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3. Was wäre ich ohne Otto?

Meine Entscheidung, Humordienstleister zu werden, war nun also gefällt. Der Weg dorthin zeichnete sich allerdings deutlich früher ab. Vermutlich fiel eine Art Vorentscheidung schon ganze 19 Jahre früher, bei meinem Übergang vom Kindergarten in die Grundschule.

Als ich 1977 eingeschult wurde, hätte ich eigentlich noch Anspruch auf ein weiteres Jahr Kindergarten gehabt. Ich bin im August geboren und war ein sogenanntes „Kann-Kind“, also einer der Fälle, in denen man je nach Entwicklungsstand den Schulbesuch auch noch ein Jahr nach hinten vertagen kann. Meine Erzieherinnen waren jedoch der Überzeugung: „Vom Reden her ist er so weit.“ Was vielleicht übersetzt bedeutete: Von uns aus darf sich ab jetzt das Lehrpersonal der Dauerbeschallung aussetzen.

Ich war also einer der Jüngsten und definitiv der Kleinste und dazu auch noch der Rothaarigste in meiner Klasse. In meine blonde Phase trat ich erst deutlich später ein.

Im Laufe der Zeit bemerkte ich, dass man als kleiner Fuzzi Unterstützer braucht, um von den Mitschülern beachtet zu werden. Meine hießen Otto Waalkes, Dieter Hallervorden oder Jürgen von Manger. Otto war auf dem Schulhof definitiv eine stabile Währung, den fanden alle Mitschüler cool. Als stolzer Besitzer seines Albums „Der ostfriesische Götterbote“ rezitierte ich daraus ständig Nummern, die heute als Klassiker des deutschen Humors gelten: „Oberförster Pudlich“, „Englisch für Fortgeschrittene“ oder seine Parodie des angesagten „Lied der Schlümpfe“. Auch Dieter Hallervordens „Kuh Elsa“ eignete ich mir inklusive Intonation recht schnell an. Meine Mutter besaß außerdem eine Single mit dem „Kleinaktionär“ von Jürgen von Manger, besser bekannt als Alfred Tegtmeier. Obwohl ich in diesem Fall sicherlich noch nicht jede Pointe in ihrer inhaltlichen Tragweite verstanden habe, wusste ich instinktiv, dass es sehr lustig war, wie dieser Kleinaktionär den Vorstandsvorsitzenden Herrn Nottoff erst ans Telefon zitieren ließ und dann frech anredete, in der tiefen Überzeugung, dass das Unternehmen irgendwie auch sein Laden sei.

Mit diesem Repertoire hatte ich für jede große Pause ausreichend Material zur Verfügung. Und meine Eltern waren sicherlich allein schon deshalb dankbar für die Schulpflicht in Deutschland, weil sie sicherstellte, dass sie zumindest zwischen acht und 13 Uhr nicht als Publikum herhalten mussten. Es kam dann immer wieder etwas Neues hinzu. Wann immer ich durfte, sah ich mir Sendungen wie Hallervordens „Nonstop Nonsens“ oder „die Otto Show“ an, in der er mir als Harry Hirsch, Susi Sorglos oder Robin Hood, der Rächer der Enterbten neuen Input gab, den ich dankbar aufsaugte.

Otto war und ist mein absoluter Held und für mich der größte Komiker Deutschlands. Er tat als Erwachsener all das, was ich als Kind auch gern gemacht habe: albern sein, seltsame Geräusche produzieren, sich unkorrekt und frech benehmen. Viele seiner eher anzüglichen Witze habe ich als Kind noch nicht wirklich kapiert, aber ich habe immer meinen kindlichen Weg gefunden, sie für mich mit Sinn zu füllen.

Otto war und ist mein absoluter Held

Meine Otto-Leidenschaft durfte ich vor einiger Zeit im WDR in der Sendung „Cantz feiert Otto“ unter Beweis stellen. Als ich ihn kurz darauf im Flugzeug persönlich traf, hat er sich bei mir bedankt und wirkte ehrlich beeindruckt von meiner Textsicherheit. Als kleines Andenken gab er mir ein Autogramm auf seinen aktuellen Kunstkatalog: „Für Guido von deinem Fan Otto!“ Ich halte diesen Katalog selbstverständlich in Ehren. Sollte beim Aufräumen versehentlich jemals das Unvorstellbare passieren, würde ich sogar nachts heimlich die Altpapierdeponie danach absuchen.

Ich war in meinem Leben selten so nervös wie bei der Aufzeichnung einer Show zu seinen Ehren im Jahr 2015. Im ZDF präsentierte Johannes B. Kerner eine Sendung zum 50-jährigen Bühnenjubiläum des größten Ostfriesen aller Zeiten. Von Bully Herbig über Ralf Schmitz, bis Bülent Ceylan huldigten die unterschiedlichsten Kollegen ihrem großen Vorbild. Die Anspannung war bei allen Beteiligten über den ganzen Tag spürbar.

Vor den Augen von Otto eine Otto-Nummer zu präsentieren, das war wie Abitur, Fahrprüfung und Heiratsantrag zusammen. Es fühlte sich für uns alle mehr als nur ein bisschen gewagt an und jeder spürte, dass er bei diesem Drahtseilakt schnell abstürzen konnte. Mit meinem Karnevalshintergrund war ich natürlich prädestiniert für Ottos legendäre Parodie einer Büttenrede. Ich denke, ein paar Stichworte reichen: Vertreter der chemischen Industrie reimt über die Segnungen der Risiken und Nebenwirkungen ihrer Produkte. Die Passage, die auf dem dazugehörigen Album die größten Lacher erntet, lautet:

Und was ist denn am Kalb das Schöne ?

Doch nicht das Fleisch! – Die Östrogene!

Der Stoff ist wirklich ungewöhnlich,

er macht den Mann der Gattin ähnlich.

Der Schniedel schrumpft, die Büste quillt,

schon isser Mamas Ebenbild!

Sie schaut ihm neidisch auf den Busen,

jetzt kann er mit sich selber schmusen.

Ob Mann, ob Frau, ob hart, ob weich,

Chemie macht alle Menschen gleich.

Ich durfte nun also diese Rede, von Otto im Original im Mainzer Dialekt angelegt, präsentieren. Doch irgendwie fühlte es sich für mich falsch an, sie nur zu reproduzieren. Ich wollte noch eine persönliche Note hinzufügen, ein paar Reime als Würdigung. Der Verantwortliche auf Produzentenseite war sich nicht sicher, ob das in Ottos Sinne sei, doch der gab schließlich sein Okay. Und so fügte ich noch meine persönliche Hommage in Reimform hinzu:

Seit fünfzisch Jahrn im Rampelischt,

das glaubt dir keine Schlampe nischt.

Vital und fit, von Kopf bis Knie

un das schaffst du mit null Chemie!

Viagra oder andre Pille

erzeuge bei dir Widerwille.

Und statt mit Botox vom Labor

gehst du streng biologisch vor:

Jahrzehnte auf der Bühne stehn,

mit Ottifanten Gassi geh‘n,

Gitarre spiel‘n und Filme mache

bis des die Leude Träne lache.

Im Herzen rein im Kopf bescheuert –

so wird man ständisch runderneuert!

Dafür hab ich dich stets bewundert.1

Mach weiter so – und du wirst hundert!

Otto hat mich jedenfalls gut durch die ersten Jahre meiner Schulzeit gebracht und ganz nebenbei habe ich bei ihm auch viel darüber gelernt, wie Pointen funktionieren. Dass Otto später mehrfach in meiner Sendung „Verstehen Sie Spaß?“ zu Gast war, habe ich immer als besondere Ehre empfunden. Er ist und bleibt mein Vorbild. Denn er gibt dem Publikum immer ein Gemeinschaftsgefühl, dass wir alle miteinander lachen können, ohne dass es auf die Kosten eines Einzelnen geht.

Ministrieren und imitieren

Ein weiteres entscheidendes Schlüsselerlebnis in Sachen Comedy hatte ich einige Jahre später als Ministrant. Nicht nur, weil wir aus Quatsch auch mal auf die Melodie eines Kirchenliedes einen Text der Kölschrocker von BAP gesungen haben. Bei der alljährlichen Ministrantenfahrt in die Eifel ergriff einmal unser Obermessdiener das Mikrofon des Busfahrers und parodierte Willy Brandt.

Brandt war zwar bereits nicht mehr Bundeskanzler, aber seine leicht knurrende Stimme und seine bedächtige Art, mit der er jedes Wort einzeln betonte, waren immer noch präsent. Das wollte ich auch können! Denn hier war auf einmal jemand, der nicht nur das wiedergab, was andere auf Schallplatten aufgenommen hatten, sondern mit seiner Stimme spielte und selbst lustig war.

Mit 13 Jahren habe ich deshalb angefangen, Prominente zu parodieren. Neben Willy Brandt stürzte ich mich auf den Showmaster Rudi Carrell, dessen niederländischer Akzent mir sehr leichtfiel. Als dann am 7. Juli 1985 ein 17-jähriger Leimener als jüngster Tennisspieler aller Zeiten das Finale der Wimbledon-Championships gewann und anschließend im ganzen Land der Boris-Becker-Hype ausbrach, hatte ich eine neue Figur gefunden, die sich zu parodieren lohnte.

Mit fremden Stimmen zu sprechen, machte mir großen Spaß. Das liegt wohl in der Familie. Schon mein Vater liebte es, Dialekte zu imitieren. Wir lachten jedes Mal Tränen, wenn er seinen aus Sachsen stammenden Chef nachmachte. Damals, viele Jahre vor der Wiedervereinigung, begegnete man diesem Akzent in Westdeutschland nur ausgesprochen selten. Bis heute faszinieren mich Dialekte und regionale Sprachfärbung, auf Zugfahrten kann ich mich stundenlang mit der Frage beschäftigen, woher meine Mitreisenden wohl kommen, während sie mich an ihren Telefonaten teilhaben lassen.

Mit fremden Stimmen zu sprechen, machte mir großen Spaß.

Ich weiß noch, wie ich samstagabends bei meinem Kumpel Karsten zu Hause die Rudi-Carrell-Show verfolgt habe. Seine Eltern hatte eines dieser neuen Tastentelefone der deutschen Bundespost, Farbe Rot und – technisch konnte man kaum näher am Puls der Zeit sein – mit Lautsprecher, es konnten also alle Umstehenden hören, was am anderen Ende der Leitung gesprochen wurde.

Die jüngere Generation kann dieses Wunder wohl nicht mehr so recht nachvollziehen, aber für uns, die wir noch als Familie zu viert im Halbkreis stehend unserem Opa in Stuttgart zum Geburtstag gratulierten und kaum zu atmen wagten, wenn Mama den Hörer in die Luft hielt, damit alle seine Reaktion mitbekamen, war das zukunftsweisende Hochtechnologie.

Während also in Carrells Sendung gerade eine Metzgereifachverkäuferin als Mireille Mathieu „Akropolis adieu“ schmetterte – natürlich nach Rudis obligatorischer Ankündigung: „Eben noch an der Fleischtheke, jetzt auf unserer Showbühne“, griff ich zum Telefonhörer, wählte eine beliebige Nummer und sagte: „Guten Abend, hier ist Rudi Carrell, ich gratuliere, Sie haben gewonnen. Schalten Sie Ihren Fernseher ein. Ja, da läuft gerade Musik, deswegen kann ich sie ja anrufen.“

Manch einer mag einwenden, dass ich mit 16 Jahren für derart infantile Telefonstreiche womöglich schon ein bisschen zu alt gewesen sein könnte. Ich sehe das eher als Berufsvorbereitung. Wie von selbst entwickelte sich jedenfalls plötzlich ein Repertoire aus Gags bekannter Komiker, Witzen und selbstausgedachten Parodien. Ich brauchte also nur noch die Gelegenheit, es vor mehr Menschen als nur meinem unmittelbaren Umfeld zu präsentieren, das es zugegebenermaßen recht gut kannte. Glücklicherweise gab es immer wieder private Feiern oder größere Familienfeste, bei denen ich meinen Gag-Fundus ausprobieren und verfeinern konnte.

1989 habe ich es dann zum ersten Mal für Geld getan. Mein Bruder Jochen war damals schon Student und jobbte nebenbei bei einer Softwarefirma, die kurzfristig jemanden suchte, der das Sommerfest bespaßen sollte. Diese Chance habe ich sofort genutzt. Die Versuchsanordnung war geradezu perfekt: Man hatte ein Ausflugsschiff gemietet, das Publikum hatte dementsprechend keine Fluchtmöglichkeiten. Direkt am Eingang habe ich von allen Mitarbeitern Polaroidfotos geschossen, anschließend eine Tombola moderiert und meine Parodien vorgeführt. Für hundert D-Mark habe ich die Gesellschaft den ganzen Tag bespaßt. Ein, wie ich finde, guter Deal für das Unternehmen, das Boris Becker, Otto, Helmut Kohl und Guido Cantz zum Preis von einem bekam.

Ob die Initiative, mich zu beauftragen von meinem Bruder oder seiner damaligen Freundin ausging, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Sie arbeitete jedenfalls auch bei diesem Unternehmen und kannte mich und meine Neigung, im Mittelpunkt zu stehen, schon aus der Schule.

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