Читать книгу Matteo - Günter Tolar - Страница 3
Оглавление2.
GRAN CANARIA
Matteos erstes Ziel auf seiner Reise in die Saison war die Insel Gran Canaria und dort die südlichste Stadt, Playa del Ingles. In den nördlicher gelegenen Touristenorten lief Matteos Saison immer erst Mitte oder Ende Mai an. In Gran Canaria hätte er zwar auch während der Wintermonate arbeiten können, er wollte aber nicht zu viel Zeit an einem Ort verbringen, zumal gerade Playa del Ingles immer wieder von den gleichen Gästen besucht wurde. Er mietete ein billiges Appartement oberhalb der großen Straße, die an Playa vorbeiführte. Dort wohnte nur Hotelpersonal und sicher keiner der Gäste. Der erste abendliche Rundgang zeigte ihm, dass wie bei den letzten Malen das „Yumbo-Center“ nach wie vor der fündigste Boden war. An der Struktur des Publikums hatte sich seit seinem letzten Besuch nichts geändert, seine Leute fand er im „Alt Wien“ bis kurz nach Mitternacht, und wenn sich dort nichts ergab, dann musste er sich schon fast die ganze Nacht um die Ohren schlagen, dann gingen sie nämlich ins „Mikonos“, einer ohrenbetäubend lauten Discothek mit einem übermäßig gut besuchten Darkroom. Die Hälfte der Besucher dieses finsteren Grabschraumes benützten ihn allerdings nur, um den Sexsuchenden im wahrsten Sinne das Geld aus der Tasche zu ziehen. Kaum einer, der nicht, wenn er nicht schon einschlägige Erfahrungen gemacht und Vorkehrungen getroffen hatte, bestohlen herauskam. Sogar Diebe waren dort schon beklaut worden.
John, ein dicklicher Engländer, mit mehreren gold blitzenden Ringen an den Fingern beider Hände und einer protzigen Goldkette um den Hals, verließ torkelnd das „Mikonos“ und stolperte fast über den vor dem Lokal lungernden Matteo.
„Sorry“, murmelte John.
Engländer, erkannte Matteo und bot auf englisch seine Hilfe an.
Johns Miene erhellte sich sofort, er nahm Matteo freudig mit in sein Appartement, erzählte von einem Freund und einer Frau, die er beide am Hals habe und dass er eigentlich keine der beiden Personen wirklich mochte. Er war am nächsten Tag höchst erstaunt, als der Bursche, dessen Namen er schon wieder vergessen hatte, das Geld, das ihm John selbstverständlich, wie er meinte, anbot, freundlich aber brüsk zurückwies.
„Ich bin kein Prostituierter“, sagte Matteo sanft, „ich bin Erholung Suchender wie du, John, und vielleicht suche ich auch ein bisschen Liebe, wie du, John.“
John küsste ihn.
Eine Verabredung?
„Wir wollen es dem Schicksal anheim stellen“, lächelte Matteo beim Abschiedwinken. „Und lass’ deinen Schmuck nicht so offen herumliegen.“
John lachte: „Ist alles unecht.“
Das allerdings hatte Matteo auch schon bemerkt.
Er schlief bis Mittag, fuhr dann mit dem Bus nach Maspalomas, marschierte den Strand entlang bis zu der Gruppe von Sonnenliegen, in der nur die Schwulen in der Sonne brieten, trank an dem Plastikhäuschen, das sie Bar nannten, ein Tonic und beobachtete mit höflicher Aufmerksamkeit vor allem die älteren Herren. Er kam ins Gespräch mit einem dicken, am ganzen Körper struppig behaarten älteren Griechen , der betonte, Aristoteles zu heißen, aber darauf Wert legte, nur Ari genannt zu werden. Sie verabredeten sich zum Abendessen.
Ari erzählte, dass es ihm ja in Mykonos besser gefiele, aber er sei in Griechenland so bekannt, dass er sich wo anders austoben müsse, Matteo verstehe sicherlich.
Matteo schob sanft Aris Hand aus seinem Hosenzwickel.
„Nicht hier, bitte“, sagte er so flehend, dass es Ari heiß wurde.
„Nicht hier“, wiederholte er heftig nickend, „nicht hier, natürlich nicht hier...“
Aris dicke Ringe waren, zum Unterschied von denen Johns, echt, auch die Goldkette.
In Aris Hotelsuite angelangt ging dann alles sehr schnell. Matteo schaute sich, erstaunt über die fast barocke Pracht, aufmerksam um. Ari aber rief ihm anbiederlich zu: „Alles gemietet. Alles unecht. Brauchst gar nicht schauen. Keine Kreditkarten, nichts, nur Bares. Und das ist im Safe. Nicht im Zimmer. Unten, bei der Rezeption. Drum hab’ ich auch keine Angst, vor niemand, auch vor keinem Stricher, auch vor dir nicht.“
Matteo hatte die Unsinnigkeit seiner Lage schnell erkannt und packte die Gelegenheit beim Schopf, sich aus der Affäre zu ziehen.
Zutiefst beleidigt, mit wahrhaftigen Tränen in den Augen, sagte er zu dem prächtigen Griechen: „Ari, ich habe nicht gewusst, dass du mich für einen Prostituierten hältst. Und ich habe nicht gewusst, dass du Prostituierte auf dein Zimmer mitnimmst. Du erlaubst also, dass ich gehe!“
Matteo bereitete einen dramatischen Abgang vor.
Aristoteles war sehr erschrocken: „Aber das hab’ ich doch nicht so gemeint. Ihr Jungen, seid immer gleich so angerührt. Woher soll unsereiner Alter denn wissen, ob ein Junger ein Stricher ist oder nicht...“
Unter der Türe sagte Matteo mit einer Träne in der Stimme: „Frag’ dein Herz. Oder hast du das auch im Safe?“
Am nächsten Tag traf Matteo auf seinem Weg zum Strand Detlev, den deutschen Frühpensionär vom vorigen Jahr, der ihm mit seinen insgesamt 12.000 Mark viel Freude bereitet hatte. Zuerst wollte Matteo einen Bogen machen, ging aber dann trotzig auf den noch dicker gewordenen zu. Im vorigen Jahr hatte Matteo wallendes Blondhaar getragen mit einem schwarzen Schnurrbärtchen. Detlev, noch immer der zielsichere alte Draufgänger, erkannte Matteo zwar nicht, stapfte aber gleich auf ihn zu, um ihn anzumachen.
Jetzt wich Matteo doch aus und war froh, sein Gesicht jedes Jahr geändert zu haben.
Er hatte übrigens am Vormittag Roberto die übliche Ansichtskarte geschrieben und das gerade noch rechtzeitig, denn er sollte unverhofft schnell wieder abreisen.
Im „Alt-Wien“ war Tanzabend, die männlichen, zumeist älteren Paare wiegten sich zu Walzerklängen und Tangogeklapper. Matteo staunte immer wieder, wie gut und stilvoll die alten Herren tanzten, wie höflich sie zueinander waren, wie sie ihren Partner vom Tisch abholten und wieder zurückbrachten, wie sie mit „Darf ich bitten?“ einander zum Tanz einluden.
Matteo hatte eben mit einem alten deutschen Herren, Professor, wie er dem Jungen vertraulich zuflüsterte, der sich Uli nennen ließ, ein Gespräch angefangen, als er bemerkte, dass der Professor zum Freundeskreis Detlevs, der an einer Bar-Ecke Hof hielt, gehörte. Sanft aber bestimmt wies er den zu drängen beginnenden Galan ab.
Matteo fühlte sich über die Maßen glücklich über seine Gründlichkeit und Umsicht und schwor sich, mehr denn je genau zu prüfen, mit wem er sich einließ. Uli hätte mit zu großer Wahrscheinlichkeit seinem Freund Detlev von seinem Erlebnis erzählt und in Detlev dann seinerseits Erinnerungen an das vorige Jahr wachgerufen, als ihm das gleiche widerfahren war.
Der Abend schien für Matteo gelaufen. In dem glückhaften Hochgefühl, sich nur auf sich selber und auf niemand anderen verlassen zu müssen, ging er noch auf ein Tonic ins „Hummel-Hummel“, genau genommen in das kleine „Hummelchen“, das neben dem jugendlichen „Hummel-Hummel“ mehr älteres und altes Publikum bewirtete.
Da trat so plötzlich, dass Matteo erschrak, ein blonder alter Herr an ihn heran, lachte über Matteos Erschrecken und meinte auf deutsch: „Du erschrickst? So einer wie du muss doch gewöhnt sein, angeredet zu werden.“
Österreicher, erkannte Matteo. Didi heiße er und aus Steyr sei er. Und sein Freund sei heute abgereist und er daher voller Laune und Lust und ob, wie heißt du, Matteo, aha, ob also Matteo da nicht mitmachen wolle. Warum der Freund abgereist sei? Seine Firma präsentiere die neuen Modelle. Mode? Nein, Autos. Porsche. Übermorgen komme er wieder. Ist ja heutzutage ein Pappenstiel, einen Learjet zu chartern.
Didi war sehr potent und unermüdlich, Matteo musste einiges über sich ergehen lassen. Schließlich brachte das Rohypnol aber den unentwegt ejakulierenden alten Blondschopf doch zur Ruhe.
Am nächsten Tag flog Matteo mit einem Urlauberflug nach Marrakesch. Die Rolex, die fünf Goldringe, reichlich mit Diamanten bestückt, und die schwere Goldkette konnte er später verkaufen. Zwei Schecks hatte er am Morgen noch in Playa eingelöst, Didis Unterschrift war denn doch zu kindisch leicht nachzumachen. Da der Österreicher alles offen herumliegen hatte, musste Matteo ganz schön schuften, um zeitgemäß alles bis an die möglichen Grenzen zu beheben, bevor, vermutlich schon am übernächsten Tag, die Sperren wirksam würden. Matteo hatte allerdings auch die so genannten „Notfallskarten“ mitgenommen, auf denen die Telefonnummern standen, die der Besitzer im Falle eines Diebstahles anrufen solle. Didi würde also zuerst seinen Freund bei der Porsche-Präsentation stören müssen, der würde erst einmal die Nummern suchen, kurzum, Matteo fühlte sich in Sicherheit. In Marrakesch zahlte er das Geld, das er nicht für die Weiterreise brauchte, bei mehreren Banken zu kleinen Teilen ein und ließ es auf sein Konto überweisen, das in Siena von Roberto Scarlatti liebevoll betreut wurde. Die Rolex verkaufte er in seinem Hotel einem steinreichen Araber, die Goldsachen verscherbelte er zum aktuellen Goldpreis.
Insgesamt hatte ihm Didi aus Steyr 12.000 Euro beschert. Matteo führte über jede seiner Handlungen genau Buch bis zu dem Zeitpunkt, an dem er wusste, was sie eingebracht hatte. Dann vernichtete er alle Unterlagen und war wieder der junge Mann auf Reisen.