Читать книгу -Grauer- -Adane- - Gunter Preuß - Страница 4

1.

Оглавление

Wenn der Frühling kommt, ist es, als spielte ein alter Wanderer auf seiner Geige. Es sind hoffnungsfrohe Melodien; sie locken die Sonne in den Himmel und lassen es licht und warm werden.

Diese Geschichte begann, als erste Töne fein und zart alles Lebendige bewegten. Leuta, ein Dorf, zu dem eine Handvoll Häuschen, der Gasthof „Zur Sonne“, eine winzige Kirche und ein Altersheim gehörten, wurde munter.

Der Winter war lang gewesen, und Leuta hatte wie von der Zeit vergessen zwischen steil aufragenden Sandsteinfelsen und Fichten und Buchenwäldern versteckt gelegen. Die alte Kätzin hatte den Winter in der Gaststube auf der Bank am Ofen verbracht. An den dunklen Abenden hatten sich hier die Männer des Dorfes zusammengesetzt, Bier und Schnaps getrunken und ein paar Worte gewechselt. Die Kätzin hatte mit halb geöffneten Augen wohlig geschnurrt, sich hin und wieder gestreckt und die Pfoten geleckt. Selten nur, wenn die Gaststube leer blieb, hatte der sehnige schwarzbärtige Wirt, den die Dörfler „Mexikaner“ nannten, die Kätzin in Stall und Schuppen gescheucht. Dann hatte sie einer Maus aufgelauert, sie getötet und dem Wirt vor die Haustür gelegt.

„Bist doch noch zu was nütze, alte Dame“, hatte der Mexikaner gutmütig gesagt, und die Kätzin war auf die Ofenbank zurückgesprungen. Das war ein faules Katzenleben, aber „Bunte“, wie die Kätzin von ihren Leuten gerufen wurde, gerade recht für die kalten lichtlosen Tage und Nächte.

An diesem Frühlingsmorgen hielt es Bunte nicht mehr aus auf der Ofenbank. Sie lief nach draußen, mitten unter die flügelschlagende Hühnerschar, buckelte und streckte sich in der warmen Sonne.

Die alte Paula, die schon zu Kaisers Zeiten gelebt und zwei Weltkriege überstanden hatte, legte die Federbetten aufs Fensterbrett. Sie wandte ihr runzliges, klein gewordenes Gesicht der Sonne zu, hielt ganz still und lauschte. Schließlich klopfte sie mit beiden Händen auf die Betten und sagte lächelnd: „Du alte Schwindlerin. Willst es mir wohl jung ums Herz machen. Aber hab Dank, dass du mich noch einmal besuchst.“

Bunte sah zur Alten hinauf und maunzte.

„Was stehst du herum, dummes Tier“, sagte die alte Paula wie zu einem Kinde. „Gerechter Gott, wenn ich noch so gut auf den Beinen wäre. Geh, lauf, Bunte. Sieh nur, wie schön der Tag wird.“

Die Kätzin rannte über den Hof, blieb am offenstehenden Tor stehen, kehrte schließlich um und legte sich auf einen Stapel Holz in die Sonne.

Der Gasthof „Zur Sonne“ stand am Weg, der von der Ebene steil herauf und durchs Dorf führte. Hinter Leuta wurde der Weg immer schmaler, bis er sich in vielen Pfaden in den Wäldern und zwischen den Felsen verlor. Für die Dörfler war er die einzige Verbindung zur „Welt“. Sie nannten ihn „Bahnhofstraße“ und besserten schnell jedes Loch aus, das der Frost oder ein Wolkenbruch aufgerissen hatte. Stand der Wind günstig, trug er ihnen Nachricht aus der Ebene zu, den Pfiff des Zuges und vom Fluss die Sirenenlaute der kleinen weißen Dampfer. Die Leutaer fühlten sich wohl in der Einfachheit und Stille „bei uns hier oben“. Aber pfiff im Frühjahr ein Zug, und die Dampfer schwammen wieder, stand mancher von den jungen auf der Bahnhofstraße, sah in die Ebene hinunter und seufzte. Die Älteren nannten das „Sehnsuchtskrankheit“ und lächelten; das würde vergehen, und die Jungen würden sich an das zurückgezogene Leben im Dorf gewöhnen, wie sie es auch getan hatten.

Der Gasthof war, wie die meisten Häuser Leutas, ein altes Fachwerkhaus, das Paula und ihr Mann Henry einst aus Lehm, Holzbalken und Schieferschindeln gebaut hatten. Henry ruhte schon lange unter der steinigen Erde des Dorffriedhofs. In seinen jungen Jahren war er Holzfäller beim Grafen Sörne gewesen, dem die Wälder hier gehört hatten. Er hatte den Wald geliebt und verstanden, mit Holz umzugehen. Für Paula, das „Stieglitzchen“, die Tochter des Bauern Kranz, hatte Henry das schönste und größte Haus im Dorf bauen wollen. Das größte Haus war es nicht geworden, denn Henry verdiente beim Grafen nur ein paar Groschen, die gerade so fürs Lebensnotwendige reichten. Vom Bauern Kranz hieß es, er sei so geizig, dass er nach dem Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes zur Kollekte nur abgerissene Hosenknöpfe in die Büchse steckte. Als Mitgift gab er seiner Tochter Paula abgelegenes Bettzeug und einen Spruch mit, den er bei jedem Anlass flink über die Zunge gehen ließ: Verschwendung ist die größte Gotteslästerung.

Aber wohnlich war Henrys und Paulas Haus geworden, und seine Bewohner hatten gern Gäste gesehen. Schon damals, an den langen Winterabenden, trafen sich hier die Waldarbeiter und ihre Frauen. Es wurde über die harte Arbeit und den kargen Lohn geschimpft, Federn gelesen, Sachen ausgebessert, Äxte geschärft, ein paar Glas selbst aufgesetzter Hagebuttenwein getrunken und, wenn der Tag nicht zu schwer gewesen war, ein Lied vom Frühling gesungen. Viel sprach man über die kommende Zeit, die einmal besser werden müsste für die armen Leutaer.

In Henrys und Paulas Haus träumten die Frauen und Männer laut: Der eine wollte ein Sägewerk erbauen, der andere seine sieben Kinder regelmäßig zur Schule schicken, und der nächste wünschte sich eine Kuh, die ihm die Feldarbeit erleichterte und gute Milch abgab. Henry sprach von einem Gasthof, der aus seinem Haus entstehen sollte. Sie suchten gemeinsam einen Namen für den Gasthof, nannten ihn schließlich „Zur Sonne“ und lachten froh über das schöne Bild, das in ihren Gedanken sichtbar geworden war.

Auf die Erfüllung ihrer Träume mussten sie lange warten. Henry hatte mit den Männern in den Krieg ziehen müssen, und wer nach all den Jahren wiederkam, war noch ärmer als zuvor.

„Lass nur, Stieglitzchen“, sagte Henry zu Paula, „wir schaffen's. Noch sind wir nicht alt.“

Aber auch jetzt mussten sie jeden Groschen dreimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben konnten. Von Jahr zu Jahr kam ein Kind dazu, sechs Söhne und fünf Töchter, die wie junge Vögel ständig ihre Schnäbel aufsperrten und schrien. Drei von den Kindern starben. Der Arzt wohnte weit weg in der Ebene, er war alt und kam nicht mehr gern in die Dörfer, wo ihn nur stiller Vorwurf und Bitterkeit erwartete.

In Berlin, so hörten die Leutaer, war ein „starker Mann“ an die Macht gekommen. Wieder einmal hofften sie auf bessere Zeiten, und manch einer der Leutaer trat in die Regierungspartei ein, präsentierte sich in Uniform und Stiefeln und sprach mit schnarrender Stimme, dass man es „denen“ nun zeigen würde.

Es dauerte nicht lange, und die Männer Leutas mussten wieder in den Krieg, der furchtbarer war als alle vorhergegangenen.

Als das Grauen schließlich ein Ende gefunden hatte, warteten viele der Frauen vergeblich auf ihre Männer und Söhne. Auch Henry und drei seiner Söhne kehrten nicht aus dem Krieg zurück. Das Land wurde gespalten in West und Ost, und hier kamen Arbeiter an die Regierung, sie sagten „Nie wieder Krieg“, und die Leutaer schöpften neue Hoffnung. Vieles lag in Schutt und Asche, es kamen harte Jahre des Wiederaufbaus.

Langsam wurde mancher in Henrys Haus laut gewordene Traum Wirklichkeit: Ein jeder fand Arbeit, konnte sich kleiden, ausreichend essen und trinken, es stand nicht nur eine Kuh im Stall, und die Kinder konnten regelmäßig die Schule besuchen. Paulas Kinder, längst flügge geworden, waren in die umliegenden Dörfer ausgeflogen und hatten sich dort verheiratet.

Nur Hilde war ins Haus der Mutter zurückgekehrt und hatte ihr einen Mann aus der Ebene als Schwiegersohn mitgebracht. Die Leutaer nannten ihn „Mexikaner“, und er entpuppte sich bald als Tausendsassa; er hatte in einem kleinen Wanderzirkus als Zeltarbeiter, Requisiteur, Tierpfleger und als Assistent bei einer Zaubernummer gearbeitet. Er war in jeder Arbeit geschickt, hatte Ideen und konnte sie umsetzen. Nur dem Holz, das den Leutaern soviel bedeutete wie die Luft zum Atmen und das tägliche Essen, konnte Mexikaner nichts abgewinnen. Er liebte das Gespräch, die große Rede vom „Weltgeschehen“, und so hatten Hilde und Paula nicht viel Mühe, ihn für Henrys Traum vom Gasthof „Zur Sonne“ zu begeistern.

Es dauerte ein Jahr, und Mexikaner hatte aus dem alten Fachwerkhaus den freundlichen Gasthof geschaffen. Wenn Paula einmal in der Woche Henrys Grab auf dem Dorffriedhof besuchte, wo sie ihm und ihren Söhnen einen Stein hatte setzen lassen, erzählte sie ihm vom Gasthof „Zur Sonne“, der Treffpunkt der Dörfler war und im Sommer Feriengäste beherbergte.

„Hast recht behalten, Henry“, sagte sie. „Wir haben's geschafft. Und für unsere Kinder ist's nicht zu spät.“

Neun Enkel und Urenkel hatte Paula, und sie war stolz auf ihre große gesunde Familie. Einmal im Jahr, zu Henrys Geburtstag, trafen sie sich alle im Gasthof „Zur Sonne“. Da erfuhren die Jungen auch von alten Zeiten, die ihnen unwirklich wie finstere Märchen erschienen.

Für die Kleinsten musste die alte Paula immer wieder die Geschichte vom „Grauen“ erzählen, einem Wildkater, der früher in den Felsen und Wäldern gelebt hatte. Von jeher hatte es viele Katzen in Leuta gegeben. Sie waren fleißige Mäusefänger, die das wenige Korn und die Speisekammer vor den Nagern schützten; Henry und Paula liebten auch ihre Wärme, vor allem aber ihren Stolz und ihren Anspruch auf Freiheit. Die Katze war nicht wie der Hund jedes Herren Knecht; sie ließ sich nicht an die Kette legen, und wen sie nicht mochte, dem sprang sie nicht auf den Schoß. So sahen die Leutaer sich selbst, und von Fremden wurde das Dorf das „Katzennest“ genannt.

Heute nun, als der Frühling seine erste Melodie gespielt und die Bunte sich noch nicht aus dem Hof gewagt hatte, jährte sich wieder Henrys Geburtstag. In der Gaststube hatten Mexikaner, seine Frau Hilde und seine Kinder eine lange Tafel festlich gedeckt. Paula saß vor der Zeit auf dem Ehrenplatz in der Nähe des Ofens. Sie freute sich auf ihre Kinder und dachte an Vergangenes. Die Wärme des Ofens und der Sonne, die durchs Fenster schien, hatte sie einschlafen und von ihrer Jugend träumen lassen.

Am späten Nachmittag wurde sie geweckt, als die Schar ihrer Urenkel den Raum eroberte. Die Familien ihrer Kinder waren der spröden Felsenlandschaft treu geblieben. In der Ebene fanden sie zu wenig Himmel, zu viel Geschrei, und die großen Städte nahmen ihnen den Atem. Sie wohnten verstreut in den Dörfern, und wie bei Henry und Paula, spielte der Wald und sein Holz in ihrem Leben eine bestimmende Rolle. Sie arbeiteten als Waldarbeiter, Tischler, Schreiner, und in freien Stunden schnitzten sie Menschengesichter und Tiere des Waldes. Für ihre Kinder entstand manches Schiffchen, das in die Bäche gesetzt und auf Reisen in die Ebene geschickt wurde.

Alle waren sie gekommen, nur einer fehlte wie schon im vorigen Jahr, Mexikaners Sohn Winfried. Auch er liebte den Wald und das Holz; aber er fand dabei nicht Zufriedenheit in der Stille der Dörfer wie die anderen, in ihm brannte ein unruhiges Feuer.

Winfried war der geschickteste Schnitzer in der Familie. Schon in seiner Kindheit hatte er Figuren aus dem Holz gearbeitet, die die Erwachsenen nachdenklich machten. Mexikaner hatte seinen Sohn in der Wirtschaft behalten wollen, er sah gern alle seine Kinder um sich herum. Als Winfried noch ein Junge war, führten ihn seine Ausflüge immer weiter von Leuta weg. Kehrte er zurück, halfen keine Vorwürfe und kein Schimpfen, er schloss sich im Schuppen ein und schnitzte aus dem Holz, was er auf seiner Reise gesehen hatte.

Lehrer Misella hatte von einer zu entwickelnden Begabung Winfrieds gesprochen. Die alte Paula hatte dem ungeduldigen Mexikaner ins Gewissen geredet, seinen Sohn nur ruhig und mit Vertrauen tun zu lassen, was er wollte. Sie spüre eine große Kraft in ihm und einen feinen Nerv, und es sei eine Sünde, sich dagegenzustellen, das würde Winfried nur krank machen. Mexikaner, bei aller Abwehr nicht wenig stolz auf seinen Sohn, hatte schließlich nachgegeben. Winfried war Student geworden an der fernen Hochschule für Malerei und Grafik.

„Warten wir nicht wieder“, sagte Mexikaner zornig über das Ausbleiben seines Sohnes. „Langt zu und lasst es euch schmecken! Nun sagt schon, wie geht's euch, und was gibt's Neues bei euch zu Hause? Die Welt steht ja vielerorts auf dem Kopf. Da wollen wir nur zusehen, dass wir auf unseren festen Beinen stehenbleiben.“

Es wurde mit Ruhe gegessen und getrunken, bald war ein Gespräch im Gange über den lange ersehnten Sommer, einen Scheunenbrand in Berga, des alten Baumanns Trunksucht, die überstandenen Krankheiten der Kinder, über Arbeit und Lohn, Geburt und Tod, Schmerz und Lust. In jeder Rede kam die Freude zum Ausdruck, „hier droben“ leben zu können, in sauberer Luft, in der Stille und Nähe des Waldes. Aus ihrer Zufriedenheit kam leise Fröhlichkeit, sie tranken auf ihr Wohl, auf die Vernunft des Menschen und einen dauernden Frieden. Sie nahmen die Melodie des Frühlings auf, die sie heute gehört hatten, und sangen seine Lieder. Mexikaner griff zur Gitarre, und Tante Ruth spielte mit ihrer Tochter Gerti auf dem Klavier.

„Das hätte Henry noch erleben sollen“, sagte die alte Paula wie jedes Jahr an diesem Tag. „Es tut so gut, Kinder, euch alle um mich zu haben.“

„Erzähle uns eine Geschichte, Urgroßmutter“, forderte der kleine Ronald, der neben der Bunten auf der Ofenbank lag.

„Ja, eine Geschichte!“ riefen nun alle Urenkel. „Die vom Wildkater! Das ist die schönste!“

Es wurde augenblicklich still in Mexikaners Gaststube, die Erwachsenen lehnten sich in ihren Stühlen zurück, ihre Kinder schmiegten sich an sie.

„Nur wenige Menschen haben den Grauen vor die Augen bekommen“, erzählte die alte Paula, froh, dass ihre Geschichte noch immer gebraucht wurde. „Es ist eine Ewigkeit her, als ich ihn zum ersten Mal sah. Heute ist es mir, als wäre es in einer ganz anderen Welt gewesen.

Es war Nacht. Ich hatte schlecht geträumt und war aufgewacht. Ich ging zum Fenster und sah auf die Bahnhofstraße. Ich wartete auf Henry. Dass endlich der Krieg ein Ende haben sollte. Dass endlich der Mann in sein Haus zurückkehrte. Es war eine Nacht wie heute. Hört nur wie tausend Stimmen aufgeregt wispern. Seht nur wie klar der Himmel ist. Wie hell die Sterne leuchten.

Ich weiß nicht zu sagen, wie lange ich gestanden und gesehen und gelauscht habe. Die Katzen begannen zu schreien wie ungezogene Kinder. Schräg gegenüber, auf Langheinrichs Schuppendach, gerieten sie sich gegenseitig gehörig ins Fell. Liebestoll, wie sie waren. Da sah ich einen Kater, wie ich ihn mein Lebtag noch nie gesehen hatte. Die Zunge soll mir lahm werden, wenn ich lüge. Er war fast doppelt so groß wie das andere Katzenvolk. Er hatte graues langes Fell und weiße Flecken an Kehle und Brust.

Oh, wie er sich auf die Hinterbeine stellte. Und was für einen wilden Gesang er anstimmte. Ja, ein Wilder, ein Räuber war er. Und was für Hiebe er unter seinen Rivalen austeilte. Die schönste Kätzin nahm er sich.

Krügel, des Grafen Jäger, war schon lange hinter dem Grauen her. Er fragte uns Leutaer oft, ob wir den Wildkater gesehen hätten. Der Graf bestünde auf sein Fell. Er sei ein Wilderer. Keiner von uns gab dem Krügel einen Hinweis.

Der Graue war schlau und vorsichtig. Er lebte versteckt in den Felsen. Das ganze Jahr über sah ihn keiner. Nur im Frühjahr suchte er die Kätzinnen. Dann verlor er wie alle Verliebten jegliche Vernunft. Er wollte kämpfen, war eitel, eifersüchtig und unbeherrscht.

Nun, in dieser Nacht, als ich am Fenster stand, da sehe ich den Krügel sich aus dem Wald anschleichen und seine Büchse gegen den Grauen in Anschlag bringen. Ich schreie auf. Der Katzenspuk verschwindet augenblicklich von Langheinrichs Schuppendach. Und der Krügel schimpft über den verpassten Schuss, was das Zeug hält. Er will es mir beim Grafen schon heimzahlen, ruft er, und ich solle mich nur ja in Acht nehmen Und den Grauen wird er eines Tages doch erwischen.

Das Jahr drauf haben wir den Krügel zu Grabe getragen. Er hatte mit dem Grafen getrunken und ist auf dem Heimweg vom Luisenstein gestürzt. Man hat aber sagen hören, es hätte einer nachgeholfen dabei. Der Krügel war auch ein arger Herrenknecht und hat beim Grafen manchen angeschwärzt, wenn er nur den Kaninchen eine Falle gestellt hat. Wo er doch genau gewusst hat, wie lange schon Krieg war und wir nicht mehr wussten, wie wir die hungrigen Mäuler unserer Kinder stopfen sollten.

Noch zwei , dreimal habe ich den Grauen gesehen. Immer im Frühjahr, nachts. Wenn er in Kämpfe um seine Liebste verwickelt war. Viele Geschichten werden in Leuta von ihm erzählt. Wie er mit starken Füchsen und wildernden Hunden gekämpft haben soll. Manche der Alten sagen, es hätte ihn schon in ihrer Kindheit gegeben. Und ihre Eltern und Großeltern hätten schon vom ‚Freien‘ erzählt. Sie behaupteten, eigentlich sei der Graue ein Mensch. Der Wilderer Ernst Schulze solle er sein, der im vorigen Jahrhundert von der Herrschaft erschossen worden war. Der Ernst Schulze soll ein gerechter Mann gewesen sein, dem sein freies Waldleben über alles ging.

Nun, Kinder, das sind Geschichten. Eins kommt zum anderen. Aber ein Körnchen Wahrheit kann man immer darin finden.

Seht euch unsere Bunte an. Sie lässt es sich wohl gehen bei uns. Hat sich ans Hausleben gewöhnt, die Faule. Und dabei ist der Graue ihr Stammvater. Ja, so kann es werden, wenn der Bauch satt ist und das Fell trocken. Schau nur, Bunte, dummes Tier. Verwechselst den Ofen mit der guten Sonne.

Und nun ab in die Federn. Ich spüre meine Jahre, Kinder. Nein, der Graue ist nie wieder gesehen worden. Vielleicht begegnet ihr ihm einmal. Seht und hört nur genau hin.“

-Grauer- -Adane-

Подняться наверх