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I. Magic Moments
Оглавление»Wenn das Jahrtausend beginnt, das nach dem Jahrtausend kommt,
wird es eine dunkle und geheime Ordnung geben.
Ihr Gesetz wird der Hass sein und ihre Waffe das Gift.
Sie wird immer mehr Gold wollen und ihre Herrschaft über die ganze Erde verbreiten
und ihre Diener werden untereinander durch den Kuss des Blutes verbunden sein.
Die Gerechten und die Schwachen werden ihren Regeln gehorchen,
die Mächtigen werden ihr zu Diensten sein.
Das einzige Gesetz wird das sein, welches sie im Schatten diktiert.
Sie wird das Gift bis in die Kirchen hinein verkaufen
und die Welt wandert mit dem Skorpion unter ihren Sohlen.«
Johannes von Jerusalem
Das Wort Imagination, im Englischen imagination, im Spanischen imaginación, im Französischen imagination, stammt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie Vorstellung.
Hiermit in Zusammenhang steht der Begriff der Magie, und damit der des Magiers – im Altertum Mago genannt. Im Laufe der Zeiten wurden unterschiedliche Begriffe wie Weiser, König oder Eingeweihter für einen Magier geprägt, doch heutzutage sind die Zusammenhänge nur noch vereinzelt erkennbar, so in dem spanischen Feiertag Reyes Magos, der im deutschen dem nur teilweise verbreiteten Feiertag Heilige Drei Könige entspricht.
Magier galten in alten Zeiten als Menschen, die die geistigen Gesetze und Zusammenhänge kannten, denen alles Walten und Wirken im Kosmos zu Grunde liegt. Somit konnten sie auch die Elemente der Natur beherrschen und sich zunutze machen und selbstverständlich auch die Menschen. Diese machten aus ihnen vielfach Götter, denn durch die Anwendung der geistigen Kräfte ahmten sie in gewisser Weise die Quelle dieser Kräfte, also den Schöpfer, Gott, nach. Da im Laufe der Zeiten die Menschheit in stetigem Maße materialistischer wurde und den geistigen Zusammenhängen keine Beachtung mehr schenkte, geriet die Magie als Wissenschaft immer mehr in Vergessenheit. Doch es gibt sie bis zum heutigen Tage. Und es wird sie immer geben.
Wie alles, was der Mensch sich zu Nutze machen oder gebrauchen kann, sowohl für gute als auch für böse oder selbstsüchtige Zwecke, so auch diese höchste Wissenschaft. Die gefährlichsten Menschen sind dabei nicht jene, die nur an die Materie glauben und der geistigen Welt keine Aufmerksamkeit schenken. Im wahren Sinne des Wortes bösartig sind jene Menschen, die sich die geistigen Kräfte und Mächte zu Nutze machen, um ihre selbstsüchtigen Pläne zu verwirklichen. In alten Zeiten nannte man sie Schwarzmagier, denn sie vertraten die dunkle Seite der Macht.
*
»Guten Abend, meine Damen und Herren. Es ist Montag, der vierte Juni 2012, acht Uhr abends Eastern Standard Time. Ich begrüße Sie zu unserer Nachrichtensendung.«
Richard White nickte seiner Kollegin Kim Williams zu. »Und dich begrüße ich auch, Kim!«
»Danke, Richard, und herzlich willkommen zurück aus dem Urlaub«, erwiderte die Angesprochene um gleich darauf fortzufahren: »Unbestätigten Meldungen zufolge ist der UN-Generalsekretär heute vor dem UN-Gebäude entführt worden. Da weder von Seiten des Weißen Hauses noch von der UNO bisher eine Reaktion auf diese Behauptung erfolgt ist, scheint sich auch dort irgend etwas Ungewöhnliches ereignet zu haben – genau wie im Weißen Haus selbst, wie wir in einer Sondersendung bereits kurz berichteten. Wir halten Sie über beide Vorfälle selbstverständlich auf dem Laufenden. Ganz besonders möchte ich Ihnen hierzu unsere bekannte Internet-Seite empfehlen.«
An dieser Stelle ergriff ihr Kollege wieder das Wort: »Nun zu einigen weiteren Meldungen des News-Centers: Unter dem Stichwort Globale Erwärmung stellt Professor Frederick Taylor in einem Artikel in der New York Times die Frage: Lässt uns der Golfstrom eines Tages im Stich? Er wurde in Fachkreisen bereits kontrovers diskutiert und dürfte in diesem Genre noch für einigen Gesprächsstoff sorgen.«
Nun erklärte Kim Williams mit einem Lächeln: »Und abschließend noch eine Meldung aus dem Ausland: Wie es scheint, halten in Europa in immer stärkerem Ausmaß amerikanische Verhältnisse Einzug. In Deutschland wurde am Wochenende der höchste Jackpot in der Geschichte des Lotto geknackt. Der Gewinner mit den Zahlen eins, drei, sieben, zwölf, zweiundzwanzig und vierzig, der zudem die Superzahl fünf und die Zusatzzahl zehn angekreuzt hat, darf sich umgerechnet auf genau einhundert Millionen Dollar freuen.«
*
Séth'ra stand mit seinen beiden Dienern in der privaten Abflughalle des zweiten Raumschiffs der Weißen Rasse. Diese war den Mitgliedern des Ältestenrats vorbehalten. Zu Hén'ar gewandt sagte er: »Du wirst mich zur Erde begleiten. Das sollte reichen, obwohl ich meine Ziele auch allein durchsetzen könnte. Aber es kann nie schaden, ein As im Ärmel zu haben.«
»Ja, mein Fürst!«
»Ich habe nicht über Jahre alles vorbereitet, um durch irgendwelche Kleinigkeiten kurz vor dem Ziel aufgehalten zu werden. Ich kann ganze Regierungen beeinflussen – da werde ich es mit denen doch wohl auch aufnehmen können, oder?«
»Ja, mein Gebieter!«
»Du bleibst hier«, wandte er sich an Chá'tar, »und erwartest unsere Rückkehr. Sorge dafür, dass uns niemand vermisst. Sollte jemand nach mir fragen, lass dir etwas einfallen!«
»Jawohl, mein Fürst!«
»Ich habe die Kapitäne bereits instruiert, also dürfte eigentlich nichts Ungewöhnliches während meiner Abwesenheit auftreten. Wenn doch, weißt du, was du zu tun hast!«
»Ja, mein Fürst!«
Séth'ra und Hén'ar gingen in sein Quartier. »Ich erwarte noch einen Gast«, erklärte er. »Aber es soll ein geheimes Treffen sein. Du passt auf, dass niemand Verdacht schöpft oder uns stört!«
Hén'ar nickte nur und verschwand auf ihren Posten in einem Nachbarraum. Sie war derlei schon gewohnt.
*
Der Sonnengott und Terra bereiteten die drei Präsidenten derweil darauf vor, dass sie nun Gelegenheit bekamen, um über das Gehörte nachzudenken.
»Wir werden euch jetzt für einige Zeit allein lassen, damit ihr in Ruhe über alles nachdenken könnt«, erklärte der Sonnengott.
»Nachdenken, über was genau?«, fragte Adam Wilcox.
»Über alles, was wir bisher besprochen haben. Und über eure Reaktionen und Gedankengänge – Assoziationen, und darüber hinaus. Wir hätten euch auch ohne großen Aufwand hierher bringen können.«
»Aber wozu dann die Entführung?«, wunderte sich Saratow.
»Weil ihr stellvertretend für euer Volk hier seid, im Grunde für alle Menschen«, sagte Terra. »Und wir wollten es den anderen Beteiligten bewusst vor Augen führen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sie sich mit ihren gewohnten Denkmustern so nicht erklären können. Und ihr erhaltet die Zeit, um auf euer Inneres zu hören, damit der Einfluss von aussen nicht so stark ist.«
Die drei nickten nur. Es wurde sehr hell in dem Raum, und als die drei Präsidenten wieder etwas mit ihren Sinnen wahrnehmen konnten, bemerkten sie, dass sie in der Tat allein waren.
Der US-Präsident erklärte seinen beiden Kollegen daraufhin, dass er spätestens jetzt mit einem sofortigen Erscheinen eines Kommandos rechnete, da das offenbar eine Flucht sei und sie alle bestimmt noch auf der Erde seien und es sich um eine Täuschung handelte. Doch es geschah nichts.
*
John und A'ísha waren in ein Gespräch vertieft, während sie sich weiter dem Hoover-Staudamm näherten.
Sie erzählte weiter von ihrer Familie, und beide stellten fest, dass es durchaus Gemeinsamkeiten gab. Durch entsprechende Umstände.
A'ísha berichtete von den Eltern ihrer Mutter: »Mein Großvater ist über vierhundert Jahre alt geworden..., genau genommen hat er vierhundertzehn Jahre gelebt. Allerdings war er weit öfter auf der Erde inkarniert, als in unserer Welt.«
»Inkarniert?«
»Ja, in carne – im Fleisch. Das ist Latein. Will also sagen im Körper. Der Geist.«
»Puuh! Vielleicht ist das alles noch ein bisschen zu früh für mich..., ich bin einfach noch nicht so weit. Erzähl mir lieber noch ein paar Stories aus unserer Geschichte!«
»Ja, das habe ich schon gemerkt..., dass du auf meine Andeutungen nie weiter eingegangen bist. – Vielleicht musst du dich wirklich selbst davon überzeugen..., das ist eh das Beste! Aber einstweilen kannst du ja auch weitermachen mit erzählen«, deutete sie nach unten.
A'íshas Blick ruhte auf dem märchenhaft blauen Wasser eines Sees während John bereitwillig nickte: »Okay..., also..., das ist der Lake Mead, der größte Stausee der USA! Der ist bis zu siebzig Meter tief und dient unter anderem meiner Heimatstadt L.A. als wichtiges Trinkwasserreservoir. Außerdem ist er natürlich ein wichtiger Energielieferant, ohne ihn könnte zum Beispiel Las Vegas nicht existieren. Er ist länger als der Große Salzsee und wird aus dem Colorado River durch den 1936 fertiggestellten Hoover-Damm gestaut, dem wir uns jetzt nähern!«
In der Tat flogen sie auf eine gigantische Staumauer zu, die sich, da A'ísha das Schiff nur wenige Meter über der Wasseroberfläche auf jene zubewegte, mächtig gen Himmel zu erstrecken schien.
Sie änderte den Steigungswinkel, und das Raumschiff gewann schnell an Höhe, bis es schließlich genau über dem Damm stoppte. Von hier aus bemerkte sie mehrere Restaurants, einen Bootsverleih, Campingplätze, Hotels, mehrere Geschäfte sowie Tankstellen: »Wie an den anderen Seen auch, ein sehr geschäftiges Treiben!«
»Ja, wenn's ums Geschäft geht, dann kennen meine Landsleute keinen Spaß. Ich denke, die würden sogar einen Supermarkt mit Restaurant und Hotel auf dem Mond eröffnen, wenn es sich lohnen würde«, lachte John. »Doch der ursprüngliche Zweck ist das Wasserreservoir ..., und die Stromerzeugung. Letztes Jahr ist er achtzig Jahre alt geworden und hat wirklich einiges zu bieten, nicht nur nach Maß und Gewicht, sondern auch nach Zeit.« Er zeigte mit der Hand auf einige Leute, die von der steil abfallenden Wand augenscheinlich genauso beeindruckt waren wie A'ísha: »Hier verläuft die Zeitzone, genau zwischen Arizona und Nevada. Die da drüben sind uns jetzt eine Stunde voraus!«
»Ach ja, richtig! Die Staaten liegen ja in unterschiedlichen Zeitzonen!«, rief sie und deutete auf die Trennungslinie mitten auf dem Damm, wo die beiden Staaten in riesigen Lettern ausgeschildert wurden: »Also wir sind noch in Arizona, aber gleich kommt schon Nevada!«
»Genau! – Und da weiter südlich liegt der Davis-Damm, der staut den Fluss zum Mohave Lake..., der fast hundert Kilometer lang und somit auch nicht gerade klein ist!«
Sie bemerkte wiederum zahlreiche Boote, Wasserskifahrer und auch Angler: »Gibt's denn da überhaupt Fische drin?«
»Na klar, jede Menge, ist fast wie im Paradies«, scherzte er. »Aber nein, im Ernst, das ist schon ein nettes Fleckchen Erde, man hat fast alles, was man braucht! Allerdings gibt es immer einige Leute, die es immer wieder verstehen, auch den schönsten Dingen zum Verhängnis zu werden, so unsinnig es auch sein mag. Nordwestlich von hier ist nämlich die Nevada Test Site. Da hat das Militär früher Atomtests durchgeführt, sowohl über- als auch unterirdisch. Jetzt werden da zwar nur noch konventionelle Sprengkörper getestet, und ab und zu ein neues Kampfflugzeug, aber ich denke, wir können uns den Abstecher dahin sparen...«
»Ist okay, die können uns ja auch nicht sehen, nachher rammen die uns noch«, scherzte sie, »und viel verpassen werde ich da sicherlich nicht!«
»So isses.«
»Na gut, und wo jetzt hin?«
»Tja, das ist eigentlich recht einfach! Wir sprachen ja schon von Las Vegas als wir mit Melissa und Jeff zusammen saßen. Das ist die Glücksspielstadt überhaupt, hat über zwei Millionen Einwohner, ist also fast doppelt so groß wie San Diego, und wächst immer noch. Es ist schon immer eine Stadt mit einer gewissen Eigenständigkeit gewesen. Vor hundert Jahren, zu Zeiten der Glücksspiel- und Alkoholverbote, konnte man hier trotzdem spielen und trinken. Das Ergebnis war schließlich, dass es bald legal wurde. Heiraten und sich scheiden lassen kann man hier natürlich auch. Dafür kommen die Leute von überall her. Europa, Asien ... - echt irre! Eigentlich müssen wir da einfach nur hin und dann durch die Straßen gehen, und natürlich mal in ein Casino. - Wer weiß, vielleicht bringst du mir ja wirklich Glück!«
Sie lachte: »Na, das möchte ich bezweifeln, ich bin doch keine Glücksfee!«
»Abwarten, jetzt flieg erstmal gen Nordwesten, wenn du die Straße unter uns immer im Auge behältst, kann eigentlich nicht viel schief gehen!«
»Ay ay, Sir!«, gab sie zurück und schlug den neuen Kurs ein. Im Handumdrehen hatten sie Las Vegas erreicht.
Sie näherte sich vorsichtig einem unauffälligen Landeplatz, und nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Umgebung sicher war, stiegen sie aus.
Sie schlenderten die Straßen entlang, und A'ísha staunte nicht schlecht angesichts der extrem anderen Verhältnisse gegenüber ihrer Heimatwelt. »Ganz schön heiß hier«, stellte sie fest.
»Ja..., und das hier ist schon der Strip..., die berühmteste Straße von Vegas!«
Johns Vorstellung klang ein bisschen pathetisch, doch A'ísha erwiderte nichts. Sie sah sich umzingelt von neonbunter Leuchtreklame, die auf diverse Lokalitäten hinwies und all ihre Sinne für den Moment gefangen nahm.
»Schade, normalerweise hätten wir nachts hierher gemusst, dann ist der Effekt erheblich eindrucksvoller«, fügte John nun bedauernd hinzu.
»Och, das macht nichts«, beschwichtigte sie, »in der leichten Dämmerung kann ich mir das schon ganz gut vorstellen, außerdem mag ich allzu künstliches Licht nicht so gern!«
»Na, dann bist du ja die geborene Raumfahrerin«, scherzte er, »wie machst du das denn auf deinen Reisen? Immer die Augen zu, und einfach aussteigen, wenn du endlich da bist?«
»Sehr witzig! Nein, wir haben in den Schiffen Licht, das dem der natürlichen Sonne nachempfunden ist, das ist für die menschlichen Sinnesorgane kaum zu unterscheiden! Müsste dir eigentlich schon aufgefallen sein!«
»Ist mir aber nicht!«
»Tja, daran kannst du sehen, wie angenehm das in unseren Schiffen ist!«
»Hmm, mag sein, egal«, brummte er und fuhr dann mit seiner Führung fort: »Wir stehen hier vor dem Mirage, das ist bekannt durch eine ehemalige Zauber-Show von zwei Magiern und weißen Tigern. Daneben siehst du Treasure Island, die bieten eine Piratenshow, und einen Kilometer weiter ist das Stardust, ein typisches Hotel mit dreitausend Zimmern und Suiten, vier Restaurants, Pools und natürlich einem Casino. Daneben liegt das Circus Circus Hotel. Es verfügt fast über die gleiche Anzahl an Zimmern wie sein Nachbar und zeichnet sich, wie der Name schon sagt, durch seine Zirkusatmosphäre aus. Es gibt sogar Artistenvorführungen.«
A'ísha lauschte Johns Erläuterungen ohne weiteren Kommentar. Zu sehr nahm sie die absolut ungewöhnliche Glitzerwelt gefangen, die selbst jetzt am frühen Abend eine nicht alltägliche Vorstellung bot.
»Das Hauptproblem ist auch hier die Wasserversorgung! Schon vor zehn Jahren fragten sich manche Leute, wie man in naher Zukunft eine ausreichende Wasserversorgung sicherstellen könne. Damals wurden noch zwei Drittel des verfügbaren Wassers zu Show-Zwecken und zur Bewässerung von Golfplätzen benutzt, heute nur noch ein Drittel. Die Leute mussten sich einschränken, aber ich glaube, sie haben einen ganz guten Weg gefunden, niemand kann sich beklagen, dass die Stätten nicht mehr ausreichend verspielt sind...«
»Und andererseits?«
»Andererseits ist die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser gesichert..., und zwar noch mindestens für die nächsten fünfzehn Jahre!«
»Das nenne ich mal eine gute Lösung.«
»Ja, und einige machen sich schon heute Gedanken über die Zukunft, wie man das Wasserproblem hier in der Wüste in den Griff bekommen könnte,..., aber bis da Lösungen präsentiert werden, dauert es bestimmt noch zehn Jahre.«
»Aber immerhin scheinen sich ja einige Leute durchaus etwas zu überlegen, das ist doch sehr positiv!«
»Ja, stimmt schon..., und für die Zukunft wird denen bestimmt auch noch was einfallen!«
Er blieb stehen vor einem Laden stehen.
»Was ist?«, wollte sie wissen.
»Wie wär's denn mit einem Souvenir?«
»Souvenir?«
»Ja«, nickte er ernsthaft. »Du hast jetzt soviel von den Staaten gesehen, da kann ich dich doch später nicht ohne ein Andenken an diese Tour und an dieses Land wieder fortfliegen lassen!«
»Ach so«, lachte sie, »an was hast du denn dabei gedacht? – Einen Diamanten?«
»Nee, nicht ganz. Das wäre ja auch nichts Spezielles! - Wie wäre es mit einem T-Shirt von Vegas?«, deutete er auf einen Tisch, auf dem haufenweise bunt bedruckte T-Shirts mit allen möglichen Motiven lagen.
»Oh ja, das ist sogar noch praktisch«, meinte sie und steuerte geradewegs auf den Tisch zu.
‚Typisch Frau!', dachte er. ‚Kaum geht's um Klamotten, schon macht's im Hirn irgendwo 'klick'!'
Er folgte ihr und trat ebenfalls an den Tisch. Sie hielt bereits eifrig nach einem geeigneten Objekt Ausschau und schien völlig fasziniert zu sein.
Wie ein kleines Mädchen ergriff sie ein T-Shirt, um sich über das Motiv kaputtzulachen, legte es wieder weg und griff nach dem nächsten. Ab und zu hielt sie eins hoch, um zu sehen, ob es ihr passte.
Er kam allerdings nie dazu, ihr zu sagen, wie es denn aussieht, denn im Nu hatte sie es wieder weggelegt und ein anderes in der Hand.
Doch nach zehn schier endlosen Minuten meinte er schließlich: »Das ist es!«
Sie hielt ein bordeauxrotes T-Shirt mit einem bunten Aufdruck vor sich hin und schien etwas unschlüssig. Doch als sie seinen entschlossenen Ausruf hörte, fragte sie: »Ja, findest du? – Mir gefällt es auch ganz gut..., ist alles dabei, was man sich nur wünschen kann!«
»Ja«, bestätigte er, »das hat echt was, nicht so einfach wie die anderen weißen, mal ein bisschen raffiniert. Der geschwungene Schriftzug oben drüber sagt jedem, der des Lesens mächtig ist, dass du Las Vegas heißt, und der untere, dass du aus Nevada kommst«, scherzte er.
»Blödmann«, grinste sie, »ich find's schön! – Das Roulette-Spiel, die Karten, die Würfel, und im Hintergrund die Palmen – das ist doch schön! Da werde ich garantiert immer an den heutigen Tag erinnert, wenn ich das Bild sehe!«
»Na, das will ich auch hoffen! – Und die beiden Delphine da unten..., was sollen die?«
»Die heißen John und A'ísha, in Erinnerung an den heutigen Tag und die ganze Tour überhaupt.«
»Und ich wollte gerade sagen, dass der linke A'ísha und der rechte Tom'ás heißt..., quasi in Anlehnung an zwei Besucher aus einer anderen Welt.«
»Aber wir kommen doch nicht aus dem Meer«, lachte sie.
»Doch, aus dem Sternenmeer«, entgegnete er ernsthaft und nahm ihr das Shirt aus der Hand. »Aber es ist ja deins, da kannst du die beiden nennen wie du willst! – Möchtest du es haben?«
»Ja, bitte«, sah sie ihn an.
»Okay«, ging er zur Kasse, wo er kurz warten musste, denn es waren einige Touristen aus aller Herren Länder anwesend, die hier ebenfalls auf der Suche nach dem einen oder anderen Souvenir waren.
Endlich war er an der Reihe, bezahlte und kehrte zu ihr zurück.
»Danke schön«, flötete sie und belohnte sein Geschenk mit einem Kuss. »Und wo nun hin?«
»Immer weiter, wir hatten schon die richtige Richtung drauf.«
Sie schlenderten weiter und ihre Aufmerksamkeit wandte sich bald dem nahen Flughafen, wo die Flugzeuge scheinbar im Minuten-Takt Passagiere ein- und ausflogen, und einer großen schwarzen Pyramide zu.
A'ísha verlor diese nicht aus den Augen und schon bald erreichten sie den südlicheren Teil des Boulevards.
Sie blieb vor der schwarzen Pyramide des Luxor-Hotels und der Sphinx mit dem Obelisk an ihrer Seite im Vordergrund der Pyramide stehen: »Na, die Sphinx sieht aber sehr menschlich aus!«, stellte sie fest. »Sie heißt 'Luxor'«, entzifferte sie die auf den Obelisken gemalten Buchstaben.
»Ja, stimmt, menschlich sieht sie aus. Als Vorbild diente die Maske von Tutanchamun, einem alten ägyptischen Pharao. Da kann sich so manch ein Maskenbildner ein Beispiel dran nehmen«, scherzte er und wies auf die dahinter stehende Pyramide, »aber der Name bezieht sich auf die Pyramide, die Sphinx bewacht den Eingang zu ihr. Die ist über hundert Meter hoch, schwarz verglast und fast zwanzig Jahre alt! - Sie beherbergt ein auf altägyptische Art und Weise eingerichtetes Hotel mit über zweitausendfünfhundert Zimmern..., und das obligatorische Spielcasino fehlt hier natürlich auch nicht. Hier gibt es den stärksten Laserscheinwerfer der Welt, sein Licht leuchtet mehrere hundert Kilometer in die Nacht. Allerdings wird er auch erst eingeschaltet, wenn es Nacht ist, sprich dunkel. Ein kleiner Tribut an die Energienutzung und den Klimawandel. Die Inneneinrichtung ist voll auf ägyptisch gemacht, überall Hieroglyphen und altägyptische Bilder, und draußen gibt's natürlich noch einen Swimmingpool. Die Bauzeit lag bei nur anderthalb Jahren, wenn man bedenkt, dass die damals in Ägypten fünfzig Jahre brauchten, kann man schon Ver-gleiche ziehen zu den alten Kulturen und Zivilisationen.«
»Mein Großvater hat die Große Pyramide von Gizeh gebaut«, unterbrach ihn A'ísha, »unter Anwendung geistiger Kräfte.«
John blickte sie nicht sehr geistreich an, eher so als ob sie gerade behauptet hätte, der Mond bestände aus Schimmelkäse.
Sie lachte: »Was hast du denn, ist dir nicht gut?«
Er schüttelte ungläubig den Kopf: »Das war ja wohl ein Scherz, oder was?«
»Nein, durchaus nicht«, widersprach sie belustigt.
»Ja aber..., das gibt's doch gar nicht! Ich meine..., also, so ganz klar war mir ja noch nie, ob die Ägyptologen da schon alles richtig erforscht und gedeutet haben, aber sowas...!«
»Was denn? Klingt das in deinen Ohren zu seltsam?«
»Naja, die Kultur der Ägypter kam ja ziemlich plötzlich, fast wie aus dem Nichts.«
»So kann man es auch sagen. Mein Großvater ist damals mit anderen Leuten nach Ägypten gekommen, weil ihr altes Land untergegangen war!«
»Ihr altes Land? Was denn?«
»Na..., Atlantis!«
»Ach...!«, war John einen Augenblick sprachlos. Aber er fasste sich wider Erwarten recht schnell: »Ich vergaß ja, du hast ja unsere Geschichte studiert! – Aber die Geschichte mit Atlantis..., das ist doch nur ein Mythos, oder?«
»Nein. Den Kontinent gab es wirklich, und zwar erheblich länger als eure jetzige moderne Zivilisation.«
»Ähhm...«
»Ja?«
»Also, ich weiß nicht, was ich sagen soll, das kommt mir irgendwie zu plötzlich. Und was hat das mit Ägypten zu tun?«
»Nun ja, die Überlebenden der letzten Katastrophe von Atlantis flohen natürlich, und sie gelangten nicht nur nach Amerika und Europa sondern auch bis nach Ägypten. Und dort wurden dann die Pyramiden gebaut, als sichere Hinterlassenschaften der damaligen Kultur, die nicht zerstört werden konnten. – Sie sind nicht umsonst das letzte der 'Sieben Weltwunder'.«
»Aha. – Und dein Großvater hat die gebaut?«
»Ja«, nickte sie, »in seiner damaligen Inkarnation auf der Erde.«
»Und wie? Ich meine, hatte er Arbeiter, Werkzeuge, Kräne und so weiter?«
Sie lachte. »Nein. Jedenfalls nicht so etwas wie ihr heutzutage kennt und benutzt. Damals gab es noch sehr hoch entwickelte Wesen, die die Schwerkraft überwinden konnten..., viel leichter als du oder eure Wissenschaftler es sich überhaupt vorstellen könnten.«
»Doch, das kann ich mir durchaus vorstellen!«, rief John. »Und dein Großvater war ein solches Wesen?«
»Ja«, nickte nun A'ísha verwundert, »aber...«
»Warte!«, unterbrach er sie fast hektisch. »Sag mir erst, ob es noch andere solche Menschen gab..., denn ich habe da so eine Vermutung!«
»Vermutung? – Aber ja, es gab noch andere, wieso?«
»Weil das die ganzen Überbleibsel der alten Kulturen erklärt, die bis jetzt noch kein Mensch deuten kann. Überall wo schwere und schwerste Steine über weiteste Entfernungen von Dutzenden oder gar Hunderten von Kilometern transportiert und dann bearbeitet worden sind, als wären sie aus Pappe!«
»Richtig. Du findest Spuren von diesen Kulturen überall auf der Welt, und was wäre geeigneter, als so schwere Steine, die nicht einmal mit euren heutigen technischen Hilfsmitteln zu bewegen sind, um überlegene Geisteskraft zu demonstrieren? Aber ich wusste ja gar nicht, dass du dich dafür interessierst und das alles weißt!«, staunte sie.
»Naja, ist auch mehr Zufall, dass ich das weiß...«
Er stockte kurz und lächelte sie vielsagend an: »Eine alte Freundin von mir hat Archäologie studiert und mir von einigen ihrer Arbeitsstätten Fotos gezeigt. Ich glaube, die Archäologen nennen diese Kultur Gigantismus-Epoche, weil alles so groß ist, dass es scheint, es wäre für die Riesen aus der Bibel oder die Götter der Griechen gemacht...«
»So so, mal wieder eine Freundin«, sinnierte sie, ging diesmal aber nicht weiter darauf ein, sondern erklärte: »Tja, das mag wohl sein, es gab mal Zeiten, da haben sich die Menschen mit der Natur noch sehr verbunden gefühlt. Aus der Zeit stammen auch die Geschichten, die ihr heute als Märchen abtut und höchstens euren Kindern erzählt, weil es auch so romantisch ist. Aber das alles gab und gibt es wirklich, Engel, Riesen, Trolle, Hexen, Zauberer...«
»Zauberer? – Ja, die gibt's heute auch noch!«
»Ja, aber das sind zumeist Künstler, die ihre Tricks mit artistischer Gewandtheit oder Schnelligkeit vollführen. Die damaligen Zauberer waren Magier. Sie hatten die alten Schulen besucht, dort lernte man den Umgang mit geistigen Kräften. Heutzutage nennt man es psychokinetisch, telepathisch, telekinetisch, mentalistisch oder was weiß ich! Aber es geht halt prinzipiell vom Geist aus und wurde bei euch sehr lange geheim gehalten, da man mit geistigen Kräften sehr großes Unheil anrichten kann. Daher gilt es vor allem anderen, gewisse moralische Grundsätze zu entwickeln und zu befolgen, bevor man sich mit den höheren geistigen oder magischen Kräften einlässt. Magier waren Wanderer zwischen den Welten, der geistigen und der irdi-schen, und sie konnten sich die Elemente der Natur zu Nutze machen! So wurden auch die Pyramiden gebaut.«
»Was willst du damit sagen? – Dass dein Großvater ein Magier war?«
»Vielleicht.«
»Aber dann muss er ja ein sehr mächtiger Magier gewesen sein, und von einem solchen habe ich in Ägypten noch nie gehört!«
»Tja«, meinte sie spöttisch, »wer suchet, der findet, oder?«
Er blickte sie zweifelnd an: »Der mächtigste Magier aller Zeiten war ja wohl Merlin, aber der lebte, wenn er überhaupt gelebt hat, doch in Britannien!«
»Wenn er überhaupt gelebt hat?«
»Ja, es weiß doch niemand genau, es kann auch alles nur eine Sage sein!«
Sie schüttelte entschieden den Kopf: »Keine Sage!«
»Also lebte er tatsächlich? – Und du weißt das von deinem Großvater? War der etwa verwandt mit ihm?«
»Vielleicht waren sie das«, erwiderte sie geheimnisvoll.
»Weiber! – Könnt ihr nicht einmal Klartext reden, das ist ja eine universelle Seuche!«
»Lästermaul! – Du musst auch mal zwischen den Zeilen lesen!«
»Das ist so schwer ohne Text«, lachte er, »sprich doch verständlich mit mir dummem Jungen!«
»Ich kann dir nicht mehr sagen, das führt ein bisschen über das Erlaubte hinaus...«
»Jaja, ich weiß schon, die Geschichte mit der Geheimnistuerei! Das geht wieder zu sehr ins Eingemachte..., stimmt's?«
»Genau!«
Sie schaute in sein missmutiges Gesicht und musste wider Willen lachen: »Na gut..., wenn du versprichst, nichts weiterzusagen..., dann werde ich dir ein ganz kleines Geheimnis anvertrauen.«
»Oh, Eure Lordschaft sind zu gnädig«, spottete er, »also, ich höre!«
»Wie ich schon sagte, gibt es Wesen im Universum, die weit höher entwickelt sind als andere, als die meisten...«
»Das ist nichts Neues, wusste ich schon vorher!«
»Unterbrich mich nicht, sonst gibt's keine Geheimnisse und keine Geschichte!«
»Bin schon still«, legte er sich die Hand auf den Mund.
Sie fuhr lächelnd fort: »Also, es gibt sehr hoch entwickelte Wesen im Universum, die auch die Erde besucht haben. Durch den Vorgang der Inkarnation haben sie als Menschen unter Menschen gelebt, konnten jedoch Dinge tun, die für so manche an Wunder grenzten..., denn sie verstanden es einfach nicht.«
»So wie Jesus, der Tote erweckt haben soll?«
Sie sah ihn strafend an.
»Tschuldigung«, hob er abwehrend die Hände.
»Ja, so wie Jesus, der ein sehr hoch entwickeltes Wesen war und ist. Aber es gab und gibt auch andere, sie werden in gewissen Kreisen bei euch als 'Aufgestiegene' oder 'Spirituelle Meister' bezeichnet. Die Menschen des Altertums machten aus ihnen vielfach Götter, denn sie verfügten über soviel Macht, über die ihrer Ansicht nach nur ein Gott verfügen konnte. Aber genug davon. Vergiss nicht, dass ich nicht sehr viel Zeit habe für meine Mission!«
»Oh, ja, richtig. – Wollen wir weiterfliegen?«
Sie nickte zustimmend: »Du wirst das und weitere Antworten demnächst sowieso in euren Fachmagazinen lesen, denn wenn meine drei Tage hier um sind, dann wird alle Welt von uns erfahren, so oder so.«
Er warf ihr einen misstrauischen Blick zu: »Ich glaube nicht, dass mir das gefallen will. Was heißt denn 'so oder so'?«
»Wart's ab! Ihr seid doch immer noch ein bisschen komisch. Wenn zum Beispiel ein Mensch ein Land allein regiert, dann ist das eine Diktatur, aber sobald zwei zur Wahl stehen, dann ist es sofort Demokratie und das Höchste der Gefühle! Absurd!«
»Ja, in der Realität nimmt sich manches anders aus als ...«
»... als in der Theorie. Genau. Aber für unsere Praxis gesprochen kann ich nur sagen, dass ich auch nicht weiß, was der Rat später beschließen wird. Jetzt sollten wir erstmal wie geplant weiterfliegen..., nach Hawaii!«
»Okay«, willigte er ein.
Die Sonne war untergegangen, als sie die restlichen Schritte zum Raumschiff still zurücklegten. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt, und so erreichten sie bald das Schiff.
Als sie wieder auf den gewohnten Plätzen saßen, sagte er: »Eine Frage habe ich aber doch noch!«
»Nämlich?«
»Also ..., wenn ich tot bin, dann komme ich in den Himmel, ja?«
»Ja.«
»Und du auch?«
»Ja.«
»Dann kann ich dich da also wiedertreffen?«
»Das kommt darauf an, wie du dich entwickelst. Und ich mich natürlich auch.«
John blickte auf seinen rechten Arm und spannte die Muskeln an. »Also, ich bin doch ganz gut entwickelt ...«
A'ísha lachte. »So doch nicht! Geistig und seelisch natürlich!«
»Ach so. Na, da muss ich wohl noch einiges lernen ...«
»Jab.«
Er seufzte. »Stur nach Westen...«, gab er schließlich den Kurs vor und lehnte sich im Sitz zurück.
*
Max Schneeberg befand sich in einer scheußlichen Situation. Der Extremsportler galt als einer der besten, wenn nicht der Beste, seines Landes. Und hätte ihn einer gefragt, dann hätte er jedem zu verstehen gegeben, dass man solche Situationen unter allen Umständen aus dem Weg gehen sollte. Und er wusste warum!
Er befand sich in seinem Lieblingsgebiet, dem Himalaya, und hatte mal wieder einige Gipfel stürmen wollen. Auf seine Art. Das heißt allein.
Doch bei seinem letzten Anstieg war ihm, dem Erfahrenen, ein Fehler unterlaufen. Es begann damit, dass er sich mit zuwenig Trinkwasser versorgt hatte, was ihn schließlich dazu zwang, seine Rückkehr bei Dunkelheit anzutreten. Der Abstieg gelang auch ganz gut – trotz seiner Erschöpfung – doch war das Glück scheinbar bald aufgebraucht. Er rutschte aus und verstauchte sich seinen linken Knöchel. In der Erkenntnis, dass er den beabsichtigten Weg so auf keinen Fall bewältigen konnte, verließ er sich auf die Karte und wählte einen ihm unbekannten Weg. Doch dieser barg eine Gefahr.
Was er vorher nicht gewusst hatte. Und was auch der Kartenverfasser nicht gewusst hatte. Damals. Doch Max Schneeberg wusste es jetzt.
Unter ihm gähnte ein Abgrund, von links oben kam er, und nach rechts unten wollte er dem Weg folgen. Doch direkt über ihm lag in einer Felsennische ein Nest. Ein Adlernest. Und die mehr als aufgebrachte Mutter der Jungen schien wild entschlossen, den Eindringling und Störenfried von seinem Weg abzubringen. Für immer.
Sie hatte bereits einige Scheinangriffe geflogen, doch war sie bisher immer Zentimeter vor ihm abgedreht. Allerdings konnte das nicht ewig so weitergehen. Max kniete längst und stützte sich auf seinen Rucksack. »Wenn mich jetzt jemand sehen könnte!«, seufzte er.
Da flog der Adler wieder auf ihn zu. Diesmal schien das Tier nicht abdrehen zu wollen. Instinktiv riss Max die Arme schützend vor sein Gesicht.
Doch der erwartete Schlag, verbunden mit einem brennenden Schmerz und wahrscheinlich recht verhängnisvollen Folgen blieb aus. Erstaunt blickte er hoch.
Wenige Meter von ihm entfernt stand eine Frau. Sie hielt den Vogel auf ihrem Arm. Dieser hatte jede Aggressivität verloren. Er betrachtete die Frau genauer. Sie trug die typische Kleidung der Einheimischen, von ihrer Gestalt war kaum etwas zu erkennen. Ihr Kopf war bedeckt von einer Kapuze; nur ihr Gesicht konnte er erkennen. Sie hatte dunkle Haare, dunkle Augen, nein, blaue Augen. Und sie lächelte ihn an.
*
Der NSA-Direktor saß in einem Büro im Weißen Haus. Allein. Er wollte ungestört sein. »Ich verstehe es nicht. Das ist nicht der ursprüngliche Plan. Oder er hat mir nichts davon erzählt. Wie auch immer, ich bin der Chef von über hunderttausend Menschen und verfüge über ein Budget, über das mancher Staat in Lateinamerika nicht verfügt. Irgendeiner von meinen Mitarbeitern wird doch wohl mit Hilfe der Computer in der Lage sein, den Standort des Präsidenten ermitteln zu können!«
Smythe wurde noch übellauniger, und schließlich rief er seinen Stellvertreter an, der die Abteilungsleiter und einige andere höhere Mitarbeiter zu sich kommen lassen und ihnen einschärfen sollte, mit allen Mitteln Ergebnisse zu liefern!
*
Der UNO-Generalsekretär und sein Assisstent saßen schweigend in ihren Sesseln. Obatala hatte seine Erzählung über die Geschichte und Entwicklung der Menschheit noch nicht abgeschlossen, doch sie beide waren schon von dem bisher Gehörten schier überwältigt.
Sie erhielten in etwa die gleiche Art von Unterricht, der den Präsidenten der USA, Russlands und China zuteil wurde, und auch sie taten sich zunächst recht schwer.
Obatala bemerkte ihre Gemütsbewegungen sehr wohl, aber er setzte seine Erklärungen ohne lange zu zögern fort: »In eurer Welt gibt es fünf Wurzelrassen, was eine Analogie zu euren fünf physischen Sinnen bildet. Wie ihr sicherlich auch schon selbst erkannt habt, gibt es eine weiße, eine schwarze, eine rote, eine gelbe und eine braune Rasse, die in weit zurückliegenden Zeiten in unterschiedlichen Gebieten beheimatet waren. Die braune Rasse wird vielfach mit der roten oder gelben gleichgesetzt, und das ist auf Grund der zahlreichen Umwälzungen auch nicht weiter verwunderlich, denn es kam im Laufe der Evolution zu erheblichen...«
»Und wo waren diese Rassen beheimatet?«, unterbrach ihn Lee. »Die Schwarze in Afrika, vermute ich!«
Erinle nickte. »Man kann den Rassen nicht die heutigen Kontinente zuordnen, da sich seit deren Auftreten eine Menge verändert hat. Aber grob stimmt es. Die Weiße Rasse war in Südosteuropa und dem Nahen Osten beheimatet, die Gelbe in Asien, vorrangig im Gebiet der heutigen Wüste Gobi, die Rote bewohnte Nordamerika und den untergegangenen Kontinent Atlantis, und die Braune besaß Teile von Südamerika und einen vor langer Zeit untergegangenen Kontinent im Pazifik.«
Lee lehnte sich in seinen Sessel zurück und holte tief Luft.
Jacksons Blick irrte zwischen ihm und ihren Gastgebern hin und her. Er blieb jedoch stumm.
Stattdessen ergriff nun Obatala wieder das Wort: »Und jetzt wird auch klar, dass sich die Menschen durch diese verschiedenen Heimatländer in Bezug auf die Hautfarbe unterschiedlich entwickelt haben. Denn sie passten sich im Laufe der Zeit natürlich an die herrschenden Klimaverhältnisse an!«
Lee nickte verstehend: »Dann sind wir im Grunde genommen tatsächlich alle Brüder, unabhängig von Hautfarbe und sonstigen Merkmalen.«
»So ist es«, bekräftigte Obatala, »nur leider gewinnen nicht alle diese Erkenntnis so problemlos wie Sie! Selbst die eigentlich weiter entwickelten Völker anderer Kulturen o-der Sternensysteme nicht.«
»Das ist aber sehr schade«, äußerte sich Mister Jackson.
»Ja, das ist es«, sah Obatala ihn mit ernster Miene an, »das ist es in der Tat.«
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Die Situation im Weißen Haus hatte sich derweilen noch weiter verschärft. Umfangreiche – inoffizielle – Suchaktionen hatten keine verwertbaren Spuren zum Verschwinden des Präsidenten ergeben. Zusätzlich hatte inzwischen längst die Nachricht die Runde gemacht, dass der UN-Generalsekretär ebenfalls verschwunden – entführt – war.
Es klopfte, und nach Aufforderung trat ein Captain in das Besprechungszimmer. Michael Robertson sah ihn fragend an.
»Sir, das Untersuchungsergebnis ist eingetroffen.«
»Danke. Und?«, fragte Robertson.
»Keine außergewöhnlichen Werte, Sir. Bei keinem der Wachleute.«
Ungläubig starrten die Anwesenden den Captain an.
»Das verstehe ich nicht. Da haben wir die Bestausgebildetsten ihres Fachs, und die lassen sich ohne Grund und Sorge übertölpeln!«
Die Äußerung wurde lautstark kommentiert. »Unglaublich!«, war dabei das Wort, das am häufigsten geäußert wurde.
»Haben die Ärzte das auch gewissenhaft untersucht?«, hakte der Stabschef nach.
»Ja, Sir, alle Testreihen sind zweimal wiederholt worden.«
Kopfschütteln.
»Und es gibt noch ein zweites Ergebnis, Sir.«
»Nämlich?«
Der Captain nickte in Richtung der Finanzministerin. »Madam Secretary hat den Auftrag gegeben, die Herkunft des Goldes zu klären. Zum einen das von der Eisverkäuferin, zum anderen das des Taxifahrers. So sollte es unter Umständen möglich sein, die Spur zurück zu verfolgen.«
Madeleine Carter nickte bestätigend und sah den Captain noch gespannter an.
Doch dieser schüttelte fast resignierend den Kopf. »Beide Stücke stammen nach fachkundiger Untersuchung unserer Experten nicht aus den USA, sondern aus Australien.«
»Australien?«
»Wieso das?«
»Wie kommt das hierher?«
»Das gibt es nicht!«
»Wie soll das bitte möglich sein?«
Die Anwesenden, die für kurze Zeit still gewesen waren, um den Bericht zu hören, machten da weiter, wo sie aufgehört hatten.
Doch Robertson machte dem schnell ein Ende. Er sah dem Captain an, dass die Geschichte noch nicht zu Ende war und er weiter berichten wollte. »Ruhe bitte! Captain?«
»Wir wissen es nicht, Sir. Es ist nicht auf den üblichen Handelswegen eingeführt und registriert worden.«
»Sehr ungewöhnlich«, meinte Madeleine Carter. »Den größten Teil unseres Goldbedarfs beziehen wir aus unseren eigenen Quellen, Kalifornien, Colorado, oder aus Mexiko, Kanada, Brasilien. Die Russen besitzen im Ural eine sehr große Quelle, doch das größte Goldvorkommen dürfte immer noch Südafrika besitzen. Und unsere Probe soll ausgerechnet aus Australien kommen?«
»Ja, Madam. Da sind sich sowohl die Russen als auch die Europäer einig, wir haben sie ebenfalls mit Proben versorgt. Und nachdem das erste Ergebnis eintraf, haben wir eine Probe nach Australien geschickt. Die haben es zuordnen können, allerdings wird nichts vermisst, und es soll demnach auch aus keiner offiziellen Quelle stammen.«
»Hmm.«
Stille. Robertson sah seine Finanzministerin fragend an.
Sie lächelte zaghaft. »Ich hatte den Auftrag gegeben, da sich das gesamte weltweite Goldvorkommen auf ungefähr sechzigtausend Tonnen beläuft. Letzten Endes also eine überschaubare Größe. Da schien es mir nicht unmöglich, seine Spur zurück zu verfolgen. Aber nach Australien ...«
Danach sagte keiner mehr etwas.
Und wenn der Captain sich nicht durch ein dezentes Räuspern in Erinnerung gebracht hätte, woraufhin Robertson ihn mit einem »Danke, Captain!« entließ, hätte er wohl noch längere Zeit eine schweigsame Runde von Politikern erlebt.
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Hén'ar war wieder bei ihrem Herrn und Gebieter, Séth'ra, im Quartier. Der geheime Besucher war unentdeckt gekommen und gegangen. Jetzt gab es für sie in seinem privaten Quartier eine kleine Besprechung. Ebenfalls unter vier Augen.
»Ich bin stolz auf deine Arbeit. Du hast von deinem Schiff aus sowohl die Männer auf der Autobahn getötet, als auch später den Auftraggeber in dessen Wohnung. Meine Feuerbälle waren dir dabei natürlich wie immer eine enorme Hilfe, nicht?«
»Ja, mein Gebieter.«
»Nun, es ist allmählich an der Zeit, den Männern im Hintergrund einen Besuch abzustatten. Dabei wirst du mich jetzt tatsächlich begleiten, denn wie ich erfahren habe, werden meine Agenten kaum unbemerkt das erste Raumschiff verlassen können. Das würde meine Pläne gefährden.«
Und die beiden begaben sich auf sein privates Flugdeck und verließen unbemerkt das Schiff. Nach einem etwas längeren Flug, der für den Gleiter jedoch kein ernsthaftes Hindernis war, steuerten sie schließlich auf die Ostküste der Vereinigten Staaten zu. Bald lag New York vor ihnen.
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»Wir überfliegen gerade die Mojave Wüste«, erklärte John, doch er war mit seinen Gedanken offenbar ganz woanders. Seine linke Hand ruhte auf A'íshas rechtem Oberschenkel und wanderte zielstrebig höher.
»Hee«, beschwerte sie sich lächelnd, »was wird das denn, wenn's fertig ist?«
»Was denn?«, fragte er mit Unschuldsmiene.
Sie ergriff seine Hand und hielt sie fest. Er lehnte sich jedoch weiter zu ihr rüber, griff mit seiner rechten Hand an ihre Wange und zog ihren Kopf zu sich herüber.
Dann küsste er sie.
»Den Übergang von Erotik zu Sex müssen wir aber noch etwas ausbauen«, flüsterte sie und löste sich leicht von ihm.
»Hey, ich bin ein Mann! – Ich glaube nur an das, was ich sehen und anfassen kann«, erklärte er mit überzeugender Miene.
»Materialist!«, schimpfte sie, doch sie lächelte.
»Tja..., ich kann's nicht ändern«, brummte er und versuchte wieder sie zu küssen.
Doch sie wehrte ihn ab. »Stop! Das reicht erstmal..., wir haben noch viel vor heute.«
Er seufzte, widmete sich nun aber wieder seinem Job als Fremdenführer und wies auf die trostlose Einöde mit den weißen Salzseen hinunter. »Die Mojave-Wüste ist eine Hochwüste, denn sie liegt auf über eintausendzweihundert Metern Höhe..., im Winter schneit es hier sogar.«
»Oh«, meinte A'ísha, »Schnee in der Wüste, auch nicht schlecht!«
»Ja, hier kriegst du wirklich was geboten«, scherzte er.
»Hoffentlich muss ich nachher nicht noch was zahlen, weil es so toll war«, ging sie drauf ein und grinste ihn an.
»Hmm«, brummte er scheinbar nachdenklich, »ich werd's mir überlegen! Und währenddessen flieg doch bitte einfach nur nach Süden weiter!«
»Ay ay, Sir!«
»Hier ist der Joshua Tree National Park«, ließ John sie kurz darauf über einem zehn Meter hohen Baum halten. »Er verdankt seinen Namen so einem Joshua-Baum, das ist ein Yucca-Baum, der bis zu zwölf Meter hoch werden kann. Die Bäume werden mehrere hundert Jahre alt, wachsen sehr langsam und bilden die Heimat von unzähligen Vögeln.«
»Dann wollen wir die mal lieber nicht stören und nicht so weit runter gehen«, flüsterte sie.
Er sah sie verwirrt an: »Was flüsterst du denn auf einmal?«
»Naja..., die Vögel«, zeigte sie mit Unschuldsmiene auf den Baum unter ihnen.
»Aber die können uns doch gar nicht...« Er brach ab und schaute sie an, die sich nur mit Mühe ein Lachen verbeißen konnte: »So so, mich hier veräppeln wollen!«, rief er mit gut gespielter Entrüstung. »Aber so nicht, mein Fräulein!«
»Ohh, tut mir leid«, lachte sie mit blitzenden Augen. »Bist du jetzt sauer?«
»Ja«, verschränkte er die Arme energisch vor der Brust.
»Oh nein, dann ist die Führung jetzt zu Ende?«
»Ja, endgültig!«
»Und es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte?«, lehnte sie sich an seine Schulter.
»Nein«, blieb er hart.
»Schade«, seufzte sie und atmete tief ein, »und ich hätte da eine so gute Idee...«
Sie blickte ihn mit ihren blauen Augen unwiderstehlich an, und er murrte: »Brauchst gar nicht so zu gucken, die Masche zieht bei mir nicht mehr!«
»Ts ts«, machte sie und küsste ihn.
»Nei-jen«, dehnte er, »auch so nicht!«
Sie küsste ihn nochmal.
Und nochmal.
Da gab er auf: »Okay, du kleine Nervensäge, aber das ist das letzte Mal!«, meinte er und küsste sie ebenfalls. »Aber noch eine Beleidigung, und du kannst dir 'nen anderen Fremdenführer suchen!«, ermahnte er sie mit gut gespielter Ernsthaftigkeit.
»Puuh, dann muss ich mich echt beherrschen, wo sollte ich den in diesem bevölkerungsarmen Land nur finden?«, grinste sie belustigt.
»Eben«, erwiderte er ironisch, »also reiß dich zusammen, dann geht's weiter! - Wir sind eh gleich fertig.«
Er warf einen Blick auf seinen Laptop: »Südlich von hier liegt die Sonora-Wüste, die verdient den Namen Wüste richtig, denn da fällt nicht einmal halb so viel Regen wie in der Mojave-Wüste, und du kannst da leicht fünfzig Grad Celsius erleben. Es gibt da viele Wanderer und Kletterer, die aus allen Teilen der Welt anreisen. Die Felsen sind echt eine Rarität.«
»Das denke ich«, lachte sie, »wenn die extra aus der ganzen Welt hierherkommen. Nicht dass es anderswo auch Felsen gibt!«
»Sehr witzig, Madam«, grinste John, »Amerika ist eben einzigartig..., aber ich denke, das behauptet jeder von seiner Heimat, oder?«
»Naja, ich find's bei mir Zuhause auch recht nett«, meinte sie mit einem Augenzwinkern.
»Siehst du, alles Ansichtssache. – Aber egal, fliegen wir weiter nach Hawaii!«
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Qor'ewá war zurück auf dem ersten Raumschiff der weißen Rasse. Sein geheimer Besuch bei seinem Herrn auf dem zweiten Raumschiff, das nach wie vor seine Position in Höhe der Umlaufbahn des Mars hielt, war unbemerkt geblieben, niemandem war etwas aufgefallen. »Ich lasse dir einen Schlüssel hier!«, hatte Séth'ra zu ihm, seinem besten Kämpfer, gesagt. »Es ist eine Waffe, die als solche nicht zu erkennen ist, auch nicht von den Überwachungsinstrumenten des Schiffes. Wenn du den Kommandoraum hermetisch abriegelst, hast du alle in deiner Gewalt. Aber warte auf den richtigen Zeitpunkt!«
Die Waffe sah in der Tat harmlos aus. Es war ein kleiner Ball, ähnlich dem, den er selbst und Hén'ar momentan so eifrig benutzten. Doch dieser wies eine dunkelblaue bis silberne Färbung auf. »Er erzeugt ein elektromagnetisches Feld, das keine Technik an Bord des Schiffes zu überwinden in der Lage ist. Es ist eine meiner vollkommensten Arbeiten und hat mich viel Kraft – geistige Kraft – gekostet. Du musst ihn nur teilen, der eine Teil ist dann eine nur von dir zu handhabende Strahlenwaffe, der andere, an das Sicherheitssystem angeschlossen, überwacht die Instrumente. Solange dieses Teil drin steckt und mit den Instrumenten des Schiffes verbunden ist, beherrschst du alles!«
»Ich verstehe!«
»Mit der Waffe hast du die totale Macht im Raum, damit ausgestattet bist du der alleinige Herrscher. Und das Sicherheitsfeld kann nur ausgeschaltet werden, wenn man den Schlüssel aus der Konsole entfernt, und das wirst du mit der Waffe schon zu verhindern wissen. Da von dem Kontrollraum das gesamte Schiff dirigiert wird, beherrschst du somit dann auch das ganze Schiff!«
Qor'ewá wog den Ball nachdenklich in der Hand. In der Tat hatte kein Überwachungssystem des Schiffes Alarm ausgelöst, er war unbehelligt in die Kommandozentrale und anschließend in sein Quartier zurück gekehrt. Nun harrte er der Dinge und wartete auf den richtigen Zeitpunkt.
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Der Mann, der vor kurzem noch einer Fünfjährigen im Rockefeller Center in New York einen gewaltigen Schrecken eingejagt hatte, stand vor einem Gebäude in der achtundsechzigsten Straße. Seine Augen lagen womöglich noch tiefer in den Höhlen, und er schien merklich nervös zu sein. Längere Zeit schien er unschlüssig, ob er das Gebäude betreten solle, doch schließlich überwand er sich und ging hinein.
Er wurde erwartet. Nach einem Weg durch verschiedene Korridore und über einige Treppen gelangte er in einen großen Raum. Hier warteten achtundneunzig Männer auf ihn, die ihn teilweise neugierig, teilweise nachdenklich betrachteten.
Sie alle saßen an einer langen Tafel, an deren Kopfende sich ein Mann erhob.
»Ich begrüße dich, Bruder, dass du den Weg zu uns gefunden hast. Hiermit sind wir vollzählig, und die Versammlung kann beginnen!«
Der Sprecher wartete ab, bis sich der Neuankömmling auf den letzten freien Stuhl gesetzt hatte, dann fuhr er fort: »Deine Aufgabe lautete, ein junges Mädchen als Opfer auszuwählen und hierher zu bringen. Wo hast du es?«
Der Angesprochene wollte eben die Szene aus dem Rockefeller Center darlegen, als noch einmal die Tür geöffnet wurde. Gewaltsam und mit einer heftigen Detonation verbunden, der eine weitere folgte. Die Versammelten fuhren von ihren Sitzen auf, doch sie hatten keine Chance. Séth'ra und Hén'ar, beide geschützt durch martialisch wirkende technisch hochgerüstete Kampfanzüge und Séth'ras geheime magische Einwirkungen, richteten in Sekunden ein Blutbad an.
Sie benutzten dabei ähnliche Waffen wie Hén'ar vor kurzem in Köln, als sie aus ihrem getarnten Raumgleiter ein Fahrzeug und in einer Wohnung einen Mann in Flammen aufgehen ließ. Der Spuk währte keine Minute, dann verließen die beiden die Szenerie und gelangten über die Park Avenue zurück zu ihrem getarnten Raumgleiter.
»Das war die schwächste Loge. Gar kein Widerstand!« Hén'ar lachte verächtlich.
Séth'ra blieb jedoch realistisch. »Abwarten! Bei den anderen wird es nicht so einfach. Unsere nächsten Ziele liegen in Südamerika, Argentinien und Chile, danach müssen wir nach Asien, China und Russland, bevor es nach Europa geht.«
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Canberra, die Hauptstadt Australiens, verdankt ihren Rang einem Kompromiss. Als Sydney und Melbourne nach dem Zusammenschluss mehrerer Kolonien zum Bundesstaat Australien zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts um den Hauptstadtsitz stritten, wurde beschlossen, die Hauptstadt zwischen den beiden Kontrahenten zu platzieren, wobei der Regierungssitz mindestens hundert Meilen von Sydney entfernt sein sollte. Über zwanzig Jahre beherbergte dennoch Melbourne den Regierungssitz, und erst seit 1927, mit Fertigstellung der ersten Parlamentsgebäude, befindet er sich in Canberra. Die Stadt, in der etwa dreihunderttausend Einwohner leben, ist von Sydney in drei Stunden und von Melbourne in sieben Stunden mit dem Auto zu erreichen.
Der an andere Dimensionen gewöhnte Europäer muss sich dabei immer vergegenwärtigen, dass die Städte zwar alle im Südosten des Kontinents relativ dicht beieinander liegen, dass es aber eben ein Kontinent ist, und die Entfernung von Melbourne nach Sydney in etwa so weit ist wie die von London nach Zürich, nämlich knapp neunhundert Kilometer, und dass ganz Europa in etwa so groß ist wie der australische Kontinent.
Der Premierminister blickte etwas irritiert drein.
Vor wenigen Augenblicken hatte ihn seine Sekretärin Kathy aus seinen Alltagsgeschäften gerissen und ihm drei Besucher angekündigt, die ihr umgehend in sein Büro gefolgt waren. Diese durchaus ungewöhnliche Art und Weise hatte sie gekonnt zu rechtfertigen gewusst, und nun saß er mit seinen Gästen in seiner Sitzecke auf einer gemütlichen Leder-Garnitur, wohin er sich in solchen Fällen zu begeben pflegte..
Bei seinen Gästen handelte es sich um drei Aborigines - australische Ureinwohner. Die beiden Jüngeren, ein Mann und eine Frau, saßen zu seiner Linken und mochten zwischen dreißig und vierzig Jahre alt sein. Ihm gegenüber saß ein Mann, der der Vater der beiden sein konnte, denn er mochte schon über sechzig Jahre alt sein. Er trug weder Jacke noch Hemd, so dass man seine kunstvolle Körperbemalung sehen konnte. Ein starker, dunkler Vollbart umrahmte sein Gesicht, doch das Faszinierendste an seinem Besucher waren dessen dunklen Augen, wie der Premier fand.
Der ältere Mann sprach, und Sir Melvin hörte gebannt zu. Das lag weniger daran, dass sie ungefähr gleichaltrig waren, sondern eher an der Art des Mannes zu sprechen. Einfach, ungekünstelt und dabei mit einer so offenen und direkten Art, dass ihm mit Sicherheit jeder Zuhörer inner-halb kürzester Zeit sein vollstes Vertrauen entgegenge-bracht hätte. Die Unterhaltung war fast durchweg einseitig, denn Sir Melvin unterbrach den Erzähler nur selten. Die beiden Jüngeren beteiligten sich gar nicht an der eigentlichen Unterredung, und er fragte sich, wozu die beiden eigentlich mitgekommen waren. Als Kathy nach fünf Minuten hereinkam, um Gebäck und Kaffee zu reichen, erlebte sie ihren Chef in einer sehr seltsamen Verfassung, es schien ihr fast, als ob er aus einem bösen Traum aufgewacht sei. Die Tasse Kaffee, die sie ihm einschenkte, trank er denn auch wie geistesabwesend. Der Inhalt des Gespräches musste ihn sehr in Anspruch nehmen.
Als die drei Ureinwohner das Gebäude eine halbe Stunde später verließen und in Richtung Bahnhof gingen, griff der australische Premierminister zum Telefon.