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ОглавлениеAlbrecht Gralle
verworfen
Ich werde ein Bad nehmen. Und danach ein paar Stunden schlafen. Es ist vorbei. Pilatus hat nachgegeben. Jeshua, der Gotteslästerer, der Durcheinanderbringer, wird gekreuzigt. Endlich! Ein Albtraum geht zu Ende.
Es klopft. Ich will meinen Sklaven zurückhalten, damit er keinem Fremden öffnet, weil ich keine Kraft zu neuen Auseinandersetzungen habe, aber er ist schon an der Tür.
Ich höre eine Männerstimme und erkenne den tiefen Bass von Jitzhak, meinem Freund aus Cäsarea. Nun gut, Jitzhak kann ich noch ertragen.
Er scheint erregt zu sein, und ich lasse eine Karaffe mit verdünntem Wein, eine Schale mit Datteln, gedörrten Lammstreifen und einer Soße aus gewürztem Olivenöl kommen.
Es ist sonst nicht Jitzhaks Art, mit der Tür ins Haus zu fallen, aber nach dem ersten Schluck bricht es schon aus ihm heraus: „Wie ich gehört habe, ist der Prophet zur Kreuzigung verurteilt worden!“
„Natürlich!“, sage ich. „Schließlich ist er ein Gotteslästerer!“
„Aber warum? Was hat er denn gesagt?“
„Jitzhak, ich weiß, du hast immer Sympathien für den Galiläer gehabt, aber was zu viel ist, ist zu viel. Er hat sich doch tatsächlich heute Nacht mit dem Menschensohn aus dem Buch Daniel identifiziert, mit diesem endzeitlichen Richter, der mit den Wolken des Himmels kommen soll. Das können wir nicht dulden! Auch wenn ich als Sadduzäer die Propheten für nicht so bedeutend halte, ist es eine Anmaßung.“
„Und wenn er nun wirklich der Messias ist, Kajafas? Wenn er tatsächlich eines Tages in der Lichtwolke erscheinen wird, was dann? Hat er nicht Kranke geheilt? Tote auferweckt?“
Ich schüttele den Kopf. „Krankenheilungen, Totenauferweckungen und Exorzismen machen auch andere Wanderrabbis, und der Trick mit dem verfaulten Schafsfleisch im Grab des angeblich toten Lazarus, damit es nach Leiche stinkt, ist leicht zu durchschauen, ein perfektes Spektakel!“
„Hast du ihn einmal reden hören? Jeshua redet schlicht und gleichzeitig tiefsinnig. Das Herz geht dir dabei auf.“
Ich seufze. „Natürlich habe ich Jeshua beobachten lassen und ihn gelegentlich auch heimlich selbst gehört. Zugegeben, er hat eine Rednergabe und spricht sehr anschaulich, obwohl er heute Nacht meistens geschwiegen hat, aber er kann auch seine Feinde mit ein paar Sätzen fertigmachen, so, wie er es mit mir gemacht hat. Inzwischen lachen alle über mich!“
„Er hat sich über dich lustig gemacht?“
Ich spüle die Dattelreste mit einem Schluck Wein hinunter.
„Ich bin erledigt, Jitzhak. Niemand nimmt mich ernst, äußerlich schon, aber sonst …? Ich sage dir: Der Galiläer ist ein einziger Albtraum für mich! Oder er war es.“
„Warum?“
Ich lehne mich vor, innerlich erregt, wenn ich an diese Beleidigungen denke. „Pass auf. Neulich erzählte er die bekannte Geschichte von dem armen Gelehrten aus Aschkalon und dem reichen Steuereintreiber Bar-May‘an, deren Schicksal sich nach dem Tod umdreht. Der Arme befindet sich plötzlich in Abrahams Schoß und der Reiche in der Scheol, wo er leidet.“
„Ja, die Geschichte kenne ich. Stammt sie nicht aus Ägypten?“
„Richtig. Ägyptische Juden haben sie mitgebracht. Aber Jeshua erzählte die bekannte Geschichte ganz anders.“
Ich sehe, wie Jitzhak mit den Schultern zuckt. „Na und? Dir kann das doch gleichgültig sein, du gehörst zu den Sadduzäern, ihr glaubt doch sowieso nicht an ein Leben nach dem Tod.“
„Wart‘s ab … also, Jeshua lässt in seiner Version der Geschichte einen todkranken, unreinen Bettler mit offenen Wunden, der noch dazu von unreinen Tieren abgeleckt wird, vor der Tür eines Reichen ablegen. Sein Name: Lazarus oder Elieser … Hilfe Gottes. Der Reiche bekommt bei Jeshua keinen Namen. Jedenfalls mit einem unreinen Bettler vor der Tür ist der Reiche ruiniert. Welcher fromme Jude wird ihn jetzt noch aufsuchen wollen? Alle haben Angst, dass die Hunde ihre Sandalen berühren. Natürlich wird der Reiche den Armen nicht noch weiter am Leben erhalten wollen, indem er ihm die Abfälle gibt. Du weißt doch, bei unseren Festen wischt man sich manchmal die Fetthände mit Brotfladen ab.“
„Keine gute Sitte. Aber klar, der Reiche hofft, dass der unreine Bettler bald stirbt, damit er diesen Skandal loswird. Warum lässt er ihn nicht entfernen?“
„Keine Ahnung. Aber hör weiter zu: Nun lässt Jeshua in seiner Geschichte die beiden sterben, und sie kommen wie in der bekannten Version an unterschiedliche Orte. Der Reiche bittet Abraham um Linderung und sorgt sich um seine fünf Brüder oder Schwäger, dass sie nicht auch an diesen Ort kommen und …“
„Oh nein!“, ruft Jitzhak aus, „ich begreife deinen Ärger!“
„Ja“, sage ich. „Verstehst du jetzt, warum man über mich lacht?“
Jitzhak nickt: „Ich muss schon sagen: eine geniale Nacherzählung. Jeshua braucht dem Reichen keinen Namen zu geben, weil jeder weiß, dass es genau vier wirklich reiche Familien in Judäa gibt. Und eine davon ist die Sippe deines Schwiegervaters Hannas, und es gibt nur einen, der fünf Schwestern und deshalb fünf Brüder oder Schwäger hat – und das bist du. Er versetzt dich mit seiner Geschichte in das Totenreich, einen Mann, der an die Scheol gar nicht glaubt!“
Jitzhak schüttelt fassungslos den Kopf. „Oh ja, eine echte Provokation!“
„Du kannst dir vorstellen, dass ich getobt habe vor Wut, als man mir die Geschichte hinterbracht hat. Und Jeshua wusste genau, dass man sie mir erzählen würde! Er redet zu mir, ohne dass er mich aufsuchen muss. Indirekt. Seitdem wollte ich ihn nur noch loswerden. Sein Gefasel von dem Liebesgebot, das über allem stehen soll, klingt mir nicht mehr glaubwürdig. Wer einen Mann wie mich so bloßstellt, läuft mit einem großen Hass herum. Ich habe mich gefühlt, als ob ein Dolch durch mein Herz gestoßen würde. Und es war mir eine Genugtuung, als ich mein Gewand zerreißen und mein endgültiges Urteil über ihn sprechen konnte.“
Jitzhak schweigt und versucht mit einem Zahnstocher, die Reste einer Fleischfaser zu entfernen, dann lehnt er sich zurück. „Ich verstehe, dass du wütend bist, Kajafas. Aber einen Menschen zum Tode zu verurteilen, nur weil er dich beleidigt hat?“
„Oh nein“, sage ich, „das war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich bin schließlich der Hohepriester, der für das Wohl eines ganzen Volkes zuständig ist. Wir sind ein besetztes Land. Und so ein Naivling wie Jeshua gefährdet das delikate Machtverhältnis zwischen uns und Rom. Nein, nein, dieser Mann muss weg, und ich bin erleichtert, dass die Entscheidung gefallen ist.“
Ich blicke meinem Freund in die Augen: „Fast bin ich froh, dass er mich provoziert hat, so fiel es mir leichter, mein Urteil zu fällen.“
Jitzhak sagt nichts und trinkt nachdenklich einen Schluck. „Nur mal angenommen, Kajafas“, beginnt er. „Nur mal angenommen, es gibt tatsächlich ein Leben nach dem Tod …“
Ich will schon ärgerlich aufspringen, aber Jitzhak hebt beruhigend seine Hände. „Nur ein Gedankenexperiment. Angenommen, du gelangst nach dem Tod in das Totenreich und merkst: Ich habe unseren eigenen Messias den Römern zur Kreuzigung ausgeliefert. Was für ein Urteil erwartet dich dann? Könnte es nicht sein, dass diese kleine Geschichte, die dich so aufregt, gar nicht dazu bestimmt war, dich zu demütigen?“
„Sondern?“
„Vielleicht war sie eine persönliche Botschaft an dich.“
„Oh ja, die persönliche Botschaft habe ich verstanden: Ich werde dich vor aller Welt blamieren! Und: Sie haben Mose und die Propheten, lässt Jeshua Abraham sagen. Mit anderen Worten: Lieber Kajafas, nimm die Botschaft der Propheten ernst, nicht nur die fünf Bücher Mose. Ihr Sadduzäer seid engstirnig! Ja, das könnte die persönliche Botschaft an mich gewesen sein.“
„Vergiss deine Wut, Kajafas! Nimm doch nur mal an, Jeshua hätte mit allem recht gehabt, er wäre der von Gott gesandte Messias, dann könnte selbst die Kreuzigung nichts daran ändern. Seit gestern gehen mir die Stellen bei Jesaja nicht mehr aus dem Kopf, die von einem geschlagenen Gottesknecht handeln … Und jetzt, nachdem ich weiß, dass er leiden wird, erst recht. Du weißt vermutlich, es gibt Schulen, die den Gottesknecht bei Jesaja mit unserem Messias gleichsetzen.“
Ich bin verblüfft. Wie kann man diese Stellen, die ich zwar kenne, aber nicht anerkenne, mit Jeshua in Verbindung bringen? Wieder ein Beweis, dass die Prophetenbücher einen nur verwirren.
Jitzhak fährt fort: „Ist diese Geschichte mit dem reichen Mann in der Scheol nicht eine Hoffnungsgeschichte?“
„Warum?“
„Hast du nicht erzählt, dass in der Version von Jeshua der Reiche im Totenreich mit seinen fünf Brüdern Mitleid bekommt und ihnen sagen will: Ändert euch, bevor es zu spät ist?“
„Hm. Ja.“
„Die persönliche Botschaft dieser Geschichte an dich könnte auch lauten: Kajafas, fang doch jetzt schon an, dein Leben zu ändern und die Menschen zu lieben, damit Abraham dich nach dem Tod in seine Nähe einlädt?“
„Ach ja? Mich, der ich angeblich den Messias der Kreuzigung ausgeliefert habe?“
„Hat Jeshua nicht immer wieder zur Umkehr aufgerufen?“
„Jitzhak! Ich kann jetzt nicht mehr zurück!“ Wir schweigen, aber dann sage ich: „Weißt du, was du da von mir verlangst? Ich soll das, was ich jahrzehntelang geglaubt habe oder nicht geglaubt habe, aufgeben? Sollen denn Freud und Leid unendlich wiederholt werden in einer anderen Welt? Nein, ich finde es angemessen, wenn nach dem Tod die Vorstellung zu Ende ist. Eine Umkehr, wie du sie von mir verlangst … dazu fehlt mir die Kraft.“
Jitzhak hebt wie zur Abwehr die Hände. „Ich verlange das ja nicht von dir, es ist Jeshua, der dir diese Nachricht sendet.“
Ich werde ärgerlich. „Bist du seit neuestem ein Schüler dieses Gotteslästerers?“
„Du weißt doch, ich habe eine Schwäche für ihn, mein Freund Nikodemus hat mir viel von ihm erzählt und …“
„Auch so ein heimlicher Anhänger.“
Jitzhak steht auf. „Ich sehe, du bist erschöpft. Ruhe dich aus. Überdenke noch mal alles!“
Ich begleite ihn zur Tür, wir verabschieden uns.
„Karim!“, rufe ich meinem syrischen Sklaven zu, „bereite mir ein Bad!“
Es dauert immer etwas, bis das Wasser heiß gemacht wird, aber schließlich kann ich in mein gekacheltes Bassin steigen. Herrlich entspannend. Ich bin Gott dankbar, dass ich diesen Luxus habe. Die Verantwortung ist manchmal anstrengend.
Während ich so daliege, geht mir das Gespräch mit Jitzhak nicht mehr aus dem Kopf:
Nur mal angenommen, Jeshua hätte mit allem, was er sagte und tat, recht gehabt … Nur mal angenommen, es gibt nach dem Tod tatsächlich ein Weiterleben …
Diese Gedanken sind beunruhigend. Wenn das stimmt, dann hätte ich alles falsch gemacht. Aber jetzt mal ehrlich: Kann jemand, der zum Hohepriester gewählt und von Gott bestätigt wurde, mit allem, was er sagt und tut, völlig falschliegen? Würde Gott nicht selbst darauf achten, dass sein Diener das Richtige tut?
Das ist mein einziger Trost.
Ich merke, wie ich müde werde, und rufe nach Karim.
Während er mich abtrocknet und mir frische Kleider bringt, sagt er: „Vorhin hörte ich Geräusche draußen. Als ich hinausging, sah ich einen Bettler mit offenen Wunden vor deiner Tür liegen. Ein durch und durch abstoßender und unreiner Bursche. Was soll ich mit ihm machen?“