Читать книгу Butler Parker 142 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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Josuah Parker neigte zu dem Urteil, daß die beiden Damen eine merkwürdige Hast an den Tag legten. Sie kamen aus dem Durfield-Hotel, waren gut gekleidet und strebten einem Rolls-Royce zu, der in der Auffahrt zum Hotel stand. Eine der beiden Damen trug zudem eine Plastiktasche, die so gar nicht zu ihrem modischen Aussehen paßte. Josuah Parker aber trat höflich zur Seite, um dem unverständlichen Spurt der beiden Frauen nicht im Weg zu stehen. Und er zeigte sich wieder mal als vollendeter Kavalier alter Schule, als eine der beiden Damen strauchelte. Sie knickte mit dem linken Fuß um und wäre mit Sicherheit voll zu Boden gestürzt, wenn Parker nicht seine hilfreiche Hand zur Verfügung gestellt hätte.

»Darf ich mir erlauben ...?« fragte er und zog dazu seine schwarze Melone. In einer Mischung aus Wohlgefallen und Besorgnis sah er auf die junge Dame hinunter, die seiner oberflächlichen Schätzung nach etwa fünfundzwanzig Jahre alt war. Ihre ein wenig ältere Begleiterin hatte inzwischen den kleinen Unfall bemerkt und bremste ihren Schwung.

»Hau’ ab ...« sagte die Gestrauchelte in einem Ton, der in Parkers Ohren ordinär klang. Die junge Dame war blitzschnell wieder auf den Beinen und griff nach ihrer Einkaufstasche. Dann lief sie humpend weiter, schloß zu ihrer ungeduldig wartenden Begleiterin auf und erreichte zusammen mit ihr den Rolls-Royce.

Josuah Parker war indigniert. Er zeigte es auch. Seine linke Augenbraue steilte andeutungsweise nach oben, ein sicheres Zeichen dafür, daß er solches Benehmen mißbilligte. Er setzte die Melone auf und korrigierte den Sitz seines altväterlich gebundenen Regenschirms, der über dem angewinkelten linken Unterarm hing.

Die beiden Frauen, wie Parker sie bereits insgeheim nannte, hatten im Fond des Rolls-Royce inzwischen Platz genommen. Der Wagen zog mit durchtourenden Reifen an, erreichte die Straße und zwängte sich rücksichtslos in den Verkehr. Nach wenigen Augenblicken war der Wagen bereits in einer Seitenstraße verschwunden.

Parker verzichtete darauf, den Kopf zu schütteln. Er, das Urbild eines britischen Butlers, hätte sich solch eine gefühlsmäßige Entgleisung niemals gestattet. Gemessen betrat er die Halle des exklusiven Hotels, um Lady Agatha abzuholen, die an diesem Nachmittag hier ihren Tee mit einer Freundin einnahm.

Butler Parker fand, daß in der Halle eine gewisse Hektik herrschte. Angestellte des Hauses bewegten sich wesentlich schneller als üblich durch den hohen, imposanten Raum. Das Ziel ihrer Hast waren die weiter hinten in der Halle eingerichteten Verkaufssalons bekannter Firmen, die vom Parfüm bis hin zum Schmuck ein reichhaltiges und teures Angebot an Luxusgütern ausstellten.

Der Butler ließ sich von der Unruhe anstecken, wie deutlich zu erkennen war. Er schritt etwas schneller aus als gewöhnlich. Er dachte nämlich an eine gewisse Lady Agatha Simpson, deren Butler er war. Er kannte ihre exzentrischen Neigungen und ihre spontane Handlungsweise. Es stand immerhin zu befürchten, daß seine Herrin sich in irgendeiner Form betätigt hatte ...

*

Der Empfangschef im Park-Hotel, ein versierter Mann seines Faches, erkannte auf den ersten Blick, daß er es mit einem Paar zu tun hatte, das sich in der eleganten Welt der High Society wie selbstverständlich auskannte. Der Herr, etwa vierzig, begleitete eine um etwa zehn Jahre jüngere Dame, deren Haar vielleicht ein wenig zu blond war. Sie trug einen teuren Nerzmantel und unauffälligen, aber mit Sicherheit ebenfalls teuren Schmuck.

»Ist Arthur Carridge bereits hier?« erkundigte sich der Herr beim Empfangschef, »falls nicht, dann erwarten wir ihn drüben in der Bar. Mr. und Mrs. Belgate.«

Er nickte dem Empfangschef zu und geleitete seine Dame hinüber in Richtung Hotelbar. Der weite Gang dorthin wurde zu beiden Seiten von Verkaufssalons bekannter Londoner Firmen flankiert. Die Blondine blieb vor der Auslage eines Juweliers stehen und interessierte sich beiläufig, wie zu sehen war, für den ausgestellten Schmuck.

Der Empfangschef wurde abgelenkt. Ein sportlicher Mann von etwa fünfundvierzig Jahren stellte sich als der Reiseinspektor eines Touristik-Unternehmens vor und erkundigte sich nach den Möglichkeiten, Reservierungen hier im Park-Hotel vorzunehmen. Der Empfangschef bedauerte es und gab diesem ein wenig lässigen Mann zu verstehen, daß ein Haus wie das Park-Hotel Gruppenreisende grundsätzlich nicht aufnahm. Der Inspektor wollte die Gründe dafür erfahren, sprach von Vollbelegung, Gewinn und Prozenten, der Empfangschef hingegen von der Exklusivität des Hauses.

Er verbeugte sich respektvoll, als das Ehepaar, das auf Sir Arthur Carridge wartete, den Empfang passierte. Der Herr rief ihm knapp zu, man werde in etwa zehn Minuten wieder zurück sein. Der Empfangschef machte sich eine entsprechende Notiz und widmete sich dann wieder dem Reise-Inspektor, der inzwischen wohl einsah, daß dieses Haus für Gruppenreisende wohl doch zu seriös war. Der sportliche Mann winkte dem Empfangschef zu und verließ ebenfalls die Halle.

»Klasse bleibt eben Klasse«, meinte der erfahrene Hotelfachmann zu seinem jüngeren Stellvertreter und deutete diskret auf das Ehepaar, das inzwischen die Straße erreicht hatte, »eigentlich eine Zumutung, hier bei uns normale Touristen absetzen zu wollen. Nicht zu glauben...«

Er widmete sich seiner Gästeliste und blickte verärgert drein, als einer der Hotelangestellten quasi im Dauerlauf zum Empfang lief.

»Sind Sie verrückt, Ben?« fragte er, als der Mann den Tresen erreicht hatte, »wir sind hier nicht auf einem Sportplatz.«

»Da drüben ... Da drüben...«, sagte der Mann und deutet auf die Verkaufssalons.

»Was ist dort drüben? Ben, nehmen Sie sich gefälligst zusammen!«

»Über... Überfall, Sir«, stammelte der Angestellte, »alles weg. Und Miß Dooren ist gefesselt.«

»Wie war das, Ben?« Der Empfangschef sah den Angestellten, der normalerweise vor den Lifts Dienst tat, ungläubig an.

»Alles weg, Sir. Kommen Sie!« Der Hotelangestellte sprach lauter und eindringlicher. Der Empfangschef warf einen schnellen Blick in die Halle und nahm zur Kenntnis, daß die dort sitzenden Gäste aufmerksam geworden waren. Er rang sich ein entschuldigendes Lächeln ab, verließ seinen Platz hinter dem Empfang und folgte dem Angestellten. Einige Minuten später kniete er bereits neben Miß Dooren und knotete die Fesseln auf, die die Handgelenke der Frau zusammenschnürten. Sie stöhnte, konnte sich jedoch nicht verständlich machen. Ein breites Heftpflaster verschloß ihren Mund.

Sie schien gequält, als der Empfangschef dieses Pflaster mit unnötiger und auch falscher Rücksichtnahme zentimeterweise von ihren Lippen zog.

»Was ist passiert?« fragte er dann.

»Der Schmuck«, antwortete Miß Dooren, nachdem sie tief Luft geholt hatte, »sie haben alles mitgenommen... Alles! Sie haben auch den Safe geöffnet!«

»Wer, Miß Dooren?« fragte der Empfangschef.

»Das Ehepaar«, hechelte Miß Dooren, deren Augen sich mit Tränen füllten, »sie wollten mich niederschießen.«

»Ich werde sofort die Polizei anrufen«, sagte der Empfangschef, »wie hoch, glauben Sie, ist der Schaden, Miß Dooren?«

»Fast eine Million Pfund«, sagte sie mit schwacher Stimme, »sie haben alles mitgenommen, wie gesagt: Alles!«

*

»Ich hatte zufällig in der Gegend zu tun«, behauptete der Chief-Superintendent und lächelte Lady Agatha an, »hoffentlich störe ich nicht, Mylady.«

»Sie sitzen also wieder mal in der Tinte«, stellte Agatha Simpson genußvoll fest. Die stattliche Dame hatte das sechzigste Lebensjahr längst überschritten und fühlte sich als erfolgreiche Amateur-Kriminalistin, die es gewohnt war, daß der Yard-Mann tatsächlich häufig in ihrem altehrwürdigen Haus in Shepherd’s Market erschien, um sie um Hilfe zu bitten. Daß das Ziel solcher Besuche allerdings Josuah Parker war, übersah sie souverän.

»Darf ich mir erlauben, Ihnen eine Kleinigkeit anzubieten?« erkundigte sich Josuah Parker. Er hatte McWarden eingelassen und in den kleinen Salon geführt.

»Ich glaube kaum, daß Mr. McWarden im Dienst etwas trinkt«, schaltete die ältere Dame sich ein und bedachte Parker mit einem grimmigen Blick. Obwohl sie immens reich war, oder vielleicht gerade deshalb, galt sie als ein wenig geizig.

»In meiner Stellung kann ich mir selbst im Dienst einen kleinen Sherry leisten«, meinte Chief-Superintendent McWarden genußvoll, »sorgen Sie sich nicht um mich, Mylady.«

»Sie sitzen also wieder mal in der Tinte«, wiederholte die passionierte Detektivin schadenfroh.

»Das wird sich erst noch zeigen müssen, Mylady. Ich wollte Ihnen nur von einem sensationellen Juwelenraub berichten.«

»Kein Fall für mich«, meinte sie wegwerfend.

»Eigentlich handelt es sich sogar um zwei Raubzüge«, korrigierte sich McWarden, »sowohl im Durfield-Hotel als auch im Park-Hotel sind Verkaufssalons geplündert worden. Der Wert beider Überfälle beträgt rund anderthalb Millionen Pfund.«

»Ein hübsches Sümmchen«, fand die Lady, »davon kann eine arme Frau wie ich nur träumen.«

»Sie untertreiben, erheblich, Mylady«, redete McWarden weiter, um sich dann an den Butler zu wenden, »im Fall Durfield-Hotel wissen Sie ja Bescheid, nicht wahr?«

»Beachten Sie bitte die Irritation meiner bescheidenen Wenigkeit«, erwiderte Josuah Parker, »wenn Sie erlauben, möchte ich nachdrücklich widersprechen.«

»Sie waren doch im Hotel, als die beiden Frauen mit ihrer Beute flüchteten, oder? Sie sind einwandfrei identifiziert worden.«

»Natürlich war Mr. Parker im Durfield-Hotel«, schaltete sich Lady Simpson ein, »er hat mich abgeholt. Das heißt, er wollte mich abholen.«

»Mylady hatten das Hotel bereits verlassen, wie ich an der Rezeption erfuhr«, berichtete der Butler weiter, »daraufhin suchte ich die neue Adresse auf, die Mylady hinterlassen hatte.«

»Dann haben Sie allerdings was versäumt, Mr. Parker«, gab McWarden zurück, »zwei Frauen haben einen Verkaufssalon der Diamant-Safes ausgeraubt und die Verkäuferinnen gefesselt.«

»Zwei Frauen, Sir?« erkundigte sich Parker höflich.

»Zwei Frauen«, wiederholte der Chief-Superintendent, »sie haben Schmuck im Wert von fast einer halben Million Pfund mitgenommen. Und zwar in einer ganz normalen Einkaufstasche aus Plastik.«

»Bemerkenswert«, urteilte der Butler, der an die Szene vor dem Hotel dachte.

»Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis man die beiden gefesselten und geknebelten Verkäuferinnen fand«, sagte McWarden, »während dieser Zeit waren die Täter bereits unterwegs, um dem Park-Hotel einen Besuch abzustatten.«

»Natürlich handelt es sich um eine einzige Bande, McWarden«, konstatierte Lady Agatha, »zwei Überfälle ... Anderthalb Millionen Pfund ... Mr. Parker, wie finde ich das?«

»Mylady dürften bereits mit dem Gedanken spielen, sich in diesen Fall einzuschalten«, lautete Parkers Antwort.

»Ich spiele nicht, ich habe mich bereits entschlossen«, sagte die resolute Dame, »Sie allein, mein lieber McWarden, wären ja völlig hilflos. Hat es Überfälle dieser Art bereits schon gegeben?«

»Seit einem guten Jahr nicht mehr, Mylady. Und damals handelte es sich um wesentlich geringere Beträge.«

»Darf man davon ausgehen, Sir, daß Sie den Computer des Yard bereits befragt haben?« Parker spielte darauf an, daß McWarden dort ein Sonderdezernat leitete.

»Natürlich habe ich bereits den Computer angezapft, Mr. Parker«, erwiderte McWarden, »aber auch nur halbwegs ähnliche Raubzüge sind nicht verzeichnet. Hier scheinen sich einige Damen darauf spezialisieren zu wollen, fast im Vorübergehen riesige Beute zu machen. Es muß sich um ungewöhnlich kaltblütige Frauen handeln, denke ich. Leicht wird es nicht sein, sie aufzuspüren.«

»Überlassen Sie das mir, McWarden«, sagte Agatha Simpson, »wie ich Mr. Parker kenne, habe ich bereits eine brauchbare Theorie.«

»In der Tat, Mylady«, antwortete der Butler und verzog keine Miene.

*

Es hatte geläutet, und Josuah Parker schritt in die große Wohnhalle des Fachwerkhauses, das seiner Herrin hier in Shepherd’s Market als Stadtwohnung diente. Das Fachwerkhaus, das auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei stand, begrenzte einen kleinen idyllischen Platz, der von weiteren Fachwerkhäusern gesäumt wurde. Obwohl man wirklich nicht weit von Hyde Park entfernt war, schien man sich hier in einer Oase der Ruhe und des Friedens zu befinden. Von Lärm und Hektik der Millionenstadt London war nichts zu spüren.

Parker überhastete nichts. Zuerst hatte er McWarden einen zweiten Sherry gereicht, bevor er die Haustür öffnen wollte. Er stand inzwischen vor dem verglasten Vorflur und öffnete die Tür zu einem kleinen Wandschrank. Parker drehte einige Bedienungsknöpfe, auf dem Monitor erschien ein Fernsehbild der schweren Haustür. Dort waren zwei ältere Frauen zu sehen, die eindeutig der Heilsarmee angehörten. Sie hielten die typischen Sammelbüchsen in der Hand und waren wohl auch in der Stimmung, zum Dank für eine Spende ein Lied zu singen.

»Die Damen wünschen?« erkundigte sich der Butler über die Wechselsprechanlage. Die beiden weiblichen Soldaten fuhren ein wenig überrascht zusammen, als sie so plötzlich angesprochen wurden. Sie hielten Ausschau nach dem Besitzer der Stimme und entdeckten dann das Lautsprechergitter weit oberhalb der Tür hinter dem spitzgiebeligen, säulengetragenen Dachvorsprung.

»Eine Spende für die Heilsarmee«, sagte die jüngere der beiden und hob fordernd die Spendenbüchse.

»Ihnen wird sofort aufgetan werden«, verhieß Parker den Frauen, die vielleicht dreißig waren. Der Butler betätigte den elektrischen Türöffner, gab den Weg frei in den verglasten Vorraum, baute sich hinter der Zwischentür auf und war für die beiden Heilsarmeesoldaten deutlich zu sehen.

Sie änderten plötzlich ihre Absicht und wollten ihrerseits spenden. Sie hielten plötzlich schallgedämpfte Pistolen in den Händen, richteten die Läufe auf den Butler und feuerten ungeniert drauflos.

Parker zuckte mit keiner Wimper.

Die ihm zugedachten Spenden in Form von einigen Geschossen prallten gegen das schußsichere Panzerglas, hinterließen einige Kratzer und fuhren dann als verunglückte Querschläger zurück und jagten auf die beiden Heilsarmeedamen zu.

Sie hatten mit diesem Effekt nicht gerechnet, duckten sich, schossen aber dennoch weiter und liefen dann plötzlich los, als sie die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens erkannten. Sie rannten auf einen grauen Wagen zu, der plötzlich im Karree erschien. Er mußte vom an der Durchgangsstraße geparkt haben und sollte die beiden schießwütigen Soldaten der Heilsarmee aufnehmen.

Der ganze Spuk dauerte nur wenige Augenblicke. Die beiden Frauen saßen bereits im Wagen, schlugen die Tür hinter sich zu und feuerten dann noch mal auf die Haustür. Das Panzerglas zeigte sich unbeeindruckt wie Josuah Parker«

»Was ist los?« fragte Chief-Superintendent McWarden, der das Ankratzen der schußsicheren Scheiben natürlich gehört hatte. Er erschien neben dem Butler.

»Meine bescheidene Wenigkeit dürfte bei gewissen Damen Unwillen erregt haben«, antwortete der Butler gemessen.

»Das war doch ein Mordanschlag auf Sie, Parker ...«

»So könnte man es natürlich auch nennen, Sir«, räumte der Butler ein.

»Wo steht das Telefon? Ich werde sofort ...«

»Die Damen dürften längst das sogenannte Weite gesucht haben, Sir«, unterbrach Parker den Yardbeamten, »eine Fahndung dürfte nur Energien vergeuden.«

»Möglich, Parker.« McWarden nickte. »Hatten Sie Lunte gerochen?«

»Ein gewisses Mißtrauen, Sir, konnte meinerseits nicht ganz unterdrückt werden.«

»Warum, zum Henker, wollte man Sie erschießen?«

»Eine Begründung seitens der beiden Frauen wurde nicht geliefert, Sir.«

»Ob das mit den Raubzügen zusammenhängt?« fragte McWarden leise und nachdenklich.

»Man sollte solch eine Möglichkeit durchaus in Betracht ziehen.«

»Dann müssen Sie etwas wissen, was Sie auf keinen Fall weitergeben sollen«, schlußfolgerte der Chief-Superintendent. Er sah Josuah Parker mißtrauisch an. »Was haben Sie mir verschwiegen?«

»Wissentlich wahrscheinlich nichts, Sir«, lautete Parkers Antwort, »wenn Sie jedoch gestatten, werde ich mein Gedächtnis einer privaten, strengen Befragung unterziehen und davon auch mein bescheidenes Unterbewußtsein nicht ausnehmen!«

*

»Ein verdammt massiver Gegenschlag, Parker«, stellte Anwalt Mike Rander eine Stunde später fest. Er war zusammen mit Myladys Sekretärin Kathy Porter in das altehrwürdige Haus gekommen und gerade informiert worden.

»Mr. Parker hätte die beiden Mörderinnen nicht entwischen lassen dürfen«, warf die Detektivin verärgert ein.

»Darf man darauf verweisen, Mylady, daß sie erneut versuchen werden, meine bescheidene Person unter Feuer zu nehmen?« erinnerte der Butler.

»Aber warum, Parker?« fragte Mike Rander, der ein wenig an den Darsteller des James Bond erinnerte. Er bewegte sich mit einer Lässigkeit, die fast schon an Phlegma grenzte und war dennoch ein sehr wacher Mensch.

»Haben Sie vielleicht eine wichtige Entdeckung gemacht, Mr. Parker?« fragte Kathy Porter. Sie war in fast allen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung erfahren und konnte es ohne weiteres mit mehreren Gegnern gleichzeitig aufnehmen.

»Sie erzählten, daß eine der beiden Damen strauchelte«, tippte Mike Rander an.

»Und ausgerechnet Sie helfen dieser Gaunerin auch noch«, fuhr die ältere Dame ironisch dazwischen, »das sieht Ihnen wieder mal ähnlich.«

»Wieso können Sie diesen beiden leichten Damen gefährlich werden, Parker? Denken Sie nach!« Mike Rander lehnte sich zurück, sah den Butler jedoch eindringlich an.

»Meine bescheidene Wenigkeit wurde in einer recht rüden Form abgewiesen«, erinnerte der Butler, »es fiel ein Hinweis in der Art wie abhauen oder ähnlich ...«

»Kann es das gewesen sein, Mr. Parker?« fragte Kathy Porter.

»Diese Aufforderung, Miß Porter, klang in meinen Ohren recht ordinär, wie ich bekennen möchte.«

»Ist das alles?« grollte Lady Simpson. »Würden Sie diese beiden Frauen wiedererkennen?«

»Wohl kaum, Mylady«, sagte Parker, »es handelte sich um, wenn ich so sagen darf, genormte Gesichter.«

»Sie meinen das Make-up, Mr. Parker?« fragte Kathy Porter.

»In der Tat, Miß Porter«, bestätigte der Butler, »zudem spielten die Dinge sich in schnellem Zeitmaß ab.«

»Zwei Damen, die aus einem Hotel rennen«, stichelte die Detektivin genußvoll, »jeder wäre mißtrauisch und wachsam geworden, Sie aber nicht, Mr. Parker!«

»Hat die Frau vielleicht etwas verloren, das Sie jetzt bei Ihnen vermutet, Mr. Parker?« forschte Myladys Sekretärin und Gesellschafterin weiter.

»Ich muß bedauern, Miß Porter. Die Dame knickte ein, wäre vollends zu Boden gestürzt, wenn ich meine hilfreiche Hand nicht geliehen hätte, kniete halb nieder, raffte sich wieder auf und verschwand dann im Rolls-Royce.«

»Der von einem Mann gefahren wurde?« warf der Anwalt ein.

»Dessen bin ich fast sicher, Sir.«

»Sie wollten noch etwas hinzufügen, Mr. Parker?« fragte Mike Rander.

»Einen gewissen Verdacht, Sir.«

»Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Mr. Parker«, ließ die ältere Dame sich verärgert hören, »welchen Verdacht haben Sie .. ?«

»Bei den Damen könnte es sich durchaus auch um Männer gehandelt haben, wenn ich so sagen darf.«

»Frauen, die Männer sind?« Lady Agathas Gesicht nahm einen völlig verdutzten Ausdruck an.

»Transvestiten«, erklärte Mike Rander, »Männer, die aufgrund gewisser Veranlagung mit Vorliebe Frauenkleider tragen.«

»Es war dieses bereits erwähnte ›Hau ab‹, Mylady, das einen ersten Verdacht weckte.«

»War es eine Männerstimme, Mr. Parker?« wollte die Hausherrin wissen.

»Nicht unbedingt, Mylady. Wie gesagt, eine letzte Sicherheit vermag ich keineswegs zu bieten. Es handelt sich nur um einen vagen Verdacht.«

»Wir haben es selbstverständlich mit Transvestiten zu tun«, erklärte Agatha Simpson jetzt kategorisch, »ich ahnte es übrigens gleich und wollte nur nicht vorpreschen.«

»Natürlich nicht«, meinte Mike Rander und tauschte mit Kathy Porter einen schnellen Blick. Als er dann zu Parker hinübersah, zuckte der Butler mit keiner Wimper. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos.

*

»Ich kann’s einfach nicht glauben, Mike«, sagte Kathy Porter und schüttelte den Kopf, »das sollen Männer sein?«

»Darauf können Sie sogar Gift nehmen, Kathy«, erwiderte der Anwalt lächelnd. Er war zusammen mit Myladys Sekretärin in der Spätvorstellung einer Bühnenshow, deren Mitglieder aus Paris kamen.

Auf der Bühne stand die legendäre Marilyn Monroe und erklärte gerade mit erotisch hingehauchter Kinderstimme, Diamanten seien die besten Freunde eines Mädchens. Die Illusion war tatsächlich perfekt. Jede Geste stimmte, vom Aussehen mal ganz zu schweigen. Das Kleid umspannte wie eine zweite Haut eine schlanke Figur, die dennoch all das aufwies, was die amerikanische Schauspielerin einst ausgezeichnet hatte. Im Hintergrund bewegten sich Showgirls, die geradezu aufregende Proportionen zeigten.

»Ich kann’s einfach nicht glauben«, murmelte Kathy Porter beeindruckt.

»Ich wette, Kathy, daß Sie das noch häufiger wiederholen werden«, antwortete der Anwalt lächelnd. Dank seiner Verbindungen war es ihm gelungen, noch zwei Karten für diese Vorstellung zu bekommen. Die Show aus Paris war normalerweise Nacht für Nacht total ausverkauft. Man riß sich förmlich um die Eintrittskarten.

»Jetzt kann ich verstehen, warum Mr. Parker so unsicher ist«, sagte Kathy Porter, »die Illusion ist bestechend.«

»Und die Aussichten dagegen miserabel«, meinte Rander, »diese Männer werden uns an der Nase herumführen, falls wir’s tatsächlich mit Transvestiten zu tun haben.«

Kathy Porter und Mike Rander ließen sich vom Geschehen auf der Bühne mitreißen. Die Damen, die Männer waren, parodierten internationale Busenstars, boten eigene Nummern, zogen alle Register ihres Könnens und ernteten Beifallsstürme. Die Zuschauer waren begeistert und vergaßen die sprichwörtliche britische Gelassenheit.

»Als wirkliche Frau kommt man sich dagegen direkt ungelenk vor«, stellte Kathy Porter fest.

»Einspruch«, meinte Rander lächelnd. Zwischen ihm und Kathy herrschte ein sehr enges Verhältnis, was Lady Simpson übrigens mehr als wohlwollend registrierte und noch zusätzlich förderte. Sie hoffte, daß die ›Kinder‹, wie sie sie nannte, eines Tages heirateten.

»Sie rutschen dort oben auch nicht mal ins Geschmacklose ab«, staunte Kathy Porter, »wir werden es tatsächlich sehr schwer haben ... Ist die Truppe bekannt, Mike?«

»Sie ist absolute Spitze, Kathy«, antwortete Mike Rander, »meiner Ansicht nach haben die Künstler mit den beiden Raubzügen nicht die Spur zu tun.«

»Gibt es viele solcher Trupps?«

»Erstaunlich viele«, wußte der Anwalt zu sagen, »es gibt daher natürlich auch Klassenunterschiede.«

»Aber der Kreis der Transvestiten ist doch überschaubar, oder?«

»Erfreulicherweise, Kathy. Ich bin sicher, daß Parker bereits seine Verbindungen spielen läßt. Nach dem Mordversuch weiß er, daß Eile geboten ist.«

»Glauben Sie, daß auch wir in Gefahr schweben, Mike?«

»Und ob, Kathy! Die Juwelenräuber glauben, daß Parker irgendeine Entdeckung gemacht hat. Sie müssen natürlich annehmen, daß er uns bereits informiert hat.«

»Jede Frau hier könnte eine der Täterinnen sein, Mike.« Kathy Porter sah sich im Zuschauerraum um.

»Scheußliche Vorstellung.« Rander lächelte knapp. »Daran werde ich mich erst noch gewöhnen müssen.«

»Ich denke gerade an die geraubten Steine und an den Schmuck, Mike. Man wird das alles doch absetzen müssen, oder?«

»Hier in London ganz sicher nicht«, gab der Anwalt zurück, »meiner Schätzung nach wird man die Beute von der Insel schmuggeln und drüben auf dem Kontinent zu Geld machen.«

Er sah kurz zur Seite, als ein Kellner erschien und sich verbeugte. Er reichte dazu einen Brief an den Anwalt weiter.

»Für mich?« fragte Mike Rander.

»Für Sie, Sir«, bestätigte der Mann, »eine Dame drüben an der Bar hat ihn mir gegeben.«

Mike Rander nahm den Brief entgegen und wandte sich um. Er beobachtete die Bar weit hinten im Raum, konnte jedoch nichts feststellen, was hätte Verdacht erregt. Vor dem langen Bartresen saßen und standen etliche Damen und Herren, die von dort aus die Bühnenshow verfolgten.

»Wahrscheinlich eine Warnung, Mike«, sagte Kathy Porter, als Rander den Brief in der Hand wog.

»Werden wir gleich wissen, Kathy.« Er öffnete den nur oberflächlich verschlossenen Umschlag und zog einen Bogen hervor. Er überflog die wenigen Zeilen und reichte das Blatt dann an Kathy Porter weiter.

»Hoffentlich kommen Sie gesund nach Hause«, las sie halblaut, »Kugeln sind schnell und tödlich.«

»Stimmt auf der ganzen Linie«, sagte Mike Rander, »ich denke, wir sollten verdammt auf der Hut sein, Kathy.«

*

Parker wußte seit einigen Minuten, daß sein hochbeiniges Monstrum verfolgt wurde.

Er saß am Steuer seines Privatwagens, einem ehemaligen Londoner Taxi, das sich durch hohe und eckige Formen auszeichnete. Der Wagen war nach Parkers Vorstellungen gründlich überarbeitet worden, was gewisse technische Dinge betraf, er war eigentlich zu einer Trickkiste auf Rädern geworden, wie Eingeweihte und Betroffene inzwischen wußten. Und immer wieder nahm Josuah Parker Korrekturen an der Ausstattung vor, um von der Technik seiner Gegner nicht überholt zu werden.

Er war nicht allein im Wagen. Im Fond saß seine Herrin, die sich an diesem nächtlichen Ausflug unbedingt beteiligen wollte. Sie hatte von Parker inzwischen erfahren, daß ihnen ein Morris folgte, in dem offenbar zwei Frauen saßen. Die ältere Dame machte daher einen recht animierten Eindruck. Sie hoffte, daß die Verfolgerinnen, die keine Damen waren, versuchen würden, sich mit ihr anzulegen. Immer wieder warf sie einen prüfenden Blick durch das Rückfenster des Wagens.

»Ich werde bald zuschlagen können, Mr. Parker«, sagte sie optimistisch, »sorgen Sie gefälligst dafür, daß die beiden Frauen nicht abgehängt werden.«

»Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, antwortete der Butler höflich, »darf ich übrigens darauf verweisen, daß diese Beschattung ungewöhnlich dilettantisch vorgenommen wird?«

»Ich habe nichts dagegen«, meinte die Detektivin und prüfte die Einsatzbereitschaft ihres Pompadours. In diesem perlenbestickten Handbeutel, wie ihn die Damen der Jahrhundertwende trugen, befand sich der sogenannte ›Glücksbringer‹ der Lady. Er bestand aus einem Pferdehufeisen, das nur oberflächlich in Schaumstoff gehüllt war. In der nervigen Hand Agatha Simpsons, die gern und schlecht Golf spielte, war dieser Pompadour eine beachtliche Waffe, zumal sie es verstand, diesen Handbeutel auch über mittlere Entfernungen hinweg auf ein Ziel zu schleudern.

Parker sah in den Außenspiegel. Der Morris hatte sich wieder genähert und bemühte sich gerade, einen Wagen zu überholen. Dies geschah in einer gefährlichen Mischung aus Zögern und unnötiger Entschlossenheit. Der Butler konnte sich kaum vorstellen, daß die Insassen des verfolgenden Wagens glaubten, nicht entdeckt zu werden. Ja, legten sie es vielleicht sogar aus bestimmten Gründen darauf an, gesehen zu werden?

»Wann kann ich mir diese beiden Dämchen endlich kaufen, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Simpson ungeduldig.

»Myladys Einverständnis voraussetzend, könnte man es in der nächsten Seitenstraße zu einer Begegnung kommen lassen«, erwiderte Josuah Parker in seiner typischen Art der Formulierung, »darf man daran erinnern, daß die beiden angeblichen Mitglieder der Heilsarmee sofort schossen?«

»Ich will doch hoffen, daß Sie etwas dagegen unternehmen, Mr. Parker«, antwortete Lady Agatha grimmig, »McWarden wird sich schwarz ärgern, wenn ich ihm morgen die Schmuckräuber serviere.«

Den Hinweis auf etwaige Schüsse hatte Lady Agatha schon wieder vergessen. Für sie galt einzig und allein, den Chief-Superintendent ärgern zu können. Ihr Verhältnis zu ihm und umgekehrt war eine Art Haßliebe. Man brauchte sich gegenseitig, gestand es sich aber natürlich nicht ein.

Josuah Parker lenkte sein hochbeiniges Monstrum inzwischen in eine stille Seitenstraße und setzte noch in der Kurve eine kleine Dosis Gleitöl auf den Asphalt. Es handelte sich wirklich nur um eine geringe Menge, doch sie reichte seiner Erfahrung nach vollkommen aus, einen unvorbereiteten Fahrer aus dem Konzept zu bringen.

Er hatte sich wieder mal nicht getäuscht.

Der Morris, der schnell aufschließen wollte, geriet mit dem rechten Vorderrad auf das Gleitöl und ließ den Wagen ruckartig ausbrechen. Die Fahrerin bremste, fing den Wagen nur ungeschickt ab und schaffte es mit geradezu spielerischer Leichtigkeit, den Morris gegen den Mast einer Straßenbeleuchtung zu setzen. Glas splitterte und Blech wurde ächzend eingedrückt. Der Anprall war nicht besonders nachdrücklich, und die beiden Insassen konnten ohne weiteres ausasteigen und sich den Schaden betrachten.

»Die Damen haben Schwierigkeiten?« erkundigte sich Josuah Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. Er hatte seinen Wagen verlassen und näherte sich den beiden Insassen des Morris, die ihn entgeistert anschauten. Parker jedoch blieb auf der Hut. Er wußte schließlich, wie schnell und konsequent diese Sorte Damen zur Schußwaffe griff.

*

»Was soll das, Kathy?« fragte Mike Rander. Er hatte sich von Kathy dazu überreden lassen, hinter die Bühne zu gehen. Der Anwalt schaute sich irritiert um und sah sich umgeben von Künstlern, die entweder auf ihren Auftritt warteten oder ihn gerade beendet hatten. Das alles wirkte ziemlich chaotisch auf Rander, doch Kathy Porter schritt zielbewußt weiter und hielt seine Hand. Ob er wollte oder nicht, er mußte mitkommen und erreichte mit ihr einen langen Korridor, dessen Wände aus nackten Ziegeln bestanden.

»Ich möchte nicht, daß Ihnen was passiert, Mike«, beantwortete sie seine Frage und lächelte.

»Nett von Ihnen, Kathy. Aber falls man uns auflauert, dann auch auf der Rückseite des Theaters hier.«

»Ich weiß.« Die junge Dame nickte, blieb stehen und sah sich um. Dann schob sie Mike Rander in einen kleinen Raum, in dem die Bühnenarbeiter ihre Geräte aufbewahrten.

»Kennen Sie sich hier aus, Kathy?« fragte Rander.

»Natürlich nicht, Mike. Wollen Sie einen Moment warten?«

»Wollen schon, aber ich möchte wissen, was Sie da eigentlich vorhaben?«

»Sie werden’s gleich sehen.« Sie lachte plötzlich, wandte sich ab und drückte hinter sich die Tür an. Rander schüttelte den Kopf, lehnte sich gegen ein Regal, auf dem Werkzeuge lagen, und dachte an die Warnung, die sie eben erhalten hatten. Im Grund war sie eine einzige Drohung gewesen. Die Absicht lag auf der Hand. Man wollte Kathy und ihn verunsichern und einschüchtern. Vielleicht lag man jedoch auch wirklich auf der Lauer, um ein paar gezielte Schüsse abzufeuern.

Beifall rauschte auf, Künstler liefen an der spaltbreit geöffneten Tür vorüber, Stimmen waren zu hören, dann herrschte Stille, die vom schmetternden Einsatz einer Musiknummer abgelöst wurde. Rander fühlte eine gewisse Nervosität in sich aufsteigen. Er machte sich Vorwürfe, daß er Kathy allein gelassen hatte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was sie wollte.

Doch sie kam bereits wieder zurück und lächelte. Sie reichte ihm eine Art Skalp und drückte ihm einen gesteppten Nylonmantel in die Hand.

»Was ist das?« fragte er und betrachtete den Skalp.

»Eine Perücke«, erwiderte sie und gluckste vor Lachen.

»Hören Sie, wollen Sie aus mir Charleys Tante machen?«

»Setzen Sie es auf, Mike«, bat sie eindringlich, »ziehen Sie sich den Mantel über... Wir werden mit Leichtigkeit wegkommen.«

»Niemals, Kathy«, sagte er und reichte ihr die Perücke zurück.

»Was ist denn schon dabei, Mike?« wollte sie wissen. »Das ist doch nur eine Kriegslist.«

»Ich käme mir albern vor, Kathy.«

»Besser albern, als ein tödlicher Schuß«, sagte sie eindringlich, »der Mantel müßte eigentlich passen.«

»Woher haben Sie die Klamotten, Kathy?«

»Ich hab’ sie mir ausgeliehen«, gab sie zurück, »ich habe auch ein paar entsprechende Banknoten zurückgelassen.«

»Ideen haben Sie!« Er zog sich versuchsweise den Trenchcoat über, der ein wenig eng saß, sich aber dennoch tragen ließ.

»Sehr schön«, bestätigte sie, »und jetzt die Perücke, Mike.«

»Niemals.« Rander wich zurück.

»Was ist denn schon dabei, Mike? Es handelt sich doch nur um eine Kriegslist.«

»Niemals, Kathy. Ich sehe doch schon, daß Sie Lachfältchen bekommen.«

»Die bilden Sie sich nur ein, Mike. Ich meine es ernst. Warum wollen Sie das Risiko eingehen, angeschossen zu werden?«

»Und was ist mit Ihnen? Die Warnung war schließlich auch an Sie gerichtet. Wie tarnen denn Sie sich?«

»Das werden Sie sofort sehen ...« Kathy hielt plötzlich eine weitere Perücke in der Hand, eine silberfarbene, die einem Alptraum glich. Das schulterlange, leicht gekräuselte Haar verlieh der Trägerin ein Aussehen einer aufgedonnerten Bühnenschönheit. Sie hatte diese Perücke nämlich blitzschnell übergestreift und präsentierte sich so dem Anwalt.

»Scheußlich schön ...« sagte Rander und lachte.

»Würden Sie mich wiedererkennen, Mike?«

»Kaum«, räumte er ein, »aber bei Ihnen ist das eben anders, Sie sind schließlich eine Frau. Aber ich kann unmöglich mit einer Perücke herumlaufen. Nein, ausgeschlossen!«

*

Auf dem Dach einer Garage saß ein junger Mann, der ein Gewehr in Händen hielt. Er kontrollierte gerade den fachgerechten Sitz eines Schalldämpfers, den er aufgeschraubt hatte. Der Fünfundzwanzigjährige trug Handschuhe und nahm ein schweres Nachtglas hoch. Damit beobachtete er die Hinterfront eines langgestreckten, saalähnlichen Gebäudes.

Immer dann, wenn eine Eisentür an der Rückseite dieses Bühnenhauses geöffnet wurde, konzentrierte sich der junge Mann auf die Personen, die herauskamen. Er wußte genau, auf wen er zu achten hatte. Man hatte ihm Fotos gezeigt, und er hatte sich zwei bestimmte Gesichter aufmerksam angesehen.

Das schallgedämpfte Gewehr lag griffbereit neben ihm. An seinem Hals hing ein kleines Funksprechgerät von der Größe zweier Zigarettenpackungen. Im Ohr steckte ein Clip, der ankommende Rufe ans Trommelfell weiterleitete.

»Achtung«, hörte er eine etwas verzerrt klingende Stimme, »die beiden Objekte haben den Zuschauerraum verlassen ... Aufpassen! Sie werden versuchen, den Hinterausgang zu nehmen.«

»Alles verstanden«, erwiderte der junge Mann leise und brachte die Lippen dicht an das eingebaute Mikrofon des Funksprechgerätes, »hier kommt keiner durch...«

Er nahm wieder das Glas hoch, und im selben Moment wurde die Eisentür geöffnet. Für einen Moment erkannte der junge Mann nur zwei dunkle Gestalten, die sich jedoch deutlich gegen den hellen Hintergrund abhoben. Bis sie auf der Eisentreppe waren, die hinunter in den Hinterhof führte, wartete er, dann sah er wesentlich mehr, nämlich die Gesichter der beiden Gestalten.

Es waren zwei Frauen, die den Garderobentrakt des kleinen Show-Theaters verlassen hatten. Eine von ihnen hatte schulterlanges, silbriges und mit Sicherheit falsches Haar. Die andere Frau war honigblond und trug ein grelles Make-up. Sie bewegte sich geradezu aufreizend in den Hüften und stakste auf hohen Absätzen über das holprige Pflaster des Hinterhofes. Beide Frauen redeten miteinander und gingen zu dem Torweg, der zur anderen Straße führte.

Der junge Mann verzog abfällig das Gesicht, griff aber nicht nach dem Gewehr. Für ihn war es klar, daß die beiden Frauen im Hinterhof Transvestiten waren, die ihre spezielle Art von Kriegsbemalung angelegt hatten.

Er setzte das Glas ab und streckte die Beine aus. Er blieb wach und beobachtete die Eisentür. Früher oder später würden die beiden Schnüffler schon auftauchen. Er hoffte, daß sie den Hinterausgang benutzten, denn er wollte liebend gern zum Schuß kommen.

Die Tür öffnete sich erneut. Der junge Mann riß das Nachtglas hoch und beobachtete die Person. Es handelte sich um einen untersetzten Dicken, der schwerfällig über die Eisentreppe nach unten stieg. Nein, dieser Mann kam nicht in Betracht!

»Achtung, Achtung«, hörte der Beobachter im Ohrclip dann, »sind die beiden Objekte aufgetaucht?«

»Nichts«, gab er leise zurück, »die verstecken sich wahrscheinlich in irgendeiner Garderobe. Hier tut sich nichts. Wie sieht es vorn auf der Straße aus?«

»Nichts«, lautete die etwas verzerrt klingende Antwort, »aber sie werden kommen müssen... Laß’ dich nur nicht ’reinlegen.«

»Kann mir nicht passieren«, erwiderte der junge Mann, »wenn sie hier ’rauskommen, sind sie geliefert.«

Er griff wieder nach seinem Nachtglas und versetzte sich in Alarmstimmung. Die Eisentür hatte sich wieder geöffnet. Nacheinander erschienen sechs, acht, zehn Personen, die er alle genau durchmusterte. Die Bühnenshow schien beendet zu sein, die Mitglieder des Ensembles verließen die Garderoben.

Deshalb konnte es nicht mehr lange dauern. Der junge Mann griff versuchsweise nach seinem Gewehr, um blitzschnell reagieren zu können, sobald seine Opfer auftauchten. Sie hatten keine Chance, dem Gewehrschuß zu entkommen. Ihm würde nicht das passieren, was seinen Freunden jetzt noch im Magen saß, nämlich eine Panne. Hier gab es schließlich keine schußsicheren Panzerglasscheiben ...

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»Die Damen wünschen?« erkundigte sich Butler Parker und musterte die Besucherinnen, die geläutet hatten. Er war ein wenig schockiert, was das Aussehen der Frauen betraf. Eine von ihnen trug eine Art Silberhaar, die andere war superblond.

»Hallo, Parker«, grüßte die Frau, deren blonde Locken wie eine Löwenmähne aussahen.

»Mr. Rander!?« Parkers Stimme klang gedehnt.

»Charleys Tante«, meinte der Anwalt, »wie wär’s denn, wenn Sie uns ’reinlassen würden?«

»Sofort und umgehend, Sir«, antwortete Josuah Parker und öffnete die Glastür des quadratischen Vorflurs. Er hatte sich bereits wieder voll unter Kontrolle.

»Sie sind also auch ’reingefallen«, konstatierte der Anwalt, »wo steckt die Hausherrin?«

»Mylady nimmt noch einen kleinen Imbiß ein«, Parker deutete diskret in Richtung Salon.

»Dann wollen wir sie überraschen, Kathy, wie?« Die Frau mit dem schulterlangen Silberhaar nickte, um dann mit Mike Rander in den Salon zu gehen. Als sie den Raum betraten, führte die ältere Dame gerade eine gefüllte Gabel zum Mund. Agatha Simpson schaute hoch, nahm die beiden Frauen wahr und ... hielt die Gabel in der Schwebe.

»Wie... Wie kommen Sie denn hier herein?« fragte sie endlich.

»Ihr Butler hat uns ’reingelassen«, antwortete Kathy Porter mit verstellter Stimme.

»Mr. Parker?« Die Lady kniff die Augen zusammen und schüttelte verständnislos den Kopf.

»Wie geht es, Lady Simpson?« erkundigte sich Mike Rander mit normaler Stimme.

»Du lieber Himmel... Mike?« fragte sie und musterte dann ihre Gesellschafterin, »Kathy, sind Sie es?«

»Wie finden Sie unsere Maske?« fragte Kathy Porter und nahm endlich die Silberhaar-Perücke ab.

»Umwerfend«, gestand Lady Agatha, »Sie wirken direkt sexy, Mike.«

»Finde ich auch«, sagte der Anwalt und entledigte sich ebenfalls seiner Perücke, »nur die Stöckelschuhe stören, wenn ich ehrlich sein soll.«

»Wozu diese Maskerade, Kinder?« fragte die Detektivin. Mike Rander vergewisserte sich, daß Josuah Parker nachgekommen war, um dann die gemeinsam erlebte Geschichte zu schildern.

»Sie sind noch im Besitz dieses ominösen Schreibens, Sir?« fragte Parker dann.

»Natürlich, aber Fingerabdrücke werden wir mit Sicherheit nicht finden«, sagte der Anwalt und reichte Parker das Schreiben, das er und Kathy im Show-Theater erhalten hatten, »der Text ist mit Buchstaben aus einer Zeitung zusammengesetzt worden. Die übliche Masche, die heute ja schon jeder Analphabet beherrscht.«

»In der Tat, Sir«, pflichtete Parker dem Anwalt bei und warf einen kurzen Blick auf das Schreiben, »darf ich mir erlauben, Ihnen zu diesem Täuschungs-Coup zu gratulieren?«

»Miß Porter bestand darauf«, sagte der Anwalt, »ich komme mir selbst jetzt noch ziemlich albern vor. Es muß grauenhaft ausgesehen haben, als ich meine Hüften schwang.«

»Sie waren überzeugend, Mike«, fiel Kathy Porter lachend ein, »selbst ich hätte das so gekonnt nicht hingekriegt.«

»Hatten Sie das Gefühl, belauert zu werden?« erkundigte sich Josuah Parker.

»Doch, durchaus«, meinte Kathy Porter und sah den Anwalt an, der zustimmend nickte, »der Brief sollte uns dazu bringen, das Theater vorzeitig zu verlassen oder uns unsicher zu machen.«

»Mir erging es kaum anders«, schaltete sich Lady Simpson ein, »ich bin von zwei Frauen verfolgt worden.«

»Wir haben Gäste im Haus?« fragte Mike Rander sofort interessiert.

»Die beiden Damen, die Mylady so hartnäckig verfolgten, Sir, entpuppten sich bei näherer Betrachtung als Damen eines Gewerbes, das man gemeinhin das älteste der Welt zu nennen pflegt.«

»Ich verstehe.« Rander lächelte.

»Die beiden Vertreterinnen dieses Gewerbes konnten glaubhaft machen, daß man sie gegen Zahlung einer ansehnlichen Summe engagierte, Mylady zu verfolgen«, berichtete Josuah Parker weiter, »Rückfragen bestätigten, daß die beiden Frauen keineswegs Transvestiten sind. Mylady verzichtete in Anbetracht der Sachlage darauf, die beiden Damen einzuladen.«

»Eine recht hübsche Mischung aus Nervenkrieg und scharfen Schüssen«, fand die Detektivin grimmig, »man will mich davon abhalten, diesen Fall zu klären. Diese Damen, die keine sind, werden noch einiges erleben, nicht wahr, Mr. Parker?«

»Mit letzter Sicherheit, Mylady«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflichen Art, »Mylady nahmen bisher noch jede Herausforderung an.«

*

»Sie machen ja recht hübsche Schlagzeilen, mein lieber McWarden«, sagte Lady Simpson am anderen Morgen, als Parker den Gast in den kleinen Salon geführt hatte, »Sie kommen übrigens zu spät. Ich habe meine Diät bereits zu mir genommen.«

»Diät, Mylady?« erwiderte Chief-Superintendent ein wenig spöttisch und deutete auf die Reste eines mehr als reichhaltigen Frühstücks, das recht üppig ausgefallen sein mußte.

»Nur ein paar kleine Häppchen, mein lieber McWarden«, sagte sie, »aber lenken Sie nicht ab. Ich sprach gerade von recht hübschen Schlagzeilen.«

»Die Presse ist über uns hergefallen«, beschwerte sich McWarden, »man fragt wieder mal, was die britische Polizei eigentlich wert ist.«

»Dies tue ich seit Jahren, mein lieber McWarden«, reagierte Lady Agatha süffisant, »zu einer schlüssigen Antwort bin ich allerdings noch nicht gekommen.«

»Die Schlagzeilen werden wohl noch fetter werden, Mylady.« McWarden seufzte. »Vor gut einer Stunde ist ein Juwelier in Westend überfallen worden.«

»Waren es Damen, die dieses Delikt verübt haben?« erkundigte sich die ältere Dame interessiert.

»Zwei sehr elegant gekleidete Männer«, berichtete der Chief-Superintendent weiter und warf Parker einen Blick zu, der Bände sprach. »Sie kamen gegen zehn Uhr ins Geschäft und hielten plötzlich eine abgesägte Schrotflinte in Händen. Sie zwangen den Geschäftsinhaber, sämtlichen bereits ausgelegten Schmuck herauszurücken.«

»Wie hoch ist die Beute diesmal?«

»Über fünfhunderttausend Pfund, Mylady. Die Täter benutzten einen Rolls-Royce, was natürlich nichts zu besagen hat, vorerst mal gesehen.«

»Wir haben es mit diesen leichten Damen zu tun«, entschied die Detektivin sofort und energisch, »ich hoffe, Sie sind meiner Meinung, McWarden?«

»Ich möchte mich da lieber nicht festlegen, Mylady. Vielleicht haben wir es auch mit sogenannten Anschlußtätern zu tun, die die Morgenzeitung gelesen haben.«

»Dann wären sie als Frauen auf getreten«, warf Josuah Parker ein, »entschuldigen Sie möglichst meine bescheidene und unmaßgebliche Meinung, Sir.«

»Man könnte verzweifeln«, redete McWarden weiter, »kaum haben wir uns damit abgefunden, daß wir uns auf ... Damen zu konzentrieren haben, da erscheinen auch schon wieder Männer und schaffen ein heilloses Durcheinander.«

»Die Damen und Herren sind Mitglieder einer einzigen Bande, mein lieber McWarden«, gab Lady Simpson zum besten, »und ich prophezeie Ihnen weitere Überfälle und Raubzüge.«

»Dann muß es sich um eine neu gegründete Bande handeln«, urteilte McWarden, denn »unser Zentral-Computer konnte uns nichts Vergleichbares anbieten.«

Butler Parker 142 – Kriminalroman

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