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Leinen los!
Einleitung
ОглавлениеDas Meer hat viele Gesichter. Welches Gesicht es uns zeigt, hängt davon ab, von wo aus wir uns ihm nähern. Ob wir als Passagier einer Atlantikpassage oder einer Mittelmeerkreuzfahrt in unserem Decksstuhl liegen und den Komfort eines Luxusliners genießen oder als Facharbeiter auf einem Containerfrachter über die Weltmeere schippern, ob wir aus dem Flugzeug die Wasserfläche eines Ozeans überblicken oder in einem Boot auf hohen Wellen vor dem Wind segeln, ob wir am Strand stehen und den Blick in die Ferne schweifen lassen oder aber bei einem Bad in den wiegenden Wellen vor Freude lachen.
Wellen laufen auf den Strand, eine Möwe taucht nach einem Fisch, der ihr schon bald von einer anderen Möwe streitig gemacht wird. Kinder bauen Gräben und Dämme, Fließsysteme. Am Strand stehen, die Zehen sind im Sand vergraben, der Blick geht in die Weite. Klar zeichnet sich der Horizont gegen den Himmel ab, gerade noch so ist ein Frachter zu sehen, der da draußen unterwegs ist, Ladung für irgendeinen hungrigen Hafen.
Das Meer – Ziel unbändiger Sehnsüchte und Ursprung großer Gefahren. Jedes Jahr bevölkern sich die Strände dieser Welt mit Sonnenhungrigen, Badelustigen und Wellenreitern.
Das Meer ist aber auch der größte Wirtschaftsweg dieser Welt. Handel und kulturelle Entwicklung in der Geschichte sind nicht denkbar ohne die Wege, die Menschen über die Meere genommen haben, um Grenzen zu überwinden und – auch geistig – über den eigenen Horizont hinauszusehen, also zu glauben, dass sie nicht gleich am Rand der Welt in den Abgrund stürzen. Regelrechte Straßen – Wasserstraßen – wurden erschlossen in der Weite des Meeres, die Nordwestpassage wurde entdeckt, Suez- und Panamakanal wurden gegraben und es wurde die Ostindienroute als einer der wichtigsten Handelswege etabliert.
Das Meer weckt Sehnsüchte. Diese Sehnsüchte lassen sich nähren: Ob es nun Kapitän Nemo ist, unterwegs mit seinem geheimnisvollen U-Boot Nautilus, oder Kapitän Ahab auf der Jagd nach Moby Dick, dem weißen Wal – die Literaturen dieser Welt bieten reichlich Lesestoff, der die Meeressehnsucht immer wieder wie im Wellenschlag wechselnd anfacht und befriedigt.
Ob es ein Meeresstrand von Courbet ist oder einer von Caspar David Friedrich, ob Mendelssohn-Bartholdy Goethes »Meeresstille und Glückliche Fahrt« vertont oder ob moderne Mythen wie »Titanic«, »Wilhelm Gustloff« oder »Great Eastern« in Romanen, Gedichten und Filmen verarbeitet werden, das Meer ist so etwas wie der Grund- und Urstoff unserer menschlichen Kultur.
»Das Meer ist keine Landschaft, es ist das Erlebnis der Ewigkeit, des Nichts und des Todes, ein metaphysischer Traum«, schrieb Thomas Mann und beschrieb damit gleichzeitig den Rahmen des Bildes, das die Bibel vom Meer malt. Es sind zahlreiche Meere, die in der Bibel vorkommen: das Mittelmeer, das Rote Meer, das Tote Meer, das Galiläische Meer, das ist der See Gennesaret, und der Persische Golf. Dem alttestamentlichen Weltbild entspricht die Auffassung, die Erde sei völlig vom Meer umgeben.
Meeres- und Wassergeschichten enthält die Bibel in großer Breite vom Ausbleiben des Regens bei lang anhaltender Dürre bis hin zur großen Flut, vom Verdursten bis hin zum Sattwerden am Wasser des Lebens. Zwei Aspekten des Wassers kommt in der biblischen Überlieferung besondere Bedeutung zu: dem Leben spendenden und dem Leben bedrohenden. Wasser ist die Quelle des Lebens – umso mehr in einer Region der Erde, die von Trockenheit und Dürre geprägt ist, die Region, in der die biblischen Berichte ihren Ort haben. Andererseits kennen die Menschen, von denen wir in den biblischen Berichten erfahren, das Meer als ein Leben bedrohendes Element, das die Chaosmächte repräsentiert.
Ein Schiff wird nicht gebaut, um im Hafen zu liegen, sondern um auf die hohe See hinauszufahren. So wollen wir uns hinauswagen auf das weite Meer der biblischen Überlieferung und sehen, wohin Wellen und Wind uns führen.