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Der Goldfisch
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Sie setzte einen letzten Punkt und drückte auf „speichern“. Die war gut, dachte sie. Die Geschichte war fesselnd und witzig. Damit würde es ihr gelingen, an frühere Erfolge anknüpfen.
Bevor sie die Geschichte ihrer Lektorin schickte, gab sie sie einer Freundin zu lesen, die nicht nur sehr hilfsbereit, sondern auch so etwas wie ihr moralischer Kompass war.
„Klasse, wirklich gut“, sagte die Freundin.
„Aber?“, fragte sie, denn sie hatte ein Zögern wahrgenommen.
„Ich hoffe, du willst das nicht unter deinem Namen veröffentlichen“, sagte die Freundin und presste die Lippen aufeinander.
„Wieso denn nicht, wenn es gut ist?“
„Wegen dem Goldfisch, äh, ich meine, wegen des Goldfischs.“
„Was ist mit dem Goldfisch?“
„Na, was mit ihm passiert. Das kannst du nicht machen.“
„Ich mache nichts, ich schreibe eine Geschichte.“
„Aber das verstehen die Leute nicht.“
„Du meinst, meine Leser verstehen nicht, dass es nur eine Geschichte ist?“
„Deine Leser verstehen das schon. Aber die, die von der Geschichte hören, verstehen das nicht.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Die vertragen es nicht, wenn so etwas mit einem Goldfisch passiert.“
„Aber es passiert ja nichts. Es ist eine Geschichte. Und außerdem hat der Goldfisch nur eine Nebenrolle.“
„Die meinen, wenn du so etwas schreibst, dann machen das welche nach, oder du schreibst das, weil du es erlebt hast oder machen willst, oder die wollen einfach alle vor dem Kopfkino, das entsteht, schützen.“
„Das Kopfkino ist der Sinn des Geschichtenerzählen. Du meinst, die wollen die Phantasie verbieten.“
„Die meinen es gut.“
„Wozu soll es gut sein, die Phantasie zu verbieten.“
„Sie schützen ihre Mitmenschen vor Gewalt.“
„Sind das Rechtsradikale?“
„Nein, die hätten doch kein Problem mit dem, was dem Goldfisch passiert.“
„Aber Linke sind das auch nicht. Linke lieben die Kultur.“
„Das sind Linke, aber ohne links zu sein. Die haben eine Mission. Die kämpfen für alle, die nicht für sich kämpfen können. Gegen Gewalt und Brutalität an sich.“
„Aber es ist eine Geschichte.“
„Das ist denen egal. Das verstehen die auch nicht. Die sind halt wütend.“
„Ja und, was wollen die dagegen machen?“
„Die schreiben dir Hassmails“
„Na, wie viele Leute kann es schon geben, die mir wegen dem, was mit dem Goldfisch passiert, Emails schreiben?“
„Das solltest du nicht unterschätzen. Denen reicht es nicht, dich zu beschimpfen, die veröffentlichen das auch und dann gibt es ganz viele, die sagen, wunderbar, endlich gibt es wieder etwas, wogegen wir kämpfen können. Und wenn da einer ist, der sich so aufregt, dann haben sie Verständnis für den und machen mit. Ist wie so´n Fackelzug früher, bei dem alle mitliefen, weil es ein Spektakel gibt“, sagte die Freundin.
Eine Zeit starrte die Autorin die Wand an. Sie sah eine Horde von Menschen mit Fackeln vor ihrem Haus. Sie stellte sich vor, wie sie schreien: „Liefert sie uns aus, die das mit dem Goldfisch geschrieben hat.“ Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
„Und was soll ich machen?“, fragte sie traurig.
„Streich den Goldfisch raus.“
„Ohne den Goldfisch ist das keine richtig gute Geschichte“, schrie sie ihre Freundin an.
„War nur ein Scherz. Jetzt verlierst du auch schon deinen Humor.“
„Sorry, das macht mich nur so wütend. Das ist das Beste, was ich seit Jahren geschrieben habe. “Sie rieb die Handflächen über die Wangen. „Also, was soll ich machen?“
„Vielleicht kannst du es unter einem Pseudonym veröffentlichen.“
„Toll. Wie viele unbekannte Autoren kennst du, von denen etwas veröffentlicht wird?“ Ihre Hände vergruben sich in ihren Haaren.
„Das ist so gut, das wird auch unter einem anderen Namen veröffentlicht.“ Ihre Freundin lächelte aufmunternd.
„Und den Siegfried-Lenz-Preis nehme ich dann mit einer Maske entgegen?“, fragte sie sarkastisch.
„Die Zeiten ändern sich halt“, sagte ihr Freundin und klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Es reicht nicht, Gutes zu schreiben, man muss auch bereit sein, dafür gemobbt zu werden. Das war bei Galileo, Kafka und Zweig nicht anders. Notfalls musst du widerrufen oder nach Amerika auswandern.“
„Sei nicht verzweifelt“, ergänzte sie, „du musst nur immer dran denken: Sie meinen es nur gut, – jedenfalls mit dem Goldfisch!“