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- Prolog -

Der große Exodus

Kaum ein Schriftsteller von Rang hat den Nazis dienen wollen, komplette Forschungsinstitute zogen in die USA, von zehn Professoren flohen vier, unter den 3000 Spitzenwissenschaftlern, die ihre Heimat verlassen mussten, waren allein neunzehn Nobelpreisträger, die Mitarbeiter von Filmproduktionen fanden sich fast vollständig in Hollywood wieder – eine ganze Kultur wanderte aus.

Doch das 1933 ausgetriebene Stück deutscher Tradition wieder einzubürgern, bestand nach der unfreiwilligen Befreiung durch die Alliierten wenig Neigung. An das Schicksal der Emigranten, der Bewohner des »Anderen Deutschland«, als dessen Repräsentant sich Thomas Mann in Kalifornien empfand, wollte das schlechte Gewissen der Täter und Mitläufer sich nicht erinnern lassen. Ein Grabmal des unbekannten Emigranten existiert nicht.

Anders in den USA. Dort erkannte man die historische Bedeutung des deutschen Exils. »Seit nach dem Fall von Konstantinopel im Jahr 1453 Gelehrte in großer Zahl nach Westeuropa geströmt waren«, schreibt etwa der amerikanische Literaturwissenschaftler James K. Lyon, »hatte die Welt keine so umfängliche, plötzliche Bereicherung einer Kultur auf Kosten einer anderen erlebt.«

Erst im Gefolge der Studentenrevolte kam auch in der Bundesrepublik die Wiederkehr des Verdrängten, wurde die Tradition des »Anderen Deutschland« zum lebendigen Teil des Kulturlebens. Um vieles einflussreicher als die Werke aus der Zeit des »Tausendjährigen Reiches« sind für unser Denken die Leistungen der Emigranten – die Lehren etwa der Soziologen und Philosophen Herbert Marcuse, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Ernst Bloch, die eine ganze Generation von Studenten prägten; die Einsichten von Psychoanalytikern wie Erich Fromm oder Wilhelm Reich; die Ästhetik der Bauhaus-Künstler; die Romane Thomas und Heinrich Manns, Lion Feuchtwangers oder Alfred Döblins, die Gedichte und Dramen Bert Brechts.

Die gewiss aber nachhaltigste Wirkung auf die Nachkriegsgenerationen haben die emigrierten Regisseure und Drehbuchautoren, Kameramänner und Cutter, Schauspieler und Produzenten gewonnen, die Schöpfer von Filmen wie Casablanca oder High Noon, Ninotchka oder From Here to Eternity, River of No Return, Sunset Boulevard oder Some Like It Hot. Wie keine andere Gruppe von Emigranten sind sie heimgekehrt – in unsere Köpfe und Herzen.

Wenige nur im bundesdeutschen Millionenpublikum wissen allerdings, dass die Menschen, die diese Hollywood-Filme schufen, nicht in Connecticut oder North Dakota aufwuchsen, sondern in Wien oder Berlin, dass ihre Karriere nicht bei MGM oder Paramount begann, sondern bei der Ufa oder der Münchner Lichtspielkunst.

Schuld an dem geringen Bewusstsein von der Bedeutung des deutschen Exils hatte nicht zuletzt die obsessive Beschäftigung mit den Nazi-»Größen« in den Massenmedien der Nachkriegszeit. Vergleicht man das geringe Interesse, das in den fünfziger, sechziger, siebziger und auch noch achtziger Jahren für die aus Deutschland Verjagten aufgebracht wurde, mit der intimen Aufmerksamkeit, ja Faszination, die Gestalten wie Bormann oder Heß, Frank, Mengele oder gar Hitler und seine vermeintlichen Tagebücher weiterhin weckten, so stellt sich das ungute Gefühl ein, dass damals in vielen Hinterköpfen die Nazis noch dreißig, vierzig Jahre nach Nachkriegsende über ihre Opfer triumphierten – zu Unrecht nicht nur in einem moralischen, sondern auch im historischen Sinne.

Denn viel mehr als mit dem Wahn von gestern, hatte damals und hat bis heute das Leben in der Bundesrepublik mit dem fortgeschrittenen Alltag in den freien Ländern zu tun, den die Emigranten als erste Deutsche erlebten und künstlerisch darstellten. Viel lehrreicher als die Intrigen im Führerbunker oder die unappetitlichen Details aus dem Privatleben der Herrenrassisten und ihrer bedauernswerten Familien sind für uns die Erfahrungen, die ein Teil ihrer Opfer im Exil machten. Ihre Flucht in die westlichen Demokratien, in die entwickelte amerikanische Industriegesellschaft war auch eine Reise in die politische und soziale Zukunft, in der wir heute leben.

Auf den Spuren dieses »Anderen Deutschland« bin ich vor einem Vierteljahrhundert, Mitte der achtziger Jahre, begleitet von Gero Gandert, damals Kustos der Deutschen Kinemathek in Berlin, und dem Fotografen Michael Montfort, nach New York und Hollywood gereist. Hier zumeist, und nicht in unserer Nachkriegs-Republik, konnte man sie noch treffen, die Akteure des Nicht-Mitmachens, die Helden des aufrechten Weg-Gangs nach dem totalen Sieg einer verbrecherischen Politik.

Fluchtpunkt Hollywood

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