu war der Anlaß nun doch zu gering.«

»Wenn eine Lady Simpson zutritt, ist der Anlaß niemals gering«, gab sie umgehend und raunzend zurück.

»Wie auch immer, Mylady.« McWarden schüttelte erneut den Kopf. »Die Kröte dürfte sündhaft teuer sein. Nein, es muß da einen anderen Grund geben, warum man die Kröte auf Sie angesetzt hat. Einen Grund übrigens, den ich noch nicht kenne.«

»Mylady werden nachdenken«, versprach Parker, bevor seine Herrin antworten konnte.

»Die Sache muß mit den beiden Männern zu tun haben, die man hier in Shepherd’s Market aufgefunden hat«, redete McWarden weiter. »Aber ich will nicht neugierig sein, ich werde schon früh genug erfahren, mit welchem Fall Sie sich momentan befassen, Mylady.«

»Mister Parker sagte bereits, daß ich nachdenken werde«, lautete Myladys Antwort. »Im Augenblick stehe ich noch unter einem tiefen Schock, mein lieber McWarden. Man wollte mich schließlich in die Luft sprengen.«

»Man sieht Ihnen eigentlich nichts von dem Schock an, Mylady.«

»Weil ich mich stets unter Kontrolle habe und Selbstdisziplin übe«, behauptete Lady Agatha. »Daß Sie so etwas schaffen werden, bezweifle ich allerdings sehr, was natürlich kaum ein Vorwurf sein soll.«

*

»Hat Pickett sich bereits gemeldet?« fragte Anwalt Rander. Er saß neben Parker auf dem Beifahrersitz des hochbeinigen Monstrums und rauchte eine Zigarette.

»Mister Randy Driffers, Sir, den er als Taxifahrer chauffierte, ließ sich in Mayfair vor einem Hotel absetzen«, berichtete Parker. »Mister Randy Driffers mietete aber dort keineswegs ein Zimmer, sondern wartete, bis Mister Pickett mit dem Taxi fortgefahren war.«

»Er handelte aber wahrscheinlich mit Zitronen, wie?« Rander lächelte. Er kannte den ehemaligen Eigentumsumverteiler inzwischen sehr gut und wußte, wie erfahren und nützlich Pickett war. Er war ein Mann, den man nicht so einfach abschütteln konnte.

»Mister Pickett hatte in der Tat mit einem Ablenkungsmanöver gerechnet, Sir. Er ließ das Taxi stehen, nachdem er sein Äußeres ein wenig verändert hatte. Als Myladys Gast das Hotel verließ, vermochte Mister Pickett ihm heimlich zu folgen. Mister Randy Driffers traf sich wenig später mit einer relativ jungen Frau, der er in die Wohnung folgte.«

»Und dort blieb?«

»In der Tat, Sir. Mister Randy Driffers wohnt zur Zeit bei einer gewissen Mabel Pultnay in Mayfair.«

»Ausgezeichnete Arbeit«, lobte Mike Rander den ehemaligen Taschendieb.

»Falls Sie gestatten, Sir, möchte meine Wenigkeit dieser Auffassung beipflichten«, ließ der Butler sich vernehmen. »Wer diese Miß Mabel Pultnay ist, ließ sich bisher nicht eruieren.«

»Das läßt sich ja wohl nachholen, Parker. Hauptsache, wir haben den Kontakt zu Driffers nicht verloren. Was halten Sie übrigens von diesem Mann?«

»Er dürfte, was die Arbeit des Teams angeht, kaum wichtiger sein als Mister Ron Buffin, der allerdings als der Kopf des Teams gilt.«

»Ein Mann im Hintergrund, wie?«

»Was Frustrationen auslösen könnte, Sir.«

»Aha, daran haben auch Sie schon mal gedacht.« Rander nickte. »Wer im Dauerschatten steht, Parker, der sehnt sich nach Sonne.«

»Man sollte diesen Aspekt nicht ausklammern, Sir.«

»Ich werde mich hüten, Parker. Aber mich irritiert, daß man diesen Mann im Schatten umbringen wollte.«

»Möglicherweise wurde auch bereits auf Mister Ron Buffin ein Mordversuch verübt, Sir.«

»Das ist natürlich nicht auszuschließen, Parker. Driffers hat sich doch per Telefon mit diesem Knaben .aus Soho unterhalten, nicht wahr?«

»Mit einem gewissen Mister Paul Baltson, Sir, wie man vielleicht in Erinnerung rufen darf.«

»Sie dürfen, Parker.« Rander lächelte flüchtig. »Sie haben das Gespräch, das er vom Gästezimmer aus führte, aufgezeichnet, oder?«

»Nicht aus einer Indiskretion heraus, Sir, wie meine Wenigkeit versichern darf. Es geht um das Leben eines Gastes von Mylady.«

»Um was sonst, Parker.« Rander schmunzelte. »Und was hat dieses Gespräch gebracht?«

»Nichts als Unverbindlichkeiten, Sir, die den Verdacht eines Code aufkommen lassen. Mister Driffers fragte den erwähnten Mister Baltson, ob das Päckchen inzwischen angekommen wäre. Mister Baltson erklärte daraufhin fast wortwörtlich, die Post habe sich Zeit gelassen und das Päckchen leider noch nicht zugestellt.«

»Das war natürlich reine Code-Sprache«, pflichtete Rander dem Butler bei. »Sie wissen noch immer nicht, wer dieser Baltson ist?«

»Diese Frage, Sir, konnte inzwischen teilweise geklärt werden«, entgegnete der Butler. »Mister Paul Baltson betreibt ein Fachgeschäft für Tabakwaren in Soho.«

»Ist der Mann polizeilich bekannt?« Mike Rander wußte, daß Parker seine Beziehungen zur Polizei hatte spielen lassen.

»Mister Baltson verkauft eindeutig nicht nur Tabakwaren und Pfeifen«, lautete Parkers Antwort. »Mister Baltson handelt auch mit Insider-Nachrichten aus der kriminellen Szene.«

»Ein wichtiger Mann also für unsere beiden Enthüllungs-Journalisten«, meinte der Anwalt. »Wann werden wir uns diesen Knaben zur Brust nehmen, Parker?«

»Sobald man Miß Mabel Pultnay kontaktiert hat, Sir, wenn meine Wenigkeit diese Anregung geben darf.«

»Einverstanden, Parker, sehen wir uns Driffers Freundin erst mal aus der Nähe an. Vielleicht kann sie uns sagen, wo Ron Buffin zu finden ist. Lassen wir uns überraschen.«

*

Als Parker den Wagen verließ, blickte er unauffällig auf einen kleinen Morris, dessen Fahrer angestrengt in Briefen und Papieren blätterte. Dies war es nicht allein, was den Butler mißtrauisch machte. Der Mann trug eine Sonnenbrille, obwohl sich ein leichter Dunst über die Stadt gesenkt hatte. Wollte der Morris-Fahrer sein Gesicht unkenntlich machen? Hatte er etwas zu verbergen?

»Liegt was an, Parker?« erkundigte sich Mike Rander. Ihm war die Aufmerksamkeit des Butlers nicht entgangen.

»Möglicherweise wird die Wohnung der Miß Mabel Pultnay überwacht«, erwiderte Parker. »Ein Morris-Benutzer entwickelt eine Betriebsamkeit, die man nur als hektisch bezeichnen kann.«

»Wartet dieser Bursche auf uns?«

»Vielleicht generell auf jeden möglichen Besucher, Sir.«

»Sollen wir uns diesen Knaben kaufen?«

»Ein verlockender Vorschlag, Sir, der allerdings kein Ergebnis zeitigen wird. Der Morris-Benutzer könnte jeden Zusammenhang abstreiten.«

»Okay, setzen wir darauf, daß er uns folgen wird.« Rander schlenderte auf das Wohngebäude zu, das einen recht seriösen Eindruck machte. In der Straße, in der es lag, gab es Geschäfte, Pubs, einige Läden und ein Restaurant. An der Grenze zum nahen Soho herrschte auch hier in dieser Region lebhaftes Treiben.

Horace Pickett hatte sehr gute Vorarbeit geleistet. Parker wußte, daß Mabel Pultnay im Dachgeschoß ihr Apartment hatte. Es gab einen Lift, der hinaufführte.

Der Butler verzichtete aus guten Gründen darauf, höflich zu läuten. Mit schnellem Blick hatte er das Türschloß begutachtet und überredete es auf seine spezielle Art, sich umgehend zu öffnen. Zur Unterstützung seiner Bitte benutzte er sein kleines Spezialbesteck, das an das eines passionierten Pfeifenrauchers erinnerte. Es gab da einige flache, gekrümmte und hakenförmig gebogene Metallgegenstände, die an sich völlig harmlos und nichtssagend aussahen, tatsächlich aber geeignet waren, jedes handelsübliche Schloß zu öffnen.

»Die feine englische Art ist das aber gerade nicht«, meinte der Anwalt leise. »Als Rechtsorgan nehme ich das sicherheitshalber erst gar nicht zur Kenntnis.«

»Meine Wenigkeit wird sich zu einem späteren Zeitpunkt zu entschuldigen wissen, Sir.« Parker ließ das kleine Besteck, das jetzt wieder in einem Lederbeutel verschwunden war, in die linke Tasche seines schwarzen Covercoats gleiten und drehte vorsichtig den Türknauf. Das Türblatt ließ sich geräuschlos aufdrücken. Parker trat ein, dicht gefolgt von Mike Rander.

Es gab einen kleinen Korridor, von dem aus eine Tür ins Bad führte. Am Ende des Ganges befand sich ein größerer kombinierter Wohn- und Schlafraum, an den sich links eine kleine Küche anschloß. Noch war von Bewohnern nichts zu sehen.

Mike Rander wollte gerade etwas sagen, als Parker warnend seine rechte, schwarz behandschuhte Hand hob. Er hatte ein schniefendes Geräusch gehört, schob sich vorsichtig um die Ecke und warf einen Blick auf den Boden der kleinen, pantryartigen Küche.

Randy Driffers lag auf dem Boden und machte einen mitgenommenen Eindruck. Er war eindeutig zusammengeschlagen worden. Neben ihm saß eine Frau, etwa dreißig Jahre alt. Auch sie war mißhandelt worden. Sie hatte ein geschwollenes Gesicht, zerzaustes Haar und preßte sich einen offensichtlich nassen Lappen auf den linken Mundwinkel. Im Gegensatz zu Driffers bewegte sie sich, aber noch.

Sie schien etwas gehört zu haben, riß den Kopf hoch und starrte den Butler entsetzt an. Dann wollte sie den Mund öffnen und wohl schreien, doch Parker kam ihr zuvor. Er lüftete höflich die schwarze Melone und wünschte einen hoffentlich guten Tag.

»Mein Name ist Josuah Parker«, stellte er sich vor. »Hinter oder auch neben mir sehen Sie Mister Rander, seines Zeichens Anwalt. Man darf Ihnen fest versichern, daß Sie nichts zu befürchten haben, Miß Pultnay.«

»Wer sind Sie?« fragte sie recht undeutlich, was eindeutig mit ihren geschwollenen Lippen zusammenhing.

»Zuerst eine Gegenfrage, die in Anbetracht der momentanen Situation angebracht ist, Miß Pultnay: Wie ist das Befinden Mister Driffers’? Kann man davon ausgehen, daß er noch unter den Lebenden weilt?«

Die barocke Ausdrucksweise löste das Entsetzen in der jungen Frau. Sie holte tief Luft und nickte.

»Randy ist nur ziemlich fertig«, sagte sie. Als sie den Vornamen des Journalisten nannte, blinzelte Driffers und rührte sich.

»Man dürfte Sie nicht gerade zivilisiert behandelt haben«, stellte der Butler fest. »Wenn es gestattet ist, wird man Ihnen Hilfe leisten. Bei dieser Gelegenheit könnten Sie dann berichten, was sich hier ereignet hat.«

Mike Rander tippte den Butler kurz an und wandte sich dann ungemein geschmeidig ab. Seine sonst gezeigte Lässigkeit, die oft an Phlegma erinnerte, war nicht mehr vorhanden.

*

Butler Parker schien die Geräusche vorn im Korridor des Apartments überhaupt nicht zu hören. Er versorgte Randy Driffers und kümmerte sich anschließend um Mabel Pultnay. Nach wenigen Minuten erschien der Anwalt und überprüfte den korrekten Sitz seiner Krawatte. Dabei nickte er dem Butler zu.

»Der Morris-Fahrer, Sir?« erkundigte sich Parker.

»Der Morris-Fahrer«, bestätigte Mike Rander. »Der Knabe wollte Ärger machen. Inzwischen hat er es sich anders überlegt.«

»Demnach kann man davon ausgehen, Sir, daß sein Wohlbefinden einen gewissen Tiefstand erreicht haben dürfte.«

»Präziser hätte ich’s nicht ausdrücken können, Parker.« Der Anwalt lächelte und nickte zustimmend. »Der Mann liegt zur Zeit in der Badewanne und wird später seine Kanone vermissen.«

Nach dieser Feststellung präsentierte der Anwalt eine Automatic, die mit einem langen Schalldämpfer versehen war.

»Konnten Sie möglicherweise die Identität des Mannes feststellen, Sir?«

»Leere Taschen«, beantwortete Mike Rander die Frage. »Ich denke, wir werden ihm nach ’ner ausgiebigen Dusche ein paar gezielte Fragen stellen, Parker. Genauer gesagt, Sie sollten das erledigen. Sie haben eine unverwechselbare Art.«

»Meine Wenigkeit wird sich bemühen, Sir, das in meine Person gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen«, entgegnete der Butler, um sich dann wieder Mabel Pultnay und Randy Driffers zuzuwenden.

»Wir sind überfallen worden«, berichtete die Frau auf eine entsprechende Frage des Butlers. »Plötzlich standen zwei Männer in meinem Apartment und bedrohten uns mit Revolvern.«

»Wir... wir hatten keine Chance«, schaltete Randy Driffers sich mühsam ein.

»Man erkundigte sich nach Ihrem Partner und möglichen Freund, nämlich nach Mister Ron Buffin?«

»Wir wissen aber nicht, wo er steckt«, redete Mabel Pultnay weiter. »Doch das wollten die beiden Männer uns nicht abnehmen. Sie haben zuerst Randy geschlagen, dann mich. Aber wirklich, wir haben keine Ahnung, wo er sich aufhält.«

»Man kann davon ausgehen, daß Sie die beiden erwähnten Männer vorher noch nie sahen. Miß Pultnay?« lautete die nächste Frage des Butlers.

»Nein, nein, sie waren uns völlig fremd«, erklärte die Frau. »Und sie sagten auch nicht, wer sie geschickt hatte. Sie fragten nur immer wieder nach Randys Partner.«

»Man hatte nicht die Absicht, Sie zu einer Ausfahrt einzuladen, um es mal so auszudrücken?«

»Sie sagten, sie würden wiederkommen. Und fügten hinzu, wir hätten keine Chance, uns abzusetzen, sie würden uns überall finden.«

»Hätten Sie Buffins Aufenthaltsort verraten, falls Sie ihn gekannt hätten?« schaltete Mike Rander sich ein. Er blickte Driffers an, der den Blick senkte und schwieg.

»Ich hätte ihn bestimmt verraten«, erklärte Mabel Pultnay, die den Blick ihres Freundes aufgefangen hatte. »Ich habe ja gesehen, wie sie Randy behandelt und zusammengeschlagen haben. Glauben Sie mir, ich hätte geredet.«

»Sie sollten sich vielleicht eine andere Unterkunft suchen«, meinte der Anwalt.

»Wir werden sofort losfahren«, versprach Mabel Pultnay. »Wir werden ganz bestimmt keine Zeit verlieren.«

»Darf man fragen, wohin Sie sich zu begeben denken?« wollte Josuah Parker wissen.

»Wir fahren an die Küste, irgendwo bei Brighton«, sagte Randy Driffers.

»An einen Ort, den Ihr Partner und möglicher Freund nicht kennt, um auch dies noch zu klären, Mister Driffers?«

»Wieso fragen Sie das?« wunderte sich Driffers.

»Weiß Ihr Partner von Ihrer Beziehung zu Miß Pultnay? Mit anderen Worten, Mister Driffers, ist ihm die Adresse hier bekannt?«

»Natürlich kennt er Mabel«, lautete die Antwort. »Und er kennt selbstverständlich auch ihr Apartment hier. Hören Sie, glauben Sie etwa, Ron hätte mit diesem Überfall etwas zu tun? Das wäre doch absurd! Dann hätten die beiden Gangster doch nicht nach ihm gefragt und ... Nein, nein, Mister Parker, Ron hat mit dieser Sache nichts zu tun. Da sind Gangster hinter mir und Ron her, die sich rächen wollen.«

»Sie hatten in jüngster Vergangenheit schon mal mit einem gewissen Ernest Lesbury zu tun, nicht wahr?«

»Und ob!« Randy Driffers lächelte, so gut es eben ging. Dabei verzog er schmerzhaft das Gesicht und ließ das Lächeln ersterben. »Wir haben diesen Bekleidungs-Hai ganz schön auseinandergenommen. Lesbury ... Lesbury?! Dem traue ich glatt zu, daß er sich rächen will. Der Mann ist nichts anderes als ein Gangster. Also wirklich, an Lesbury habe ich noch gar nicht gedacht.«

»Wo könnte Ihr Partner sich versteckt halten, Driffers?« Mike Rander wechselte das Thema, nachdem er sich mit Parker durch einen Blick verständigt hatte.

»Ich habe keinen blassen Schimmer, Sir«, behauptete der Journalist.

»Sie kennen doch seine Gewohnheiten, Driffers«, drängte Mike Rander ungeduldig. »Er muß doch ’ne Freundin haben oder Bekannte, wo er untertauchen könnte.«

»Es gibt da eine Freundin«, warf Mabel Pultnay ein. »Sie ist Modistin hier in Mayfair.«

»Und dürfte mit Sicherheit einen Namen haben«, vermutete Rander.

»Jane Carlton heißt sie«, berichtete Mabel Pultnay weiter. »Sie hat ein kleines Atelier in der Adam’s Row.«

»Dabei handelt es sich um eine Adresse, die Sie selbstverständlich keineswegs preisgaben«, unterstellte der Butler.

»Natürlich nicht«, bestätigte Mabel Pultnay ohne jeden Nachdruck. Ihr Blick senkte sich.

»Mister Rander geht selbstverständlich davon aus, daß Sie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen«, bemerkte der Butler.

»Wir haben nichts gesagt«, behauptete Mabel Pultnay erneut.

»Warum sollten Sie auch?« Randers Stimme klang ironisch. »Sie tun ja schließlich alles, um Buffin zu schützen, oder?«

*

Der Morris-Benutzer saß in der Badewanne und hatte eindeutig einen steifen Hals. Er zuckte zusammen, als Mike Rander und Butler Parker den Raum betraten.

»Was macht der Hals, alter Knabe?« erkundigte sich der Anwalt in seiner burschikosen Art.

»Sie haben mir fast das Genick gebrochen«, beschwerte sich der Morris-Fahrer.

»Das lag an Ihrer Kanone«, meinte Rander. »Ich muß das mißverstanden haben, als Sie sie auf mich richteten.«

»Sollten Sie möglicherweise eine kleine Erfrischung benötigen?« Josuah Parker wartete die Zustimmung nicht ab, sondern griff nach der Handdusche und betätigte den Wasserhahn. Einen Augenblick später kam der Mann in den vollen Genuß einer Gesichtsdusche. Er schnappte nach Luft und wollte aufstehen, doch Parker drückte ihn mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes in die Wanne zurück.

»Sie sollten die Behandlung genießen«, meinte Parker höflich. »Bei dieser Gelegenheit könnten Sie vielleicht Rede und Antwort stehen.«

Rander wandte sich zu Mabel Pultnay um, die er mitgebracht hatte. Er deutete auf den Gangster in der Wanne.

»Nein«, sagte sie, »der war nicht hier in meinem Apartment, den habe ich noch nie gesehen.«

»Er dürfte Ihren Weg auch kaum noch mal kreuzen, Miß Pultnay«, versicherte der Butler ihr. »Sein Auftraggeber dürfte ihn aus dem Verkehr ziehen, wie es in seinen Kreisen wohl heißt. Versager sind in der kriminellen Szene nicht sonderlich gefragt.«

»Was Sie nicht alles wissen«, schnaufte der Wassersportler wider Willen.

»Mister Jack Berwick ist dafür bekannt, daß er mehr als nur nachtragend ist«, tippte Parker an, während Mike Rander und Mabel Pultnay das Badezimmer verließen.

»Berwick?« Der Mann in der Wanne schien mit diesem Namen nichts anfangen zu können.

»Ein US-Gangster, der im Auftrag einer gewissen Kröte tätig ist«, machte Parker klar.

»US-Gangster ... Kröte ...?« Der Mann spuckte Wasser und zog den Kopf ein, als er erneut eine Dusche bekam.

»Vielleicht sagt Ihnen der Name Lesbury mehr zu«, antwortete Josuah Parker.

»Nie gehört.« Der Mann hob beide Unterarme, um sein Gesicht vor dem Strahl zu schützen.

»Das kalte Wasser scheint Ihre Gedankenarbeit nachhaltig zu lähmen«, vermutete der Butler. »Wären Sie mit einem Temperaturwechsel einverstanden?«

»Hören Sie auf«, brüllte der Gangster. »Ich habe die Schnauze voll. Wir sprechen uns noch, darauf können Sie sich verlassen.«

»Sie scheinen Ihre Lebenserwartung ungemein hoch einzuschätzen«, vermutete der Butler höflich. »Sie erlauben, daß meine Wenigkeit da völlig anderer Ansicht ist.«

»Lebenserwartung?« Der Mann in der Wanne konnte mit diesem Begriff nicht viel anfangen.

»Nun, man wird Ihnen unterstellen, hier ausgesagt zu haben«, schickte Parker voraus. »Verräter aber leben nicht lange, wie Beispiele zeigen.«

»Ich habe kein Wort gesagt. Und ich werde auch keines sagen.« Der Mann stemmte sich mühsam und vorsichtig aus der Wanne, was mit seiner schiefen Kopfhaltung zu tun hatte.

»Man wird Ihnen diese Versicherung kaum abnehmen«, warnte der Butler den Gangster. »Die sogenannte Kröte ist noch nie ein Risiko eingegangen.«

Der Mann nahm auf dem Rand der Wanne Platz und griff vorsichtig nach dem schmerzenden Hals. Dabei blickte er Parker nachdenklich an.

»Okay«, sagte er schließlich. »Was passiert, wenn ich auspacke? Lassen Sie mich abziehen?«

»Dies hängt von der Qualität Ihrer Aussage ab.«

»Steven Hope hat mich geschickt.«

»Dazu wären einige Details angebracht«, fand Josuah Parker.

»Hope hat da ’ne Sache aufgerissen«, sagte der Mann jetzt fast eifrig. »Er hat da ’ne Type aus den Staaten kennengelernt und mich beteiligt. Das is’ eigentlich schon alles.«

»Sie übernehmen eine bestimmte Aufgabe?«

»Ich sollte hier zwei Leute beschatten. Steven hatte sie mir genau beschrieben. Ich sollte rausfinden, ob sie abhauen. Und dann sollte ich sie beschatten.«

»Mister Steven Hope geht welchem Beruf nach, wenn man fragen darf?«

»Steven war mal Privatdetektiv, hat dann aber seine Lizenz verloren und arbeitet jetzt für ein Inkasso-Büro.«

»Falls Sie meiner Wenigkeit jetzt noch die Adresse des erwähnten Mister Steven Hope geben würden, könnten Sie sich als freier Mensch betrachten.«

Josuah Parker erfuhr umgehend die Adresse Steven Hopes.

*

Der Butler saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr in das benachbarte Soho. Im Fond des Wagens saß der Mann aus der Badewanne, der zu dieser kleinen Ausfahrt eingeladen wurde.

Der Fahrgast trug einen Bademantel, nachdem Parker ihn höflichst dazu gebracht hatte, sich seiner pitschnassen Kleidung zu entledigen.

Es handelte sich um einen Bademantel für Damen, der mit Rüschen und vielen Applikationen, geschmückt war.

Der Mann aus der Badewanne fühlte sich in diesem Bekleidungsstück nicht sonderlich wohl. Er machte sich sehr klein auf dem Rücksitz.

Mike Rander war aus guten Gründen im Apartment der Mabel Pultnay zurückgeblieben, um die Frau und Randy Driffers diskret zu überwachen und zu beschützen. Parker hatte diese Aufgabenteilung vorgeschlagen, und Mike Rander war auf den Vorschlag sofort eingegangen.

»Vielleicht sollte meine Wenigkeit sich bereits jetzt erkundigen, wo man Sie später absetzen kann«, meinte der Butler über die bordinterne Wechselsprechanlage, da die schußsichere Trennscheibe des Wagens natürlich geschlossen war.

»Setzen Sie mich im Hinterhof meiner Wohnung ab«, erwiderte der Fahrgast. »Wenn mich einer in diesem Aufzug sieht, bin ich geliefert.«

»Man wird Ihrem Wunsch selbstverständlich entsprechen, sofern Sie die Wahrheit gesagt haben sollten.«

»Ich hab’ die Wahrheit gesagt, verdammt. Warum sollte ich lügen? Mann, hätte ich mich doch nie auf diese Sache eingelassen!«

Parker mußte vor einer Ampel halten, die auf rot geschaltet hatte. Der Mann aus der Badewanne machte sich noch kleiner. Er kam sich im rosafarbenen Bademantel fehl am Platz vor.

»Könnten Sie sich unter Umständen vorstellen, hier aussteigen zu müssen?« fragte Parker seinen Fahrgast.

»Aussteigen? Wieso denn?« Der Mann schwitzte ohne Übergang.

»Noch haben Sie die Möglichkeit, Ihre Aussage zu korrigieren«, redete Parker weiter.

»Korrigieren? Was soll ich denn korrigieren?«

»Ihren Hinweis auf den erwähnten Mister Steven Hope«, redete der Butler weiter. »Vor ihm allein können Sie sich unmöglich fürchten, wie Sie den Anschein erwecken wollen.«

»Mann, Sie haben keine Ahnung, wie knochenhart Hope sein kann.«

»Er würde Sie aber unmöglich umbringen, falls er erfahren sollte, daß Sie seinen Namen genannt haben. Sie müssen eine andere Person fürchten, wie leicht herauszuhören war.«

»Worauf wollen Sie hinaus?« fragte der Badewannenbenutzer nervös.

»Mit dem Begriff der Kröte wußten Sie durchaus etwas anzufangen.«

»Ich hab’ keine Ahnung, wovon Sie da reden.«

»Dann gehört Ihnen die Freiheit«, meinte der Butler und steuerte den Straßenrand an, nachdem er die Fahrt für wenige Augenblicke aufgenommen hatte. »Sie sollten aussteigen, bevor meine Wenigkeit Sie zwangsweise zum Verlassen des Wagens überredet.«

»Sind Sie wahnsinnig, Mann?!« Der Mann aus der Badewanne schnaufte. »Wir sind hier mitten in der City.«

»Man wird Ihnen kaum einen Blick schenken und Sie für ein wenig skurril halten, was Ihre Kleidung betrifft.«

»Sie kriegen mich hier nicht raus!« Der Fahrgast preßte sich in die Wagenecke. Er schämte sich bereits im vorhinein.

»Einige sicher handfeste Taxifahrer werden meiner Wenigkeit behilflich sein.«

»Okay«, schnaufte der Mann und entspannte sich. »Sie haben mich geschafft. Ich hab’ von der Kröte gehört, aber von Hope. Und von dem weiß ich, wie gefährlich die Kröte ist.«

»Und wie lautete nun tatsächlich Ihr Auftrag?«

»Ich sollte auf die beiden Typen aus dem Apartment warten und sie dann verfolgen. Anschließend sollte ich Hope benachrichtigen. Aber das alles hab’ ich Ihnen doch bereits gesagt.«

»Vielleicht noch eine der letzten Fragen, was dieses Thema angeht«, schickte Parker in seiner höflichen Art voraus. »Von wem erhielt Ihr Freund Hope die Adresse, die Sie aufsuchen sollten?«

»Von der Kröte natürlich, von wem denn sonst?«

»Der Name Lesbury aber sagt Ihnen nach wie vor gar nichts, oder konnten Sie inzwischen Ihr Erinnerungsvermögen aktivieren?«

»Doch, ich kenn’ auch Lesbury«, räumte der Mann aus der Badewanne nun überraschend ein. »Hope hat manchmal für ihn gearbeitet. Hören Sie, auch wenn Sie sich auf den Kopf stellen, mehr weiß ich wirklich nicht. Ich bin nur ein kleiner Fisch. Halten Sie sich an Hope, der ist der richtige Durchblicker.«

*

Im Erdgeschoß des Hauses befand sich ein simples Sexkino, dessen Reklame einmalige Sensationen versprach. Über diesem Kino gab es noch zwei Wohnetagen, die einen leicht verkommenen Eindruck machten. In der zweiten Etage sollte Steven Hope wohnen, wie der Badewannenmann versichert hatte.

Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum auf einem schmalen Hinterhof abgestellt und den Besitzer dieses Platzes verständigt. Dabei handelte es sich um einen Inder, der ein Spezialitäten-Restaurant betrieb.

Dieser Mann war Parker verbunden und mehr als gern bereit, dem Butler endlich mal einen kleinen Gefallen erweisen zu können. In der Vergangenheit war es dem Butler gelungen, den Inder aus den Klauen eines Erpressers zu befreien. Die seinerzeit fast beiläufige Hilfe zahlte sich nun aus.

Der Mann aus der Badewanne war im Fond des Wagens zurückgeblieben und hatte keine Chance, sich aus eigener Kraft zu befreien. Die beiden hinteren Wagentüren waren zentral verriegelt, die Trennscheibe zwischen dem Fond und den beiden Vordersitzen nicht zu sprengen.

Parker wollte allein sein, wenn er sich Steven Hope näherte. Noch befand der Butler sich auf der schmalen Straße. Gemessen und würdevoll schritt er auf das schmalbrüstige Haus zu. Dabei horchte er überaus aufmerksam in sich hinein.

Seine innere Alarmanlage, wie Parker seinen Instinkt nannte, meldete sich nicht. Der Butler blieb vor einer grün lackierten Tür neben dem Eingang zum Kino stehen und fand das Namensschild des Steven Hope auf einem Klingelbrett. Parker holte sein kleines Spezialbesteck hervor und brauchte nur wenige Augenblicke, bis er das Türschloß dazu gebracht hatte, sich willig zu öffnen.

Vor ihm befand sich eine steile Treppe, die ihn fast an eine Hühnerleiter erinnerte. Es gab kein Treppengeländer, sondern nur ein dickes, an der grau verputzten Wand angebrachtes Tau.

Parker stieg nach oben, passierte die erste Etage und ging die nächste Treppe an. Doch schon nach wenigen Stufen blieb er stehen und wandte sich um. Er spürte nämlich ein erstes Zögern in sich. Seine Wachsamkeit wurde gefordert. Er dachte an die sogenannte Kröte, die er keineswegs unterschätzte. Dieser Killer mußte ein ungemein vorsichtiger und auch raffinierter Gangster sein, dem man durchaus Winkelzüge Zutrauen konnte.

Mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes klopfte Parker behutsam auf eine Stufe und veränderte dabei die Intensität des Klopfens. Es sollte der Eindruck entstehen, daß er nach oben stieg und sich von diesem Treppenabsatz entfernte.

Seine Taktik hatte Erfolg.

Schon nach wenigen Augenblicken war ein feines Scharren zu vernehmen. Parker blickte zur Tür hinunter und sah deutlich, wie das Türblatt nach innen aufgezogen wurde. Irgendwer wollte einen Blick auf die Treppe werfen.

Josuah Parker ließ sich auf kein Risiko ein.

Er hielt seinen Regenschirm in der rechten, schwarz behandschuhten Hand und richtete die Spitze auf die Mitte des Türspalts. Als dieser groß genug war, drückte Parkers Zeigefinger auf einen am Schirmstock versteckt angebrachten Auslöseknopf und schickte auf diese Art einen bunt gefiederten Pfeil auf die Reise.

Dieses mehr als seltsame Geschoß war kaum dicker und länger als eine kleine Stricknadel. Angetrieben von komprimierter Kohlensäure, jagte der kleine Pfeil genau durch den Türspalt und löste nach seiner Landung einen erstickten Schrei aus. Unmittelbar darauf polterte ein Gegenstand aus Metall zu Boden.

Wenn es sein mußte, konnte Parker ungemein schnell sein. So auch jetzt, als er bereits dicht vor der Tür war und sich mit dem ganzen Körpergewicht gegen das Türblatt legte.

Ein erneuter Aufschrei war zu vernehmen, dann folgte ein unterdrücktes Stöhnen, das in Poltern unterging. Parker blieb vor einem am Boden liegenden Mann stehen, der ein wenig aus der Fassung geraten war.

»Man erlaubt sich, einen mehr oder weniger schönen Tag zu wünschen, Mister Berwick«, grüßte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. Dann schlug er allerdings ohne jede Vorwarnung mit der stahlausgelegten Wölbung seiner Kopfbedeckung zu und traf genau die rechte Hand des am Boden liegenden Mannes, die sich bereits um eine zweite Schußwaffe geschlossen hatte.

Jack Berwick stöhnte noch mal auf, ließ die Schußwaffe über den Linoleumbelag schlittern und streckte sich dann ergeben aus. Er war zur Einsicht gekommen, daß man einen Butler Parker nicht so ohne weiteres hereinlegen konnte.

*

Jack Berwick, der Mann aus dem Avery Hotel in Mayfair, saß in einem einfachen Sessel in einem noch bescheidener eingerichteten Wohnraum.

Der Mann mit dem scharf geschnittenen Gesicht und den schmalen Lippen blickte fasziniert auf den bunt gefiederten Pfeil, der in seiner linken Hüfte steckte. Er fand einfach nicht den Mut, dieses Geschoß aus dem Muskelfleisch zu ziehen.

Parker machte immer wieder die seltsame Erfahrung. Selbst hartgesottene Gangster erlitten einen Schock, wenn sie von einem Pfeil getroffen wurden. Sie kannten sich in Schneidwaren aller Art aus und benutzten Schußwaffen und Schlaginstrumente, doch sie brachen seelisch zusammen, wenn sie es mit einem von Parkers Pfeilen zu tun bekamen. Wahrscheinlich dachten sie dann automatisch an Pfeilgift und sahen sich einem qualvollen Tod nahe.

»Ihre beiden Mitarbeiter dürften sich noch in Polizeigewahrsam befinden«, mutmaßte der Butler. »Anders ist es wohl nicht zu erklären, daß Sie selbst aktiv werden wollten.«

»Was ist mit dem verdammten Pfeil?« fragte Jack Berwick mit belegter Stimme.

»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet, wenn man daran erinnern darf.«

»Ja, verdammt, die Bullen halten sie noch fest«, gab Jack Berwick zurück.

Er stöhnte dann und lehnte sich mit dem Rücken weit zurück. Dabei schielte er wieder zum Pfeil hinunter.

»Sie sollten sich wirklich nicht unnötig und leichtfertig bewegen«, ermahnte Parker den Gangster aus den Staaten, »ein beschleunigter Kreislauf wäre Ihrem momentanen Zustand nicht sonderlich zuträglich.«

»Ist... ist der Pfeil vergiftet?« Die Stimme war rauh geworden.

»Oberflächlich und in übertragenem Sinn«, beantwortete Parker die Frage sachlich. »Vorerst besteht aber noch keine Lebensgefahr, wie meine Wenigkeit Ihnen versichern darf. Man kann nur hoffen, daß Sie meinen Worten Glauben schenken werden.«

»Ziehen Sie den Pfeil raus«, bat Jack Berwick. Von dem energischen Auftreten, das Parker von der Hotelbegegnung her kannte, war nichts mehr zu verspüren.

»Gedulden Sie sich freundlicherweise noch einen Augenblick«, schlug der Butler vor. »Sie arbeiten für die sogenannte Kröte, wenn man fragen darf?«

»Das wissen Sie doch längst«, hechelte Berwick.

»Sie hat Sie hierher nach London kommen lassen?«

»Mann, Parker, das wissen Sie doch auch«, empörte sich Berwick, allerdings ohne großen Nachdruck. »Ich bin eigentlich noch gar nicht hier, auch meine beiden Leute nicht.«

»Und wie lautete Ihr Auftrag?«

»Ron Buffin abschießen, wenn Sie’s genau wissen wollen.«

»Den sogenannten Enthüllungs-Journalisten?«

»Genau den meine ich, Parker. Verdammt, ich hätte Sie gleich im Hotel auf die Hörner nehmen sollen, aber Sie haben mich reingelegt. Ich hab’ Sie wirklich für ’nen Kellner gehalten.«

»Ihre beiden Mitarbeiter übersahen meine Wenigkeit ebenfalls«, erinnerte der Butler gemessen. »Sie werden von der Polizei wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt wohl angeklagt werden.«

»Das kratzt mich nicht. Hören Sie, wo bekomme ich das Gegengift her?«

»Mit etwas Glück wird Ihr Körper dies Gegengift selbst bilden«, versprach der Butler. »Sicherer wäre es natürlich, man würde es Ihnen innerhalb der nächsten fünfzehn Minuten verabreichen.«

»Haben ... Haben Sie das Zeug bei sich?«

»Selbstverständlich«, lautete die Antwort des Butlers. »Sie werden es sich verdienen wollen, wie man wohl annehmen darf.«

»Los, fragen Sie, machen Sie schon endlich! Was wollen Sie wissen?«

»Wo könnte man die sogenannte Kröte finden?«

»Keine Ahnung, die ist überall und nirgendwo, Parker.«

»Seit wann befindet sie sich in London, um auch diese Frage noch zu klären?«

»Seit gut einer Woche, Parker. Aber ist das denn überhaupt wichtig?«

»Auf welche Art setzen Sie sich mit ihr in Verbindung?«

»Die ruft mich im Hotel an, wenn sie was will, Parker. Sie kennen die Maschen doch auch, oder?«

»Wieso erwarteten Sie meine Wenigkeit hier in diesem nicht gerade ansehnlichen Gebäude?«

»Die Kröte hatte mich angerufen und mich losgeschickt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

»Wann wird die sogenannte Kröte sich wieder bei Ihnen melden? Wurde ein bestimmter Zeitpunkt ausgemacht?«

»Die ruft hier an«, antwortete er. »Sie muß ganz in der Nähe sein, Parker.«

»Und wo befindet sich ein gewisser Steven Hope, Mister Berwick? Er ist Bewohner der oberen Etage?«

»Der is’ mal kurz weggetreten, Parker, der wurde nicht weiter gebraucht.«

»Nun denn, das Gegengift gehört Ihnen«, meinte Josuah Parker und hielt plötzlich eine kleine Sprayflasche in der rechten Hand. »In Ihrem ureigensten Interesse sollten Sie jetzt den Mund weit öffnen, damit ich Sie oral therapieren kann.«

»Was soll ich?« Jack Berwick sperrte unwillkürlich den Mund auf, und Parker nutzte die Möglichkeit, den Mann ein wenig einzusprühen.

*

»Unsere Kröte dürfte ganz schön clever sein, Parker«, sagte Mike Rander und blickte auf Jack Berwick, der sanft eingeschlafen war. Sein scharf geschnittenes Gesicht hatte sich entspannt und wirkte gelöst. Der Gangster aus den Staaten sah jetzt fast aus wie ein Riesenbaby, das satt und zufrieden schlief.

»Die sogenannte Kröte dürfte ungemein umfassend recherchiert haben, Sir«, antwortete der Butler. »Sie ist davon ausgegangen, daß man Randy Driffers beschatten ließ und über ihn schließlich Miß Pultnay einen Besuch abstatten würde.«

»Völlig richtig, Parker.« Der Anwalt nickte zustimmend. »Und unsere Giftkröte rechnete sich aus, daß wir natürlich den Morris-Fahrer bemerken würden.«

»Wie meine Wenigkeit bereits an anderer Stelle sich zu bemerken erlaubte, Sir, bewegt die Kröte ihre Schachfiguren auf eine recht komplizierte Art«, schickte Josuah Parker voraus. »Sie unterstellte, daß man den Morris-Fahrer ausschalten und befragen würde. Dabei mußte dann zwangsläufig ein Hinweis auf Mister Hope in diesem Haus erfolgen.«

»Wo dann der Killer hier auf Sie wartete, Parker.« Rander nickte. »Ohne Ihr Mißtrauen hätte die Sache bestens hingehauen, und Sie wären erledigt worden.«

Mike Rander war erst vor wenigen Minuten mit einem regulären Taxi angekommen und von Parker in Empfang genommen worden. Die diskrete Überwachung von Randy Driffers und Mabel Pultnay war von Horace Pickett übernommen worden, den der Anwalt informiert hatte.

Der ehemalige Eigentumsumverteiler kümmerte sich zusammen mit einigen Freunden und Bekannten um den Journalisten. Es stand zu erwarten, daß er seinen Aufenthaltsort erneut wechseln würde.

»Haben Sie spezielle Wünsche, Sir, was diesen Mister Jack Berwick betrifft?« wollte Parker wissen.

»Ich wette, Sie können bereits mit einem Vorschlag dienen, Parker«, erwiderte der Anwalt lächelnd.

»Man sollte Mister Jack Berwick die Möglichkeit nehmen, Sir, sich am weiteren Geschehen zu beteiligen«, gab der Butler zurück. »Nur auf diese Art ist es möglich, die sogenannte Kröte in eine gewisse Verlegenheit zu bringen.«

»Sie wollen sie zwingen, Farbe zu bekennen, wie?«

»In der Tat, Sir. Ohne Mitarbeiter wird sie selbst aktiv werden müssen.«

»Okay, dann werden wir Berwick mitnehmen, Parker. Und was ist nun mit diesem Steven Hope hier im Haus?«

»Man sollte sich unter Wahrung aller Vorsicht mit seiner Wohnung im nächsten Stock befassen. Man sollte ferner davon ausgehen, daß dort möglicherweise eine Überraschung auf Sie und meine Wenigkeit wartet, die tödlich sein könnte.«

»Okay, wahren wir also alle Vorsicht, Parker.« Rander deutete auf den aus den USA importierten Killer. »Wird er inzwischen nicht abhauen?«

»Die verabreichte Spray-Dosis dürfte für wenigstens noch zwanzig Minuten effektiv bleiben, Sir.«

»Sie haben das Zeug zusammengebraut, Parker, Sie müssen es wissen.« Rander ging zur Tür, gefolgt von Parker. »Um noch mal auf die Kröte zurückzukommen: Könnte sie hier in der näheren Umgebung lauern?«

»Davon sollte man ausgehen, Sir«, gab der Butler zurück. »Hier im Haus sollte Mister Berwick zur Tat schreiten, um es mal so auszudrücken. Die Kröte dürfte bereits ungeduldig und voller Spannung auf ein Ergebnis warten.«

*

Die Tür zu Steven Hopes Wohnung war nur angelehnt.

Parker blieb vor dem Türblatt stehen und wandte sich dann zu Mike Rander um.

»Sie denken an eine Sprengladung?« fragte der Anwalt.

»Man sollte sie nicht ausschließen, Sir.«

»Hope, sind Sie da?« rief Rander in den Korridor. Überraschend war kurz darauf ein leichtes Hämmern zu vernehmen. Schuhabsätze schienen auf den Fußboden zu trommeln.

»Moment, wir sind gleich bei Ihnen.« Rander blickte den Butler fragend an.

»Eine verlockende Bestätigung, Sir«, meinte der Butler, der nicht daran dachte, die Tür zu öffnen.

»Hope fliegt doch mit in die Luft, falls hier eine Ladung gezündet wird.«

»Man sollte Mister Hope vielleicht fragen, ob er von der Existenz einer Sprengladung weiß«, schlug Parker vor.

»Hope, hören Sie? Hope, gibt’s hier eine Sprengladung?« Mike Rander hatte sich nahe an den Türspalt herangeschoben und stellte seine laute Frage scharf akzentuiert, damit man auch jedes Wort genau verstand. »Falls Sie von einer Ladung wissen, dann trommeln Sie mit Ihren Absätzen.«

Ein Trommelwirbel war die umgehende Antwort.

»Die Chose macht sich«, freute sich Rander und nickte seinem Begleiter zu, um sich dann wieder auf Hope zu konzentrieren. »Wo steckt die Ladung? Hinter der Wohnungstür? Falls nein, dann wollen wir Ihre Absätze noch mal hören.«

Steven Hope, der ehemalige Journalist, reagierte erneut und erzeugte einen weiteren Trommelwirbel.

»Okay, Hope, verstanden. Befindet sich die Ladung bei Ihnen im Raum? Falls ja, dann nutzen Sie noch mal Ihre Absätze ab.«

Steven Hope hörte sehr genau zu und trommelte wie besessen. Rander lächelte und drehte sich wieder zu Parker um, der seitlich neben ihm stand.

»Eine klare Antwort auf eine präzise Frage, Sir«, urteilte der Butler.

»Dann wollen wir mal, Parker.« Rander machte sich bereit, das Türblatt zu bewegen, doch Parker schüttelte warnend den Kopf.

»Man sollte nach wie vor an den Spieltrieb der Kröte denken, Sir«, sagte er dann. »Mister Hope könnte durchaus wahrheitsgemäß geantwortet haben, jedoch in Verkennung der wahren Sachlage.«

»Sind Sie jetzt nicht etwas zu mißtrauisch, Parker?«

»Die angelehnte Tür lud zu einer Verständigung ein, Sir.«

»Richtig. Sie glauben nicht, daß Hope mit entsicherter Kanone irgendwo in seiner Wohnung auf uns wartet?«

»Auch solch eine Möglichkeit sollte man keineswegs ausschließen, Sir.«

»Was sagt denn Ihre innere Alarmanlage, Parker?«

»Sie regt sich unüberhörbar, Sir. Gefahr ist im Verzug.«

»Aber irgendwie müssen wir doch in die Wohnung, oder?«

»Man könnte die Tür vielleicht per Distanz öffnen, Sir.«

»Und was ist dann mit Hope?«

»Dem Trommeln nach zu urteilen, Sir, befindet er sich in den hinteren Räumen. Nach menschlichem Ermessen dürfte ihm kaum etwas passieren, falls es hier zu einer Zündung kommt.«

»Schön, dann öffnen Sie per Distanz, Parker, ich lasse mich wieder mal überraschen... Sie dürften bereits feste Vorstellungen haben.«

Parker nickte andeutungsweise, schritt überaus gemessen in die erste Wohnung zurück und nutzte die Gelegenheit, einen prüfenden Blick auf Jack Berwick zu werfen. Der Gangster aus den Staaten lag noch immer entspannt und schlaff vor einem Sessel. Er schnarchte und reagierte nicht, als Parker ihn mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes einige Male berührte.

Sicherheitshalber zog der Butler aber seine Sprayflasche noch mal hervor und sprühte die Nasen- und Mundpartie des Killers ein. Erst danach bemühte sich der Butler um einen passenden Türöffner. Er fand ihn in der Gestalt einiger Besen und Schrubber, die er in einem schmalen Einbauschrank im Korridor entdeckte.

Aus einer der Taschen seines schwarzen Covercoats nahm er wie selbstverständlich eine Rolle Klebeband hervor und benutzte die zähen Haftstreifen, um drei Stiele miteinander zu verbinden. Rander brachte die Kuppen von Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand kreisförmig zusammen und zeigte Parker auf solche Art, daß er positiv überrascht war.

»Was schleppen Sie eigentlich nicht mit sich herum, Parker?« fragte er, als der Butler den überlangen Stiel in die richtige Position brachte, um so die Tür auf sichere Entfernung aufstoßen zu können.

»Haftband, Sir, gehört zur Grundausstattung meiner Wenigkeit«, gab der Butler zurück. »Formschön sieht dieser Türöffner mit Sicherheit nicht aus, doch er wird seine Wirkung tun, wie zu vermuten ist.«

»Dann werde ich mal in Deckung gehen, Parker.« Der Anwalt brachte sich hinter dem Treppenabsatz in Sicherheit. Butler Parker drückte dann mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes gegen den Besen, der über den Treppenabsatz ragte.

Die Tür bewegte sich zentimeterweise.

Parker wartete auf eine Reaktion!

*

Er brauchte nicht lange zu warten.

Die Tür war etwa ein Drittel geöffnet worden, als plötzlich greller Lichtschein die Augen blendete. Unmittelbar darauf war eine reißende Detonation zu vernehmen. Ein scharfer Luftdruck drückte Parker und Mike Rander gegen die Innenwand des Treppenhauses. Danach regnete es Trümmer aller Art. Staubwolken wallten hoch und nebelten alles ein.

»Gratulation, Parker, es geht eben doch nichts über ein gutentwickeltes Mißtrauen«, sagte Rander nach einer Weile und schnipste sich Kalkbrocken von seinem Blazer.

»Sie waren mit meiner Wenigkeit hoffentlich andeutungsweise zufrieden«, antwortete der Butler.

»Gegen eine Himmelfahrt hätte ich tatsächlich einiges einzuwenden gehabt, Parker. Unsere Kröte jedenfalls dürfte diesen Krach gehört haben, denke ich.«

»Zumal die Fensterscheiben ihre diversen Rahmen vermutlich verlassen haben, Sir, und zwar in Richtung Straße.«

»Was die Kröte wohl registriert hat, oder?«

»Es besteht in der Tat eine gewisse Aussicht, Sir, daß sie sich in der Nähe aufhält.«

Parker verzichtete aus Zeitgründen darauf, eine Erklärung abzugeben, als er über die Trümmer die Treppe eilte und dem oberen Korridorfenster zustrebte. Er hoffte, die Kröte unten auf der Straße ausfindig machen zu können.

Vorsichtig schob er sich nach außen und nahm zur Kenntnis, daß es auf der Straße keinen Verletzten gegeben hatte. Es eilten aber bereits Passanten herbei, die auf das staubende Haus deuteten und laut nach Feuerwehr und Polizei riefen.

Parker suchte die nähere Umgebung ab und beugte sich ein wenig vor. Seiner Ansicht nach hielt die sogenannte Kröte sich im Hintergrund auf. Man hatte es schließlich mit einem ungewöhnlich schlauen und vorsichtigen Gegner zu tun. Parker konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf eine nahe Geschäftspassage und ... wurde sofort fündig.

Ein untersetzter Mann, noch dazu füllig und mit Nickelbrille, stand vorn an der Passage und rauchte eine Zigarette. Der Fünfzigjährige machte einen fast desinteressierten Eindruck. Er hatte seinen breitkrempigen Hut unter den linken Arm geschoben und ... schien plötzlich zu spüren, daß er beobachtet wurde. Trotz der nicht geringen Entfernung kreuzten sich die Blicke.

Der Mann zog den Hut unter dem Arm hervor, schwenkte ihn in einer höfisch-barocken Geste und setzte ihn dann auf. Danach wandte er sich ab und war in wenigen Augenblicken zwischen weiteren herbeieilenden Passanten verschwunden.

»Na, hatten Sie Erfolg, Parker?« erkundigte sich der Anwalt hüstelnd. Er hatte Staub geschluckt, kam aus der verwüsteten Wohnung und hielt sich ein Taschentuch vor Mund und Nase.

»Die Kröte, Sir, entbot gerade ihren Gruß«, meldete Josuah Parker, »um danach jedoch sofort das Feld zu räumen.«

»Sie weiß also, daß sie mit Zitronen gehandelt hat, was uns betrifft?«

»Eindeutig, Sir. Darf man sich nach dem Befinden Mister Hopes erkundigen?«

»Der Mann ist soweit in Ordnung, hat aber einen Schock davongetragen. Er war verschnürt wie ein Paket und hatte einen Knebel im Mund.«

»Konnte er Auskunft über jene Sprengladung geben, die er in seinem Zimmer vermutete, Sir?«

»Hope ist nicht ansprechbar, Parker, aber an der Tür hängt eine Bombenattrappe, die er wohl für echt halten mußte. Was ist, setzen wir uns ab? Falls ja, wird’s höchste Zeit. Da wäre schließlich noch Jack Berwick.«

»Bis zum Eintreffen der Polizei müßte man das sprichwörtliche Weite gesucht und auch gefunden haben, Sir.«

»Dann nichts wie ab durch die Mitte, Parker.«

Die beiden Männer stiegen ein wenig mühsam hinunter in jene Etage, in der sie den Killer aus den Staaten zurückgelassen hatten. Berwick hatte von den explosiven Vorgängen nichts mitbekommen. Er reagierte nicht, als Rander und Parker ihn auf die Beine stellten, ihn zwischen sich nahmen und dann mit ihm ins Erdgeschoß stiegen. Als Parker auf eine Hintertür deutete, wurde bereits gegen die eigentliche Haustür geklopft. Rufe wurden hörbar.

Sie schafften es im letzten Moment, den Hinterhof zu erreichen und bugsierten den US-Killer auf eine Mauer zu, in die eine schmale Holztür eingelassen war. Als Parker sie hinter sich schloß, erschienen zwei uniformierte Beamte, die einen etwas flüchtigen Blick in den Hinterhof warfen und dann wieder im Haus verschwanden.

»Schwein gehabt, Parker«, meinte der Anwalt. »Jetzt kann man nur hoffen, daß die Kröte nicht zu clever ist.«

»Diesem Wunsch möchte auch meine Wenigkeit Ausdruck verleihen, Sir.« Parker deutete mit der Spitze seines Schirmes auf einen Torweg und gab damit die Richtung an. Dann aber versetzte er Jack Berwick plötzlich einen harten Stoß und warf sich gegen Mike Rander, der sofort begriff und reagierte.

Er war noch nicht ganz an der nackten Ziegelmauer gelandet, als er Berwicks schallgedämpfte Kanone hochriß und in Richtung Torweg feuerte.

Der erste Schuß schrammte gegen die Ecke des Torweges und ließ Ziegelsplitter wegspritzen. Der zweite und der dritte Schuß sorgten für weitere Sichttrübung.

Jack Berwick war in sich zusammengesunken. Parker blieb neben Mike Rander stehen und wartete, bis er sein Sperrfeuer beendet hatte.

»Das war verdammt eng, Parker«, meinte der Anwalt. »Diese verdammte Kröte dürfte unseren Fluchtweg vorausberechnet haben.«

»Es gelang ihr, Mister Berwick zu treffen«, antwortete Parker, »doch man sollte davon ausgehen, daß sie sich ein anderes Ziel ausgesucht hatte, Sir.«

»Berwick hat den Schuß abgefangen, Parker.« Rander nickte. »Ich wette, Sie sollten da erledigt werden, Parker.«

»Verständlicherweise ließ meine Wenigkeit Mister Berwick den Vortritt«, lautete Parkers Antwort. »Die Güterabwägung fiel zu seinen Ungunsten aus.«

»Lebt er noch, Parker?« Rander beugte sich zum Butler hinab, der gerade eine flüchtige Untersuchung vornahm. Parker richtete sich auf und schüttelte andeutungsweise den Kopf.

»Eine nicht unerhebliche Brustwunde, Sir, die der schnellen ärztlichen Versorgung bedarf«, beantwortete der Butler die Frage. »Der Flug des Mister Berwick hierher nach London dürfte sich für ihn in keiner Weise ausgezahlt haben.«

*

»Eine total verfahrene Situation«, räsonierte Agatha Simpson am späten Nachmittag, nachdem Mike Rander und Butler Parker Bericht erstattet hatten. »Wenn ich dabei gewesen wäre, hätte man diese Kröte natürlich festnehmen können.«

»Natürlich, Mylady«, sagte Mike Rander ernst. »Wahrscheinlich ist das Temperament mit uns durchgegangen, nicht wahr, Parker?«

»Meine Wenigkeit ließ sich in der Tat dazu hinreißen, ausgesprochen emotional zu reagieren«, erklärte Parker. »Hoffentlich vermögen Mylady Nachsicht walten zu lassen.«

»Also ich bin durchaus zufrieden«, schaltete Chief-Superintendent McWarden sich ein, der mit Rander und Parker in das Haus der Lady gekommen war. »Berwick ist ausgeschaltet. Er wird diesen Schuß ohne weiteres überstehen, wie die Ärzte sagen. Ich habe meine Kollegen in den Staaten bereits benachrichtigt. Sie gratulieren auf der ganzen Linie und werden ein Auslieferungsverfahren in Gang setzen. Drüben in den Staaten konnten sie Berwick bisher nichts nachweisen, nun aber sieht die Sache erfreulicherweise anders aus.«

»Sie sind dafür bekannt, mein lieber McWarden, daß Sie sich mit Kleinigkeiten zufriedengeben«, raunzte Lady Agatha ihn an. »Mir geht es um diesen Frosch, nur um ihn allein ...«

»Um die Kröte, Mylady«, erinnerte McWarden diskret.

»Papperlapapp, mein Lieber! Hauptsache, es ist ein Lurch.«

»Um einen Lurch, der erstaunlicherweise nicht daran denkt, sein Aussehen zu verändern«, wunderte sich der Chief-Superintendent. »Ist es nicht so, Mister Parker?«

»Man sollte daraus seine speziellen Schlüsse ziehen, wenn meine Wenigkeit darauf aufmerksam machen darf«, ließ der Butler sich vernehmen. »Möglicherweise beabsichtigt die sogenannte Kröte, ihre Gegner auf ein bestimmtes Erscheinungsbild zu fixieren.«

»Wir sollen uns an die Brille und den Hut gewöhnen, nicht wahr, Mister Parker?« fragte Kathy Porter.

»In der Tat, Miß Porter«, antwortete der Butler. »Die Kröte wird sich wahrscheinlich noch einige Male so zeigen, wie bisher, um dann jedoch das Äußere zu verändern, um desto sicherer zuschlagen zu können.«

»Sie nehmen mir die Worte förmlich von der Zunge, Mister Parker«, behauptete die ältere Dame umgehend. »Genau das wollte ich gerade auch sagen. Oder deutete ich das nicht bereits an?«

»Ich habe nichts gehört«, schnappte McWarden genußvoll zu.

»Weil Sie nicht zuhören können, McWarden«, grollte Lady Agatha. »Aber ich will das nicht weiter vertiefen. Mister Parker, wie beurteile ich momentan meinen Fall?«

»Die Kröte dürfte zur Zeit ohne Hilfstruppen sein, um es mal so auszudrücken«, schickte Josuah Parker voraus. »Aber man sollte davon ausgehen, daß sie neue Mitarbeiter suchen und natürlich auch finden wird, einheimische Gangster, um genau zu sein.«

»Und ob dieser Kerl sie finden wird?« McWarden seufzte. »Das Angebot ist groß.«

»Mister Randy Driffers und seine Freundin, Miß Mabel Pultnay, haben laut Mister Pickett die Wohnung der Dame verlassen und sind mit unbekanntem Ziel unterwegs«, berichtete der Butler geduldig und höflich weiter.

»Es scheint so, als wolle man die Südküste in der Region von Brighton aufsuchen, was jedoch noch nicht sicher ist.«

»Mister Steven Hope und sein zeitweiliger Mitarbeiter, nämlich der Morris-Fahrer, Mylady, dürften kaum von Interesse sein, was den Fall betrifft. Sie dienten der Kröte nur als Köder und werden sicher von ihr nicht weiter verwendet.«

»So sehe ich es auch, Mister Parker.« Sie blickte ihn wohlwollend an. »Sie haben diesen Morris-Fahrer im Damenbademantel in Soho ausgesetzt?«

»An einer Stelle, die man als unauffällig bezeichnen könnte«, antwortete der Butler. »Der Morris-Fahrer verstand es dennoch, Aufsehen zu erregen, als er ein Taxi mieten wollte. Nach einem kleinen Mißverständnis ergriff er vor dem Taxifahrer, der einen ergrimmten Eindruck machte, die Flucht und wurde dann von einigen jungen Männern äußerst hartnäckig verfolgt. Man ging wohl seitens der jungen Leute davon aus, daß man es mit einem Exhibitionisten zu tun hatte. Die Verfolgung endete vor einem Sightseeing-Bus, dessen Fahrer eine Notbremsung durchführen mußte.«

»Und was passierte danach?« Lady Agatha war völlig bei der Sache.

»Der Morris-Fahrer verlor seinen Bademantel und ergriff die weitere Flucht in einem völlig negativ zu nennenden Bekleidungszustand.«

»Er war hüllenlos, wie?« warf Rander lächelnd ein.

»So könnte man selbstverständlich auch sagen, Sir«, räumte der Butler höflich ein. »Der also unbekleidete Flüchtling landete in den Armen einer Polizeistreife, die mit einer verhüllenden Decke helfen konnte.«

»Und das alles haben Sie mir vorenthalten«, beschwerte sich Lady Agatha grollend. »Darüber werden wir uns noch unterhalten müssen, Mister Parker.«

»Lassen Sie mich aber erst noch von Hope berichten«, schaltete der Chief-Superintendent sich ein. »Er liegt in einem Hospital und wird behandelt. Er ist mit seinen Nerven völlig am Ende.«

»Wird er uns weiterhelfen können?!« tippte Mike Rander an. »Hat er uns Informationen zu bieten?«

»Keineswegs und mitnichten, Sir«, lautete Parkers Antwort. »Der Schlüssel zu Mister Ron Buffin bildet die Person der sogenannten Kröte, die nicht aus einer Laune heraus tätig ist, sondern dafür bezahlt wird. Nur sie allein wird Mylady sagen können, wer dieser Auftraggeber ist.«

»Richtig«, bestätigte die ältere Dame energisch, »und deshalb werde ich diesen Lurch noch heute fangen. Mister Parker, treffen Sie alle erforderlichen Vorbereitungen!«

*

Jane Carlton, die Freundin des Enthüllungs-Journalisten Buffin, wohnte im Stadtteil Mayfair in einem solide aussehenden Gebäude, in dem die Büroräume einiger Firmen untergebracht waren. Man erreichte die Verkaufsräume, die im Souterrain des Hauses waren, über eine Treppe, die von der Straße aus nach unten führte.

»Natürlich wird diese Freundin mich nach Strich und Faden belügen«, vermutete die ältere Dame, »aber ich werde sie zwingen, Farbe zu bekennen, Mister Parker.«

»Mylady waren noch nie zu täuschen«, gab Parker höflich zurück.

»Das ist richtig.« Sie nickte ihm wohlwollend zu. »Ob sie weiß, wo sich ihr Freund versteckt hält, Mister Parker?«

»Man sollte dies zwar nicht ausschließen, Mylady, doch Mister Buffin dürfte Miß Carlton wohl kaum eingeweiht haben.«

»Und warum bin ich dann hier?« wunderte sie sich.

»Um vielleicht eine unfreiwillige Andeutung herauszuhören, Mylady, was den momentanen Aufenthaltsort betrifft.«

»Ich werde also sehr geschickt fragen«, kündigte sie an. »Ob die Kröte diese Freundin bereits kennt?«

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« Parker brachte sein hochbeiniges Monstrum dicht an den Treppenabgang heran, damit seine Herrin möglichst ungefährdet aussteigen konnte. Parker war und blieb auf der Hut. Inzwischen wußte er nur zu gut, wie geschickt diese Kröte sich auf ihre Gegner einzustellen wußte.

Lady Agatha verließ den Fond des Wagens und schritt energisch nach unten. Als sie die Tür öffnen wollte, stutzte sie.

»Was soll denn das?« fragte sie und rüttelte am Türgriff. »Um diese Zeit kann doch noch nicht geschlossen sein.«

»Man nähert sich bereits der frühen Abendstunde, Mylady.« Parker baute sich neben Agatha Simpson auf und blickte durch die Türscheibe in das Ladenlokal. Man hatte es mit einer Boutique zu tun, wie sofort zu erkennen war.

»Das gefällt mir aber gar nicht, Mister Parker.« Sie schaute ihn grimmig an.

»Miß Jane Carlton dürfte hier im Haus auch zusätzlich noch wohnen, Mylady.«

»Sie ist vielleicht schon ermordet worden«, vermutete Lady Agatha.

»Mylady unterstellen eine Art Notstand?«

»Vielleicht liegt sie in den letzten Zügen, Mister Parker. In diesem Fall müßte man ihr unbedingt helfen.«

»In der Tat, Mylady.« Parker hatte bereits sein kleines Spezialbesteck in der Hand und beschäftigte sich mit dem Yale-Schloß. Nach wenigen Augenblicken gab es bereits freudig nach und ließ sich aufsperren. Parker zögerte, die Tür aufzudrücken.

»Was haben Sie denn?« fragte sie.

»Meine Wenigkeit dachte an die Kröte, Mylady, die in einem ähnlichen Fall auf die Wirkung einer Sprengladung setzte.«

»Unsinn«, erwiderte sie und stieß energisch die Tür auf. Parker holte diskret Luft, ließ sich jedoch nichts anmerken. Sein Gesicht blieb ausdruckslos wie das eines erstklassigen Pokerspielers.

»Sehen Sie, Mister Parker, übertriebene Vorsicht hemmt nur«, sagte sie und wandte sich zu ihrem Butler um. »Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir. Ich weiß immer genau, wann Gefahr droht. So etwas habe ich im Blut.«

Sie hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als ein Schuß fiel!

*

»Unerhört«, lautete Myladys Antwort darauf. Während noch Kalkspritzer um sie herumwirbelten, schickte sie ihren perlenbestickten Pompadour auf die Reise. Sie besorgte das kraftvoll aus dem Handgelenk und donnerte ihn förmlich in die Tiefe der Boutique.

Der im Pompadour befindliche Glücksbringer hatte viel Energie aufgenommen und diktierte die Flugbahn. Der Handbeutel entwickelte sich zu einer Art Granate, die kraftvoll in einer Spiegelwand landete und sie dazu brachte, sich in Splitter aufzulösen. Während das Spiegelglas schepperte und brach, stieg blitzschnell eine dichte Nebelwand hoch, für die Josuah Parker gesorgt hatte.

Diese Nebelwand stammte aus einem völlig durchschnittlich und harmlos aussehenden Kugelschreiber, dessen beide Hälften der Butler gegeneinander verdreht hatte. Dadurch war der Inhalt des Patent-Kugelschreibers aktiviert worden. Ein unter Druck stehendes chemisches Präparat verband sich mit der Außenluft und ließ die Nebelschwaden wallen.

Parker verschwand in diesem Nebel, ohne sich vorerst weiter um Lady Agatha zu kümmern. Er hörte rechts von der Spiegelwand ein scharrendes Geräusch und langte mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Regenschirmes zu.

Ein Aufschrei erfolgte ...

Parker wußte jetzt, welche Richtung er einzuschlagen hatte. Er bog um einen fahrbaren Kleiderständer herum und sah sich dann einer Frau gegenüber, die in der rechten Hand einen Revolver hielt, den sie auf die Nebelwand richtete.

»Mit Ihrer freundlichen Erlaubnis, Madam.« Parker schlug ihr die Waffe aus der Hand und benutzte dazu erneut den Schirmgriff. Anschließend, als die Schußwaffe auf dem Boden lag, lüftete er überaus höflich die schwarze Melone.

»Miß Jane Carlton?« fragte er.

»Jane Carlton«, bestätigte die Frau, die etwa dreißig Jahre zählen mochte. Sie war mittelgroß, schlank und hatte aschblondes Haar. Ihre Augen waren angstgeweitet.

»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Vielleicht sollten Sie sich bei passender Gelegenheit dafür entschuldigen, auf Lady Simpson geschossen zu haben.«

»Lady Simpson?« Sie schüttelte verständnislos den Kopf.

»Mylady hatte die ursprüngliche Absicht, in Ihrer Boutique einzukaufen.«

»Guter Gott, und ich dachte ... Entschuldigen Sie, das hatte ich nicht gewollt, ich meine, das mit dem Schuß ... Ich dachte ...«

»Sie rechneten augenscheinlich mit der Rückkehr einer Person, der gegenüber Sie nur wenig Sympathie aufzubringen vermögen?«

»Ja, ja, das ist richtig... Habe ich die Lady etwa verletzt?«

»Sie lädierten die Wand neben dem Eingang, Miß Carlton«, antwortete der Butler. »Die Person, die Sie erwarteten, war oder ist etwa fünfzig Jahre alt, untersetzt und füllig? Sie trägt eine einfache Nickelbrille?«

»Wo ... Woher wissen Sie das? Sie kennen diesen Mann?«

»Nur indirekt, Miß Carlton.« Parker wollte noch etwas hinzufügen, doch inzwischen hatte die ältere Dame sich durch die dichten Nebelschwaden gearbeitet und hustete dazu wie ein erkälteter Seehund. Sie entdeckte Parker, dann Miß Carlton und drohte ihr mit dem rechten Zeigefinger.

»Empfangen Sie Ihre Kunden immer mit einer Schußwaffe?« fragte sie.

»Ich weiß gar nicht, wie ich mich entschuldigen soll, Lady ... Wirklich, ich wußte nicht, daß ...«

»Nun beruhigen Sie sich erst mal, Kleines«, sagte die ältere Dame fast mütterlich. Den Schuß hatte sie bereits völlig vergessen. »Sie hatten Angst vor einem Besuch, nicht wahr?«

»Miß Carlton dürfte bereits einen Besuch der Kröte hinter sich haben, Mylady«, erklärte der Butler.

»Ja, dieser Mann sah aus wie eine Kröte«, bestätigte Jane Carlton und nickte. »Richtig unheimlich.«

»Sie sollten sich mir anvertrauen. Sehen Sie in mir eine mütterliche Freundin«, schlug Lady Simpson vor. »Übrigens, haben Sie Cognac im Haus? Ich fürchte, mein Kreislauf ist etwas in sich zusammengefallen, meine Liebe.«

»Aber ja doch ... Bitte, kommen Sie durch in meine Wohnung«, bat Jane Carlton und ging voraus. Sie führte ihre Gäste durch einen schmalen Korridor in ein kleines Apartment, von dem aus man sofort in einen winzigen Garten gehen konnte, der von hohen Mauern umgeben war.

»Sehr schön«, kommentierte die ältere Dame die Überreichung eines Cognacs. »So, meine Liebe, und nun sollten Sie mir sagen, was Sie bedrückt. Ich werde Ihnen selbstverständlich helfen.«

»Sie kennen den Gangster, der mich hier besuchte?« fragte Jane Carlton.

»Ich bin dabei, dieses Subjekt zu stellen«, versicherte Agatha Simpson der Gastgeberin. »Ich brauche nur noch einige Anhaltspunkte. Ist es nicht so, Mister Parker?«

»Mylady wünschen nur zu erfahren, wo Ihr Freund Mister Ron Buffin sich aufhält«, erwiderte der Butler. »Daraus können Mylady dann brauchbare Schlüsse ziehen.«

»Ron und ich haben uns schon vor Monaten getrennt«, lautete die Antwort. »Wir hatten uns auseinandergelebt, verstehen Sie? Ron war fast nie hier, sein Beruf hatte absoluten Vorrang. Wie haben uns in Freundschaft getrennt. Und das habe ich auch diesem Mann gesagt, der mich vor einer Woche besuchte und nach Ron fragte. Erst vor etwa zwei Stunden rief er wieder an und sagte mir, er würde noch mal vorbeikommen. Da habe ich den Revolver genommen und auf ihn gewartet. Ich wollte mich nicht noch mal schlagen lassen.«

*

»Ron ist besessen«, erzählte Jane Carlton, die sich inzwischen ebenfalls mit einem Cognac versorgt hatte. »Er lebt nur für seinen Beruf. Ein Privatleben kennt er einfach nicht. Wir lernten uns während einer Betriebsbesichtigung kennen. Das liegt jetzt gut ein Jahr zurück, vielleicht sogar etwas länger. Wir waren damals von einem Hersteller für Damen- und Herrenoberbekleidung eingeladen worden, ich glaube, das war in Lambeth.

Wir mochten uns auf Anhieb und waren dann zusammen, doch Ron blieb danach mehrfach für Wochen weg. Er arbeitete, wie ich später von ihm erfuhr, als Bürobote in einer Versicherung, als Kellner in einem Spielclub, dann wieder als Koch in einer Schnellimbiß-Kette.

Moment, was war da denn noch? Richtig, er ließ sich als Hundepfleger auf einer Windhundrennbahn einstellen und arbeitete sogar als Inder in einer Schneiderwerkstatt.«

»Anschließend berichtete Mister Ron Buffin über seine gemachten Erfahrungen, er geißelte soziale Mißstände und deckte Affären auf«, warf Josuah Parker ein.

»Sie kennen ja wohl seine Artikelserien«, redete Jane Carlton weiter. »Es waren jedes Mal Sensationen und lösten Prozesse aus. Aber man konnte Ron nie nach weisen, daß er die Unwahrheit gesagt hatte. Er recherchierte immer sehr sorgfältig.«

»Und machte sich Feinde, meine Beste, nicht wahr?« tippte die Detektivin an.

»Viele Feinde, Mylady«, antwortete Jane Carlton. »Man drohte ihm Prügel an, hetzte Schläger auf ihn und schreckte ihn sogar mit dem Tod.«

»Sie sprachen freundlicherweise von seiner Arbeit als Schneidergehilfe«, erinnerte Parker. »Könnte man bei diesem Thema noch ein wenig verweilen? Wann ließ er sich dort anstellen? Erinnern Sie sich an das noch relativ genau?«

»Diese Artikelserie liegt jetzt ein paar Wochen zurück«, folgte die etwas zögernde „Antwort. »Ja, das muß vor etwa zwei Monaten gewesen sein. Ron und ich hatten uns zu dieser Zeit aber bereits getrennt. Ron arbeitete etwa drei Wochen als Schneidergehilfe.«

»Und danach gab er diese Stellung schon wieder auf?« wunderte sich der Butler. »Nach meinem bescheidenen Wissensstand blieb er doch meist zwei oder drei Monate in den jeweiligen Stellungen.«

»Er sagte mir am Telefon, er hätte genug Material, um gewissen Leuten einen Strick drehen zu können. Ron war damals ganz aufgeregt, so kannte ich ihn eigentlich nicht.«

»Sie können sich sicher an den Betrieb erinnern, in dem er als Oberbekleidungsgehilfe arbeitete, nicht wahr?«

»Das war im Südosten von London, ich glaube, wenn ich das noch richtig zusammen bekomme, warten Sie... Ja, das war in Brixton, dort gibt es ja viele Einwanderer.«

»Ich brauche den Namen dieses Heimwerkers, meine Liebe«, bohrte die ältere Dame nach.

»Paul Singh oder so«, erwiderte Jane Carlton. »Er ist Inder. Wie gesagt, Ron blieb nur knapp drei Wochen bei ihm. Danach schrieb er diese Serie über Lesberry oder Lesbury, genau weiß ich den Namen nicht mehr.«

»Ernest Lesbury«, half der Butler höflich aus. »Seine Firma befindet sich in Lambeth, Miß Carlton.«

»Schon möglich«, erwiderte sie. »Sie wissen, daß Rons Büro und Wohnung ausgebrannt sind?«

»Sie haben die Nachrichten bei diversen Fernsehübertragungen gesehen und gehört?«

»Ich habe das Haus sofort wiedererkannt.«

»In seinem Büro arbeitete auch Mister Randy Driffers?«

»Natürlich, sein Freund und Partner. Randy war im Team zuständig für die Hintergrundinformationen. Er ist es natürlich wohl auch jetzt noch, Mister Parker.«

»Darf man fragen, ob die beiden Männer miteinander harmonierten?«

»Doch, sie kamen gut miteinander aus. Verflixt, warum benutze ich immer die Vergangenheit. Sie glauben doch nicht, daß Ron etwas passiert sein könnte?«

»Das Leben an sich ist voller Gefahren, Miß Carlton«, schickte der Butler voraus. »Und Mister Ron Buffin hat sich sehr viele Feinde geschaffen. Wie ertrug Mister Driffers die Tatsache, daß sein Name eigentlich niemals genannt wurde? Gab es möglicherweise eine versteckte Eifersucht?«

»Das kann ich nicht sagen.« Sie zuckte die Achseln. »Es war aber immer Ron, der die Endfassungen der Artikelserien schrieb. Er hatte dafür eine einmalig gute Hand, das gab auch Driffers immer zu. Was sich aber tatsächlich in seinem Kopf abgespielt haben mag, kann ich natürlich nicht sagen.«

»Könnte er Buffin umgebracht haben?« fragte Lady Agatha schonungslos, abrupt und rundheraus, wie es ihrer Art entsprach.

»Aber nein, Mylady«, protestierte Jane Carlton, »warum sollte er so etwas tun? Ohne Ron ist er nur ein normaler Journalist und würde nie das verdienen, was er mit und durch Ron verdient. Sie haben sich die Honorare immer genau geteilt.«

»Wo könnte Mister Buffin sich versteckt halten?« Parker wechselte das Thema. »Denken Sie in diesem Zusammenhang möglichst an Orte, von denen Mister Buffin vielleicht mal nur andeutungsweise sprach.«

»Danach hat mich dieser Gangster auch gefragt«, gab Jane Carlton zurück und schloß für einen Moment die Augen. »Aber ich weiß nichts. Ron reiste so gut wie nie und verließ London eigentlich gar nicht. Wenn er seine Artikelserien schrieb, ging er allerdings in den Untergrund und wollte nicht erreichbar sein. Dann wußte selbst Randy Driffers nicht, wo er steckte.«

»Ihr Freund muß doch Familie gehabt haben, meine Liebe«, fragte die ältere Dame geradezu verärgert. »Leben seine Eltern noch? Hat er Geschwister? Ich fürchte, Sie strengen sich nicht richtig an. Überlegen Sie endlich gründlich!«

»Rons Eltern sind schon seit vielen Jahren tot«, gab Jane Carlton nach dieser Aufforderung fast hastig zurück, »und Geschwister hat er keine, das weiß ich genau. Im Grund war er der typische Einzelgänger. Ich meine natürlich, er ist der typische Einzelgänger. Wenn ich es recht betrachte, weiß ich so gut wie gar nichts von ihm.«

»Wenn Sie erlauben, Miß Carlton, noch eine Frage«, schickte der Butler voraus. »Falls meine Wenigkeit sich recht erinnert, erschien jener Krötenmann vor einer Woche hier bei Ihnen und bedrängte sie in wenig vornehmer Art, sich über Mister Ron Buffin zu äußern. Er drohte mit einem erneuten Besuch. Warum, so lautet jetzt die eigentliche Frage, warum verschmähten Sie es, Haus und Geschäft zu verlassen? Warum warteten Sie mit einer Schußwaffe, nachdem er innerhalb der zwei zitierten Stunden kommen wollte?«

»Ich lasse mich nicht unter Druck setzen«, entgegnete Jane Carlton, »Ich laufe nicht weg, wenn es gefährlich wird. Was würde das schon bringen? Doch nur ständige Angst und Panik. Nein, da stelle ich mich lieber und nehme den Kampf auf.«

»Sie sprechen mir im Grund aus dem Herzen, meine Liebe«, lobte die ältere Dame ihr Gegenüber. »Habe ich sonst noch Fragen, Mister Parker?«

»Momentan nicht, Mylady«, sagte der Butler. »Falls meine Wenigkeit eine Anregung geben darf, so sollte man sich jetzt auf das mögliche Erscheinen der besagten Kröte konzentrieren.«

*

»Und sie kam natürlich nicht, wie?« Mike Rander lächelte. Er befand sich zusammen mit Josuah Parker in der großen Wohnhalle des altehrwürdigen Hauses der Lady Simpson. Die ältere Dame war in ihr Studio gegangen, um ein wenig zu meditieren, wie sie es ausdrückte. Nach dem gemeinsamen Dinner wollte sie aber tatsächlich ein kurzes Schläfchen halten.

»Die Kröte wird selbstverständlich den Privatwagen meiner Wenigkeit registriert haben«, vermutete der Butler. »Miß Carlton war übrigens nicht dazu zu bewegen, Wohnung und Geschäft zu verlassen.«

»Ein Mut, der fast schon an Leichtsinn grenzt«, urteilte Kathy Porter, die aufmerksam zugehört hatte. »Sie weiß doch, wie brutal dieser Gangster ist.«

»Das dürfte aber auch alles sein, was sie weiß«, gab Mike Rander etwas abfällig zurück. »Erstaunlich bleibt, daß sie Ihnen keinen Tip geben konnte, was Buffins Aufenthaltsort betrifft.«

»Es bietet sich eine vage Spur an«, meinte der Butler. »Meine Wenigkeit darf daran erinnern, daß Mister Driffers Myladys Gast hier im Haus war. Von seinem Zimmer aus sprach er mit einem gewissen Paul Baltson, der in Soho ein Fachgeschäft für Tabakwaren betreibt.«

»Richtig, Parker, das hätte ich beinahe vergessen. Er schien doch einen Code benutzt zu haben, oder?«

»Er fragte nach einem Päckchen, Sir, das aber laut Mister Baltson noch nicht eingetroffen war.«

»Genau das war es, Parker.« Mike Rander nickte. »Es wird höchste Zeit, daß wir uns diesen Tabakburschen mal gründlich vorknöpfen.«

»Meine Wenigkeit möchte Ihre Anregung voll und ganz aufgreifen, Sir.«

»Und ich muß wieder mal hier zurückbleiben«, beschwerte sich Kathy Porter lächelnd.

»Nur Sie, Miß Porter, sind in der Lage, auf Myladys Wünsche einzugehen«, behauptete Josuah Parker. »Mylady sollte auf keinen Fall eine private Ausfahrt unternehmen.«

»Ich habe zwei sehr actionreiche Videofilme besorgt«, erwiderte Myladys Sekretärin lachend. »Lady Simpson wird kaum widerstehen können.«

»Rechnen Sie damit, Kathy, daß die Kröte hier erscheint, sobald sie herausgefunden hat, daß Parker und ich unterwegs sind.«

»Mister Ron Buffin könnte sich durchaus per Telefon melden und um Hilfe bitten«, fügte der Butler hinzu.

»Was dann ein fingierter Hilferuf sein würde.« Kathy Porter nickte. »Ich werde mir inzwischen die Artikelserien Buffins durchlesen. Ich habe sie mir besorgt. Und dazu noch alles Material über ihn.«

»Der Bericht über die geschäftlichen Machenschaften des Mister Ernest Lesbury dürften dabei von besonderem Interesse sein«, sagte der Butler. »Erstaunlicherweise blieb Mister Buffin nur etwa drei Wochen in einem dieser Zuliefererbetriebe. Für seine sonstigen Recherchen eine erstaunlich kurze Zeit.«

»Sollte Lesbury die Kröte doch engagiert haben?« Rander blickte den Butler fragend an.

»Man sollte nie etwas ausschließen, Sir«, erwiderte Parker. »Falls dem aber so sein sollte, würde Myladys Fußtritt gegen Mister Lesburys Schienbein eine neue Dimension annehmen.«

»Und wir würden zu hören bekommen, daß sie von Beginn an sehr genau wußte, warum sie Lesbury getreten hat«, meinte der Anwalt ironisch. »Fast wünsche ich mir, daß dieser Bekleidungs-Gangster mit der Kröte nichts zu tun hat.«

»Wird Lesbury noch weiterhin versuchen, uns Schwierigkeiten zu bereiten?« fragte Kathy Porter.

»Mister Lesbury dürfte den Fußtritt kaum vergessen, Miß Porter«, antwortete der Butler. »Man sollte diesen Mann auf keinen Fall aus dem Gedächtnis streichen. Mit weiteren Aktionen seinerseits ist meiner bescheidenen Ansicht nach unbedingt zu rechnen.«

*

Obwohl es auf Mitternacht zuging, herrschte in Soho reges Treiben. Touristen und Einheimische waren unterwegs, um etwas zu erleben. Die engen Straßen dieser Region waren dicht gefüllt. Schreiend bunte Reklamen forderten fast brutal auf, sich den dubiosesten Vergnügungen in die Arme zu werfen.

Josuah Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum auf einem kleinen, bewachten Parkplatz zurückgelassen und dem Platzwärter eingeschärft, ein wachsames Auge auf das ehemalige Taxi zu werfen. Zu Fuß näherten Mike Rander und der Butler sich der Straße, in der sich der Tabakladen des Paul Baltson befand.

»Ob unsere Kröte von diesem Baltson weiß?« fragte Rander.

»Dies, Sir, sollte man sicherheitshalber unterstellen«, gab Parker zurück. »Laut Miß Jan Carlton muß die Kröte seit gut einer Woche in London sein.«

»Richtig, laut der Carlton erschien sie ja vor einer Woche bei ihr in der Boutique. Dieser Killer hatte also Zeit genug, sich ausgiebig zu informieren.«

Sie hatten die Straße erreicht.

Parker prüfte die nähere Umgebung. Es gab hier Massagesalons, kleine Sexkinos, Andenkenläden, Obstgeschäfte und Teestuben. Der Tabakladen war neben einem Obstgeschäft untergebracht und zeichnete sich durch seine Winzigkeit aus. Das Schaufenster war kaum größer als ein Badezimmerspiegel, die Ladentür schien zu einem Puppenhaus zu gehören.

Eine Auslage gab es so gut wie gar nicht. Im kleinen Schaufenster stand eine bunte Figur aus Plastik. Es handelte sich um einen Gardesoldaten, der ein Banner in Händen hielt, auf dem der Name einer bekannten Tabakmarke stand. Das Fenster war übrigens mit Sicherheit seit Monaten nicht mehr geputzt worden.

Paul Baltson, der Betreiber des sogenannten Fachgeschäfts, entpuppte sich als ein etwa fünfundvierzigjähriger Mann, der mittelgroß und dicklich war. Er trug einen schmuddeligen grauen Kittel und blickte Parker und Rander mehr als überrascht an. Kundschaft in seinem kleinen Ladenlokal schien ihn zu irritieren.

»Ja, bitte, was wünschen Sie?« fragte er.

»Ihre Auswahl an Tabakwaren ist nicht gerade berauschend«, antwortete der Anwalt und zeigte auf die wenigen Regale, die fast durchweg mit Reklameschildern gefüllt waren.

»Ich verkaufe aus, das Geschäft lohnt sich nicht mehr«, antwortete Baltson.

»Zumal das bewußte Päckchen noch nicht eingetroffen sein dürfte«, stellte Parker fest.

»Päckchen? Nicht eingetroffen? Ich verstehe nicht!«

»Mister Randy Driffers erkundigte sich per Telefon nach dem gerade erwähnten Päckchen«, redete der Butler weiter. »Der Name des Mister Randy Driffers müßte Ihnen mit Sicherheit bekannt sein.«

»Moment mal, wer sind Sie eigentlich?« Baltsons Stimme wurde ein wenig ruppig.

»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor.

»Und ich bin Mike Rander«, fügte Parkers Begleiter lächelnd hinzu. »Kommen Sie schon, Baltson, lassen Sie die Katze aus dem Sack. Wo steckt Ron Buffin?«

»Sie haben sich in der Adresse geirrt«, erklärte der Tabakwarenfachhändler. »Ich kennen keinen Buffin.«

»Auch Randy Driffers ist Ihnen demnach so gut wie unbekannt?« erkundigte sich der Butler.

»Schon möglich, daß er zu meinen Kunden gehört«, räumte der Tabakfachmann vorsichtig ein. »Aber das hätte nichts zu bedeuten. Noch mal: wer sind Sie? Wieso sollte ich Ihre Fragen beantworten?«

»Aus Gründen der allgemeinen Klugheit«, schlug Parker als Antwort vor. »Mister Rander und meine Wenigkeit halten sich an die Regeln der Höflichkeit, andere Kunden werden diese Regeln mit Sicherheit mißachten.«

»Andere Kunden? Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Verdammt, drücken Sie sich gefälligst deutlicher aus!« Paul Baltson wechselte wie zufällig hinüber zum Kassenpult, wovon Parker sich allerdings nicht täuschen ließ.

»Okay, reden wir Klartext, Baltson«, schlug der Anwalt lässig vor. »Ron Buffin und Randy Driffers stecken in der Zwickmühle. Sie sollen umgebracht werden, um genau zu sein. Hinter diesen beiden Journalisten sind einige besonders scharfe Killer her, die jede Spur aufnehmen, die sich ihnen bietet. Und Sie, Baltson, sind solch eine Spur.«

»Ich habe keine Ahnung, wo Buffin steckt«, meinte Baltson da. »Klar, ich kenne ihn und auch Driffers, mache keinen Hehl draus ... Ich habe die beiden Jungens hin und wieder mit Tips versorgt und Ihnen Adressen verschafft, aber mehr auch nicht.«

»Auch in Sachen Ernest Lesbury?« erkundigte sich Josuah Parker umgehend.

»Wer sind Sie?« Baltson glaubte fest an seine Chance, riß die Lade unter dem Kassenpult auf und wollte nach einem darin befindlichen Gegenstand greifen. Doch Parker ließ dies aus verständlichen Gründen nicht zu. Er ging davon aus, daß Baltson eine Schußwaffe hervorzuziehen gedachte.

Der Tabakwarenfachhändler ächzte dumpf, als Parker mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes auf die Schulter klopfte und damit Arm und Hand paralysierte. Dann ging der Butler um die winzig kleine Verkaufstheke herum und barg aus der Lade einen recht angejahrt aussehenden Revolver.

»Hätten Sie es mit den erwähnten Killern zu tun, Mister Baltson, dann würden Sie jetzt Schaden an Leib und Seele nehmen«, stellte der Butler fest. »Mister Rander und meine Wenigkeit aber werden über Ihren Mißgriff diskret hinwegsehen.«

»Falls Sie endlich zur Sache kommen«, schloß Mike Rander.

*

»Hinter den Killern kann nur Lesbury stehen«, sagte Baltson und rieb vorsichtig die sicher noch leicht schmerzende Schulter. »Als Buffin mit seinem Bericht herauskam, schäumte Lesbury vor Wut. Er hat ein paarmal versucht, Buffin abfangen zu lassen und schickte ihm besonders harte Schläger auf den Hals. Buffin und Driffers aber konnten jedesmal entwischen.«

»Mister Buffin arbeitete nur drei Wochen als Schneidergehilfe«, tippte der Butler an. Ihm schien dieser Hinweis besonders wichtig zu sein.

»Warum er so schnell aufgehört hat, weiß ich nicht, aber er muß da auf eine ganz heiße Sache gestoßen sein«, erwiderte Paul Baltson. »Von diesem Zeitpunkt an ist Buffin nicht mehr in sein Büro gegangen, er tauchte einfach weg. Und ich machte hier die Weiche. Sie verstehen, was ich damit meine?«

»Sie vermittelten Kontakte zwischen Mister Driffers und Mister Buffin, falls man Sie recht verstanden haben sollte.«

»Richtig, Mister Parker. Auch Driffers hatte keine Ahnung, wo sein Freund steckt. Und umgekehrt natürlich auch nicht. Driffers und Buffin hatten ausgemacht, ihre Ausweichadressen nicht auszutauschen. Keiner sollte den anderen in die Pfanne hauen können.«

»Demnach muß Buffin also auf eine sehr heiße Sache gestoßen sein«, warf Mike Rander ein.

»Ich weiß von nichts«, betonte Baltson etwas zu nachdrücklich.

»Natürlich nicht, Baltson«, erwiderte der Anwalt ironisch. »Es wird sich wohl nur um Drogen gehandelt haben, was wohl sonst?«

Paul Baltson hüstelte und befaßte sich intensiv mit seiner Schulter. Der Anwalt und Parker wußten, daß sie damit einen besonders wunden Punkt berührt hatten.

»Also?« fragte Rander nachdrücklich. »Kommen Sie, Baltson, spielen Sie nicht das scheue Reh! Sie wissen verdammt genau, daß es um Drogen geht...«

»In seiner Artikelserie hat Buffin aber kein Wort davon geschrieben«, erwiderte der Tabakwarenfachhändler.

»Weil in seiner Serie nur von den sozialen Bedingungen der Heimarbeiter und Kleinstunternehmer berichtet wurde«, redete der Anwalt weiter, »weil Buffin darüber schrieb, wie erbarmungslos Lesbury seine Zulieferer ausbeutet.«

»Über Mister Lesburys Beziehungen zum Drogenhandel wäre vielleicht noch zu einem anderen Zeitpunkt berichtet worden«, vermutete der Butler.

»Okay, das hatte er wohl vor«, räumte Baltson überraschend ein. »Ich habe natürlich mitbekommen, daß Buffin etwas über den Drogenschmuggel herausgefunden hat. Aber von mir haben Sie das nicht, hören Sie? Ich hab’ keine Lust, abgeknallt zu werden.«

»Auf welche Art waren Sie den Herren Driffers und Buffin dienlich?« fragte Josuah Parker.

»Wie gesagt, ich vermittelte die Nachrichten, die sie sich zu geben hatten, das war aber auch schon alles. Schön, ich habe auch meine Fühler ausgestreckt, als Buffin eine Stelle als Schneidergehilfe suchte. Ich habe da so meine Beziehungen.«

»Sie wissen aber noch nicht mal andeutungsweise, wo Mister Ron Buffin sich versteckt halten könnte?« lautete die nächste Frage des Butlers.

»Er ist hier in London«, entgegnete Baltson, »oder in einer anderen Stadt mit Überseehafen. Wenn er mit mir sprach, hörte ich hin und wieder Schiffssirenen. Meiner Schätzung nach hält er sich irgendwo in Londons Häfen versteckt.«

»Wann rief Mister Buffin zum letztenmal an?«

»Vor gut zwei Stunden«, lautete die überraschende Antwort.

»Sie sollen Mister Driffers etwas ausrichten, wie mit einiger Sicherheit zu vermuten ist.«

»Ich soll ihm ausrichten, daß der Kanarienvogel gelandet ist. Keine Ahnung, was das zu bedeuten hat, Mister Parker. Es handelt sich natürlich um einen Code.«

»Eine Bemerkung, die man nur als ausgesprochen scharfsinnig bezeichnen kann«, erwiderte Parker höflich und gemessen.

*

Parker zog die Ladentür auf und wollte auf die Straße treten. Genau in diesem Augenblick erschienen zwei Männer links und rechts vom Eingang, in der Absicht, sich vor ihm aufzubauen. Der Butler sah eindeutig, daß sie bewaffnet waren, doch sie kamen nicht dazu, ihre schallgedämpften Pistolen zu zücken.

Der Mann links vor Parker erhielt plötzlich einen unsichtbaren, ungemein harten Schlag und fiel gegen seinen Begleiter, der seinerseits das Gleichgewicht verlor und gegen das winzige Schaufenster flog, das er mit der linken Schulter eindrückte.

Parker hatte sich verständlicherweise ein wenig zurückgezogen und deutete dann mit der Schirmspitze auf den Mann, der zu Boden gegangen war.

»Die sogenannte Kröte dürfte ein wenig überrascht worden sein, als die beiden Männer hier erschienen«, sagte er dann gemessen zu Rander. »Der Schuß galt zweifellos meiner Wenigkeit, Sir.«

Mike Rander nickte nur knapp und zog den Getroffenen an den Füßen in die Tiefe des kleinen Ladenlokals. Anschließend kümmerte er sich um den stöhnenden Mann, der im Rücken getroffen worden war und blutete.

»Was ... Was hat das alles zu bedeuten?« rief Baltson nervös und drückte sich gegen das kleine Regal.

»Los, holen Sie einen Verbandskasten«, fuhr Rander ihn an. »Mann, beeilen Sie sich!«

Josuah Parker war an die Tür zurückgegangen. Mit schnellem Blick hatte er herausgefunden, daß der Zwischenfall so gut wie überhaupt nicht registriert worden war. Die Passanten in der schmalen Straße glaubten wohl an Angetrunkene, die hier eine Scheibe eingeschlagen hatten.

Der zweite Mann, der die Schaufensterscheibe eingedrückt hatte, war nicht weggelaufen. Er stierte auf seine blutverschmierte Hand. Die Schulter schien von einem Glasscherben verletzt worden zu sein. Das Blut lief nun über den Arm nach unten auf den Handrücken.

»Man wird Ihnen sofort einen Notverband anlegen«, sagte Parker und ... benutzte den Bambusgriff seines Schirmes als Fanghaken. Er legte ihn um den Hals des völlig konsternierten Mannes und zog ihn dann ruckartig in das Ladenlokal.

Baltson kam mit einer Zigarrenkiste zurück, in der sich Verbandsmaterial befand. Mike Rander kümmerte sich um den am Boden liegenden Mann, der stöhnte, aber noch bei Besinnung war. Parkers Gegenüber blickte entgeistert auf seinen Partner.

»Mister Ernest Lesbury schickte Sie?« fragte der Butler den vor ihm stehenden Schläger.

»Kein Kommentar«, erwiderte der Mann zögernd und nervös.

»Ich möchte meiner Sorge Ausdruck verleihen, daß Sie möglicherweise verbluten werden«, redete Parker weiter und nahm die Hand hoch.

»Mann, stoppen Sie das Blut!«

»Sie sollten erst mal Platz nehmen und sich entspannen«, schlug Parker vor. »Erweitern Sie nicht unnötig Ihre diversen Gefäße.«

Der Mann setzte sich vorsichtig auf einen Hocker und stierte auf seinen Partner, der von Rander versorgt wurde. Baltson half ihm dabei, stellte sich allerdings recht ungeschickt an.

»Wo kann man Mister Lesbury momentan finden, um auch diese Frage noch zu klären?« lautete die nächste Frage des Butlers. Der Mann fuhr zusammen und nannte eine Adresse in Lambeth.

»Und wie lautete Ihr ganz spezieller Auftrag?«

»Wir sollten Sie und den Anwalt nach Lambeth zu Lesbury bringen«, erwiderte der Mann. »Verdammt, wollen Sie mich nicht endlich verbinden? Ich geh’ sonst ein.«

»Vielleicht eine Frage noch, die unter Umständen wichtig sein könnte. Seit wann warteten Sie auf Mister Rander und meine Wenigkeit?«

»Wir sind hinter euch her, seitdem Ihr das Haus der Alten da in Shepherd’s Market verlassen habt. Wir haben mit drei Gruppen gearbei... Hören Sie, was sollen die Fragen?«

»Demnach ist mit Verstärkung zu rechnen?«

»Kann schon sein, aber wer hat da auf uns geschossen?«

»Eine gewisse Kröte, die ihr Gift in Form von Blei verspritzt, um es mal so auszudrücken«, gab Parker höflich Auskunft.

*

»Zum Henker, Parker, woher wußte die Kröte, daß wir bei Baltson waren?« fragte Mike Rander eine Viertelstunde später. »Ich gehe natürlich auch davon aus, daß sie geschossen hat.«

»Mister Lesburys Mitarbeiter könnten einen entsprechenden Hinweis gegeben haben, Sir. Sie verfolgten Sie und meine Wenigkeit seit Shepherd’s Market, wie zu hören war.«

»Dann haben wir aber toll aufgepaßt, Parker«, erwiderte der Anwalt ironisch.

»Eine stetig wechselnde Verfolgung durch drei Wagen ist kaum wahrzunehmen, Sir«, lautete Parkers Antwort. »Doch von einer gewissen Schuld möchte meine Wenigkeit sich keineswegs freisprechen.«

»Ich ebenfalls nicht, Parker.« Rander lächelte. »Was diese Kröte aber betrifft, muß man sich fragen, ob sie von Baltsons Existenz gewußt haben könnte?«

»Dann hätte sie längst Kontakt mit Mister Baltson aufgenommen, Sir. Dazu war und ist dieser Mann zu wichtig.«

»Baltson hat sich hoffentlich in Sicherheit gebracht, bevor die Polizei eintraf?«

»Um Mister Baltson sollte man sich weiter keine Sorgen machen, Sir«, gab der Butler zurück. »Er ist im Labyrinth von Soho untergetaucht und dürfte selbst von der Kröte nicht entdeckt werden. Ein Mann wie Mister Baltson kennt eine Vielzahl von Unterschlüpfen.«

»Er hat uns da einen verdammt wichtigen Hinweis geliefert, Parker.«

»Drogen im engsten Umfeld des Mister Ernest Lesbury, Sir. Dies erklärt wohl auch die Tatsache, daß Mister Buffin bereits nach drei Wochen seine Arbeit als angeblicher Schneidergehilfe aufgab.«

»Das erklärt vor allen Dingen auch das Erscheinen der Kröte«, redete der Anwalt weiter. »Jetzt paßt alles zusammen. Ein Killer, wie die Kröte würde wegen einer Zeitungsserie wohl kaum engagiert werden. Hier geht’s um internationalen Drogenhandel. Wieder mal. Dieses Verbrechen ist einfach nicht auszurotten.«

»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte meine Wenigkeit dem nichts hinzufügen«, ließ der Butler sich vernehmen. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und steuerte den Wagen zur Themsebrücke hinunter. Er hatte die Absicht, dem Stadtteil Lambeth einen Besuch abzustatten.

Nach dem blutigen Zwischenfall vor dem Tabakladen hatte Rander den Chief-Superintendent angerufen und ihm einige Informationen zugespielt. McWarden hatte daraufhin sofort einige Streifenwagen nach Soho geschickt, um die verwundeten Lesbury-Männer abholen zu lassen.

»Noch mal zurück zu dieser Kröte«, sagte Rander nach einer Weile. »Arbeitet sie nun direkt für Lesbury, Parker? Wie sehen Sie das?«

»Dieser Killer, Sir, dürfte im Auftrag einer internationalen Drogen-Organisation nach London gekommen sein, nachdem Mister Buffin seine Entdeckung machte. Zusätzlich aber holte er noch Mister Jack Berwick hierher in die Stadt, damit er selbst erst mal im Hintergrund bleiben konnte.«

»Ihre Vermutung hat sich bestätigt, Parker. Die Kröte muß jetzt selbst aktiv werden.«

»Und hat bereits einige empfindliche Niederlagen einstecken müssen, Sir, was das Selbstwertgefühl dieses Killers erheblich ins Wanken gebracht haben dürfte. Dieser Mann braucht dringend einen Erfolg, um es mal so zu umschreiben, also wird die Kröte es an der bisherigen Vorsicht fehlen lassen.«

»Worauf Sie natürlich setzen, wie?« Rander lächelte und blickte sich dann um. Er warf einen mißtrauisch prüfenden Blick durch das Rückfenster des ehemaligen Taxis. Man befand sich inzwischen auf der Westminster Bridge und konnte die nachfolgenden Wagen gut beobachten.

»Sollte irgend etwas Ihren Verdacht erregt haben, Sir?« erkundigte sich der Butler gemessen.

»Ich möchte nicht noch mal verfolgt werden, ohne davon etwas zu bemerken, Parker. Die Sache wäre beinahe ins Auge gegangen.«

»Die Kröte, Sir, dürfte dort warten, wohin man Sie und meine Wenigkeit verbringen wollte«, meinte der Butler. »Sie kann davon ausgehen, daß die beiden Lesbury-Mitarbeiter entsprechend befragt und geantwortet haben dürften.«

»Dann wartet also die nächste Falle auf uns, wie?«

»Mit der man rechnet, Sir, und der man entsprechend begegnen kann«, gab Josuah Parker zurück. »Man sollte vielleicht versuchen, den Killer ein wenig zu verunsichern.«

»Was ich Ihnen überlassen werde, Parker.« Rander lachte leise. »Von mir aus können Sie besonders tief in Ihre Trickkiste langen. Ich habe bestimmt nichts dagegen.«

*

Josuah Parker hatte Maske gemacht.

Er hatte Sich in einen alten Mann verwandelt, der wie ein Clochard aussah und sich auch entsprechend benahm. Der Butler trug einen wadenlangen, dunklen Mantel und eine zerrissene Strickmütze. Über seine schwarzen Lederhandschuhe hatte er sich Strickhandschuhe gestreift.

Dieser Stadtstreicher also untersuchte umständlich und ausdauernd die Müll-Container am Straßenrand, bückte sich nach Zigarettenkippen und näherte sich langsam genau jenem Haus, in das man ihn und Mike Rander hatte bringen wollen.

Die Verwandlung des Butlers war perfekt. Selbst in der kleinsten Geste war er ein alter Mann, der keinen Blick für die nähere Umgebung hatte. Diesen Stadtstreicher interessierten nur verwertbare Abfälle, die er in einer Umhängetasche aus Stoff verschwinden ließ.

Zwischendurch blieb der Außenseiter der Gesellschaft aber immer wieder stehen und nahm einen tiefen Schluck aus einer Flasche, die in einer zerknitterten Papiertüte steckte.

Parkers Utensilien für diese erstaunliche Verwandlung stammten aus dem Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums. Er hatte nur wenige Minuten gebraucht, um in seine Rolle zu schlüpfen. Selbst Mike Rander hatte verwundert und irritiert den Kopf geschüttelt, als der Butler sich ihm in seiner Maske präsentierte.

Parker hatte Glück, denn aus einer schmalen Seitenstraße kam plötzlich ein anderer Nachtschwärmer, der sich ebenfalls für das interessierte, was in den Mülleimern und Containern war. Die beiden Männer nickten sich kurz zu, dann reichte Parker dem etwas jüngeren Mann seine umwickelte Flasche.

Der zweite Stadtstreicher nahm die Erfrischung dankbar an und bediente sich reichlich. Anschließend reichte er dem Butler eine Rotweinflasche, aus der Parker ohne Zögern trank. Dabei beobachtete er das Haus, auf das sein Interesse sich konzentrierte.

Im Erdgeschoß befand sich ein Friseursalon. Vor diesem standen einige Autos am Straßenrand, Marken, die eigentlich kaum in die Umgebung paßten. Es handelte sich um Nobelkarossen die ihren Preis gekostet hatten.

Der Butler wußte, daß die Kröte sich in der Nähe aufhalten mußte. Der Killer konnte sich solch eine Gelegenheit nicht entgehen lassen. Dieser Mann mußte von dem Gedanken beherrscht werden, endlich mal ein Erfolg zu haben. Trotz aller Vorausberechnungen hatte die Kröte bisher keinen Stich für sich verbuchen können.

Butler Parker versetzte sich in die Gedankenwelt des Gangsters. Diesem war also bekannt, daß man Parker und Rander in den Friseursalon schaffen wollte. Die Absicht war mißlungen, doch der Killer konnte davon ausgehen, daß seine Opfer inzwischen genau wußten, wo man sie erwartet hatte.

Parker kam zu dem Schluß, daß die Kröte zwei Möglichkeiten hatte, sich in einen Hinterhalt zu legen. Da war mal ein schäbig aussehendes Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, dessen Tür man gewiß leicht öffnen konnte. Und dann gab es einige Kellerabgänge in nächster Nähe des Salons. Auch dort konnte man sich gut plazieren und auf Opfer warten.

Der Butler tauschte mit dem zweiten Stadtstreicher noch mal die Flaschen und blickte dann auf sein hochbeiniges Monstrum, das gerade in die Straße eingebogen war. Im schwachen Licht der wenigen Straßenlaternen konnte Parker aber dennoch deutlich ausmachen, daß er, Josuah Parker, am Steuer saß!

Die Ähnlichkeit war verblüffend. Selbst bei genauem Hinsehen hätte man keinen Verdacht schöpfen können. Am Steuer saß Butler Parker! Da war die typische schwarze Melone, die steife Haltung, da war der schwarze Covercoat... Auch Mike Rander hatte Maske gemacht und brauchte sich hinter Parker nicht zu verstecken.

Selbstverständlich fuhr der falsche Butler Parker erst mal am Friseursalon vorüber, wobei er allerdings das Tempo deutlich minderte. Das hochbeinige Monstrum verschwand in der nächsten Seitenstraße, und die Kröte konnte davon ausgehen, daß der Wagen bald erneut erscheinen würde.

Wenig später entdeckte Parker den Killer.

Die vagen Umrisse einer Gestalt erschienen für einen Moment auf den Stufen eines Treppenabgangs. Die Entfernung bis zum Eingang des Friseursalons betrug etwa dreißig Meter. Für einen guten Schützen war das kein Risiko. Die Kröte richtete sich darauf ein, endlich ihre tödlichen Schüsse anbringen zu können.

Parker bemühte seine Gabelschleuder.

*

Er ließ sich auf keine Eventualitäten ein.

Aus seiner rechten Manteltasche holte er die Schleuder, die aus seinem privaten Labor stammte. Parker verfügte über besonders starke Gummistränge, die die Spezialgeschosse über erstaunlich weite Distanzen trugen. Um die Kröte sofort ausschalten zu können, legte er eine hart gebrannte Tonmurmel von der Größe einer Olive in die Lederschlaufe und baute sich hinter einem Müll-Container auf.

Der falsche Parker im echten hochbeinigen Monstrum näherte sich inzwischen wieder dem Friseursalon. Jetzt verließ die Kröte ihre Deckung. Der falsche Butler Parker klinkte die Fahrertür auf und schickte sich an, den Wagen zu verlassen.

Für die Kröte war das die einmalige Gelegenheit, endlich den tödlichen Schuß anzubringen. Der Killer hatte die beiden Stadtstreicher schon längst gesehen, maß ihnen jedoch keine Bedeutung bei. Er mußte die beiden Außenseiter der Gesellschaft einfach für echt halten.

Josuah Parker strammte die beiden Gummistränge, visierte kurz und entließ dann das Geschoß. Unhörbar jagte es über die andere Straßenseite und ... erwischte die Kröte am Hals. Sie warf ein Gewehr mit Zielfernrohr hoch in die Luft und griff nach der Einschlagstelle, schaffte es jedoch nicht mehr und brach haltlos zusammen.

Mike Rander verzichtete auf jede Würde.

Ein echter Butler Parker wäre nie in Riesensätzen zum Treppenabgang gelaufen. Parker hatte die Stelle, auf die es ankam, bereits entsprechend markiert. Nach der Tonmurmel war von ihm eine Art Leuchtboje verschossen worden. Ein greller Lichtschein leuchtete den Treppenabgang aus und zeigte deutlich, wie die Kröte langsam an der Hauswand hinunter in Richtung Stufen rutschte. Sie kämpfte gegen ihre Ohnmacht und Willenlosigkeit an, doch sie verlor auf der ganzen Linie.

»Was is’ denn da los?« fragte Parkers unfreiwilliger Begleiter, der erst jetzt aufmerksam geworden war.

»Sie sollten vielleicht das sprichwörtliche Weite suchen, bevor die Polizei eintrifft«, schlug der Butler vor und drückte ihm eine Banknote in die Hand. »Würden Sie die Freundlichkeit haben, auf das Wohl meiner Wenigkeit zu trinken?«

»Mann, dafür saufe ich«, erklärte der Stadtstreicher, nachdem er schnell einen fachmännischen Blick auf die Banknote geworfen hatte. Danach suchte er das vorgeschlagene Weite umgehend auf.

Parker überquerte die Straße und blieb vor der Tür zum Friseursalon stehen. Mike Rander kümmerte sich bereits um die Kröte und winkte dem Butler kurz zu. Parker pochte gegen die Türscheibe und hörte Schritte. Wenig später wurde spaltbreit geöffnet.

»Vor Ihrer Tür liegt eine Person, die offensichtlich angeschossen wurde«, sagte der Butler in seiner normalen Redeweise. Gleichzeitig sprühte er dem Mann eine Dosis seines Spezialmittels in die Augen, worauf der Leibwächter nicht nur zwinkerte, sondern die Übersicht verlor und die Tür freigab.

Josuah Parker klopfte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Schirmes gegen die Stirn des Mannes, der sich intensiv die Augen rieb. Dann stieg er über den am Boden Ruhenden hinweg und betrat den eigentlichen Friseursalon.

In einem modernen Behandlungsstuhl saß Ernest Lesbury und blätterte gelangweilt in einer Zeitung. Auf einem zweiten Stuhl lümmelte sich ein Leibwächter herum. Als er hochblickte, sah er gerade noch die Gabelschleuder in der Hand eines Stadtstreichers. Danach sah er nichts mehr. Eine Tonmurmel hatte seine Stirn erreicht und ihn außer Gefecht gesetzt.

»Was machen denn Sie hier?« Lesbury war aufmerksam geworden und nahm überrascht die Zeitung herunter.

»Meine Wenigkeit kann Sie nur bitten, mein momentanes Aussehen zu entschuldigen«, erwiderte der Butler. »In Anbetracht gewisser Umstände sah man sich gezwungen, in Maske aufzutreten, Mister Lesbury.«

»Pa... Pa... Parker?« stotterte der Überraschte intensiv.

»In der Tat, Mister Lesbury«, antwortete Parker. »Am Rand sollten Sie wissen und erfahren, daß die sogenannte Kröte ebenfalls dazu gebracht werden konnte, ihr mörderisches Spiel aufzugeben.«

Lesbury mühte sich zwar redlich um an eine Schußwaffe zu gelangen, doch der Unternehmer in Sachen Oberbekleidung schaffte es natürlich noch nicht mal andeutungsweise, denn Parker war verständlicherweise dagegen.

*

Parker spielte den Figaro im wahrsten Sinn des Wortes.

Lesbury und die Kröte saßen auf komfortablen Friseurstühlen und harrten der Dinge, die da kommen mußten. Der Butler und Mike Rander hatten die beiden Gangster mit breiten Lederriemen auf den Sesseln festgeschnallt, mit Lederriemen, die aus dem Kofferraum des hochbeinigen Monstrums stammten.

Die beiden Leibwächter Lesburys saßen nach einer kurzen chemischen Behandlung selbstvergessen in einer Ecke des Salons und träumten mit offenen Augen. Es schien sich um erfreuliche Träume zu handeln, denn sie lächelten versonnen.

Parker, der sich in einen hochherrschaftlichen Butler rückverwandelt hatte, befaßte sich erst mal mit Lesbury. Er hatte ihn bereits vorbehandelt und eingeseift. Nun benutzte der Butler einen großen Rasierpinsel, um für noch mehr Seifenschaum zu sorgen. Mit der behenden Geschicklichkeit eines echten Figaro verteilte Parker den üppigen Schaum im Gesicht des Oberbekleidungs-Gangsters und verfuhr dabei sehr großzügig, was Augen, Mund und Nase betraf.

Lesbury schnappte immer wieder nach Luft und brabbelte protestierend vor sich hin. Gegen seinen erklärten Willen hatte seine Mundhöhle sich bereits mit Seifenschaum gefüllt. Wenn er brabbelte, stiegen jedes Mal kleine und größere Seifenblasen zur Decke des Friseursalons.

Die Kröte blickte starr in den Spiegel vor sich und hatte die Lippen fest aufeinandergepreßt. Rander stand seitlich vor ihm und rauchte gelassen eine Zigarette.

»Wenn Sie gestatten, Mister Lesbury, wird man Sie nun ein wenig gegen den Strich balbieren«, sagte Parker und sorgte erneut für weiteren Schaum im Gesicht des Gangsters. »Meine Wenigkeit möchte allerdings im vorhinein einräumen und gestehen, daß man mit dem Rasiermesser nicht besonders geschickt ist. Sie sollten sich also möglichst nicht unnötig bewegen.«

»Sind ... Sind Sie wahnsinnig?« schäumte Lesbury mit gepreßter Stimme und produzierte einige besonders hübsch gelungene Seifenblasen.

»Während der Rasur könnte man sich dann gleichzeitig über die Drogen unterhalten, die Sie über Ihre Firma nach London schaffen«, redete der Butler weiter. »Wahrscheinlich geschah und geschieht das unter dem Deckmantel der Oberbekleidung aus dem Nahen und Fernen Osten.«

»Brauchen auch Sie ’ne kleine Rasur?« erkundigte sich Mike Rander bei der Kröte.

»Gehen Sie zum Teufel«, schnaubte der Killer. »Aus mir bekommen Sie nichts raus.«

»Eine Befragung Ihrerseits erübrigt sich«, warf der Butler ein. »Daß Sie von einem internationalen Drogenring engagiert wurden, steht bereits außer Zweifel. Die hiesigen Gerichte werden dafür sorgen, daß Sie für Jahre keine akuten Existenzsorgen mehr haben. Sie sind, um völlig offen zu sein, bereits uninteressant geworden.«

Parker wandte sich wieder Lesbury zu und wetzte dazu das Rasiermesser ausgiebig. Lesbury schielte auf Parkers Hand und schluckte vor Aufregung.

»Lady Simpson wird im übrigen bald eintreffen und eine zweite Rasur vornehmen«, kündigte der Butler an.

»Lady Simpson?« echote der Oberbekleidungs-Gangster.

»Mylady wird sich bereits jetzt auf Ihre Rasur freuen«, meinte der Butler.

»Man könnte das Verfahren allerdings auch abkürzen und sofort die Polizei verständigen«, ließ Mike Rander sich vernehmen. »Ron Buffin und Randy Driffers kamen Ihnen auf die Schliche, Lesbury, wie? Buffin fand heraus, daß Sie Drogen einführen, oder?«

Parker setzte mit dem blinkenden Rasiermesser zur ersten Schur an. Lesbury schnaufte und stöhnte vor Angst, da der Butler sich vor allen Dingen auf die Halspartie des Gangsters konzentrierte.

»Sie schmuggelten die Drogen auf welche Art?« fragte Parker und ließ das Messer um den auf und niedertanzenden Adamsapfel kreisen. »Könnte es sein, daß das Rauschgift in und unter den diversen Warensendungen verborgen war und ist?«

»Hö... Hören Sie auf«, schäumte Lesbury verzweifelt.

»Man sollte sich vielleicht mit einem Ihrer Ohren beschäftigen«, überlegte der Butler halblaut. »Der Verlust einer Ohrmuschel dürfte sich verschmerzen lassen.«»

»Hören Sie auf«, brüllte der Gangster. »Ja, zum, Henker, Buffin hat das mit den Drogen rausgefunden.«

»Und bei welcher Gelegenheit, wenn ich fragen darf?«

»Als die Oberhemden gewaschen wurden.«

»Die diversen Drogen waren im Gewebe der Stoffe enthalten?« Parker hatte sofort geschaltet.

»Als Wäschesteife«, lautete das endgültige Geständnis des Gangsters.

»Sie retteten soeben Ihr linkes Ohr«, antwortete Josuah Parker in seiner höflichen Art.

*

»So etwas ahnte ich von Beginn an«, behauptete Lady Agatha am anderen Morgen. Man saß am Frühstückstisch. Chief-Superintendent McWarden war von der Hausherrin großzügigerweise zu einer Tasse Tee eingeladen worden.

»Lesbury ist zusammengebrochen und hat ein Geständnis abgelegt«, berichtete der Chief-Superintendent. »Die Kröte hingegen schweigt sich aus, was mich aber kaum stört, Mylady. Für ein paar Jahre wird er ein Zuchthaus bevölkern müssen.«

»Wie war das mit dem Codewort Kanarienvogel, das Buffin an diesen Tabakhändler durchgegeben hat?« erkundigte sich Kathy Porter.

»Mister Driffers lieferte die Erklärung«, erklärte der Butler. »Mister Pickett brachte ihn und Mabel Pultnay nach London zurück. Bei dieser Gelegenheit erfuhr Mister Driffers von dem Codewort. Es bezog sich auf eine Werft gleichen Namens im Norden der West Indian Docks. Mister Buffin hielt sich dort in einem Lagerhaus versteckt.«

»Dann hätten wir Driffers ja um ein Haar unnötig verdächtigt«, meinte Kathy Porter.

»Aber nicht ich, Kindchen«, protestierte die passionierte Detektivin umgehend. »Ich hielt ihn stets für völlig loyal, aber auf mich wollte man ja nicht hören.«

»Sie haben wieder mal einen tollen Kriminalfall gelöst, Mylady«, versicherte McWarden ihr. »Ich könnte mir vorstellen, daß Sie nach diesen Strapazen jetzt erst mal eine kleine Pause einlegen werden.«

»Ich denke nicht daran, mein lieber McWarden«, gab sie zurück. »Eine Frau wie ich kann sich keine Ruhe leisten.«

»Bereits ein neuer Fall?« staunte der Chief-Superintendent.

»Es gibt da noch diesen Zeitungsverleger, den ich mir unbedingt kaufen muß.«

»Mister Robert Carnach«, half Parker höflich mit dem Namen aus.

»Genau den.« Sie nickte bestätigend. »Dieses verkommene Subjekt braucht noch einen Fußtritt von mir. Ich hatte da vor ein paar Tagen das falsche Schienbein erwischt.«

»Ihre Erlaubnis vorausschickend, Mylady, wird meine Wenigkeit alle erforderlichen Vorbereitungen treffen«, sagte der Butler.

»Das möchte ich mir ausgebeten haben«, redete sie munter weiter. »Sie wissen, Parker, ich bin nicht nachtragend, aber ich vergesse nicht.«

Parker deutete ein zustimmendes Kopfnicken an und wußte wieder mal im vorhinein, daß der nächste Fall bereits vorprogrammiert war, obwohl ihm die Sache mit dem Blütenmörder nicht aus dem Kopf ging ...

Butler Parker Staffel 22 – Kriminalroman

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