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Jessica

Am Tisch festgeschnallt musste ich untätig zusehen, wie Aufseherin Egara wütend auf ihrem Tablet herumtippte. Ich zerrte an meinen Fesseln, aber ich wusste, dass meine Bemühungen vergebens waren. Mit jedem Pling ihres Tablets, wenn eine neue Nachricht eintraf, runzelte sie noch tiefer die Stirn und bewegte die Finger noch schneller, mit ruckartigen, hastigen Bewegungen, als würde sie demjenigen, mit dem sie da quer über die Weiten des Weltalls hinweg kommunizierte, am liebsten eine verpassen.

Ich hatte während meiner Zeit beim Militär, und danach als Enthüllungsreporterin, auf die harte Tour gelernt, geduldig zu sein. Ich konnte meiner Beute tagelang auflauern, und ich wurde der Jagd nicht müde. Ich wusste, wann ich warten musste, und wann ich besser als Erste schießen sollte. Aggressionen würden mir in dieser Situation keine Punkte verschaffen, besonders, da ich gefesselt war—selbst wenn mein Frust so groß war, dass ich die Fesseln wie der unglaubliche Hulk vom Stuhl reißen wollte.

„Aufseherin, bitte sagen Sie mir doch, was los ist.“

Ja, das klang ruhig. Gut gemacht.

Die Aufseherin biss sich auf die Lippe und sah mit einem Mal aus wie die junge Frau Mitte Zwanzig, die sie ja auch war. Ihre Schultern sackten zusammen, als trüge sie eine große Bürde und Verantwortung. Vielleicht war es auch so. Es war ihr Job, dafür zu sorgen, dass alle Frauen—egal aus welchem Grund—gut und sicher zugewiesen und an ihren Zielort überstellt wurden, wo auch immer im Universum das war. Als sie schließlich ihren Kopf hob und mich direkt anblickte, erkannte ich an den dunklen Wolken in ihrem Blick, dass es keine guten Nachrichten gab, zumindest für mich nicht.

Ein dunkles, öliges Bangen füllte meinen Bauch.

„Die Ablehnung bezog sich speziell auf Sie, nicht auf Erdentransporte generell.“ Sie seufzte, und ich fühlte mich, als hätte mir gerade jemand gesagt, ich wäre das hässlichste Mädchen der Klasse. Jep, das Gefühl war genau dasselbe. Ich hatte es zuvor bereits verspürt, viele Male, wenn mir etwas verweigert worden war. Freunde, Geliebte, Jobs, Familie. Ich sollte es gewohnt sein, aber das war ich nicht. Das hatte mich so idiotisch sein lassen, trotzdem Hoffnung zu haben. Mir war nicht klar gewesen, wie sehr ich jemandem zugewiesen werden wollte—jemandem, der nur für mich bestimmt war. Bis ich abgelehnt worden war. Wie üblich.

„Genau in diesem Moment wird ein Transport von unserer Bräute-Abfertigungseinrichtung in Asien durchgeführt, also weiß ich, dass es nicht am System liegt. Aus irgendeinem Grund wird Ihnen die Reise nicht genehmigt. Die Nachricht kam vom Primus höchstpersönlich.“

Dem Primus? Was zum Teufel war ein Primus?

„Sie meinen meinem Gefährten?“

Sie schüttelte abwesend den Kopf. „Nein. Dem Primus. Dem Herrscher des dortigen Planeten. Dem Herrscher von Prillon Prime.“

Sein Titel war nach dem Planeten selbst benannt, und ich wurde von ihm abgewiesen. Na toll.

„Sowas wie ihr König?“ Du liebe Scheiße. Ihr König erlaubte mir nicht, meinen Gefährten in Besitz zu nehmen? Ich war diesem Krieger, dem ich zugeordnet worden war, noch nie begegnet, aber er sollte doch mir gehören. Und nun, da ich abgewiesen wurde, war dieses kleine Fünkchen Hoffnung, ja, es war Hoffnung gewesen— Kacke—diese Hoffnung, die ich in meiner Brust getragen hatte, war verzischt und verflogen. Das tat weh.

„Ja. Er ist Herrscher über mehrere Planeten, genau gesagt, und der Kommandant der gesamten interstellaren Flotte.“ Sie murmelte und wandte den Blick ab, unfähig, meinem Blick zu begegnen.

Ich zog mich innerlich zusammen, und bei ihren Worten stieg mir die Galle in den Hals. Ich war vom außerirdischen König eines gesamten Planeten abgewiesen worden? War ich so schrecklich? Ich war ein wenig herrisch und wahrscheinlich ein bisschen eine Nervensäge. Etwas hart für eine Frau, aber welche Frau schoss nicht gerne mit Waffen und bekämpfte Bösewichte? Kacke. Der Primus wollte irgendein zartes Weiblein für eine Zuordnung nach Prillon. Das war es wohl. War es das?

Meine Gedanken waren wie benebelt, als ich die einzige Frage stellte, die mir einfiel. „Warum? Liegt es daran, dass sie mich für eine Drogenhändlerin halten?“

Ich würde lieber als angebliche Drogenhändlerin abgewiesen werden, als als Mannsweib.

„Miss Smith, die halten Sie nicht für eine Drogenhändlerin. Sie wissen, dass Sie eine verurteilte Drogenhändlerin sind. Aber nein, ich habe bereits verurteilte Mörderinnen vom Planeten geschickt. Ich weiß nicht, warum sie das tun.“

Sie schüttelte traurig den Kopf und drückte an einer Reihe von Knöpfen auf ihrem Tablet herum. Ich wurde weiter aus dem Wasser gehoben und war vom seidigen Gleiten auf der Haut abgelenkt, bevor ich an mir hinunterblickte und entdeckte, dass meine gesamte Behaarung fort war. Mein Kopf tat von den neuen Implantaten in meinem Schädel höllisch weh, und in meinem Hirn summten Geräusche ähnlich dem statischen Rauschen in einem Lautsprecher.

Während mein Körper wieder auf den Untersuchungsstuhl heruntergelassen wurde, brachte mir Aufseherin Egara eine trockene graue Decke, die sie über mich breitete. „Es tut mir so leid, Jessica. So etwas ist hier noch nie passiert. Ich werde ein formelles Ansuchen an die Interstellare Koalition richten müssen, um herauszufinden, was passiert ist.“

Ich war nackt, bläuliches Wasser tropfte an mir herunter, ich war in eine kratzige Decke gewickelt und immer noch an den dämlichen Tisch geschnallt. Wie viel elender konnte es noch werden? „Wie lange wird das dauern?“ Das Surren in meinem Kopf wurde lauter.

„Mindestens ein paar Wochen.“ Ihre leisen Worte waren plötzlich laut wie aus einem Megaphon zwei Zentimeter neben meinem Ohr, und ich zuckte zusammen.

Sie legte den Kopf schief, als ich mich zusammenkrampfte, und ließ mich einen Moment alleine, bis sie mit einer Injektionsröhre daherkam, die sie mir seitlich an den Hals presste. Ich zuckte zusammen.

Der kurze Stich war es aber wert, denn der Schmerz in meinem Kopf verflog in Sekunden.

„Es tut mir leid, dass das für Sie so unangenehm ist. Die meisten Bräute schlafen durch den Neurostim-Integrierungsvorgang.“ Sie beobachtete mich mit sanften runden Augen, freundlicher, als ich sie je zuvor gesehen hatte. Ich blinzelte über die Veränderung, dann erkannte ich, dass sie mir keine Besorgnis entgegenbrachte, sondern Mitleid. Ich konnte nicht einmal vom Planeten geschippert werden, ohne dass es ein Problem gab.

„Was ist ein Neurostim?“

„Es ist ein Gehirn-Implantat, das es Ihrem Verstand ermöglicht, neue Sprachen und Bräuche aufzunehmen. Sie werden nun innerhalb nur weniger Minuten in der Lage sein, jegliche neue Sprache zu verstehen und zu sprechen, einschließlich aller Sprachen auf der Erde. Diese Technologie ist nur für jene bestimmt, die den Planeten verlassen, aber da Sie scheinbar hierbleiben, würde ich das als gehörigen Vorteil ansehen.“

Ich blinzelte und versuchte, zu verarbeiten, was sie mir gerade gesagt hatte. Ein Vorteil? Dies war mein Trostpreis, die Fähigkeit, andere Sprachen zu sprechen und zu verstehen? „Jede Sprache?“

Sie nickte knapp, sichtlich begeistert von der Technologie, aber auch immer noch verwirrt und enttäuscht über meine Ablehnung. „Absolut. Von überall auf der Erde und innerhalb der Koalition.“

Da ich nicht länger auf einen Koalitionsplaneten unterwegs war, glaubte ich nicht, dass ich viel Nutzen davon haben würde. Ich hatte eine Art Super-Chip in meinem Kopf, mit dem ich ausländische Fernsehserien und Touristen am Flughafen verstehen konnte. Na toll. Genau davon hatte ich schon immer geträumt. Ich hätte lieber ein Auto geschenkt bekommen, oder eine Reise nach Hawaii. Etwas Geld vielleicht.

Viel besser wäre es gewesen, transportiert zu werden und meinen eigenen realen Traum zu leben. So wie den Abfertigungs-Traum, in dem zwei mächtige Männer meinen Körper bedeckten und mich fickten, als wäre ich die begehrenswerteste Frau, die ihnen je begegnet war. Wo ich mich schön fühlte. Begehrt. Geliebt.

Nein. Ich bekam einen dämlichen eingebauten Übersetzer.

Ich hatte meine Freunde in der Nachrichtenagentur im Stich gelassen, meine Freunde bei der Polizei, hatte es nicht geschafft, meine Unschuld vor Gericht zu beweisen, und nun war ich es nicht einmal wert, einen außerirdischen Gefährten zu bekommen, der so scharf auf eine nasse, heiße Pussy war, dass er sogar eine Diebin oder Mörderin zur Gefährtin nehmen würde, die er noch nie gesehen hatte. Frauen—Kriminelle—waren zu Hunderten über die letzten paar Jahre ans interstellare Bräute-Programm geschickt worden. Die Frauen, die festgenommen und abgefertigt wurden, kamen aus allen Gesellschaftsschichten, waren drogenabhängig oder Verräterinnen. Diebinnen und Mörderinnen.

All diese Frauen waren in die Sterne geschickt worden, hatten ein neues Zuhause gefunden und ein neues Leben mit außerirdischen Gefährten, die verzweifelt genug waren, um sich über das Programm eine Braut zu holen. Diese Frauen hatten einen völligen Neustart gewährt bekommen.

Aber ich? Ich natürlich nicht. Ich hatte Bestechungsgelder abgelehnt, wurde eines Verbrechens beschuldigt, das ich nicht begangen hatte, und nun war ich nicht nur von meinem zugewiesenen Gefährten abgelehnt worden, sondern vom verdammten König seines gesamten Planeten?

Nicht gerade mein bester Tag.

„Und was mache ich jetzt?“

Aufseherin Egara legte den Kopf schief und seufzte. „Nun, Ihre freiwillige Meldung zum Bräute-Programm war die einzig notwendige Voraussetzung, um die Bedingungen Ihrer Verurteilung zu erfüllen. Da noch nie zuvor jemand abgelehnt wurde, fallen Sie hiermit durch ein Schlupfloch, das nun bestimmt geschlossen wird. Ich gehe davon aus, dass in Zukunft eine abgelehnte Frau stattdessen ins Gefängnis muss. Aber derzeit gibt es keine Regeln für alternative Bestrafungen, daher haben Sie alle Auflagen Ihrer Verurteilung erfüllt.“

„Sie meinen—“

„Sie sind frei, Miss Smith.“

Sie hob eine Ecke der Decke hoch und wischte mir ein paar Tropfen der blauen Flüssigkeit aus dem Augenwinkel, wo sie sich angesammelt hatte und mir über die Wangen lief wie Tränen.

Ich war frei. Keine Verurteilung. Kein Gefängnis. Kein scharfer Kerl von einem anderen Planeten.

„Gehen Sie nach Hause.“

Ich wollte nicht nach Hause. Ich hatte kein Zuhause. Keinen Job, keine Freunde und keine Zukunft. Da ich in einer weit, weit entfernten Galaxis sein sollte, war mein Bankkonto leergeräumt und mein Haus verkauft worden. Wenn eine Frau den Planeten über das Bräute-Programm verlässt, wird ihr Hab und Gut aufgeteilt, als wäre sie verstorben. Tot und vorbei, kein Weg zurück. Ich hatte niemanden, der meinen Toaster oder meine abgewetzte Couch haben wollen würde, also musste ich annehmen, dass alles wohltätigen Zwecken zugekommen war.

Ich war die erste Braut, die je wie ein geprügelter Hund zurück nach Hause geschickt wurde, mit eingezogenem Schwanz, eines außerirdischen Gefährten unwürdig.

Wenn ich aus dem Abfertigungs-Zentrum spazieren und mich in der Stadt sehen lassen würde? Nun, die Schurken, die mich in diese Lage gebracht hatten, würden ihre Schläger schicken, um zu beenden, was sie angefangen hatten. Sobald die erfuhren, dass ich noch auf der Erde war, würden sie innerhalb von Stunden ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt haben.

Andererseits war ich kein verwöhntes Prinzesschen. Ich hatte eine Notfalltasche gepackt, einen Packen mit Kleidung und Bargeld, wie es mir ein Freund, der in Übersee als Spion arbeitete, als überlebensnotwendig eingebläut hatte. War ich froh, dass ich auf ihn gehört hatte. Nun musste ich nur zu meinem Schließfach, von dem niemand wusste, und konnte neu beginnen. Ich war frei. Einsam. Elend. Gekränkt. Aber es stand mir frei, zu tun, was immer ich wollte...wie etwa, eine Gruppe von korrupten Beamten und Politikern auffliegen zu lassen.

Diese hinterhältigen Bastarde glaubten, dass ich fort war, den Planeten verlassen hatte. Nicht länger ihr Problem war. Vielleicht war dies das einzige Glück, das ich heute haben würde.

Ich schwang die Beine vom Tisch und lächelte, plötzlich von einer unerwarteten Heiterkeit erfüllt. Ich war vielleicht nicht gut genug dafür, von einem Alien gefickt zu werden, aber ich war sehr gut mit einem Teleobjektiv. Ich betrachtete es als meine persönliche Art von Scharfschützengewehr. Ein einziges perfekt geschossenes Foto reichte schon aus, um jemanden zu stürzen, seine Lügen auffliegen zu lassen, sein Leben zu ruinieren. Wenn meine Kamera eine Waffe war, dann hatte ich schon eine kilometerlange Abschussliste. Wenn ich ein Geist war, während ich dieser Beschäftigung nachging—eine Person, die nicht einmal auf der Erde sein sollte—, dann umso besser.

Ich hüpfte vom Tisch, klammerte die Decke vor mir zusammen, aber bereute die plötzliche Bewegung sofort, denn das Zimmer begann sich zu drehen. Aufseherin Egaras Arme fuhren hervor, um mich aufzufangen, und ich nickte ihr dankend zu.

Es war Zeit, zu gehen, aber es gab eine Sache, die meine masochistische Ader unbedingt wissen musste. Wenn ich meine Chancen auf eine andere Welt hier in diesem Zimmer zurücklassen musste, dann wollte ich es wissen. „Wie hieß er?“

Aufseherin Egara runzelte die Stirn. „Wer?“

„Mein zugewiesener Gefährte?“

Sie zögerte, als würde sie über Staatsgeheimnisse entscheiden, dann zuckte sie die Schultern. „Prinz Nial. Der älteste Sohn des Primus.“

Da lachte ich auf. Ich wäre doch tatsächlich eine Prinzessin geworden, hätte ich die Erde verlassen können. Einem außerirdischen Prinzen zugewiesen, in Ballkleider und unmögliche Schuhe gequetscht, mein langes blondes Haar nicht durch meinen üblichen Pferdeschwanz gebändigt, sondern mit juwelenbesetzten Haarnadeln aufwändig hochgesteckt, wie es meinem königlichen Rang gebührte. Hilfe, ich hätte Wimperntusche und Lippenstift tragen müssen, denn meine blasse Haut war ungeschminkt nicht gerade ansehnlich.

Eine Prinzessin? Niemals. Vielleicht war das der wahre Grund für meine Ablehnung gewesen. Ich war eindeutig und ohne Zweifel kein Aschenbrödel.

„Ich denke, es ist besser so, Aufseherin. Ich bin nicht gerade aus Prinzessinnen-Holz geschnitzt.“ Ich kam besser mit einem Dolch zurecht als der flinken Zunge eines Politikers, und besser mit einem Gewehr als einem Tanzpartner. Und das war die traurige Wahrheit. Wer auch immer dieser Prinz Nial war, er war gerade nochmal davongekommen.

Von mir.

Vielleicht war dieser Prinz ohne mich besser dran. Das hieß noch lange nicht, dass ich tief in mir, wo die Emotionen dieser anderen Frau und ihrer Besitznahme-Zeremonie noch nachhallten, dieser Traum, in dem ich für wenige Augenblicke gewusst hatte, wie es sich anfühlt, begehrt zu sein, geliebt, gefickt und von den Gefährten in Besitz genommen, dass ich nicht zutiefst verletzt war.


Prinz Nial von Prillon Prime, an Bord des Schlachtschiffes Deston

Als ich auf den Anzeigeschirm zustürmte, um mit meinem Vater zu sprechen, war ich wie betäubt. Ich fühlte mich, als wäre mein Körper federleicht, nicht schwerer als ein Kind. Es würde am Einfachsten sein, mit meinem Vater zu interagieren, wenn ich keine Emotionen zeigte.

Die Cyborg-Implantate, die während meiner Gefangenschaft in der Hive-Integrationskammer in meinen Körper injiziert worden waren, waren mikroskopisch klein und konnten nicht entfernt werden, ohne mich dabei zu töten. Daher galt ich nun als verseucht, ein Risiko für die Männer unter meinem Kommando und die Bevölkerung meines Planeten. Ich sollte behandelt werden wie ein höchst gefährliches feindliches Wesen. Zumindest war das die allgemein vorherrschende Ansicht. Krieger, die mit Hive-Technologie verseucht waren, wurden üblicherweise in eine der Kolonien verbannt, wo sie den Rest ihrer Tage als Schwerarbeiter verlebten. Sie nahmen keine Bräute. Und sie wurden nicht zum Primus der Zwillingswelten von Prillon.

Mein Geburtsrecht als Erbe des Primus und Prinz meines Volkes hatte mich davor bewahrt, sofort in die Kolonien verbannt zu werden. Aber es gab etwas, das mir noch wichtiger war, und das war nicht die Person, die den Anzeigeschirm vor mir ausfüllte.

Ich starrte auf das bemüht ausdruckslose Gesicht eines Mannes, der doppelt so alt war wie ich. Er sah mir recht ähnlich, nur älter und ohne die Cyborg-Implantate. Er war riesig, mit kämpferischem Gesicht und einer maßgefertigten Rüstung, die ihn noch größer wirken ließ als seine ohnehin schon über zwei Meter. Er war der Primus von zwei Planeten voller ausgewachsener Krieger. Er musste stark sein. Beim geringsten Anzeichen von Schwäche würden seine Feinde ihn stürzen.

Und in diesem Augenblick stellte ich eine solche Schwäche für ihn dar. Ich war der missratene Sohn, der zu einer Cyborg-Bedrohung geworden war.

„Vater.“ Ich neigte meinen Kopf leicht zum Gruß, trotz des Zornes, der in meinen Adern pochte. Er gehörte vielleicht biologisch gesehen zu meinen Eltern, aber er war kein Vater.

„Nial, ich habe mit Commander Deston gesprochen. Ich habe den offiziellen Befehl erteilt, dich in die Kolonien zu überstellen.“

Ich biss die Zähne zusammen, um meine unmittelbare Reaktion zu unterdrücken. Soviel dazu, sich betäubt zu fühlen. Also würde mein Status als blutsverwandter Thronfolger mich doch nicht vor der Verbannung schützen. Er gab einen prillonischen Scheiß drauf, dass ich sein Sohn war. Ich war schadhaft, vom Hive ruiniert und nicht würdig, Anführer zu sein. Sein Sohn zu sein.

Jemand reichte ihm ein Tablet und er überflog, was darauf zu lesen war, während er weiter mit mir sprach und nicht einmal hochblickte. „Ich reise in wenigen Tagen an die Front, um unsere Krieger zu besuchen und den Zustand einiger unserer älteren Schlachtschiffe zu begutachten. Ich setze voraus, dass dein Transfer bis zu meiner Rückkehr abgeschlossen ist.“

Ich holte tief Luft und versuchte, meine Stimme so neutral und gutmütig klingen zu lassen wie seine. „Ich verstehe. Und was ist mit meiner Braut? Sie sollte doch bereits vor drei Tagen mittels Transport hier angekommen sein.“

„Du hattest kein Recht darauf, eine Braut anzufordern. Ich hatte eine Übereinkunft mit dem Hofrat Harbart. Es war vorgesehen, dass du seine Tochter als Gefährtin in Besitz nimmst.“

Ich konnte meine Hände nicht davon abhalten, sich in den Stuhl vor mir zu krallen.

„Harbart war ein feiger Hund, der vorhatte, mich und Commander Destons Braut zu ermorden. Warum würde ich seine Tochter in Besitz nehmen wollen?“

Der Primus zog eine Augenbraue hoch und blickte doch tatsächlich zu mir hoch, als würde ihn das verwirren. „Diese Frage hat sich nun erübrigt, da du... nicht mehr dazu geeignet bist, eine Gefährtin in Besitz zu nehmen. Du wirst niemanden in Besitz nehmen. Der Transport deiner Erdenbraut ist natürlich abgewiesen worden. Keinem verseuchten Krieger ist die Ehre gestattet, eine Braut zu haben. Das weißt du. Inzwischen ist sie wohl einem anderen Krieger zugewiesen worden, der nicht...“

Seine Stimme verklang, und er legte den Kopf schief und betrachtete mich. Ich ließ ihn gaffen. Wenn er ein echter Vater war, würde er an den Cyborg-Modifikationen des Hive vorbeisehen und sehen, dass ich immer noch dieselbe Person war, immer noch sein Sohn. Immer noch der Prinz.

„Der nicht was?“

Dies war das erste Mal seit meiner Bergung aus dem Hive, dass er mich sehen konnte. Mit verschränkten Armen ließ ich ihn das leichte metallische Schimmern der Haut auf meiner linken Gesichtshälfte betrachten, die seltsame silbrige Färbung der Iris in meinem linken Auge, welches zuvor dunkles Gold gewesen war. Ich hatte absichtlich die Unterarme freigelassen, damit er die dünne Schicht lebender Biotechnologie sehen konnte, die auf meinem halben Arm und einem Teil meiner linken Hand aufgetragen worden war. Ich wollte, dass er alles davon sah und trotzdem noch mich darin erkannte.

Seine Augen blieben an meinem Arm haften. „Die Implantate und Hautveränderungen können nicht entfernt werden?“

Jegliche dumme Hoffnung meinerseits starb bei dieser Frage. Ich dachte, dass vielleicht nichts davon von Bedeutung war, aber nein. Er sah nur, was der Hive angerichtet hatte, und nicht seinen Sohn.

„Doktor Mordin sagt, die Hautveränderungen sind dauerhaft. Sie müssten mir den ganzen Arm abnehmen, um sie zu entfernen.“

„Ich verstehe.“

„Tust du das, Vater? Und was genau verstehst du?“ Er hatte nicht die ähnlichen Hive-Implantate gesehen, die die Hälfte meiner linken Schulter überzogen, den Großteil meines linken Beines und einen Teil meines Rückens. Ich konnte in seinen kalten Augen sehen, dass das, was er gesehen hatte, ihm reichte.

Mein Vater, der Mann, den ich nie geliebt hatte, jedoch respektiert und für den ich mein ganzes Leben damit verbracht hatte, ihm zu gefallen, schüttelte den Kopf.

„Ich sehe einen Krieger, der einmal mein Sohn war.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und der Blick in seinen Augen wurde noch kälter. „Du wirst von der Liste der Thronfolger gestrichen und in die Kolonien überstellt werden. Es tut mir leid, mein Sohn.“

„Sohn? Sohn? Du wagst es, mich im gleichen Satz Sohn zu nennen, mit dem du mich in die Kolonien verbannst?“ Meine Stimme war laut. Es war nun nicht mehr wichtig, ruhig zu bleiben. Ich hatte nichts davon.

Er lehnte sich vor, um die Verbindung zu trennen, aber meine nächste Frage ließ ihn stocken. „Und wer wird dann dein Thronfolger?“

„Du hast viele entfernte Cousins, Nial. Vielleicht wird Commander Deston mit seiner Braut einen Thronfolger zeugen. Wenn nicht, bin ich mir sicher, dass unser Volk die alten Traditionen ein weiteres Mal willkommen heißen würde.“

Die alten Traditionen...

„Ein Todesturnier?“ Er würde es lieber sehen, dass gute, starke Krieger bis zum Tod um das Recht kämpften, Primus zu sein, als seinen eigenen Sohn auch nur in Erwägung zu ziehen? Nur deswegen, weil dieser Sohn etwas Hive-Biotechnologie auf seine Haut implantiert bekommen hatte?

„Möge der stärkste Krieger überleben.“

Wenn ich durch den Bildschirm fassen und ihm in die Fresse hauen könnte, hätte ich das getan. „Du würdest zulassen, dass unsere feinsten Krieger sterben?“

Ich hielt den Mann für lieblos. Gefühllos, zumindest mir gegenüber. Nun erkannte ich, dass sich das auf alle erstreckte. Er würde zusehen, wie starke Männer unnötig kämpften, unnötig starben, nur weil er eben so war. So. Unglaublich. Grausam.

„Es gibt keinen Thronfolger. So ist es unser Brauch.“

Es hatte schon über zweihundert Jahre lang kein Todesturnier mehr gegeben, seit unser Vorfahre gewonnen und den Thron für sich beansprucht hatte. „Ich bin stark, Vater, mein Verstand ist intakt. Es gibt keinen Grund dafür, unsere stärksten Krieger zu opfern...“

Ich musste zumindest versuchen, mit dem Mann zu verhandeln, um die anderen zu retten. Die Stärksten würden sich melden, um Anspruch zu erheben, und sie würden unnötig sterben, wo sie doch stattdessen an der Front sein sollten und den Hive bekämpfen.

„Du bist verseucht.“

„Ich verfüge über Wissen über die Systeme des Hives, ihre Strategien. Du wärst ein Narr, mich in die Kolonien zu verbannen. Ich sollte an der Front sein, bei den Schlachtgruppen, wo ich...“

Er schnitt mir wieder das Wort ab. „Du bist ein Niemand, ein Verseuchter. Eine Hive-Kreatur. Du bist für mich gestorben.“

Ich hätte noch weiter diskutiert, aber die Verbindung wurde von seiner Seite abgeschnitten.

Scheißkerl. In den letzten Jahren war ich täglich dazwischen hin und her gependelt, das Arschloch beeindrucken zu wollen, oder umbringen.

„Ich hätte ihn umbringen sollen“, murmelte ich in meinen Bart.

Ich starrte einige Minuten lang auf den leeren Schirm. Ich war abgefertigt worden und ich wusste, dass ich meinen Vater nie wieder sprechen würde. Es tat mir nicht leid, nicht mehr. Vielleicht hatten die Cyborg-Implantate ja auch etwas Gutes. Ich wusste, woran ich mit meinem Vater war, und er war meine Zeit und meine Gedanken nicht länger wert.

Nein. Der Gedanke, der sich in meinem Kopf zu einem Wirbelsturm zusammengebraut hatte, bereitete mir viel mehr Sorge. Er hatte meine Braut abgewiesen. Meine mir zugeordnete Gefährtin. Eine schöne Erdenfrau wie Commander Destons Hannah Johnson. Ich hatte auf eine solche Zuordnung gehofft, eine weiche, kurvige Frau von diesem Planeten. Hannah war klein, aber stark, und so verliebt in ihre Gefährten, alle beide, dass sie diese in der Besitznahme-Zeremonie angebettelt hatte, sie zu nehmen.

Meine Hive-Implantate hatten mir an jenem Tag einen Vorteil verschafft, ein Geheimnis, das ich noch niemandem verraten hatte. Ich hatte eine vollständige Aufzeichnung ihrer Zeremonie in meinem System. Ich sah sie mir oft in meinem Kopf an, sah mir wieder und wieder an, wie die Menschenfrau gerne angefasst wurde, wie sie ihren Rücken gekrümmt hatte, ihre Laute, als ihre Gefährten sie küssten, sie berührten, sie fickten. Ich wollte das für mich selbst. Wollte eine solche Gefährtin, also hatte ich mir diese Aufzeichnung angesehen, bis sie mir in die Seele gebrannt war. Erlernt. Jedes Detail ihrer rituellen Besitznahme.

Ich würde meine Gefährtin zum Schreien bringen, so wie sie das getan hatten. Ich würde dafür sorgen, dass sie zitterte und darum bettelte, dass mein Schwanz sie füllte.

Zeuge der Zeremonie zu sein war eine Ehre, die mir mein Cousin, Commander Deston, nicht verwehrt hatte. Ich hatte zugesehen, wie er und sein Sekundär Dare Hannah wie zwei Wilde fickten. Ihre Menschenbraut hatte ihre Zuwendung genossen, nach mehr gebettelt, ihre Krieger angesehen, als wären sie der Atem in ihrem Körper, ihr Herzschlag selbst.

Ich erinnerte mich an die andere Zeremonie, bei der ich Zeuge gewesen war, diesmal während der Tests im Abfertigungszentrum. Es war der Traum gewesen, der mich meiner Gefährtin zugewiesen hatte. Die Männer waren fordernd gewesen, dominant und hingebungsvoll. Da meine Gefährtin mir über den gleichen Traum zugewiesen worden war, wusste ich, was sie von mir brauchte. Von meinem Sekundär.

Ich wollte diese Art von Verbindung, die in beiden Zeremonien zugegen war, und ich würde sie bekommen.

Ich hatte eine Zuordnung. Eine Frau war abgefertigt und mir zugewiesen worden. Über diese verdammt scharfe Zeremonie. Die Zuweisungsrate des Bräute-Programms war fast zu einhundert Prozent perfekt. Das ließ keinen Zweifel daran, dass es eine Frau gab, die nur für mich war. Ich hatte keinen Sekundär, keinen Thron und keine Zukunft, aber nichts davon war wichtig. Das Einzige—die Einzige—die mir wichtig war, war diese Frau auf der Erde, die mir zugewiesen worden war. Und ihr Transport war von meinem Vater abgewiesen worden. Das änderte nichts an der Zuweisung, der Verbindung, die wir teilten. Es führte nur dazu, dass ich sie noch mehr wollte. Sie würde mir nicht verwehrt bleiben. Ich fragte mich, was sie wohl von mir dachte, da sie abgewiesen worden war. Der Schmerz musste sich ähnlich angefühlt haben wie der Zorn über die Einmischung meines Vaters, der in mir brannte.

Ihr Gefährte, ihre Zuweisung würde ihr nicht verwehrt bleiben, nur weil mein Vater ein Arschloch war. Sie würde nicht zum Opfer seiner Machenschaften werden.

Sie war unschuldig.

Sie gehörte mir.

Wenn das Abfertigungszentrum den Transport nicht genehmigen wollte, dann würde ich einfach zur Erde reisen und sie mir holen.

Von ihren Partnern entführt

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