Читать книгу Superhelden - Грант Моррисон - Страница 9

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Als die Formel einmal etabliert war, wurden dutzende, ja hunderte von Variationen und Kombinationen ins Rennen geschickt. Einige hatten Superkräfte, aber die meisten waren gewöhnliche Männer und Frauen, die sich selbst Namen gaben wie Mighty Atom (1945), Phantom Lady (1941) oder Black Canary (1942) und sich in schillernde Kostüme gewandeten, um gegen das Verbrechen zu kämpfen, nur mit ihrem Verstand und einem schier unermesslichen Appetit auf gewaltsame Selbstjustiz ausgestattet.

Viele Superhelden-Comics waren um ein einziges Gimmick gesponnen: Der Sandman (1938) schickte seine Gegner mittels Gaspistole ins Land der Träume, während Madame Fatale (1940) der sich im Ruhestand befindliche Schauspieler Richard Stanton war, der als alte Frau verkleidet dem Verbrechen entgegentrat – was ihn nebenbei bemerkt zum ersten (aber nicht letzten) Transvestiten unter den Superhelden machte.

Das rasche Wachstum der Superhelden-Comics im Gefolge von Superman und Batman sowie der Bedarf nach frischem Material ermutigte junge Schreiber und Künstler zunehmend dazu, geradezu surreale Pfade der Inspiration zu beschreiten. Die Superhelden spezialisierten sich in einer wilden darwinistischen Jagd auf neue evolutionäre Nischen.

Die erfolgreichsten dieser Spezialisten waren zwei frühe Beiträge von National Comics größtem Rivalen. Ein Verlag namens Timely Comics nutzte die Gunst der Stunde rund um die Superhelden und veröffentlichte seinen eigenen Titel, Marvel Comics, im Dezember 1939, mit zwei neuen Figuren: Human Torch („Die menschliche Fackel“) und Prince Namor the Sub-Mariner. Batman und Superman waren die Grundfesten dessen, was als DC-Universum bekannt werden sollte. Der Sub-Mariner und Human Torch waren die ersten Bewohner des sogenannten Marvel-Universums.

Timelys große Innovation, die Marvel voranbringen sollte und half, sich von DC zu unterscheiden, bestand darin, vom Olymp herabzusteigen und den Elementen selbst eine Stimme zu verleihen, indem man die Naturgewalten personifizierte.

Prinz Namor von Atlantis, der Sub-Mariner, war die Kreation des siebzehn Jahre alten Bill Everett. Auf Fotos sieht man den attraktiven Everett mit einem Haarschopf wie Rimbaud, Nerd-Brille, einer Pfeife zwischen den Lippen und einem dämonischen Glitzern in den Augen. Superman setzte sich ab und zu über das Gesetz hinweg, aber aufrechte Leute hatten nichts vom aufrechten Mann aus Stahl zu befürchten. Prinz Namor war anders: Der halbmenschliche Terrorist war bereit, die Gerechten und die Ungerechten gleichermaßen zu überfluten, als er in seinem ersten Abenteuer, auf einem Wal reitend, auf dem höchsten Punkt eines schäumenden Mega-Tsunamis, den er entfesselt hatte, auf New York zubrauste. Everetts Version des ungeschlachten Comic-Stils war bissiger, verwinkelter und fantastischer als alles zuvor Dagewesene.

Der ansonsten nackte Prinz mit dem tiefschwarzen, spitzen Haaransatz, den durchdringenden Augen, den spitzen Ohren, den messerscharfen Wangenknochen und seinen geflügelten Füßen, trug schuppige Badehosen als Zeichen seiner vornehmen Abstammung. Namor war das Gesicht einer jugendlichen Anmaßung, die auf Rock’n’Roll, Marlon Brando und James Dean wartete, um ratifiziert zu werden. Angetrieben durch Leidenschaft und kurzlebige Bindungen, begegnete Namor der ganzen Welt mit einer Leck-mich-Attitüde, vollbrachte Taten purer Anarchie, die die Terroristen der realen Welt sich nicht vorzustellen vermochten.

Es gab keinen Mangel an marinen Themen und Storys, etwa Geschichten über Atlantis, Stürme, Piraterie, dynastische Erbfolgen und imperiale Vergeltung, aus denen Namor seine Inspiration bezog und die ihm eine fantastische Spielwiese boten. Sein unvermeidbares Gegenstück, Human Torch, war weniger erfolgreich. Dieser intelligenzbegabte künstliche Mensch mit einem ernsthaften Konstruktionsfehler – er entflammte, wenn er mit Luft in Berührung kam – bot weniger Identifikationspotenzial als der impulsive Namor, was dazu führte, dass das Interesse an ihm stetig abnahm (als sich später Stan Lee des Konzepts von Human Torch für seine Fantastic Four annahm, machte er die menschliche Fackel klugerweise zu einem Menschen – zu einem im wahrsten Sinn „hitzköpfigen“ Teenager).


Die Elemente Wasser und Feuer bekamen bald Gesellschaft in Form eines ganzen Pantheons wiedergeborener Götter und mythologischer Sagengestalten. Hawkman etwa ähnelte einem hieroglyphischen Gott auf einem altägyptischen Wandgemälde, ein Wiedergänger des Gottes Horus, des Herrschers über Kraft und Feuer, ein Sohn des antiken Gottes des Todes, Osiris. Als er in den Comics seine Flügel spreizte, war er Khufu, ein ägyptischer Prinz, der im Körper des Millionärs Carter Hall wiedergeboren wurde.

Green Lantern, der 1940 erstmals in Ausgabe 16 der All American Comics auftauchte, griff ins Geschehen ein, als Eisenbahner Alan Scott – einem modernen Aladin gleich – eine geheimnisvolle Lampe mit ebenso geheimnisvollen Kräften entdeckte. Um die Inspiration noch offensichtlicher zu machen, hätte der Hauptdarsteller eigentlich Alan Ladd heißen sollen, doch war dieser Name schon an einen bekannten Filmschauspieler vergeben – und so wurde aus Ladd eben Scott. Er ließ den harten Alltag seiner Arbeit hinter sich, um in einem grün-rot-gelben Zirkusartisten-Outfit, welches dasjenige Supermans bei weitem überstrahlte und die Kostüme des Glamrock 30 Jahre früher vorwegnahm, gegen das Verbrechen anzutreten. Wenn US-Showstar Valentino Liberace, zu dieser Zeit bekannt für extravagante Kostüme, auf einer Poolparty in Bel Air als Kreuzung zwischen Trapezkünstler und Weihnachtsbaum verkleidet aufgetaucht wäre, so hätte er im Vergleich immer noch unspektakulär gewirkt – und außerdem ziemlich maskulin. Mit der sexy Gegenspielerin Harlequin, die um Green Lanterns Aufmerksamkeit buhlte, sowie Doiby Dickles, der der humoristischen Auflockerung diente, an seiner Seite, konnte sich Alan Scott seiner Männlichkeit sicher sein. Seine Aufmachung schien für den Betrachter eine solche Herausforderung darzustellen, dass erst gar kein Spott aufkam, denn kein einziger krimineller Antagonist kommentierte Green Lanterns aufreizenden Versuch, sich von jeglicher modischen Normalität oder Funktionalität zu distanzieren.

Der Flash (1940) war der erste „zufällige“ Superheld, womit er die späteren Marvel-Helden vorwegnahm: Alle waren sie Opfer der Wissenschaft. Getrieben durch reinen Altruismus, nutzten sie ihre Superkräfte zum Wohle der Gemeinschaft, in der sie lebten. Jay Garrick, ein forschender Chemiker, der versehentlich gasförmiges „schweres Wasser“ eingeatmet hatte, welches ihm sein besonderes Talent verlieh, war weder stark noch unverwundbar oder gar unsterblich, er war jedoch ein schneller Läufer – und träumen nicht alle Kinder davon, immer noch schneller zu laufen, bis die Umwelt nurmehr verschwommen wahrgenommen werden kann? Zu Jay Garricks Verkleidung gehörten ein Helm mit kleinen Flügeln aus Zinn, ein rotes Oberteil mit einem Blitz zur Verzierung, blaue Hosen und geflügelte Laufstiefel. Auf diese Weise personifizierte er quasi einen der geheimen Paten der Superhelden.

Man kennt das von griechischen Statuen, die einen sich elegant dahingleitenden jungen Mann mit einem Zinnhelm darstellen. Diese Kopfbedeckung und die geflügelten Stiefel sind Attribute des griechischen Gottes Hermes bzw. seiner altrömischen Entsprechung Merkur. Er fungierte als Bote der Götter und war außerdem so etwas wie die Verkörperung der Sprache an sich. Wie die Sprache ist auch er erfinderisch, trickreich, doppelbödig und trügerisch.

In Indien findet er sein Pendant im elefantenköpfigen Gott Ganesh, der den Verlauf der Geschichte mit seinem eigenen abgebrochenen Rüssel niederschreibt. In Ägypen war er Thot, der ibisköpfige Schreiberling. Die frühesten babylonischen Kulturen stellten ihn sich als Gottheit mit dem Namen Nabu vor. Die Religion des Voodoo kennt ihn als Legba. Die Kelten nannten ihn Ogma. Den Wikingern war er als Odin ein Begriff – er war ein einäugiger Gott, von dessen Schultern magische Raben (Gedanke und Erinnerung) hierhin und dorthin flogen, um dem Gott schnellstens Wissen aus allen Ecken des Kosmos zu übermitteln. 1940 schließlich konnte der gute Hermes einfach nicht mehr widerstehen und schaute höchstpersönlich vorbei, um sich wie seine Götterkollegen auf Papier wiederbeleben zu lassen.

Er wurde wie das übrige Geschmeiß im Rinnsal der Gossenkultur des 20. Jahrhunderts angeschwemmt, aber gerade dort, wo nur Kinder und Analphabeten nachsehen würden, erlangte er als Superheld neue Vitalität. Zwar kein Gott mehr, aber immerhin noch die populäre Repräsentation eines Gottes, diente er als Brücke zwischen dem Menschen und dem Göttlichen. Der mit Flügelchen verzierte Flash war nur eine von mehreren Manifestationen: Die Fesseln des Hermes waren auch an Namor zu sehen. Und des flinken Gottes Markenzeichen sollte noch von vielen Generationen von Superhelden als Swoosh getragen werden. Seine wahrhaftigste Entsprechung fand er aber in Gestalt von Captain Marvel, diesem Abbild eines schönen Mannes, jenem Jüngling, der die größte Bedrohung für Supermans Verkaufszahlen werden sollte.

Heute hat jede Comic-Firma zumindest einen, mitunter sogar mehrere Figuren, die eine direkte Analogie zu Superman darstellen sollen: Mr. Majestic, Supreme, Samaritan, Sentry, Hyperion, Omega, High, Apollo, Gladiator, Omniman, Optiman, Public Spirit, Atom Man the Homelander, Superior the Plutonian, Alpha One – die Liste lässt sich wie ein zäher Kaugummi in die Länge ziehen. All diese Charaktere sind nur mäßig getarnte Kopien von Superman, veröffentlich von Konkurrenzfirmen von DC, oder auch von DC selbst – als ob ein Superman nicht genug wäre.

Vieles änderte sich dann im Jahr 1940. Eine lukrative Marke war nun ein eifersüchtig bewachtes intellektuelles Eigentum. National Comics hatte seinen sozialistischen Muskelmann an die Leine gelegt und quetschte aus seiner Unnachahmlichkeit noch den letzten Cent heraus. Das Letzte, was man dort wollte, war ein weiterer Superman. Und schon gar keinen, der am Ende sogar noch charmanter und profitabler wäre.

Obwohl die Rechtsabteilung von National gerne das Gegenteil hätte beweisen wollen, war Captain Marvel überhaupt nicht wie Superman. Superman zelebrierte seine individuelle Kraft vor Hintergründen, die so realistisch wie möglich gezeichnet waren. Die Geschichten um Captain Marvel boten eine Welt, die zunehmend unreal wurde, eine Welt, in der das Wort im Mittelpunkt stand. Er vertrat die innere Welt der Traumlogik, der Märchenstunde, wo Spielzeuge zum Leben erwachen. Wenn Superman Science-Fiction und Batman Crime waren, dann war Captain Marvel ein Vertreter des Fantasy-Genres.

Die Story seines Ursprungs war eine durch und durch schamanische Erfahrung, wie sie wohl jedem Hexendoktor, Ritual-Zauberer, Anthropologen oder Opfer einer Entführung durch Aliens geläufig sein dürfte.


Die Reise des jungen Billy Batson beginnt in einer typisch mondänen Umgebung. An einer Straßenecke trifft der Leser zum ersten Mal auf einen Waisenjungen, ein Opfer der Weltwirtschaftskrise, der Zeitungen vor einer U-Bahnstation verkauft, wo er nächtens auch zu schlafen pflegt. Als er von einem merkwürdigen Charakter mit Schlapphut und Trench Coat angesprochen wird, nimmt er dies locker zur Kenntnis. Das Gesicht verbirgt der Fremde unter seiner Hutkrempe, und Billy gibt sich in einem Ausmaße vertrauensselig, wie es in unserer von Pädophilen heimgesuchten Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr möglich wäre. Er willigt ein, dem geheimnisvollen Mann in die Station zu folgen.

Ein Zug fährt in die ansonsten verlassene Station ein, und es kann wohl nur ein Zug aus einer anderen Wirklichkeit sein, so wie seine Seite mit modernistischen Motiven, die wie Graffiti von Joan Miró aussehen, beschmiert ist. Einem stromlinienförmigen platonischen Prototypen für Harry Potters Hogwarts-Express ähnelnd, trägt der Zug Billy in einen tiefen, dunklen Tunnel, der von unserer Welt in eine andere, eine höher angesiedelte magische Dimension führt, wo Worte zu Zaubersprüchen werden, die die Natur der Wirklichkeit verändern.

Billys psychedelisches Tunnel-Abenteuer erreicht seinen Höhepunkt in einer weiteren leeren Station. Als er dort ankommt, findet der Junge einen sinistren, von flackernden Schatten gebildeten Torbogen. Am Ende des Korridors sieht sich Billy einem langbärtigen „Zauberer“ gegenüber, der dem Jungen seine neuen Pflichten und Fähigkeiten darlegt. Gleichzeitig hängt ein monströser bebender Würfel aus Granit an einem splitternden Balken über dem Kopf des weisen Mannes. Alles erscheint vergrößert, ist von Fackeln erleuchtet und wirkt fieberhaft, als höhere Mächte Billy in ihre Absichten einweihen: Billy Batson, ein guter und treuer Junge, wurde auserwählt, den Platz des greisen Zauberers einzunehmen. Er nutzte seine Kräfte 300 Jahre lang, um die Menschheit zu beschützen, und braucht nun eine Pause. Die Übertragung der Kräfte kommt dadurch zustande, dass Billy den Namen des Zauberers ausspricht: „Shazam“! Billy wird vom Blitz getroffen, und im umherwirbelnden Rauch dieses finalen Zaubertricks steht dann ein großgewachsener Mann mit Umhang. Er trägt ein militärisch anmutendes rotes Kostüm, auf dem ein gelber Blitz abgebildet ist. Sein Cape ist weiß mit einem hohen Kragen und einer eingeflochtenen gelben Verzierung. Um seine Hüften hat er eine gelbe Schärpe. Dazu trägt er rote Leggings und gelbe Stiefel – klugerweise vermeidet er es, seine Unterhose über seinem Beinkleid zu tragen. Mit seinen zurückgegelten Haaren sieht er aus wie die erwachsen gewordene, perfektionierte Version des jungen Billy. Tatsächlich aber sieht er beinahe exakt so aus wie der Schauspieler Fred McMurray, nach dessen Vorbild Charles Clarence Beck seinen Helden gestaltet hat. Nachdem er seine letzte Aufgabe erfüllt hat, sinkt der Zauberer zurück in seinen Thron, der Steinblock über seinem Kopf löst sich und plättet seinen Körper unter dem enormen Gewicht. Sein Geist wird wie Obi-Wan Kenobi auch noch post mortem als Mentor des jungen Superhelden fungieren.

Dieser Mix ergibt einen verwegenen Cocktail und dehnt das Potenzial des Superhelden-Konzepts auf eine Weise, wie es später „Lucy in the Sky with Diamonds“ mit der vorherrschenden Vorstellung von Popmusik machen sollte.

Das Zauberwort war ein Konzept, das den Superhelden mit der Grundlage des menschlichen Sprechens verband: Sprache, Geschichten erzählen. Captain Marvels Kräfte waren nicht das Resultat harter Jahre im Fitnesscenter oder seiner außerirdischen Abstammung oder seines königlichen Blutes. Seine Kräfte leiteten sich von einem Zauberspruch ab. Er war ein Zauberer.

Ich erinnere mich, wie ich als Kind jedes Wort im Wörterbuch ausrief, nur um mein persönliches Shazam! zu finden. Letztendlich sucht jeder nach seinem eigenen Zauberwort: die Diät, die Beziehung, die Weisheit, die uns befreien und uns vom Koventionellen hin zum Außergewöhnlichen führen könnte. Diese ewige menschliche Hoffnung auf Transzendenz war wie Raketentreibstoff für die Captain-Marvel-Comics. Shazam! wurde ein Bestandteil unserer Kultur wie Abracadabra oder Hey Presto! – eine Allzweck-Beschwörungsformel. Es war ein Wort der Erleuchtung und der persönlichen Verwandlung, die in einem weißglühenden Augenblick vollbrachte, was Jahrzehnte buddhistischer Meditation nicht in der Lage wären zu bewirken. Seine Kräfte waren die Siddhi, welche von den ultimativen Yogis beansprucht werden. In der Sprache der zeremoniellen Magie beschwor Shazam! den höchsten Schutzengel, um einem zu Hilfe zu eilen. Wenn Billys natürliche Neugier ihn in Schwierigkeiten brachte, konnte dieses Wort Captain Marvel herbeirufen, um alles wieder gerade zu biegen.

Tatsächlich war Shazam ja ein Akronym. Captain Marvels Kräfte leiteten sich von sechs Gottheiten und legendären Helden ab. Er war ausgestattet mit der Weisheit von König Salomon, der physischen Stärke von Herkules, der Ausdauer des Atlas, der Macht des Zeus, dem Mut des Achills und der Geschwindigkeit des Merkurs. Merkur war im ganzen Konzept allgegenwärtig, vom knallgelben Motiv des Blitzes auf des Captains Kostüm bis hin zu den Wortspielen und der Präsenz des alten Zauberers, der Billy mit seinem Zauberwort ausgestattet hatte. Dieser arbeitete als Junior-Reporter für den Radiosender WHIZ, womit er in den Fußspuren des Zeitungsmannes Clark Kent wandelte. Der prestigeträchtige Job eines jugendlichen Radioreporters scheint ein so perfekter Job für einen jungen Hermes, dass es schon fast nicht mehr außergewöhnlich oder auch nur erwähnenswert wirkt.

Dies alles machte den ersten okkulten – oder vielleicht passender: hermetischen – Superhelden aus: Marvel war ein Magier in Strumpfhosen, ermächtigt durch höhere Mächte und das Göttliche. Wo Supermans Kräfte auf pseudowissenschaftliche Art und Weise erklärt wurden, öffneten die Abenteuer Captain Marvels die Türen zu einer Welt voller magischer Selbstüberzeugung und Verwandlungsgabe. Da, wo Superman die Zähne zusammenbeißen musste, um die Übel der Welt überwinden zu können, lächelte Marvel bloß und hatte Zeit, seine liebenswerte, warme und gut ausgeprägte Persönlichkeit zu zeigen. Während Supermans Cape schlicht und einfach nur mit seinem „S“ verziert war, war Marvels Umhang extravagant mit einer goldenen Verzierung und bourbonischen Lilien dekoriert. Er trug die militärische Uniform der Männer und Frauen der Zukunft.

Marvel führte noch eine weitere Neuerung ein. Superhelden waren bis dahin Einzelgänger gewesen. 1940 hatte Batman gerade erst Robin angelernt und das Zeitalter der jungenhaften Sidekicks noch nicht ernsthaft begonnen, da hatte Captain Marvel bereits eine Familie um sich geschart. Eine Superhelden-Familie! Zuerst, im Jahr 1942, schloss sich ihm seine Cousine Mary Batson an – sie musste bloß den Namen ihres Helden, „Captain Marvel“, aussprechen, um sich in die weise und gute Mary Marvel zu verwandeln, die ein Gebäude zu Staub zertrümmern konnte, wenn es nötig war. Das dritte Mitglied ihres Teams war der umwerfende Captain Marvel Jr., der sein Debüt in Whiz Comics #25 (1942) feierte.

In einer Ära, in der ein großer Teil des Artworks noch wohlwollend als „robust-primitiv“ bezeichnet werden konnte, waren die Arbeiten von Mac Raboy für diese Strips von einer zeichnerischen Feinheit und einem Verständnis von Anatomie und Bewegung geprägt, die sie einzigartig machten. Sein von ihm gestalteter Captain Marvel Jr. war ein geschmeidiger Engel, der mühelos und besser als jeder andere Superheld die Freiheit des blauen Himmels und die jugendliche Energie einfing. Mit einem solch fähigen Partner wie Raboy im Studio, entwickelte Becks eine glatte und professionelle Linienführung. Die Verkaufszahlen von Captain Marvel erreichten ungeahnte Höhen und übertrafen sogar die des mächtigen Superman. Die Hintergründe erschienen solider in den Geschichten der Familie Marvel, die Schatten waren schwärzer und deutlicher, der Fokus und die Tiefe irgendwie schärfer, und die Comics entwickelten einen edlen Look, der an Disney-Animation oder die besten Zeitungsstrips erinnerte.

Captain Marvel inspirierte sogar seine eigenen Epigonen, z. B. den britischen Marvelman – eine Figur, der ich meinen ersten persönlichen Kontakt mit Superhelden verdanke: Ich war gerade drei Jahre alt und traf auf ihn, als ich durch ein bizarres Abenteuer mit dem Titel Marvelman Meets Baron Munchausen blätterte. Marvelman war eher ein Produkt der Notwendigkeit als der Inspiration. Als DC 1954 erfolgreich Fawcett Comics, den Verleger der Captain-Marvel-Comics verklagte, und Captain Marvel nicht länger erscheinen durfte, musste ein hastig kreierter Ersatz-Superheld dessen Platz in den britischen Veröffentlichungen einnehmen. Editor Mick Anglo rekonfigurierte das zugrunde liegende Konzept der Marvel Family und arbeitete die Figur um, indem er ihre Haare blond färbte und sie in ein blaues Kostüm ohne Cape und ohne außen getragene Unterhosen steckte. Billy und Mary wurden durch Young Marvelman und Kid Marvelman ersetzt. Und doch, als ob Rechtsstreitigkeiten zur Grundstruktur des Konzepts des Comics gehören würden, wurde Marvelman selbst Gegenstand eines erbittert geführten Gerichtsprozesses, der sich über Jahrzehnte erstrecken und große Namen der Industrie wie Alan Moore, Neil Gaiman oder Todd McFarlane mithineinziehen sollte. Captain Marvel und seine geklonten Abkömmlinge fanden sich verstrickt in Statuten, so als hätte sie das Gesetz, Prometheus gleich, gefesselt. DC sollte Fawcett vor Gericht schließlich komplett zerstören, aber der Name Marvel selbst sollte zurückkehren, um DC Comics heimzusuchen.

Den rechtlichen Streitigkeiten, der Verbannung und der Entmachtung des ursprünglichen Captain Marvel zum Trotz, haben er und seine Familie kulturelle Spuren hinterlassen. Elvis Presleys erste Single erschien drei Jahre, nachdem DC die Klage, die das Universum der Marvel Family zu Fall bringen sollte, eingereicht hatte, doch der King of Rock’n’Roll identifizierte sich so stark mit dem geschmeidigen Superjungen aus der Feder Mac Raboys, dass er zu einem Zeitpunkt, als seine Figur schon nicht mehr ganz schlank war, sich seine Kostüme nach dem Vorbild von Captain Marvel Jr. schneidern ließ. Man denke nur an die kurzen Capes und die hohen Kragen, die Elvis in seinen späteren Jahren trug. Oder aber auch an den zerzausten tiefschwarzen Haarschopf, den der King auf seinem Kopf trug. Sogar das blitzförmige Logo am Heck seines Privatjets leitete sich von Captain Marvels Brustverzierung ab, was allerdings nur den Anfang einer fortwährenden Phase der gegenseitigen kreativen Befruchtung zwischen Comics und Popmusik, zweier gleichermaßen verachteter Kunstformen Mitte des 20. Jahrhunderts, darstellte.

Es ist daher kaum überraschend, dass Captain Marvel auch Ken Keseys liebster Superheld war. 1959 hatte sich Kesey freiwillig zu einer klinischen Testreihe von LSD-Experimenten gemeldet, was ihn dazu inspirieren sollte, seinen Roman Einer flog über das Kuckucksnest zu schreiben. Kesey und ein paar seiner jungen Anhänger bemalten auch einen Schulbus mit Neonfarben und machten sich auf den Weg, eine Armee von Rebellen zu rekrutieren und eine alternative Gesellschaft befreiter übermenschlicher Wesen zu begründen.

Die Geschichte von Kesey und den Pranksters mit ihren Superhelden-Alter-Egos – Mountain Girl, Black Maria, Doris Delay – sowie ihr Traum von einer neuen Gesellschaft wurde von Tom Wolfe in seinem Buch Unter Strom verewigt. Darin erzählt Wolfe von Keseys Trip in die Berge, wo er ein Gewitter beschwören und einen Blitz losschicken will, um die Spießer zu blenden, die Bigotten taub zu machen und die Welt für immer zu verändern.

Der Geist des Captain Marvel lebte weiter.

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