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1 Prekäre Welternährung Eine Einführung von Jan Grossarth

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Das Bild von Male, der Hauptstadt der Malediven, ist symbolisch. Die kleine Insel, die sie trägt, ist bis an den Rand, bis an ihre Strände und Hafenmauer mit Hochhäusern und Straßen zubetoniert. Wo Früchte wachsen könnten, leben Menschen. Und ringsum steigt das Wasser. Die Nahrungsmittel kommen von anderswoher.

Solche Inseln, die aus weiter Ferne am Leben gehalten werden, gibt es immer mehr auf der Welt, auch in großem Maßstab. Zum Beispiel Singapur, den Stadtstaat, der zu den erfindungsreichsten Orten der Welt zählt und wo zunehmend eigenes Obst und Gemüse in Hochhäusern angebaut wird. Zum Beispiel aber auch Ägypten: Vor zweitausend Jahren versorgten die fruchtbaren Böden am Nil das Römische Reich mit Getreide, heute ist Ägypten selbst in hohem Maß auf die Einfuhr von Weizen angewiesen, der meist aus Russland oder Amerika kommt. Oder aber Israel: Dessen Bevölkerung wächst schnell, das fruchtbare Land wird immer knapper, und schon heute kann sich Israel, obwohl es moderne Landwirtschaftstechniken anwendet, bei weitem nicht selbst versorgen. Schließlich und letztlich: der ganze afrikanische Kontinent. Afrika ist seit einigen Jahrzehnten und zunehmend auf Nahrungsmittelimporte angewiesen, obwohl gerade auf diesem Erdteil, der über die größten Ackerreserven der Welt sowie über viel Wärme und Licht und im Norden und Süden durchaus über ausreichend Wasser verfügt, viel mehr Lebensmittel produziert werden könnten, auch für den Export.

Nicht zuletzt in Afrika entscheidet sich die Welternährungsfrage. Die Bevölkerung Afrikas verdoppelt sich bis 2050 den Prognosen zufolge auf mehr als 2 Milliarden Menschen. Es werden dann beinahe zehnmal so viele sein wie im Jahr 1950. Wie kann es gelingen, dass sie sich ernähren können? Die Weltbevölkerung soll in dieser Zeit auf 9 oder 10 Milliarden Menschen anwachsen. Bis zum Jahr 2050 werden Schätzungen zufolge zwischen 50 und 70 Prozent mehr Nahrungsmittel produziert werden müssen, um diese Menschen ausreichend mit dem zu ernähren, was sie benötigen – also auch mehr Fleisch und Milchprodukte.

Man braucht, um eine Antwort auf die Welternährungsfrage zu finden, eine Fantasie, die auch Technikutopien nicht scheut – bezüglich des Anbaus von Lebensmitteln, aber auch der Rezepturen, vor allem des Ersatzes von Fleisch durch pflanzliche Proteine oder Insektenproteine. Die Grenze zur Science-Fiction ist nahe, denkt man über alternative Ernährungssysteme angesichts der gegenwärtigen energetischen und ökologischen Problemlagen nach. Die globale Ernährungs- und Landwirtschaft muss neu gedacht werden. Seitdem Computeralgorithmen, LED-Lichttechniken und Milliarden Euro von Investoren zur Verfügung stehen, die ein zunehmendes Interesse am Food-Business haben, ist es einfacher geworden, sie neu zu denken. Selbst Soja und Reis könnten künftig in Containern und Kreislaufanlagen in den Megacitys der Welt wachsen, damit der teure Transport entfällt. Bis Mitte des Jahrtausends werden schließlich 70 Prozent der Weltbevölkerung in den Städten leben. Sie werden sich dort teils auch selbst versorgen. Hier werden teure Hightech-Gewächshäuser, wo Gemüse, Fische und Insekten in Kreislaufsystemen miteinander großgezogen werden, neben intensiver als bisher genutzten Gärten der ärmeren Bevölkerung zur Versorgung beitragen. Wieviel zum Beispiel solche urbanen Gärten zur Welternährung beitragen, berichtet Linda Tutmann in diesem Band in ihrer Reportage aus Südafrika (Kapitel 7).

Andererseits führte ein einseitiger Fokus auf technische Radikal-Innovationen in die Irre. Es wäre weltfremd, die urbane Landwirtschaft zum einzigen oder zum Hauptort der künftigen Versorgung zu erklären. Es sind auch nicht die Mega-Farmen Amerikas, Deutschlands oder Russlands. Gegenwärtig ernähren angeblich zu 70 Prozent Kleinbauern die Welt, der Großteil arbeitet noch mit Hacken und mit den Händen. Man kann Tage durch afrikanische Länder wie Sambia reisen, ohne einen einzigen Traktor zu sehen – geschweige denn einen Ochsenpflug, der für viele Millionen Bauern unerschwinglich ist. Dieses Buch handelt von der kommenden Welternährung. Also auch und ausführlich davon, wie diese Kleinbauern überhaupt an die höheren Ernten des Nordens herankommen können, und ob und wie dies möglich ist, ohne in dieselbe gefährliche Abhängigkeit von Dünger und Chemikalien zu geraten – mit all ihren ökologischen Schadwirkungen wie etwa der Bodenerosion und dem globalen dramatischen Humusverlust. Die Geschichte von der Welternährung der Zukunft ist eben nicht nur eine von Hightech, sondern auch von langsamen, mühsamen Verbesserungen der heutigen Bedingungen der Kleinbauern. Es geht in diesem Buch im übertragenen Sinn um beides, um Sambia und Singapur, um heute und übermorgen.


Weltbevölkerung oder Welternährung überhaupt als relevante Kategorien zu begreifen, sich darüber hinaus für so einen letztlich abstrakten Gegenstand als Leserin oder Leser zu interessieren, ist nicht selbstverständlich. Dies setzt einen mehr oder weniger kosmopolitischen Blick und ein (gegenüber national-zentrierten oder den gleichfalls in Teilen der Welt vorherrschenden tribalen Sichtweisen) entgrenztes Verantwortungsempfinden voraus.

Es wird zudem auch eindeutig nicht nur eine Frage von Technik und Ressourcen sein, alle Menschen in Zukunft ernähren zu können. Der Großteil des Hungers ist seit Jahrzehnten und Jahrhunderten in Kriegen und bewaffneten Konflikten begründet; sie sind und bleiben überhaupt die ständige und gegenwärtig größte Bedrohung für eine stabile Welternährung.

Der bange Blick auf die Welternährung hat vor allem in Europa eine lange Tradition. Die Prognosen darüber, wie viele Menschen die Erde tragen kann, haben eine mindestens 250-jährige Geschichte, sie setzten sogar noch in den Vorjahren der agrarischen Industrialisierung ein. Es kann wohl kein Buch geben über die Welternährungsfrage ohne den Hinweis auf Thomas Malthus, der bis heute geradezu symbolisch für den größtmöglichen Pessimismus in dieser Frage steht. Malthus sah die regelmäßigen Hungerkrisen als Naturnotwendigkeit an. Im Jahr 1798 schrieb er, Kriege und Epidemien seien von Gott gewollte, notwendige Korrekturen der Überbevölkerung, und der in die übervolle Welt geborene Mensch habe „keinen Anspruch auf den kleinsten Anteil an Nahrung, hat tatsächlich kein Recht, dort zu sein, wo er ist. An der mächtigen Festtafel der Natur ist kein Gedecke für ihn bereitet“. Hier zeigt sich auch die Handschrift des Pastors. Im preußischen Kulturkreis war es im frühen 18. Jahrhundert der Pfarrer Johann Peter Süßmilch, der sich mit Weltbevölkerungsprognosen befasste. Auch ihm ging es im Geist seiner Zeit darum, eine göttliche Naturordnung mitsamt einer klar bezifferbaren Obergrenze für irdische Seelen zu ergründen. Und dabei kam er wohl zufälligerweise zu – aus heutiger Sicht – zutreffenderen Ergebnissen als Malthus, der die Tragfähigkeit der Erde mit einer Milliarde Menschen beziffert hatte. Pfarrer Süßmilch hielt rund 7 Milliarden Menschen für möglich, korrigierte sich allerdings etwa zwanzig Jahre später, als er – vielleicht altersmilde – nun 14 Milliarden als das Maximum nannte.

Fast 200 Jahre später, im Jahr 1960, erschien dann ein bemerkenswertes, populäres Buch, das in viele Sprachen übersetzt wurde: „Der Wettlauf zum Jahre 2000“. Geschrieben hat es Fritz Baade, ein sozialdemokratischer und bekennend christlicher Agronom. Ihm ging es längst nicht mehr darum, gottgewollte Grenzen der Natur zu erforschen; er wollte unter dem Eindruck der schrecklichen Weltkriege und in der Hoffnung auf einen nachhaltigen Frieden überhaupt wieder Verständnis für das Anliegen der Welternährung schaffen. Baade schrieb angesichts der vielen Millionen Kriegstoten gerade in Osteuropa, welche die Konsequenz der rassistisch-biologistisch begründeten Wahnvorstellung waren, ein Volk müsse Lebensraum erobern um seine Ernten und damit sein Überleben zu sichern. „Paradies oder Selbstvernichtung?“, fragte 1960 in Baades Buch der Untertitel mit dem bangen Blick auf die dramatischen agrartechnischen Umbrüche dieser Zeit, also die Chemisierung, Maschinisierung, Pflanzenzucht. Wird die Menschheit das Jahr 2000 noch erleben, lautete die unsichere Frage. Aus heutiger Sicht muss man antworten: die Welt ist zu Baades vage erhofftem Paradies geworden, aber die Selbstvernichtung ist deswegen nicht ausgeschlossen.

Baade fragte damals auch, welche neben der (von Baade selbst im türkischen Exil miterlebten) deutschen Blut-und-Boden-Ideologie noch eine weitere Folie für die Überlegungen bildete. Obwohl ihm die prekäre Welternährungswirtschaft bewusst war, hielt er es mit einem im Rückblick durchaus recht einseitig scheinenden Technikoptimismus: Baade entschied sich für den Glauben, dass (versorgunstechnisch) das Paradies möglich ist: Dass die (Agrar-)Technik, in all ihrer Ambivalenz, der Freund der Menschheit sei, Garant für besseres Leben. Solche Hoffnung wirkt gegenwärtig, angesichts des gewohnten medialen Fokus auf kritische Aspekte, erstaunlich und ungewohnt. Baade dachte die Welternährung wie ein Technikutopist: Wälder und Ozeane zu Feldern machen, Traktoren und Landmaschinen für die ganze Welt, Hochhäuser bauen statt Flächen für Siedlungen zubetonieren. Eine Welt ohne Hunger war seine Vision, weil er nie wieder Krieg erleben wollte. Mithilfe des technischen Fortschrittes und gezielter Entwicklungspolitik, so meinte er aufgrund pedantischer Berechnungen, könnten sogar 65 Milliarden Menschen auf der Welt leben.

In dieser Zeit, den 1960er und 1970er Jahren, stellte die dänische Ökonomin Ester Boserup in diesem zuversichtlichen Sinne fest, dass die malthusianischen Pessimisten einen wichtigen Punkt übersehen hatten. Und zwar den, dass die Bauern das Land viel produktiver zu nutzen beginnen, wenn der Bevölkerungsdruck steigt. So war es in Asien, dem demografischen Problemfall dieser Zeit; nicht aber in Afrika. Seither steht der Name Boserup für die contra-malthusianische Sicht der agrarischen Entwicklung in dicht bevölkerten Erdteilen. Boserup lebte Jahrzehnte in Afrika und Indien. Sie beobachtete in den 1960er und 1970er Jahren im armen, ländlichen Asien eine steigende Monetarisierung des Warenaustauschs sowie eine steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen, dadurch zurückgehende Geburtenrate und steigende Produktivität der Landnutzung. Sie lieferte den Fatalisten und Zynikern ihrer Zeit damit neue und empirisch fundierte Argumente, weshalb das Land durchaus eine steigende Bevölkerung werde ernähren können. „Neo-Malthusianer“ sieht sie etwa in der amerikanischen Handelspolitik ihrer Zeit am Werk. Diese glaubten, die armen, „überbevölkerten“ Erdteile würden sich nur mit Getreideexporten ernähren lassen, etwa aus den Vereinigten Staaten. Hatte sie Recht mit ihrem Entwicklungsoptimismus? Aus heutiger Sicht gab es bäuerlich-ländlich geprägte Erdteile, die sich im Boserupschen Sinne entwickelt haben, aber auch andere, die solche Entwicklung vermissen lassen, etwa Ägypten oder Länder des südlichen Afrikas wie Somalia, Tansania, Mali oder Zimbabwe.

Dass auf der Erde 65 Milliarden Menschen zu ernähren wären, behauptete nach Fritz Baade trotz gewisser Erntefortschritte, auch im bäuerlich-ländlichen Raum, niemand mehr ernsthaft. Kürzlich etwa ergab eine Metastudie der Columbia University, dass die meisten seriösen Schätzungen die Tragfähigkeit der Erde zwischen 7,7 und 12 Milliarden Menschen bezifferten. Die abenteuerliche Bandbreite der Prognosen zeigt zwar, dass niemand eine solche Zahl kennen kann, die kritische Grenze könnte aber jetzt, in unseren Jahren, erreicht werden.


Die Landwirtschaft, der Agrarhandel, unser Essverhalten sind politische Themen. Die Handelspolitik, der wirtschaftliche Ordnungsrahmen, vor allem die Subventionen entscheiden mit darüber, wie Menschen auf und mit dem Land leben, wie sie ihr Leben gestalten können. Dass die Menschen der Peripherie nicht plötzlich Sinn, Sicherheit und Lebensperspektiven verlieren, ist im allgemeinen Interesse. Es sind schließlich auch die hoffnungslosen Kinder der Nomaden aus Mali, denen das Land geraubt wird oder deren Böden austrocknen, die zu islamistischen Kämpfern werden können. Und dort, wo die Nebel des religiös-politischen Fanatsimus aufgezogen sind, geht der Blick dafür verloren, dass Essen nicht vom Himmel fällt, sondern zunehmend auf geistigen, kulturellen, ingenieurwissenschaftlichen Leistungen beruht. Aber diese dürfen sich nicht gegen die Menschen richten. Schließlich lassen industrialisierte Großstrukturen auch Millionen Bauern – ob aus Bangladesch, Brasilien, Iowa oder Bayern – keine Perspektive mehr. In ihrem Sinne ist eine sanfte Industrialisierung in der Landwirtschaft nötig, die den Bauern zugutekommt und sie nicht durch Kapitalgesellschaften ersetzt, deren monomanische Felder verblüffend ähnlich aussehen wie einst diejenigen der Kolchosen der Sowjetunion.

Wie die globalen Bauern leben, säen und ernten, wird sich nicht nur an den politischen Bedingungen oder dem Fokus der technischen Entwicklungsingenieure orientieren, sondern auch daran, welches Obst die Kunden im Supermarkt kaufen. Deshalb sind die Beobachtungen der Expeditionen in diesem Band auch für Verbraucher aufschlussreich und praktisch relevant.


Die globale Landwirtschaft ist in einem Wettlauf – um höhere Ernten, um effizientere Techniken. Die Spannung, die durch dieses Buch tragen soll, vermittelt sich aus diesem globalen Wettlauf, der zwischen dem Bevölkerungswachstum und der Nahrungsmittelproduktion im Gange ist. Das ist nicht neu, aber jedes Wachstum der Ernten ging über Jahrtausende mit neuen Erfindungen in der Agrartechnik und Lebensmittelverarbeitung einher und hatte darin ihren Grund. Dazu zählen die Bewässerungssysteme der antiken Gesellschaften, die Windmühlen des Mittelalters, immer weiter verbesserte Ochsenpflüge und Landgeräte, die ausgeklügelten Produktionssysteme der Fischzucht in den mittelalterlichen Klöstern, immer differenziertere Ackerbausysteme, und so weiter. Aber die eigentliche und auf höherer Ebene prekäre Lage der Gegenwart begründet sich erst in den Anfängen der agrarchemischen Revolution, die in den Erkenntnissen zur Pflanzenernährung Justus von Liebigs in den 1840er Jahren sowie in den industriellen Methoden zur Stickstoffsynthese des frühen 20. Jahrhunderts ihre Ursprünge hat (vgl. Kapitel 9). In den nicht einmal zweihundert Jahren seither verachtfachte sich die Weltbevölkerung und hängt seitdem und zunehmend am sprichwörtlichen Tropf der fossilen Energien. Dünger, Diesel, Insektizide, Herbizide oder Fungizide werden seither aus Erdöl, Erdgas oder endlichen Mineralien hergestellt.

Zugleich steigt seit Beginn der Industrialisierung das Erdklima an – nicht (nur) wie in früheren Jahrhunderten aufgrund natürlicher Schwankungen, sondern erstmals in der Erdgeschichte durch menschliche Kohlenstoffverbrennungen verursacht. Die Veränderungen von Temperaturen und Niederschlägen verunsichern auch fortschrittshoffende Geister bezüglich der Frage, ob es einen guten Weg abseits vom prekären Pfad der industriellen Lebensmittelproduktion gibt. Die Frage des Einflusses des Klimawandels auf die Ernten vertieft etwa Ulrich Schaper im Kapitel 8.

Kann die Welternährung unter diesen erschwerten Bedingungen wirklich gelingen? Was könnten Gründe sein im Jahr 2020 noch so optimistisch zu sein, wie Fritz Baade es 1960 war? Und auf welche Weise gelingt die Welternährung überhaupt gegenwärtig? Auf verschiedenen „Flughöhen“ nähert sich dieses Buch diesen Fragen an. Den Kapiteln gemein ist, dass sie zwischen Beobachtung und statistischer Abstraktion changieren, und die Autoren auch den Mut zum eigenen Erzählen nicht scheuen. Es beginnt mit der Geschichte der globalen Weizenzucht von Marcus Jauer, die sich wie ein Drama liest, das gegenwärtig sein retardierendes Moment erreicht. Es folgen Einblicke in die Industrialisierung von Afrikas Landwirtschaft, die nötig sein wird, aber andererseits auch den in dieser Hinsicht langsamsten Kontinent der Welt auf den prekären energetischen Pfad führt. Die Autoren verfallen dabei nicht der Versuchung, Welternährung technizistisch oder technokratisch zu betrachten. Die Ambivalenz der Industrialisierung wird immer wieder gespiegelt anhand agrarkultureller, menschlicher Wirklichkeiten, anhand dessen, was die Personen, von denen die Begegnungen handeln, überhaupt selbst wollen. In diesem Sinne ist auch der von mir verfasste Text im zweiten Kapitel über das Jahr eines sambischen Kleinbauern zu verstehen, den ich mit einem deutschen Ackerbauern vergleiche und beide miteinander ins Gespräch bringe (Nkolemfumu und Wintersheim). Der Sambier schuftet mit seinen Händen bis zur Erschöpfung und wünscht sich nichts mehr als einen Traktor. Der Deutsche, der durchaus starke Traktoren besitzt, strandet, auch müde vom Agrar-Monopoly, im Spätsommer in einer Klinik für müde Leistungsträger. Auch der (diskrete) Blick auf menschliches Glück und Unglück ist der besondere Beitrag dieses Buches zu einer ohnehin komplizierten Thematik.

Die gemeinsame Überlebensfrage wird sich in beiden Hemisphären entscheiden. Der globale Norden ist längst hochtechnisiert, aber dabei immer noch stark von endlichen Ressourcen abhängig. Im Süden – in Afrika, Asien und Arabien –, wo die Bevölkerung dramatisch wächst, herrscht Armut, es mangelt an Techniken, die im Norden seit Jahrzehnten die Ernten erhöhen. Der Süden muss vom Norden lernen. Er braucht Traktoren, Apps und Marktzugang. Aber er darf die Fehler des Nordens nicht nachmachen. Der Norden muss neue, intelligente Technik entwickeln, sich so vom Tropf des Erdöls und anderer Ressourcen lösen. Die nächste agrarindustrielle Revolution ist diejenige der Kreislaufwirtschaft der Ernährung, resümmiert das Schlusskapitel. Welche einzelnen Beiträge dazu Technik und Forschung leisten können, erschließt sich auf meinen Reisen zu einigen der wichtigsten Landwirtschaftsuniversitäten Europas, nach Israel und in die Wüste Jordaniens (Kapitel 6), oder auch während der Weltreise zu den Algenfarmen der Meere, die Peter Hermes gemacht hat (Kapitel 3).


Obwohl viele Autorinnen und Autoren beitragen, trägt das Buch eine Handschrift. Das liegt an der gemeinsamen Perspektive, die sich einerseits auf das Spannungsfeld von Ressourcenabhängigkeit, Ernten und Ökologie konzentriert, sich aber andererseits bemüht, vom hohen Abstraktionsgrad des akademischen oder institutionellen Blicks immer wieder ins Konkrete, Lokale zu kommen. Das Buch basiert auf einem journalistischen Langzeitprojekt, das ich für die Frankfurter Allgemeine Zeitung koordinieren durfte und das großzügig durch die Stiftung „European Journalism Center“ (EJC) gefördert wurde. Diese ermöglichte meinem Projektteam aufwendige Recherchereisen. Das EJC bezuschusste dankenswerterweise auch die Publikation dieses Buches. Das Buch ist eine Einladung an die Leserinnen und Leser, mit den Autorinnen und Autoren immer wieder die Perspektiven zu wechseln – zwischen den Welten der Ingenieure und Ökonomen, die sich erfinderisch und abstrakt Gedanken über die künftige Welternährung machen, und denen der Armen und Kleinbauern der Erde, die die Welternährung täglich mit ihrer Hände Arbeit und ihrem Boden sichern. Deren Mangel, Wünsche, Willen und Klugheit können „wir“ uns schließlich kaum noch vorstellen. Das Buch soll keine einfachen Lösungswege aufzeigen, sondern zunächst Einblicke in Zusammenhänge, Entwicklungen und Lebenswirklichkeiten schaffen und so zum Denken anregen.

Jedem Kapitel habe ich als Herausgeber einen einführenden und den Beitrag in den Kontext des Gesamtwerks einordnenden Absatz vorangestellt. Das Buch beginnt nach diesem Vorwort nicht gleich mit Zukunftsvisionen von „Urban Farming“ und modernen Gewächshäusern mit Kaskadennutzung, sondern mit Reisen in die heutigen Lebenswirklichkeiten der Bauern in Afrika, die bald und dringend produktiver werden müssen. Die Autorinnen und Autoren reisen dorthin, wo die größte Modernisierungsnot herrscht. Sambia, eines der ärmsten Länder der Welt, ist dabei ein Ankerpunkt, zu dem die Expeditionen im Buch immer wieder zurückkehren. In den folgenden Kapiteln geht es zunächst um Fragen der Abhängigkeiten afrikanischer und anderer Staaten vom Lebensmittelexport. Hier ist Ägypten ein geeignetes Beispiel.

Future Food - Die Zukunft der Welternährung

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