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Einleitung

Wer war Hitler? Es gibt zahllose Versuche, diesen Mann zu portraitieren und zu ergründen. Ob Hitler „gefasst“ wurde, verstanden, erklärbar gemacht werden konnte, war und ist Gegenstand vieler Diskussionen. Einige Bücher haben grundlegend unser Bild von Hitler beeinflusst, so Joachim Fests Hitlerbiografie oder die Studien von Ian Kershaw.1 Wesentlich wirkungsmächtiger werden aber wohl die Bilder Hitlers gewesen sein, die in den letzten Jahrzehnten die Massenmedien produziert haben, teils in aufklärerischer Manier, teils sicherlich auch, weil Hitler Quote bringt.2 Die Dämonisierung Hitlers war dabei eines der beliebtesten Stilmittel, übrigens auch in der Wissenschaft. Die Potenzialität des Monströsen hat jedoch seine Schattenseiten als Erklärung, wie ein Mann wie Hitler Macht ausüben konnte: Diese Perspektive entlastet zu sehr diejenigen, die das System Hitler konstituiert haben, von denen man fälschlicherweise behauptet, sie hätten erst „befreit“ werden müssen. Schon allein in dem Bild der Befreiung vom Bösen steckt eine Problematik, ähnlich wie die der Trivialisierung Hitlers in der Popkultur. Trivialisierung entsteht durch massenmediale Abnutzung und zu oft provozierte Tabubrüchen. Trivialisierend können aber auch die Darstellungen wirken, die Hitler parodierend verarbeiten und lächerlich machen, um – wie es dann so oft als Erklärung heißt – sich über das Phänomen Hitler stellen zu können, sich zu erheben und den eigenen moralischen Standpunkt deutlich zu machen. Hitlerparodien sind ein eigenes Genre geworden mit Beiträgen wie „Adolf, die Nazi-Sau“, „Schtonk“ oder „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“. Das Genre hat es sogar schon zu einem eigenen Beitrag in der Web-Encyclopädie Wikipedia gebracht.

Und immer, wenn man zum Beispiel auch in der Kunst noch ein Quentchen Böses braucht, bedient man sich gerne des vermeintlichen Prototypen des Bösen sowie der Requisiten seines Reiches. Dieses vielleicht sogar politische und aufklärerische sich Abarbeiten an der Geschichte und Herr werden über sie mag gut gemeint sein. Comiczeichner oder Künstler mögen sogar kritisch an ihre „Geschichte“ herangegangen sein und eine klare demokratische Haltung haben, was alles durchaus lobenswert ist.3 Die Popkultur ist schließlich nicht per se ohne Haltung. Aber ist es nicht so, dass uns Hitler heute wieder zunehmend entgleitet, eh wir ihn gefasst hatten?

Problematisch an Hitler in der Popkultur ist, dass eine ganze Epoche, ein ganzes komplexes System nur noch über einzelne Images, ikonografische Details wie Scheitel, Hitlerbärtchen oder Hakenkreuze kenntlich gemacht werden und oberflächlich schon als Code der Verständigung von Gruppen, die diese Zeichen nutzen, die diese Zeichen ablehnen oder die diese Zeichen karikierend verwenden etc. dienen. Es kommt zu Verkürzungen in der Darstellung – zwangsläufig, am Ende bleibt dann tatsächlich nur noch Hitler als Witzfigur übrig, weil man eine komplexere Beschreibung seiner Haltung nicht geben kann.

In der demokratischen Kultur Deutschlands ist man zu einem überwältigenden Teil „gegen Nazis“. Die Antifa-Kultur ist da nur ein Beispiel, die Grundhaltung, gegen rechts zu sein und sich über die Ablehnung des historischen „Dritten Reichs“ sogar zu definieren, ist immerhin auch in der Breite zur Maxime, und oftmals selbstverständliches und nicht mehr durchdachtes Ritual geworden. Aber irgendwie verblasst dieser Hitler trotzdem als historische Realität. Natürlich verblasst er auch, weil die Jahrzehnte eine andere Geschichtsfühligkeit mit sich gebracht haben. Aber es könnte und sollte heute und in Zukunft, selbst wenn die Betroffenheit, Schuld, das schlechte Gewissen der Miterlebenden über die Generationen verloren geht, die Zeit des Nationalsozialismus immer als Fanal gelten. Das klingt oberlehrerhaft, aber es hat einen wahren Kern. Aus der NS-Zeit können auch in Zukunft Lehren gezogen werden, zumindest theoretisch wird die Zeit des Nationalsozialismus und der Aufstieg Adolf Hitlers uns heute und in Zukunft vor Augen halten, wie wichtig es ist, Macht zu kontrollieren und wachsam sowie politisch aktiv zu sein. Das ist keine Selbstverständlichkeit, auch wenn sich viele das nicht mehr vorstellen können. Sich Hitler an den Hals geworfen, ihn religiös überhöht als „Heiland“ vergöttert zu haben, scheint den Jüngeren sogar geradezu absurd. Sich das Verhalten der Deutschen vor 70 Jahren jedoch noch einmal genau vor Augen zu halten, ist nach wie vor erhellend und aufrüttelnd. Es gehört zu einer aufgeklärten Kultur ohne Geschichtsvergessenheit, sich auch immer wieder damit zu konfrontieren, wie der Nationalsozialismus möglich geworden ist und wieso die meisten Deutschen sich Hitler so auslieferten, ihn kritiklos hochstilisierten, keinerlei Distanz wahrten. Vielfach ist genau das in der Literatur mit Hitlers besonderem Charisma erklärt worden. Mit Hitlers Charisma zu argumentieren oder die ausgeklügelte Inszenierung dieses Charismas zu betonen, führt jedoch immer wieder nur zu dem gleichen falschen Punkt: dass die Deutschen damals keine so große Schuld treffen konnte, weil entweder eine sozusagen göttliche Autorität oder kaum fassbare Vermarktungsstrategien am Werk waren, die die Deutschen verführten und Hitler in seine Position brachten.

Aber die Wahrheit ist auch, dass Hitler und der Führerkult den Massen nicht nur aufgezwungen wurde, sondern von ihnen miterschaffen worden ist.4 Hitler bot eine große Projektionsfläche für alle möglichen Sehnsüchte der Deutschen, wie sie deutlich in diesem Buch hervortreten. Hitler ist damit ebenso ein Produkt der Fantasien der Deutschen gewesen.

„Lieber Onkel Adolf“, „Sehr verehrter Herr Reichskanzler“, „Geliebter Führer“ – so oder ähnlich begannen viele Briefe, die bis 1945 zu Tausenden in der Kanzlei des Führers oder auf dem Obersalzberg bei Hitlers Schwester Angela Raubal eingingen. Sie stammen aus Deutschland, Österreich, aber auch aus England oder Japan. So vielfältig wie die Begrüßungen waren die Anliegen der Schreiber: flehende Bittbriefe, Glückwünsche zum Jahreswechsel oder zum Geburtstag, ideologische Fragen oder scharfe Proteste. Aus allen Teilen der Bevölkerung schrieben die Menschen an ihren „Führer“, vom Professor bis zum Arbeitslosen, von der Nonne bis zum SA-Mann. Die Popularitätskurve Hitlers las sich schließlich auch in der Zahl der an ihn gerichteten Briefe ab. Während zu Beginn seines Aufstiegs Verehrungsbriefe noch rar gesät waren, häufte sich spätestens seit seinem Machtantritt 1933 die oft gottgleiche Huldigung seiner Person. Während des Krieges schwand das Vertrauen in den „Führer“ und damit auch das Briefvolumen. Für Hitler selbst war die Bevölkerungspost oft ein wichtiges Stimmungsbarometer – und auch wenn er nicht mal annährend alle Briefe las, wurde er von den Leitern der Kanzleien regelmäßig mit ausgewählten Auszügen versorgt.

Nach dem Ende des Krieges 1945 bedienten sich die Alliierten aus den Archiven der schwer beschädigten Reichskanzlei, die sich zu dieser Zeit im russischen Sektor befand. Sie hofften, Beweismaterial zu sichern. Nichts anfangen konnte man jedoch mit der Bevölkerungspost aus der Privatkanzlei Hitlers, denn mit ihr ließ sich nicht Schuld oder Unschuld überlebender Mittäter nachweisen. Oft wurden diese Briefe in Archiven abgelegt und vergessen. So entdeckte der Journalist und Historiker Henrik Eberle vor einigen Jahren in einem Moskauer Archiv vergessene Post an den Reichskanzler Adolf Hitler, die er in mehreren Wochen systematisch auswertete und in Buchform veröffentlichte.5 Diese wiederentdeckten Briefe waren mit anderen interessant erscheinenden Akten von der Roten Armee nach Moskau gebracht worden. Auch in den USA interessierte man sich für das Schriftgut aus der Reichskanzlei: Ein amerikanischer Soldat, der aus Interesse in die zerstörte Reichskanzlei eingestiegen war, sammelte mehrere tausend Briefe und schickte sie in sein Heimatland. 50 Jahre später veröffentlichte William C. Emker zusammen mit dem deutschen Historiker Helmut Ulshöfer eine Auswahl von Liebesbriefen an Hitler.6

Die Akten des Bundesarchivs in Berlin

Um Briefe an Hitler aus der deutschen Bevölkerung der 1930er und -40er Jahre lesen zu wollen, muss man nicht bis Russland oder die USA fahren. Auch das Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde lagert kiloweise Post an Hitler. Stapelweise Ordner und Hefter mit Hunderten von Blättern bekommt man im Berliner Bundesarchiv nach Bestellung vorgelegt, sortiert sind sie allenfalls nach Jahr oder den jeweiligen Anfangsbuchstaben der Verfasser. „Glückwunschschreiben aus dem Jahr 1937“ heißt es dann allgemein in den Findbüchern des Archivs. Diese Glückwünsche sind mit Zeichnungen oder Gedichten versehen, viele Menschen haben Fotos von sich oder ihren Kindern beigelegt. Einige Schreiben sind mit Maschine geschrieben, der Großteil jedoch in Sütterlin verfasst. Nur einige wenige Briefe sind vergilbt oder gerissen. Ein Großteil der Post ist gut erhalten, ordentlich durchnummeriert, abgestempelt und zum Teil mit einem rosa Durchschlag der Antwortschreiben versehen.

Die nachfolgenden Briefe bilden nur einen kleinen Teil der Bestände des Bundesarchivs ab und stammen hauptsächlich aus der Zeit vor Kriegsbeginn – darunter befinden sich Gedichte, Verehrungsschreiben oder Glückwünsche. Damit bietet die vorliegende Sammlung immerhin einen authentischen, direkten Einblick in das Denken und Fühlen der vom Nationalsozialismus „Verführten“, der Mitläufer und vielleicht auch Mittäter. So sahen einige Hitler praktisch als Familienmitglied, als Onkel, der ihnen Gutes tut. Andere personifizierten ihn als den „Erlöser“, benutzten religiös geprägte Formulierungen. Die Briefe bilden einen starken Kontrast zu den Schrecken, die die Diktatur und der Zweite Weltkrieg nur einige Zeit später auf der ganzen Welt anrichten werden. Man entnimmt diesen Brief auch, dass deren Verfasser ungebremst an das Gute in Hitler und seiner vernichtenden Ideologie glaubten – gerade dieser Zwiespalt zwischen der Gedankenwelt der Menschen damals und dem, was wir heute wissen, kreiert eine Beklommenheit aus heutiger Sicht zwischen Ungläubigkeit und Angewidertsein angesichts so hemmungsloser Hingabe. Die Briefe sind somit eine Quelle darüber, dass viele Deutsche jegliche kritische Distanz in den 1930er/40er Jahren verloren haben und sich in der vermeintlichen Größe ihres „Führers“ selbst spiegelten. Die Briefe offenbaren, mit welch großer Begeisterung und Leidenschaft die Deutschen ihre Linientreue beteuerten und Teil des Systems sein wollten. Die Schreiben sind geradezu intime Zeugnisse, in denen Anpassung und Hingabe sogar (homo)erotische Züge tragen. Die Verfasserinnen und Verfasser wollten nah bei Hitler sein und sogar für ihn sterben. Die Anliegen, die in den Briefen zu Tage treten, erscheinen heute absurd. Aber die Absurdität dieser besonderen Literatur hat einen heilenden und abschreckenden Effekt für heutige Leser. Genau deshalb haben wir dieses Buch gemacht.

Diese Quellenedition wird nicht unser Hitlerbild erneuern, vielmehr bietet es die Gelegenheit, sich anhand der hier versammelten Primärquellen in das komplexe Verhältnis der Deutschen zu Hitler hineinzudenken und eigene Rückschlüsse zu ziehen, die jenseits der popkulturellen Verkürzungen stehen.

Editorische Notiz

Im Folgenden lesen Sie eine Auswahl aus den Beständen des Bundesarchivs. Relevante Bestände fanden sich in den Akten der persönlichen Adjutantur des Führers und Reichskanzlers (BArch NS 10), im Hauptarchiv der NSDAP (BArch NS 26), der Kanzlei des Führers der NSDAP (Dienststelle Bouhler, BArch NS 51), der Registratur der Reichskanzlei (BArch R 43/3L sowie im Bestand Neue Reichskanzlei (BArch R 43-A-II). Die aus diesen Überlieferungskontexten gesammelten Briefe sind von den Herausgebern verschiedenen Themenkomplexen zugeordnet worden: Kinderpost, Geburtstagsglückwünsche, Anliegen und Dankesschreiben, Briefe von Frauen, Gedichte, Briefe mit politischem Hintergrund, Briefe mit Bezug zur Kirche sowie Post von Personen aus dem Ausland.

Jeder Quelle sind einleitende Informationen vorangestellt. Um die Authentizität zu wahren, wurden die Briefe und Abschriften originalgetreu übernommen. Dies beinhaltet auch Tippfehler, orthografische Mängel sowie Unterstreichungen. Infolge der Anonymisierung erfolgten lediglich Änderungen bei den Absendern der Briefe. Für eine bessere Lesbarkeit wurden teilweise die Formatierungen der Quellen abgeändert. Unleserliche oder vermutete Buchstaben bzw. Wortlaute wurden mit Auslassungszeichen in eckigen Klammern gekennzeichnet. Gleiches gilt für Vermerke der Herausgeber.

[.]ausgelassenes Wort
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