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Heiligabend in der Hundehütte

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Mein alter Nachbar, für den ich öfter die Hunde ausführe, lag über Weihnachten im Krankenhaus. Gern hatte ich mich angeboten, mich während seiner Abwesenheit um seine beiden Hunde zu kümmern.

Seit einigen Tagen lag ein bisschen Schnee, aber über Nacht hatte es ordentlich geschneit. Als ich morgens zu den Hunden runter ging, war die ganze Hundehütte eingeschneit, der Zugang erschwert.

Die beiden Hofhunde waren es gewohnt, das ganze Jahr über draußen zu bleiben. Sie hatten Holzpaletten auf dem Boden, dicke Teppiche darauf und selbst ein Kopfkissen. Außerdem stand ein alter, ausgedienter Fernsehsessel in der großen Hundehütte, der mit alten Wolldecken gespickt war, in die die beiden Hunde sich oft einkuschelten.

Ich kam kaum bis zur Hundehütte und hier angekommen bekam ich die Tür nur unter Anstrengungen auf. Ich musste erst einen Schneeschieber aus dem Schuppen besorgen, um etwas von den Schneemengen vor der Tür entfernen zu können.

Die Hunde jaulten schon. Einerseits freuten sie sich darauf, endlich von mir gestreichelt zu werden, andererseits lag überall in der Hundehütte Schnee. Sogar ihr Fell war von Schnee bedeckt. In der ganzen Hütte gab es kaum einen Platz, der nicht von Schnee bedeckt war. Nur eine kleine Ecke auf einer alten Holzbank war noch frei und die beiden drängten sich zusammen genau auf dieser Stelle, damit die Pfoten noch ein wenig trocken blieben.

Ich schaue auf die beiden winselnden und jaulenden Hunde und habe das Gefühl, mir bricht gleich das Herz. Eigentlich darf man das doch keinen Wesen auf dieser Welt antun: Draußen, allein, eingesperrt und vollgeschneit in einer alten, dunklen Hütte zu leben. Alle Wesen sollten es warm, trocken und kuschelig haben, selbst wenn so mancher Hundekenner sagt, dass es den Tieren nichts ausmacht draußen zu bleiben. Ich weiß natürlich, das viele Hunde auf dieser Welt es wesentlich schlechter haben als diese beiden hier, aber weh tut es trotzdem.

Die kleine Sina ist schon seit 15 Jahren draußen, sie ist es so von klein auf gewohnt. Aber manchmal habe ich das Gefühl, sie erträgt einfach nur. Was soll sie auch anderes machen? Ihre Augen sind traurig und trüb. Sie erträgt, weil sie es nicht anders kennt. Auch sie ist dankbar für jede Art der Zuwendung. Dankbar für jede Mahlzeit, die Zuwendung und wahrscheinlich auch für ein trockenes Fell.

Ich hole ein trockenes Handtuch, um das Fell etwas zu trocknen. Früher kannte sie es nicht getrocknet zu werden, schließlich trocknen andere Hunde ja auch von selbst wieder. So zumindest war die Einstellung des alten Bauern, bei dem sie leben. Als ich sie das erste Mal trocknen wollte, hat sie in mein Handtuch gebissen und es mir dann entrissen. Heute schaute sie nicht einmal mehr auf, sie hat sich an das Trocknen gewöhnt und leckt mir anschließend dankbar meine Hand.

Ich schüttele an diesem Morgen alle Decken aus. Alles ist nass, nicht eine einzige Stelle in der Hundehütte ist trocken geblieben.

Es hat über Nacht reingeschneit. Ein anderer Nachbar hatte gestern bereits zwei Seiten der Hütte mit einigen alten Brettern vernagelt, da der heftige Schneesturm angekündigt worden war. Trotzdem hat das nicht gereicht, um allen Schnee abzuhalten, es hat nur ein wenig gemildert.

Die alte Couch in der Ecke lässt sich nicht verschieben. Zwei gemauerte Hundehütten, die von den beiden Hunden überhaupt nicht benutzt werden, stehen im Weg. So muss die alte Couch also dort bleiben, wo sie jetzt steht. Ich muss einen anderen Weg finden, es für die Hunde gemütlicher und vor allem trockener zu machen.

Die auf dem Boden aufliegenden Holz-Paletten kann ich nicht allein bewegen. Auch sie sind verkantet und etliche große, alte Teppiche machen mir ein Bewegen unmöglich. Eine dicke Schneeschicht liegt auf den Teppichen. Wenn die schmilzt, ist alles durch und durch nass.

Was tun? Ich stehe regungslos in dem alten Hundezwinger und schüttele dann erst einmal alle Wolldecken auf dem alten Fernsehsessel vor der Hütte aus.

Meine Nachbarin Iris kommt dazu und schaut sich das Malheur an. Sie hatte mich in der Hütte fluchen und arbeiten gehört und wollte sich nach den Hunden erkundigen.

„Oh Gott, das kann auf keinen Fall so bleiben!“, rief sie aus. „Wir müssen uns was einfallen lassen.“

Und dann wurden wir beiden Frauen kreativ. Fast wurden wir zu Schwerstarbeiterinnen an diesem Morgen des Heiligen Abend.

Wir hatten die Idee mit Abdeckfolie vom Malern provisorisch die anderen beiden Seiten der Hütte etwas abzudichten. Das würde zumindest ein wenig mildern. Die Hunde waren einiges gewohnt, aber keiner von uns konnte oder wollte sie zu sich reinnehmen.

Einerseits waren es Hofhunde, andererseits hatten wir Katzen, die von den beiden Hunden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gejagt und gebissen worden wären. Aber es waren weitere Schneefälle für den Tag angekündigt.

Ich räume zuerst einmal die Zugänge zur Hundehütte frei. 30 cm Neuschnee waren über Nacht gefallen, so viel wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Iris schaut sich derweil in den alten Schuppen und Lagerhallen um, ob sie etwas Brauchbares findet. Sie bringt eine dicke, blaue Plastikplane für die eine Seitenwand der Hütte mit. Das muss einmal der Boden eines Zeltes oder eine Bauplane gewesen sein, es befinden sich einige verstärkte Löcher rundherum, so dass wir die Plane gut an den Gitterstäben des Zwingers befestigen können. Das wird einiges von dem Wind abhalten und auch einiges an Schneeverwehungen.

Wir finden noch ein blaues Band zur Befestigung und machen uns sogleich an die Umsetzung. Die Plane reicht fast passend über die eine Wandseite. Zu zweit haben wir die Befestigung schnell geschafft und sind stolz über das erreichte. Ich hoffe, jetzt ist diese Seite einigermaßen zu. Der Wind fegte den Schnee offenbar direkt vom Hausdach in die Hundehütte hinein. Das sollte jetzt um einiges schwerer sein.

Die Hunde bleiben derweil immer dicht hinter mir. Sie suchen Schutz und wollen ein wenig Zuwendung. Ein kleines Leckerchen hier und da hilft und lässt die Angst der beiden nach und nach etwas kleiner werden.

Abwechslung aus dem tristen Alltag ist es auch, denn wenn das Herrchen da ist, sind die Hunde auch oft im Haus und nehmen am Leben meines Nachbarn teil.

Bald war der Schlafplatz der Hunde wieder einigermaßen trocken. Der Schnee war aus der Hütte weitestgehend entfernt, alle Decken benutzbar, die Wände so gut es ging abgedichtet, die Näpfe wieder frisch befüllt.

Als wir alles soweit hergerichtet haben, bedanke ich mich bei meiner Nachbarin für die Hilfe. Allein hätte ich das nicht so gut bewerkstelligen können.

„Kein Problem“, meinte sie lächelnd. „Ich musste dieses Jahr sowieso noch ein gutes Werk tun!“

Ich nehme mir die Hunde und gehe mit Ihnen hinter das Haus. Hier ist ein kleiner Weg, der geräumt worden war. Die beiden laufen sich etwas warm und schnüffeln schwanzwedelnd an der offenbar zahlreich vorhandenen Hundepost.

Als wir wieder zurück sind, bekommen die Hunde ihr Weihnachtsleckerli von mir. Ich hatte Reis, Möhren und Hähnchenfleisch aufgekocht und alles in zwei Portionen in alten Schüsseln verteilt. Das Festmahl war eine ihrer Lieblingsspeisen und wurde schnell aufgegessen. Ich hoffte, es brachte zusätzlich ein bisschen Wärme in die kleinen Hundekörper zurück.

Als ich in meiner Wohnung endlich wieder zurück bin, hat inzwischen meine Freundin auf Band gesprochen. Ich war eigentlich zu ihr eingeladen, aber das musste an diesem Heiligen Abend leider ausfallen, denn auch sie war eingeschneit. Auf Band schilderte sie mir kurz, dass die Straßen nicht geräumt waren. Aufgrund des ungewöhnlichen vielen Schnees war ein Durchkommen zu ihr in die tiefste Eifel unmöglich geworden.

Die Busse fuhren nicht mehr und die Autos, die sich raus getraut hatten, verursachten ein Chaos auf den Straßen.

Ich rief sie an, um mehr zu erfahren. „Alles liegt hier unter einer Schneeglocke“, erzählte sie. „Man könnte meinen, man sei selbst in einer Schneekugel, die wir als Kinder so liebten, gefangen.“ Alles sei still zur Heiligen Nacht, nur bis zur Kirche käme sie nicht, weil Straßen und Bürgersteige einfach mit zu viel Schnee bestückt waren. So fiel also Heiligabend im Kreis von Freunden in diesem Jahr aus.

Nachmittags gehe ich wieder zu den Hunden runter. Es hatte wieder geschneit und es herrschte ein leichter Wind. Ich wollte sehen, ob noch alles in Ordnung war.

Aber die Hundehütte war wieder voller Schnee. Diesmal kann ich sehen, wie der Schnee in die Hundehütte eindringen konnte. Er kommt durch eine kleine Ritze im Dach, wo ein Stück Wellpappe fehlt. Das Loch ist direkt über dem Schlafplatz der beiden Hunde.

Ich suche noch weitere Abdeckfolie und finde nach kurzer Zeit zwei kleine alte Planen, die groß genug sein müssten. Ich habe noch Absperrband von einer öffentlichen Veranstaltung, die ich zuvor organisiert habe und hole es.

Ich bringe eine dieser Planen, offensichtlich die transparente Folie eines alten Tomatenhäuschens, direkt am Eingang an, die andere Folie montiere ich mit Fahrradgummis direkt oberhalb des Schlafplatzes. So läuft vielleicht noch ein bisschen Schnee herein, kann aber die Couch nicht mehr erreichen. Es besteht die Chance, dass der Schlafplatz so trocken bleibt.

Die Hunde schauen mich mit angelegten Ohren etwas merkwürdig von der Seite an. Das seltsame Geräusch der sich im Wind blähenden Plane ist ihnen nicht ganz geheuer. Ich erzähle den beiden einfach, dass sie wählen können: Entweder das Geräusch ertragen, oder eine durch und durch nasse Schlafcouch. Ruhig schauen sie mir bei der weiteren Arbeit zu.

Als ich fertig bin, bekommen meine beiden Lieblinge eine kleine Knabberstange. Ich setze mich auf die Couch und breche das Leckerchen in kleine Stückchen. Ein Hund setzt sich rechts, der andere links neben mich. In kleinen Teilen bekommen sie abwechselnd die Leckerchen und können sich so an das ungewohnte Geräusch über ihnen gewöhnen. Dabei vergessen sie alles und schon bald ist das Geräusch weniger schlimm.

Ich gehe wieder nach oben in meine Wohnung, denn es fängt schon wieder an zu schneien. Dicke Schneeflocken fallen die nächsten Stunden auf die Erde nieder, machen die ganze Welt um mich herum weiß. Es ist still, kein Mensch und auch kein Auto auf den Straßen. Die Zweige der Bäume und Sträucher hängen aufgrund der Schneelasten tief. Ich kann aus meinem Fenster heraus nicht mehr erkennen, wo Straße ist und wo der Bürgersteig.

Ich höre meine Nachbarn unten Schnee schippen und gehe ebenfalls herunter. Erst jetzt kann ich das ganze Ausmaß erkennen. Wir sind auf dem Hof eingeschneit. Die lange Auffahrt, die die Straße mit unserem Haus verbindet, ist zu. Zu Fuß haben wir auch keine Chance, bis zur Straße, die teilweise geräumt zu sein scheint, zu kommen.

Nachbar Fridolin, der auch gelegentlich auf dem alten Hof arbeitet, kommt gerade mit dem Bagger vom Bauern gegenüber unsere Auffahrt langsam und schwerfällig hochgefahren. Mit der großen Schippe an der Vorderseite räumt er die Schneemassen von der Auffahrt nach und nach auf die angrenzende Kuhwiese.

Er schippt damit erst mal meine kleine Zuwegung wieder zu, aber was soll‘s, das ist schnell erledigt. So jedenfalls kann ich mit den Hunden die Einfahrt wieder runter gehen. Sonst wäre jeder noch so kleine Spaziergang nicht möglich gewesen. Die kleine, alte Sina hat es nicht mehr so mit dem Laufen. Die alte Hundedame hat Hüftprobleme und bewegt sich nur noch gemächlich.

Ich gehe mit den Hunden ein bisschen die frisch gekehrte Auffahrt runter und wieder rauf. Zurück in der Hundehütte bestaune ich mein Werk. Nicht schön, aber selten. Und: Es hat gehalten. Nur wenig Schnee hat den Weg noch in die Hundehütte gefunden. Ich habe die Hunde vor dem Einschneien bewahrt.

Ich seufze tief und denke mir, was für ein Hundeleben das doch ist, während die beiden ihre Streicheleinheiten von mir bekommen. Sie haben kein feudales Leben und trotzdem sind die beiden so treue Seelen, wie so mancher Mensch es nicht zustande bringen kann. Sie sind zufrieden mit dem, was sie bekommen. Dankbar für jede Art von Zuwendung. Dankbar für das Dasein, das eben so ist wie es gerade ist.

In diesem Moment holen mich die Kirchenglocken unserer kleinen Gemeindekirche in die Wirklichkeit zurück. Es werden nur Sekunden später immer mehr, andere Glocken in anderen Stadtteilen läuten ebenfalls. Glockenläuten, das auch an diesem Heiligabend die Menschen in das Haus Gottes ruft. In der Stille der heute schneeüberdeckten Welt scheinen sie viel lauter und eindringlicher zu sein als sonst.

Ich werde diesen Abend allein verbringen. Aber glücklich. Früher hatte ich Angst davor, am Heiligabend allein zu sein. Es war so üblich gewesen, im Kreise der Familie zusammen zu sein, etwas Leckeres zu essen und sich dann gegenseitig zu beschenken.

Diesen Zauber aus Kindertagen gab es schon lange nicht mehr, Weihnachten hatte seine einstige Bedeutung für mich schon lange verloren. Streit mit Geschwistern beim Tod der Eltern hatten Weihnachten zu einer Pflichtveranstaltung werden lassen, der kein Herz mehr inne wohnte. Nur das Zusammensein mit Freunden und deren Kindern, hatte mir ein bisschen der einstigen Freude und Feierlichkeit erhalten können.

Heute aber habe ich mich selbst glücklich gemacht. Ich hatte mir selbst das größte Geschenk meines Lebens gegeben. Ich habe dem, was mir mit das liebste auf der Welt ist, geholfen den Augenblick, den heutigen Tag ein kleines bisschen angenehmer und wohliger zu gestalten.

Ich setzte mich auf die alte Hundecouch, sofort kam der eine Hunde rechts neben mich und der andere links. Beide kuschelten sich fest an mich.

Es muss wahrlich ein Bild für die Götter gewesen sein, wie wir drei mit einer wehenden Plastikplane über uns an diesem Heiligabend beim Glockenläuten auf der zerfledderten Hundecouch saßen und miteinander kuschelten.

Ich beugte mich zu den beiden Hunden runter. Der kleine Benji legte sein Köpfchen in meine Hand und Sine leckte die andere, Zeichen ihrer Zuneigung und Liebe. Und ein Zeichen ihrer Dankbarkeit. Und damit gaben Sie mir das größte Geschenk, das man sich nur vorstellen kann.

Ich hörte den Glocken zu und genoss den Moment still mit den beiden Hunden im Arm. Tränen liefen mir die Wangen hinunter, ich konnte sie nicht mehr aufhalten. Ich konnte und wollte sie nicht aufhalten. Es waren keine Tränen der Trauer. Es waren Tränen des unendlichen Glücks.

Ob wohl den Menschen, die ihre riesigen unbeseelten Geschenke gerade auspackten auch solche Freudentränen die Wangen herunter liefen?


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