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VORWORT
ОглавлениеWarum ist Amor nackt? Ovid weiß es: Weil er nicht für Geld zu haben ist, braucht er keine Taschen. Ein anderer Vers bringt die Freuden und Leiden der Liebe auf eine kurze Formel: »Ich kann weder mit dir noch ohne dich leben.« Kein Wunder, daß Leser Ovids sich immer wieder fragen: »Welcher Verräter hat diesem Dichter meine Leiden ausgeplaudert, so daß er sie aufzeichnen konnte?« Ovid hat diese Reaktion vorausgesehen und mit ihr gerechnet.
Kein verstaubter Klassiker, sondern ein Mensch, der mitten im Großstaddeben stand, war Publius Ovidius Naso, der um Christi Geburt in Rom lebte. Er begann als Liebesdichter und er blieb es, auch wenn er später zum Dichter der Götter und des Exils wurde. Nach eigenem Bekenntnis besaß er ein weiches Herz, das leicht zu erobern war. Er hatte ein klares Auge und einen wachen Verstand, doch sein Scharfblick machte ihn nicht lieblos, sondern ließ ihn ganz im Gegenteil an allen Frauen, mochten sie nun groß oder klein, blond oder schwarz, dick oder dünn, jugendlich oder älter sein, etwas Liebenswertes erkennen. Seine Erfahrung war nicht rein literarisch. Wir wissen von zwei unglücklichen und einer glücklichen Ehe.
Liebe war sein Schicksal. Deshalb können Liebende auf sein Verständnis rechnen, auch wenn es sich um Götter, Heroen und Heroinen handelt (von deren edler Einfalt und stiller Größe bei ihm freilich nicht viel übrigbleibt). Er weiß genau zu sagen, wie die rabenschwarzen Locken der Cassandra auf ihren weißen Nacken fielen, als Agamemnon sich in sie verliebte, und welcher Art die Küsse waren, die der Kriegsgott Mars mit seiner Venus tauschte. Um wieviel mehr durchschaut er uns, deren irdische Erfahrungswelt der seinen noch viel näher steht! Wir fühlen mit ihm, wenn er angesichts einer schweigend zürnenden Corinna (deren kunstvolle Frisur er zerstört hat) und ihrer stummen Tränen Höllenqualen leidet und »erstmals Schuldgefühle« entwickelt. Nicht umsonst nannte ihn das Mittelalter den »Meister des menschlichen Herzens«. Liebe war nicht nur sein Schicksal, sondern auch sein Verhängnis. Die Liebeskunst diente als Vorwand dafür, den Dichter aus der Hauptstadt, die sein Lebenselement war, zu verbannen. Die Trennung von der geliebten Gattin machte zur schmerzlichen Wirklichkeit, was Ovid in seinen Frauenbriefen (Heroiden), den wohl einfühlsamsten poetischen Frauenporträts der Antike, literarisch vorweggenommen hatte: die Erfahrung der Ferne und die Entdeckung der Sehnsucht.
Im Laufe seines Lebens wandelt sich das Erscheinungsbild der Liebe: Vor allem im ersten Buch der Liebeskunst ist Ovid keineswegs ein Ritter Frauenlob: Nicht nur bei Ratschlägen bezüglich sparsamer Geschenke trägt er – zuweilen in komischer Übertreibung, um seinen Schülern die Hemmungen zu nehmen – männlichen Egoismus zur Schau. Dominieren zunächst die Elemente des Spiels und der Versuch, Liebe durch Technik und Lebenskunst zu beherrschen, so stehen später Schicksal und Tragik im Vordergrund. Wir haben daher unsere Auswahl nicht auf die Liebeskunst beschränkt, sondern versucht, den tausend Gesichtern der Liebe auch in den übrigen Werken Ovids nachzuspüren. Zahllose Gestalten aus dem Alltag wie aus der Welt der Sage eröffnen ein universales Panorama des Eros, das an Vielfalt und Farbigkeit, aber auch an psychologischem Scharfblick und analytischer Tiefe seinesgleichen sucht. Von den Paaren, deren Schicksal Ovid in den Metamorphosen darstellt, sind das jüngste – Pyramus und Thisbe – und das älteste – Philemon und Baucis – am bekanntesten. Hier wird eine lebenslange Bindung verklärt. Doch ist schon die Liebeskunst nicht nur auf Eroberung, sondern auch auf Dauerhaftigkeit bedacht. Wenn der Tiresias der Metamorphosen deshalb weise ist, weil er die Fähigkeit besitzt, die Welt von zwei entgegengesetzten Standpunkten aus zu betrachten – nämlich dem des Mannes und dem der Frau –, so ist dies letztlich eine Fortentwicklung der Struktur der Liebeskunst, die im dritten Buch der männlichen Perspektive die weibliche gegenüberstellt. Schon dort liegt die Idee gegenseitiger Schonung und Rücksichtnahme zugrunde: »Willst du geliebt werden, mußt du liebenswürdig sein.«
Das Leben hätte Ovid allen Grund geben können, seine Illusionen zu verlieren. Er wußte um diese Gefahr, die das Ende der Liebe und zugleich des Lebens bedeutet, und kämpfte darum, seine Träume und Hoffnungen – oft wider »besseres« Wissen – aufrechtzuerhalten. »Sei mir untreu, soviel du willst, aber leugne es mir gegenüber mit fester Stimme.« »Ihr Frauen, laßt uns Männern die Einbildung, wir seien Helden.«
Die Stimme dieses Dichters, frei und undogmatisch wie sie ist, und seine so wohltuend nüchtern und scharfsichtig – ja zuweilen provozierend frech – formulierten Einsichten haben nach zwei Jahrtausenden nichts von ihrer Frische eingebüßt.
Ovid hat unsere Welt nicht nur mit Liebeskünsten, sondern auch mit Sinnsprüchen für Liebende reichlich versehen.
Seneca der Ältere, Controversiae 3, 7
Lesen soll mich ein junges Mädchen, das beim Anblick des Verlobten nicht kalt bleibt und ein grüner Junge, den ein unbekanntes Sehnen ergriffen hat. Irgendein junger Mann, den Amors Bogen so wie mich verwundet, erkenne die Schriftzeichen, die sein eigenes Feuer verraten, und nach langem Staunen frage er dann: »Welcher Verräter hat diesem Dichter meine Leiden ausgeplaudert, so daß er sie aufzeichnen konnte?« Α 2, 1,5ff.
Der Liebesgott Amor wurde als Knabe mit Bogen und Pfeilen dargestellt.
»Ohne Liebe ist dein Wald eine unkultivierte Einöde.« (S. 22).