Читать книгу Wie isses nur tödlich - Günther Seiler - Страница 3
Deine unsichtbaren Freunde. "
ОглавлениеDer Polizeibeamte von der Polizeistation Norden, Herbert Jörn Büchel, ließ erschöpft den Brief sinken. Er war blass geworden und seine Hände zitterten stark, was man deutlich an dem Brief sehen konnte. Nelli saß zusammengekauert, mit hochgezogenen Knien auf dem Garagenboden und hatte ihren Kopf mit den verweinten Augen auf die Knie gelegt und mehrfach während des Vorlesens des Briefes laut aufgestöhnt. Der Beamte Büchel sagte: „Alles scheinen die aber nicht zu wissen, denn der Familienname wurde hier falsch geschrieben.“ Der Notarzt sah sie sorgenvoll an. Herr Büchel drehte sich um und sagte laut: „Damit das klar ist, von dem Gehörten wird von euch kein Gebrauch gemacht, das ist absolut geheim! Bitte erzählt keinem Menschen etwas. Das gilt auch für dich, Zeitungsbote!“ Alle nickten und der Sanitäter brachte Nelli ins Haus. Der Zeitungsbote nahm mit zitternden Knien seine Runde wieder auf, während die Polizei ohne Erfolg mit den Stablampen das Haus und den Garten von außen absuchte. Langsam wurde es hell.
Im zuständigen Polizeipräsidium in Aurich, An der Goslarer Straße 24, in der Nähe der Fußgängerzone, saß die Polizeipräsidentin Frau Hinrika Bruns-Werheim in dem Büro der leitenden KOK, Kriminaloberkommissarin Elseke Oltmanns, zusammen mit der Kommissarin Frauke Nissen und der Profilerin der Polizei, Frau Heidelinde Gambrino–Spezzano und sahen schweigend die Kopien des Erpresserbriefes aus Marienhafe durch. Das Original war nach Wiesbaden zum Bundeskriminalamt zur Untersuchung geschickt worden. Sie alle vier waren von dem Bericht des Polizeibeamten Büchel geschockt. Er hatte gerade das Büro verlassen und Frau Bruns-Werheim, hier in der Behörde nur liebevoll Bruni genannt, hatte dem Beamten für zwei Tage frei gegeben. Frau Döhring-Feyke war noch am Vormittag in das Krankenhaus nach Oldenburg mit dem Hubschrauber geflogen worden, es war ihr nach dem Verlesen des Briefes immer schlechter gegangen.
In dem Lokal ‚Windschiefe Kate‘ waren schon seit Stunden die Kollegen der Spurensicherung an der Arbeit. Die Wirtsleute Buhrfeind wurden von der Einsatzgruppe der Kripo verhört, aber bisher waren keine brauchbaren Ergebnisse zustande gekommen. Ein Hubschrauber der Polizei der Einsatzstaffel aus Oldenburg überflog schon die ganze Zeit das gesamte Gebiet und suchte auch mit der Wärmebildkamera die Moore ab. Der Hubschrauber landete nur zum Auftanken auf dem Bundeswehrflugplatz in Wittmund. Ab Mittag lösten zwei Hubschrauber aus Hannover und Bremen die Kollegen aus Oldenburg ab.
Der rabiate jugendliche Martin Mewes wurde zuhause aus seinem alkoholbedingten Tiefrausch von seiner Mutter wachgerüttelt, damit Kripobeamten ihn befragten konnten. Sie hatten ein selten dämliches Gesicht am frühen Morgen gesehen. Seine Mutter bestätigte, dass ein Taxi den Martin nach Hause gebracht hatte, die genaue Uhrzeit könnte sie nicht sagen, es müsste so gegen drei Uhr gewesen sein.
Danach fuhren die Beamten zum Jugendwart Uffe Helms, zu Fokken Albers und Heddine Altendorf. Die Protokolle wurden aufgenommen und im Schreibzimmer angefertigt. Greifbare Erkenntnisse gab es bisher immer noch nicht.
Die Polizeipräsidentin Hinrika Bruns-Werheim stand jetzt nach einer kleinen Bürowanderung mit verschränkten Armen am Fenster und steckte sich eine Zigarette an. Sie durfte hier in ihrem Zimmer rauchen. Sie sah den blauen Rauchkringeln nach und sagte ruhig: „Die ersten vierundzwanzig Stunden nach einer Entführung sind die wichtigsten. Danach wird es immer schwerer. Die Entführer spielen auf Zeit und wollen die Nerven der Beteiligten aufreiben.“ Sie hatte die Ermittlungen in diesem Fall ihrer sehr bewährten und äußerst fähigen Beamtin Elseke Oltmanns anvertraut, die sofort ein kleines Team mit den Damen Frauke Nissen und Heidelinde Gambrino-Spezzano gebildet hatte. Frau Nissen kam aus Borkum, ihre Eltern hatten dort ein Hotel mit einem angegliederten Restaurant. Heidelinde stammte von italienischen Eltern aus Sizilien ab, die sich auf Borkum im Restaurant der Eltern von Frauke Nissen kennengelernt hatten. Wie das Leben so spielte. Inzwischen waren die Eltern nach Sizilien zurückgezogen, während Heidelinde hier geblieben war. Ihre Eltern hatten sich damals versprochen, ihrem Kind einen deutschen Vornamen zu geben. Aber ein echter ostfriesischer Vornamen sollte es doch nicht sein, den würde in ihrer Heimat keiner richtig aussprechen können. Heidelinde war von dem Bundeskriminalamt in Wiesbaden und bei der englischen Polizei in London zur Profilerin ausgebildet worden und hatte zusätzlich eine Ausbildung für das Sondereinsatzkommando bei der Bundespolizei absolviert.
Elseke Oltmanns war Trägerin eines Schwarzgurtes für Selbstverteidigung, während Frauke Nissen im Turnen in der Schule schlecht gewesen war. Auch heute noch war sie eine bekennende Nichtsportlerin, wie sie immer betonte. Sie hatte aber einen Vorteil. Gescheit waren sie alle hier im Raum, aber Frauke war blitzgescheit, furchtlos und hatte einen scharfen, analytischen Verstand.
Bruni drückte ihre Zigarette aus, klatschte in die Hände und sagte: „So, Kinder, jetzt mal Butter bei die Fische, wie soll die Sonderkommission heißen und wie verteilen wir die Arbeit?“ Heidelinde sah ihre direkte Vorgesetzte Elseke Oltmanns an und als diese mit der Schulter zuckte, sagte Heidelinde: „Soko Fisch.“ Bruni blickte sie ungläubig an: „Soko Fisch? Warum Fisch? Weil wir hier in Ostfriesland sind?“ Heidelinde lachte und meinte: „Nein, bei meinen Eltern in Sizilien bekommt einer von der Mafia einen Fisch an die Tür als eine Art Warnung genagelt. Aus dem Grunde schlage ich den Namen vor. Er ist kurz, prägnant und alle denken, wie du Bruni, es hat mit Ostfriesland zu tun.“ Die Polizeipräsidentin meinte: „Nicht schlecht, wenn du zustimmst, Elseke, können wird den Namen nehmen.“ Elseke sagte: „Klar, nehmen wir. Wie heißt es so schön, der Fisch stinkt am Kopf zuerst.“
Frauke war blass und machte ein nachdenkliches Gesicht: „Leute, der ganze Schmus in dem Erpresserbrief ist abgekupfert, um allen Angst zu machen. Wir sollen glauben, hier würde eine Art internationale Mafia dahinterstecken, damit alles schnell nach deren Plan geht. Warum soll sich ausgerechnet eine Erpresserbande, die angeblich als Auftragshelfer arbeitet, hier bei uns in Ostfriesland einen Richter schnappen? In dem Brief werden deutliche Anschuldigungen zu Korruptionsvorwürfen sowohl bei der Frau als auch bei dem Mann erhoben. Wir sollten Ermittlungsteams bilden, die sich nur mit den einzelnen Punkten beschäftigen. Die Banken müssen befragt werden, die Krankenhausleitung und wir sollten uns die Krankenakten der letzten Zeit zu den Einweisungen durch den Richter an die Klinik seiner Frau vornehmen. Es könnte ja auch sein, dass sich da ein ehemaliger Insasse oder ein Angehöriger rächen will. Der Martin Mewes hatte es ja bereits in seinem betrunkenen Kopf im Saal für alle hörbar herausgebrüllt. Auch wenn der Martin vielleicht sauber ist, zumindest ist das von ihm in der Wut Ausgerufene ein Thema bei den Jugendlichen, eventuell auch bei anderen Boßelern. Es könnte ja auch sein, dass einer von den Sportskameraden den Richter nicht leiden kann und er eine Steilvorlage von Martin für die Tat bekam.“ Heidelinde sah sie an und meinte: „Ich habe schon an einigen Entführungen teilgenommen.“ Die anderen lachten laut auf und da musste Heidelinde über sich selber lachen: „Nein, auf der Seite der Guten natürlich. Mir erschien der Brief auch etwas zu dick aufgetragen. Die teilen selber mit, sie freuen sich, wenn Polizei oder Privatdetektive eingeschaltet werden, die allerdings unter ihrer Augenhöhe angesiedelt sind. Und die dann irgendwann angeschwemmt, sprich also umgebracht, werden würden. Das Ganze zeugt von einer überheblichen Arroganz und soll, wie bereits gesagt, nur zur Abschreckung dienen. Schnell das Geld in den rosa angesprühten Koffer packen, bei einer Fristüberschreitung wird der Preis gleich mehr als verdoppelt und falls die Übergabe wieder nicht klappen sollte, wird die Falle ganz geschlossen. Die geben ihren Auftrag als nicht erledigt zurück und der Richter wird im Himmel richten.“ Frauke sagte: „Oder in der Hölle.“ Die Damen sahen sie verständnislos an. Frauke fuhr fort: „Ich werde meinen Freund, den Gustav, in meinem Büro aufsuchen. Das, was ich eben sagte, ist aber nur eine Theorie von vielen. Es muss aber einer von den Boßeler Freunden sein, denn wie sonst hätte man in dem Brief von diesen detaillierten Aussagen des betrunkenen Martin gewusst?“ Sie lachten, da sie wussten, dass sie ihren Computer Gustav nannte. Denn Frauke lebte aus Prinzip alleine in ihrer schicken Wohnung hier in Aurich. Elseke rief ihr nach: „Frauke, wie findest du es als bekennende Nichtsportlerin, wenn wir uns heute Nachmittag dort treffen, wo die Boßelfreunde losgegangen sind? Und den Weg als Nordic Walking Gruppe auf dem Fahrradweg ablaufen?“ Frauke drehte sich in der Türfüllung um und meinte: „In Ordnung, wenn du den Bollerwagen ziehst und ich darin sitzen darf?“ Bruni lachte auf und meinte: „Das ist eine gute Idee, ich komme mit und bringe ein paar Thermosflaschen voll mit heißem, schwarzem Tee mit.“ Elseke meinte: „Gut, aber mit Honig! Und dann wollen wir mal sehen, was der Wirt in Rechtsupweg für Augen macht. Wir werden uns aber nicht als Polizeibeamtinnen zu erkennen geben. Ach ja, zu der Theorie, dass es ein oder mehrere Mitglieder der Boßeltruppe waren. In dem ominösen Brief wird mehrfach von Kameras, besser Internetkameras gesprochen. So könnte es auch gut sein, dass in dem Lokal Kameras mit Mikrofonen installiert waren , die alles unsichtbar aufzeichneten. Bei Internetkameras wird es schon schwieriger werden, da die am anderen Ende auch gut und gerne in Neuseeland sitzen könnten.“ Bruni sah sie an: „Wieso Neuseeland? Nur weil du da einmal gerne hin möchtest? Als Dienstreise nicht schlecht, ich komme mit. Ich merke, wir sind schon mitten im Ermittlungsstrudel.“
Sie hatten nur noch wenige Meter zu gehen. Frauke war mit ihren Nordic Stöcken des Öfteren stehen geblieben, weil sie teilweise den Takt falsch angesetzt hatte. Und einmal war sie sogar über den rechten Stock gestolpert. Sie hatte aber alles gelassen und mit Humor genommen.
Als sie auf das Gelände des Gasthofes ‚Windschiefe Kate‘ einbogen, sahen sie den Wirt Rindelt Buhrfeind mit seiner Frau auf dem Platz in eine intensive Diskussion vertieft stehen. Als sie die kleine Gruppe bemerkten, hörten sie sofort zu sprechen auf und sein vorher böses Gesicht hellte sich quasi wie auf Knopfdruck auf. Er lächelte so unnatürlich, dass sogar seine Frau ihn böse von der Seite anschaute und in einem Nebengebäude verschwand. Die Damen lachten und freuten sich, eben wie eine Sportlergruppe, die Etappe geschafft zu haben.
Der Wirt kam auf sie zu und fragte jovial: „Na, ihr Hübschen, wo kommt ihr denn her und wo wollt ihr noch hin?“ Er grinste anzüglich und Frauke machte ein dummes Gesicht: „Wir sind vom Häkelbüddelverein aus Wilhelmshaven und wir wollen noch bis Tannenhausen. Dort steht unser Auto. Wir wollen uns aber hier bei Ihnen aufwärmen. Wir sind alles Arbeitskollegen von der Zulassungsbehörde aus Wilhelmshaven. Können wir bei Ihnen eine heiße Zitrone haben?“ Der Wirt witterte seine Chance und meinte in einer abstoßenden Art, die er wohl für verführerisch bei Damen aus der Zulassungsstelle hielt: „Na klar, ich setze gleich Wasser auf, wenn mir die Damen folgen wollen.“ Dabei grinste der Wirt Rindelt widerlich und die Damen mussten sich zusammen nehmen, als sie seine ungepflegten, gelben Zähne sahen.
Sie stellten ihre Stöcke an die Hauswand des Lokals ab und gingen in den Gastraum. Es waren keine Gäste anwesend, der Raum war leer und sehr warm. Der Kamin bollerte ordentlich und das Holz knackte. Die Funken stoben auf, als einige glühende Scheite in sich zusammenfielen. Der Wirt ging um seinen Tresen und versuchte, einen Wanderprospekt unter einen Stapel von Tageszeitungen verschwinden zu lassen. Frauke bemerkte es von den Damen als einzige und blickte unauffällig und interessiert durch den Raum. Rindelt rief in die Küche seiner Frau zu, sie solle gleich das heiße Wasser mitbringen. Rindelt hatte schon die Tassen für die vier Damen auf den Tresen gestellt und war damit beschäftigt, die frischen Zitronen auszupressen. Rindelt drehte sich um und wischte sich die Hände in dem Handtuch ab: „Meta!“ Er rief lauter als sich in der Küche oder in den Räumlichkeiten dahinter nichts rührte: „Meta, bring bitte das Wasser vom Herd mit!“ Er lauschte, aber es rührte sich nichts. Daher drehte sich der Wirt um und ging in die Küche.
Auf diesen Augenblick hatte Frauke gewartet. Während sich die anderen weiter unterhielten, beugte sie sich über den Tresen, nahm den Stapel Zeitungen hoch und sah den Prospekt. Sie blätterte ihn auf und entdeckte ein dickes Kreuz, das auf der freien Fläche im Hoddelker Moor in der Nähe der kleinen Ortschaft Tannenhausen eingezeichnet war. Daneben stand: Nach drei Tagen, hier Pinkkoffer. Frauke legte schnell den Prospekt unter die Zeitungen zurück, drehte sich harmlos unterhaltend zu den Damen um und sagte laut: „War das eben auf der Landstraße nach Rechtsupweg nicht lustig? Ich habe vor zwei Tagen an den Händler Meierjohann aus Tannenhausen ein rotes Kennzeichen ausgegeben, das mit der Nummer 33 endete. Genau dieses Kennzeichen habe ich dort gesehen. Ist doch ein komischer Zufall, oder?“ Bruni sah sie besorgt an. Hatte sie sich durch den Marsch vielleicht zu sehr körperlich angestrengt?
Der Wirt goss das heiße Wasser ein und stellte die dampfenden Becher auf den Tresen: „So, die netten Damen, erst einmal etwas Warmes von dem netten Onkel Buhrfeind für den langen Marsch zum Aufwärmen.“ Frauke nahm ihren Becher und sagte: „Ich nehme meine Zitrone mit, ich gehe vor die Tür eine rauchen, kommt jemand mit?“ Der Wirt meinte: „Ihr könnt hier ruhig rauchen, ich halte es nicht so genau mit dem Rauchverbot.“ Heidelinde sagte: „Wir sind von der Po...“ Weiter kam sie nicht. Die Polizeipräsidentin stieß ihr heftig gegen das Bein. Heidelinde begriff schnell und sagte, als der Wirt sie groß anblickte: „Wir sind von der populären Zulassungsabteilung für Oldtimerzulassungen mit dem sogenannten H-Kennzeichen. Das H steht für Historie. Bisher wurden diese alten Autos immer nur in Oldenburg zugelassen und jetzt seit Neuestem auch bei uns in Wilhelmshaven. Wir sind für ganz Ostfriesland zuständig.“ Heidelinde strahlte, als hätte sie die Kennzeichen selber geprägt. In Wirklichkeit freute sie sich, dass sie geschickt die Kurve bekommen hatte. Die Anderen sahen sie an und nickten zustimmend. Heidelinde sagte zu Frauke: „Ich komme mit vor die Tür, ich habe auch Appetit auf eine Zigarette. Mit tun richtig die Füße weh.“ Der Wirt lachte.
Auch Heidelinde nahm ihren Becher und fasste ihn am Henkel an, der Becher war noch sehr heiß. Sie schlossen die Gasthoftür, Frauke suchte nach ihrer Zigarettenschachtel und bot Heidelinde eine Zigarette an. Als sie Heidelinde das Feuerzeug gab, nachdem sie ihre Zigarette angezündet hatte, sah sich Frauke vorsichtig um und flüsterte: „Der Wirt steckt mit in der Entführung drin. Im Prospekt ist eine Markierung im Hoddelker Moor eingezeichnet, mit der Bemerkung: In den nächsten drei Tagen, hier Pinkkoffer.“ Heidelinde sah sie erschrocken an: „Deshalb deine Bemerkung von dem Händler Meierjohann aus Tannenhausen.“ Frauke nickte und flüsterte noch leiser: „Was meinst du, sollen wir gleich zugreifen oder noch abwarten?“ Heidelinde als ausgebildete gute Polizeibeamtin vom Sondereinsatzkommando meinte überlegend: „Wir müssen abwägen. Wenn wir zuwarten und das Geld nicht kommt und die zweite Frist nur eine Tarnung ist, bringen sie den Richter gleich um. Was machen wir, wenn der Richter zum Beispiel hier im Stall ist und wir jetzt abrücken, die Wirtsleute trotz unserer Tarnung Verdacht schöpfen und ihn in ein anderes Versteck schleppen? Dann sehen wir alt aus! Andererseits, wenn wir den Wirt mitnehmen und der Richter nicht hier ist, haben wir mit Zitronen gehandelt. Ich könnte sagen, entscheide du, du bist im Rang höher als ich und ich muss deinen Befehl ausführen. Wir sind aber auch Freundinnen und haben ein so gutes Verhältnis in der gesamten Truppe! Deswegen sage ich, Zugriff!“ Frauke nickte und sagte: „Du bist körperlich trainierter als ich. Schnappen wir ihn! Ach, ich hätte gerne eine Kamera im Raum, um festzuhalten, wie die anderen von unserer plötzlichen Aktion überrascht sein werden!“
Heidelinde drückte ihre Zigarette aus, Frauke warf ihre Zigarette brennend in den großen Sandeimer vor dem Eingang. Sie hielten vor der Tür kurz inne, konzentrierten sich und gingen dann laut scherzend und lachend mit ihren Bechern in den Gasthof zurück. Der Wirt hinter der Theke beobachtete aufmerksam die beiden eintretenden Damen, dann stellte er das polierte Bierglas in das obere Regal und sah kurz nach oben. Frauke warf ihren Becher mit einem gezielten Wurf klirrend an die Wand hinter dem Wirt und die anderen Kolleginnen sagten nahezu synchron: „Frauke, bist du übergeschnappt?“ In diesem Augenblick hechtete Heidelinde mit einem gekonnten Satz über den Tresen und riss im Fallen den Wirt krachend zu Boden.
Der Polizeipräsidentin stockte erst der Atem, aber dann ahnte sie blitzartig, dass die Teammitglieder mehr als sie wussten, was sie ihr hier nicht so schnell mitteilen konnten. Frauke lief flink wie ein Wiesel um den Tresen herum und knallte die Tür zur Küche mit einem Schwung so auf, dass diese krachend zersplitterte. Meta Buhrfeind stand am Herd und kochte eine Zwiebelsuppe - so roch es zumindest - und sah sich erschrocken um. Frauke sprang mit einem Satz auf sie zu, drehte Meta um die eigene Achse. Meta hatte noch den Griff von dem Topf in der Hand und Frauke rechnete blitzschnell damit, dass Meta den heißen Topf gegen sie als Schlagwerkzeug erheben würde. Sie schleuderte Meta ganz herum, drückte sie auf den Küchenboden und legte ihr Handschellen an. Der Topf mit der dampfenden Suppe ergoss sich auf den Fliesenboden.
Inzwischen waren die anderen beiden Damen ebenfalls um den Tresen in die Küche gekommen und Bruni fragte atemlos: „Was ist denn los?“ Frauke schnaufte vor Anstrengung: „Die gehören zu den Entführern oder sind es selber. Als ich am Tresen saß, sah ich, wie der Wirt Buhrfeind versuchte, einen Prospekt schnell unter dem Zeitungsstapel verschwinden zu lassen. Als er in die Küche ging, um den Kessel mit dem heißen Wasser zu holen, beugte ich mich über den Tresen und sah mir den Prospekt an, warte, ich hole ihn.“ Frauke nahm ein Taschentuch und suchte aus dem Zeitungsstapel den Prospekt heraus. Sie fasste diesen jetzt mit dem Taschentuch an und schlug ihn auf. Bruni las: „Hoddelker Moor, hier ist ein Kreuz. In drei Tagen, Pinkkoffer. Oh je“, entfuhr es ihr. Sie ging in die Hocke und beugte sich zu dem Wirt hinunter: „Herr Buhrfeind, wir sind von der Polizei. Wo ist der Richter Akke Döhring-Feyke, der nach dem Boßeln zum Essen letzte Nacht hier war?“ Rindelt Buhrfeind meinte nur weinerlich „Ihr seid doch von der Zulassungsstelle aus Wilhelmshaven! Polizei? Ich weiß von nichts, ich bin nur ein armer Wirt.“
Die Damen waren noch immer in ihrem Sportlerdress, als sie im Zimmer der Polizeipräsidentin saßen. Die Räumlichkeiten der Gaststätte waren von den Beamtinnen schnell, aber ohne Erfolg, nach dem Richter durchsucht worden, während das Wirtsehepaar von einem zivilen Streifenwagen abgeholt worden war, ohne Aufsehen zu erregen. Sie hatten nun das Für und Wider des schnellen Zugriffes diskutiert und die Polizeipräsidentin hatte das eigenständige Handeln ihrer Beamtinnen gebilligt. Es war ihre Devise, dass ihre Mitarbeiter den Kopf gebrauchen und eigene Entscheidungen treffen sollten, falls die Situation ein schnelles Handeln ohne große Absprachen erforderlich machen sollte.
Leider war der spektakuläre und filmreife Sprung von Heidelinde über den Tresen und die Festnahme der Wirtsleute nicht von Erfolg gekrönt. Der Richter blieb verschwunden und die Frage war, inwieweit die Entführer gewarnt worden waren. Frau Bruns-Werheim meinte nur beruhigend: „Abwarten, Kinder, das Leben geht nicht immer den geraden Weg. Geht an die Arbeit, ich habe das Gefühl, da will irgendwo die Wahrheit ans Licht. Die Wirtsleute werden von uns verhört. Mit dem Haftrichter habe ich schon gesprochen. Sie bleiben für drei Tage hier zur Vernehmung in Haft. Um den Richter nicht zu gefährden, müssen wir es riskieren ihnen vorerst einen Anwalt zu verweigern. Es könnte von der anwaltlichen Seite über ihn oder über sein Büro etwas an die Presse gelangen und dann Prost Mahlzeit.“ Frauke stand auf und sagte lachend: „Mahlzeit, ich gehe in die Kantine.“
Es war spät in der Nacht und der gestrige Tag verging mit intensiver Arbeit. Die Soko ‚Fisch‘ arbeitete auf Hochtouren, aber leider war die Ehefrau des Richters immer noch nicht vernehmungsfähig. In dem Haus waren Spezialisten anwesend, falls sich die Entführer am Telefon oder sonst auf einem anderen Weg melden würden. Alles blieb ruhig. Der Gasthof in Rechtsupweg wurde von einer getarnten Ermittlungsgruppe so diskret wie möglich beobachtet und das Telefon überwacht. Der Gasthof war aufgrund eines ‚Trauerfalles‘ geschlossen, ein entsprechendes Schild war an der Tür angebracht worden.
In dieser letzten Nacht vor dem entscheidenden Tag der Übergabe des pinkfarbenen Koffers, an der vermutlichen Stelle im Hoddelker Moor in der Nähe von Tannhausen, saß Frauke nachdenklich rauchend in ihrem Büro und hatte schon vom vielen Hinsehen auf den Bildschirm ihres Computers gerötete Augen. Sie studierte die verschiedensten Tageszeitungen der regionalen und überregionalen Presse, soweit diese im Internet vorhanden waren.
Plötzlich stutzte Frauke und vergaß, ihre Zigarettenasche in den Aschenbecher abzustreifen. Als sie die Hitze der Glut an ihrem Finger bemerkte, drückte sie die Zigarette schnell aus. Sie wurde bei der Nachricht in der Zeitung, die schon drei Jahre zurück lag, starr vor Schreck. Dann aber schlug sie laut triumphierend auf ihre Schreibtischplatte. Frauke sah zur Uhr. Es war kurz vor drei Uhr in der Nacht, als sie zum Telefonhörer griff und ihre Vorgesetzte Elseke Oltmanns aus tiefen Schlaf holte.
Der entscheidende Tag brach an. In der Lagebesprechung kam das Team der Polizei überein, nicht das Hoddelker Moor zu beobachten, da sie dort keinerlei Aufsehen erregen wollten. Frauke berichtete von ihrem nächtlichen Computerfund. Sie kamen überein, Frauke und Heidelinde von der Aktion der Lösegeldübergabe freizustellen. In dem Haus der Döhring-Feyke waren zusätzliche Beamte anwesend, die gebannt auf das Telefon starrten. Frau Nelli Döhring-Feyke saß wie abwesend in dem Zimmer, sie hatte von ihrem Hausarzt starke Beruhigungstabletten bekommen. Ihre Anwesenheit war aber aus ermittlungstaktischen Gründen notwendig, denn sie musste sich ja am Telefon melden, falls die Entführer anriefen.
Die Warterei war grauenvoll und man konnte die Nervenanspannung in dem Raum fast mit Händen greifen. Da klingelte es an der Tür und alle schreckten hoch. Elseke hatte vergessen, einen Beamten vor die Tür zu stellen und so ging sie selber zur Wohnungstür. Dort stand der Schuster von nebenan mit seiner Schürze und sah unsicher Elseke an, die zu ihm sagte: „Ich bin eine Freundin von Nelli.“ Der Schuster antwortete: „Ich hatte gerade einen merkwürdigen Anruf. Da sagte eine männliche Stimme, Nelli möchte bitte an den pinkfarbenen Koffer heute um vierzehn Uhr denken. Der Koffer soll auf der freien Fläche Hoddelker Moor in der Nähe von Tannhausen stehen. Er wiederholte die Uhrzeit und ich sollte es hier ausrichten, da der Anrufer angeblich Nelli nicht erreichen konnte. Das wollte ich nur sagen. Wenn ich als Nachbar helfen kann, soll Nelli es mich wissen lassen.“ Elseke bedankte sich freundlich und schloss die Tür. Sie gab das Startzeichen.
Die Polizeipräsidentin hatte ihren eigenen Führungsstil, sie wollte nicht nur in ihrem Zimmer auf Ergebnisse warten, sondern war bei einigen Einsätzen selber präsent. Das fand nicht immer die Zustimmung der Beamten, sie konnten aber sicher sein, dass sie immer über die Sorgen und Nöte ihrer Mitarbeiter informiert war und so detailliert Vorschläge zur Verbesserung der Polizeiarbeit in den höchsten Polizeikreisen und in der Politik unterbreiten konnte.
In dem alten grünen Lieferwagen einer Wäschefirma saßen neben der Polizeipräsidentin Hinrika Bruns-Werheim noch Elseke Oltmanns und zwei vermummte Spezialkräfte des Einsatzkommandos aus Hannover. Diese hatten eine ganze Armee ihrer Leute auffahren wollen, jedoch hatte Bruni nach einem Donnerwetter den verständlichen Tatendrang der Spezialisten gebremst. Bruni wollte kein großes Aufsehen erregen und daher hatten sie sich schon vorher einen unauffälligen Weg zum Hoddelker Moor mit Hilfe eines Jägers gesucht. Der Wäschewagen stand nun im Gebüsch, mit seiner grünen Farbe recht gut getarnt. Das Ganze hatte auch etwas Komisches an sich, so wie die beiden Spezialpolizisten, ein Mann und eine Frau, auf der Ladefläche auf einer alten Matratze saßen. Bruni hatte höchstpersönlich das Auto gesteuert und Elseke hatte ihren Feldstecher hochgenommen und sich suchend umgesehen. Alles war normal. Nelli war in einem anderen Auto von ihrer Freundin zu diesem Treffpunkt gefahren worden und stieg nun mit wackeligen Beinen aus. Sie stellte auf das einzige freie Stück hier im Moor den pinkfarbenen Koffer mit dem Lösegeld gut sichtbar hin. Allerdings hatten die Kollegen von der Technik nur die ersten und letzten Scheine in den Stapeln mit echtem Geld versehen, der Rest war wie im Kino gleich groß mit wertlosem Papiergeld aus Zeitungen präpariert.
Sie warteten. Auf der Ladefläche hörten sie verständlicherweise ein unruhiges Scharren, die Position war auch nicht unbedingt komfortabel. Wenn man sich vorstellte, dass die beiden Spezialkräfte aus dieser verkrampften Haltung heraus aus dem Stand körperlich fit sein sollten! „Wie die das bloß schaffen“, dachte Bruni.
Es verging eine weitere Stunde und nur das auf stumm gestellte Funkgerät blinkte ab und zu auf und eine Stimme kam leise flüsternd über den digitalen Funk. Ansonsten wollte man eine strikte Funkdisziplin halten. Aus reinem Zeitvertreib sah Elseke den Möwen nach. Plötzlich wurde sie stutzig, sie sah näher hin. Das am Himmel war doch keine Möwe! Jetzt hörte sie ein leises, monotones Motorengeräusch und in ihrem Glas konnte sie ein Fluggerät erkennen, das rasch größer wurde und an Höhe verlor. Jetzt sah sie es und sie sagte aufgeregt: „Sieh einmal, Bruni, da kommt etwas angeflogen. Das sieht wie ein Motorroller mit einem Lenkdrachen oberhalb des Rollers aus. Der Pilot scheint das Fluggerät mit einer Stange des Lenkdrachens zu steuern.“ Die Polizeipräsidentin hatte ebenfalls ihr Glas an den Augen, suchte den Himmel ab und fand das Leichtflugzeug.
Der Pilot steuerte auf den freien Platz im Hoddelker Moor zu, nahm Gas weg und landete direkt neben dem pinkfarbenen Koffer, griff geschickt mit einer Hand den Koffer und gab Vollgas. Der Motor heulte auf und das Leichtflugzeug brauchte keine nicht lange, um wieder an Höhe zu gewinnen. Der Pilot steuerte in die gleiche Richtung, aus der er gekommen war. Elseke sagte zu Bruni: „Ich möchte jetzt mal unsere dummen Gesichter sehen. Wir haben vor Aufregung nicht einmal Fotos von dem fliegenden Ding gemacht.“ Auf der Ladefläche klopfte es und eine dunkle Stimme, von der Sturmmaske gedämpft, sagte: „Was ist los, können wir zum Einsatz kommen?“ Bruni bekam einen Lachanfall und Elseke lachte laut mit. Sie öffneten die Hecktür, die beiden Spezialkräfte stiegen aus und mussten sich einmal recken. Bruni sagte: „Danke für alles. Ihr könnt eure Masken abnehmen. Unser Vogel ist mit dem Pinkkoffer entflogen.“ Sie zeigte in die Flugrichtung und alle sahen sich ratlos an. Nur Bruni und Elseke hatten einen kurzen Blickkontakt und lächelten.
Auf dem kleinen Flugplatz in Barßel mit der Kennnummer EDXL zwischen Papenburg und Bad Zwischenahn saßen in einem der acht zivilen Streifenwagen Frauke Nissen und Heidelinde Gambrino-Spezzano mit einer gemischten Truppe von Spezialkräften aus Hannover und Oldenburg, die man an den ebenfalls schwarzen Sturmhauben erkennen konnte, und mit eigenen Kräften aus Emden, Norden und Wilhelmshaven. Diese Kräfte saßen in zwei Mannschaftswagen, da Bruni darauf bestanden hatte, hier kein Risiko einzugehen. Frauke musste sich beugen. Im Innersten ihres Herzens war sie aber ganz froh, hier eine schlagkräftige Mannschaft der Kollegen zur Unterstützung zu haben. Die Fahrzeuge standen alle im kleinen Hangar des Fliegerclubs der Leichtflugzeuge von Barßel, die Beamten waren alle verteilt worden. Nun war Warten angesagt. Bei der Mehrzahl aller Fällen bestand die Polizeiarbeit ohnehin nicht in wilden Aktionen, sondern aus zähem Warten.
Nach einer Stunde hörten sie Motorengeräusche am Himmel und ein kleines Leichtflugzeug, das wie ein fliegender Roller für zwei Personen aussah, schwebte ein. Der Motor wurde gedrosselt und der Roller landete. Der Pilot lenkte gekonnt und geschickt sein fliegendes Gefährt bis vor den vereinseigenen Hangar, vereinzelt gab er Gas. Der Pilot war alleine in dem Fluggerät, er schnallte sich ab, stellte den pinkfarbenen Koffer auf den Boden und schwang sich heraus. Direkt neben dem Leichtflugzeug stand ein Kerosinfass mit einer Handpumpe, hinter dem sich Frauke und Heidelinde versteckten. Frauke stand aus der Hocke auf und befand sich nun im Rücken des Piloten. Dieser war gerade dabei, seinen Helm abzunehmen, als Frauke sagte: „Guten Tag, Herr Richter.“ Akke Döhring-Feyke drehte sich blitzschnell erschrocken um. Aus der Luft hatte er doch noch mit seinem Glas den Flugplatz abgesucht und nichts Verdächtiges bemerkt!
Ehe er sich versah, war Heidelinde bei ihm, drehte seine Arme auf den Rücken und während sie ihm die Handschellen anlegte, verlas Frauke ihm seine Rechte. Sie schloss mit den Worten: „Auch wenn Sie das als Jurist alles kennen, der Gesetzgeber verlangt es so. Auch einem Richter müssen wir seine Rechte vorlesen. Herr Döhring-Feyke, wir verhaften Sie wegen Vortäuschung einer versuchten Entführung, ihrer eigenen, und wegen einer Lösegelderpressung. Wir führen Sie gleich nach dem ersten Verhör im Präsidium dem Haftrichter vor.“ Akke sagte nichts mehr, er war überrascht, dass man ihn geschnappt hatte, und überlegte, wo er wohl einen Fehler gemacht haben könnte. In Gedanken meinte er aber zu sich selber: „Dazu habe ich ja in der Haft Zeit genug und sogar eine gedankliche Aufgabe. Denn nichts ist langweiliger, als hinter Gittern nichts zu tun zu haben. Das haben mir schon viele Häftlinge bei weiteren Anhörungen in ihrer Sache gesagt. Die werden sich sicher freuen, einen Richter unter den Knackis zu haben.“ Akke sah resigniert hoch. Frauke sah ihn an und fragte: „Wollten Sie etwas sagen?“ Akke schüttelte den Kopf. Und während er in den zivilen Streifenwagen verfrachtet wurde, hielt Heidelinde beim Einstieg in das Fahrzeug schützend ihre Hand über seinen Kopf.
Im Präsidium ging es hoch und ausgelassen her. Frauke stand im Mittelpunkt und musste erzählen, was sie spät in der Nacht in der Internetzeitung gefunden hatte. Frauke hatte ein Glas Saft mit ein wenig Sekt in der Hand und alle im Raum waren ganz still, als Frauke loslegte und Elseke ansah: „In der ersten Besprechung nach der Entführung hast du, Elseke, etwas gesagt, dass mich wie ein elektrischer Impuls erfasste. Es ging um die Namensfindung der Sonderkommission. Heidelinde hatte ihre sizilianischen Wurzeln hervor gesucht und meinte, in Sizilien würde ein Fisch als Warnung an die Tür genagelt werden. Wir sollten die Soko einfach Fisch nennen, weil hier in Ostfriesland der Begriff unverfänglich wäre. Darauf hattest du, Elseke, gesagt, der Fisch fängt am Kopf zu stinken an. Ich wusste nicht, warum, wir hatten ja den Erpresserbrief genau durchstudiert und haben die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die ganzen Drohungen irgendwie übertrieben waren. Wir sagten noch, warum sollten ausgerechnet die Profis für Entführungen hier nach Ostfriesland kommen, wo die doch angeblich weltweit und brutal aktiv waren. Der ausschlaggebende Punkt war aber die Binsenweisheit, dass der Fisch vom Kopf her zu stinken anfängt, was übrigens wirklich so ist. Mir kam die Eingebung, der stinkende Fisch ist der Richter selber, er hatte alles mit Hilfe der Wirtsleute Buhrfeind aus Rechtsupweg inszeniert. Ich glaube nicht, dass die Frau des Richters etwas davon wusste, obwohl hier noch der Vorwurf der Korruption im Vordergrund steht. Ihr Mann hat sie in seinem vorgetäuschten Erpresserbrief selber ans Messer geliefert, das sollte wohl möglichst alles echt aussehen. Ihr Konto war nicht schlecht gefüllt. Für eine Ärztin im Landeskrankenhaus, die beim Staat angestellt ist und keine große Erbschaft machte, ganz beachtlich. Die Wirtsleute Buhrfeind haben inzwischen alles gestanden. Sie haben finanzielle Gründe angeführt, ihr Lokal stand am finanziellen Abgrund, da immer häufiger die Gäste aus blieben und die jungen Leute auch nicht mehr so wie früher zu ihnen kamen. Sie treffen sich lieber woanders, das ist eben der Trend der Zeit. So erzählte der Wirt. Sie zermarterten sich nachts das Hirn, wie sie gegensteuern konnten. Leider ist ihnen nichts Legales eingefallen. Und da kam ihnen der Vorschlag des Richters ganz gelegen, gegen ein kleines Entgelt mitzuspielen.Mal sehen, welche Gründe der Richter für seine Tat angibt.
Ich habe also die alten Zeitungsartikel durchgesehen und fand einen Artikel über einen Flugtag, den der Fliegerclub Barßel veranstaltet hatte. Und da entdeckte ich den Richter Akke Döhring-Feyke mit seinem Leichtflugzeug stolz in der ersten Reihe. Ich hatte ja bei unserer Nordic Walking Wanderung bis zu dem Lokal ‚Windschiefe Kate‘ in Rechtsupweg den Prospekt gesehen, den der Wirt schnell vor uns unter einem Stapel Zeitungen verschwinden lassen wollte und da wussten wir, wo der leuchtende Koffer mit dem Geld deponiert werden sollte. Ich fing an, eins und eins zusammenzuzählen und konnte mir vorstellen, dass der Lösegeldkoffer so gut aus der Luft erkennbar war und dass dieser mit dem Leichtflugzeug bei einem Touch down vom Boden weggefischt werden sollte. So blieb nur noch die Frage, ob er nach Barßel zurückfliegen würde oder ob er irgendwo ein weiteres Auto versteckt hatte, um danach einfach zu flüchten.
Ich überlegte und versuchte mich, in die Technikverliebtheit der Männer hinein zu versetzen. Männer lieben nicht nur uns Frauen, da machen wir uns nichts vor, sondern auch ganz besonders Autos und andere technische Spielzeuge. Ihr müsstet einmal sehen, wie die Männer zärtlich einen Sportwagen ansehen! So sehen sie wohl nur in den ersten Stunden ihre Partnerin an. Der verliebte Blick für Autos, schnelle Boote und Flugzeuge und all die anderen dampfenden und lauten Spielzeuge bleibt aber immer gleich.“
Ein Kollege vom Einbruchsdezernat sagte: „Die widersprechen ja auch nicht.“ Hier kamen gleich Pfiffe und Gejohle der Damen. Frauke sprach weiter: „Also, ich konnte mir schlecht vorstellen, dass der Richter sein Leichtflugzeug irgendwo einfach abstellt. Mein Tipp war der kleine Flugplatz Barßel und das hat sich ja als richtig herausgestellt.
Der Richter muss die ganze Aktion schon lange geplant haben. Wir haben im Hangar eine Lagestätte gefunden, die von der Spusi noch untersucht wird. Interessant ist auch, dass Heidelinde herausgefunden hat, dass der Richter für morgen einen Flug ab Frankfurt nur für sich nach Brasilien gebucht hat. Er muss sich also sicher gewesen sein, dass das Lösegeld gleich beim ersten Termin gezahlt werden würde, obwohl im Brief ja noch eine Nachfrist der Übergabe eingeräumt worden ist. Als wir mit dem Wäscheauto in Tannenhausen am Übergabeort standen, wussten wir natürlich, dass ein Leichtflugzeug kommen würde. Wir wollten aber nicht alle einweihen, denn wir wollten den Richter ohne großes Risiko und ohne Verletzte auf dem Flugplatz in Barßel einfangen.
Wir mussten also ein wenig Theater spielen. Ach ja, apropos Theater. Der Martin Mewes wusste natürlich von den Plänen des Richters nichts. Dass der Jugendliche Martin dem Richter betrunken damit drohte, mit einer Boßelkugel den Schädel einzuschlagen, kam dem Akke mehr als recht. Allerdings hat er in der Nacht noch seinen Brief umschreiben müssen, bevor er nach Hause schlich und diesen Brief hinter den Scheibenwischer seines Autos steckte, damit seine Frau ihn finden sollte. Danach versteckte sich der Richter in dem Hangar in Barßel. “
Frauke hatte vom Erzählen einen ganz roten Kopf und die ganze Truppe klatschte ihr zu. Auch sie fing an zu klatschen und wandte sich an die anderen Teammitglieder und die Spezialkräfte, die alle hier versammelt waren.
Später standen die Damen der Soko ‚Fisch‘ bei einem Glas Sekt zusammen und sahen sich glücklich an, als die Polizeipräsidentin Hinrika Bruns-Werheim eine kleine Ansprache hielt: „Herzlichen Glückwunsch vom Innenminister aus Hannover und auch von der Polizeiführung aus Oldenburg. Die Wirtsleute aus Rechtsupweg sind bis zu ihrem Prozess wieder frei. Wie sieht es am Wochenende aus, wollen wir noch einmal mit unseren Stöcken dorthin wandern?“ Heidelinde rief glücklich: „Oh, ja, ich möchte so gerne Grünkohl mit Pinkel essen.“ Bruni meinte nachdenklich: „Ich bin mal gespannt, wie die Richter über ihren Kollegen richten werden.“ Frauke meinte trocken: „Damit haben Richter kein Problem, die sagen immer: ‚Das Gericht ist wie ein Barbiersalon, wer hereinkommt, wird rasiert‘.“ Sie sahen sich an und prusteten vor Lachen.