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Vernunft am Ende? Populismus als Abschied von der deliberativen Demokratie
ОглавлениеDemokratien sind auf einen gesellschaftlichen Diskurs angewiesen, darauf, dass politische Entscheidungen in einem kommunikativen Prozess ausgehandelt werden. Im Laufe der Demokratiegeschichte entstanden Institutionen wie das Parlament und die Parteien sowie Kommunikationsformen wie die Diskussion und die Debatte, die demokratische Entscheidungen befördern. Die Entscheidungsfindungsprozesse innerhalb der Demokratien schienen dabei lange Zeit auf eine zunehmende Rationalisierung hinauszulaufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg markiert etwa die Unterzeichnung der UNO-Charta ein nachhaltiges Bekenntnis zu Menschenrechten und Vernunftprinzipien. Diese Orientierung an der vernünftigen Entscheidung und das Vertrauen in die Institutionen und Kommunikationsformen repräsentativer Demokratien sind jedoch durch Populisten in die Krise geraten. Demokratische Institutionen werden als ineffizient diffamiert, als elitär gebrandmarkt und durch das Propagieren einfacher Lösungen und den Appell an den gesunden Menschenverstand in Frage gestellt. Durch ein Klima der Angst und Bedrohung werden die Menschen in die Arme der Populisten getrieben. Das gelingt auch in wirtschaftlich gesicherten Staaten, denn es sind weniger objektive Bedrohungen und pure Not, die Menschen zu den Populisten treiben, als vielmehr eine Bedrohungslage, welche die Populisten selbst erzeugen. Damit werden Emotionen zum Handlungsmaßstab und rationale Überlegung wird diskreditiert.
In einer deliberativen Demokratie gilt Vernunft als Legitimationsgrund menschlichen Entscheidens und Handelns. Seitdem sich in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts Joseph M. Bessette, John Rawls und Jürgen Habermas mit dem Modell deliberativer Demokratie, die auf Partizipation der Bürger und rationale Problemlösung aus ist, auseinandergesetzt haben, schienen die Vorteile einer deliberativen Demokratie unzweifelhaft. In der Folge haben sich in der politischen Praxis und oft auch der gesetzgeberischen Regulierung mehr und mehr Staaten diesem Modell angeschlossen, das nach dem Ende der Sowjetunion als beinah konkurrenzlos erschien.
Freilich hat das deliberative Politikmodell immer wieder auch Kritik ausgelöst, da es ein hohes Maß an bürgerlicher Beteiligung fordert, Entscheidungsprozesse eher verlangsamt als beschleunigt, aber es erschien doch Vielen als Gebot der Vernunft. Mit dem Populismus scheint dieses „Projekt der Moderne“ (Habermas 1981) in Auflösung zu sein. Rationalität wird kritisch beäugt, wissenschaftliche Fakten werden in Zweifel gezogen, alternative Fakten an die Stelle einer vernunftorientierten Politik gesetzt. Statt vernünftiger Diskussion und differenzierter Debatte werden Emotionalisierung, Polarisierung und Polemik zu zentralen kommunikativen Mustern einer deklarativen Demokratie, in der die Verkündigung von Positionen und Meinungen an die Stelle der vernünftigen Überlegung tritt. Der mediale Wandel scheint diese Entwicklung zu befördern: Soziale Medien eröffnen einen großen Diskursraum, der aber wird nicht zur Deliberation, also vernünftigen Überlegung, genutzt, sondern scheint Emotionalisierung und polemische Auseinandersetzung zu begünstigen. Damit sind gerade die Sozialen Medien zur Machtbasis populistischer Akteure geworden.
Inwieweit verständigungsorientiertes deliberatives Handeln paradigmatisch für politisches Handeln ist bzw. werden kann, lässt sich zwar berechtigt fragen. In einer Parlamentsdebatte geht es ja gerade auch nicht um eine Verständigung der politischen Gegner, hier ist nicht der Konsens, sondern der Konflikt als Ziel der Rede auszumachen. Aber auch die Debatte ist rational ausgerichtet, es geht in ihr um ein Austesten von Positionen, das rhetorische Gegeneinanderstellen von Begründungen, um zu sehen, welche Seite die stärkeren Geltungsansprüche vorbringen kann (Kramer 2006). Aufgabe der klassischen Massenmedien war es dann, solche Diskurse für die Mehrheit zu erschließen.
Deliberative Politik lässt durchaus unterschiedliche Staatsmodelle zu. Nach dem liberalen Verständnis genießen die Bürger staatlichen Schutz, politische Rechte geben dem Einzelnen die Möglichkeit, seine Interessen zur Geltung zu bringen. Politik nach dem liberalen Modell vollzieht sich im Medium der Debatte, nämlich als Kampf um Positionen, wobei jeweils durch das Urteil der Wähler eine Entscheidung stattfindet. Im republikanischen Modell haben die Bürger vor allem das Recht zur politischen Teilnahme am Staat, verfügen also über Kommunikationsrechte, durch deren Wahrnehmung sie den Staat gestalten, ja recht eigentlich hervorbringen. Dieses Modell bietet dem Diskurs, der Suche nach einem Konsens, einen großen Raum: „Die Existenzberechtigung des Staates liegt nicht primär im Schutz gleicher subjektiver Rechte, sondern in der Gewährleistung eines inklusiven Meinungs- und Willensbildungsprozesses, in dem sich freie und gleiche Bürger darüber verständigen, welche Ziele und Normen im gemeinsamen Interesse aller liegen.“ (Habermas 1999, 280)
Den verschiedenen Modellen deliberativer Demokratie steht nun im Populismus ein Ansatz entgegen, der den rationalen Anspruch aufgegeben hat. Es werden in deklarativer Weise politische Positionen in den Diskurs eingebracht und von Populisten, die an der Macht sind, dann auch konsequent umgesetzt. Trump etwa regiert häufig per Dekret an den demokratischen Entscheidungsinstanzen vorbei. Deklarative Politik lässt sich schwer mit der Arbeit in Ausschüssen und Parlamenten vereinen, sie ist schnell und direkt, aktionistisch, nicht reflektiert. Viele Populisten versuchen zudem die eigene Rolle zu stärken und präsidiale Verfassungen zu etablieren, um ihren Handlungsspielraum zu vergrößern, man denke nur etwa an die Türkei, an Ungarn oder Polen. Zudem ist der kritische Journalismus ein Angriffsziel vieler Populisten, wie man in Polen, Ungarn und neuerdings auch in Österreich sehen kann. Mechanismen republikanischer Teilhabe, die auf die „Gewährleistung eines inklusiven Meinungs- und Willensbildungsprozesses“ aus sind, werden also in ihrer Arbeit eingeschränkt. Unabhängige Medien rücken unter stärkere staatliche Kontrolle, klassische Massenmedien werden mit Slogans angegriffen und zum Feind erklärt, wo sie doch die Aufgabe kritischer Bewertung und gesellschaftlicher Inklusion haben. Twitter und Facebook können aber diesen kritischen Journalismus eben nicht ersetzen. Politische Kommunikation im Hashtag-Modus erlaubt keine differenzierte Auseinandersetzung. Der deklarative Politikstil suggeriert schnelle Lösungen, lässt sich aktionistisch inszenieren, seine langfristigen Erfolge aber sind zweifelhaft.
Der populistische Machthaber operiert also jenseits politischer Institutionen, führt unorganisierte Bewegungen an (Moffit 2016) und zelebriert seine Unabhängigkeit durch eigenmächtige Entscheidungen und klare Parolen. Kommunikativ werden nun Realitäten erzeugt und nicht mehr reflexiv eingeholt. Das Regieren per Dekret, das man als eine Eigenart der Präsidentschaft von Donald Trump sehen kann, macht den Abschied von der deliberativen Demokratie greifbar. Deklaration, das Verkünden von vermeintlichen Lösungen, tritt an die Stelle umständlicher und langwieriger demokratischer Reflexionsprozesse. Der Populist verspricht schnelle Lösungen und reduziert Rationalität auf die intuitive Betrachtungsweise des gesunden Menschenverstandes, der aber eben nicht alle Probleme lösen kann.
Deliberative Politik war noch vor wenigen Jahren ein globales Projekt, ein Projekt, das nationale Grenzen einebnet und eine globale Perspektive eröffnet. Dieses Projekt stößt aber eben nicht auf allseitige Anerkennung und beinah prophetisch wirken heute Äußerungen von Samuel Francis aus den 90er Jahren in einem Text, der um den „America first“ Slogan kreist:
Sooner or later, as the globalist elites seek to drag the country into conflicts and global commitments […], manage the delegitimization of our own culture, and the dispossession of our people, and disregard or diminish our national interests and national sovereignty, a nationalist reaction is almost inevitable and will probably assume populist form when it arrives. (Francis 1991, 10)
Der Populismus als Gegengift zur Globalisierung, partikuläre Interessen statt universeller Vernunft – der Abschied von der deliberativen Politik, den viele Populisten vollziehen, verheißt wenig Gutes.
Olaf Kramer