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Adam Franz Lennig (1803–1866)

Ein moderner Organisator einer konservativ ausgerichteten Kirche

Thomas Berger

Wenngleich in dem für die Zeit üblichen Pathos gehalten, so erfasst die Beschreibung Adam Franz Lennigs, die sich im November 1866 auf seinem Totenzettel fand, seine Person doch recht genau: Ein Mann voll Charakter und ein Priester voll Frömmigkeit und Begeisterung für seinen heiligen Beruf, war der Verstorbene allen ein Vorbild, Vielen eine Stütze und in den Zeiten des Verfalls und des Kampfes ein treuer und umsichtiger Vertreter des Rechts und der Freiheit der Kirche. … Gegen niemanden hart und feindselig war er stets fest und unerschütterlich in den Grundsätzen; deßhalb von denen, die ihm näher standen, geliebt und verehrt, und selbst von den Gegnern geachtet.1

Die angemessene Einordnung einer so markanten Persönlichkeit verlangt allerdings eine differenziertere Betrachtung: Unbestreitbar war Lennig erfüllt von einer starken inneren Begeisterung für die Kirche und den priesterlichen Dienst, so wie er sie schon seit seinen frühen Kindertagen kennengelernt hat. Ohne das Wissen um diese früh einsetzende und tiefgreifende Prägung sind seine Motivation und sein persönlicher Kampf für die Freiheit der Kirche nicht zu verstehen. Aus gegenwärtiger Perspektive erscheinen sie teilweise als überzogen und fremd. Schon vielen seiner Zeitgenossen, gegen die er Position bezogen hatte, musste er wegen seines beharrlichen Festhaltens an den Grundsätzen, die er in Bezug auf Christentum und Kirche vertrat, als schroff und kompromisslos erscheinen. Daher rührt auch seine Charakterisierung, er vertrete eine streng römische Richtung und sei ein Eiferer gegen Andersdenkende, die ihm das kirchenfeindlich-liberale Frankfurter Journal 1849 zugedachte.2 Dabei vermied er jedoch offen ausgetragene persönliche Feindschaften. Vielmehr erachtete er es als seine Pflicht, sich für die Verwirklichung eines Modells von Kirche, wie es ihm durch seine familiäre und gesellschaftliche Umgebung vermittelt worden war, mit vollem Engagement einzusetzen. So trat er als dezidierter Gegner des damaligen Staatskirchentums hervor, wobei er sich als typischer Repräsentant des Ultramontanismus streng am römischen Papsttum und der kirchlichen Tradition orientierte. Zugleich verstand er es, die aufkommenden modernen Organisationsformen und Informationsmittel etwa durch die Gründung des Pius-Vereins und des „Mainzer Journals“ geschickt für sein Anliegen zu nutzen. Daher verlangte die Person Lennigs – sei es in Bezug auf Religion und Kirche, sei es in der Politik – auch ihren Gegnern, wenn nicht Anerkennung so doch Respekt ab. Alle, die wie er in der Kirche aufgrund ihrer göttlichen Stiftung jene überzeitliche Kraft sahen, deren Lehren und Normen zum Wohl der menschlichen Gesellschaft Geltung zu verschaffen ist, war er eine wichtige Leitfigur.


Adam Franz Lennig 1842, Gemälde von Eduard Heuss

Herkunft – Familie – Studium

Um Adam Franz Lennig, sein Denken und Handeln als Priester zu verstehen, ist gerade in seinem Fall ein genauer Blick auf die ersten Jahre seines Lebens zu lenken. In dieser Zeit vollzog sich auf der Bühne des kirchlichen wie des politischen Lebens eine Art Zeitenwende, die alle weiteren Entwicklungen und Abläufe beeinflusste. Sein Elternhaus, heute Markt 9, lag im Zentrum von Mainz, direkt gegenüber dem Dom. Hier wurde er am 3. Dezember 1803 geboren. Sein Großvater, Kilian Lennig, stammte aus der lutherischen Gemeinde Uettingen bei Würzburg. Aus persönlicher Überzeugung hatte er die Konfession gewechselt. Als Verwaltungsbeamter des Mainzer Domdekans und Generalvikars Georg Adam von Fechenbach kam er nach Mainz, wo er 1748 eine Bürgerstochter heiratete und eine Tuchhandlung gründete. Sein Sohn Nikolaus hatte seine Schulausbildung bei Jesuiten erhalten und das väterliche Geschäft übernommen. 1782 heiratete er Elisabeth Mentzler, die Tochter eines Mainzer Arztes. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor. 1796 wurde Friedrich Lennig geboren. Seinem älteren Bruder fühlte sich Adam Franz Zeit Lebens eng verbunden. Friedrich wurde ein bekannter Mainzer Dialektdichter und gehörte 1838 zu jenem Kreis angesehener Bürger, die den Mainzer Carnevalverein gründeten.

Die gut situierte Familie führte ein gastfreundliches Haus, in dem hochrangige Persönlichkeiten aus Kirche und städtischer Gesellschaft in gleicher Weise wie Bürger und Landbevölkerung aufgenommen wurden. Das Familienleben war geprägt von einer betonten Kirchlichkeit, die aus einer starken Gläubigkeit erwuchs. Davon waren der gesellschaftliche Umgang, den man pflegte, und besonders auch die Erziehung der Kinder bestimmt. Nach dem Tod des Vaters Nikolaus Lennig im Jahre 1815 führte der älteste Sohn Christoph das Geschäft zusammen mit seinem Schwager Wilhelm Moufang weiter, der eine der Schwestern der Lennigbrüder, Katharina Wilhelmine, geheiratet hatte. Moufang fügte sich in seiner Wesensart und Lebenseinstellung ausgesprochen gut in die Familie ein. Als engagiertes Mitglied der Dompfarrei gehörte er zum Vorstand der Pfarrschule und wirkte als Rechner der Kirchenfabrik und Armenpfleger. Zusammen mit seinem Schwager Christoph nahm er sich der Erziehung und Ausbildung seiner Neffen Friedrich und Adam Franz an.

Schon als Kind wurde Adam Franz Zeuge von Ereignissen und Entwicklungen die ihn tief geprägt haben müssen: Nachdem der Untergang von Erzdiözese und Kurstaat besiegelt waren, suchte die Familie Lennig in den neuen Verhältnissen unter französischer Regie ihren Platz zu finden. Als Kontinuitätsträger blieb nur die Kirche bestehen, die sich allerdings durch die tiefgreifenden politischen Veränderungen nach dem Ausscheiden des Adels in ihrer Führungsstruktur ganz anders darstellte. Der wichtigste Repräsentant des neuen französischen Bistums Mayence war der bürgerliche Bischof Joseph Ludwig Colmar, der auf die Unterstützung der Mainzer Bevölkerung angewiesen war, die sich allerdings erst an die so völlig veränderten Verhältnisse gewöhnen musste. Daher war für ihn der enge Kontakt zu führenden Familien wie etwa den Lennigs sehr wichtig, weshalb er oft in deren Haus zu Gast war. Es war Colmars großes Verdienst, dass er die Mainzer Kirche von Grund auf reorganisierte und das kirchliche Leben wieder erstehen ließ, das in Folge der politischen Umwälzungen und kriegerischen Ereignisse vom Mainzer Kurstaat über die Mainzer Republik hin zum französischen Kaiserreich schwer beeinträchtigt worden war. Neben Colmar weilte insbesondere dessen engster Mitarbeiter, Bruno Franz Leopold Liebermann, der gleichfalls aus dem Elsass stammende Leiter des Priesterseminars, häufig im Hause Lennig.

Beide waren typische Repräsentanten der Erneuerung des kirchlichen Lebens in Frankreich, die im Anschluss an die revolutionären Umwälzungen mit der Schreckensherrschaft des Nationalkonvents 1793/1794 nach der Machtergreifung Napoleon Bonapartes einsetzte. Weite Kreise der Kirche Frankreichs banden sich, befreit von der Instrumentalisierung durch das Königtum, eng an das Papsttum, welches als die alleinige, über allen weltlichen Institutionen und Ansprüchen stehende religiöskirchliche Konstante galt. Dabei wurde die Abhängigkeit von der Gunst Napoleons, dem man sich für die Befriedung der Verhältnisse zu Dank verpflichtet sah, in Anbetracht alles zuvor Erlittenen akzeptiert, ließ er doch genügend Freiheit für diesen innerkirchlichen Erneuerungsprozess.

Von diesen Erfahrungen waren die Gespräche und Beratungen im Hause Lennig bestimmt, und die Anwesenheit führender kirchlicher Persönlichkeiten in seinem Elternhaus dürfte die frühe Bindung von Adam Franz an die Kirche gefördert haben. So überrascht es auch nicht, dass er 1815 nach dem Besuch der Privatschule des Mainzer Bürgers Joseph Seitz und des französischen Lyzeums, in ein Gymnasium nach Bruchsal geschickt wurde, wo er Unterricht bei dem mit seinem Vater befreundeten ehemaligen Jesuiten Lorenz Doller erhielt. Durch ihn wurde der erst zwölfjährige Knabe bereits in das problematische Verhältnis zwischen Staat und Kirche eingeführt. Allerdings wird er selbst auch schon davon einen Eindruck gewonnen haben, als er 1813 aus nächster Nähe die völlige Verwüstung des Domes durch die Truppen Napoleons erlebte, die nach ihrer Niederlage bei Leipzig auf dem Weg nach Frankreich Mainz geradezu überfluteten. Doller hatte im Jahre 1816 eine Streitschrift herausgegeben, in der er sich gegen die in liberalen Kreisen vertretene Auffassung wandte, dass es den Fürsten des Rheinbundes freistehe, nach eigenem Ermessen Landesbischöfe einzusetzen. Er forderte die Freiheit der Kirche von staatlicher Bevormundung, da sie als Stiftung Jesu ein „unabhängiges Reich“ sei, und verlangte die unabhängige und eigenständige Organisation und Ausübung kirchlicher Amtsgewalt. Die Einsetzung von Bischöfen und Geistlichen in ihre Ämter obliege daher allein der Kirche, weshalb sie auch keine Staatsdiener seien, wie auch dem Staat kein Einfluss auf ihre Ausbildung zustehe und kein Recht auf die Zensur von Büchern zu Religionssachen.

Diese Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Staat sollte prägend werden für Lennigs ganzen weiteren Lebensweg. 1817 kehrte er in Begleitung seines Lehrers Doller in sein Elternhaus zurück. Mainz war inzwischen zur Hauptstadt der Provinz Rheinhessen im Großherzogtum Hessen-Darmstadt geworden, dem Nachfolgestaat der mit Kurmainz konkurrierenden benachbarten Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Dieser Staat war auch auf Kosten des Kurstaats entstanden. Damit sah sich die katholische Einwohnerschaft der Bischofsstadt und der Gebiete der Provinz, die ehemals zum Kurstaat gehörten, nun einem Landesherrn lutherischen Bekenntnisses gegenüber und ging als Minderheit in dieses neue Staatsgebilde ein. Das Verhältnis vieler Mainzer zu ihrer Regierung war folglich keineswegs spannungsfrei, da sich das katholische Bewusstsein eines großen Teils der Bürgerschaft inzwischen wieder deutlich gefestigt hatte.


Marktplatz in Mainz mit dem Haus Markt Nr. 9, dem sogenannten Lennighaus (2. Haus von rechts)

In den Jahren 1818 bis 1820 besuchte Lennig nun das noch als école secondaire eingerichtete Bischöfliche Gymnasium. Dieses war als sogenanntes „Kleines Seminar“ dem Priesterseminar angegliedert, in der Erwartung, dass etliche Absolventen den Weg in das große Seminar nähmen. Dort waren seine Lehrer Nikolaus Weis, ab 1842 Bischof von Speyer, Andreas Räß, ab 1842 Bischof von Straßburg, und Heinrich Klee, der sich in Bonn von 1829 an als Professor für Dogmatik gegen Georg Hermes, den führenden Vertreter einer katholischen Aufklärung, positionierte. Nach dem Abschluss des Gymnasiums folgte Lennigs Eintritt ins Priesterseminar. Hier hörte er Vorlesungen bei Klee zur biblischen Exegese, bei Regens Liebermann zum Kirchenrecht, bei Räß zur Dogmatik und bei dem Mainzer Pfarrer Johann Philipp Kalt zur Moraltheologie. Philosophie und Geschichte zählten zum Fächerkanon des Gymnasiums. Lennigs wichtigste Lehrer gehörten somit zu der später als „Erster Mainzer Kreis“ bezeichneten Gruppe von Theologen, die bestimmt war von einer emphatischen Kirchlichkeit und Wert legte auf eine enge Ausrichtung an der Hl. Schrift sowie eine strenggläubige scholastische Theologie. Als Exponenten der antigallikanischen Richtung orientierten sie sich eng am Papsttum und teilten die von Doller vertretenen Positionen zum Verhältnis von Kirche und Staat in allen Punkten. Zur Verbreitung ihrer Ansichten gaben Räß und Weis 1821 erstmals eine religiöse Zeitschrift zur Belehrung und Warnung mit dem Titel „Der Katholik“ heraus. Zu ihren Mitarbeitern sollte in späteren Jahren auch Lennig zählen. Regens Liebermann hatte den beschriebenen und von ihm in gleicher Weise vertretenen streng kirchlichkonservativen Kurs in seinem 1819 erschienen Lehrbuch „Institutiones dogmaticae“ entfaltet. Somit war die Atmosphäre im Mainzer Priesterseminar von einer starken Gegnerschaft zum Staatskirchentum geprägt. Liebermann führte die Alumnen mit strenger Hand, wobei er sich am Vorbild des Jesuitenordens orientierte.

Den größten Einfluss auf den jungen Lennig sollte sein Lehrer Räß ausüben, der gleichfalls häufig Gast in seinem Elternhaus war. Da Lennig 1824 nach dem Abschluss seines Studiums für die Zulassung zur Priesterweihe noch nicht das kanonisch vorgeschriebene Alter hatte, setzte er bis 1827 sein Studium in Paris fort, wohin er seinen Lehrer Räß begleitete, der inzwischen Liebermanns Nachfolger als Regens geworden war. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten fand Lennig Aufnahme im Hause des Abbé Martin de Noirlieu. In die orientalischen Sprachen Hebräisch, Syrisch und Arabisch wurde er durch Sylvester de Sarcy eingeführt. Neben seinem Sprachstudium hörte er auch theologische und philosophische Vorlesungen und kam durch Noirlieu mit Abbé Hugo Félicité Robert de Lamennais und mit dem Grafen Charles René Montalambert in Kontakt. Letzterer war ein Wortführer des französischen Katholizismus im Kampf gegen das Staatskirchentum. Inspiriert von der Romantik setzte er sich für eine Koexistenz von Kirche und Staat nach mittelalterlichem Vorbild ein.

Starken Einfluss übte auf Lennig auch das Werk „Du Pape“ (Lyon 1819) des französischen Staatstheoretikers Joseph Marie de Maistre aus, das er bereits in der Übersetzung durch den Publizisten Moritz Lieber kannte. Lieber war ein Schwiegersohn des aus Mainz stammenden Philosophen Karl Joseph Windischmann, eines Neffen des Mainzer Weihbischofs Joseph Freiherr von Kolborn. De Maistre kritisierte Aufklärung, Volkssouveränität, Staatsvertrag- und Autonomiedenken sowie den Nationalismus. Allein der Papst galt ihm als unübertreffbare Autorität in der Auslegung der göttlichen Vorsehung. Ihm stehe somit letztlich auch die Führung der Menschen zu. Daneben wirkte Abbé de Lamennnais’ Schrift „De la religion considérée dans ses rapports avec l’ordre politique et civil“ (Paris 1825) auf Lennigs Denken. Schon im ersten Band seines Essais „Sur l’indifférence en matière de religion“ (Paris 1817), der ihn europaweit bekannt machte, übte er Kritik an dem in Reformation, Aufklärung und französischer Revolution wirkenden Individualismus. Seine Position wurde, trotz einiger innerkirchlicher Gegnerschaft, zum wichtigen Baustein des Ultramontanismus. Räß und Weis bezogen diese französische „Restaurationsphilosophie und -theologie“ in das Konzept ihrer Zeitschrift ein und verhalfen den Gedanken von Lamennais zu bestimmender Wirkung. Es lässt sich leicht nachvollziehen, welchen tiefen Eindruck die Begegnungen mit diesen Persönlichkeiten bei dem jungen Mainzer Theologiestudenten hinterlassen haben. Die ultramontane Ausrichtung seiner Vorstellung von der Kirche fand hier ihre Vertiefung und bleibende Begründung. Später wird er versuchen, dieses Konzept mit allen ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten in Anwendung auf die Verhältnisse der Mainzer Kirche zu entfalten und es in der Pastoral, in der Kirchenorganisation, im kirchlichen Schul-, Sozial- und Gesundheitswesen sowie in der Politik umzusetzen.

Als Lennig 1827 nach Mainz zurückkehrte, war der seit dem Tod Bischof Colmars 1818 vakante Bischofsstuhl der neu umschriebenen „hessischen“ Diözese Mainz immer noch nicht besetzt. Daher trat er nun eine Reise nach Rom an, um dort zum Priester geweiht zu werden. Die vier niederen Weihen hatte er bereits 1821 nach dem Abschluss seiner theologischen Studien in Mainz empfangen. 1826 war ihm gelegentlich eines Ferienaufenthalts in seinem Elternhaus am 22. Dezember die Weihe zum Diakon durch den Trierer Weihbischof Heinrich Milz in der Koblenzer St. Castorkirche gespendet worden. Seinen Aufenthalt in Rom nutzte Lennig auch, um hier an der neu eröffneten päpstlichen Universität Gregoriana noch einige weitere Studien zu betreiben. In dieser Zeit machte er die Bekanntschaft mit Graf Karl von Reisach, dem späteren Bischof von Eichstätt, der ihm als Erzbischof von München und schließlich als römischer Kardinal eng verbunden blieb, sowie mit Georg Müller, dem späteren Bischof von Münster in Westfalen. Weiter lernte er den Kunstmaler Philipp Veit kennen und Christian Brentano, den inoffiziellen Mittelsmann für deutsche Angelegenheiten an der Kurie. Auch diese freundschaftlichen Verbindungen sollten durch sein weiteres Leben bestehen bleiben. Seine Wohnung hatte Lennig bei den Verwandten eines Abbé Sabelli genommen, mit denen er ebenfalls eine Freundschaft schloss, die lange bestehen bleiben sollte. Aufgrund seiner Begabung eignete er sich rasch hervorragende Italienischkenntnisse an und verbrachte die Abende nach seinen Studien im Café Greco, wo er auf viele deutsche Künstler und Gelehrte traf. Daneben besuchte er auch die bedeutenden religiösen und historischen Stätten Roms und der Umgebung. Am 22. September 1827 empfing Adam Franz Lennig schließlich in der Kirche St. Johannes im Lateran durch Monsignore de la Porta, Patriarch von Konstantinopel, die Priesterweihe. Bei seiner am Tag darauf folgenden Primiz ministrierten Christian Brentano und Philipp Veit. Nach seiner Weihe war ein Angebot an Lennig ergangen, eine wissenschaftliche Tätigkeit an der Gregoriana aufzunehmen, was er ablehnte, da er endlich in Mainz als junger Priester in den Dienst seiner Heimatdiözese treten wollte.

Ein schwieriger Anfang im Dienst des Bistums

Nach Mainz heimgekehrt war Lennig sogleich als Professor für Philosophie und Geschichte am Bischöflichen Gymnasium in Mainz bis zu dessen Schließung am 18. Oktober 1829 tätig. Diese erfolgte auf Anordnung der großherzoglichen Regierung und mit der Zustimmung des designierten Mainzer Bischofs Joseph Vitus Burg aus Freiburg. Sie war der Auftakt zur Verlegung des theologischen Studiums der Priesteramtskandidaten an die Landesuniversität in Gießen. Burg sah darin eine Maßnahme zur Hebung der Wissenschaftlichkeit der Priesterausbildung. Die Ausbildung im Mainzer Priesterseminar sollte sich nach seiner Auffassung allein auf den pastoralpraktischen Teil im Anschluss an das Studium beziehen. Für sein Vorgehen wurde er von jenen, die das Colmarsche Seminar als eine Mustereinrichtung für die Priesterausbildung in Deutschland erachteten, heftig kritisiert. In ihren Augen hatte er alles an die protestantischen Hessen verraten und verkauft3 und dadurch eine beklagenswerte Wende in der Entwicklung der Mainzer Verhältnisse eingeleitet. Dem für sein diplomatisches Geschick bekannten Burg, der sich so noch vor der offiziellen Einführung in sein Amt als Mainzer Diözesanbischof Gegner geschaffen hatte, fehlte offensichtlich das Gespür für die Befindlichkeiten in seinem neuen Wirkungskreis, sonst wäre er behutsamer vorgegangen. Dem jungen Lennig musste die Schließung des Gymnasiums natürlich als schwerer Eingriff in die Freiheit der Kirche und als Akt landesherrlicher Willkür erscheinen. Seine gegen das Staatskirchentum gerichtete Grundhaltung wurde bestätigt und bestärkt, denn der evangelisch dominierte Staat griff auf diesem Weg in elementare Rechte der katholischen Kirche ein. Sein Briefkontakt mit dem designierten Bischof in dieser Angelegenheit musste für ihn eine arge Enttäuschung gewesen sein, hatte er diesen doch um Hilfe zur Abwehr der Schließung des Gymnasiums gebeten. Burg war hingegen zur selben Zeit schon mit Vorschlägen zur Besetzung der Professorenstellen an der katholisch-theologischen Fakultät der Landesuniversität in Gießen befasst. Bereits am 22. Mai 1829, lange vor seinem Amtsantritt, hatte er der Gründung einer katholisch-theologischen Fakultät im tief protestantischen Gießen zugestimmt.

Die nächste schwere Enttäuschung war für Lennig das Ausbleiben eines geharnischten Protests Bischof Burgs gegen die Anfang 1830 als „Landesherrliche Verordnung“ in 39 Artikeln erlassenen Bestimmungen zur Regelung des Verhältnisses der Staaten in der oberrheinischen Kirchenprovinz gegenüber der katholischen Kirche. Das Bestreben des evangelischen Landesherrn und seiner Regierung, auf die kirchlichen Verhältnisse der katholischen Staatsangehörigen in gleicher Weise Einfluss zu nehmen wie auf jene evangelisch-lutherischen Bekenntnisses, wurde von konservativen Katholiken als massive Bedrohung erachtet, die es abzuwehren galt. Die Darmstädter Regierung bekämpfte – wie auch die Regierungen in Württemberg, Baden und Nassau – das Papalsystem und wollte ihre Einflussnahme in kirchliche Belange durch eine vollständige Kontrolle der von ihr abhängigen territorial verfassten Staatskirche sichern. Die vom spätabsolutistischen Herrschaftsstil Großherzog Ludwigs I. geprägte Regierung provozierte bewusst mittels einseitiger staatlicher Gesetzgebung unausweichliche Konflikte, um dann der katholischen Kirche ihren Platz zuzuweisen. Doch die Herrschaftsansprüche über die Kirche, welche der Staat aus seiner vermeintlichen Allgewalt ableitete, weckten vor allem den Widerspruchsgeist der Katholiken und festigten ihre Bindung an den Papst und die römische Kurie. Gerade die Bindung an eine Autorität außerhalb des Staates machte die Katholiken der Regierung wiederum suspekt. Lennig berichtete nach Rom über die 39 Artikel der Landesherrlichen Verordnung und wurde dafür seinerseits durch Bischof Burg beim zuständigen Ministerium in Darmstadt als Unruhestifter denunziert, was zwangsläufig zu einer weiteren Entfremdung führte. Ein Versuch Burgs, Lennig doch noch für seine kirchenpolitische Linie zu gewinnen, indem er ihm eine Professur am Mainzer Seminar mit späterer Transferierung nach Gießen anbot, schlug fehl. Folglich stellte sich Burg dem Vorhaben Lennigs, zu Studienzwecken für einige Zeit Mainz zu verlassen, nicht entgegen.

An diesem Vorgang wird beispielhaft deutlich, wie mit dem jungen Priester Lennig und dem um eine Generation älteren Bischof Burg Repräsentanten zweier gegeneinander hermetisch abgeschlossener und sich einander ausschließender Konzepte von Kirche und Theologie aufeinander trafen: hier der Ultramontanismus mit enger Bindung an den Papst als höchste und unabhängige Autorität in der Kirche und einer Theologie, die vor allem der Tradition von kirchlicher Lehre und kirchlichem Leben dient, dort das Staatskirchentum, das die Kirche als eine ihrer Natur nach zwar überzeitliche, aber gleichwohl staatstragende Einrichtung sieht, die einer modernen, von der Aufklärung beeinflussten Theologie bedarf.

Adam Franz Lennig erreichte im Mai 1830 in Begleitung seines Bruders Friedrich Bonn, wo er das Studium bei dem aus Mainz stammenden Philosophen Karl Joseph Windischmann aufnahm, der in Gegnerschaft zu Georg Hermes stand. Während Hermes ein rein vernunftbegründetes Konzept von Theologie zu entwickeln suchte, bemühte sich Windischmann um ein aus der göttlichen Offenbarung abzuleitendes philosophisches System. In Windischmanns Haus konnten die beiden Lennigbrüder ihre Wohnung nehmen, da ihre Familien denselben Mainzer Kreisen zugehörten und miteinander bekannt waren. Weiter hörte Lennig Vorlesungen bei dem Juristen und Kanonisten Ferdinand Walter, nach Moritz Lieber der zweite Schwiegersohn Windischmanns. Durch ihn wurde Lennig abermals in seinem Denken bestärkt, leitete Walter doch die staatliche Autorität ganz aus der Religion ab. Auch sein ehemaliger Mainzer Lehrer, der inzwischen zum Dogmatikprofessor berufene Heinrich Klee, verfolgte einen streng kirchlichen Kurs: Nationalkirchen in der Gestalt von Territorialkirchen seien das Gegenteil der von Christus gestifteten Kirche, die ja gerade als Weltkirche alle Völker zu einer geistigen Einheit und Allgemeinheit verbinden will. Die territorialkirchliche Zersplitterung führe dagegen zu einer Vernichtung der Katholizität, letzten Endes zur Vergötterung des Staates und schließlich zu dessen eigenem Verderben.

Als Lennig 1831 nach Mainz zurückgekehrt war, blieb sein Verhältnis zu Bischof Burg weiter angespannt, da er sich getreu seinen Prinzipien weigerte, eine gemäß den Bestimmungen der Landesherrlichen Verordnung durch den Großherzog vergebene Pfarrei zu übernehmen. Die Ausübung des Patronatsrechts durch den Großherzog wertete er als einen direkten Eingriff des Staates in die Autonomie der Kirche. Durch diese Haltung geriet er in einen offenen Konflikt mit Bischof Burg, der ihm verschiedene Pfarreien anbot, die anzunehmen Lennig sich aber stets auch im direkten Gespräch mit dem Bischof weigerte. All diese Konflikte mit Burg sollten noch Jahre später ihre Wirkung in Lennigs Denken und Handeln entfalten. Zwar kam Lennig seinen priesterlichen Pflichten an verschiedenen Mainzer Kirchen nach, nicht aber in der ordentlichen Pfarrseelsorge. Der Mangel an Priestern veranlasste Bischof Burg schließlich, einen Ausweg zu suchen.

Pfarrer in Gaulsheim und in Seligenstadt

Am 6. Juli 1832 konnte tatsächlich die Ernennung Lennigs zum Pfarrer von Gaulsheim bei Bingen erfolgen. Burg war es gelungen, eine gesonderte Genehmigung des zuständigen Ministeriums in Darmstadt zu erlangen, welche die Verleihung dieser Pfarrpfründe, so wie es noch unter Bischof Colmar übliche Praxis war, nur durch den Bischof selbst und nicht durch die großherzogliche Regierung ermöglichte. Bis 1839 sollte Lennig hier seinen Dienst als Pfarrer leisten und die dörfliche Abgeschiedenheit für weitere Studien zum Alten Testament und zu den Kirchenvätern nutzen. Doch pflegte er auch regen Kontakt zu seiner Familie in Mainz, besonders zu seinem Schwager Wilhelm Moufang, sowie zu zahlreichen Personen, denen er freundschaftlich verbunden war.

Die sogenannten Kölner Wirren des Jahres 1837 mit der öffentlichen, militärisch unterstützten Inhaftierung des Kölner Erzbischofs Clemens August von Droste zu Vischering am 20. November sorgten dann auch im beschaulichen Leben Lennigs in Gaulsheim für einige Aufregung. Der Kölner Erzbischof hatte sich beharrlich der Anordnung der preußischen Regierung widersetzt, bei gemischtkonfessionellen Eheschließungen auf das Versprechen einer katholischen Kindererziehung seitens der Ehepartner zu verzichten. Die Inhaftierung des Erzbischofs löste tatsächlich landesweit große Empörung unter den Katholiken aus und fachte in Mainz erneut den Widerspruchsgeist des Kreises um Wilhelm Moufang an, wie aus der Korrespondenz seines Sohnes Christoph, der sich zum Theologiestudium in München aufhielt, mit seinem Onkel Friedrich Lennig hervorgeht. Zum sogenannten Münchner Kreis, in dem Christoph Moufang verkehrte, gehörten neben Fritz Windischmann, dem Sohn des Bonner Philosophen, der später Generalvikar Erzbischof von Reisachs in München wurde, auch Joseph Görres, Georg Philipps und Clemens Brentano. Letzterer wollte in Adam Franz Lennig sogar schon den geeigneten Nachfolger auf dem Kölner Erzbischofsstuhl sehen. Wenngleich Lennig diesen Gedanken gegenüber seinem Neffen Christoph in einem Brief vom 11. Januar 1838 mit den Worten ablehnte: so weiß ich nicht mit wem er [Brentano] es schlimmer meint: mit der Kölner Diözese, mit den Preußen oder mit mir4, mag hier in ihm vielleicht doch auch der Gedanke an ein künftiges Wirken als Bischof von Mainz geweckt oder bestärkt worden sein. In ihrer Wirkung begrüßte Lennig die Vorgänge in Köln als einen Weckruf: Gott sei tausendfacher Dank, daß die Sache so gekommen ist, denn ein Fall der Art war nötig, um die Katholiken aus ihrer unglaublichen Schlafsucht zu erwecken. In den Gesinnungen geht allenthalben eine große Veränderung vor sich, und die Leute werden genöthigt, Partei zu nehmen, wodurch denn der Indifferentismus von selber ein Ende nimmt.5 Er hoffte sogar auf eine weitere Zuspitzung der Lage, damit sich der Widerstandsgeist der katholischen Bevölkerung gegen die Anmaßungen des Staates noch verstärke, wodurch die preußische Regierung zu einer grundlegenden politischen Lösung gedrängt wäre. Die von Joseph Görres gegen das preußische Vorgehen verfasste Streitschrift „Athanasius“ hatte schließlich eine enorme Mobilisierung der katholischen Bevölkerung bewirkt und wurde von Lennig hoch geschätzt.

Über die kirchenpolitisch brisanten Vorgänge führte Lennig eine ausgedehnte Korrespondenz mit seinem weit verzweigten Freundes- und Bekanntenkreis. Außerdem fanden sich im Gaulsheimer Pfarrhaus auch Gleichgesinnte ein, so etwa der Düsseldorfer Pfarrer Anton Joseph Binterim, der wegen seines Protests gegen das Vorgehen der Regierung die Stadt vorübergehend verlassen musste. Auch der Koblenzer Pfarrer Seydel, der mit seiner öffentlichen Parteinahme für den Kölner Erzbischof die katholische Bevölkerung mobilisiert hatte, nahm im Februar 1838 einige Tage in Gaulsheim Aufenthalt bis sich die Lage wieder beruhigt hatte. Damals wurde Lennig von einem nassauischen Beamten der Konspiration bezichtigt und – allerdings erfolglos – bei der Regierung in Wiesbaden angezeigt. Grund war ein Besuch, den er gemeinsam mit Seydel beim Pfarrer des auf der gegenüberliegenden Rheinseite gelegenen Rüdesheim unternahm, wozu ein Spaziergang über den zugefrorenen Rhein Gelegenheit bot. Als dort noch andere mit dem Pfarrer bekannte Geistliche eintrafen, hatte der Beamte gleich ein staatsgefährdendes Komplott vermutet. Auch im zuständigen Darmstädter Ministerium, wo Lennig inzwischen weniger aufmerksam beobachtet worden war, erhielt man Kenntnis davon. In Preußen wurden in der Streitfrage zur Konfession der Kinder in gemischtkonfessionellen Ehen am Ende die staatlichen Vorschriften durch den 1840 auf den Thron gelangten preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zurückgenommen. Dem jungen König war an einer friedlichen Koexistenz mit der Kirche gelegen. Im hessischen Großherzogtum waren zu dieser Zeit ähnliche Auseinandersetzungen ausgeblieben.

Während seiner Zeit als Pfarrer in der kleinen Landpfarrei Gaulsheim waren mehrere Versuche unternommen worden, den hervorragend ausgebildeten Lennig doch noch als akademischen Lehrer für die Priesterausbildung an der neuen Fakultät in Gießen zu gewinnen. Schon 1831 wurde dort seine Berufung als Professor für biblische Exegese vorgeschlagen, auch in der Absicht, die verärgerten Mainzer mit der Gießener Fakultät zu versöhnen. Aber er lehnte das Angebot genauso ab wie jenes von Seiten Bischof Humanns im Jahre 1834, eine Professur in der theologischpraktischen Ausbildung am Mainzer Seminar zu übernehmen. In den Jahren 1836 und 1837 wurden ihm dann in Gießen mit Zustimmung Bischof Kaisers zuerst eine Professur für die Fächer Moraltheologie und Pastoraltheologie, danach die Professur für Exegese angeboten. Gerade für letztere wurde er auch wegen seiner vielseitigen Kenntnisse der biblischen Sprachen als besonders geeignet erachtet. Doch Lennig lehnte eine Tätigkeit als Professor im protestantischen Gießen erneut kategorisch ab. Das vermochte sogar das persönliche Erscheinen Bischof Kaisers, der ihn schon früher in Gaulsheim besucht hatte, in Begleitung von Universitätskanzler Freiherr von Linde nicht zu ändern. Denn wenn der ungeliebten Gießener Staatsfakultät durch das Ausbleiben von Neuberufungen nach Todesfällen und Wegberufungen von Professoren an andere Fakultäten ihre Existenzgrundlage schwinden sollte, lag das nur in Lennigs Interesse. So verblieb er in der dörflichen Zurückgezogenheit von Gaulsheim, wo er nicht nur gute Kontakte zu seinem Nachbarpfarrer in Ockenheim pflegte, sondern auch Windischmann, Walter und Klee aus Bonn sowie Brentano, Veit und andere mehr in seinem gastfreien Pfarrhaus zu ernsthaftem Austausch in politischen Fragen und zu geselliger Runde empfing.

Als 1839 der katholische Mainzer Abgeordnete Johann Maria Kertell in der Zweiten Kammer in Darmstadt einen Antrag zur Rückverlegung der Theologischen Fakultät von Gießen nach Mainz stellte, fand sich Lennig nicht einmal dazu bereit, ihn mit einer argumentativen Darlegung zu unterstützen. Er fürchtete wohl sonst bei der großherzoglichen Regierung erneut Aufmerksamkeit zu erregen.

Achtete Lennig darauf – möglicherweise schon mit Blick auf eine spätere Besetzung des Mainzer Bischofsstuhls – sich weder in Rom noch in Darmstadt zu kompromittieren? Sicher war er eingenommen von einem starken konfessionellen und mentalitätsmäßigen Ressentiment gegen das protestantische Gießen. Eine Tätigkeit als Professor an der theologischen Fakultät und in der Pfarrseelsorge Gießens hätte er aber auch als Herausforderung begreifen können. Die Priesteramtskandidaten waren in Gießen zweifellos manchen Einflüssen ausgesetzt, die ihnen später im Mainzer Priesterseminar Schwierigkeiten bereiteten. Hier hätte er sich bewähren können. Fehlte ihm die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in einer kritisch-aufgeklärten und liberalen Umgebung als Wissenschaftler und akademischer Lehrer zu behaupten und sich als Seelsorger einer kleinen katholischen Minderheit mit der evangelischen Bevölkerung zu arrangieren? Offenbar sah er seinen künftigen Platz in der seelsorglichen Praxis in einem katholischen geprägten Umfeld sowie in der Organisation und Verwaltung des kirchlichen Lebens. Zumindest fällt auf, dass er sein zurückgezogenes und ruhiges Leben in Gaulsheim auch nicht zur Publikation wissenschaftlicher Studien nutzte.

Auf persönliche Veranlassung Bischof Kaisers übernahm Lennig am 10. September 1839 die Pfarrei St. Petrus und Marcellinus in Seligenstadt. Dort unterstützte ihn sein am 19. Dezember 1839 zum Priester geweihter Neffe Christoph Moufang von Januar 1840 bis Dezember 1843 als Kaplan. Seinen Dienst als Pfarrer dieser bedeutenden Pfarrei versah Lennig mit großer Einsatzbereitschaft in der Feier der Liturgie und in der Unterweisung der Gläubigen in Predigt und Katechese. Lennig beschränkte sein Engagement aber nicht auf den engeren kirchlichen Bereich. Beachtung verdient die von ihm 1841 initiierte und durchgesetzte Einführung von Lehrerinnen für die Mädchenschule in Seligenstadt. Sie zeugt von einem wachen Sinn für die pädagogischen Bedürfnisse der Mädchen, deren schulische Situation sich deutlich verbesserte. Zugleich belegt diese Maßnahme seine Einsicht, dass einer guten, kirchlich geprägten Ausbildung von Mädchen als zukünftigen Müttern für die katholische Ausrichtung der Familien in einem Staat, dessen konfessionsverschiedene Bevölkerungsteile sich unausweichlich annäherten, ein nicht zu unterschätzender Wert zukam.

Ende 1841 sollte ein ungewöhnlicher Vorgang an der Gießener Fakultät dann doch dazu führen, dass Lennig seine Zurückhaltung in kirchenpolitischen Fragen für einen Moment aufgab. Auf Beschluss des großherzoglichen Ministerrats in Darmstadt war dem an der Gießener Fakultät lehrenden Kirchenhistoriker und Priester Kaspar Riffel am 19. November die Lehrerlaubnis entzogen worden, allerding ohne dass dafür ihm selbst und dem Mainzer Bischof noch der Öffentlichkeit eine Begründung mitgeteilt wurde. Den Anlass für diesen Schritt vermutete man in Riffels Publikation „Christliche Kirchengeschichte der neuesten Zeit“ (Mainz 1841). Darin hatte er die Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts harscher Kritik unterworfen und Martin Luther, den er als ihren Hauptverursacher benannte, mit schärfster Polemik überzogen. Unabhängig von dieser Tatsache verurteilte Lennig das Vorgehen der Regierung, die offenbar in Geringschätzung der Katholiken eine Erklärung schuldig geblieben war, in einer als Denkschrift des Dekanats Seligenstadt an Bischof Kaiser abgefassten Stellungnahme. Er sah in dem Vorgang nicht nur einen erneuten Beweis für die Bevormundung der katholischen Kirche durch die Regierung, sondern auch einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit katholischer Theologen. In gänzlicher Abhängigkeit vom Staat sei die katholische Theologie an der Gießener Fakultät eine Staatsangelegenheit, wodurch die künftigen Geistlichen ihr katholisches Selbstverständnis und ihre Beziehung zur Kirche verlören. Die Konsequenz konnte für ihn daher nur die Rückverlegung der Theologischen Fakultät nach Mainz sein. Dieser Denkschrift schlossen sich acht der 16 Dekanate des Bistums an. Wenngleich Bischof Kaiser sich durch das Verhalten der Regierung brüskiert sah, so wollte er doch der dringenden Empfehlung Lennigs nicht folgen. Davon ließ ihn sicher auch der durch Riffel selbst über längere Zeit an der katholischen Fakultät verursachte Unfrieden und dessen insgeheime Opposition gegen ihr Fortbestehen Abstand nehmen.

Der bewährte Mitarbeiter Bischof Kaisers

Als im Jahre 1844 Bischof Arnoldi zur Hl.-Rock-Wallfahrt nach Trier aufgerufen hatte, erhob der liberal gesinnte schlesische Kaplan Johannes Ronge öffentlich Protest gegen diesen in seinen Augen unsinnigen und unzeitgemäßen religiösen Brauch. Da der von ihm erhoffte Erfolg ausblieb, löste sich Ronge aus der Kirche und gründete mit einigen Anhängern, die sich gleichfalls von der Kirche getrennt hatten, eine eigenständige „moderne“ deutsche Nationalkirche. Dieses Vorhaben fand die Unterstützung der antikatholischen, liberalen und radikalen Presse, insbesondere des Frankfurter Journals. Im Großherzogtum Hessen sammelten sich zunächst in dem Seligenstadt benachbarten Offenbach Sympathisanten unter liberal gesinnten Bürgern, vor allem Fabrikanten und Kaufleute, aber auch unter Arbeitern, die sich der Kirche in ihrem neuen Lebensumfeld entfremdet hatten. Kennzeichen der Rongeschen Bewegung waren die Reduktion des Christentums auf eine reine „Vernunftreligion“ ohne Lehramt und Dogma und ohne die meisten sakramentalen Handlungen. Getragen von nationalem Pathos und einer damit einhergehenden konfessionellen Irenik befürwortete man Ehen von Angehörigen verschiedener Bekenntnisse, verwarf die Abhängigkeit von Rom als kirchlichem Zentrum und damit einhergehend die von einem zölibatären Klerus gebildete kirchliche Hierarchie. Bei der protestantischen Geistlichkeit traf die neue Sekte auf vielfältige Unterstützung und auch die Regierung unternahm nichts, um ihr Treiben abzustellen, wenngleich der Großherzog sich sonst zum Schutzherrn der katholischen Kirche erklärte und in ihre Belange eingriff.

Musste diese Erfahrung sehr bedrückend auf Bischof Kaiser wirken, so sah sich Lennig in seiner Haltung vollauf bestätigt. Entschieden wandte er sich gegen die Sekte in seiner Nachbargemeinde. Da Bischof Kaiser selbst einen völlig erfolglosen Versuch unternommen hatte, mit Vertretern der „Deutschkatholiken“ aus Offenbach zu einer Verständigung zu gelangen, entschied er sich nun doch zu einem Richtungswechsel im Vorgehen. Auf seinen Vorschlag erfolgte am 5. Juni 1845 die Wahl Lennigs zum Domkapitular. Außerdem verlieh er ihm den Titel eines Geistlichen Rates. Lennig sollte ihn sowohl in der Abwehr des „Deutschkatholizismus“ als auch in der diesbezüglichen Korrespondenz mit der Regierung unterstützen. So ging seine Zeit als Pfarrer in Seligenstadt, wo ihm noch im Mai 1845 der auf der Durchreise befindliche Nuntius in Brüssel, Joachim Pecci – der spätere Papst Leo XIII. – einen kurzen Besuch abgestattet hatte, ihrem Ende entgegen. Pecci kannte Lennig noch aus dessen Zeit in Rom. In Zusammenhang mit der Wahl Lennigs zum Domkapitular fällt zumindest auf, dass die Regierung gegen seine Wahl, obgleich er ja zuletzt mit einer Denkschrift gegen die Absetzung Riffels hervorgetreten war, keinen Einspruch erhob. Das Vertrauen, das Bischof Kaiser zu ihm gewann, sollte am 16. August 1847 mit seiner Ernennung zum Leiter des geistlichen Gerichts im Amt des Offizials seinen Ausdruck finden.

Häufig trat Lennig als Prediger im Mainzer Dom gegen den „Deutschkatholizismus“ auf, der selbst in der Bischofsstadt unter liberalen, finanzstarken Bürgern und Handwerkern sowie darüber hinaus bei wohlhabenden rheinhessischen Bauern einigen Zulauf gefunden hatte. Auf politischer Ebene verfasste er zu dessen Abwehr Eingaben an die Regierung. Nachdrücklich wies er auf die Gefahr der Anarchie hin, die sich aus dieser Bewegung ergäbe, da sie nicht allein die kirchliche Autorität, sondern in der Folge auch jene des Staates angreife, der ihrem Treiben jedoch tatenlos zusehe, weil er sich wohl insgeheim eine Schwächung der katholischen Kirche erwarte. Daher nehme die Regierung es hin, dass die protestantische Bevölkerung gegen die Katholiken aufgehetzt und der konfessionelle Friede gestört werde.

In der Auseinandersetzung mit dem „Deutschkatholizismus“ beklagte Lennig sehr das Fehlen einer politischen Tageszeitung, welche die Interessen der katholischen Kirche darlegte und gegen die permanenten Anfeindungen seitens der liberalen kirchenfeindlichen Tagesblätter verteidigte. Zu seinem Ärger hatten diese auch in Mainz große Verbreitung und entfalteten bei der Bevölkerung ihre Wirkung. Durch eine neue, dezidiert katholische Zeitung musste hier für Abhilfe gesorgt werden, denn weder die eher wissenschaftlich orientierte Zeitschrift „Katholik“, noch die „Katholischen Sonntagsblätter zur Belehrung und Erbauung“ entsprachen diesem Zweck. Letztere erschienen seit November 1842 unter der Leitung von Pfarrer Heinrich Himioben. Sie gingen auf eine Initiative Lennigs und einen Kreis von Pfarrern zurück. Wies das Innenministerium 1847 sein Gesuch um Zulassung der Gründung eines politischen Blattes noch mit der Begründung zurück, dass dafür in Mainz kein Bedarf bestehe, so erteilte es im Januar 1848 unter den veränderten politischen Verhältnissen die Genehmigung. Die Finanzierung der Zeitung erfolgte auf Aktienbasis, wofür auch Lennig einen erheblichen Anteil aus seinem Familienvermögen beisteuerte. Am 16. Juni 1848 erschien dann erstmals das „Mainzer Journal“, dessen Redaktion bei Franz Sausen lag. Mit dieser Tageszeitung, die auch in anderen Diözesen vertrieben wurde und ihr Erscheinen erst 1941 zwangsweise einstellte, verfolgte Lennig zugleich das Ziel, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Katholiken zu stärken, um aus ihnen eine Formation zu bilden, die ihrem politischen Gewicht im Staat entsprach.

In Mainz war Lennig wieder mit seinem Neffen Christoph Moufang zusammengekommen, der inzwischen Pfarrer von St. Quintin und Religionslehrer am Gymnasium geworden war. Seinen Bruder Friedrich hatte er allerdings bereits im Juni 1838 in Folge einer Typhusinfektion verloren, und sein Schwager Wilhelm Moufang, der Mentor des katholisch-konservativen Mainzer Kreises, war wenige Monate vor Lennigs Rückkehr nach Mainz am 5. Januar 1845 verstorben. In Fortführung der familiären Tradition empfing Lennig in seiner Mainzer Wohnung in den Jahren bis zu seinem Tode zahlreiche hochstehende kirchliche Persönlichkeiten, Professoren der Theologie und der Rechtwissenschaften, so namentlich Franz Xaver Dieringer (Bonn), Johann B. Alzog und Franz Joseph Buß (Freiburg), Franz Jakob Clemens (Münster), Johannes von Kuhn (Tübingen), Karl Ernst Jarke und Georg Philipps (Wien), Joseph Hergenröther und Franz Hettinger (Würzburg). Dazu versammelte er regelmäßig ihm befreundete Priester und Laien, die schließlich den „Zweiten Mainzer Kreis“ bildeten, zu Gesprächsabenden über Themen aus Theologie und Kirche, Kunst und Politik.

Eine günstige Gelegenheit, das staatskirchliche Regiment der großherzoglichen Regierung wenn nicht ganz abzuschütteln, so doch zurückzudrängen, bot sich im Rahmen des allgemeinen Freiheitsstrebens im Jahre 1848, als der polizeistaatliche Druck, den die Fürsten zur Wahrung ihrer Position ausübten, für die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr zu ertragen war. Aus Furcht vor einem Verlust der Kontrolle im Staat wurde durch die Regierungen jegliche soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung behindert. Hessen-Darmstadt galt als einer der wirtschaftlich ärmsten und politisch reaktionärsten Staaten im Deutschen Bund. Um sich der Gängelung durch die großherzogliche Regierung zu entledigen, gingen die liberal-demokratischen Kräfte und der politische Katholizismus für einige Zeit ein Zweckbündnis ein. Der in Darmstadt gefürchtete Marsch der Mainzer Demokraten auf die Landeshauptstadt führte zum Sturz des Systems des leitenden Staatsministers du Thil. Er wurde zunächst durch den liberalen Heinrich Freiherr von Gagern als Ministerpräsidenten abgelöst, bis dieser im Mai 1848 zum Präsidenten der als „Paulskirchenparlament“ bezeichneten Nationalversammlung gewählt wurde. Ihm folgte der liberale Staatsrat Carl Jaup. An die Stelle des Großherzogs Ludwig II. (1830–1848), der in seinem Denken noch mehr als sein Vater Ludwig I. (1806–1830) dem Ancien régime verhaftet war, trat Erbprinz Ludwig III. (1848–1877), der zwar als wohlmeinend und populär galt, politisch aber weitgehend bedeutungslos blieb. Als neuer Großherzog hob Ludwig III. in einem Reformedikt die härtesten staatskirchlichen Vorschriften von 1830 auf.

In Mainz zögerte Lennig nicht, das durch die März-Revolution errungene Vereinsrecht zu nutzen und gründete am 23. März 1848 im Haus „Zum Römischen König“ den „Pius-Verein für religiöse Freiheit“, darin maßgeblich von Kaspar Riffel unterstützt. Riffel war nach seiner Zwangspensionierung nach Mainz gekommen und hielt in diesem Haus Vorträge zu verschiedenen kirchenhistorischen Themen. Dabei war Lennig auf den Gedanken gekommen, einen Verein zum Schutz der religiösen und kirchlichen Freiheit zu gründen, der keine geistliche Bruderschaft, sondern ein nach weltlichem Recht organisierter Verein sein sollte und eine prioritär politische Zielsetzung verfolgte. Die Wahl des Namensgebers, des seit 1846 amtierenden Papstes Pius IX., stand für die Ausrichtung: papsttreu-ultramontan. Bei der konstituierenden Sitzung waren den ersten 24 Mitgliedern schon 300 weitere beigetreten. Lennig übernahm, unterstützt von Himioben, Riffel, seinem Neffen Christoph Moufang sowie Domkaplan Johann Baptist Heinrich, das Präsidium und hielt selbst regelmäßig Vorträge zu aktuellen Fragen. Auch mit dem neuen Verein zielte Lennig vordringlich auf einen aktiven Zusammenschluss der katholischen Bevölkerung und ihre Mobilisierung als politisch selbstbewusste Partei im sich verändernden Staats- und Gesellschaftssystem. Da der Verein sich gegen die radikaldemokratischen Forderungen stellte, die von Franz Zitz, Ludwig Bamberger und ihren Anhängern erhoben wurden, schlug ihm in der Öffentlichkeit bald auch Ablehnung entgegen. Dagegen empfahl Bischof Kaiser seinem Klerus den Pius-Verein als Einrichtung, in der Laien die Kirche durch ihr Engagement unterstützen konnten.

Rasch zog das Mainzer Beispiel die Gründung zahlreicher gleichartiger Vereine in ganz Deutschland nach sich. Dem Mainzer Verein kam dabei die Stellung des Zentralvereins zu. Um den neu gewonnenen Organisationsgrad zu festigen, trat auf Lennigs Anregung vom 3. bis 6. Oktober 1848 in Mainz die erste Generalversammlung der Katholiken Deutschlands zusammen. Nach der Eröffnung der Zusammenkunft mit einer hl. Messe in St. Peter versammelte man sich unter Lennigs Leitung im Akademiesaal des benachbarten kurfürstlichen Schlosses. Da zur gleichen Zeit in Frankfurt auch die Nationalversammlung tagte, hatte man Delegierte des „Katholischen Klubs“, zu dem sich die etwa 60 Katholiken unter den 560 Abgeordneten am 14. Juni 1848 zusammengeschlossen hatten, zur Teilnahme an der Generalversammlung in Mainz eingeladen. Dieser Einladung waren am 4. Oktober 23 Mitglieder des Klubs gefolgt, unter ihnen auch Pfarrer Wilhelm Emmanuel von Ketteler aus Hopsten. Ort der Zusammenkunft war das Haus „Zum Römischen König“. Ketteler machte mit seinen Ausführungen über die sich zuspitzende soziale Frage erstmals in Mainz auf sich aufmerksam. Der gleichfalls unter den Abgeordneten anwesende Münchner Theologieprofessor Ignaz Döllinger berichtete über die dezidiert staatskirchlich ausgerichteten Beschlüsse des Verfassungsausschusses des Frankfurter Parlaments, die eine völlige Unterordnung der Kirche unter die Staatsgesetze vorsahen sowie die volle staatliche Schulaufsicht und das Verbot geistlicher Orden. Auf maßgebliches Betreiben Lennigs verabschiedete die Versammlung hierauf als „geistiges Parlament des katholischen Volkes“ am 5. Oktober ein Protestschreiben gegen die von der nationalliberalen Mehrheit getragenen Beschlüsse der Nationalversammlung. Diese „Verwahrung an die Frankfurter Nationalversammlung“ hatte den Erfolg, dass im Entwurf der Reichsverfassung von 1849 nur noch eine Unterordnung der Kirche unter die allgemeinen Staatsgesetze vorgesehen war und der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen der Aufsicht der Geistlichkeit unterstellt blieb.

In Mainz wurde der Pius-Verein auch zum Impulsgeber für das kirchliche sozialkaritative Leben in den 1850er Jahren. So ging etwa der Vinzenz- und Elisabeth-Verein, dem Lennig ebenfalls angehörte, auf seine Initiative zurück, sowie die Gründung des noch heute bestehenden Vinzenz- und Elisabeth-Hospitals. Daneben unterstützte er unter Ausnutzung der politischen Umbruchsituation die Ansiedlung der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul. Diese wurden in der Krankenpflege tätig, zunächst nur in ihrem eigenen Hospital, seit 1852 außerdem im Rochusspital und seit 1854 im Invalidenhaus (heute städt. Altersheim).

Zur Entschlossenheit, mit der Lennig die Kirche aus ihrer Lethargie gegenüber dem Staatskirchentum herauszureißen gedachte, gehört es selbstverständlich auch, die Bischöfe zu mobilisieren. Sie sollten die Gunst der Stunde nutzen und endlich aus der Vereinzelung heraustreten, in der sie gegenüber ihren zumeist protestantischen Landesherrn gefangen waren. Unter erheblichem persönlichem Einsatz drängte er daher auf die Einberufung einer Versammlung der deutschen Bischöfe. Es gelang ihm dafür den zunächst noch widerstrebenden Kölner Erzbischof Johannes von Geissel als Initiator zu gewinnen. Dieser war ihm aus gemeinsamen Mainzer Seminartagen der Jahre 1815–1818 freundschaftlich verbunden. 1842 war Geissel die Leitung des Kölner Erzbistums übertragen worden. Mit der Unterstützung durch den Limburger Bischof Blum, der Geissel ebenfalls die Notwendigkeit einer gemeinsamen Beratung des deutschen Episkopats verdeutlichte, gelang es Lennig dann doch, den entscheidenden Anstoß zur Einberufung der deutschen Bischofsversammlung durch Erzbischof von Geissel zum 21. Oktober 1848 nach Würzburg zu geben. Lennig war überzeugt, dass es dem Episkopat nach entsprechenden gemeinsamen Beratungen eines von ihm vorbereiteten Themenkatalogs, den er Geissel unterbreitet hatte, am ehesten möglich sei, durch ein untereinander abgestimmtes geschlossenes Auftreten gegenüber den Regierungen ihre uneingeschränkte Handlungsfähigkeit als Leiter ihrer Diözesen zu erlangen. Da eine schon längere Zeit andauernde Krankheit die Teilnahme Bischof Kaisers nicht mehr zuließ, wurde Lennig, der ihn nach Würzburg begleiten sollte, schließlich als Vertreter des Bischofs entsandt. Unter den 24 anwesenden Bischöfen vertrat der Erzbischof von München, Graf Reisach, der zu Unrecht eine nationalkirchliche Absonderungsbewegung befürchtete, einen strikt an den Interessen der römischen Kurie orientierten Kurs und geriet damit zunächst in Gegensatz zur Mehrheit der Teilnehmer. Lennig sprach sich dagegen nachdrücklich für einen besseren Zusammenschluss der Bischöfe aus. Nur so könnte Angriffen des Staates wie etwa seinerzeit der Verhaftung Erzbischofs von Droste-Vischering in Köln wirksam vorgebeugt und begegnet werden. Damit stellte er die Abwehr staatskirchlicher Eingriffe in den Vordergrund. Gleichwohl sah auch er die Notwendigkeit, gegenüber Rom den Eindruck einer nationalkirchlich ausgerichteten deutschen Sondersynode zu vermeiden. Man einigte sich schließlich darauf, dass die bis zum 14. November tagende Versammlung offiziell nur als freiwillige Nationalberatung betrachtet wurde.

Der Oktober und die erste Hälfte des Novembers 1848 waren ein neuer Höhepunkt in Lennigs kirchenpolitischem Wirken, der ihm in der dichten Abfolge der Ereignisse jedoch auch einen außerordentlichen persönlichen Einsatz abverlangte. Danach sollte aber für den rastlos und erfolgreich vorwärts Strebenden eine Krise folgen. Diese bahnte sich nach dem Tode des schwer erkrankten Bischofs Kaiser an, der am 30. Dezember 1848 verstarb. Am 5. Januar würdigte Lennig in seiner Trauerrede ausdrücklich die vielfältigen Verdienste des Verstorbenen.

Zwar war es Lennig gelungen, bei jenen Gläubigen, die die Lage der Kirche in Staat und Gesellschaft ähnlich wie er beurteilten, für sein Engagement viel Anerkennung zu erfahren. Doch stimmten längst nicht alle Katholiken mit ihm und seinen Anhängern darin überein, wie sich das kirchliche Leben künftig gestalten sollte. Es gab auch eine beträchtliche Gruppe, zu der neben einigen Theologieprofessoren etliche Kleriker der Diözese auch aus den höchsten Rängen zählten, die sich für eine demokratisch-konstitutionell verfasste Kirche einsetzten und eine Wiederbelebung der Synoden als konstitutives Element des kirchlichen Lebens forderten. Diese unüberbrückbare Differenz im Klerus wurde nach Bischof Kaisers Tod dadurch offenbar, dass nicht Tobias Höfer, ein Parteigänger Lennigs und als Domdekan das ranghöchste Mitglied des Kapitels, sondern Kaspar Grimm, der älteste Domkapitular, zum Bistumsverweser gewählt wurde. Grimm war 1811 in Aschaffenburg zum Priester geweiht worden, wo Erzbischof Karl Theodor von Dalberg 1807 ein Priesterseminar gegründet hatte, dessen Ausbildungsgang an einer gemäßigten Aufklärung orientiert war. Das Staatskirchentum wurde hier nicht grundsätzlich abgelehnt.

Die Bischofswahl der Jahre 1849/1850

Nach den gravierendenden politischen Umwälzungen des Jahres 1848 war der Darmstädter Regierung mittlerweile daran gelegen, den mit der Kirche erreichten Zustand nicht durch die Wahl eines eigenwilligen Bischofs wieder zu gefährden. Der Großherzog machte daher von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch, indem er beabsichtigte, Johann Baptist Lüft, den katholischen Pfarrer seiner Residenzstadt, als Stellvertreter des Bischofs in die Erste Kammer zu berufen. Lüft galt zwar allgemein als ein Mann des Ausgleichs, war aber auch ein Sympathisant Lennigs und lehnte ab. Nun berief Ludwig III. am 10. Januar 1849 Prof. Leopold Schmid. Dieser, ein gebürtiger Schweizer, war zunächst Regens am Limburger Priesterseminar gewesen und erhielt 1839 den Lehrstuhl für Dogmatik an der Gießener Fakultät. In seinem Denken war er geprägt vom Deutschen Idealismus und galt als Vertreter eines friedlichen Ausgleichs zwischen den Konfessionen. Daher waren Konflikte mit Kaspar Riffel zu dessen Gießener Zeit nicht ausgeblieben. Die Berufung Schmids durch den Großherzog konnte von den Mitgliedern des Domkapitels durchaus als Signal verstanden werden. Als sie am 20. Januar zur Erstellung der Kandidatenliste zusammenkamen, soll Lennig sich aus formalen Gründen für die Berücksichtigung Schmids ausgesprochen haben. Die Kandidatenliste, auf der sich auch Lennigs Name fand, wurde auf Anraten des Kreisrats für Mainz und Kommissars für die Provinz Rheinhessen, Reinhard Freiherr von Dalwigk, seitens der Regierung gebilligt. Man fürchtete wohl den Eklat, den die Streichung seines Namens verursacht hätte.

Bei der Wahl am 22. Februar 1849 war als von der Regierung entsandter Wahlkommissar der Gießener Universitätskanzler Michael Franz Birnbaum anwesend, der vor der Wahl die Erwartung des Landesherrn zum Ausdruck brachte, der künftige Bischof möge das gute Einvernehmen zwischen Kirche und Staat fortsetzen und konfessionelle Toleranz üben. Angesichts der Berufung Schmids in die Erste Kammer durch den Großherzog können die vier aus der Aschaffenburger Schule hervorgegangenen Domkapitulare Kaspar Grimm, Johann Baptist Fell, Michael Schnetter und Andreas Gresser diese Äußerung Birnbaums als weiteren deutlichen Fingerzeig verstanden haben. Zumindest hatten sie wohl kein Interesse an einem weiteren Erstarken des ultramontan ausgerichteten „Mainzer Kreises“ durch die Wahl Adam Franz Lennigs, der auf sich außer seiner eigenen Stimme nur noch die des Domdekans Höfer und Johann Baptist Stratmanns vereinigen konnte. Lennig musste mit Blick auf sein erfolgreiches persönliches Engagement im Jahre 1848 sowie auf seine Vertrauensstellung, die er sich bei Bischof Kaiser bis zuletzt erworben hatte, und auf das nach langem zähen Ringen mit dem Staat endlich Erreichte, die im zweiten Wahlgang entschiedene Wahl Leopold Schmids als einen Verrat an ihm und an seinem Kampf für die Kirche erscheinen. Seine tiefe Enttäuschung hat er gegenüber seinen Kapitelskollegen wohl schon vor diesem Wahlgang deutlich geäußert. Im Vorgehen der Regierung sah er eine unzulässige Einflussnahme und wollte sich mit dem Wahlergebnis nicht abfinden. Daher suchten er und seine Anhänger, insbesondere Domkaplan Johann Baptist Heinrich, der mit Kaspar Riffel aus dessen Gießener Tagen in enger Verbindung stand, Riffel selbst sowie Christoph Moufang nach Mitteln und Wegen, eine Anerkennung der Wahl Schmids durch den Papst zu verhindern. In Schmid erblickten sie ausschließlich den Kandidaten der Regierung und in seiner Wahl einen Rückfall in das überwunden geglaubte Staatskirchentum. Nun stand für sie das Schicksal der Diözese auf dem Spiel.


Versammlung der Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz in Freiburg, i.Br. am 12. April 1853 bei Erzbischof Hermann von Vicari (Lithographie von Valentin Schärtle nach einem Gemälde von Eduard Heuss) Adam Franz Lennig (1. von li) mit Bischof von Ketteler (3. von li) und den Bischöfen der Oberrheinischen Kirchprovinz bei Erzbischof von Vicari in Freiburg

Umgehend wurde Lennigs weitreichendes Netz von Verbindungen aktiviert, in das nach und nach Bischof Peter Josef Blum von Limburg, der nassauische Legationsrat Moritz Lieber, Bischof Nikolaus Weis von Speyer, Bischof Andreas Räß von Straßburg, Karl August Graf Reisach, Erzbischof von München, dessen Generalvikar Fritz Windischmann und Ignaz von Döllinger sowie der Münchner Nuntius Carlo Sacconi und der Wiener Nuntius Michele Viale Prelà einbezogen wurden, um nur die wichtigsten Akteure zu nennen. Mit polemischen Beiträgen im „Katholik“, den „Katholischen Sonntagsblättern“ und dem „Mainzer Journal“ wurde der Konflikt zugespitzt.

Alle diese Maßnahmen, die nicht frei waren von deutlich intriganten Zügen, so auch die Einflussnahme auf Pius IX. gegen die Person Schmids, sollten schließlich ihre Wirkung zeigen. Der Papst verwarf im Breve „Ex speciali gratia“ am 7. Dezember 1849 die Wahl Schmids, der sich zuvor verschiedenen Versuchen widersetzt hatte, ihn von der Annahme seiner Wahl abzubringen. Zugleich eröffnete er dem Mainzer Domkapitel die Möglichkeit zu einer Neuwahl und deutete an, es möge einen geeigneten Kandidaten aus seinem Kreis wählen. Zwar teilte Schmid dem Domkapitel am 17. Januar 1850 mit, er nehme den päpstlichen Entscheid vorerst hin. Doch setzte er sich nun durch seine Interessensvertreter in Mainz in öffentlichen Versammlungen, Adressen an das Domkapitel und den Papst sowie den Landesherrn zur Wehr, wobei natürlich auch Angriffe auf Lennig nicht ausblieben. Die Mehrheit des Domkapitels, die gleichfalls auf ihrer Entscheidung beharrte, hatte gegenüber dem Papst nochmals den friedfertigen Sinn Schmids in konfessionellen Fragen betont und die Schärfe seiner theologischen Gedankenführung sogar über die des Thomas von Aquin gestellt, was aber dessen Argwohn nur noch bestärkte. In dem damals von der radikaldemokratischen Bewegung geprägten Mainz hatten die Anhänger Schmids am 28. Januar im Frankfurter Hof eine Protestversammlung veranstaltet, bei der heftige Attacken gegen Lennig nicht ausblieben. Dabei wurde ihm nicht so sehr sein Streben nach dem Bischofsamt vorgehalten, die Agitatoren sahen in ihm vor allem den Repräsentanten einer restaurativen geistigen, kirchlichen und politischen Ausrichtung, die sie bekämpften.

Der Protest wurde unterstützt von der liberalen „Mainzer Zeitung“ und dem „Frankfurter Journal“. Auch ein erheblicher Anteil des Diözesanklerus, der die Ausrichtung des Mainzer Kreises ablehnte, hatte für Schmid Partei ergriffen und setzte große Hoffnungen in ihn bezüglich einer Reform des kirchlichen Lebens, so etwa die Abschaffung des Zölibats. Als die Mehrheit des Domkapitels am 29. Januar abermals auf ihrer Wahl Schmids beharrte, wirkte nun, da die Verhältnisse in Mainz anarchische Züge anzunehmen drohten, die großherzogliche Regierung auf das Domkapitel ein. Inzwischen war Ministerpräsident Jaup durch den im Umgang mit radikalen demokratischen Strömungen bewährten Mainzer Regierungsdirektor von Dalwigk ersetzt worden. Die Mehrheit im Domkapitel kam schließlich mit der Minderheit dahingehend überein, sich einer erneuten Wahl zu enthalten und dem Papst drei Geistliche vorzuschlagen, die nicht der Mainzer Diözese angehörten: Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler, seit 1849 Propst von St. Hedwig in Berlin, Heinrich Förster, Domkapitular in Breslau, und Anton von Oehler, Domkapitular in Rottenburg. Der Großherzog erteilte dieser Liste am 1. März 1850 sein Plazet. Bereits am 8. Februar 1850 hatte die Regierung Professor Schmid dazu gedrängt, gegenüber der Kapitelsmajorität seine Zustimmung zu diesem Verfahren zu erklären. Mit einem Breve vom 16. März ließ Papst Pius IX. dann wissen, er habe Wilhelm Emmanuel von Ketteler als Bischof für Mainz ausgewählt. Dieses Resultat konnten Lennig und seine Anhänger als Sieg verbuchen. Zugleich war damit ein Bischof gefunden worden, der außerhalb der tief zerstrittenen Parteien stand, deren Zusammenführung und Aussöhnung die erste große Herausforderung für den am 25. Juli im Mainzer Dom zum Bischof geweihten Ketteler war.

Generalvikar Bischof von Kettelers

Zwar gab es nach Kettelers Amtsantritt noch Versuche, ihn gegen Lennig und dessen Anhänger einzunehmen, doch zeigte er sich davon unbeeindruckt. Er ging vielmehr mit großer Energie und persönlicher Opferbereitschaft daran, die kirchliche Ordnung in der ihm erforderlich scheinenden Weise wiederherzustellen, wobei er einen sehr autoritären Stil in der Leitung der Diözese entwickelte, weshalb Lennig, den er am 15. Dezember 1852 zu seinem Generalvikar berufen hatte, häufig ausgleichend wirken musste. Ketteler zog auch radikale Schritte in Betracht, wie etwa die verpflichtende Einführung der „vita communis“ für alle Kleriker, der sich aber selbst Lennig durch Rücktrittsdrohung widersetzte, was ihn aber nicht daran hinderte, 1857 den Assistenten und Dozenten für Kirchengeschichte am Priesterseminar, Heinrich Brück, in seinem Hause aufzunehmen, wo dieser bis zu Lennigs Tod wohnte.

Bei aller Schroffheit zeigte Kettler gleichwohl nicht nur ein waches Bewusstsein für die soziale Not vieler der ihm anvertrauten Menschen, sondern sorgte bald auch für deren Bekämpfung. Der großherzoglichen Regierung trat er von Anfang an selbstbewusst entgegen. Seine erste kirchenpolitisch brisante Maßnahme führte zum faktischen Ende der katholisch-theologischen Fakultät in Gießen. In Abstimmung mit seinen Beratern und dem Domkapitel verlegte er das Theologiestudium eigenmächtig nach Mainz zurück, wo die Fakultät am 1. Mai 1851 wiedereröffnet wurde. Zwar riskierte er so einen Konflikt mit der Regierung, doch ließ diese ihn gewähren, weil sie inzwischen in der katholischen Kirche einen wichtigen Bundesgenossen gegen die radikal-demokratischen Strömungen im Großherzogtum erkannt hatte. Damit war eine grundsätzliche Forderung des Mainzer Kreises erfüllt.


Adam Franz Lennig (nach 1858) mit dem hessischen Ludwigsorden

Weitere Punkte, die Ketteler zügig anging, waren die Frage der Bildung und Verwaltung der bischöflichen Dotation und damit zusammenhängend der Besetzung der Pfarrstellen, die immer noch durch staatskirchliche Verwaltungsvorschriften geregelt waren. Deshalb ersetzte er die 1830 von Bischof Burg erlassene Verordnung über die Bildung und Verwaltung der Dotationen des Bistums durch eine neue Verordnung vom 11. November 1853. Bei der Besetzung der vakanten Pfarreien Budenheim, Vendersheim und Weisenau ließ er durch seinen Generalvikar ein Pfarrkonkursexamen ausschreiben, setzte sich damit über die landesherrliche Verordnung von 1830 hinweg und schuf vollendete Tatsachen. Auch hier scheute Dalwigk einen Konflikt, wie er sich in dieser Frage etwa im Großherzogtum Baden ergeben hatte, und war um eine einvernehmliche Lösung der Fragen bemüht.

Im Juli 1854 begannen die Verhandlungen zwischen den Bevollmächtigten, Ministerialrat Franz Joseph Freiherr von Rieffel und Generalvikar Lennig, zur Klärung aller im Verhältnis von Kirche und Staat strittigen Fragen, die schließlich am 23. August 1854 in einer in ihrem Wortlaut allerdings nicht veröffentlichten „Vorläufige[n] Übereinkunft zwischen der großherzoglichen Regierung und dem Bischof von Mainz in Betreff der Regelung der Verhältnisse des Staates zur katholischen Kirche“ mündeten und durch Bischof von Ketteler und Ministerpräsident von Dalwigk gemeinsam unterzeichnet wurde. Allerdings wurde diese Vereinbarung, die neben der römischen Kurie auch den anderen Bischöfen der oberrheinischen Kirchenprovinz zur Kenntnis gebracht wurde, von letzteren scharf als Alleingang kritisiert, hatte Ketteler damit doch ein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen unmöglich gemacht und künftige Übereinkünfte präjudiziert.

In Rom äußerte man gleichfalls Kritik, da die Konvention die Rechte des Bischofs nicht hinreichend berücksichtige und forderte Nachverhandlungen. Ketteler nahm die Reise anlässlich der Verkündung des Dogmas von der „Unbefleckten Empfängnis Mariens“ im November 1854 in Rom als Gelegenheit, um dort in Begleitung seines Generalvikars Lennig, der mit den römischen Verhältnissen gut vertraut war, seinen Standpunkt vorzutragen und für die Konvention zu werben. Die Gespräche verliefen allerdings nicht so wie erhofft. Der Weisung, völlig neue Verhandlungen mit der Regierung in Darmstadt aufzunehmen, widersetzte sich Ketteler aber beharrlich. Man einigte sich schließlich in einem dritten Anlauf auf einen Bestand an Änderungswünschen zu Kettelers Entwurf für eine Übereinkunft mit der großherzoglichen Regierung. Am 3. April 1855, nach fünfmonatiger Abwesenheit, erreichte er zusammen mit Lennig wieder Mainz und nahm mit Darmstadt Kontakt auf, wo man in einem Antwortschreiben vom 19. April 1856 auf nahezu alle Punkte der römischen Forderungen eingegangen war. Allerdings versagte Rom der „revidierten Konvention“ die offizielle Zustimmung. Mit ihrer Prüfung war der im Dezember 1855 zum Kurienkardinal berufenen Münchner Erzbischof von Reisach beauftragt worden, der, obgleich mit Lennig seit vielen Jahren verbunden und einst auch geistlicher Mentor Kettelers, erhebliche Kritik äußerte wegen einer zu einvernehmlichen Haltung gegenüber der großherzoglichen Regierung. In Mainz und Darmstadt befürchtete man jedoch bei erneuten Verhandlungen unter „römischer Aufsicht“ das bisher Erreichte zu verlieren. Da die revidierte, doch von Rom nicht akzeptierte Fassung der Vereinbarungen von beiden Seiten nicht ratifiziert worden war, einigten sich Ketteler und Dalwigk darauf, künftig nach der am 23. August 1854 abgeschlossenen unveröffentlichten „Mainz-Darmstädter Konvention“ zu verfahren, an deren Zustandekommen Lennig maßgeblich Anteil hatte. Sie führte für 20 Jahre zum Ausgleich zwischen Regierung und Bistum. Das bis zur Aushandlung der Konvention schwierige Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und der Staatsregierung entspannte sich nun, und Bischof von Ketteler wurde im Gegenzug zu einer der Hauptstützen des Hessen-Darmstädtischen Ministerpräsidenten von Dalwigk.

Lennig war durch anonyme Schreiben bei Ketteler kurz nach dessen Amtsantritt für den desolaten Zustand der Diözese verantwortlich gemacht worden. Zugleich hatte man den neuen Bischof gewarnt, diesen und seine Parteigänger in sein Umfeld zu lassen, da sie nur weitere unnötige katholische Vereine und Bruderschaften gründeten sowie Exerzitien, Andachten, Prozessionen und Wallfahrten durchführten, was dann eine geringe Zahl von Klerikern und Gläubigen fälschlich als ein Wiedererstarken der katholischen Kirche feiere. Doch käme das nur der Kirchenkritik des Deutschkatholizismus zustatten. Wenngleich der anonyme Autor recht genau voraussah, in welche Richtung das Wirken Kettelers, unterstützt von Lennig, dann tatsächlich gehen sollte, so war sein Urteil über die Folgen weitaus weniger zutreffend.

Als Bischof von Ketteler 1854 beabsichtigte in Mainz ein Kapuzinerkloster zu gründen, überließ Lennig ihm zu diesem Zweck ein aus eigenen Mitteln erworbenes Haus in der Himmelsgasse. Als Generalvikar setzte Lennig sich gegenüber dem zuständigen Ministerium für die Ansiedlung des Konvents ein. Dieses sah darin, zumal es sich um einen Bettelorden handelte, einen für die öffentliche Meinung inakzeptablen Rückschritt und eine wirtschaftliche Belastung für die Bevölkerung. Lennig vermochte allerdings mittels des Arguments, dass das Wirken der Kapuziner den Staat letztlich finanziell wesentlich günstiger als die Anstellung neuer Priester käme, deren Ansiedlung durchzusetzen. Die Zulassung von Orden, so auch der Jesuiten 1859 in der Mainzer Pfarrei St. Christoph, galt Lennig als Element kirchlicher Selbständigkeit. In gleicher Weise engagierte er sich für die Armen Schwestern des hl. Franziskus, die in der Betreuung von Kranken und Armen tätig waren, wobei sie insbesondere für sozial schwache Familien und deren vernachlässigte Kinder sorgten. Ihren dauerhaften Verbleib in Mainz konnte er ebenfalls unter Verweis auf ihr erfolgreiches Wirken zu wirtschaftlich ausgesprochen günstigen Bedingungen erreichen. Am Ende und insgesamt führten Lennigs Maßnahmen zur stillschweigenden Duldung der Orden im Großherzogtum seitens der Regierung.

Weniger Erfolg hatte Lennig bei der Bewahrung der Pfarrschulen gegen die gemeinsame Initiative einer Gruppe von Elementarschullehrern und liberaler, zum Teil offen antikirchlich agierender Mitglieder des Mainzer Stadtrats. Die Elementarschullehrer kritisierten die konfessionelle Ausrichtung der Pfarrschulen und dass den Schülern die Erziehung zu kritischer politischer Selbständigkeit fehle. Sie sprachen sich daher für eine weltanschaulich neutrale Schule aus. Gegenüber dem Ministerium beklagte Lennig, dass der Kirche durch die Aufhebung des Pfarrschulprinzips ihr christlicher Erziehungsauftrag erschwert werde, denn dieser Schritt führe zu einer Entfremdung der Schüler von dem für sie zuständigen Pfarrer. Die Regierung entschied sich am Ende zur Einführung von Sektionsschulen, wofür – unabhängig von den gewachsenen, auf die Pfarreien bezogenen Strukturen – neue Schulbezirke errichtet wurden.

Lennigs Einsatz für die Kirche und die Festigung ihrer Stellung in einer Gesellschaft, die sich ihr durch die politischen und kulturellen Veränderungen zunehmend entfremdete, fand die Anerkennung seines Bischofs, der ihm am 28. Februar 1856 das Amt des Domdekans übertrug. Großherzog Ludwig III. zeichnete Lennig für seinen vermittelnden Einsatz zum Ausgleich der Interessen von Kirche und Staat durch seine Ernennung zum Kommandeur des großherzoglich-hessischen Ludwigsordens am 26. Dezember 1858 aus. Schließlich würdigte auch Pius IX. seine Verdienste, als er ihn während eines Aufenthalts in Rom in einer Privataudienz am 11. April 1859 zum Geheimen päpstlichen Kammerherrn ernannte. Doch sollte Lennigs Freude über die Anerkennung seines Wirkens nicht lange ungetrübt bleiben.

Am 24. Juni 1859 war es in einer Schlacht nahe der oberitalienischen Stadt Solferino zu einer empfindlichen Niederlage Österreichs gekommen, dessen Führung sich einerseits durch das arrogante Verhalten der französisch-piemontesischen Koalition provozieren ließ und andererseits die eigene Stärke deutlich überschätzte. In der Folge kam es alsbald zu einer Schwächung der Stellung Österreichs als Schutzmacht der katholischen Kirche sowohl in Italien als auch in Deutschland. Das bot etlichen staatskirchlich gesinnten Regierungen in den Ländern des Deutschen Bundes Anlass zu neuen politischen Angriffen auf die Kirche. Lennig beklagte gegenüber Bischof Blum von Limburg, dessen Theologiestudenten man zur Rückkehr aus dem Mainzer Seminar nach Nassau durch den Entzug der staatlichen finanziellen Unterstützung zwingen wollte, die mangelnde Ge- und Entschlossenheit des kleinmütigen deutschen Episkopats, der nicht mehr zu einer gemeinschaftlichen Haltung wie im Jahre 1848 fand. Er fürchtete zusehends die Entrechtung der katholischen Kirche durch protestantische Majoritäten in den Ständekammern. Ebenso ärgerte Lennig die Gleichgültigkeit vieler Katholiken gegenüber den Angriffen auf die Kirche. So war 1861 ein Pamphlet übelster Art gegen die Oberin der Barmherzigen Schwestern im Mainzer Invalidenhaus erschienen. Von liberalen Bürgern initiiert, die auch über das „Frankfurter Journal“ Einfluss nahmen, sollte es dem öffentlichen Ansehen der katholischen Kirche schaden. Zwar wurde die Schrift verboten, die Unschuld der Schwester gerichtlich nachgewiesen und der vorgebliche Verfasser verurteilt, doch der Protest der Katholiken ließ für Lennig die angemessene Schärfe vermissen.

Im Jahr 1864 reiste Lennig wegen seiner angegriffenen Gesundheit nach Karlsbad. Der Kuraufenthalt brachte ihm jedoch nur kurzfristig Besserung, da er keine Konsequenzen für die Gestaltung seines Lebensstils daraus zog, insbesondere was seine berufliche Belastung anging. Nachdem er am 11. Dezember 1865 einen Schlaganfall erlitten hatte, von dem er sich nur langsam erholte, weilte er 1866 noch einmal zu einer Kur in Marienbad. Dort erfasste ihn nach der Niederlage Österreichs und seiner Verbündeten in der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 gegen das militärisch aggressive Preußen eine schwere Depression, von der er sich nicht mehr erholen sollte. Zurückgekehrt nach Mainz, wo er unter großen Mühen seinen Dienst trotz aller Mahnungen wieder aufgenommen hatte, verstarb er am 22. November 1866 an den Folgen seiner gesundheitlichen Schwäche.

Lebensdaten

03.12.1803geb. in Mainz als Sohn des Tuchhändlers Nikolaus Lennig und seiner Frau Elisabeth, geb. Mentzler
1815–1820Gymnasium in Bruchsal und Mainz
1820–1831Studium in Mainz, Paris, Rom und Bonn
22.09.1827Priesterweihe in Rom, St. Giovanni in Laterano
06.07.1832Pfarrer in Gaulsheim
27.09.1839Pfarrer in Seligenstadt
05.06.1845Domkapitular, Geistl. Rat
16.08.1847Offizial
23.03.1848Gründung des Pius-Vereins
16.06.1848Erste Ausgabe des von Lennig mitbegründeten Mainzer Journals
3.–6.10.1848Generalversammlung der Katholischen Vereine in Mainz
21.10.1848Vertreter Bischof Kaisers bei der Konferenz der deutschen Bischöfe in Würzburg
15.12.1852Generalvikar
28.02.1856Domdekan
22.11.1866in Mainz verstorben, beigesetzt auf dem Hauptfriedhof

Quellen

Mainz, Dom- und Diözesanarchiv (DDAMz):

Domkapitel A.9.2 (Verhandlungen über das Verhältnis von Kirche und Staat in der Oberrheinischen Kirchenprovinz); D 5.1 (Domdekan und Generalvikar Adam Franz Lennig).

Schriften

Das heilige Schweißtuch Christi in der St. Emmeranskirche in Mainz: Predigt, gehalten am Ostermontag 1865. Sonderdruck, Mainz: Sausen, 1865.

Trauerrede auf den Hochw. Herrn Petrus Leopold Kaiser, Bischof von Mainz, vom Januar 1849. Mainz: Kirchheim, 1849.

Trauerrede auf die Großherzogin Mathilde, Friederike, Wilhemine, Charlotte Grossherzogin von Hessen und bei Rhein, … gest. d. 25. Mai 1862, gehalten in der kath. Kirche zu Darmstadt am 30. Mai 1862. Mainz: Kirchheim, 1862.

Erklärung des Bischöflichen Ordinariates in Mainz wegen einiger in der zweiten Kammer des Großherzogthums Hessen vorgekommener unrichtigen Behauptungen [Mainz, den 7. Mai 1863]. Mainz 1863.

Betrachtungen über das bittere Leiden Jesu Christi. Hrsg. von Christoph Moufang, Mainz: Kirchheim, 1867.

Betrachtungen über das heilige Vaterunser und den englischen Gruß, hg. von Christoph Moufang. Mainz: Kirchheim, 1869.

Gedruckte Quellen und Literatur

Hermann-Josef Braun u.a. (Bearb.) Necrologium Moguntinum 1802/3–2009. Mainz 2009, S. 515.

Anton Philipp Brück, Aus der Briefmappe des Bischofs Andreas Raeß. In: Elsässisch-Lothringisches Jahrbuch 19 (1941) S. 290–300.

Anton Philipp Brück, Der Mainzer Lennig-Moufang-Kreis und die Freiheit der Kirche. In: Lenhart, Idee, S. 133-151.

Heinrich Brück, Lennig, Adam Franz. In: Wetzer und Weltes Kirchenlexikon Bd. 7, 1891, Sp. 1743–1746.

Heinrich Brück, Adam Franz Lennig, Generalvicar und Domdecan von Mainz, in seinem Leben und Wirken. Mainz 1870.

Anton Diehl, Adam Franz Lennig, Domdekan und Generalvikar von Mainz (= Eine Sammlung von Zeit- und Lebensbildern 9). Mönchen-Gladbach 1914.

Eckhart G. Franz, Großherzogtum Hessen. In: Reich und Länder. Geschichte der deutschen Territorien, Bd. 2: Die deutschen Länder vom Wiener Kongreß bis zur Gegenwart, hg. von Georg Wilhelm Sante. Darmstadt 1971, S. 483–495.

Friedrich Hainbuch, Zur Bischofswahl Wilhelm Emmanuel von Kettelers im Jahre 1850 – Neue Dokumente. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 34 (1982) S. 355–372.

Wilhelm Emmanuel von Ketteler, Sämtliche Werke und Briefe, Abt. 2, Briefwechsel und öffentliche Erklärungen, Bde. 1–5: Briefe und öffentliche Erklärungen: Bd. 1: 1825–1850, Bd. 2: 1850–1854, Bd. 3: 1855–1860, Bd. 4: 1861–1865, Bd. 5: 1866–1870, bearb. von Erwin Iserloh, Norbert Jäger und Christoph Stoll. Mainz 1984, 1988, 1991, 1994, 1997.

Gustav Krüger, Der Mainzer Kreis und die katholische Bewegung. In: Preußische Jahrbücher 148 (1912) S. 395–414.

Ludwig Lenhart, Petrus Leopold Kaiser, der von „Glauben und Milde“ Mainzer Bischof in Sailers Geisteshaltung (1835–1848). In: Jahrbuch für das Bistum Mainz 4 (1949) S. 188–250.

Ludwig Lenhart, Der Mainzer Domherr A.F. Lennig an den Straßburger Bischof A. Raeß über die gescheiterte Mainzer Bischofskandidatur des Gießener Universitätsprofessors Dr. Leopold Schmid. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 11 (1959) S. 264–274.

Ludwig Lenhart (Hg.), Idee, Gestalt und Gestalter des ersten deutschen Katholikentags in Mainz 1848. Ein Gedenkbuch zum Zentenar-Katholikentag 1948. Mainz 1948.

Otto Pfülf, Piusverein. In: Wetzer und Weltes Kirchenlexikon Bd. 10, 1897, Sp. 77–82.

Otto Pfülf, Bischof von Ketteler (1811–1877), eine geschichtliche Darstellung, 3 Bde. Mainz 1899.

Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt auf das Jahr 1859. Darmstadt 1859, S. 17.

Karl J. Rivinius, Vorgänge um die Mainzer Bischofswahl von 1849/50. Weitere Dokumente. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 38 (1986) S. 281–324.

August Schuchert, Der erste Mainzer Katholikentag in seinem historisch-ideellen Verlauf. In: Lenhart, Idee, S. 92–113.

Christoph Stoll, Bischof Ketteler und die römische Kurie 1854–1855. Die Behandlung der Mainz-Darmstädter Konvention von 1854 in Rom nach vatikanischen Dokumenten und Briefen Adam Franz Lennigs an seinen Neffen Christoph Moufang. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 29 (1977) S. 193–252.

Uwe Scharfenecker, Die Katholisch-Theologische Fakultät Gießen (1839–1859). Ereignisse, Strukturen, Personen (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 81). Paderborn u.a. 1998.

August Schuchert, Der erste Mainzer Katholikentag in seinem historisch-ideellen Verlauf. In: Lenhart, Idee, S. 92–113.

Friedrich Schwarz, Der Mainzer Dialektdichter Lennig. Zur Wiederkehr seines Todestages (6. April 1838). In: Mainzer Zeitschrift 7 (1912) S. 112–119.

Hugo Stumm, Zwei gescheiterte Kandidaturen für den Mainzer Bischofsstuhl im 19. Jahrhundert, II: Die Kandidatur des Gießender Universitätsprofessors Dr. Leopold Schmid. In: Jahrbuch für das Bistum Mainz 4 (1949) S. 171–187.

Fritz Vigener, Die Mainzer Bischofswahl von 1849/50. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 11 (1921) S. 351–427.

Joseph Günther Weller, Bischof Peter Leopold Kaiser (1788–1848). Der Weg der katholischen Kirche im Großherzogtum Hessen-Darmstadt aus Subordination bis zum Durchbruch eines streng kirchlichen Katholizismus [phil. Diss. Mainz 1969]. Bamberg 1970.

1 Totenzettel zit. nach Der Katholik NF 2, 17 (1867), Heft 3, S. 300.

2 Vgl. Extrabeilage zum Frankfurter Journal Nr. 8 vom 9. Januar 1849.

3 So äußerte sich etwa Räß, der, weil von Burg nicht geschätzt, 1829 als Regens ans Straßburger Priesterseminar gegangen war, vgl. Alexander Schnütgen, Das Elsaß und die Erneuerung des katholischen Lebens in Deutschland 1818–1848 (= Straßburger Beiträge zur neueren Geschichte 6). Straßburg 1913, S. 113.

4 Zit. nach A. Ph. Brück, Lennig-Moufang-Kreis, S. 143.

5 Zit. nach ebd., S. 144.

Lebensbilder aus dem Bistum Mainz

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