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II. Geschichte

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Als die Erforschung der Exilliteratur Ende der 1960er Jahre arg verspätet und im Zuge einer ohnehin sich grundlegend reformierenden Germanistik in der Bundesrepublik einsetzt, geht es zunächst vor allem um eine Bestandsaufnahme. Viele Autoren, die heute wie selbstverständlich zu den kanonischen Vertretern der Literatur des 20. Jahrhunderts gezählt werden oder sich im Gegenteil bereits wieder auf dem Weg in ein zweites Vergessen befinden, werden in diesen letzten 1960er und den 1970er Jahren ‚wiederentdeckt‘. Es gilt, Dokumente zusammenzutragen, zu sichten und in Archiven zu sammeln; erste Werkeditionen werden erstellt; die Verlage reagieren mit erschwinglichen Taschenbuchausgaben auf den sich steigernden Lesebedarf und die sich ändernden schulischen Lehrpläne;21 neben den ohnehin (und nicht vorrangig in Exilkontexten) präsenten Namen wie Thomas Mann, Bertolt Brecht, Alfred Döblin oder Hermann Broch, rücken nun auch die bisher eher am Rande beachteten Schriftsteller, etwa Irmgard Keun, Hans Sahl oder Hermann Kesten, sowie „die damals im Westen weitgehend vergessenen Autoren Anna Seghers, Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig“ erneut in das Bewusstsein.22

Bis heute zwar schlüssig, keinesfalls aber eindeutig zu bestimmen ist dabei, aus welchen Gründen diese erste extensivere (westdeutsche) Exilforschung mit einer Verspätung von immerhin fast einem Vierteljahrhundert beginnt und warum z.B. der schon 1946 in der Schweiz publizierte erste Band von Walter A. Berendsohns „Einführung in die deutsche Emigranten-Literatur“,23 die 1947 von Richard Drews und Alfred Kantorowicz herausgegebene Anthologie „Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt“24 oder Franz Carl Weiskopfs „Abriß der deutschen Literatur im Exil 1933–1947“25 von 1948 einen nur sehr zögerlichen Nachhall fanden. Zwar ist „die Verdrängungsmentalität der Deutschen, der Täter- und Mitläufergeneration der jüngsten Verbrechen in beiden Nachkriegsstaaten, der BRD und der DDR“, die „lange Zeit eine ernsthafte Beschäftigung“26 mit der unmittelbaren Vergangenheit verhinderte, hier immer wieder als Hauptgrund genannt worden. Schon Hans-Albert Walter jedoch hat 1972 in dem ersten Band seiner (bis heute unabgeschlossenen) „Deutschen Exilliteratur 1933–1950“ darauf verwiesen, dass die Hintergründe differenzierter zu betrachten und auch andere Faktoren in Rechnung zu stellen seien.27

So wichtig die ab den späten 1960er Jahren einsetzende Grundlagenarbeit auf der einen Seite ist, so mehren sich doch anderseits bald Stimmen, die vor „Materialschlachten“ warnen.28 Volker Klotz gibt schon 1969 auf dem ersten Exilliteratur-Symposium in Stockholm zu bedenken, die Gefahr sei groß, „ins Blaue hinein zu sammeln“, drei Jahre später stellt Werner Berthold im Rahmen des Folgesymposiums in Kopenhagen fest: „Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, wo man an der Fülle des Materials erstickt.“29 Bereits in ihren Anfängen also steht die Literaturwissenschaft auch in dieser Hinsicht vor komplexen Fragestellungen der Wertung und (notwendigen) Selektion. Nicht allein, aber doch vielleicht entscheidend hat diese nachträgliche und wohl auch deshalb umso gründlichere Sammeltätigkeit dazu beigetragen, dass sich die Exilliteraturforschung spätestens etwa seit Mitte der 1980er Jahre in ihrer ersten, auch mehrfach selbstbekundeten Krise befindet. Nun – so haben manche Wissenschaftler in jenen Jahren nicht ohne Ironie angemerkt – da der vermeintlich „letzte Nachlaß wohlgeordnet im Marbacher Literaturarchiv untergebracht und alles Übrige bibliographisch erfaßt“30 sei, könne das „Forschungsprojekt ‚Literatur des Exils‘“ als „so gut wie abgeschlossen“ betrachtet werden, „seine Resultate, die für durchaus achtbar gehalten werden“ könnten, stünden gleichsam selbst „zur Archivierung an“.31

Zeitgleich nimmt nicht nur „der Einfluß der Exilliteratur auf dem Buchmarkt, die Bedeutung der Exilforschung an den Hochschulen“ ab.32 Vermehrt kritisch betrachtet werden nun auch die Voraussetzungen einer Forschung, die – parallel zu der „Geschichtlichkeit der literarischen Werke“, mit denen sie sich beschäftigt – die eigene, „Geschichtsgebundenheit“, also die „der wissenschaftlichen Interpreten“33 offenlegt und hinterfragt. Die über lange Zeit prägende Vorstellung vom ‚anderen‘ oder gar ‚besseren Deutschland‘, das die Exilanten per se verkörperten (die nicht nur insofern problematisch ist, als sie unweigerlich einen „Diskurs des Nationalen – wenn auch mit anderen Vorzeichen“34 fortführt und dem europäischen bis weltbürgerlichen Selbstverständnis vieler exilierter Schriftsteller ohnehin widerspricht), ist im Zuge dieser kritischen Revisionen ebenso verabschiedet worden wie das „politisch-moralische[] Einheitskriterium[]“, das alle Exilliteratur unterschiedslos „zur littérature engagée gegen die nationalsozialistische Barbarei“35 erklären wollte.36 Ebenfalls revidiert worden ist die Auffassung, die Exilanten schrieben notwendigerweise „mit dem Blick nach Deutschland“,37 während in den vergangenen Jahrzehnten stattdessen vermehrt Phänomene der Akkulturation, also diejenigen der Integration der Exilierten in ihren jeweiligen Aufenthaltsländern betrachtet worden sind.38 Stück nach Stück wurden so die „Mythen der Exilforschung“39 als ebensolche benannt und entzaubert. War die Exilliteraturforschung also vielleicht schon am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem „obsoleten Gegenstand“ geworden, dessen erste „Aufarbeitung zeig[t]e, daß das Thema von nur begrenztem und nunmehr erschöpftem Interesse“40 war?

Die deutsche Exilliteratur 1933 bis 1945

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