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REINHARD K. SPRENGER

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Stellen Sie sich vor, Sie sind gestorben. Ich weiß, kein guter Einstieg für einen Einstiegstext. Seien Sie bitte nachsichtig. Sie kommen also vor die Himmelspforte. Petrus bittet Sie freundlich herein und eröffnet Ihnen, Sie hätten die Wahl – zwischen Himmel und Hölle. Sie dürften auch jeweils ein Schnupperwochenende verbringen. Sie sind überrascht, hocherfreut, und entscheiden sich, zuerst mit dem Fahrstuhl in die Hölle zu fahren. Zu ihrer Überraschung betreten Sie eine Landschaft, wie sie liebreizender nicht sein könnte: ein milder Himmel, Sonnenschein, grüne, weich geschwungene Hügel, ein lichtfunkelnder See, lauer Wind bläht die Segel der Boote. Sie treffen längst vergessene Kolleginnen und Kollegen wieder; die scheinen ein Fest nach dem anderen zu feiern. Jeder treibt seinen Lieblingssport, isst seine Lieblingsmahlzeit, liest seine Lieblingszeitung, tut grundsätzlich das, was er am liebsten mag. Auf einem Schild lesen Sie: „Jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Vollendete Gerechtigkeit. Man kann auch kommen und gehen, wann man will. Der Höllen-Teufel entpuppt sich als wahrer Gentleman, freundlich und beflissen … Sie sind tief beeindruckt. Aber Sie wollen noch die Alternative prüfen. Also fahren Sie mit dem Fahrstuhl nach oben, in den Himmel. Ähnliche Makellosigkeit: Milch und Honig fließen, es duftet nach Tulpen und Narzissen, die Luft erzittert von Schalmeien, gebratene Tauben fliegen Ihnen direkt in den Mund, goldgelockte Engel lesen Ihnen jeden Wunsch von den Lippen ab. Alles ist sanft, friedlich, einladend. Auch hier können Sie kommen und gehen, wann und wohin Sie wollen. Allein – Sie müssen dem biblischen Segensfluch folgen: sich entscheiden. Das Leben im Himmel erscheint Ihnen mehr als nur lebenswert, auf Dauer jedoch etwas langweilig. Zu Petrus gewandt wählen Sie deshalb ohne Zögern die Hölle: „Da kenne ich ohnehin mehr Leute.“ „In Ordnung“, nickt Petrus, schiebt Sie in den Fahrstuhl und ab geht‘s nach unten. Der Fahrstuhl hält, die Türen öffnen sich, sie treten voll freudiger Erwartung heraus ... und werden von Stahlzangen gepackt, emporgerissen, durchgeschüttelt und über ein Feuerrost gehalten. Die Luft ist glühend heiß und erfüllt von Heulen und Zähneknirschen. Sie sehen Ihre Kolleginnen und Kollegen in Reih und Glied auf dem Feuerrost liegen, man kann sie kaum auseinanderhalten, alle gleich groß, alle gleich lang, nur durch Nummern unterschieden. Überall Feuerstellen, auf denen Menschenkaskaden schmoren. „Moment mal“, wenden Sie sich protestierend an den Teufel, der sich plötzlich als widerwärtiger Beelzebub herausstellt, „das sah doch hier vorher ganz anders aus!“ „Ja schon“, antwortet der Teufel, „aber damals waren Sie Bewerber – jetzt sind Sie Personal.“

Individualität und Personal, Mensch und Organisation – das ist seit jeher spannungsvoll. Immer neue Balancen werden beschrieben zwischen der Einsicht, dass Zwang, Kontrolle und Anpassung wohl unvermeidlich sind, andererseits der Mensch sich dagegen wehrt, zum Kollektivsingular „Personal“ zu zählen. Daher die Fragen: Warum ist Zwang nötig, von wem und wie darf er ausgeübt werden, wie weit darf er gehen, und schließlich, wie kann er zurückgedrängt werden, wenn er kontraproduktiv zu werden droht?

Als Unzuverlässigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist das Problem lange bekannt. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind jedoch mehrere Individualisierungswellen über unsere Gesellschaft hinweggespült und haben eine veränderte Landschaft hinterlassen. Wir haben uns vom Wir zum Ich bewegt, von der Kontinuität zum Wandel. Die Menschen sind heute besser ausgebildet, mit größeren Freiräumen aufgewachsen und vor allem unter den Bedingungen verinnerlichter Demokratie groß geworden. Wenn dem modernen Menschen an etwas gelegen ist, dann an seiner Individualität. Auch wenn es, wie bei den identitären Bewegungen, nur die Individualität von Gruppenwesen ist.

Da trifft es sich gut, dass das, was heute das wirtschaftliche Überleben sichert, wiederum nur vom Individuum ausgehen kann. Kreativität, Selbstverantwortung, Unternehmertum – ohne den subjektiven Einzelnen ist das nicht zu haben. Nur die singuläre Person kann initiativ sein, von der passiven Sorgfaltspflicht in die aktive Verantwortung gehen, welche Gewohnheit, Routine und anachronistische Stellenbeschreibung überschreitet. Bis hin zu einer loyalen Reparaturintelligenz von unten – nicht auszudenken, wenn alles ernst genommen würde, was von der Hierarchie auf die einzelne Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter heruntergeschüttet wird.

Die notwendige Aufwertung des Individuellen prallt jedoch in der Regel gegen Management- und Organisationsformen, die vor rund 150 Jahren eingeführt wurden und deren Stoßgebete nur einen Refrain haben: „Ordnung, Ordnung über alles!“ Der Manager interagiert sozusagen mit seiner Verdopplung nach außen, wodurch die Organisation gleichsam die Wir-Form des eigenen Ichs annimmt. Dagegen rebellieren alle individuellen Reflexe. Diese Spannung ist zu spüren in den Anstrengungen zum „Change Management“, in den Klagen über flächendeckende Demotivationslagen, dem Scheitern immer neuer Managementmoden, in der Suche nach Wegen, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, in der Debatte über „Glasdecken“ und „work-life-balance“, in dem geistlosen Geschwurbel über „purpose“. Verschärft wird die Situation durch das Wegbrechen der Karriereleiter, die früher Organisation und Individuum innig verband.

Was also tun? Wie wecke ich, so fragen Führungskräfte, bei möglichst vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Unternehmergeist? Wie kann ich die individuellen Ziele der Menschen zum Gelingen des Ganzen transformieren? Kann ich der Leistungsbereitschaft der Menschen vertrauen? Wie verträgt sich Individualität mit Organisation? Wie Ausnahme mit Regel? Wie eigene Einsicht mit Hierarchie?

Die Antwort Götz W. Werners lautet: Fluchtverhinderungsscharfsinn funktioniert nicht! Zitat: „Gemeinschaftsleistungen kommen nicht dadurch zu Stande, dass man die einzelnen Menschen durch Gebote, Strukturen oder Regeln im Zaume hält, sondern durch eine weitgehende Entfaltung der individuellen Kräfte.“ Dem entsprechen Werners zentrale Denkfiguren: Verbeuge Dich vor der Individualität, der Unverstehbarkeit des Einzelnen. Sei beständig aufmerksam. Vertraue der Entwicklungsbereitschaft und -fähigkeit des Menschen. Diese Perspektive verdankt sich einer geistigen Wurzel, die ich mit ihm teile: Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“.

Bei Steiner findet sich auch die Grundfrage aller Führungslehren, die zu beantworten viele Detailfragen quasiautomatisch erledigt: Wie schaue ich den anderen an? Ist er ein Erwachsener - oder ein Kind? Ist er mündig – oder eine Therapiefall? Ist er auf der Welt, um hinter meinen Zielen her zu rennen – oder hat er Ziele, die mit meinen abzugleichen sind? Ist er ein zu veränderndes Artefakt, oder ist er anzuerkennen, so wie er ist? Ist er ein Mängelwesen – oder ist er unmittelbar zur Schöpfung genauso in Ordnung wie ich? Bei Steiner findet sich auch die fundamentale Erkenntnis (die sich heute als „Konstruktivismus“ modisch aufschäumt): Erkenntnis ist nicht wirklichkeits-abbildend, sondern wirklichkeits-erzeugend. Und so lässt sich Werners Wirken auch als pragmatische Wendung der 11. Feuerbach-These Marxens interpretieren: Die Manager haben die Welt nur verändert; es kommt darauf an, sie verschieden zu interpretieren.

Das hat Konsequenzen für die Mitarbeiterführung. Denn Führung, die sich auf individuelle Einzelne, auf Erwachsene bezieht, schaltet den anderen nicht gleich, benutzt ihn nicht als Mittel zum Zweck. Diese Sichtweise erlaubt nur eine Denk- und Sprachgeste: den Dialog. Dialog, der Neugier, wirkliches „inter-esse“ (lat. dazwischen sein) voraussetzt und damit die Welt erweitert, ja überhaupt erst entstehen lässt. Nicht das instrumentalisierte jährliche Mitarbeitergespräch, nicht die Leistungsbeurteilung, nicht die Zielvereinbarung, nein, das Gespräch in Permanenz. Das Gespräch als Begegnung von Erwachsenen. Offen, fair und radikal subjektiv. Klarer, direkter Austausch, Begegnung von Leistungs-Partnern.

Zielvereinbarungen – das war Werner schon früh klar – sind misstrauensgeboren. Und das erzeugt wiederum Misstrauen und Kontrollumgehung. Diesen Zusammenhang verdeutlicht er gerne an der Geschichte von dem Schiffsjungen, der beauftragt wird, jeden Morgen dem Kapitän eine Tasse Kaffee auf die Brücke zu bringen. Am ersten Tag fragt der Koch den Jungen: „Na, hat‘s geklappt?“ „Nein, ich wurde gescholten, weil der Kaffee übergeschwappt war. Ist ja auch kein Wunder bei Windstärke 8.“ „Dann mach‘ doch die Tasse nur halb voll“ rät der Koch. Gesagt, getan. „Na, wie war‘s diesmal?“ fragt der Koch am nächsten Morgen. „Wieder Ärger“, antwortete der Junge, „weil die Tasse nur halb voll war.“ „Dann fällt mir auch nichts mehr ein“ versetzt der Koch ratlos. Am nächsten Morgen aber erzählt ein vergnügter Schiffsjunge dem Koch: „Heute alles super, ich habe die Tasse voll gemacht, einen großen Schluck abgetrunken, bin zur Brücke gegangen, hab‘s wieder reingespuckt – und der Kapitän war glücklich!“ Der ganze Widersinn der Ziele in einer Nussschale.

Menschen sind für Werner keine Zielerfüllungsgehilfen – deshalb gibt es keine Incentives, keine Boni und keine Anreizsysteme. Denn einer dialogischen Führung geht es nicht darum, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf fremdgesetzte Logik und Jetztweltabschaffung einzuschwören. Einer dialogischen Führung geht es auch nicht darum, die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter zu ändern. Führungskräfte haben dann weder einen Erziehungsnoch einen Therapievertrag. Es geht um Beziehung, nicht Behandlung. Die Führungskraft muss frei sein, ihre quasitherapeutische Attitüde über Bord zu werfen und das Anderssein des Anderen anzuerkennen. Das wird ihr nicht gelingen, wenn sie meint, „Patientinnen“ und „Patienten“ vor sich zu haben. Wenn Führung, dann Führung zur Selbstführung. Wenn Entwicklung, dann Selbstentwicklung (und Vertrauen in die Kräfte der Selbstentwicklung). Das kennzeichnet das Führungsverständnis von Götz W. Werner.

Wie man das konkret unterstützen kann, zeigt ein Bericht der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung aus meiner Heimat, dem Ruhrgebiet: „Auszubildende führen eine Drogerie-Filiale“ ist dort zu lesen. „In der Herner Fußgängerzone übernehmen ehemalige Auszubildende für vier Wochen die Leitung des dmdrogerie marktes. Die jüngste ist gerade 19 Jahre alt.“ Das ist angewandtes Vertrauen. Das ist nicht Reden, das ist Handeln.

Wie aber passen personenbezogenen Förderung und Ergebniserfordernis zusammen? Die komprimierte Antwort von Götz W. Werner lautet: „Kümmere dich um die Menschen, dann kümmern sich die Ergebnisse um sich selbst.“ Ein Satz wie in Stein gemeißelt. Werners Denken – das wird von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer wieder bestätigt – kreist fortwährend um den einzelnen Menschen, nicht um das Geld. Jemand hat mal geschrieben und ich zitiere es gerne, Werner sei gleichsam der kapitalistische Gegenentwurf zu Dagobert Duck.

Ein Beispiel: Unter der Flagge der Kundenorientierung segelt in den meisten Unternehmen ein Disziplinierungsdiskurs, den sich das Unternehmen strukturell nicht mehr zutraut und deshalb an die Kundinnen und Kunden externalisiert. Ganz anders Werner. Man könne den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch so viel über Kundenorientierung predigen oder strenge Regeln einführen; wahre Kundenorientierung, die nicht zur hohlen Phrase gerinnt, fände nur statt, wenn die Arbeit in einem Unternehmen darauf strukturell – ich betone: strukturell! – angelegt ist. Wenn die einzelne Mitarbeiterin und der einzelne Mitarbeiter die Zuwendung an die Kundinnen und Kunden persönlich erlebt und als Erfordernis ansieht. Dann hat er einen konkreten Anlass, sich tatsächlich dem Kunden zuzuwenden. Eines meiner Lieblings-Zitate: „Wer wahrnehmen kann, dass die Kunden ihn brauchen, kann lernen, wie er diesem Erfordernis am besten entspricht.“ Wichtig ist – dem braucht man es nicht zu sagen, der kann es selbst herausfinden. Das korrespondiert mit meiner Erfahrung: Kluge Menschen haben in dummen Organisationen keine Chance.

Geradezu sprichwörtlich ist Werners langer Atem, die Geduld, mit Irrungen und Wirrungen umzugehen, Angst vor der Verantwortung langsam abzubauen, die kleinen und schließlich immer größeren Erfolge zu genießen. Bei Werners dm-drogerie markt ist mir klar geworden, was ich seinerzeit bei Rudolf Steiner nicht sofort verstand: dass alles, was langfristig funktionieren soll, nicht von einem vorgegebenen Ziel gezogen werden kann, sondern aus einer geistigen Wurzel wachsen muss.

Mit Steiner glaubt Werner auch nicht, dass wir in zwei Welten leben müssen, die von unterschiedlichen Moralregeln geprägt sind. Er glaubt nicht, dass die Regeln und Werte der kleinen, warmen und persönlichen Gemeinschaften – Familien, Sippe, Freundesgruppen – sich fundamental von den Regeln und Werten der abstrakten, kalten und arbeitsteiligen Systeme unterscheiden müssen. An diesem Punkt, das sei mir gestattet, bleibe ich allerdings skeptisch.

Welche Fähigkeit braucht das Dialogische? Natürlich das „Sich-zurücknehmen“. Und welche Instrumente? Nur eins: Das Führungselement der „Empfehlung“. Eine Empfehlung im Wortsinne, die nach einem Beratungsprozess sich nicht in die scheinsichere „Vereinbarung“ flüchtet, sondern es offen lässt, wie der Empfehlungsempfänger letztlich handelt. Ein halsbrecherischer Balanceakt gelebter Freiheit. Herausfordernd, unbequem und unter den Bedingungen von Macht voller Paradoxien. Zu nahe liegen „Empfehlungen“ nach Erlkönig-Art: „Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.“ Hier hat Götz W. Werners Führungsdenken die provokative Schärfe, die er der organisierten Kleintierzüchtung in vielen Unternehmen entgegen schleudert.

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Für viele Menschen ist dieser Satz Basis ihres Menschenbildes. In einem Unternehmen, das auf die Herausforderung der kreativen Kräfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zielt, wird eher Freiherr vom Stein zitiert: „Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Vormundschaft hemmt sein Reifen.“ Worin kann die Aufgabe einer zutrauenden Wirtschaftsgestaltung bestehen? Die Antwort Werners: „Ein Unternehmen zu gestalten, das den Menschen von weisungsgebundener Arbeit unabhängig macht. Indem man ihnen Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Gelegenheit für gemeinsames unternehmerisches Handeln schafft – das ist das Ziel.“

Nun sagt der chinesische Philosoph und Begründer des Daoismus Lao-Tse im 6. Jahrhundert v. Chr.: „Wahre Worte sind nicht schön, und schöne Worte sind nicht wahr.“ Das stimmt kaum im Falle Götz W. Werners. Das Vertrauen in den Menschen, das Ernstnehmen der Selbstbestimmung und entsprechend dialogische Führung als Praxis, nicht als Hochglanzgeraune – bei Götz W. Werner ist das erlebbar. Nichts Aufgesetztes, kein Lippenbekenntnis, keine nur oral existierende Unternehmenskultur. Zwar ein work in progress, man kommt nie an, hat es nie erreicht. Aber immer nach der Maxime: Tue das, was möglich ist, statt darüber zu klagen, dass manches unmöglich ist.

Übertragbar? Da mischen sich in mir Wunsch und Zweifel. Kann ein Ausnahme-Unternehmer mit einem Ausnahme-Unternehmen ein Modellfall sein? Einerseits wünsche ich vielen Menschen ein solches Arbeitsklima, andererseits weist Werner immer wieder auf die langen Entwicklungslinien hin. Das ist ja gerade das Dilemma der Managementtheorie – sie ist kontextblind. Sie hat keinen Blick für die konkreten Umstände, für Traditionen, Reifegrade, Herkünfte, Lokales – im Jargon heißt das „Pfadabhängigkeit“. Irritationsfest hält sie am Mythos der Steuerbarkeit komplexer sozialer Strukturen fest. Und will nicht wissen, dass der Vorrat gemeinsamer Wertvorstellungen selbst innerhalb von sogenannten „starken“ Unternehmenskulturen eine Schimäre ist, jedenfalls erheblich kleiner, als die Fallgeschichten immer illustrieren wollen. Und dass der Transfer in andere Kontexte äußerst problematisch ist. Kurz: Es gibt sie nicht, die „Erfolgskultur“. Tatsächlich gibt es nur eine goldene Regel: Es gibt keine goldene Regel. Weder für Unternehmenskulturen noch für Führungsverhalten. Und wenn es sie gäbe, ich würde raten, ihr nicht zu folgen.

Dass es keine Lehren gibt – kann uns das etwas lehren? Sicher dies: Es geht für den wirtschaftlichen Erfolg nicht vorrangig darum, welche Werte wir leben, ob wir diese oder jene normative Orientierung vorziehen. Sondern ob wir sie konsistent verfolgen. Stetig sind. Glaubwürdig. Ist das enttäuschend? Ja, natürlich. Aber der Philosoph und Hermeneutiker Hans-Georg Gadamer hat uns gezeigt, dass Erkenntnisgewinn immer auf Enttäuschung beruht. Erwartungen werden durchkreuzt. Um eine Erfahrung reicher heißt um eine Gewissheit ärmer. Das ist aber nicht zu betrauern, sondern ist etwas Schönes: Wir täuschen uns nicht mehr. Wir können wieder wählen. Niemand kann sich auf den „richtigen“ Weg berufen. Niemand kann uns eine Vorgehensweise als „zwingend“ verkaufen. Schon gar nicht, wie in pandemischen Zeiten, als „alternativlos“.

Der dm-drogerie markt ist seit Jahren überaus erfolgreich. Allein in Deutschland und im Geschäftsjahr 2019/20: Über 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, über 2.000 Filialen, rund 8,54 Mrd. Euro Umsatz. Immer unter den größten Arbeitsplatzbeschaffern. Und keinem Unternehmen gelingt es offenbar besser, Mehrfachkundinnen und -kunden zu Stammkunden zu konvertieren. In einem Meer von Skepsis und scheinbarem Sachzwang zeigt uns Götz W. Werner, wie wir vom Gegeneinander übers Miteinander zum Füreinander kommen können. Und das Arbeit nur als Arbeit für andere als sinnvoll und motivierend erlebt wird.

Andere Unternehmen sind auf andere Weise erfolgreich. Was immer aber die Erfolgsgeschichten uns so oder anders versprechen, was und wer immer uns zum Hinterherlaufen einlädt, und was immer auch der „one best way“ zu sein scheint – Götz W. Werners dm-drogerie markt ist ein Leuchtturm des Möglichen, das unnachgiebig erfolgreiche Gegen-Beispiel.

Das ist Werners Geschenk an uns alle. Er kommt aus der Philosophie der Freiheit – und mit seinem Erfolg erzeugt er wiederum Freiheit. Sein wirtschaftlicher Erfolg ist ein Stachel im Fleisch des herrschenden Zynismus, des „Nur so geht es“. Nein, es geht auch anders. Werners Erfolg zeigt uns: Wir können wählen, wie wir leben wollen.

Mit Vertrauen führen

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