Читать книгу Der Schoppenfetzer und das Riesling-Attentat - Günter Huth - Страница 5
ОглавлениеDIE MÄRZNACHT DES JAHRES 1945 war für die Jahreszeit zu kalt und extrem finster. Es war Neumond. Der Erdtrabant hatte sich in die Lichtlosigkeit des Erdschattens zurückgezogen. Die konsequente Verdunkelung der Häuser tat ein übriges, so dass es in den Straßen der Stadt schwarz war wie in einem Sack.
Ein dunkel gekleideter junger Mann verließ das Haus in der Kärrnergasse, sah sich kurz um, dann wandte er sich in Richtung Domstraße. Er hielt ein möglichst unauffälliges Tempo bei. Vorsichtig blickte er immer wieder zurück, um sich zu vergewissern, dass er nicht verfolgt wurde. Im gleichen Maße wie sich die Situation in Deutschland immer mehr verschlechterte und auch beim harten Kern der Würzburger Nazis hie und da Zweifel am Endsieg aufkamen, wurde die Gestapo immer nervöser. Auch wenn vieles kurz vor dem Zusammenbruch stand – das Spitzelsystem funktionierte noch immer bestens. Jeden Tag wurden Menschen denunziert, verhaftet, gefoltert und getötet.
Es war der zweite Versuch eines Attentats, den seine Gruppe unternahm. Der erste Anschlag war kläglich gescheitert. Die Kugel aus einem schallgedämpften Kleinkalibergewehr hatte ihr Ziel nur knapp verfehlt und war, ohne Schaden anzurichten, irgendwo im Hinterland auf einem Acker zu Boden gefallen. Zum Glück hatte niemand die Aktion bemerkt. Der Attentäter, ein ausgebildeter Scharfschütze, war beinahe an sich selbst verzweifelt. Niemand konnte verstehen, warum das Geschoss sein Ziel verfehlt hatte.
Trotz dieses misslungenen Anschlags war es seiner Gruppe gelungen, weiterhin von der Gestapo unerkannt zu bleiben. Dies lag hauptsächlich daran, dass einer der Mitglieder im Sekretariat der Geheimen Staatspolizei arbeitete und ihnen, unter Gefährdung seines Lebens, wichtige Informationen zukommen ließ.
Heute war er auf dem Weg, um sich das Material für einen zweiten Anlauf zu besorgen. Diesmal musste das Vorhaben unter allen Umständen gelingen. Die Person, dem ihre Bemühungen galten, war ein Verbrecher. Eine Ausgeburt der Hölle, wie sie nur auf dem Nährboden dieser Diktatur gedeihen konnte. Sein Hass auf diesen Menschen war grenzenlos.
Der junge Mann näherte sich dem Seiteneingang des Kiliandoms. Als er der Mauer des wuchtigen Gebäudes näherkam, bemerkte er den schattenhaften Umriss einer menschlichen Gestalt. Er zögerte einen Augenblick, dann fasste er Mut und ging weiter. Seine Hand in der Tasche hatte er zu einer verkrampften Faust geballt. Sollte die Gestapo von ihren Unternehmungen Wind bekommen haben, wäre jetzt der richtige Moment, um zuzuschlagen.
Der Unbekannte löste sich von der Mauer der Kirche und trat einen Schritt vor.
Sie tauschten hastig ein vereinbartes Codewort aus, dann wechselte ein kleines, unscheinbares Päckchen den Besitzer.
So schnell, wie sie sich gefunden hatten, trennten sie sich auch wieder.
Ohne auffällige Hast lief der junge Mann durch die Straßen der Stadt, der das Inferno noch bevorstand.