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Der undressierte Hund

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Karin Ackermann-Stoletzky

Es gibt Menschen, die mich immer wieder in Erstaunen versetzen: Sie sind gut organisiert, handeln konsequent und schaffen es irgendwie, ihr Leben im Griff zu haben. Wir gehören nicht dazu, mein Mann und ich, obwohl wir es wirklich immer wieder versuchen. Beispiele dafür gibt es viele. Als wir etwa unseren Hund Kalle bekamen, da bemühten wir uns, alles richtig zu machen: Wir gingen mit ihm in die Welpenspielstunde (o.k., nicht lange, aber immerhin fünf Mal), übten mit ihm »Sitz!« und »Platz!«, und er durfte nicht aufs Bett (weil das für die Hundepsyche nicht gut ist, die Viecher meinen dann sofort, sie wären auch ein Mensch). Ich las sogar einen Ratgeber für Hundebesitzer, in dem ein Tierpsychologe erklärte, worauf zu achten ist, und mein Mann und ich sahen uns jeden »Tiernanny-Ratgeber« im Fernsehen an. Besonders wichtig: Der Hund muss seinen Platz im Rudel genau kennen, und es muss konsequent mit ihm gearbeitet werden. Bei dem Wort »konsequent« hätte ich das Buch eigentlich schon beiseitelegen und das Fernsehgerät ausschalten können, aber mein Hundemutterherz ließ mich hoffen, dass ich es diesmal schaffe, das mit dem Konsequentbleiben …

Das ist eben mein großes Handicap: Ich bin in viel zu vielen Situationen viel zu inkonsequent. In manchen Bereichen klappt es ja wunderbar, zum Beispiel halte ich meine Pommes-Sahnetortendiät schon seit Jahren konsequent durch, bin konsequent unordentlich und schusselig und werde ebenso konsequent immer erst auf den letzten Drücker mit allem fertig. Ich habe mit meinem inneren Schweinehund schon genug zu tun – und eigentlich war ja klar, dass die Idee mit der konsequenten Außenhunderziehung nur klappen würde, wenn der Innenhund vorher bei Fuß geht. Trotzdem, ich war wild entschlossen.

Jetzt, drei Jahre später, ist Kalle ein lebendiger, fröhlicher, kuscheliger, kluger, witziger, katzenfreundlicher Wachspitz, der natürlich jede Nacht mit uns im Bett schläft (ich fand es irgendwann schwer, ihm zu erklären, dass die Katzen im Bett schlafen dürfen und er nicht – und ja, ich weiß, dass es irrational ist, einem Hund etwas erklären zu wollen!). Sobald es an der Tür klingelt, macht er mehr Krach als die beste Alarmanlage, im Auto macht er einen Riesenlärm, wenn er draußen andere Hunde sieht, die ohne ihn zu fragen seine Bürgersteige benutzen, und er mag keine Kinder, die kläfft er auch an. Zur Begrüßung springt er gerne mal an Leuten hoch, was man als Hund nicht darf (gut, als Mensch auch nicht …). Aber immerhin kommt er sofort, wenn er gerufen wird, egal, wie weit er vorausgerannt sein mag, lässt sich jeden Knochen aus dem Maul nehmen, kuschelt mit unseren Katzen, macht »Sitz!« und »Platz!« – und er kann grinsen wie ein Mensch.

Seit wir Kalle haben, verstehe ich alle Eltern, die peinlich berührt zur Seite sehen, wenn ihre Kinder sich in der Öffentlichkeit schlecht benehmen, und dann so tun, als hätten sie nichts bemerkt. Die Konfrontation mit den eigenen Erzieherdefiziten ist nicht leicht, und die vorwurfsvollen Blicke der Mitmenschen sind nicht eben angenehm. Wenn Kalle und ich unterwegs sind, er begeistert andere Hunde anbellt und Passanten vorwurfsvoll ihr Haupt schütteln, reagiere ich nicht klar und konsequent, sondern versuche oft, ihn mit unterdrückter Stimme halb flüsternd zur Ruhe zu rufen, weil es mir peinlich ist, dass mein Hund sich nicht benehmen kann. Was Kalle wahrscheinlich eher als halbe Bestätigung auffasst.

Manchmal lege ich mich mit den Hundekritikern der Umgebung auch an. Vor einiger Zeit hatte ich einen heftigen Disput mit einem Mitarbeiter der Müllabfuhr, der laut schreiend forderte, solche lauten Tölen sollte man totschlagen. Ich schrie zurück, er müsste doch als Erster Verständnis für das Mitteilungsbedürfnis meines Hundes haben, er könnte anscheinend ja auch nicht die Klappe halten. Seine Kollegen lachten und hielten ihn dann fest, als er hinter uns herrennen wollte, und Kalle und ich bogen schnell um die nächste Ecke (wobei Kalle eindeutig wieder mal grinste).

Er ist also von mir nicht ruhigzustellen, und das kann ganz schön nerven. Aber wenn er einmal pro Woche mit Benno unterwegs ist, bin ich ganz die stolze Hundebesitzerin. Benno ist »Dogwalker« und geht täglich mit bis zu acht Hunden gleichzeitig spazieren, vier Stunden Rudelwanderung. Ich weiß nicht genau, wie er das hinbekommt, aber keiner seiner Kunden tanzt aus der Reihe. Auch Kalle trabt zwischen all den großen Hunden ohne Angst und ohne Kläfferei mit fröhlich wedelndem Schwanz durch Solingen und ist ein Vorbild für jeden Spitz: Brav, ruhig, gehorsam … Er kann also, wenn er muss, der Hund!

Eines Tages bereitete ich mich auf ein Seminar für Mitarbeiter in der Behindertenhilfe vor. Es sollte um »Ressourcenorientierung« gehen, also darum, nicht ständig zu versuchen, die Schwachstellen im Leben auszugleichen, sondern Stärken, Möglichkeiten und Hilfsmittel zu entdecken. Als ich so nebenbei wieder mal mit meinen Hundeerziehungsdefiziten haderte, hatte ich plötzlich die Idee, diesen Grundsatz auch auf Kalle und mich anzuwenden: Was kann ich gut, was kann Kalle gut und worauf reagiert er am besten? Wie haben wir ihm zum Beispiel »Sitz!« und »Platz!« beigebracht, warum kommt er, wenn wir rufen? Die Antwort lautet: Kalle liebt Käse, und Kalle liebt uns! Für Käse macht er fast alles, und wie die meisten Hunde ist er echt begeistert, wenn wir uns über ihn freuen. Und wenn ich nicht warte, bis er richtig in Kläfflaune kommt, sondern versuche, ihn vorher käsetechnisch auf mich zu fixieren, vielleicht …

Manchmal haut es hin, eigentlich sogar immer öfter. Ein gut dressierter Hund ist Kalle aber immer noch nicht, und leider liegt das weniger an ihm als an mir. Obwohl: Mit der Methode, auch in der Schweinehunddressur meine Stärken zu nutzen, statt mich auf meine Schwächen zu konzentrieren, gibt es doch den einen oder anderen Erfolg. »Das Gute, das ich tun will, tue ich nicht, das Böse, das ich nicht tun will, tue ich – nun aber ist dies weit überwunden in Jesus Christus, meinem Herrn!« Das ist eigentlich gar keine schlechte Richtschnur für den Umgang mit inneren Schweinehunden.

Erwarten Sie von mir trotzdem keine Ratgeber zum Thema Hundeerziehung oder Konsequenz. Aber zum Thema »Unangenehm auffallen und trotzdem gut drauf« können Sie auf mich zählen.


Karin Ackermann-Stoletzky lebt mit ihrem Mann, dem Journalisten Cyrill Stoletzky, in Solingen. Sie arbeitet als Supervisorin, Trainerin, Referentin und betreibt eine Praxis in Solingen. www.praxis-intakt.de

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