Читать книгу Die DDR - Группа авторов - Страница 8

I. Einleitung

Оглавление

„Und doch gibt es einen wirklichen Nachteil, einen spezifischen Mangel, mit dem die Zeitgeschichte leben muss. Das hat nichts mit dem Kriterium der inneren Distanz zu tun, sondern mit der Unabgeschlossenheit zeitgeschichtlicher Verhältnisse und Verläufe: Der Zeithistoriker kennt die langfristigen Folgen und Nebenfolgen in der Regel noch nicht und kann sie daher auch nicht in die Reflexion einbeziehen. Das vermindert die Chance, die Dinge in Weitwinkel- oder Vogelperspektive zu sehen, wo sie in größeren Zusammenhängen und auf höherem Syntheseniveau sichtbar werden” (16, S. 11). Diese spezifischen, vom Münchener Historiker Hans Günter Hockerts skizzierten Beschränkungen zeitgeschichtlicher Forschung gelten auch für die Erforschung der vierzigjährigen DDR-Geschichte, obwohl die Geschichte des zweiten deutschen Staates mit dem 3. Oktober 1990, dem Tag der deutschen Einheit, definitiv an ihrem Ende angelangt ist. Sie erklären zugleich, weswegen eine äußerst strittige Bewertung mancher Ereignisse gleichsam nicht zu vermeiden ist. Vieles ist zu berücksichtigen: Der Prozess der deutschen Einheit ist noch nicht beendet, die Folgen der Zusammenführung zweier politischer Systeme können noch immer nicht endgültig abgeschätzt werden. Dies beeinflusst oft die Sicht auf die Vergangenheit und es verwundert deshalb nicht, dass wir uns viel leidenschaftsloser über weiter zurückliegende Epochen der deutschen Geschichte verständigen können als über die jüngste Vergangenheit.

Die Forschung zu Politik und Geschichte der DDR hat sich nach 1989 fast vollständig neu positioniert. Alte Befunde, Interpretationen und Thesen konnten erstmals mithilfe der nun zugänglichen Akten des SED-Staates überprüft werden; nicht alle hielten dieser Überprüfung stand. Gelegentlich schien es aber auch so, als leide in neueren Darstellungen die analytische Durchdringung unter der Fülle des präsentierten Materials. Und so schön die Vielfalt der Akten auch sein mag, so ist bei ihrer Auswertung doch eine umfassende Quellenkritik geboten. Aus diesen Zeugnissen der Diktatur kann die Geschichte der DDR nicht unmittelbar abgelesen werden. Nicht umsonst trägt eine der frühen Publikationen aus der ostdeutschen Bürgerbewegung den Titel „Wenn wir unsere Akten lesen“ (27). Er weist auf die besonderen Chiffren des Systems hin, die sich nur dem Eingeweihten erschlossen und die heute der Übersetzung bedürfen.

Die westliche DDR-Forschung sah sich nach 1989 mit einer heftigen Kritik konfrontiert, die nicht immer stringent begründet wurde. In ihr ging es vor allem um die Frage, wie weit sie vor dem Hintergrund der seit 1969 laufenden Entspannungspolitik aus politischer Rücksichtnahme analytisch unscharf geworden sei. Mancher warf ihr Anpassung oder gar Anbiederung an die SED-Machthaber oder den „Zeitgeist“ der Entspannung vor, andere wiesen diesen Vorwurf scharf zurück. Diese Debatte ist noch keineswegs beendet, wenngleich sie inzwischen an Schärfe zu verlieren scheint. Die vor 1990 entstandene DDR-Forschung bildet immer noch das Fundament der Studien, die nach dieser Zeit entstanden. Neue Fragestellungen sind allerdings hinzugekommen, alte Fragen wurden präzisiert oder frühere Arbeiten mit neuem Material fundiert.

Mittlerweile gibt es ein reichhaltiges Angebot an informativen Gesamtdarstellungen und ereignisgeschichtlichen Überblicksarbeiten. Politikgeschichtlich orientiert sind z.B. die neueste Auflage von Hermann Webers „Geschichte der DDR“ (52) sowie dessen als Ergänzung zu diesem Kontroversen-Band besonders empfohlene kenntnisreiche Einführung „Die DDR 1945–1990“ (50) oder Klaus Schroeders „Der SED-Staat“ (41). In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre erschien Mary Fulbrooks spannende „Anatomy of a Dictatorship“ (11), die politik- und sozialgeschichtliche Fragestellungen miteinander verknüpft. Die Soziologin Sigrid Meuschel hat 1992 ihre Studie „Legitimation und Parteiherrschaft in der DDR“ (32) vorgelegt, in der sie nach den Ursachen der relativen Stabilität der DDR über vier Jahrzehnte hinweg fragt.

Unverzichtbar für alle, die sich tiefer in die DDR-Geschichte einarbeiten möchten, sind diverse Lexika, Forschungsübersichten und biographische Handbücher, etwa das „Vademekum DDR-Forschung“ der Bundeszentrale für politische Bildung, das sich als Leitfaden zu den unterschiedlichsten Forschungseinrichtungen versteht (49). Gleich drei sehr gute Lexika, „So funktionierte die DDR“ (14), „DDR-Handbuch“ (7), „Biographisches Handbuch der SBZ/DDR 1945–1990“ (2), vereint die CD-Rom „Enzyklopädie der DDR“ (8). Zu verweisen ist auch auf das „SBZ-Handbuch“ (39), das „Deutschland-Handbuch“ (55), das „Handbuch zur deutschen Einheit 1949–1989–1999“ (54) sowie auf das „Lexikon des DDR-Sozialismus“ (9). Für biographische Hinweise unverzichtbar ist das „Wer war wer in der DDR?“ (34). Besonders hervorzuheben sind auch die von Heiner Timmermann herausgegebenen Ergebnisse der jährlichen DDR-Forscher/innen-Tagungen in Otzenhausen, die einen sehr guten Einblick in den aktuellen Diskussionsstand geben (43–48). Verschiedene Sammelbände befassen sich mit den grundsätzlichen Problemen beim Umgang mit der DDR-Geschichte (1, 10, 13, 23, 25, 40).

Inzwischen ist die Literaturlage zur DDR nahezu unüberschaubar geworden, was diese Arbeit erleichtert und – wegen der Probleme der Auswahl – zugleich erschwert hat. Allein seit 1990 wurden über 1 000 einschlägige Forschungsvorhaben registriert. Etwa 500 Wissenschaftler/innen arbeiten derzeit zur DDR-Geschichte (50, S. 211). Übersichten zur neueren Forschung gibt jeweils der „Newsletter DDR-Forschung“ im „Deutschland Archiv“, der maßgeblichen wissenschaftlichen Zeitschrift für die DDR-Forschung, die sich ausschließlich und interdisziplinär mit diesem Gegenstand befasst. Wegen ihrer größeren Aktualität sind diverse Zeitschriften bei der Beschäftigung mit der DDR von maßgeblicher Bedeutung. Im „Deutschland Archiv“ können wichtige Kontroversen zur sowjetischen Deutschlandpolitik oder zur Auseinandersetzung innerhalb der DDR-Forschung seit 1989 nachgelesen werden. Darüber hinaus publizieren die Periodika „Aus Politik und Zeitgeschichte“, die „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“, „Geschichte und Gesellschaft“, die „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“, „Berliner Debatte INITIAL“, „BISS public“ sowie die „Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung“ laufend wichtige Ergebnisse der DDR-Forschung. Nach 1989 erschien auch eine Flut von Selbstzeugnissen und Erinnerungen aus dem Kreis der einstigen Macht- und Funktionselite, von denen einige Eingang in diese Arbeit fanden.

Neben diesen Überblicksdarstellungen, Handbüchern und autobiographischen Zeugnissen liegen zwei gewichtige Sammelwerke zur Geschichte der DDR vor: im Herbst 1995 veröffentlichte die erste Enquetekommission des Bundestages zur „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ 18 Bände, die insgesamt mehr als 15.000 Seiten Analysen zu unterschiedlichsten Themen zur DDR umfassen (30). Diese Kommission arbeitete zwischen 1992 und 1994, führte 44 öffentliche Anhörungen durch, befragte mehr als 300 Wissenschaftler und Zeitzeugen und vergab rund 150 Expertisen zu annähernd 100 Themen. Allein ihr Abschlussbericht an den Bundestag umfasst über 500 Seiten. 1999 wurden die Ergebnisse der zwischen 1995 und 1998 tätigen zweiten Enquetekommission des Bundestages zur „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ publiziert, die der bereits vorhandenen Materialfülle weitere knapp 14.000 Seiten hinzufügten (31). Hatte die erste Enquetekommission sich primär mit der DDR selbst befasst, legte die zweite einen stärkeren Akzent auf den deutsch-deutschen Vereinigungsprozess.

Daneben sind in den letzten Jahren einige wegweisende, primär sozialgeschichtlich ausgerichtete Sammelbände erschienen. Zu nennen sind hier die von Hartmut Kaelble, Jürgen Kocka und Hartmut Zwahr herausgegebene „Sozialgeschichte der DDR“ (19) oder der von Richard Bessel und Ralph Jessen herausgegebene Sammelband zu den „Grenzen der Diktatur“ (5), der sich mit dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft in der DDR befasst. Eine umfassende Sozialgeschichte der DDR steht aber immer noch aus.

Viele, etwa der Historiker Jürgen Kocka, die Politologin Katharina Belwe oder die Soziologin Sigrid Meuschel, sprechen von drei sozialgeschichtlichen Großphasen der SBZ/DDR. Kocka bezeichnet die Jahre 1949 bis 1961 als erste, die Jahre bis 1971 als zweite und die Jahre bis 1989 als dritte Phase (22, S. 40ff.). Belwe gliedert die SBZ/DDR-Geschichte in die Herausbildung der Grundstruktur der gegenwärtigen DDR-Gesellschaft zwischen 1945 und 1961, die Phase der Ausprägung der sozialistischen Sozialstruktur zwischen 1961 und 1979 sowie in die achtziger Jahre, die von einer „Wende in der sozialstrukturellen Entwicklung“ gekennzeichnet seien (3, S. 126–128 und 135f.). Meuschel benennt als die drei Entwicklungsphasen der DDR den „antifaschistischen Stalinismus“ (1945–1955), die „technokratische Reform und Utopie“ (1956–1970) und den „real existierenden Sozialismus“ (1971–1989) (33).

Doch die Kontroversen in der Forschung, sofern sie sich nicht auf grundsätzliche Fragen und Einschätzungen konzentrieren, lassen sich für die Geschichte der DDR deutlicher an den zentralen Zäsuren zwischen 1949 und 1989 nachzeichnen. Die maßgeblichen Positionen in der Forschung hierzu sollen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet und diskutiert werden.

Diese Zäsuren stehen exemplarisch für die politische Entwicklung in der DDR. Sie zeigen, vor welchen Problemen der ostdeutsche Teilstaat stand und wie er auf diese reagierte. Damit sind sie Gradmesser von Veränderungen des politischen und gesellschaftlichen Systems und gleichzeitig Indikatoren für Kontinuitäten und Brüche der SED-Politik. Die Zäsuren zeigen, wie die politische Führung auf gesellschaftliche Herausforderungen reagierte; sie waren zugleich aber auch das Ergebnis langfristiger politischer, sozialer und ökonomischer Entwicklungen.

Im Einzelnen sollen Kontroversen zu folgenden sechs Forschungsproblemen analysiert werden: Die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik 1949, der Juniaufstand von 1953, der Bau der Mauer 1961, der „Machtwechsel“ von Walter Ulbricht zu Erich Honecker 1971 sowie der Untergang der DDR 1989 und dessen Deutung. Zuletzt werden verschiedene Interpretationen der DDR-Geschichte analysiert.

Dieses sind einige der Forschungsprobleme, die sich in der heutigen Debatte über die Geschichte der DDR finden. Andere können allein wegen des begrenzten Umfangs dieses Bandes nicht behandelt werden.

Die hier behandelten politischen Zäsuren und Krisen des Systems waren in einer „durchherrschten“ Gesellschaft (29, S. 188) wie der ostdeutschen von größter Relevanz. Der totalitäre Gestaltungsanspruch der SED übte auf alle Lebensbereiche eine derart starke Durchschlagskraft aus, dass in der Forschung gelegentlich die Existenz einer Gesellschaft in den Systemen sowjetischen Typs bezweifelt oder sogar bestritten wird. Zugleich werden die ausgewählten Zäsuren, Wendepunkte und Krisen des ostdeutschen Teilstaates keineswegs unter ausschließlich politikgeschichtlichen Aspekten abgehandelt. Weil nichts für eine scharfe Trennung von Sozial- und Politikgeschichte spricht (23, S. 547), werden auch die sozialen, kulturellen, ökonomischen und generationellen Implikationen gleichwertig in den Blick genommen.

Wie den Studierenden bereits im Grundstudium vermittelt wird, kann sozialwissenschaftliche Forschung niemals wirklich „neutral“ oder „wertfrei“ sein. Dennoch sollen die in diesem Band vorgestellten Forschungspositionen möglichst wenig bewertet werden. Das abschließende Urteil über die vorgestellten Standpunkte und Interpretationen bleibt daher den Lesern überlassen. Zurückhaltung in der Bewertung bedeutet aber nicht, dass Forschungspositionen nur aneinander gereiht werden. Im Gegenteil: Die einzelnen Ansätze sollen gebündelt und systematisiert, der Forschungsstand sowie Desiderata der Forschung – soweit dies zu leisten ist – dargelegt werden.

Nichtsdestoweniger liegen dieser Arbeit einige Vorannahmen zugrunde, die auch als konstitutive Faktoren der DDR-Geschichte bezeichnet worden sind. Hier ist an erster Stelle die starke Abhängigkeit der DDR von der sowjetischen Hegemonialmacht zu nennen. Die DDR war immer ein Bestandteil des ab 1949 von der UdSSR geschmiedeten „sozialistischen Lagers“. Bis heute wird die Frage nach den ostdeutschen Handlungsspielräumen gegenüber der Sowjetunion im Zeitverlauf intensiv diskutiert. Detlef Pollack erinnert hier an die „engen Grenzen, die dem Handeln in einer von außen gestützten Diktatur gesetzt“ sind (38, S. 191). Nach Norman Naimark, der die Vorgeschichte der DDR intensiv untersucht hat, verhielt sich die UdSSR in der SBZ in jeder Hinsicht wie eine Kolonialmacht (35, S. 543). Das bilaterale Verhältnis sei weitaus konfliktträchtiger gewesen, als die westliche DDR-Forschung das früher angenommen hat (37, S. 802). Nicht zuletzt wegen der restriktiven russischen Archivpraxis sind hier noch viele „weiße Flecken“ zu beklagen. Eine exaktere Bestimmung des ostdeutschen Handlungsspielraums ist nur mithilfe sowjetischer Archivalien zu leisten. Allerdings konnte inzwischen gezeigt werden, dass die DDR in Krisen wie der von 1953 oder der zweiten Berlinkrise keineswegs als machtloser Satellit agierte (12, S. 60). Für einige Autoren ist diese Erkenntnis aber offensichtlich trivial: Der Befund, dass kleinere Regime den Supermächten das Leben „extrem schwer machen“, sei nicht überraschend (56, S. 10). Die sowjetisch-ostdeutschen Interessenkonflikte sind auch als typisch für das Verhältnis von Zentrale und Peripherie bezeichnet worden (28, S. 219). Die Erinnerungen von Zeitzeugen vermitteln gelegentlich ein gänzlich undifferenziertes Bild von den bilateralen Beziehungen. So nennt der einstige sowjetische Botschafter der UdSSR in Ost-Berlin, Pjotr Abrassimow, die DDR einen in der sowjetischen „Retorte“ gezüchteten „Homunkulus“ (58).

Im Verlauf von vier Jahrzehnten waren die Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR zahlreichen Veränderungen unterworfen. Am ausgeprägtesten war die ostdeutsche Abhängigkeit zweifellos bis in die fünfziger Jahre. Erst danach wurde sie von der UdSSR als ein auf Dauer angelegter Staat akzeptiert. Gerhard Wettig konnte für die Zeit nach dem Frühjahr 1954 keine Zeugnisse mehr für sowjetische Eingriffe in die inneren Angelegenheiten der DDR finden, „wie sie bis dahin üblich gewesen waren“ (57, S. 277). Seit der Integration beider deutscher Staaten in unterschiedliche Militärbündnisse vertrat die UdSSR ihre „Zwei-Staaten-Theorie“. Die DDR galt als integraler Bestandteil des östlichen Bündnisses – ein einheitliches Deutschland hätte sozialistisch sein müssen. Nicht zuletzt ihre Festigkeit in Krisen wie der vom Herbst 1956 in Polen und in Ungarn, als die SED sich zum „ideologischen Musterknaben“ mauserte, sollte ihr Gewicht gegenüber der UdSSR beachtlich steigern.

Als zweiter konstitutiver Faktor ist die Annahme einer starken Verflechtung beider deutscher Staaten und Gesellschaften zu nennen. Zu diesen zählt die durchgängige Fixierung sowohl der politischen Führung als auch der Bevölkerung auf die bundesdeutsche Konkurrenz- oder Referenzgesellschaft. Ralph Jessen verweist, allerdings aus einem etwas anderen Blickwinkel, sogar auf drei Referenzgesellschaften der DDR: das nationalsozialistische System als „negative Kontrastgesellschaft“, die UdSSR als „offizielle Modellgesellschaft“ sowie die Bundesrepublik als „heimliche Vergleichsgesellschaft“ (17, S. 98). Mancher fügt der starken Abhängigkeit der DDR von der UdSSR und der deutsch-deutschen Verflochtenheit als dritten konstitutiven Faktor noch die marxistisch-leninistische Ideologie hinzu (18, S. 11). In diesem Band stehen aber die Verflechtungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR im Vordergrund. Diese wechselseitige deutsch-deutsche Fixierung zeigte sich bereits im Alltag. So kannte, wie der ehemalige DDR-Außenminister Markus Meckel betont, der DDR-Bürger im Allgemeinen mehr bundesdeutsche Minister als eigene (30, Bd. I, S. 71). Die Überlegenheit der Bundesrepublik sei nicht in einer bestimmten Politik begründet gewesen, sondern in ihrer bloßen Existenz, die „jedem Bürger der DDR vor Augen führte, wie man die Wirtschaft und die öffentlichen Angelegenheiten anders regeln und wie man das meiste besser machen kann“ (4, S. 1484). So halten sehr viele Sozialwissenschaftler eine genauere Einschätzung der DDR-Geschichte nur im Zusammenhang mit der bundesdeutschen für möglich (51, S. 199). Wie der stärker an der Politikgeschichte orientierte Weber kommt auch Christoph Kleßmann aus seiner sozialgeschichtlichen Perspektive zu ähnlichen Befunden. Allerdings sind seine Schlussfolgerungen um die Erkenntnis erweitert, dass die deutsch-deutsche Verflechtung auch in umgekehrter Richtung funktionierte: Nicht nur die Geschichte der DDR, sondern auch die bundesdeutsche, lasse sich nur unter Berücksichtigung ihrer Verflochtenheit mit dem deutschen Komplementärstaat erschließen. Als Beispiele derartiger Rückwirkungen der DDR auf die Bundesrepublik nennt er das Bildungswesen, die Frauen- und Familienpolitik, die Geschichtswissenschaft und die Kirchen in der Bundesrepublik (21, S. 492f.). Schon 1982 hat Kleßmann mit Blick auf Deutschland und in Abgrenzung von einem einseitig auf die Bundesrepublik fixierten Geschichtsbild von einer „doppelten Staatsgründung“ gesprochen (20). Andere gewichten diese „Verflechtungen“ etwas anders, weil der deutsch-deutsche Vergleich das bundesdeutsche Selbstbewusstsein stabilisiert, die DDR aber destabilisiert habe (22, S. 43).

Die folgende Analyse setzt das Ende der DDR nicht als Prämisse. Vielmehr soll ihre Geschichte von ihren Anfängen her als offener Prozess untersucht werden, obwohl sie in der Sprache der Briefmarkensammler als „abgeschlossenes Sammelgebiet“ gilt. Nur ein offenes Herangehen kann Fehlperzeptionen der Art vermeiden: „weil es so gekommen ist, musste es so kommen“ (21, S. 488). Eric Hobsbawm erinnert uns in diesem Zusammenhang daran, dass es bis in die frühen sechziger Jahre durchaus den Anschein hatte, als seien Sozialismus und Kapitalismus einander „ebenbürtig“ (15, S. 23). Neben Kleßmann (21, S. 492f.) warnen auch andere Historiker und Soziologen vor den Gefahren eines retrospektiven Determinismus (36, S. 95f.). Werde als Ausgangspunkt einer Untersuchung der DDR ihr Zusammenbruch gewählt, scheine aus dieser Warte alles festzustehen; zu leisten sei dann nur noch die historische Erklärung. Eine derartige „antimarxistische Teleologie“ bediene sich dann „derselben Dogmatik“, wie sie für den Staatsmarxismus so charakteristisch war (26, S. 31). In diesem Band wird daher nicht diskutiert, ob die DDR „gesetzmäßig“ untergehen musste (6, S. 196), wenngleich die Versuchung dazu groß sein mag.

Auf die Vielzahl der vorliegenden Arbeiten und laufenden Forschungen ist oben bereits verwiesen worden. Sie ist insofern kein Nachteil, weil sie zu einer Beschränkung auf eine überschaubare Anzahl von Problemen und Positionen zwingt. Zudem ist ohnehin klar, dass ein Band zu den „Kontroversen um die DDR-Geschichte“ niemals wirklich „abgeschlossen“ sein kann.

Die Orientierung erfolgte an der aus meiner Sicht wichtigen neueren und neuesten Literatur, obwohl die Wissenschaft 1989/90 auf einem beachtlichen Forschungsstand aufbauen konnte.

Die DDR

Подняться наверх