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1. Das Dorf in den Wipfeln

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Das Waldgebiet lag abgeschieden von der restlichen Zivilisation. Hier waren die Bäume nicht nur hoch, sondern sogar mächtig, von glattem Wuchs und gesund. Keine Umweltverschmutzung konnte den Bäumen hier etwas anhaben. Das Dorf lag hoch in den Wipfeln und hieß ‚Walddach zu Wipfelshöh‘. Der Bürgermeister hieß Donkur von Rehlen und war verheiratet mit Mathilde. Sie waren kinderlos. Beide Eheleute waren im dörflichen Leben sehr engagiert und hatten immer ein Ohr für die Sorgen und Nöten sowie für Vorschläge von Verbesserungen und Neuerungen. Die rechte Hand des demokratisch gewählten Bürgermeisters war der Vorsteher Rembert Weilenbach. Das Dorf war in der Welt einzigartig und es hatte eine sehr lange Planungszeit mit unzähligen Ämtern, Architekten, Politikern und Presseleuten gegeben. Sogar das Fernsehen war auf sie aufmerksam geworden. Zuerst hatten sich viele Interessenten in die Planungslisten eingeschrieben, aber als es um die vertraglichen Zahlungen gegangen war, waren sehr viele wieder abgesprungen. Damit hatten aber Donkur, seine Frau und Rembert Weilenbach vorher gerechnet und waren daher nicht sonderlich überrascht. Im Endeffekt waren in der zu rechnenden Finanzierung aber ganze hundert Personen übrig geblieben und diese waren von dem Konzept nicht nur überzeugt, sondern es war für sie eine neue Art zu leben, ja fast schon eine Art einer Wohnreligion.

In dem zusammenhängenden Waldgebiet wurden die Baumhäuser in der oberen Etage unter den Wipfeln gebaut. Das war immerhin eine Höhe von fast dreißig Metern. An den Stämmen wurden die unterschiedlichsten Baumhäuser unter den modernsten energetischen Dämmerkenntnissen fest installiert. Die Häuser wurden durch flexible Wege verbunden. Über diesen Hängewegen wurde eine Art Seilbahn befestigt, mit der man oberhalb der Köpfe der laufenden Personen in einer Art Ringverkehr in diesem hohen Baumdorf fahren konnte. Auch gab es geschlossene Gondeln für den Personenverkehr mit angedockter Abteilung für die Materialen, Güter und Waren. Die Wipfelbahn fuhr immer nur in eine Richtung und hielt an diversen Haltepunkten. Man konnte in Ruhe ein- und aussteigen. Die Bahn wurde ökologisch von der Solartechnik auf den höchsten Wipfeln gespeist und der Strom für die gesamte Elektrik des Dorfes wurde in mehreren Batteriestationen eingespeist. Sogar einen Supermarkt und eine kleine Krankenabteilung mit zwei Ärzten gab es hier. Selbstverständlich hatte man auch die Möglichkeit, über Fahrstühle an verschiedenen Punkten auf den Boden zu gelangen. Denn die Oberwäldler, wie sie sich selber liebevoll nannten, mussten ja auch arbeiten und viele fuhren jeden Tag in die Stadt. Eine Zufahrt mit einem großen Parkplatz machte es möglich.

Auch hatten sich einige Gärtner eingefunden, die in dieser Höhe mit eigens entworfenen speziellen Gewächshäusern erstaunliche Zuchterfolge bei Tomaten, Gurken und sogar mit Früchten aus der Karibik hatten. Die Geschmacksnoten waren alle exzellent und wurden gerne in dem Gemüselädchen von den Baumeinwohnern gekauft. Horatio Müllersohn hieß der Gärtner, der Metzger war Dombrino Heinsiepel. Frau Dorinsio Töpfer war für die modischen und anderen Kleidungstücke zuständig, der Apotheker hieß Endrino Bäckersin, der Hand in Hand mit der Ärztin Frau Doktor Zenker und dem Arzt Doktor Aberlein aus der besagten kleinen Krankenstation zusammenarbeitete.

An diesem frühen Morgen stand der Bürger Wenkeldon Rath, ein pensionierter Gelehrter, vor dem Laden des Gärtners Müllersohn und sah, dass die Verkaufsläden noch geschlossen waren. Er rief laut: „Horatio, du Langschläfer! Die Sonne steht schon hoch über den Wipfeln und deine Pflanzen arbeiten schon fleißig an ihrem Wachstum. Die wissen wohl, was sich gehört! Und du? Wo bist du?“ Er rüttelte an der Tür und überlegte, ob der Gärtner in den hinteren Räumlichkeiten seines Ladens sein konnte. Er probierte die Türklinke und die Tür gab nach. Zaghaft betrat er den Laden und rief nochmals laut den Namen des Gärtners. Es kam keine Antwort.

In diesem Augenblick betrat eine Kundin den Laden. „Zum Donnerwetter, Horatio, wo bist du. Ich brauche dringend Blumen für ein Jubiläum und habe wirklich nicht viel Zeit.“ Wenkeldon Rath kam wieder in den vorderen Teil des Geschäftes und die Kundin dachte im ersten Augenblick, er wäre der Gärtner. Als sie Wenkeldon erkannte, sagte sie: „Oh, ich dachte, der alte Saufbold Horatio wäre es. Aber du bist es nur.“ Wenkeldon lachte laut auf: „Immerhin ist hier ein Lebewesen aus dem hinteren Laden gekommen. Ich habe den Meister der Blüten und Früchte auch schon gesucht. Er scheint wohl schon früh in seinem oberen Gewächshaus auf dem Mammutbaum zu sein. Ich werde die nächste Gondel nehmen, um dort nachzusehen.“ Sie nickte und meinte: „Nimm eine Flasche Schnaps mit, von der scharfen Sorte, die ihm immer im Hals kratzt. Die riecht er auch bei dem stärksten Westwind oben in seinem Gewächshaus.“ Jetzt lachte sie auch und meinte noch: „Dann kaufe ich die Blumen in der Stadt, ich muss pünktlich in der Firma sein. Ich habe es nicht so gut wie ihr Tunichtgute und Tagediebe hier im hohen Dorf.“ Wenkeldon Rath kannte ihre scharfe Zunge und erwiderte nichts.

Nachdem er die Ladentür wieder geschlossen hatte, wandte er sich zur nächsten Gondelstation und wartete. Nach kurzer Zeit kam langsam die Gondel angezockelt, in der bereits zwei Arbeiter saßen, die mürrisch aus dem Fenster schauten, aber sich zu einem kurzen Nicken hinreißen ließen, was wohl so viel wie ein Gruß bedeuten sollte. Wenkeldon stieg zügig ein. Die Gondel fuhr weiter und nach mehreren Stops kam sie an der Station auf dem hohen Wipfel des Mammutbaumes an. Die Arbeiter drängten sich schnell vor und stiegen mit ihrem Handwerkszeug aus. Sie hatten offensichtlich an der höchsten Spitze zu arbeiten, das erkannte Wenkeldon an den diversen Karabinerhaken an ihren Gürteln und den Steigeisen.

Er hatte Zeit und orientierte sich zu den Gewächshäusern in der oberen Etage. Hier war der Wind heftiger als an seinem Baumhaus und alles schaukelte leicht. Es war so, als wollte der Wind die Menschen hier oben in einen leichten Schlaf wiegen. Wenkeldon Rath folgte den Hinweisschildern zu den Gewächshäusern des Horatio Müllersohn und stieg trotz seines fortgeschrittenen Alters zügig die hölzerne, schwankende Brücke hinauf, wobei er sich aber vorsichtshalber am Geländer festhielt. Oben an dem Gewächshaus angekommen, rüttelte er auch hier an der Tür und rief den Gärtner. Es kam wieder keine Antwort, aber hier war die Tür verschlossen. Er versuchte, die Hand zum Schutz der Sonne vor seinen Augen zu halten und in das Innere des Gewächshauses zu sehen. Er klopfte und rief erneut, wieder ohne Antwort. Nun lief er um das Gewächshaus herum, dass nun bei dem aufkommenden Wind stärker schwankte. Der Wind pfiff wie eine Orgel sein schauerliches Lied, als hätte er eine Ahnung und wusste, was sich gehörte. In dem rückwärtigen Teil des Gewächshauses stand allerlei Gerümpel herum. Wenkeldon hätte nicht gedacht, dass der Gärtner Horatio derartig unordentlich war. Halbaufgerissene Plastiksäcke mit Blumenerde lagen verschüttet auf dem Boden, Holzabdeckungen mit Schaufeln, Blumentöpfen, Kübeln und großen Pflanzkübeln ergaben ein jammervolles Bild einer Gärtnerei. Wenkeldon wollte sich gerade wieder abwenden, als er stutzig wurde. Hinter der Schubkarre verdeckt sah er eine skurril verdrehte Hand. Er ging näher heran und zog die Schubkarre weg. Da sah er den Gärtner Horatio mit offenen Augen zum Wipfel des Baumes sehend und einer Schusswunde an der linken Wange, in der das Blut schon geronnen war. Wenkeldon wollte keine wichtigen Spuren verwischen und ging vorsichtig rückwärts wieder hinaus, wo er von seinem Handy die Polizei anrief.

Zwei volle Tage war die örtliche Polizei mit der Spurensicherung in dem Dorf. Einige Beamte sahen aufgrund der Höhe des Dorfes und vermutlich auch durch das immer leichte Schwanken und Schaukeln der Hängebrücken richtig grün im Gesicht aus. Erst am späten Abend des folgenden Tages wurde die Leiche abgeholt, wobei der Bestatter mit seiner starken Höhenangst zu kämpfen hatte und sein Gehilfe ihn kräftig festhalten musste. Die sterbliche Hülle des Horatio auf die Erde zu bugsieren, war schon eine Aktion für sich. Die Ärztin, Frau Doktor Zenker, nahm die ersten Untersuchungen vor und der zuständige Kommissar entschied, die Leiche in die Gerichtsmedizin bringen zu lassen, obwohl die Todesursache augenscheinlich sein musste. Der Bürgermeister, Donkur von Rehlen, stand zusammen mit dem Vorsteher, Rembert Weilenbach, den ermittelnden Beamten mit wichtiger Miene mehr im Weg, als das sie hilfreich waren. Der Vorsteher jammerte nur herum, wer denn nun die Gärtnerei weiterführen könnte. Man solle zur Klärung und Ausschreibung doch eine Sondersitzung des Dorfrates schnellstens einberufen. Erst die Frau des Bürgermeisters, Mathilde von Rehlen, brachte ihn durch einen lauten Ordnungsruf zur Räson, woraufhin Rembert Weilenbach beleidigt den Mund hielt und auch auf Nachfragen des Bürgermeisters ostentativ zum obersten Wipfel schaute. Dieser Vorsteher fiel erfahrungsgemäß nach einem derartigen Anraunzer beleidigt für lange Zeit komplett aus.

Die Ermittlungen der Polizei gerieten ins Stocken, Recherchen über das Leben des Gärtners Horatio Müllersohn brachten nichts Nennenswertes zutage. Er schien überall unauffällig gelebt zu haben, war zum Ärger der Beamten nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, hatte anscheinend ordentlich gesichtslos in mehreren Städten gelebt, bis er sich dieser spleenigen Dorfgemeinschaft in den Wipfeln angeschlossen hatte, wie es der Kommissar ausdrückte. Die Polizei vernahm in der nächsten Polizeistation mit der eingerichteten Mordkommission ‚Höhe‘ mehrfach alle Bewohner des Höhendorfes und musste nach einigen Wochen den Fall vorerst als ungelösten Fall eines Eifersuchtsdramas auf das Beamteneis legen. Wie die Beamten auf eine Eifersuchtsgeschichte kamen, blieb allen ein ungelöstes Rätsel. Es schien so, als habe der ermittelnde Staatsanwalt in seiner Ehe und in den Ehen seiner Bekannten sowie seinen amtlichen Fällen schlechte Erfahrungen mit Partnern gemacht. Der arme Horatio war immer Einzelgänger gewesen und hatte nach alledem, was man von ihm wusste, nie eine Partnerschaft gehabt. Als der Kommissar nach der Theorie mit der Eifersucht in der Vernehmung gefragt wurde, zuckte er nur mit den Schultern und knurrte etwas von: „Das könnte ja durchaus so gewesen sein. Menschen sagen nicht immer alles von sich und der Gärtner hatte bestimmt irgendwo eine heimliche Gärtnerin.“ Dabei grinste der Kommissar vielsagend und zeigte seine gelben und schiefen Zähne.

Als Wenkeldon Rath auch nochmals vorgeladen wurde, hielt er sich nur kurz und knapp an die Fragen und wollte nichts weiter von den Beamten wissen. Die schienen ihr festes Raster der Ermittlungen zu haben und es schien ihnen egal zu sein, ob der Täter gefasst wurde oder nicht, nach dem Motto: Jeder macht einmal einen Fehler und dann gleichen wir alles noch einmal ab, bis wir den Täter durch Kommissar Zufall fassen. Im Zeitalter der Computer ist das ja einfach. Früher hatte man auf den Fundus der Gedächtnisse von Kollegen zurückgreifen müssen. Danach begann dann die mühsame Arbeit, die alten, verstaubten Akten durchzulesen. Sie hofften damals immer, die alten Kollegen würden sich nicht erinnern oder in der Erinnerung eine ordentliche Portion Zweifel äußern. Diese Zweifel würden wie ein Kuchenteig solange ausgewalzt werden, bis nichts mehr an der Rolle kleben blieb und der Fall sich von selbst löste oder eben ungelöst blieb, was weniger Arbeit machte.

Was die Beamten nicht erkennen konnten, war die Tatsache, dass Wenkeldon mit Argusaugen alles beobachtete und wie ein Schwamm alles an Informationen aufsog, was ihm zu Ohren kam. Nach dem zweiten nutzlosen Verhör nahm er sich vor, den Fall selber in die Hand zu nehmen und alles unter seinem bewährten, wissenschaftlichen, analytischen Geist zu stellen. Er sagte sich nach langem Überlegen in seinem Baumhaus, es sei ja letztlich egal, ob ich sozusagen als Archäologe alte Scherben und Gegenstände ausgrabe, alles mit einem feinen, kleinen Besen vom Staub befreie oder ob ich mit dem Hirnschmalz einen kriminalistischen Fall löse. Ich habe zwar keine Vorkenntnisse in der Polizeiarbeit, das scheinen die Beamten aber auch nicht zu haben oder sie verdrängen diese. Wenkeldon ging in Klausur, sprach zu niemandem über seine Arbeit. Er war ohnehin als Gelehrter und somit als höchst verschroben verschrien und so fiel es nicht sonderlich auf, dass er für mehrere Wochen abtauchte und sehr häufig außer Haus war. Die Leute munkelten, er hätte in der Stadt seine große Liebe gefunden und es wäre nur eine Frage der Zeit, wann er sein schwankendes Zuhause endgültig aufgeben würde. Interessenten gab es genügend und so schlichen als Spaziergänger getarnt einige Bewohner als Sondierungsbeauftragte auffällig um die Behausung des kauzigen Herrn Gelehrten herum.

Wenkeldon wälzte alte Tageszeitungen und ließ sich zum Schein in ein Krankenhaus mit ungeklärten Magenproblemen einweisen. Als schließlich nach einigen Untersuchungen kein Ergebnis feststand, kratzte sich der Herr Professor das rechte Ohr und ordnete für den nächsten Tag eine schwierige Untersuchung mit einer Magensonde bei ihm an. Wenkeldon durchschaute die Aktion, dass der Herr Professor ihn ertappt und ihn in die Schublade der Simulanten verstaut hatte. Nun fragte der Arzt ihn unverblümt: „Sagen Sie, mein Herr, was treibt Sie zu uns? Sicherlich nicht der Magen oder das anliegende Gedärm. Wir finden nichts und wir wissen einfach nicht weiter. Die Androhung der Magensonde scheint bei Ihnen nicht zu greifen. Ich habe bei anderen Patienten nach einer solchen Anordnung andere Erfahrungen im Verhalten gemacht.“

Wenkeldon sah ihn an und erwiderte: „Ich kann oder muss nun meine wissenschaftliche Deckung ein wenig lüften. Ich bin in der Tat unter einem Vorwand hier. Die Kosten für den freundlichen Aufenthalt bei Ihnen zahle ich selbstverständlich aus eigenem Portemonnaie. Keine Kasse wird geschröpft werden. Ich habe bei einigen Recherchen herausgefunden, dass vor einigen Jahren Ihre Mitarbeiterin, Frau Doktor Serberito Zenker, hier angestellt war. Sie ist nun in meinem Dorf mit dem Namen ‚Walddach zu Wipfelshöh‘ quasi meine Nachbarin und betreibt zusammen mit dem weiteren Arzt, Doktor Zebelnius Aberlein, die Praxis. Ich muss Ihnen in kurzen Worten den Vorfall mit unserem Gärtner Horatio Müllersohn schildern.“ Wenkeldon erzählte in einem kurzen, präzisen Vortrag den tragischen Vorfall. Der Professor hörte aufmerksam zu und unterbrach ihn nicht. Dann sah er kurz zu seinem Telefon, das heftig blinkte und damit wohl signalisieren wollte, dass der andere Teilnehmer ihn dringend zu sprechen wünschte. Der Professor sagte leise, so als fürchtete er um einen ungebetenen Ohrenzeugen: „Ich lege Ihnen eine Personalakte auf den Tisch und verlasse für zehn Minuten den Raum.“ Dann meldete er sich am Telefon, knurrte einige medizinische Begriffe in die Muschel und ging zu seinem Aktenschrank. Er legte Wenkeldon die versprochene Akte hin und war schon aus dem Raum.

Wenkeldon konnte nun seine Aufregung kaum im Zaum halten und blätterte sofort los. Er las laut vor und wurde immer leiser. Er notierte sich einige Daten und Zeiträume und schon stand der Professor wieder im Raum. Wenkeldon klappte die Akte zu, bedankte sich und bat um die Rechnung an seine Adresse. Er würde heute noch das Klinikum verlassen.

Die ganze Nacht saß Wenkeldon in seinem Baumhaus im Arbeitszimmer und schrieb erst einen Bericht als Gedächtnisprotokoll und verfasste dann einen genauen Ablaufbericht der letzten Tage mit seinen Einschätzungen in seinem Computer. Die Speicherung nahm er auf zwei Sticks als Sicherheitskopien vor und versteckte diese in seinem Haus. Es wurde schon wieder hell, als er die Berichte ausdruckte. Er verließ in aller Herrgottsfrühe sein Baumhaus und nahm die Gondel zum Gewächshaus des Gärtners Horatio.

Der Morgennebel lag dick und schwer in der Luft und gab einigen exotischen Orchideen die nötige Wachtstumsfeuchtigkeit. Er umrundete die Anlage der Gärtnerei und suchte einen Eingang, da die Eingangstür mit einem leuchtenden Polizeisiegel zugeklebt war. Er fand schließlich eine kleine Tür, die merkwürdigerweise offen stand und Wenkeldon hielt den Atem an. Er befürchtete, dass jemand in dem weitläufigen Gewächshaus war. Es war aber niemand zu sehen und er ging in die Abteilung der Tomaten. Dort fiel ihm auf, dass die Tomaten in einem merkwürdigen Muster gepflanzt waren. Es waren nicht allzu viele Tomaten und dazwischen war das, wonach er suchte. Hier standen Pflanzen, die denen der Tomatenpflanzen täuschend ähnlich sahen. Bei den Tomatenpflanzen waren in den sogenannten Achseln kleine Triebe, die, wie der Fachmann sagte, ausgegeizt werden müssen. Denn diese wilden Triebe nahmen der Pflanze die Kraft für die Frucht. Sie waren für die Pflanze nicht weiter wichtig. Auch konnte man getrost einige Blätter entfernen, damit sich die Frucht groß und letztlich schmackhaft entwickeln würde. Wenn man nach dem Ausgeizen an seinen Fingern roch, nahm man, soweit man nicht an einer starken Erkältung litt, den typischen scharfen Tomatenduft wahr.

Wenkeldon sah sich eine der dazwischen stehenden fremden Pflanzen an und suchte vergebens nach den kleinen, wilden Trieben in den sogenannten Achseln. Hier waren keine und es waren an diesen Stellen auch keine Triebe entfernt worden. Das stellte er mithilfe einer Lupe fest. Da diese Pflanze von einem Laien von einer Tomatenpflanze nicht zu unterscheiden waren, war Wenkeldon sofort klar, dass die normalen Tomatenpflanzen nur der Tarnung dienten. Hier dachte er zuerst daran, dass die Tomaten einiges Ungeziefer auf natürlichem Wege fern halten sollten.

Wenkeldon schnitt eine Pflanze ab und verglich diese mit einem Farbfoto aus seinen Unterlagen, als eine weibliche Stimme ihn erschreckte: „Ja, Sie haben es erkannt. Ihre Vermutung ist richtig und bevor Sie nun in Ihrem Laptop nach langen Erklärungen suchen, kann ich Ihnen den mündlichen Bericht geben.“ Wenkeldon ließ vor Schreck die Pflanze fallen. Die Ärztin Serberito Zenker stand vor ihm und hielt in der linken Hand eine kleine Pistole. Sie sagte das, ohne Emotionen zu zeigen, denn sie musste Wenkeldon schon lange beobachtet haben: „In den fast unzugänglichen Bergregionen von Mexiko wächst eine Pflanze mit dem Namen ‚Kieselpflanze von Merikator‘. Diese Pflanze wurde schon vor hundert Jahren in dem Dorf Merikator in Mexiko entdeckt und festgestellt, dass ihr Wirkstoff alles in den Schatten stellt, was auf dem Drogensektor gehandelt wird. Nur wurde das Wissen verschwiegen, weil die Beschreibung der Folgen mit ‚grausam‘ untertrieben ist. Sie können es mir glauben, als Ärztin kann ich da mitreden.“ Nun fing sie glucksend und albern zu lachen an, als würde sie ihre Wortkreationen als Nachhall sozusagen im Kopf genüsslich nachbearbeiten: „Es könnte auch sein, dass die Entdecker ihr Wissen bewusst geheim halten wollten, weil sie schnell die fatalen Folgen vermutlich am eigenen Leib spürten. Das Merkwürdige an der Wirkung dieses Extraktes, den man übrigens als Zäpfchen völlig ohne Nadelstiche zu sich nimmt, besteht nicht darin, überhaupt nicht müde zu werden. Hier kann man mit dieser Droge nicht Tage durcharbeiten, sich wohlfühlen oder zu schweben glauben, um dann völlig abzustürzen und sich dann irgendwann als abgemagertes, zahnloses Wrack mit eitrigen Beulen im Gesicht, mit Wahrnehmungsstörungen und Halluzinationen in der Gosse wiederzufinden. Genau das Gegenteil tritt ein. Man braucht nach der Einnahme seinen geregelten Schlaf und die übliche Nahrung weiterhin, auch kann man seinen Beruf weiter ausüben, ohne aufzufallen. Vorerst zumindest. Das Fatale ist wie bei starken Drogen, dass auch diese sofort nach dem ersten Zäpfchen abhängig macht. Das Gute zumindest aus der Sicht des Konsumenten ist, der Nachweis im Körper ist mit herkömmlichen Labormethoden nicht zu finden. Nun werden Sie mich fragen wollen, worin der Vorteil, wieder aus der Sicht des Konsumenten, besteht? Diese Droge ist sehr teuer und aufwändig herzustellen. Das ist die eine Seite der Medaille. Der Vorteil besteht in der eben geschilderten Einnahme und man braucht sich nur einmal in der Woche ein Zäpfchen rektal zu verpassen. Dann geschieht schleichend der, ich sage immer, Umwandlungsprozess. Sie werden gelassener, nehmen Stress, Hektik und Beleidigungen einfach nicht mehr wahr. Sie lassen wie bei einer neu gewachsenen, inneren Baumrinde nichts mehr an ihre Psyche heran. Ihr Geist bekommt eine Schärfe, wie ein Diamant mit seinem letzten Schliff. Und hier kommt der Vorteil, wenn man überhaupt bei Drogen von einem Vorteil sprechen kann, das muss ich als Beteiligte und daran Verdienende fairerweise einräumen. Ich selber bejahe natürlich den Vorteil. Also, Sie erledigen ihre Aufgaben, Studien mit einer Klarheit Ihres zu neuen Ufern strebenden Geistes und Sie werden von Ihren Mitmenschen und Vorgesetzten plötzlich mit neuen Augen gesehen und mit anderen Maßstäben gemessen. Sie klettern nun mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit die Karriereleiter hinauf, als hätten Sie wie bei einem Kampfflugzeug den zusätzlich schubgebenden Nachbrenner gezündet. Alles geht mit einer Leichtigkeit von der Hand. Wer vorher für Mathematik oder analytisches Denken keine Ader hatte, wird plötzlich, um bei der Metapher aus der Fliegerei zu bleiben, sprichwörtlich zum Überflieger.“

Frau Doktor Zenker hatte sich richtig mit roten Flecken im Gesicht in Rage geredet. Wenkeldon sah sie nur mit großen Augen an und wagte nicht, sie mit Fragen zu unterbrechen. Sie lieferte die Erklärungen schließlich immer selber mit. Eines quälte ihn doch und er nutzte die Pause, wobei er die Waffe in ihrer Hand nicht aus den Augen ließ: „Frau Zenker, dass ist ja alles schön und gut aus Ihrer Sicht gesehen. Das muss ja aber nicht jedem gefallen. Aber nun nennen Sie mir doch einfach und schlicht auch für einen medizinischen Laien die Nachteile.“ Sie sah ihn wie einen Studenten an, der es wagte, seiner Professorin eine ungehörige Frage zu stellen. Nun krauste sie die Stirn und kämpfte innerlich mit sich, wie weit sie ihre Informationen preisgeben sollte oder nicht und was sie verantworten konnte. Vielleicht überlegte sie auch, ob sie die Position einer Ärztin oder der einer Geschäftemacherin einnehmen konnte und sollte. Sie schien irgendwie zu spüren, dass ihr Gegenüber kein zufälliger, neugieriger Mensch war und sie nannte schonungslos die Nachteile der Droge. Würde so ein Autoverkäufer sein Fahrzeug mit dem Für und Wider anpreisen, würde er keine Kunden finden. Sie nahm die Waffe in die rechte Hand, offensichtlich stockte die Blutzirkulation.

Nun seufzte sie: „Wenn man die negativen Folgen betrachtet, so muss ich vorwegschicken, dass letztlich alle Drogen Probleme auslösen können. Es kommt aber darauf an, die negativen Folgen möglichst lange hinauszuschieben und das ist bei dieser Droge der Fall. Nach ungefähr acht bis zehn Jahren der ständigen Einnahme, ich wiederhole ständig, sozusagen als Drogenabusus, kommen aller Wahrscheinlichkeit die ersten Folgen.“ Wenkeldon musste lachen und meinte: „Sie preisen erst die Droge an und nun räumen Sie sogar negative Folgen für den menschlichen Körper ein. Sie gehen in einer naiven Weise vor, die mir den Magenmuskel zusammen krampfen lässt. Sie sehen das so nach dem Motto, letztlich müssen wir alle sterben, nur der Weg kann für einige bis dahin schmerzhaft sein. Aus diesem Grunde zögern wir den Zeitpunkt des Todes mithilfe einer Droge einfach hinaus? Wenn man aber acht oder zehn Jahre lang einen glücklichen Zustand erreicht, ist der Rest marginal unwichtig. Lieber kurz und intensiv, als lange und langweilig oder unproduktiv zu leben. Im Endeffekt sind wir alle tot.“ Wenkeldon sah sie an und Serberito Zenker schien über seine Worte nachzudenken. „Sie haben recht, Herr Rath, das geht mir aber ein wenig in die philosophische Abteilung des Lebens. Ich habe es mir jetzt überlegt. Ich sage Ihnen, welche konkreten Folgen die Droge der Kieselpflanze von Merikator, unter Fachleuten kurz Meri genannt, hat, wenn Sie mir sagen, wie Sie mir auf die Schliche gekommen sind! Dass Sie hier nicht durch Zufall sind, habe ich längst begriffen. Mir ist es als Ärztin hier im Dorf auch nicht entgangen, dass Sie eine ganze Weile zu angeblichen Studienzwecken unterwegs waren. Da Sie als kauziger, zerstreuter Gelehrter bekannt sind, fragten mich einige meiner Patienten, wo Sie sich wohl aufhalten würden. Auch ich machte mir Gedanken, jedoch bekam ich nichts heraus. Selbst der Vorsteher des Dorfes und der Herr Bürgermeister wussten nichts über Ihre Umtriebe.“ Wenkeldon lachte und sagte: „Halten Sie Ihr Wort, ich sage nur ein Stichwort: Professor Arkindino Höpfner. Dieser nette Arzt war so freundlich, mir Ihre Personalakte für einige Minuten zu überlassen, als er dringend das Zimmer verlassen musste, weil er zu einem Patienten gerufen wurde.“ Sie schürzte die Lippen und erwiderte: „Das sieht ihm ähnlich! Er war schon immer ein unterschätztes Schlitzohr. Von wegen, er wurde zu einem Patienten gerufen.“

Wenkeldon sah sie ernst an und fuhr fort: „Ich durfte die Akte lesen, mir aber weder Kopien noch Notizen machen. Ich habe mir aber zu Hause ein Gedächtnisprotokoll angefertigt und dieses einem Kollegen zugemailt. Wenn Sie jetzt den unwiderstehlichen Drang verspüren, die gute italienische Waffenkunst in der Damenpistole wie bei dem bedauernswerten Gärtner Horatio Müllersohn zu probieren und mir ebenfalls ein feines, niedliches Loch in die Stirn zu fräsen, bringt es Sie unter dem Strich nicht viel weiter und ich weiß nicht einmal beim Verlassen dieses blauen Planeten, wie letztlich die negativen Folgen der Droge mit dem niedlichen Namen Meri ist. Ich werde mich vor Gram an jedem Jahr meines Todestages unruhig im Grab drehen und an Sie zwangsläufig denken müssen.“ Frau Zenker hätte über den Humor unter diesen Voraussetzungen fast losgelacht.

Sie senkte langsam die Waffe und meinte nur: „Nun gut, die Folgen sind, dass der Konsument nach wie gesagt acht bis zehn Jahren eines Morgens wie bei einem fiebrigen schweren Schub Gliederschmerzen verspürt, die er erst nicht beachtet. Er schleppt sich zur Arbeit und sucht am Abend eine Apotheke oder einen Arzt auf. Der Arzt erkennt die üblichen Anzeichen einer Grippe und wenn durch Zufall im Lande noch die alljährliche Grippewelle durchzieht, ist sein Urteil schnell gefasst. Er verschreibt die gängigen Grippemittel und einige Drogenkonsumenten erinnern sich an die alten Hausmittel ihrer Eltern oder Oma bei Grippe- oder Erkältungssymptomen. Dann kommt der Drogenkonsument an einem der nächsten Morgen nicht mehr ohne fremde Hilfe aus dem Bett. Er kann nicht gehen, die Finger kann er wie bei beginnenden Rheuma- oder Arthritisschüben nicht mehr beugen. Die Fußgelenke schmerzen derart, als hätte ein Gichtkranker Gallonen von Rotwein und Unmengen an Schweinefleisch verzehrt, was ihm sein Arzt auf das Schärfste verbot. Es ist nur eine Frage der Zeit, denn der Verhärtungsprozess in sämtlichen menschlichen Gelenken schreitet unaufhaltbar voran. Nun kommen meine Kollegen ins Spiel, eine Einweisung in ein Hospital oder Fachklinik erfolgt, der Patient wird mit Fragen gelöchert, was er in der letzten Zeit zu sich nahm, ob er im Ausland und wo genau war. Falls es ein Aufenthalt in exotischen Ländern war, wird er gefragt werden, was er trank, ob unsauberes Wasser, ein Stich eines seltenen Insektes bemerkte und vieles mehr. Begleitet wird das ganze Procedere von unzähligen Untersuchungen. Blut, Urin- und Stuhlproben geben sich quasi die Hand, aber man wird nichts Gravierendes finden, was der Wahrheit nahe kommt. Stattdessen geht das Leiden zügig in die letzte Phase, die gesamten Knochen gehen in einen starren Apparat über. So, als hätte dieser Mensch nie Gelenke gehabt, als wäre er wie ein Stockfisch tiefgefroren, und er kann nur auf dem Rücken liegen. Er kann sich nie mehr bewegen, er kann nur noch mit den Augen rollen. Eine künstliche Ernährung folgt und dann kommt die künstliche Atmung mit den unangenehmen Begleiterscheinungen hinzu. Der Patient hat genügend Zeit über alles nachzudenken, denn sein Geist ist und bleibt messerscharf. Er kann sich sogar artikulieren, wenn er denn genügend Atem findet. Nun dämmert es ihm so langsam, dass seine Misere, um es gelinde zu sagen, von seinem Drogenkonsum herrührt. Und, wenn er denn soviel Ehrlichkeit besitzt, sagt er den Ärzten die Wahrheit und nun bekommt die unbekannte Diagnose ein hässliches Gesicht. Irgendwann in nächster Zukunft wird die Medizin von sich aus die gezielten, diesbezüglichen Fragen an den Patienten stellen und auch wenn er alles bestreitet, wird man bei der Suche der Diagnose sehr schnell auf die Droge Meri stoßen. Der Rest läuft je nach der Konstitution des Patienten ab. Es dauert aber in der Regel zwischen ein bis drei Jahren, dann stellt eine Schwester oder ein Pfleger morgens beim Bettenmachen lapidar ‚Ex‘, fest, womit Exitus letales gemeint ist. Der Tod trat ein.“

Wenkeldon hatte während des gesamten Vortrages Frau Zenker und ihre Mimik beobachtet und versuchte nun zu ergründen, ob sie menschenverachtend abgebrüht war oder nicht. Er konnte es nicht genau sagen, denn in dem Höhendorf war sie neben ihrem Kollegen Herrn Doktor Aberlein als gute und aufopfernde Ärztin bekannt. Sie schien seine Gedanken zu lesen und meinte fast tonlos: „Herr Wenkeldon Rath, geben Sie sich keine sonderliche Mühe, nach meinen Beweggründen zu fragen. Sie haben ja meine Akte gelesen. Ich habe schon immer mit Drogen gehandelt und so mir mein aufwändiges Leben finanziert. Ich habe mich mit Finanzaktionen, auf die ich hier nicht eingehen möchte, kräftig in die Nesseln gesetzt. Die Praxis hier betreibe ich mit dem unfähigen Aberlein, der schwer dem Alkohol verfallen ist, als Tarnung.“ Wenkeldon sah plötzlich alle seine vorher überlegten nächtlichen Puzzles, wie, was, mit wem und von wem wohl zusammen passen würde, durcheinander gewirbelt. Schließlich sagte er: „Ich danke Ihnen für die Ehrlichkeit und nun noch zum Gärtner Horatio Müllersohn. Sie können sich sicherlich meine Frage denken.“ Sie nickte und sagte: „Sie meinen, warum er das, wie Sie sagten, feine, aber kleine Loch in die Stirn gefräst bekam? Im Leben ist es immer wieder so, erst sind alle begeistert, dann folgt die Begehrlichkeit, die sich zur Gier ausweitet und dann die brutale Erpressung. Er hatte eine neue Frau gefunden, er wollte ihr imponieren, verhob sich finanziell mit der neuen Flamme und wollte den Säufer Aberlein der Ärztekammer melden. Ich hätte ihn nie mit in das Boot ziehen dürfen. Aberlein ist ein schwacher Mensch und verlor sofort die Nerven. Er wollte nach einem Patientenbesuch mit Horatio noch einmal in Ruhe reden und muss sofort die Nerven verloren haben, als Horatio mit seiner Erpressung das Doppelte forderte. Wie mir Zebelnig Aberlein unter Tränen erzählte, stand Horatio in der Mitte des Gewächshauses, hier wo wir nun stehen und schoss ihm in die Stirn. Das ist alles.“ Wenkeldon sah sie überrascht an. „Das wusste ich nicht, ich dachte....“

Plötzlich fuhren sie herum, als eine schrille, hysterische Stimme sie erreichte: „Was dachtest du, du alter Schnüffler, in dem Schafsfell eines betulichen Gelehrten? Und du, Frau Kollegin, die mich als unberechenbaren Alkoholiker beschimpft und selber Drogen nimmt?“ Sie sah ihn blass an und stammelte: „Nein, ich nahm früher Drogen, aber nie die Kieselpflanze von Merikator. Heute nehme ich nichts mehr, ich verdiene nur gut damit.“ Er stand da, der Doktor Aberlein, mit einer Flasche Schnaps in der Hand und nahm einen großen Schluck. In der anderen Hand hatte er ebenfalls eine handliche, kleine italienische Damenpistole. Jetzt brüllte er mit einer fast übergeschnappten Stimme: „Na und, wie soll es nun weitergehen? Ich erschieße euch beide und drücke dir, Gelehrtenopa, die Waffe in die Hand. Dann sieht es wie ein Drama aus und die lahmen Beamten werden die Akte wieder schnell schließen.“ Er lachte und fühlte sich sicher. Frau Zenker wagte einen kleinen Schritt auf ihn zu und berührte die Tomatenpflanzen. Eine dicke, rote Tomate kullerte auf den Boden und das brachte Wenkeldon auf eine Idee. Er bückte sich nach der Tomate und für sein Alter sehr beachtlich schnellte er unter dem Pflanztisch zu Doktor Aberlein und riss ihn von den Füßen. Dieser schrie auf und der nächste Pflanztisch in der Reihe stürzte krachend um. Im Hechtsprung, sozusagen untertage, fiel ihm ein, dass er die Reaktion der Frau Zenker nicht beachtete. Würde sie ihrem Kollegen helfen und der Aberlein würde ihm in dem Tohuwabohu von Pfanzenerde, Drogenpflanzen und den mehr oder minder reifen Tomatenpflanzen den Garaus einleiten? Wenkeldon brüllte unter dem Tisch hervor: „Schnell, Frau Zenker, retten Sie Ihre Seele und helfen Sie mir, dieses Scheusal zu überwältigen.“

Sie schien tatsächlich einen winzigen Wimpernschlag lang zu überlegen und es musste ihr seine Aussage zu seinem Kollegen eingefallen sein, den er per Mail informiert hatte, was allerdings nur zum Teil stimmte. Er hatte tatsächlich einem alten Studienkollegen als Lebensversicherung einige vage Andeutungen gemailt und ihn gebeten, falls ihm etwas zustoßen würde, sollte er den leitenden Oberstaatsanwalt, einen jungen Mann, informieren. In keinem Fall die Polizei. Sie lief wieselschnell über die Tische, sprang den letzen Meter über das Holzgestell und zog den sichtlich verblüfften Kollegen Aberlein an der Schulter hoch. Die Waffe war ihm längst aus der Hand geglitten und lag irgendwo in dem braunem Torfmull. Frau Zenker hatte ihre Waffe aber noch in der Hand und zeigte sie ihrem Kollegen mit funkelnden Augen. Wenkeldon zog sein Handy aus der Tasche und wählte den jungen Oberstaatsanwalt an. Er hatte sich vorsorglich mit rot auf der ersten Seite seiner Unterlagen die Telefonnummer notiert und auch in seinem Handy gespeichert. Wenkeldon meldete sich und gab einen kurzen Bericht ab. Er lauschte in sein Handy, nickte schließlich und klappte das Handy zu. Während des ganzen Gespräches hatte er den Herrn Aberlein und auch ein wenig die Frau Zenker nicht aus den Augen gelassen. Sie hielt ihren ehemaligen Praxiskollegen nun mit eisernem Griff fest und sagte zaghaft zu Wenkeldon: „Was meinen Sie, was wird mir der Ankläger aufbrummen?“ Wenkeldon schlug mit der Hand die Blumenerde von seiner Hose, denn Blumenerde hatte er noch nie auf seiner Kleidung leiden können. „Der Ankläger, also der junge Oberstaatsanwalt, fordert zum Abschluss Ihres Prozesses nur das Strafmaß. Die Strafe selber setzt die Kammer aus den Berufsrichtern fest und, da ich aussagen werden, Sie hätten mir letztlich das Leben gerettet, werden Sie wohl glimpflich davon kommen. Aber ich bin kein Richter und ich kann Ihnen nur raten, reinen Tisch zu machen und alles schonungslos offenzulegen. Ihre Approbation als Ärztin werden Sie aber wohl abgeben müssen.“ Serberito Zenker sah Wenkeldon an, als wäre sie froh, dass der bisherige Weg endlich zu Ende war.

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