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I. Einführung
ОглавлениеDieses Buch gehört auf den Tisch der über Corona-Maßnahmen entscheidenden Politikerinnen und Politiker und der einschlägigen Wissenschaft. Sie haben im März, im Oktober und November 2020 wenig umsichtig, geradezu engstirnig entschieden. Diese Dokumentation soll deshalb ans Licht holen, was bisher von den Offiziellen der Corona-Politik höchst selten erwähnt und schon gar nicht beachtet wird: Die Corona-Maßnahmen haben für viele Menschen böse, bisweilen sogar tödliche Folgen – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch menschlich, seelisch und gesellschaftlich.
In der öffentlichen Debatte um das neue Virus wird vor allem diskutiert, welche gesundheitlichen Gefahren von ihm ausgehen und was die Politik dagegen tun sollte. Als sogenannte Experten werden Fachleute aus dem Bereich der Medizin und der Gesundheitspolitik herangezogen. Ihre Gesichtspunkte, ihr Wissen und ihre Gedanken gehen dann in die politischen Entscheidungen ein.
Weil die Folgen, die Risiken und Nebenwirkungen der Corona-Politik von Anfang an viel zu wenig beachtet wurden, hat die Redaktion der NachDenkSeiten am 22. Oktober 2020 ihre Leserinnen und Leser in einem Aufruf darum gebeten, von ihren Erfahrungen mit der Corona-Politik zu berichten.
Darin hieß es, man müsse die Folgen dieser Politik bei »einfluss-losen Kreisen« dokumentieren. Diese Formulierung war bewusst gewählt und sie ist berechtigt. Was die Corona-Maßnahmen bei Menschen anrichten, die nicht im Scheinwerferlicht des öffentlichen Lebens stehen, ist so bemerkenswert wie bedrückend. Besonders betroffen und meist nicht beachtet sind zum Beispiel (in zufälliger Reihenfolge):1
Kleinkinder, Kinder, Jugendliche: Die Langzeitwirkung der Einschränkungen, die man den jungen Menschen zumutet, wird von den politisch Verantwortlichen weder erkundet noch berücksichtigt.
Pflegebedürftige und Menschen in Altenheimen
Psychisch Belastete und Kranke
Künstler, Musiker, Kabarettisten
Einsame Menschen
Inhaber von Kinos und Theatern
Schauspieler
Chorleiter und -sänger
Honorarkräfte in der Erwachsenenbildung
Psychosoziale Fachkräfte
Menschen, die in der Gastronomie arbeiten
Gastwirte, Inhaber von Kneipen und Clubs
Leiter und Teilnehmer von Tanzkursen und Tanzveranstaltungen
Menschen, die sich in ihrer Freizeit kreativ betätigen
Veranstaltungsschaffende
Menschen ohne finanzielle Reserven
Alleinerziehende
Geschiedene ohne Sorgerecht
Menschen, deren Lebensqualität von Nebeneinkommen abhängt
Familien, die in engen Wohnungen hausen müssen
Unternehmen ohne finanzielles Polster
Menschen, die keine Maske tragen dürfen (COPD = chronisch obstruktive pulmonale Dyspnoe, Asthmatiker etc.)
Autistische Kinder und deren Eltern
Menschen mit Schulden
Gehörlose und andere Menschen, die kommunikativ auf Mimik und Lippenlesen angewiesen sind
Flüchtlinge und Menschen, die sich um diese kümmern
Angestellte in der Tourismusbranche
Studienanfänger, Azubis, Praktikanten, Abiturienten: Die Berufsfindung wird jungen Leuten aktuell massiv erschwert! Hat das irgendjemand in Berlin im Blick?
Usw.
Diese Liste ist lang und dennoch vermutlich nicht einmal annähernd vollständig. Wir begegnen heute überall viel Leid, Traurigkeit und Ausweglosigkeit. Die zu befürchtenden Langzeitfolgen sind noch nicht einmal einbezogen, weil das nur schwer möglich ist. Aber eine ordentliche, eine gute Politik müsste sich auch darüber Gedanken machen.
Unsere Dokumentation soll wenigstens helfen, bei neuen Entscheidungen etwas umsichtiger vorzugehen.
Die NachDenkSeiten hatten die Antworten ihrer Leserinnen und Leser in zwei Dokumentationen – am 26. Oktober und am 12. November – ins Netz gestellt. Da werden spannende und bedrückende Geschichten erzählt.
Ein Leser schlug vor, die Dokumentation der Stimmen jener, die im Dunkeln leben, sollte auch als kleines Buch veröffentlicht werden, damit diese bewegenden Erkenntnisse auch von Menschen gelesen werden können, die den üblichen Zugang zum Netz nicht haben.
Wir haben diesen Vorschlag aufgegriffen. Hier ist die Dokumentation.
Sie enthält in Kapitel II. 70 Berichte und zusätzlich ein Interview des NachDenkSeiten-Redakteurs Jens Berger mit dem DJ Benny Ruess. Im Kapitel III. sind vier Artikel aus den NachDenkSeiten wiedergegeben. Drei davon stammen vom April 2020, einer vom Juni. Schon am 1. April, also eine Woche nach dem Beschluss unserer Regierungen zum Lockdown, hatten wir eindringlich und im Einzelnen auf die Folgen der am 22. März beschlossenen Corona-Maßnahmen aufmerksam gemacht. Die politisch entscheidenden Personen in Berlin und in den Landeshauptstädten hätten damals schon wissen können und wissen müssen, dass es nicht nur die medizinischen Belange, sondern auch die gesellschaftlichen und persönlichen Folgen der Corona-Politik gibt.
Noch ein paar Anmerkungen zu den Berichten und deren Darstellung: Die Berichtenden sind mit Klarnamen genannt, wenn sie dem zustimmten. Sie sind anonymisiert oder in Initialen genannt, wenn sie das so wollten.
In der Regel wurden die Berichte wortgetreu übernommen. An manchen Stellen trat eine sanfte redaktionelle Hand hinzu, etwa um allzu grobe Rechtschreibfehler zu korrigieren, die Lesbarkeit zu verbessern und um bisweilen persönliche Beleidigungen zu streichen.
Viele derjenigen, die geschrieben haben, sind offensichtlich sehr aufgewühlt, weil die Corona-Maßnahmen ihr persönliches Leben in bedrückender Weise beeinflussen. Deshalb sind emotionale und teilweise hart kritisierende Reaktionen verständlich. Auch hier haben wir nur diejenigen außen vor gelassen, die beleidigend sind.
Manche Einschätzung, die wir nicht teilen, haben wir stehen lassen. Zum Beispiel halten wir Vergleiche zwischen dem Tragen einer Maske und dem Tragen eines Judensterns für unangemessen, haben aber solche Anmerkungen dennoch in die Dokumentation aufgenommen, wenn der Text ansonsten informativ war.
Schließlich bekamen wir auch Texte, welche trotz oder vielleicht auch wegen all der Mühe, die in sie hineingeflossen sind, einfach zu lang waren und den Umfang des Bandes drastisch erhöht hätten. Um ihn für alle erschwinglich zu halten und weil wir unsere Leserschaft nicht zensieren wollen, mussten wir auch hier schweren Herzens Abstriche machen.
Zum Schluss zur Information und zur Erinnerung: Der Titel Die im Dunkeln sieht man nicht ist der Dreigroschenoper von Bert Brecht entnommen. Das passt auch dem Inhalt nach.
Albrecht Müller