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Schleiermacher und Kierkegaard in der Sicht „nachmetaphysischen“ Denkens
ОглавлениеMAUREEN JUNKER-KENNY
Das neue Selbstverständnis der Philosophie, das Jürgen Habermas 1981 auf dem Hegel-Kongress in Stuttgart vorgeschlagen hatte und das die Ermäßigung ihres Anspruchs auf die Rollen von „Platzhalter“ und „Interpret“ vorsah, ist als eine der wesentlichen Theorieentscheidungen in seinem Werk gewürdigt worden.1 In Anerkennung der veränderten Position der Philosophie durch die Forschungen der Einzelwissenschaften, die ursprünglich philosophische Fragestellungen in empirisch-kritischen Untersuchungen ausarbeiten, sieht Habermas die Aufgabe der theoretischen Vernunft nunmehr darin, als Impulsgeber und Statthalter für das universalistische Erbe von Disziplinen wie Erkenntnistheorie, Anthropologie und Ethik sowie als Vermittler zwischen den Wissenschaften und der Lebenswelt mit ihren kommunikativen Praktiken zu wirken. „Nachmetaphysisch“ ist dieses Verständnis der Philosophie, sofern es sich von den typischen Merkmalen der Metaphysik verabschiedet, die für Habermas im „Identitätsdenken“, im „philosophischen Idealismus“, im „starken Theoriebegriff“2 und einer „objektiven Teleologie“3 bestehen. Sofern die „Bewusstseinsphilosophie“ das Identitätsdenken mit seinen Grundbegriffen „des Einen und des Vielen, der Identität und Differenz“4 und den Idealismus mit seinen Gegensätzen wie Idee und Erscheinung transformierend fortführt, ist sie zwar nicht vormodern: „Die Metaphysik war als die Wissenschaft vom Allgemeinen, Unveränderlichen und Notwendigen aufgetreten; nun kann sie ein Äquivalent nur mehr in einer Theorie des Bewusstseins finden, die notwendige subjektive Bedingungen für die Objektivität allgemeiner synthetischer Urteile a priori angibt.“5 Doch angesichts ihres Anspruchs, „alle Prämissen aus sich selbst zu begründen“ und „zu einer absolut sich selbst begründenden Theorie“6 zu gelangen, bedarf auch ihre moderne Fassung der Überführung in ein Programm, das sie mithilfe der Kategorien und Methoden der linguistischen Wende auf den Boden der kommunikativen Alltagspraxis und ihrer Prämissen zurückholt. Im Einklang mit dieser Neubestimmung ihrer Aufgabe hatte Habermas den Anspruch der Philosophie aufgegeben, eine eigene, nicht mit den Fallibilitätskriterien der empirischen Wissenschaften vergleichbare Methode zu haben. Zwei bis drei Jahrzehnte nach der Ankündigung dieser neuen ko-operativen, sich innerhalb der Wissenschaften zur Geltung bringenden Auffassung der Philosophie wird jedoch angesichts neuerer Entwicklungen das Eigene ihrer Methode wieder benannt: gegenüber der Dominanz der Naturwissenschaften ist wieder die „Selbstreflexion“7 gefragt, die sie von den Einzelwissenschaften unterscheidet, in denen die Vernunft sich in von systematischen Thesen geleiteten Forschungsprogrammen ausdifferenziert.
Es passt zu dieser veränderten Einschätzung gesellschaftlicher Machtfaktoren und der Rolle der Vernunft, das Korrekturbedürftige an ihnen zu identifizieren, wenn zwei Denker der Religion, Schleiermacher und Kierkegaard, nicht als Vertreter der zu überwindenden Phase der Bewusstseinsphilosophie, sondern als mit dem nachmetaphysischen Denken kompatible Zeitgenossen der Moderne erachtet werden: ihnen gelingt es, religiös und nachmetaphysisch8 zu argumentieren.
Was macht die Beiträge dieser zwei epochemachenden Neudenker des theologischen Erbes in der Moderne erwähnenswert angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen der Theorie des kommunikativen Handelns? Im Kontext welcher Fragestellungen werden sie interessant? Die Gegenposition, die Habermas in Zur Zukunft der menschlichen Natur im Vorblick auf die Möglichkeit genetischer Optimierung entwickelt, stützt sich auf einen grundlegenden Begriff von Kierkegaards Reflexionen über die menschliche Freiheit in ihrer endlichunendlichen Doppelstruktur, den des „Selbstseinkönnens“.9 Er wird nun einem Leitbegriff, der in verschiedenen Disziplinen in einer Reihe von Diskursen seit den 1970er Jahren differenziert bearbeitet wurde, „Identität“, zur Seite gestellt. Schleiermacher insistiert gegen die Funktionalisierung der Religion für Moralität und ihre Aufhebung in das Wissen auf ihrer eigenen, ursprünglichen Verortung im „Gefühl“ als einem der drei wesentlichen menschlichen Selbstvollzüge. Ich werde im folgenden Habermas’ Bezugnahmen auf Schleiermacher (1) und auf Kierkegaard (2) besonders im Blick auf ihren Beitrag zur Klärung des Verhältnisses von Vernunft und Religion untersuchen und ihrem Stellenwert für das Projekt des „nachmetaphysischen Denkens“ nachgehen (a). Habermas’ Rekonstruktion wird sodann mit anderen philosophischen und theologischen Interpretationen verglichen (b). In den abschließenden Bemerkungen des 3. Teils sollen gemeinsame Anliegen gewürdigt und klärungsbedürftige Punkte benannt werden. Dabei wird die Eignung des Begriffs „nachmetaphysisch“ im Einklang mit langjährigen Kritiken aus philosophischen und theologischen Perspektiven in Frage gestellt werden (3).10
Die Rolle des öffentlichen Intellektuellen in Zeiten kulturellen, institutionellen und religiösen Umbruchs, die Schleiermacher mit Habermas verbindet, ist notwendig auf die Annahme eines allgemeinen Wahrheitsbewusstseins bezogen. Statt den Berliner Vermittlungsdenker in seiner Vernunftfreundlichkeit dem dänischen Christenheitskritiker entgegenzusetzen, wie Habermas’ zuspitzende Interpretation es tut, wäre die Voraussetzung zu hinterfragen, für die sie als alternative Modelle genommen werden: dass Religion, in ihrem Fall das Christentum, letzten Endes doch nur als das Andere der Vernunft in Betracht kommt. Religion sei „extraterritorial“, „opak“ und in der Wirkung ihrer Riten so unvermittelt wie die Kunst.11 Im Gegensatz zu diesen Aussagen sieht auch Habermas Hinweise, dass Religion und Vernunft beide auf das menschliche Reflexionsvermögen bezogen sind, das die Weltreligionen ebenso wie die großen philosophischen Systeme voraussetzen.12 Könnte dann nicht auch geschichtlichen Religionen die Fähigkeit innewohnen, als „Platzhalter für universalistische Fragestellungen“ strukturierende Leitmetaphern, Kerneinsichten und Handlungsweisen in den Fortgang menschlichen Lebens und Wissens einzuspeisen, die gerade nicht opak, sondern für Vernunftwesen einleuchtend sind? Der Bezug auf eine diskursiv zu erhellende Wahrheit bei aller Perspektivität, den Habermas gegen Nietzsches Bruch mit dem Emanzipationsimpetus der Moderne verteidigt hat13, wäre dann eine gemeinsame Grundlage, auch wenn diese Wahrheit uns so wenig verfügbar sein sollte wie das „Selbstseinkönnen“ der einzelnen.
Ein Kennzeichen postmetaphysischen Philosophierens ist sein Verzicht darauf, die Glaubensinhalte geschichtlicher Religionsgemeinschaften auf das Maß einer Vernunftreligion zuzuschneiden. Das Kriterium der Ablehnung ist, dass die Gläubigen sich darin nicht wiedererkennen könnten.14 Schleiermacher und Kierkegaard werden in ihrer Absicht gewürdigt, in der Rezeptionsgeschichte Kants dem Gottesglauben einen Ort gesichert zu haben, der nicht auf den Imperativ und die Bedürfnisse praktischer Vernunft reduzierbar ist. Aus welcher Perspektive werden ihre Analysen rekonstruiert und welcher Geltungsanspruch wird ihnen belassen, wenn sie in ihre jeweiligen Epochen kontextualisiert und in ihre Wirkungsgeschichte eingegliedert werden?
1. Schleiermacher als Romantiker und Wegbereiter des Kulturprotestantismus
Die Bedeutung Schleiermachers für die postmetaphysische Auffassung von Philosophie besteht zunächst in seiner Aufnahme der Ergebnisse der Transzendentalen Dialektik von Kants Kritik der reinen Vernunft, die die Gottesbeweise der metaphysischen Tradition als unvereinbar mit der erkenntniskritischen Reflexion auf die Grenzen der Vernunft herausstellte. Schleiermachers Abwendung von einer objektivierenden Metaphysik und sein alternativer Versuch, den Gottesglauben auf dem Weg einer Subjektivitätsanalyse zu begründen, gibt ihm einen doppelten Stellenwert: zum einen löst er den Aufweis der Wahrheitsfähigkeit religiöser Bekenntnisse vom überholten Rahmen einer umfassenden philosophischen Konzeption des Weltganzen ab; zum anderen tritt er für eine bestimmte konsistente, geschichtlich in der Auseinandersetzung mit den Denkformen ihrer Zeit fortentwickelte religiöse Tradition ein, die als ein Angebot unter anderen existentiellen Optionen im kulturellen Fundus der Lebenswelt ihre unabgegoltenen Impulse aktuell und lebendig erhält. Sein Entwurf scheint schon im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts die drei Bedingungen zu erfüllen, die Habermas an Religionsgemeinschaften im demokratischen Verfassungsstaat stellt: Anerkennung der Trennung von Kirche und Staat, der Unabhängigkeit der Wissenschaften sowie anderer koexistierender Glaubensgemeinschaften unbeschadet des eigenen Wahrheitsanspruchs.15
a) Habermas’ Rekonstruktion der Subjektivitätsanalyse in der Einleitung der Glaubenslehre
In seinem überarbeiteten Aufsatz über das Verhältnis von Vernunft und Religion in der Wirkungsgeschichte Kants stellt Habermas zu recht auf der einen Seite den transzendentalen Charakter der Argumentation in den §§3 und 4 der Einleitung der zweiten Auflage der Glaubenslehre heraus. Andererseits limitiert er aber deren Anspruch, durch eine Strukturanalyse endlicher Freiheit unumgehbare Einsichten in ihre Verfasstheit zu liefern, durch seine Einordnung des „Gefühls“ in den romantischen und vormalig Herrnhuter Kontext des Autors als „pietistische Auszeichnung der religiösen Innerlichkeit“16. Eine genaue Lektüre zentraler Passagen seiner dreiseitigen Darstellung des Vorgehens und des Ertrags des Grundlegungsversuchs eines „Gottesbewusstseins“ ergibt, dass entscheidende Schritte und Spitzenaussagen verkannt oder in ihrer Reichweite reduziert werden.
§3 der philosophischen Einleitung, die den beiden dogmatischen Hauptteilen des „Christlichen Glaubens“ vorgeschaltet ist, ordnet in seinem Leitsatz Religion dem „Gefühl oder unmittelbaren Selbstbewusstsein“ als eine „Bestimmtheit“17 zu. Die Positionierung einer solchen Größe, die Schleiermacher als „unmittelbare Gegenwart des ganzen ungeteilten Daseins“ erläutert18 und als zwischen dem Denken und dem Handeln des Subjekts vermittelnd bestimmt, steht in Habermas’ Zusammenfassung in der Gefahr, mit einer Wendung in die eigene Innerlichkeit gleichgesetzt zu werden: mit einem Eintauchen in das persönliche Gemütsleben, das sich „von der Welt abwendet“19, auf das man aber auch verzichten könnte, wenn man kein Romantiker oder Pietist mit gesteigertem Interesse an innerer Selbstbetrachtung wäre.
„Er verschiebt die Grenze zwischen Glauben und Wissen zugunsten eines authentischen Glauben jenseits bloßer Vernunft, indem er den Eigensinn und das Eigenrecht des Religiösen innerhalb des grundbegrifflichen Horizonts der Bewusstseinsphilosophie herausarbeitet … Schleiermacher erweitert die Kantische Architektonik der Vernunftvermögen, aber er sprengt sie nicht, wenn er dem religiösen Glauben neben Wissen, moralischer Einsicht und ästhetischer Erfahrung einen eigenen transzendentalen Ort einräumt. Neben die bekannten Vernunftvermögen tritt nun die Religiosität der gläubigen Person, die sich im Gefühl der Frömmigkeit gleichzeitig ihrer eigenen Spontaneität und ihrer schlechthinnigen Abhängigkeit von einem Anderen unmittelbar bewusst wird.“20
Habermas’ Schritt von der Frömmigkeit als einer Bestimmtheit des Gefühls, das einer eigenen philosophischen Analyse bedarf, zum „Gefühl der Frömmigkeit“ bewirkt eine Verlegung der Ebene von einer Untersuchung der Tiefenstruktur menschlicher Subjektivität auf die einer Gefühlstatsache. Auf andere Art wird der Faktor der „Selbstätigkeit“, der dem in diesen Paragraphen examinierten „Freiheitsgefühl“ zugrundeliegt, uminterpretiert und die Reichweite der Analyse beschnitten, wenn in der Interpretation der §§3–5 die „Spontaneität“ auf das eigene „bewußte Leben“ bezogen und wenn der Grund für Schleiermachers folgenreiche Einschränkung auf „relative“ Freiheit nur auf äußere Umstände geschoben wird:
„Schleiermacher zeigt, wie sich Selbstvergewisserung und Gottesbewusstsein miteinander verschränken. Das berühmte Argument geht von der innerweltlichen Stellung eines Subjekts aus, das durch die Vermögen der Empfänglichkeit und der Selbsttätigkeit sowie durch eine Wechselwirkung der passiven und aktiven Bezüge zur Welt charakterisiert ist. Für ein endliches Subjekt, das sich der Welt zuwendet, sind weder absolute Freiheit noch absolute Abhängigkeit denkbar. Wie eine absolute Freiheit mit den Beschränkungen, die die Welt dem situierten Handeln auferlegt, unvereinbar ist, so verträgt sich auch umgekehrt eine absolute Abhängigkeit nicht mit dem intentionalen Abstand von der Welt, ohne den Sachverhalte nicht objektivierend erfasst und behandelt werden können. Wenn sich dieses Subjekt aber von der Welt abwendet, wird es im Innewerden der Spontaneität des eigenen bewussten Lebens von einem Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit erfasst: Im Vollzug der intuitiven Selbstvergewisserung wird es sich der Abhängigkeit von einem Anderen bewusst, das – diesseits der Differenz zwischen dem, was wir aus der Welt empfangen und worauf wir in der Welt einwirken – unser bewusstes Leben erst möglich macht.“21
Zwar ist es richtig, dass Schleiermachers Analyse auf der Ebene konkreter, geschichtlich situierter Freiheit ansetzt und von dort aus zu transzendentallogischen Aussagen vorstößt; doch die Anführung limitierender äußerer Umstände für die Ablehnung eines schlechthinnigen Freiheitsgefühls verkennt, dass Schleiermacher in der 2. Auflage zu einer Strukturanalye menschlicher Subjektivität durchbricht, die die entscheidenden Koordinaten endlicher Freiheit in ihrer eigenen unentrinnbaren doppelten Verfasstheit sieht. Schon die 1. Auflage hatte auf der Freiheit gegenüber der Welt bestanden, aber nur in phänomenologischer Weise in §9 zwei Instanzen des Mitbestimmenden im zeitlichen Selbstbewusstsein unterschieden. Einmal verweise die „mitwirkende Ursache“ im Selbstbewusstsein eines sich immer schon als „in Beziehung auf etwas“ erfahrenden Subjekts auf die „in sich getheilte und endlich gestaltete“ Unendlichkeit der Welt, zu der ein „Bewusstsein der Freiheit“ bestehe; zum anderen wird die Erfahrung eines „vollkommnen, stetigen, also auf keine Art von einer Wechselwirkung begrenzten oder durchschnittenen Abhängigkeit“ mit der „einfache(n) und absolute(n) Unendlichkeit“ des Mitbestimmenden korreliert, die mit der Abhängigkeit von Gott gleichgesetzt wird.22 Nach der Kritik theologischer Kollegen wie Karl G. Bretschneider sowie Hegels sah Schleiermacher sich genötigt, die Argumentation zu durchdenken und die Kompatibilität einer absoluten Abhängigkeit mit dem Freiheitsgefühl aufzuweisen. In der 2. Auflage ist es die doppelte Verfasstheit oder „Duplizität“ selbst, die dem Selbstbewusstsein die schlechthinnige Abhängigkeit des empfänglichen und selbsttätigen Daseins indiziert. „Gerade als Freie sind wir uns bewusst, unfrei, an die Struktur von Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit gebunden zu sein“, resümiert Thomas Pröpper diese Analyse; in ihr geht es folglich um etwas Spezifischeres als die „Spontaneität des eigenen bewussten Lebens“23, nämlich um die grundlegende „Wesensverfassung der endlichen Freiheit“.24
Das Urteil, das in der Tat naheliegt, wenn Habermas’ Rekonstruktion dem Text entspräche, dass hier der Weg in eine Privatheit der Seelen angebahnt wird, die in Harnacks „Aufgehen des Reiches Gottes in der individuellen Seele“25 als Gipfel des christlichen Weltauftrags endet, ist demzufolge verfehlt: Es ist irreführend, eine transzendentale Analyse, die auf die Voraussetzungen der Vollzüge von Subjektivität reflektiert, zu einer „Abwendung von der Welt“ zu erklären. Die Pointe der These vom schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl ist vielmehr, dass das Subjekt sich zusammen mit der Welt als absolut kontingent erfährt. So ist auch das Fortschreiten des §4 zur Annahme eines „Woher“ des Daseins in fragwürdiger Weise umschrieben, wenn sein Ergebnis als „Gefühl der geborgenen Abhängigkeit von einem kosmisch Umgreifenden“26 bezeichnet wird. Der Kosmos oder die Totalität der Welt gehört zum Bereich, in dem die „Gegenwirkung“ menschlicher Freiheit prinzipiell möglich ist, von dem also gerade keine absolute Abhängigkeit besteht. Wenn, dann sind beide, der Mensch und der Kosmos als in sich geteilter Totalität, schlechthin abhängig.27
b) Theologische Kritik
Aus theologischer Sicht ist der Mitvollzug der anthropologischen Wende in Aufnahme der Kantischen Kritik der Vernunft als Eröffnung einer Denkform gewürdigt worden, die dem biblischen Glauben und insbesondere der Auslegung der Bedeutung der Person Jesu und ihres Gottesverhältnisses eminent entspricht: weit besser als die substanzontologischen Kategorien, in denen zuvor der Grund für die Schöpfung der Welt und des Menschen, das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus und das von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit in jedem Menschen ausgedrückt worden waren.28 Für die spezifische Ausführung jedoch, die Schleiermacher dieser Hinwendung zum Freiheitsdenken gibt, zahlt er aus theologischer Perspektive einen anderen Preis als den der von Habermas diagnostizierten Interiorisierung und Privatisierung des Glaubens. Theologische Bedenken gelten dem Schritt, mit dem Schleiermacher die Resultate der philosophischen Analyse überzieht, wenn er zur These eines „Woher“ des selbsttätigen und empfänglichen Daseins gelangt; damit behauptet er eine unentrinnbare Gottesbeziehung, die jedoch die biblisch zentrale Notwendigkeit einer freien Antwort der einzelnen auf Gottes Ruf untergräbt. Wenn jedem Menschen ein nicht nur mögliches, sondern aktualisiertes Gottesbewusstsein zugeschrieben wird, ist die Möglichkeit einer genuin atheistischen Position bestritten. Ebenso wird das, was als Angebot und Geschenk erscheinen sollte, die Möglichkeit der Selbstbestimmung aus der Beziehung zu Gott, zum Besitztum des Menschen. Zugleich bringt das Zuviel, das im Terminus „Gottesbewusstsein“ liegt, eine Unterbestimmung der Bedeutung Jesu mit sich. Hier hat Habermas’ Punkt, dass Schleiermacher eine „besänftigende Analyse der frommen, mit der Moderne versöhnten Existenz“29 vorlegt, sein relatives Recht. Eine Lösung ist allerdings nicht auf dem Weg des Abschieds von einem anthropozentrischen Begriff von Religion und im alternativen Ausgang von einem unvermittelten Offenbarungsstandpunkt zu finden, sondern in einer transzendentalphilosophisch vertieften Reflexion, die einer solchen Schlussfolgerung die Unvermeidlichkeit der Thematisierung der anthropologischen Erkenntnisbedingungen für Gottes Offenbarung entgegenstellt. Theologisch und philosophisch problematisch sind die Weiterbestimmung des Befundes der Abhängigkeit zum Bewusstsein der Beziehung mit Gott (1) und die Verschiebung der Grenze zwischen Wissen und Glauben in den Bereich des vernünftig Eruierbaren auf Kosten des geschichtlich Geoffenbarten (2).
(1) Der Schritt von einer Kontingenzanalyse zur Setzung eines „Woher“ der Existenz
Habermas übt einen postmetaphysischen Urteilsverzicht, wenn er die These von der Verschränkung von Selbst- und Gottesbewusstsein stehen lässt.30 Demgegenüber hat sein philosophischer Kollege Konrad Cramer in seiner genauen Nachzeichnung der Schritte der Analyse des Selbstbewusstseins, die zur These einer absoluten Abhängigkeit führen, die Punkte angesprochen, zu denen er sich in Distanz begibt. Für Cramer stellen §§3 und 4 eine „Theorie der Struktur unseres Bewusstseins vor […], für die fast alles spricht. Diese Theorie wendet sich nicht an Kinder und Knechte, sondern an Erwachsene und Freie – als die Aufforderung, aus dem Selbstbewusstsein, das sie sind, die richtigen Konsequenzen zu ziehen.“31 Er vermisst allerdings eine Analyse der „Struktur dieses Wissens und der Bedingungen der Möglichkeit seines Zustandekommens“32;vermutlich ist dies die Stelle, an der von der formal unbedingten Freiheit des Subjekts zu reden wäre, ohne die die Einsicht in die Struktur seiner Subjektivität nicht möglich wäre.
Der philosophische Ertrag der §§3 und 4 ist, dass das Selbst sich „den Ungrund dieser Struktur in ihr selbst und in allem, dessen es aufgrund ihrer mächtig ist, zu Bewusstsein bringt“33. Cramer stellt den Unterschied des hier entspringenden Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit, das kein Wissen ist, weil ihm „kein intentionales Korrelat“ entspricht, zu üblichen Gefühlen, die sich auf subjektive Zustände beziehen, heraus. Das „explikative ‚oder‘ […] unmittelbare Selbstbewusstsein“34 zieht er in Zweifel: „Die Frage ist vielmehr, ob ein Selbstbewusstsein, dessen Unmittelbarkeit nur via negationis von vermitteltem Selbstbewusstsein aus gedacht werden kann, überhaupt als ein unmittelbares gedacht werden kann“35. Dieser philosophischen Infragestellung entspricht ein theologisches Bedenken: mit dem intendierten Aufweis des unmittelbaren Selbstbewusstseins als Gottesbewusstsein ist die These verknüpft, dass es in jedem Menschen gegeben ist und bestenfalls falsch bestimmt ist, wenn die Beziehung zu Gott abgelehnt wird. Atheismus ist eine “ Fehldeutung“ oder „Verirrung“. Die Frage nach dem Status des Aufweises, ob er nur die vernünftige Denkbarkeit der Möglichkeit der Existenz Gottes und die anthropologische Relevanz der Option für den Sinn, den der Gottesglaube schenkt, beansprucht, oder eine aktualisierte Gottesbeziehung, die dann aber die menschliche Freiheit, Nein zu sagen, missachten würde, sieht Thomas Pröpper in Schleiermachers eigenen Aussagen leider zugunsten des letzteren entschieden.36
(2) Geschichtlich geoffenbarte oder apriorisch erkennbare Güte Gottes?
Die zweite theologisch fragwürdige Folge ist die Konkurrenz, in die das jedem Menschen als „ursprüngliche[…] Offenbarung“ (§4,4. I, 30) gegebene Gottesbewusstsein zu seiner geschichtlichen Vermittlung tritt. Schon die ersten Rezensenten hatten darauf hingewiesen, dass eine absolute Abhängigkeit gerade nicht ein Gefühl der Geborgenheit, sondern „Furcht und Grauen“ hervorrufen würde.37 Durch die Weiterbestimmung des „Ungrundes“ in der Freiheit selbst zu einem positiven „Woher“ wird nicht nur die Faktizitätsanalyse überschritten, sondern zugleich ein verlässlicher, liebender Gott postuliert. Woher kann ein solches Gewisswerden des Wesens Gottes aber stammen, wenn nicht aus der Erfahrung der geschichtlichen Begegnung mit einem Menschen, der sie bezeugt? Der Kern des Christentums, die „Beziehung auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung“ (§11. I, 74) muss dann entweder durch eine das Wesen des Menschen als Gottes Ebenbild zerstörende Auffassung der Sünde in seiner Notwendigkeit eingeschärft oder aber die Christologie als höchste Verwirklichung des in allen latent Angelegten nur noch als Bekräftigung der Anthropologie konzipiert werden. Die 1. und die 2. Auflage führen beide Fassungen hintereinander aus. Die Würde der Person Jesu ist damit, entgegen den Intentionen Schleiermachers, unzureichend bestimmt: die Vollendung der Schaffung der menschlichen Natur dominiert in der 2. Auflage, in der weder der besondere, unableitbare Inhalt der Offenbarung, Gottes unverbrüchliche und auch im Tod siegreiche Liebe, noch Jesu Bedeutung als Wendepunkt der Menschheitsgeschichte in seiner unüberschreitbaren Realsetzung dieses Gottes der Liebe deutlich werden können. So ist nicht die Anthropozentrik als solche für den biblischen Gottesglauben ein Problem, sondern nur einzelne benennbare Elemente ihrer Ausführung bei Schleiermacher; so die teilweise Vorwegnahme von Einsichten in der Einleitung, die erst in den materialen Teilen der Dogmatik hätten zugänglich sein sollen. Wenn das Wohlwollen und die Verlässlichkeit eines liebenden Weltschöpfers schon mit Mitteln der Vernunft erkannt werden können, dann hat das Zeugnis Jesu in der Tat nur noch den Charakter der Konfirmierung, selbst wenn die Explikation der Liebe als Eigenschaft Gottes dem 2. Hauptteil der Dogmatik vorbehalten bleibt.
Ein Unterschied zu Kierkegaard besteht in der Klarheit, mit der das Gewahrwerden der eigenen Faktizität von der praktischen Entscheidung zum Gottesglauben getrennt wird.38 Zunächst ist jedoch zu untersuchen, in welcher Weise Habermas ihn in die Wirkungsgeschichte Kants einfügt.
2. Kierkegaard als Kritiker einer anthropozentrischen Autonomie
Auch in Habermas’ Darstellung von Kierkegaard findet sich die Tendenz, ihm durch die Weise, in der er kontextualisiert wird, die philosophische Spitze zu nehmen, in seinem Fall als Teil der Wirkungsgeschichte Luthers. In den Analysen der Verzweiflung erscheint er als religiöser Denker, der Pathologien benennt, nicht als Philosoph der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Kants Freiheitsansatz zu einer „absoluten Wahl“ angesichts der Einsicht in die Kontingenz der eigenen Existenz radikalisiert und der – anders als Schleiermacher – das Sich-verhalten-Können als ursprüngliche Möglichkeit der Freiheit auszeichnet. Habermas stellt die zwei Formen der eigentlichen Verzweiflung sogleich als „pathologische[…] Lebensformen“39 dar. Bedeutet das, dass sie vermeidbar wären, wenn geeignete Identitätsbildungsprozesse und soziale Netzwerke instituiert werden könnten? Für Kierkegaard hingegen sind sie unausweichlich mit der Verfassung endlicher Freiheit gegeben. Liegt diese philosophische These nur daran, dass sich eine Lösung, der Gottesglaube, schon abzeichnet, wenn auch in der schroffen Form des „Paradoxes“ der Inkarnation und eines „Sprungs“ in den Glauben?
Die Darstellung Schleiermachers als abgeklärt und angepasst, die Kierkegaards als radikal wie Marx und umgetrieben von der Suche nach einem gnädigen Gott – nach einer theologischen Ausbildung in der Geschichte christlichen Denkens und seiner Wirkungen fällt es schwer, solch epochemachende Figuren wiederzuerkennen in der Frisur, die sie hier erhalten. Allerdings bietet Habermas neben seiner Einordnung Kierkegaards als autonomiekritischem Inaugurator einer dialektischen Theologie (a) auch eine nuancierte Besprechung der von ihm ins Prinzipielle erhobenen Erzählung von Abrahams Befolgung des göttlichen Befehls zum Aufbruch mit Isaak zum Berg Moriah (b).
a) Habermas’ Perspektive: Die Alternative der dialektischen Theologie zu Kants anthropologischer Wende
Kierkegaards philosophische Freiheitsanalyse wird sogleich unter die Perspektive „einer existentiellen Antwort auf die ihn umtreibende lutherische Frage nach dem gnädigen Gott“40 gestellt. Diese Frage selbst könnte innerhalb der Geschichte christlichen Denkens kontextualisiert werden, in der Luther unter dem Eindruck von Ockham’s Nominalismus auf das Verlangen nach „Gewissheit“ orientiert war, das nach dem Hochmittelalter angesichts der zugespitzten Reflexion auf Gottes Allmacht verstärkt aufkam. Ohne auf die Fragen der Rezeption Luthers in der weiteren Entwicklung protestantischer Theologie und auf die Bekanntschaft des dänischen Studenten mit Schleiermachers Vorlesungen einzugehen, wird Kierkegaard so in das vernunftkritische Erbe der Reformation eingereiht:
„Mit dem radikalisierten Sündenbewusstsein gerät die Autonomie der Vernunft in den Schatten der schlechthin heterogenen Macht des unerkennbaren, allein historisch bezeugten, sich selbst mitteilenden Gottes. Dieser neo-orthodoxe Gegenzug zum anthropozentrischen Selbstverständnis der Moderne bildet ein wichtiges Stadium in der Wirkungsgeschichte der Kantischen Religionsphilosophie. Er bekräftigt nämlich die Grenzziehung zwischen Vernunft und Religion dieses Mal von seiten des Offenbarungsglaubens.“41
Im Gegenzug zu Schleiermachers „mit der Moderne versöhnten Existenz“ kann seine Existenzanalyse als Kritik an der Anthropozentrik Kants sowie an einem staatsnahen Kulturchristentum rekonstruiert werden. Indem er „mit seinem Generationsgenossen Marx das Krisenbewusstsein einer ruhelosen Moderne (teilt)“, erscheint er als das Exemplar einer dialektisch-kulturkritischen Verwirklichung des nachmetaphysischen Denkens, die als Gegenentwurf zum Ansatz bei der Autonomie des Menschen dargestellt wird. Theologisch ist gegen eine solche Heimholung in das Lager der Kritiker der anthropologischen Wende die langjährige differenzierte theologische Auseinandersetzung mit Kierkegaard als Freiheitsdenker anzuführen. Wie unter anderem ein Vergleich mit Schleiermachers naturalisierendem Sündenbewusstsein zeigen würde, sind es ganz andere theologische Fährten, die hier zu verfolgen wären: gediegene Argumentationen über Punkte der Zustimmung und der Kritik42, die sich der Polarisierung entziehen, die beim polemischen Ausspielen zweier profilierter Denker riskiert wird:
„Die entscheidende Differenz besteht darin, dass Kierkegaard die Konversion der Vernunft als Abdankung der Vernunft vor der Autorität des sich selbst mitteilenden christlichen Gottes begreift, während Schleiermacher an der anthropozentrischen Blickrichtung festhält und die religiöse Grunderfahrung, der die positiven Glaubensüberlieferungen erst entspringen, philosophisch begründet … Barth und Bultmann schließen sich an Kierkegaard an, um den normativen Eigensinn des Offenbarungsglaubens und die christliche Glaubensexistenz gegen den Sog des historischen Denkens, gegen den Säkularisierungsdruck der Gesellschaft und gegen die Privatisierung des Glaubens beharrlich zur Geltung zu bringen. Sie arbeiten an der christlichen Glaubensbotschaft das Nicht-Integrierbare heraus, die unversöhnliche Opposition von Glauben und Wissen.“43
Es ist bemerkenswert, wie die denkerischen Durchbrüche Schleiermachers in der grundlegenden Neukonzeption der Dogmatik im Eingehen auf Kants Vernunftkritik beim Neueinsatz der dialektischen Theologie nach dem 1. Weltkrieg abgewertet werden, während gleichzeitig Kierkegaard, dessen Analysen des Selbst ebenso unter das Verdikt der „Innerlichkeit“ fallen könnten, von der Kritik an der Privatisierung des Glaubens verschont bleibt. Was beide verbindet, die philosophische Reflexion auf die existierende Freiheit in ihrer Faktizität, wird auf dieser Kontrastfolie nicht sichtbar. Kierkegaards Abwertung der praktischen, denkerischen und institutionellen Anstrengungen der christlich-theologischen Traditionen durch die Auszeichnung der „Gleichzeitigkeit“ der einzelnen Gläubigen mit Christus ist einer der fragwürdigen Aspekte seiner Radikalität. Es wird jedoch Schleiermacher angelastet, durch die „elegante Versöhnung von Religion und Moderne, Glauben und Wissen“ mit ihrer Rezeptionsgeschichte im Kulturprotestantismus „den religiösen Bezug zur Transzendenz seiner innerweltlichen Sprengkraft“ beraubt zu haben.44 Die Initiativen des engagierten Intellektuellen, Verteidigers der Unabhängigkeit der Universität, Kritikers der preußischen Verwaltung und der Übergriffe des Königs auf interne Belange der Kirche, finden hier keine Erwähnung. Die staatskritische Umarbeitung der Aussagen über das königliche Amt Christi im §105 der 2. Auflage der Glaubenslehre nach dem Agendenstreit im Vergleich zum §126 der Erstauflage ist nicht weniger vernichtend als Kierkegaards Angriff auf das Kulturchristentum der etablierten Kirche in Dänemark. Eine weitere Würdigung des Begründers des existentialistischen Denkens durch Habermas im Kontext einer Replik zeigt allerdings, dass auch bei Kierkegaard Glauben und Vernunft einander nicht schroff gegenüberstehen müssen. Dies zeigt Habermas’ methodisch ausgewiesene Reflexion auf Genesis 22 und ihre Wirkungsgeschichte.
b) Die Patriarchenerzähung von Abraham und Isaak in Genesis 22 in Habermas’ exegetischer und systematischer Erörterung
Habermas’ differenzierte Interpretation der biblischen Erzählung in Genesis 22 über Gottes Forderung an Abraham vermeidet die vorherige Zuspitzung zu einer Alternative zwischen Glaube und Vernunft. Gegen Jay Bernsteins Urteil, dass diese biblische Geschichte „im Zentrum der religiösen Spiritualität des Abendlandes stehe“ und gegen seine Inanspruchnahme von Kierkegaard für eine Deutung, „wonach Gottes Gebot, ihm seinen geliebten Sohn als Opfer – als Menschenopfer! – darzubringen, die masochistische Qualität des Glaubens an diesen Gott enthüllt“,45 führt Habermas vier Gegenargumente an. Um dieses Urteil nicht stehen zu lassen, will er „diese unhistorische und voreingenommene Lesart, die dem religiösen Glauben als solchem (!) jeden kognitiven Gehalt und alle Moral austreibt“, kommentieren.46 Die ersten beiden Argumente sind historischexegetisch, nämlich zur grundsätzlich kritischen Haltung des Judentums zu heidnischen Opfern und zum späteren, nachexilischen Verstehenshorizont im voll ausgebildeten Monotheismus zur Zeit des Deuterojesaja. Im dritten Einwand geht Habermas mit der Rezeptionsgeschichte auch auf Kierkegaard ein. Er bezieht die „entscheidende Differenz zwischen moralischem Bewusstsein und religiösem Glauben“ auf den Unterschied von „Gesetzestreue“ und „Glaubenstreue … Kierkegaard will sagen, dass die Glaubenstreue nicht wie bei Kant im Gesetzesgehorsam aufgehen darf: ‚Abrahams Geschichte enthält eine teleologische Suspension des Ethischen‘, denn es gibt ‚keine absolute Pflicht gegen Gott‘, wenn dieser in seiner vorrangigen Rolle als Rettung verheißende sakrale Macht vom Erzvater prima facie eine unmoralische Handlung verlangt.“47
Das vierte Argument bezieht sich indirekt auf Kierkegaard, wenn es den „existentiellen Bezug zu diesem Gott“ anführt, mit dem „der Gläubige auch einen kognitiven Abstand zu allem innerweltlichen Geschehen (gewinnt), der es ihm erlaubt, sein eigenes Leben wie das aller anderen nach denselben moralischen Maßstäben zu beurteilen.“48
In dieser Folge von Gegengründen – aus der Religionsgeschichte, aus dem historisch-kritischen Textbefund, aus der Kontextualisierung der Rezeptionsgeschichte und aus der systematischen Betrachtung der Bedeutung des Monotheismus für die Welt- und Moralauffassung der Gläubigen – erscheint das Verhältnis von Glauben und Vernunft nicht mehr als unversöhnlich, sondern als eine fruchtbare Spannung. In Die Zukunft der menschlichen Natur wird der liberalen Eugenik Kierkegaards Begriff des Selbstseinkönnens als ein „nachmetaphysischer“ entgegengesetzt; mit ihm war er „der Erste, der die ethische Grundfrage nach dem Gelingen und Misslingen des eigenen Lebens“49 stellte und beantwortete.
3. Schlussbemerkungen
Eine Bilanz über die Inanspruchnahmen Schleiermachers und Kierkegaards für das nachmetaphysische Denken muss angesichts der schmalen herangezogenen Textbasis vorläufig bleiben. Mit den beiden Denkern teilt Habermas eine Reihe von Anliegen. Zum einen unterstützen sie die Trennung von Kirche und Staat: Auch von Seiten der Kirche ist dies zu begrüßen, wie Schleiermacher und Kierkegaard in ihrer Zeit fordern, ein Gedanke, den auch Habermas betont: Die Neutralität des Staates beschützt gerade auch die Minderheitsreligionen.50 „Postsäkular“ darf deshalb die Gesellschaft sein, nicht aber der Staat. Zum anderen sehen alle drei die heuristische Sensibilität von Glaubenstraditionen für die Entdeckung von pathologischen Entwicklungen als bedeutsames Moment in einer Kultur an; Schleiermacher bezeugt es zum Beispiel mit seinen Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Kierkegaard mit der Kritik an der ästhetischen Existenz und Habermas mit der Benennung entgleisender moderner Rationalisierungsprozesse. Schließlich sehen sie alle die Möglichkeit existentiell relevanter Kommunikation von Einsichten aus einer Pluralität weltanschaulicher Quellen für wichtig an, in der es zu gegenseitigem Austausch kommt, die über eine stumme Koexistenz in parallelen „Universen“ oder nebeneinander lebenden „comprehensive doctrines“ (J. Rawls) hinausführt.
Klärungs- und Diskussionsbedarf besteht hingegen bezüglich dreier weiterer Annahmen: Habermas’ Betonung ihrer Ausrichtung auf das individuelle Heil (1), die Frage der Toleranz für Nichtgläubige (2) und die Gründe für die Präsenz der Theologie unter den Universitätsfächern (3).
(1) „Für Schleiermacher und Kierkegaard bildet hingegen das individuelle Heil, das der aufs Allgemeine gerichteten Philosophie die größeren Schwierigkeiten bereitet, das Zentrum des Glaubens.“51 Zumindest bei Schleiermacher steht dieser Einschätzung eine kommunitäre Auslegung der Eschatologie entgegen, die ein isoliertes Heil für christlich defizitär hält.52 Schon sein frühromantisches Werk zeigt die Betonung der Individuierung der einzelnen durch die positive Herausforderung des gemeinsamen Austauschs, das Interesse an der Kultivierung von Vielfalt in freien Gemeinschaftsformen und den Gedanken der Menschheit, so 1799 im „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ ebenso wie in den „Reden“.
(2) Habermas’ Würdigung von Schleiermachers Einsicht in die Vielfalt religiöser Vergesellschaftungen als „Toleranz für Anders- und Nichtgläubige“ verkennt die Grenzen, die der Aufweis des Gottesbewusstseins als universaler Anlage mit sich bringt, nämlich die Sicht des Atheismus als Verfehlung. Kierkegaard hingegen erkennt die beiden Formen authentischer Verzweiflung ohne Gott als wählbare Möglichkeiten an.
(3) Die Anerkennung der Autonomie der Wissenschaften ist in der Tat Schleiermachers Position, wie sich u.a. an der Einordnung der Bibelauslegung in die allgemeine Hermeneutik, an den zwei Auflagen der Kurzen Darstellung des theologischen Studiums (1811 im ersten Semester der neu eröffneten Universität und 1830) und an den „Lehnsätzen“ in der Einleitung der Glaubenslehre zeigt. Aber die „unauffällig(e)“ Präsenz der Theologie „innerhalb der Universitäten … als praktische Disziplin neben anderen“53 bedarf einer anderen Begründung, als Schleiermacher sie gibt. Ihm zufolge wird die Theologie zur Leitung einer menschlich ähnlich wesensnotwendigen Gemeinschaft gebraucht, wie der Staat sie ist, zu dessen Leitung die juristische Staatslehre nötig ist, so wie das Studium der Medizin der notwendigen Aufgabe der Heilung des verletzlichen menschlichen Organismus dient. Wenn der Gottesglaube aber eine Freiheitsentscheidung ist, dann ist der Status religiöser Gemeinschaften kein notwendiger mehr; sie können dann als motivierende und inspirierende Traditionen unter anderen ethischen Gemeinschaften erscheinen, aber einen Platz als eine der drei oberen Fakultäten sichern sie nicht.54
Über diese einzelnen Nachfragen hinaus aber bleibt die Hauptanfrage an Habermas die nach den Denkmitteln und -methoden, die das nachmetaphysische Denken erlaubt. Die Unumgehbarkeit einer „Metaphysik“ der Subjektivität ist von philosophischer Seite von Dieter Henrich, Herbert Schnädelbach, Herta Nagl-Docekal, Rudolf Langthaler und Daniel C. Henrich sowie von theologischer Seite eingeklagt worden. Auch die Fragen der Vernunft, auf die eine „Transzendenz von innen“ keine Antworten hat, müssen gestellt werden können. Der Hochachtung, die Habermas für den Eigensinn der Religionen mit ihrem Bewusstsein von dem, was fehlt, bezeugt, könnte die Theologie dadurch entsprechen, dass sie das Andere menschlicher Vernunft in der Selbstzusage des in seiner Freiheit unableitbaren Gottes erkennt55: in der Selbstmitteilung eines Gottes, der die Welt schuf, um „Mitliebende zu haben“.56 Inspiriert vom Gottesverständnis Jesu, der sich mehr auf die Schöpfung als auf den Exodus bezog, bleibt dieser im Nominalismus von Duns Scotus erfasste Grund die von der Reflexion auf die Fähigkeiten und Aporien des Selbst in seiner Faktizität erhoffte erlösende Botschaft.
1 Brunkhorst, H. (2009) „Platzhalter und Interpret“, in Brunkhorst, H., Kreide, R., Lafont, C. (Hg.) Habermas-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: J. B. Metzler, S. 215: „Dieser Vortrag ist ein, wenn nicht der Schlüssel zum ganzen Werk.“
2 Habermas, J. (1988) Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 37–41.
3 Habermas, J. (1986) „Moralität und Sittlichkeit. Treffen Hegels Einwände auch auf die Diskursethik zu?“, in Kuhlmann, W. (Hg.) Moralität und Sittlichkeit. Das Problem Hegels und die Diskursethik, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 31.
4 Habermas (1988) 40.
5 Habermas (1988) 21.
6 Habermas (1988) 40.
7 Habermas, J. (2012) Nachmetaphysisches Denken II. Aufsätze und Repliken, Berlin: Suhrkamp, S. 122: „Die Philosophie unterscheidet sich nämlich auch heute noch von den objektivierenden Wissenschaften durch die reflexive Frage nach dem Selbst- und Weltverständnis ‚des‘ Menschen oder ‚der‘ Einzelnen (und ‚der Moderne‘).“
8 Habermas, J. (2005) Zwischen Naturalismus und Religion, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 240: „Diese beiden sind christliche, aber nachmetaphysische Denker.“
9 Habermas, J. (2001) Zur Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 17–33.
10 Mit seinem neueren Eingehen auf das Verhältnis von praktischer und öffentlicher Vernunft und Religion kehrt Habermas zu philosophischen Fragen zurück, die für die Gründungsgeneration der Frankfurter Schule unabweisbar waren. Er ist seit nunmehr vier Jahrzehnten schon ab der ersten Phase der Diskursethik auf diese unerledigten Grenzfragen behaftet worden durch das Werk von Helmut Peukert, an dem sich eine internationale theologische Diskussion orientiert hat. Vgl. v.a. Peukert, H. (2009) Wissenschaftstheorie – Handlungstheorie – Fundamentale Theologie. Analysen zu Ansatz und Status theologischer Theoriebildung, Dritte Auflage, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 357–394. Peukert, H. (1992) „Enlightenment and theology as unfinished projects“, trans. P. Kenny, in Browning, D. S., Schüssler Fiorenza, F. (Hg.), Habermas, Modernity, and Public Theology, New York: Crossroad, S. 43–65. Ders. (2015) Bildung in gesellschaftlicher Transformation, hg. v. O. John, N. Mette, Paderborn: Ferdinand Schöningh.
11 Zum Beispiel in Habermas (2005) 150; Habermas, J. (2009) Kritik der Vernunft, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2009, S. 407.
12 Vgl. Jaspers, K. (1949) Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München: Piper, S. 19–42. – In seiner Einleitung über die Notwendigkeit einer Stellungsbestimmung des nachmetaphysischen Denkens zwischen Naturalismus und Religion erklärt Habermas: „Das nachmetaphysische Denken kann sich selbst nicht verstehen, wenn es nicht die religiösen Traditionen Seite an Seite mit der Metaphysik in die eigene Genealogie einbezieht. Unter dieser Prämisse wäre es unvernünftig, jene ‚starken‘ Traditionen gewissermassen als archaischen Rest beiseite zu schieben, statt den internen Zusammenhang aufzuklären, der diese mit den modernen Denkformen verbindet. Religiöse Überlieferungen leisten bis heute die Artikulation eines Bewusstseins von dem, was fehlt. Sie halten eine Sensibilität für Versagtes wach. Sie bewahrten die Dimensionen unseres gesellschaftlichen und persönlichen Zusammenlebens, in denen noch die Fortschritte der kulturellen und gesellschaftlichen Rationalisierung abgründige Zerstörungen angerichtet haben, vor dem Vergessen. Warum sollten sie nicht immer noch verschlüsselte semantische Potentiale enthalten, die, wenn sie nur in begründende Rede verwandelt und ihres profanen Wahrheitsgehaltes entbunden würden, eine inspirierende Kraft entfalten können?“ Habermas (2005) 13.
13 Habermas, J. (1988) Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 104–129.
14 Zum Beispiel: Habermas (2009) 404 und Habermas (2012) 325.
15 Vgl. u.a. Habermas (2005) 243.
16 Habermas (2005) 242.
17 Schleiermacher, F. (1960) Der christliche Glaube: Zweite Auflage von 1830/31 (= CG2), 2 Bde., hg. v. Martin Redeker, Berlin: De Gruyter, Bd. I, S. 14: „Die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaften ausmacht, ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewusstseins.“
18 CG2, §3.2, Anm., Bd. I, 17.
19 Habermas (2005) 242.
20 Habermas (2005) 241.
21 Habermas (2005) 241f.
22 Schleiermacher, F. (1984) Der christliche Glaube: Erste Auflage 1821/22, 2 Bde., hg. v. H. Peiter, Berlin/New York: De Gruyter = KGA 1/7.1.2), Bd. 1, S. 32. Die Unterschiede zwischen den Argumentationen der beiden Auflagen habe ich in Junker, M. (1990) Das Urbild des Gottesbewusstseins. Zur Entwicklung der Religionstheorie und Christologie Schleiermachers von der ersten zur zweiten Auflage der Glaubenslehre, Berlin/New York: De Gruyter, untersucht.
23 Habermas (2005) 242.
24 Pröpper, T. (2011) Theologische Anthropologie, Freiburg/Br.: Herder, Bd. I, S. 471: Die Selbsttätigkeit „hat ihre eigene Struktur nicht sich selbst gegeben, sondern fand sich in ihr schon vor. Es ist also diese Wesensverfassung der endlichen Freiheit selbst, die ein schlechthinniges Freiheitsgefühl ausschließt.“
25 Vgl. Habermas (2005) 243.
26 Habermas (2005) 246.
27 In diesem Punkt sowie möglicherweise in der Auffassung von „transzendental“ nur im Sinne der Verabschiedung einer ‚objektiven‘ Gotteserkenntnis stimmt Habermas’ Lesart mit der Wilhelm Diltheys überein, der allerdings die Diagnose der Weltabwendung nicht teilt. Dilthey sieht die Glaubenslehre in Kontinuität mit den ‚Reden‘, die versuchen, „im Zeitalter der Transzendentalphilosophie … für die religiösen Erscheinungen die Bedingungen in unserem Bewusstsein aufzusuchen“ (Dilthey, W. (1966) Leben Schleiermachers, hg. v. M. Redeker, Berlin: De Gruyter, Bd. II, S. 6). Unbeeindruckt von der Unterscheidung des Begründeten, der Welt, von ihrem Grund, Gott, in beiden Auflagen der Glaubenslehre resümiert Dilthey für die ‚Reden‘ und „späterhin“: „immer wird Gott und Welt als zusammengehörig und ewig unzertrennlich behandelt … Das religiöse Leben ist für Schleiermacher nicht ein Leben für sich; das Ewige und Göttliche kann man nach der Glaubenslehre nur am Endlichen und an der Welt haben. Gott ist für uns nicht bloß in der Spekulation, sondern auch in der Frömmigkeit von der Welt nicht zu trennen“ (S. 584ff.).
28 Vgl. Pröpper, T. (1991) Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte: Eine Skizze zur Soteriologie, Dritte Auflage, München: Kösel; Pröpper, T. (1988) „Schleiermachers Bestimmung des Christentums und der Erlösung. Zur Problematik der transzendental-anthropologischen Hermeneutik des Glaubens“, in Theologische Quartalschrift 168 (1988) S. 193–214; wieder abgedruckt in Pröpper, T. (2001) Evangelium und freie Vernunft: Konturen einer theologischen Hermeneutik, Freiburg/Br.: Herder, S. 129–152. Schaefer, S. (2002) Gottes Sein zur Welt. Schleiermachers Subjektanalyse in ihrer Prinzipienfunktion für Glaubenslehre und Dialektik, Regensburg: Friedrich Pustet. Essen, G. (2001) Die Freiheit Jesu. Der neuchalkedonische Enhypostasiebegriff im Horizont neuzeitlicher Subjekt- und Personphilosophie, Regensburg: Friedrich Pustet. Zu Wegbereitern dieser Entwicklung nach dem Hochmittelalter, bes. durch Duns Scotus, vgl. Striet, M. (2003) Offenbares Geheimnis? Zur Kritik der negativen Theologie, Regensburg: Friedrich Pustet, S. 126–146. Ansorge, D. (2009) Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes, Freiburg/Br.: Herder, S. 353–377.
29 Habermas (2005) 244.
30 Saskia Wendel ist über diese Zurückhaltung erstaunt und benennt zwei Punkte, an denen sie Habermas’ Kritik erwartet hätte: „Bezeichnenderweise nennt Habermas Schleiermacher (und mit ihm Kierkegaard) einen nachmetaphysischen Denker … Diese Kennzeichnung kann man angesichts der elaborierten Selbstbewusstseinstheorie, die Schleiermacher vorlegt, ebenso anfragen wie angesichts seines Verständnisses des Absoluten bzw. des ‚transzendenten Grundes‘, von dem sich das Ich abhängig fühlt, ganz zu schweigen von der auch von Schleiermacher bevorzugten transzendentalen Methode. Es kommt hinzu, dass Habermas offenbar zwei Probleme des Schleiermacher’schen Religionsbegriffs entweder nicht als Problem sieht (was gerade im Blick auf seine Metaphysikkritik verwundert) oder nicht als solche benennt: die Verschränkung von Selbstund Gottesbewusstsein im Abhängigkeitsgefühl und die damit behauptete Unmittelbarkeit der Gotteserkenntnis sowie die Unterbestimmung der Freiheit in der Unterordnung des Freiheitsunter das Abhängigkeitsgefühl.“ Wendel, S. (2009) „Die religiöse Selbst- und Weltdeutung des bewussten Daseins und ihre Bedeutung für eine ‚moderne Religion‘. Was der ‚Postmetaphysiker‘ Habermas über Religion nicht zu denken wagt“, in Schmidt, T., Wenzel, K. (Hg.), Moderne Religion? Theologische und religionsphilosophische Reaktionen auf Jürgen Habermas, Freiburg/Br.: Herder, S. 225–265, hier: S. 247, Anm. 36.
31 Cramer, K. (1985) „Die subjektivitätstheoretischen Prämissen von Schleiermachers Bestimmung des religiösen Bewusstseins“, in Lange, D. (Hg.) Friedrich Schleiermacher 1768–1834. Theologe – Philosoph – Pädagoge, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 129–162, hier: S. 162.
32 Cramer (1985) 153f.
33 Cramer (1985) 156.
34 Cramer (1985) 157.
35 Cramer (1985) 159.
36 Pröpper (2011) I, 474f.
37 Bretschneider, K. G. (1825) „Ueber das Princip der christlichen Glaubenslehre des Herrn Prof. Dr. Schleiermacher“ in Journal für Prediger 66, S. 1–28, hier: S. 22f.; wieder abgedruckt in KGA 1/7.3, S. 369–383, hier: 379f.
38 Pröpper (2011) Bd. I, 478: „Bedenken jedoch erheben sich gegenüber … der Setzung Gottes als des Woher der sonst in der Faktizität ihres Daseins nicht begründbaren Freiheit. Schleiermacher tut diesen Schritt, obwohl er sich völlig klar ist, dass er mit ihm über alles durch irgendein Wissen zu Sicherndes hinauszielt. Welchen Status also hat diese Setzung? Eine Erkenntnis ist sie ja eindeutig nicht. Es ist vielmehr das Bedürfnis nach absoluter Begründung, das Schleiermacher zur Setzung Gottes veranlasst … Bei Schleiermacher wird dieser Anteil der optierenden Freiheit bei der Setzung Gottes freilich dadurch verdeckt, dass er sie als unmittelbares Bewusstsein bezeichnet und derart ihre Unausweichlichkeit insinuiert. Doch wird auf diese Weise lediglich verschleiert, dass sie sehr wohl (auch bei ihm selbst) eine vermittelte ist: vermittelt nämlich durch die Negation schlechthinniger Freiheit, durch die Einsicht der Freiheit bzw. freien Vernunft selbst also in die abgründige Kontingenz ihres Daseins. Dies aber ist und bleibt ein höchst ambivalenter Befund, der durchaus noch entgegengesetzte Deutungen zulässt … Heidegger und Sartre … Camus … Auch Kierkegaard, der für den Glauben optierte, sah an dieser Stelle die Freiheit zu ihrem eigenen unvertretbaren Wagnis gefordert.“
39 Habermas (2005) 244.
40 Habermas (2005) 244; vgl. Habermas (2001) 17.
41 Habermas (2005) 244.
42 Vgl. u.a. Fischer, H. (1963) Subjektivität und Sünde. Kierkegaards Begriff der Sünde mit ständiger Rücksicht auf Schleiermachers Lehre von der Sünde, Itzehoe: Die Spur. Bongardt, M. (1995) Der Widerstand der Freiheit. Eine transzendentaldialogische Aneignung der Angstanalysen Kierkegaards, Freiburg: Knecht.
43 Habermas (2005) 246.
44 Habermas (2005) 243.
45 Habermas (2012) 150.
46 Habermas (2012) 150.
47 Habermas (2012) 152 mit Zitaten aus Kierkegaard, S. (1984) Furcht und Zittern, übersetzt von L. Richter, Frankfurt/M.: Syndikat, S. 61ff.
48 Habermas (2012) 152f.
49 Habermas (2001) 17.
50 Habermas (2012) 315–319.
51 Habermas (2005) 240.
52 Vgl. Matthias Gockels Erörterung seines Eintretens für die apokatastasis panton, die Allversöhnung, in Gockel, M. (2006) Barth and Schleiermacher on the Doctrine of Election, Oxford: Oxford University Press, S. 30–36.
53 Habermas (2005) 243.
54 Der Debatte darüber, wie Theologie als Universitätsfach zu begründen ist, bin ich nachgegangen in Junker-Kenny, M. (2015) „Reconceiving theology at the university after the modern turn to subjectivity: Schleiermacher’s proposal 200 years after its first publication“, in O’Grady, J., Higgins, C., Fernando, J. L. (Hg.) Mining Truths: Festschrift Geraldine Smyth, St. Ottilien: EOS, S. 515–536.
55 In Pröpper (2011), II, 765, stellt er Habermas deshalb die Frage: „Und warum überhaupt soll gerade das der Vernunft völlig Entzogene (statt etwa nur das in seiner Freiheit ihr Unverfügbare) Potentiale für sie bergen?“
56 Duns Scotus, Opus Oxoniense, III d. 32 q. 1 n. 6. Vgl. Striet, M. (2007) „Grenzen der Übersetzbarkeit. Theologische Annäherungen an J. Habermas“, in Langthaler, R., Nagl-Docekal, H. (Hg.), Glauben und Wissen. Ein Symposium mit J. Habermas, Wien/Berlin: Oldenbourg, S. 259–282, hier: S. 268.