Читать книгу Fabeln und Erzählungen - Г. Э. Лессинг, Gotthold Ephraim Lessing - Страница 5

Der Eremit

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Im Walde nah bei einer Stadt,

Die man mir nicht genennet hat,

Ließ einst ein seltenes Gefieder,

Ein junger Eremit sich nieder.

"In einer Stadt", denkt Applikant,

"Die man ihm nicht genannt?

Was muß er wohl für eine meinen?

Beinahe sollte mir es scheinen,

Daß die,—nein die—gemeinet wär."

Kurz Applikant denkt hin und her,

Und schließt, noch eh er mich gelesen,

Es sei gewiß Berlin gewesen.


"Berlin? Ja, ja, das sieht man bald;

Denn bei Berlin ist ja ein Wald.—


Der Schluß ist stark, bei meiner Ehre:

Ich dachte nicht, daß es so deutlich wäre.

Der Wald paßt herrlich auf Berlin,

Ohn ihn beim Haar herbeizuziehn.

Und ob das Übrige wird passen,

Will ich dem Leser überlassen.

Auf Griechisch weiß ich, wie sie hieß;

Doch wer verstehts? Kerapolis.


Hier, nahe bei Kerapolis,

Wars, wo ein junger Eremite,

In einer kleinen leeren Hütte,

Im dicksten Wald sich niederließ.

Was je ein Eremit getan,

Fing er mit größtem Eifer an.

Er betete, er sang, er schrie,

Des Tags, des Nachts, und spät und früh.

Er aß kein Fleisch, er trank nicht Wein,

Ließ Wurzeln seine Nahrung sein,

Und seinen Trank das helle Wasser;

Bei allem Appetit kein Prasser.

Er geißelte sich bis aufs Blut,

Und wußte wie das Wachen tut.

Er fastete wohl ganze Tage,

Und blieb auf einem Fuße stehn;

Und machte sich rechtschaffne Plage,

In Himmel mühsam einzugehn.

Was Wunder also, daß gar bald

Vom jungen Heiligen im Wald

Der Ruf bis in die Stadt erschallt?


Die erste, die aus dieser Stadt

Zu ihm die heilge Wallfahrt tat,

War ein betagtes Weib.

Auf Krücken, zitternd, kam sie an,

Und fand den wilden Gottesmann,

Der sie von weitem kommen sahe,

Dem hölzern Kreuze knieend nahe.

Je näher sie ihm kömmt, je mehr

Schlägt er die Brust, und weint, und winselt er,

Und wie es sich für einen Heilgen schicket,

Erblickt sie nicht, ob er sie gleich erblicket.

Bis er zuletzt vom Knieen matt,

Und heiliger Verstellung satt,

Vom Fasten, Kreuzgen, Klosterleben,

Marienbildern, Opfergeben,

Von Beichte, Salbung, Seelenmessen,

Ohn das Vermächtnis zu vergessen,

Von Rosenkränzen mit ihr redte,

Und das so oratorisch sagt,

Daß sie erbärmlich weint und klagt,

Als ob er sie geprügelt hätte.

Zum Schluß bricht sie von seiner Hütte,

Wozu der saure Eremite

Mit Not ihr die Erlaubnis gab,

Sich einen heilgen Splitter ab,

Den sie beküsset und belecket,

Und in den welken Busen stecket.

Mit diesem Schatz von Heiligkeit

Kehrt sie zurück begnadigt und erfreut,

Und läßt daheim die frömmsten Frauen

Ihn küssen, andre nur beschauen.

Sie ging zugleich von Haus zu Haus,

Und rief auf allen Gassen aus:

"Der ist verloren und verflucht,

Der unsern Eremiten nicht besucht!"

Und brachte hundert Gründe bei,

Warum es sonderlich den Weibern nützlich sei.


Ein altes Weib kann Eindruck machen;

Zum Weinen bei der Frau, und bei dem Mann zum Lachen.

Zwar ist der Satz nicht allgemein;

Auch Männer können Weiber sein.

Doch diesmal waren sie es nicht.

Die Weiber schienen nur erpicht,

Den teuern Waldseraph zu sehen.

Die Männer aber?—wehrtens nicht,

Und ließen ihre Weiber gehen.

Die Häßlichen und Schönen,

Die ältesten und jüngsten Frauen,

Das arme wie das reiche Weib,—

Kurz jede ging, sich zu erbauen,

Und jede fand erwünschten Zeitvertreib.


"Was? Zeitvertreib, wo man erbauen will?

Was soll der Widerspruch bedeuten?"

Ein Widerspruch? Das wäre viel!

"Er sprach ja sonst von lauter Seligkeiten!"—

Oh! davon sprach er noch, nur mit dem Unterscheide:

Mit Alten sprach er stets von Tod und Eitelkeit,

Mit Armen von des Himmels Freude,

Mit Häßlichen von Ehrbarkeit,

Nur mit den Schönen allezeit

Vom ersten jeder Christentriebe.

Was ist das? Wer mich fragt, kann der ein Christ wohl sein?

Denn jeder Christ kömmt damit überein,

Es sei die liebe Liebe.


Der Eremit war jung; das hab ich schon gesagt.

Doch schön? Wer nach der Schönheit fragt,

Der mag ihn hier besehn.

Genug, den Weibern war er schön.

Ein starker, frischer, junger Kerl,

Nicht dicke wie ein Faß, nicht hager wie ein Querl—

"Nun, nun, aus seiner Kost ist jenes leicht zu schließen."

Doch sollte man auch wissen,

Daß Gott dem, den er liebt,

Zu Steinen wohl Gedeihen gibt;

Und das ist doch kein fett Gerichte!

Ein bräunlich männliches Gesichte,

Nicht allzu klein, nicht allzu groß,

Das sich im dichten Barte schloß;

Die Blicke wild, doch sonder Anmut nicht;

Die Nase lang, wie man die Kaisernasen dichtt.

Das ungebundne Haar floß straubicht um das Haupt;

Und wesentlichre Schönheitsstücke

Hat der zerrißne Rock dem Blicke

Nicht ganz entdeckt, nicht ganz geraubt.

Der Waden nur noch zu gedenken:

Sie waren groß, und hart wie Stein.

Das sollen, wie man sagt, nicht schlimme Zeichen sein;

Allein den Grund wird man mir schenken.


Nun wahrlich, so ein Kerl kann Weiber lüstern machen.

Ich sag es nicht für mich; es sind geschehne Sachen.

"Geschehne Sachen? was?

So ist man gar zur Tat gekommen?"

Mein lieber Simplex, fragt sich das?

Weswegen hätt er denn die Predigt unternommen?

Die süße Lehre süßer Triebe?

Die Liebe heischet Gegenliebe,

Und wer ihr Priester ist, verdienet keinen Haß.


O Andacht, mußt du doch so manche Sünde decken!

Zwar die Moral ist hier zu scharf,

Weil mancher Mensch sich nicht bespiegeln darf,

Aus Furcht, er möchte vor sich selbst erschrecken.

Drum will ich nur mit meinen Lehren

Ganz still nach Hause wieder kehren.


Fabeln und Erzählungen

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