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Jesus lehrt die Menschen, die Treppe zu putzen

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Es war einmal in Island ein vorbildlich muschelsandverputztes Mehrfamilienhaus. Darin besaß jeder Ehemann gemeinsam mit seiner Frau eine mittelgroße Eigentumswohnung, doch selbstverständlich war der Besitz im Grundbuch auf seinen Namen eingetragen. Die Bewohner waren prächtig farblose Leute und paßten gut zueinander, abgesehen davon, daß sie recht wenig an das Gemeineigentum dachten und am allerwenigsten daran, abwechselnd für die Treppenhausreinigung zu sorgen. Ja, es hatte geradezu den Anschein, als wäre es ihnen vollkommen unmöglich, zu einer einfachen Übereinkunft zu kommen, daß etwa aus jeder Wohnung wöchentlich oder wenigstens einmal im Monat jemand die Treppe von seiner Wohnungstür bis zum nächsten Absatz wischte, obwohl man doch annehmen sollte, daß nichts einfacher wäre, sofern man im Leben nur Aufnehmer und Putzeimer besaß. Nicht einmal einen Schrubber brauchte man für die wenigen Stufen und das bißchen Bodenwischen.

Sobald man jedoch in Rechnung stellt, was für Leute in dem Haus wohnten und welche gesellschaftliche Stellung manche von ihnen einnahmen, versteht man diese Nachlässigkeit sogleich besser, und auch, daß jeder, je nach Bildungsstand und Gemütsverfassung, vor allem an sich selbst dachte und nicht an den Reinheitszustand der Treppe. Alle taten so, als würden sie den Schmutz im Treppenhaus gar nicht bemerken, wenn sie sich dort einmal begegneten – was jedoch eher selten vorkam. Sie konnten es nämlich durch die stillschweigende Übereinkunft, daß jeder, der seine Wohnung verließ, zuerst die eigene Wohnungstür und dann die Haustür kräftig ins Schloß warf, vermeiden, sich im Treppenhaus über den Weg zu laufen. Auf diese Weise wurde vernehmlich bekundet, daß die Luft rein und es dem Nächsten möglich war, den Hausflur zu betreten, ohne Gefahr zu laufen, dort auf jemanden zu stoßen. Irgendwie hatte sich diese praktische Lösung von allein eingespielt, denn ursprünglich mußte man natürlich schon damit rechnen, daß einmal Leute zur gleichen Zeit aus dem Haus gehen wollten. Doch um der Peinlichkeit einer unerwarteten Begegnung in einem ungeputzten Treppenhaus zu entgehen, lauschten alle zuvor auf den Flur hinaus, und wenn sie hinter der Tür etwas hörten, warteten sie den ersten Türenschlag und dann das Knallen der Haustür ab. Nach einer Anstandsminute ging der Betreffende selber los und knallte ebenso wohlwollend die Türen hinter sich zu, um dem auf ihn Folgenden den Weg zu ebnen. Auf diese Weise war oft etwas Unruhe im Haus.

Gleichwohl war es nicht dieses Versteckspiel, was der Reinlichkeit am meisten im Wege stand. Vielmehr lebten in jeder Wohnung Leute, die sich jeweils für ganz besondere Menschen hielten und überaus auf ihre Respektabilität bedacht waren, immerhin waren sie allesamt Nachfahren alter Norwegerkönige und konnten sich nicht alles bieten lassen, am allerwenigsten aber die Zumutung, mit einem Putzlappen in der Hand auf den Knien herumzurutschen.

Im Erdgeschoß rechts lebte eine alte Dame, die so hinfällig geworden war, daß sie wirklich nicht mehr die Belastung auf sich nehmen konnte, sich zum Putzen zu bücken. Sie besaß ein ärztliches Attest, das besagte, sie dürfe außer zu krankengymnastischen Zwecken keinerlei Beugebewegungen machen. Von daher verbot es sich geradezu, daß sie etwa für den Mann auf der gleichen Etage gegenüber den Absatz reinigte. Für ihn seinerseits wäre es eine natürlich theoretisch denkbare, in der Praxis aber vollkommen ausgeschlossene Möglichkeit gewesen, selbst einmal die Treppenhausreinigung zu übernehmen, und das nicht einmal, wenn man ihm kostenlos Gummihandschuhe zur Verfügung gestellt hätte; denn er war Pianist und daher mit derart empfindlichen, feingliedrigen Händen ausgestattet, daß er weder die Nocturnen noch die Etüden Chopins bis in den frühen Morgen hätte üben können, hätte er den Parkettfußboden in seiner Wohnung oder gar das Treppenhaus wischen müssen. Dafür war seine Mutter ständig zeternd um ihn, nur damit sie am Ende in respektabler Rage heimgehen und ihren Mann dafür zur Schnecke machen konnte, daß er zu Hause nie mit anfaßte, obwohl sie sich darin aufrieb, bei ihren über die ganze Stadt verteilten Kindern sauberzumachen.

In der Wohnung über der rückenkranken alten Dame wohnte ein junger Medizinstudent, und selbstredend waren seine Hände so vor Bakterien zu schützen, daß er nicht einmal daran denken durfte, den Boden zu scheuern. Hätte er es dennoch einmal gewagt, dann hätte er zweifellos gleich derart viele Keime und Pilze in das Krankenhaus, in dem er arbeitete, eingeschleppt, daß die Erste-Klasse-Patienten aus guten Familien, die dort vorsorglich einlagen, flugs an einer jener Pilzerkrankungen gestorben wären, die in unseren Zeiten als größte Plage des zivilisierten Teils der Menschheit grassieren.

Auf der gleichen Etage gegenüber wohnte eine Frau, die mit einem solchen Mann verheiratet war, daß ihr niemals auch nur im Traum eingefallen wäre, zu putzen, ohne daß er nicht mindestens seinen gleichberechtigten Anteil an der Putzarbeit übernommen hätte, denn schließlich wäre er keineswegs zu fein, endlich anzuerkennen, daß bei ihnen in dieser wie in allen übrigen Fragen auch Gleichberechtigung herrschen müsse. In Wahrheit aber hätte dieser Ehemann sich mit dem Putzen keineswegs etwas vergeben, sondern liebend gern sogar tagtäglich für alle das gesamte Treppenhaus schweigend und geräuschlos von oben bis unten geputzt, wäre er nicht von der Angst besessen gewesen, andere Männer könnten ihn sehen und zum Beispiel von ihm denken: Wie, läßt den etwa seine Alte für sich saubermachen?

Der Mann hatte insgeheim herausgefunden und nach beträchtlichem Aufruhr in seiner Seele und intensiven Bemühungen der Selbstfindung sich selbst schließlich auch eingestanden, daß er ein starkes inneres Bedürfnis nach Bodenwischen empfand. Er unternahm sogar zwei Versuche, diesen Trieb zu befriedigen und spät am Abend, nachdem er am Türenschlagen gehört hatte, daß alle nach Hause und zur Ruhe gekommen waren, das Haus zu säubern. Doch als er sich mit Wischlappen und Eimer bewaffnet auf den Flur schlich, mußten plötzlich alle aus irgendwelchen Anlässen noch einmal hinaus, und er schoß wieder in seine Wohnung zurück, damit niemand ihn und seine wahre Natur erblickte.

Die Treppe wurde daher, gelinde gesagt, sehr selten geputzt, und doch geschah es hin und wieder, daß sie eines Morgens plötzlich blitzblank war, ohne daß irgend jemand auch nur die geringste Ahnung hatte, wie es zu dieser strahlenden Sauberkeit gekommen war, die nahezu einem Wunder gleichkam. Doch selbstverständlich glaubte niemand an Wunder. Viele verdächtigten statt dessen besagten Mann, seinem unbezähmbaren Putzzwang gerade deswegen erlegen zu sein, weil in seiner eigenen Wohnung alles drunter und drüber ging, ganz besonders hinsichtlich der genannten privaten Angelegenheiten des Ehepaars, nach denen keiner von beiden die Verantwortung in Fragen der Reinlichkeit übernahm. Als Folge davon brauchten sich die Leute nicht auf schwierigen Hausversammlungen darauf zu einigen, daß es doch für alle Beteiligten eigentlich das beste wäre, wenn man ihm einfach den Gefallen täte, ihm das gesamte Treppenhaus zu übertragen, dem Mann also zu erlauben, sich zu opfern und für seinen inneren Frieden zu schrubben, vielleicht im Morgengrauen, während andere noch in süßen Träumen lagen.

Darüber hinaus hatten die Bewohner den leisen Verdacht, sie würden nicht so billig davonkommen. Früher oder später würde der eine oder andere Tribut von ihnen erhoben werden. Verhielt es sich doch mit den meisten so: Selbst wenn sie sich opfern wollten – wenn auch vielleicht nur im Verborgenen –, so dauerte es selten lange, bis sie anfingen, ihre Hilfsbereitschaft laut herauszuposaunen. Dem aber wurde hier von vornherein ein Riegel vorgeschoben. Denn wenn es erst einmal so weit kommt, ist das Schlimmste daran, daß diese sich Aufopfernden selbst festlegen, wer bei ihnen in Dankesschuld steht und wieviel sie als Gegenleistung einfordern. Auf diese Weise versuchen sie sich für eine unter Märtyrern verbreitete Ansicht zu rächen, daß nämlich die, denen Gutes erwiesen wird, dafür bestraft werden müssen, daß sie widerstandslos die Dummheit eines anderen akzeptieren, ihnen einen Gefallen zu tun. So manches Mal ist es in derartigen Fällen so weit gekommen, daß das vermeintliche Opferlamm den in sich versteckten Wolf entdeckte, ihn das gute Lämmlein fressen ließ und so selbst zur reißenden Bestie wurde. Diesen Widerspruch im Charakter des Lamms können wahre Christen nur schwer verstehen.

Die Leute im Haus waren ungeheuer neugierig. Unbedingt wollten sie den Mann mit eigenen Augen bei der Arbeit sehen, des Rätsels Lösung erblicken und sagen: »Hab’ ich’s doch schon immer gewußt, daß er es ist.« – Eine sehr verbreitete Reaktion bei Leuten, die auf einmal klar durchblicken, nachdem sie lange mit Blindheit geschlagen waren.

Selbst der Pianist hörte auf, bis spät in die Nacht hinein Chopins Nocturnen zu spielen, tat so, als habe er eine Nervenreizung in den Händen bekommen und müsse früh zu Bett gehen. Damit gab er den von Reinigungszwängen Umgetriebenen Gelegenheit, die Psyche und das Treppenhaus in einem Aufwasch zu säubern. Allerdings konnte er es als geübte Nachteule nicht unterlassen, immer wieder einmal ins Treppenhaus zu spähen, um jemanden auf frischer Tat zu ertappen. Nie gelang es ihm, und auch anderen ging es nicht besser. Am Morgen erwachten sie übelgelaunt aus unregelmäßigem Schlaf, und aus einem blitzsauberen Treppenhaus stieg ihnen himmlischer, erhebender Schmierseifenduft in die Nase, noch ehe das morgendliche Türenschlagen begann.

Das nächtliche Putzwunder ereignete sich jedoch niemals während des Sommers. Aber es macht ja auch nicht so viel aus, wenn die Treppe in dieser Jahreszeit nicht gereinigt wird. Es regnet seltener als im Winter, es ist wärmer, und wenn die Leute mit nassen Schuhen ins Haus kommen, trocknen die Fußabdrücke schneller. Wenn auch die Sonne mehr Staub mit sich bringt, so verschwindet er mit der Feuchtigkeit oder verteilt sich gleichmäßig über die Stufen und wird auf diese Weise unsichtbar. Im Winter hingegen mit seinem Schnee und Matsch auf den Straßen sieht das völlig anders aus. Gegen die Glätte wird Sand gestreut, und natürlich trägt man ihn ins Haus, und die Stiege wird schmutzig, erst recht, wenn sie nur mit PVC ausgelegt ist.

Selbstverständlich hätte man das Problem leicht lösen können, indem man im Treppenhaus Teppichboden verlegte. Dann hätte sich der Schmutz gut eingetreten und wäre nicht länger sichtbar gewesen. Das ist in vielen Häusern so üblich. Aber da die Leute ja nie Hausversammlungen abhielten, wurde in der Sache auch nichts unternommen.

Am heftigsten wurde der innere Friede der Bewohner in der Weihnachtszeit auf die Probe gestellt, denn eine der wenigen Traditionen in diesem Lande will es, daß man gerade dann selbst in den liederlichsten Haushalten noch die letzten Winkel und Ecken schrubbt, damit man geschniegelt und gebügelt dem Fest und vielleicht sogar dem abgerissenen und zerlumpten Jesuskindlein entgegensehen kann. Schließlich kann man nie wissen, ob es nicht einmal unvorhergesehen zu Besuch kommt, arm und ausgemergelt bis auf die Knochen, die nach mitmenschlichem Erbarmen schreien.

Sogar dem angehenden Mediziner, der eigentlich Materialist und nach landläufigem Verständnis ungläubig war, wurde auf seinem Weg durchs Treppenhaus ganz betrübt zumute, und er ertappte sich in der Adventszeit immer wieder bei dem Gedanken: »So sollten Christenmenschen nicht miteinander umgehen.«

Doch da seine Bekümmernis nicht bis zu den Nachbarn durchdrang, änderte sich nichts.

Da begab es sich eines Tages, es war der Heilige Abend und die Bewohner des Hauses stimmten sich schon darauf ein, daß die weihnachtliche Festlichkeit mit dem Läuten der Kirchenglocken Schlag sechs und der Ausstrahlung von ›Stille Nacht‹ im Radio beginnen würde, daß es plötzlich im ganzen Haus klingelte, und die Leute dachten ziemlich mißgestimmt bei sich: Welches alte Hausiererweib oder welcher Lausebengel kommt denn ausgerechnet jetzt, um an der Tür noch Krabben oder Trockenfisch zu verkaufen, wo doch gerade die Bescherung beginnen soll?

Nichtsdestoweniger antworteten alle über die Gegensprechanlage und hörten, wie aus jeder Etage ärgerlich gerufen wurde: »Wer ist denn da?«

Mit weicher Stimme wurde schlicht und ergreifend geantwortet: »Das Christkind.«

Jetzt wollen sie einem schon Eier, Trockenfisch und Krabben mit der Masche andrehen, das Jesuskind selbst sei in Hausiererabsichten erschienen, dachten die Leute und mußten beinahe darüber lachen, wie weit manche in ihrem Selbsterhaltungsbestreben darin gingen, die Prinzipien des freien Marktes zu nutzen, die auf Lüge und Dreistigkeit beruhen. Sie beschlossen, derartige Schliche zu ignorieren und niemanden einzulassen.

Doch für die Bewohner dieses Hauses galt dasselbe wie für andere Leute auch: Obwohl sie halbwegs glaubten, das Jesuskindlein würde irgendwann auf genau die Weise erscheinen, wie es in den bekannten Geschichten für Kinder beschrieben ist, konnten sie sich schlechterdings nicht vorstellen, es würde ausgerechnet ihr Heim dazu ausersehen, denn es existieren enorme Widersprüche in den Glaubenssätzen der Christen. So ist es etwa ein bekannter Sachverhalt, daß, wenn etwas eintrifft, von dem ein Christ hofft, daß es eintreffen solle, aber von dem er eigentlich sicher ist, daß es niemals eintreffen wird – er es einfach nicht glaubt. Wegen dieser komplizierten Verwicklungen verpaßt er natürlich die Erfüllung seiner Wünsche und wird immer unzufriedener.

Selbstverständlich hatten alle Angst davor, dem Jesuskindlein könnte in der Gegenwart genauso ein Obdach verweigert werden wie in den Weihnachtsgeschichten, und sie hatten das unbestimmte Gefühl, daß genau das beabsichtigt sei, um das Schuldgefühl in einer christlichen Seele wachzuhalten; aber am Ende entschlossen sie sich, das Klingelmännchen doch einzulassen, um sich zu bestätigen, daß es sich nur um einen der üblichen Lausejungen mit unnützem Kram in der Plastiktüte handelte. Zum ersten Mal in der Geschichte des Hauses kamen alle gleichzeitig ins Treppenhaus.

Es trat ein eher kleines Kind ein, mit schwarzem Haar und dichtem, gelocktem Bart, das ein langes weißes Nachthemd trug. Ein Glanz ging von ihm aus, daß die Leute eher glaubten, die Mutter des Kindes hätte mit Ariel ultra gewaschen, als daß er von seiner Heiligkeit stammte, oder aber die reflektierende Helligkeit von Schnee fiele ins Haus.

Am hellsten leuchtete der Schein jedoch von seiner Stirn. Und obwohl es ein altbekannter Spruch ist, daß hinter mancher Kinderstirn ein helles Köpfchen strahlt, wird solcher Glanz doch selten oder niemals so stark, daß er jede Ecke und jeden Winkel im Flur eines zweigeschossigen Hauses ausleuchtet. Genau das aber tat jener Schein.

Die Leute schauten starr vor Staunen auf die wundersame Erscheinung, und die alte Frau mit dem Rückenleiden stammelte mehr als sie fragte: »Was willst du, Jungchen? Du bist doch nicht hier, um getrockneten Plattfisch zu verkaufen?«

Keinem Christenmenschen wäre es eingefallen, Jesus diese Frage zu stellen, wenn er ihm am Heiligen Abend gegenübergestanden hätte. Dieses Kind aber hielt einen gelben Plastikeimer in der Hand mit dampfender, nach Schmierseife duftender Lauge, und da Jesus nie einen Putzeimer gehalten hatte, weder auf Kunstwerken noch auf Bibelbildchen, kam es folglich niemandem in den Sinn, daß er es sein könnte. Der Magister der Anthropologie stellte in etwa folgende Überlegung an: Es ist nirgends schriftlich belegt, daß Jesus einen Eimer besaß. Dann fragte er: »Weshalb bist du gekommen?«

Das Kind antwortete ebenso schlicht wie zuvor: »Um die Treppe zu putzen und um Leuten, die von alten Königen abstammen, zu zeigen, daß ich, obzwar Sohn des Himmelskönigs, mir dennoch nicht zu fein bin, heutzutage die Knie im Dienst der Sauberkeit zu beugen.«

Eins, zwei, drei, fischte das Kind einen strahlenden Aufnehmer aus dem gelben Eimer, ließ sich vorsichtig auf die Knie herab wie auf den Betschemel in der Kirche, und fast im gleichen Augenblick fuhr eine Reinlichkeit über die Stufen wie im Werbespot für ein neues Putzmittel. Im Handumdrehen war die Treppe sauber. Niemand hatte jemals ein solches Wunder gesehen.

Den Leuten blieb nicht einmal Gelegenheit, ihre Gefühle in einem Dankgebet zum Ausdruck zu bringen – und weniger hätten sie kaum tun können –, denn das Kind entschwand noch im selben Moment auf die gleiche geheimnisvolle Weise, auf die es gekommen war.

Da sagte die alte Frau: »Wo Jesus so bescheiden ist, sein Knie zu beugen, da kann auch ich meinen Rücken krumm machen. So kaputt werden meine Bandscheiben wohl kaum sein.«

Und der Medizinstudent sagte genauso feierlich wie er einen Patienten anwies, von dem neuesten Wundermittel dreimal täglich eine Tablette zu nehmen: »Auch wenn ich einmal der berühmteste Chirurg des Landes werde, bin ich mir doch, wo ich gerade erst mehr recht als schlecht graduiert wurde, nicht zu gut, mir Gummihandschuhe überzuziehen und ebenfalls zu putzen; denn heute abend ist Jesus erschienen und hat gründlicher saubergemacht als ein Reinigungstechniker. Dabei ist er nicht einmal mitten in der Arbeit in Streik getreten und hat eine saftige Lohnerhöhung gefordert, andernfalls er uns die ganze Brühe in unsere in Glaubensfragen opportunistischen Visagen gekippt hätte. Nach getaner Tat werde ich am zweiten Weihnachtstag – wozu es länger aufschieben – die Gelegenheit ergreifen und zum ersten Mal seit meiner Konfirmation wieder den Gottesdienst besuchen.«

Der Pianist schlug den gleichen Ton an und sagte ganz piano, wie er es gewohnt war: »Ich bin sicher, daß mir die Nocturnen spät in der Nacht besser gelingen werden, wenn ich am Tage mit Seidenhandschuhen wische. Selbst der große Chopin, dieser weltberühmte Komponist, scheuerte stets den Boden der Finca in Mallorca für die Dichterin George Sand, damit sie in der Zwischenzeit in Ruhe schreiben konnte.«

Und der Mann mit der auf gerechte Lastenverteilung achtenden Frau dachte bei sich: Jesus schämte sich nicht, vor aller Augen die Treppe zu wischen, und er hörte endlich damit auf, seiner wahren Natur nur im Dunkel der Nacht zu frönen. Das kann ich auch. Ich bin wohl kaum bedeutender als der, den sein allmächtiger Vater zu uns hienieden auf Erden sandte, um uns die Sauberkeit des Himmels zu bringen. Ich zittere und zage nicht länger, selbst wenn mich irgendein Kerl den Messias mit dem Putzlappen nennen sollte.

So wurde das Problem auf wunderbar glückliche Art behoben, unmittelbar bevor das Weihnachtsfest begann. Von diesem Tage an dampfte das beispielhafte, muschelsandverputzte Mehrfamilienhaus geradezu von christlichem Wohlgeruch, der sich allwöchentlich aufs neue in jeden Winkel verbreitete und über jede Treppenstufe ergoß und die Leute so glücklich und selig machte, als würde Weihnachten das ganze Jahr hindurch viermal pro Monat feierlich begangen und irgendein Heiliger opfere sich für die Bewohner und tue nichts anderes als kostenlos für sie zu putzen.

Weihnachtsgeschichten aus der Jetztzeit

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