Читать книгу Der christliche Reporter - Guido Walter - Страница 4
Die Suche nach dem Heiligen Schrein
Оглавлениеvon Guido Walter
Eineinhalb Milliarden Christen und 15 Millionen Juden glauben an die Zehn Gebote - doch wo ist jene Bundeslade mit den Schrifttafeln, die Gott einst Moses gab? Ihr Verschwinden ist für die christliche und jüdische Welt eines der größten Rätsel, das ihnen die Bibel aufgab. Eine Spur führt nach Äthiopien, ins Land der verborgenen Schätze.
Glockenschläge wecken die in Sacktuch gehüllten Schläfer im Kirchenpark von Axum. Am Zaun der Kapelle der Heiligen Maria von Zion, die vor einem Hain aus Wacholderbäumen aufragt, fällt das erste Sonnenlicht auf eine Gruppe von Priestern. In weißem Ornat und schwarzen Schultertüchern lehnen sie auf ihren Gebetsstöcken, der Schlag einer Kebrero-Trommel mischt sich mit dem Rasseln eines Sistrums. Ein leiser Wechselgesang ist das Echo der Gemeinde auf Kerzenschein und Weihrauchschwaden, die aus den Gitterfenstern der Kapelle dringen. Aus dem Dämmerlicht, noch mehr Nacht als Tag, tritt ein dunkelhäutiger, bärtiger Priester in einer goldbestickten Brokatrobe langsam hinter dem Vorhang am Kapellenportal hervor. Über dem Kopf trägt er eine mit Seidentüchern dick verhüllte Kiste. Wie von Zauberhand geteilt, bahnt die Gruppe der Erwachten der Lade den Weg. Als sei ihr Träger magnetisch, folgen ihm leise summend zwei Diakone mit goldenen Handkreuzen, dann betende Priester in grünen Seidenroben und Gebetskronen. Am Torbogen des Kirchenparks reihen sich Hunderte von barfüßigen, weißgekleideten Gläubigen in die Prozession ein. Nur neben dem Mann mit der Lade geht niemand. „Nicht zu nahe kommen“, sagt ein Mönch. Angst spiegelt sich in seinen Augen, nicht die Spur von Ärger. Die Lade ist mächtig.
„Die heilige Bundeslade ist bei uns, sie ist in Äthiopien. Glauben Sie mir, sie ist hier.“ Der 32jährige Haile Selassie Berhe ist sich seiner Sache ganz sicher. Der Historiker aus Axum in der Provinz Tigre glaubt fest daran, ebenso fest wie Äthiopiens Patriarch in Addis Abeba und die 30 Millionen Gläubigen der äthiopisch-orthodoxen Kirche.
Ausgerechnet in Axum soll sich die heiligste Reliquie der christlichen wie der jüdischen Welt befinden. In diesem 20. 000-Seelen Nest im baumlosen äthiopischen Hochland, mit seiner Ansammlung von wellblechgedeckten Würfelhäusern und Strohhütten, in dem junge Mädchen mit Kanistern wie einem geheimen Plan folgend Brackwasser aus der einzigen Zisterne schöpfen und zwischen den Wohnhütten hin und her tragen. Wo ihre Brüder in der Morgenkühle auf der kurzen, einzigen Asphaltstraße zum neuen Yeha-Hotel ihr Radfahrtraining absolvieren und am höchsten Punkt der Serpentine Luft holen. Von hier oben, vom kakteenübersäten Granitfelsen des May-Quahomassivs, blickt man über Axum. Für äthiopisch-orthodoxe Christen hat Axum eine Bedeutung wie Rom für europäische Katholiken. Die Obelisken der Stadt zeugen von einer jahrtausende alten Kultur, und erinnern an die Glanzeit im vierten und fünften Jahrhundert, als das Reich von Axum sich bis auf die arabische Halbinsel erstreckte und mit Elfenbein- und Weihrauchhandel zu sagenhaftem Reichtum gelangte. Nach der Bekehrung zum Christentum im vierten Jahrhundert stieg Axum zu einem Zentrum der neuen Religion auf. Im geheiligten Bezirk der Stadt steht die kleine Kapelle der Kirche zur Maria von Zion. Sie birgt die wichtigste Reliquie Äthiopiens: die Bundeslade mit den Tafeln der zehn Gebote. Die Kapelle ist nicht zugänglich. Angeblich durften nicht einmal die Kaiser von Äthiopien das Heiligtum sehen.
Im Jerusalem Äthiopiens, verlässt dreimal im Jahr ein „Tabot“ (das amharische Wort für Bundeslade) den Tempel, um bei den Prozessionen gezeigt zu werden. In Axum, so behaupten die Äthiopier, tragen die Priester das Original durch die staubigen Straßen, in anderen Städten des christlichen Hochlandes sind es dagegen Tabot-Kopien, die in Gegenwart der „echten“ Bundeslade geweiht wurden.
Ein Besuch der farbenprächtigen Prozessionen während der Kirchenfeste gehört zu den Höhepunkten jeder Äthiopienreise. Am besten sehen kann man sie entlang der sogenannten Historischen Route durchs Äthiopische Hochland. Die historischen Stätten entlang der „Historischen Route“ bergen religiöse Kunstschätze von unbezahlbaren Wert. - inmitten atemberaubender Landschaften. Die steilen Tafelberge des Hochland wirken als natürliche Festung, sie schnitten die alten Provinzen Amhara, Gondar,Tigray und Shewa seit Jahrtausenden von Handel und Verkehr ab. In der unzulänglichen Landschaft haben die Schätze der äthiopisch-orthodoxen Kirche überdauert. Seien es die rätselhaften Wandmalereien auf den Mönchinseln Tana Cherkos oder Kebran, oder die Goldkronen der Kaiser aus der Salomonischen Dynastie in Axum, dem letzten Zufluchtsort der heiligsten Reliquie aller Christen und Juden: der Bundeslade. Weil sich die Liturgie der äthiopisch-orthodoxen Kirche in 1600 Jahren kaum geändert hat, gleicht eine Reise zu den Klöstern und Kirchen einer Reise ins Mittelalter. Ein guter Ausgangspunkt ist die amharische Prozinzhauptstadt Bahir Dar (ca. 570 nördlich von Addis Abeba). Die 60.000 Einwohner zählende Stadt am Tana-See, dem „magischen Auge Äthiopiens“ wird häufig als Ausgangspunkt der „historischen Route“ gewählt. Von hier aus sind Ausflüge zu den berühmten Fällen des Blauen Nils möglich, die wegen der besonderen Lichtbrechung früh morgens besucht werden sollten. Eine Bootsfahrt auf dem Tana-See ist ein Erlebnis. Auf Inseln wie Kebran, Dek oder Tana Cherkos leben die Mönche wie im 15. Jahrhundert. Ihre Rundkirchen bergen Schätze wie Kronen, Gewänder und wertvolle Malereien. Boote sind im Tana- und im Ghion-Hotel zu mieten. Achtung: einige Inseln (z.B. Kebran) dürfen nicht von Frauen betreten werden.
Von Bahir Dar lässt sich Gondar gut erreichen. Die äthiopische Kaiserstadt des 17. und 18. Jahrhunderts liegt auf halbem Weg zwischen Tana-See und Simien-Hochgebirge. Nicht zu unrecht trägt die Stadt den Namen„Afrikanisches Camelot“. Auf 70 000 Quadratmeter ragt im Palastbezirk ein ganzes Ensemble von Burgen auf, unter anderem die Fasiladesburg, ein zweistöckiges Schloß mit vier Wehrtürmen und einem Balkon, vom dem Kaiser bis zum 80 Kilometer entfernten Tana-See blicken konnte. Für seine Burgen nahmen Fasilidas (1632-1667)und seine Nachfolger hadramitische Sultanspaläste zum Vorbild. Indische Architekten entwarfen Bankettsäle und Bäder, und sogar eine Sauna. Der „Badepalast des Fasilidas“ ist ein auf Doppelbögen ruhender Steinbau, der sich im türkis schimmernden Wasser wiederspiegelt. Zu Zeiten der religiösen Festen ist das Bassin Ziel der Prozessionen. Gondar, Lalibela und Axum lassen von hier aus mit dem Bus (NTO) oder mit dem Flugzeug (Ethiopian Airlines) bereisen. Pauschalreiseangebote enthalten die Route fast automatisch.
Gleich 28 der Tabota sind in Lalibela, der Stadt der Felsenkirchen, während der Timkat-Prozession zu besichtigen. Nirgendwo in Äthiopien finden sich auf so engen Raum so zahlreiche Felsenkirchen wie in Lalibela. Viele sind durch unterirdische Gänge miteinander verbunden. Nach Axum gilt Lalibela als zweitheiligster Ort der Kirche Äthiopiens, die Felsenkirchen sind aber auch von hoher kulturgeschichtlicher Bedeutung. Wer Lalibela zum ersten Mal besucht, wird sich wie einem Traum vorkommen. Die Enstehung Lalibela soll auf einen heiligen König zurückgehen, der von 1181 bis 1221 gelebt haben soll. Gott soll diesem König im Schlaf befohlen haben, in der Stadt Roha ein neues Jerusalem zu errichten. Weil ein Bienenschwarm die Wiege des Königs nach seiner Geburt umgab, nannte man ihn „den von Bienen erkorenen König“, was in der Sprache der Agaw „Lalibela“ heisst. Fortan trug die Stadt Roha den Namen des Königs.
Wenn Priester und Laien mit ihren goldbedruckten Seidenkronen aus dem Schatten der Beta Mariam, Beta Abbba Libanos, Beta Emanuel und der anderen Felsenkirchen hervortreten und sich am Fluss, der wie sein biblisches Vorbild Jordan heißt, treffen, gemahnt dies an einen Versammlung der Waisen aus dem Morgenland. Aus einem Felsgang, in dem keinen zwei Männer nebeneinander gehen können, kommen die Depteras und Priester von Beit Gyorgis empor. In Form eines griechischen Kreuzes wurde die knapp elf Meter hohe Kirche aus dem Fels gemeisselt, sie gilt als achtes Weltwunder. „Ich schwöre bei Gott in dessen Gewalt ich bin, dass alles, was ich geschrieben habe, die Wahrheit ist und dass ich sogar einiges ausgelassen habe aus Furcht, man könnte mich der Fälschung verdächtigen“ schrieb bereits Anfang des 16. Jahrhunderts der Portugiese Francisco Alvarez über Lalibela, dass wie Axum von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Die in Paris ansässige „Welterbenkomission“ nahm 1980 die Ruinen von Axum auf. Ob man davon überzeugt ist, dass hier der Hort der heilige Reliquie ist, ist Glaubenssache. In Äthiopien zweifelt niemand daran.
„Du sollst in die Lade legen das Zeugnis, das ich dir geben werde“ heißt es im Alten Testament. Das Zeugnis, das sind die zehn Gebote. Die Lade, das ist die geheimnisvolle Bundeslade, von der es heißt, sie sei seit 2000 Jahren verschollen.
Die Suche nach der Bundeslade ist fast so alt wie die Legende selbst. Als um 1250 vor Christus Teile der Stämme Israels aus Ägypten unter Moses auszogen, galt ihnen die Bundeslade bereits als Kultmittelpunkt. Am Berg Sinai soll Moses die Steintafeln mit den Zehn Geboten von Gott erhalten haben, ihr Behältnis, die Bundeslade, zimmerte ein Handwerker namens Bezaleel nach göttlichem Konstruktionsplan. Nur ausgewählte Hüter durften das Heiligtum tragen, das die Israeliten während ihrer Wanderschaft mitführten, und das ihnen - in der Stiftshütte aufgebahrt - als Objekt der Anbetung diente. Die Kraft des Feuers, des göttlichen Geistes, soll in der Lade wohnen; zahlreiche Bibelstellen schreiben ihr einen blendenden Schein zu. Moses´ Gesicht verbrannte beim Blick auf die Lade, König Usia wurde mit Aussatz gestraft, weil er sich der Lade unbefugt näherte und die Stadt Jericho, so steht es geschrieben, legte der Schrein in Schutt und Asche. Als König Salomo die Lade nach Jerusalem brachte und im Tempel aufstellen ließ, so die Jewish Encyclopedia, da füllten sich alle goldenen Bäume des Tempels mit Säften und ließen reichlich Früchte sprießen, so daß die Priester ihr Wohlgefallen daran hatten. Salomo, der Sohn Davids - seit 966 vor Christus König - herrschte rund 40 Jahre. Das Reich Juda sah sich unter Salomos Nachfolgern im siebten Jahrhundert vor Christus fortwährenden Angriffen der Assyrer ausgesetzt, unter König Menasse wurde es vollständig vom mächtigen Nachbarn abhängig.
Der israelische Historiker Menachem Haran glaubt, daß jüdische Patrioten die Lade zu dieser Zeit in ein Versteck brachten, um sie vor den Assyrern zu schützen. Eine andere Theorie besagt, daß der gottlose König Menasse sie gegen ein Götzenbild tauschte und daß rechtgläubige Juden das Heiligtum aus dem Tempel brachten. Nach eineinhalbjähriger Belagerung eroberte der Babyloniers Nebukadnezar II. 587 vor Christus Jerusalem, ließ Stadt und Tempel zerstören, und die „babylonische Gefangenschaft“ des jüdischen Volkes begann. In der Fremde entstand eine neue Form des Glaubens, der auch jene Juden anhingen, die von 650 bis 450 vor Christus auf der Nilinsel Elephantine bei Assuan lebten und als Soldaten in Diensten Ägyptens standen. In Elephantine hat man einen jüdischen Tempel ausgegraben - der, glaubt der schottische Historiker Graham Hancock, seine Existenzberechtigung nur daraus bezöge, ein Heiligtum von größter Bedeutung zu beherbergen: die Bundeslade. Nur hier hätte man den Schrein vor dem Wüten der Feinde verbergen können. Auseinandersetzungen religiöser Natur veranlaßten die Juden aus Elephantine im vierten Jahrhundert vor Christus zur Flucht. Das feindlich gesinnte Ägypten im Norden konnten sie nicht passieren, im Osten und Westen war Wüste, es blieb nur der Weg nach Süden, ins damals noch bewaldete, grüne Hochland Äthiopiens.
Laut Hancock hatte die Bundeslade eine wahre Odyssee hinter sich. Bereits vor dem Angriff der Babylonier sei sie während der Regentschaft Manasses aus Jerusalem von der jüdischen Priesterschaft nach Ägypten gebracht worden. Die um das Heiligtum besorgten Männer seien mit der Reliquie bis zur Nilinsel Elephantine (bei Assuan) gereist. In dem dort eigens errichtete Tempel blieb das Heiligtum nur kurz, bevor es erneut vor Feinden in Sicherheit gebracht werden musste. Die lebensfeinliche Wüste habe nur den Weg den Nil flußaufwärts zugelassen. Nach dieser Erkenntnis musste der Weg der Lade bis zum Tanasee im Hochland Äthiopiens führen. Hancock zufolge verbrachte die Relique von 470 vor Christus bis etwas 400 Jahre nach Christus auf der Insel Tana Cherkos. Äthiopiens ersten christlicher König Ezana habe sie dann nach nach Axum bringen lassen und in der dafür erbauten Kathedrale Maria Zion aufstellen lassen. Dort soll sie heute noch sein. Als Beweis führt Hancock eine gravierte Stele in Axum an, welche die Lade zeigt. Die Äthiopier führen ihren Sieg über die Italiener im Jahr 1896 bei Adua darauf zurück, dass ihre Truppen die Lade mit sich führten. Ein Mythos, sicher.
Unstrittig ist aber, daß um 400 vor Christus am Tanasee und Umgebung schwarze Juden lebten und unstrittig ist auch, daß diese jüdischen Siedler am Tanasee Blutopfer darbrachten. Auf Tana Cherkos, einer der Klosterinseln im See, finden sich Altarsteine, auf denen Tieropfer gemäß der alttestamentarischen Sitte dargebracht wurden. Einer der heute christlichen Mönche besitzt Aufzeichnungen über die Tradition jüdischen Blutopfers vor der Bundeslade, und bestätigt, daß die Eremiten auf der Insel früher Juden waren. Noch heute leben einige wenige Fallascha, die schwarzen Juden Äthiopiens, am Tanasee. Sie behaupten, von König Salomo abzustammen. Aber sind sie auch Nachkommen jener Priestersöhne, die Salomos Sohn Menelik („Sohn des weisen Mannes“) der äthiopischen Bibel „Kebra Negast“ zufolge von Jerusalem nach Äthiopien begleiteten und die Lade mitnahmen? Auf einer leuchtenden Wolke soll der heilige Schrein nach Äthiopien gelangt sein, in dem Menelik I. ein christlich-jüdisches Kaiserreich begründete, dessen letzter Repräsentant, der „Löwe von Juda“, Kaiser Haile Selassie I. 1974 vom Thron gestürzt wurde. Auf dieses Reich berufen sich die schwarzen Juden Äthiopiens noch heute. Die Frage ist nur: Haben sie damals die Lade auf der Insel in Sicherheit gebracht? In Äthiopien glaubt man, daß nach dem Siegeszug des Christentums der erste christliche Herrscher der Inselgemeinde die Bundeslade abgenommen hat und sie nach Axum bringen ließ - soweit die Theorie.
König Ezana, so beschrieb ihn der Botschafter des römischen Kaisers, ging nackt umher und trug nur ein mit Goldstickereien verziertes, Lendentuch aus Leinen. In seinem viertürmigen Palast befänden sich ein ausgestopftes Rhinozeros sowie gezähmte Giraffen, sein Thriumphwagen würde von vier Elefanten gezogen. Um 340 nach unserer Zeitrechnung ließ sich Ezana taufen und erhob die Lehre Christi zur Staatsreligion, zu einer Zeit, als in Mitteleuropa noch das Heidentum vorherrschte. Ein Ensemble aus 20 Meter hoch aufragenden Granitsäulen zeugt in Axum noch heute vom Glanz dieses Reiches, das Handel mit Ägypten und Rom betrieb und dessen Machtbereich vom Sudan bis nach Jemen reichte. Wie es die Menschen schafften, die reich dekorierten Obelisken aufzurichten, darüber spekulieren die Archäologen noch.
Haile Selassie Berhe, der die Ausgrabungen in Axum betreut, weiß da schon mehr. „Menschen allein hätten das nie geschafft. Man nahm die göttliche Kraft der Lade.“ Der Tigriner wird nicht müde, von der Macht des Schreins zu schwärmen: „Unsere Kaiser nutzten schon immer die Beziehung zwischen Gott und der Lade, sie führten den Schrein mit und zogen in die Schlacht.“ Dies geschah angeblich zuletzt 1896, als Kaiser Menelik II. die Italiener bei Adua schlug, es war der erste Sieg einer afrikanischen Armee über eine europäische seit Hannibal. Ein Sieg, den sich die gedemütigten Italiener nur mit dem Wirken übernatürlicher Kräfte erklären konnten.
Für die Äthiopier aber steht seit Adua fest, daß sie „Gottes auserwähltes Volk“ sind - bis heute ist Äthiopien das einzige Land der Erde, welches behauptet, die Bundeslade zu besitzen. Graham Hancock jedenfalls ist davon überzeugt. Der Autor des Buches „Die Wächter des Siebten Siegels“ glaubt, den beschriebenen Weg der Lade von Jerusalem über Elephantine nach Axum rekonstruieren zu können. Einen Weg, über den sich die Bibel ausschweigt. Nach dem Aufstellen der Lade in Salomos Tempel gibt es keinen historisch belegbaren Hinweis mehr. In der Kebra Negast aber heißt es, daß Menelik die Lade aus Jerusalem ins Reich seiner Mutter, der Königin von Saba, entführte. Hancock nimmt an, daß dieses Königreich Saba in Äthiopien zu lokalisieren ist. Durch Zufall stieß der Historiker auf ein Figurenensemble am Nordportal der Kathedrale von Chartres. Es zeigt die Königin von Saba und die Bundeslade. Ein äthiopischer Sklave liegt ihnen zu Füßen, darunter die lateinische Inschrift: „Hier liegt verborgen“. Die Legendenherrscherin, sonst stets in einen arabischen Zusammenhang gebracht, zeigt am Portal eindeutig afrikanische Attribute - ein Stück äthiopischer Kultur in einem christlichen Gotteshaus des 12. Jahrhunderts, das zur Zeit der Kreuzzüge entstand. Und ein Hinweis auf das Land, in dem die geheimnisvolle Reliquie zu finden sei.
Am Anfang von Hancocks Recherchen stand eine Ernüchterung: Ein „Tabot“, so erfuhr er in der Asservatenkammer des Britischen Museums, gehört zum Inventar jeder äthiopisch-orthodoxen Kirche. In jedem dieser mauerumschlossenen Allerheiligsten, die nur der jeweils älteste Mönche betreten darf, liegt so eine geweihte Replik der Bundeslade. „Damit alle Äthiopier mit dem Heiligtum in Berührung kommen und seinen Segen empfangen können, hat man Kopien angefertigt“, weiß Haile Selassie Berhe. Am „Timkat“, dem höchsten Feiertag am 19. Januar, tragen die Priester am Ende des Gottesdienstes die Tabota unter dem Jubel der Gläubigen vor das Kirchenportal. Doch bei diesen handelt es sich um lediglich 30 Zentimeter lange Kistchen, in denen Holztafeln ruhen, auf denen die Zehn Gebote eingraviert stehen - in der äthiopischen Kirchensprache Ge´ez.
Im Zweiten Buch Mose aber wird die Bundeslade als mittelgroße, rechteckige Truhe aus Akazienholz beschrieben, „dritthalb Ellen lang, anderthalb Ellen breit und hoch, und mit feinem Golde überzogen“, also etwa 112 cm lang, 68 cm breit und hoch. Die äthiopischen Tabota sind zu klein für diese Abmessungen, und die Schriftzeichen der originalen Bundeslade müßten der Bibel folgend nicht in Ge´ez, sondern Althebräisch sein. Was haben die beiden Ausländer also gesehen, die in jemals einen Blick auf dieses Heiligste des Heiligen geworfen haben sollen? Ein armenischer Erzbischof und ein armenischer Pater, die 1867 als Gesandte der britischen Königin Victoria Äthiopien, weilten, hatten in Axum die Gelegenheit, den „Tabot“ zu sehen. Pater Dimotheus beschreibt in seinem 1871 in Jerusalem erschienenen Buch eine rote Marmortafel von knapp 30 Zentimeter Länge, auf der die zehn Gebote in Ge´ez eingraviert seien. Er war der Ansicht, die Tafel könne nicht älter als 500 Jahre alt sein, weil sie keine Beschädigung aufweise. Doch hat man Dimotheus, der sich mit unflätigen Worten über die „dummen Äthiopier“ erregte, die den Stein blindlings als echt ansähen, auch ihr Allerheiligstes gezeigt, oder eine der geweihten Kopien?
„Sie haben den arroganten Dimotheus an der Nase herumgeführt“, glaubt Haile Selassie Berhe. Nicht einmal der Patriarch in Addis Abeba dürfe das Original sehen, daß in der Kapelle der Heiligen Maria von Zion in Axum, dem Palladium der äthiopisch-orthodoxen Kirche, verborgen ist, bewacht vom greisen Abbe Georgios. Der Mann in den Fußstapfen von Moses trägt ein grünes Gewand und einen schwarzen Turban, nie darf er das Gelände der Kapelle verlassen. Neben ihm steht der 12jährige Abene, sein Nachfolger. „Nein, niemand außer mir darf den Schrein sehen“, bedeutet der Wächter der Lade, „Laien müssen vor seiner Kraft geschützt werden. Gott segne dich.“
Die Kraft der Bundeslade begleitet Äthiopien durch dick und dünn, auch wenn ihre materielle Existenz bis heute nicht bewiesen ist. Die Lade ist mächtig.
Da brachte man Kinder zu ihm, damit er ihnen die Hände auflegte. Die Jünger aber wiesen die Leute schroff ab. Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Amen, das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er nahm die Kinder in seine Arme; dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie.
Markus 10,13-16