Читать книгу Butler Parker 148 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3
Оглавление»Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit zutiefst bestürzt«, versicherte Josuah Parker, »mir fehlen, wenn auch nur andeutungsweise, die Worte, um all das auszudrücken, was meine Person bewegt.«
»Man hört es«, antwortete Chief-Superintendent McWarden grimmig und holte tief Luft. Er lag im Bett eines Einzelzimmers und bot einen bedauernswerten Anblick. Die rechte Schulter war dick verbunden, auf der Stirn befanden sich einige Pflaster.
»Ich darf Sie meines Mitgefühls versichern, Sir«, redete Josuah Parker in seiner typischen Art weiter, »darüber hinaus war ich so frei, Ihnen ein kleines Geschenk mitzubringen.«
»Ich werde hier bestens versorgt«, meinte der Yard-Beamte, »hoffentlich haben Sie sich nicht in Unkosten gestürzt, Mr. Parker.«
»Selbst Unkosten hätten mich nicht abschrecken können, Sir.« Der Butler deponierte auf dem Nachttisch eine flache Kiste mit Zigarren, eine Flasche Whisky und einige Taschenbuch-Krimis. McWarden, ein bullig aussehender, untersetzter Fünfziger, musterte die Geschenke und sah überrascht seinen Besucher an.
»Ich habe ja fast das Gefühl, Mr. Parker, daß Sie mich irgendwie schätzen«, sagte er dann, griff nach den Taschen-Krimis und verzog das Gesicht. »Genau die richtige Lektüre für mich. In diesen Krimis löst sich jeder Fall, elegant und konsequent. Leider sieht die Realität anders aus.«
»Sie wissen nach wie vor nicht, Sir, wer Sie angeschossen haben könnte?« erkundigte sich der Butler.
»Keinen blassen Schimmer, Mr. Parker.« McWarden schüttelte den Kopf. »Ich wurde aus der Dunkelheit heraus unter Feuer genommen. Und nicht nur ich, wie Sie ja inzwischen wissen.«
»In der Tat, Sir«, gab Josuah Parker zurück, »auch andere hohe Polizeiangehörige wurden teils an- teils niedergeschossen. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang versichern, daß das Glück auf Ihrer Seite stand, als der eben erwähnte Schuß fiel.«
»Zwei Superintendenten tot, zwei schwer verletzt.« McWarden nickte. »Und mit weiteren Anschlägen ist wohl fest zu rechnen.«
»Eine Serie, Sir, die man unbedingt und äußerst schnell beenden muß.«
»Eine Serie, die vielleicht gerade erst begonnen hat, Mr. Parker«, antwortete der Chief-Superintendent, »weiß der Himmel, was dahinter steckt. Das alles scheint eine Treibjagd auf uns zu sein.«
»Darf man davon ausgehen, Sir, daß die Polizeibehörden bereits massiv ermitteln?«
»Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Parker. Bei uns läuft alles auf Hochtouren. Stellen Sie sich doch mal vor, was passieren wird, wenn man einen Polizeioffizier nach dem anderen aus dem Weg räumt? Nicht auszudenken. Wie denkt denn Lady Simpson über die Geschichte?«
»Mylady fühlte ich veranlaßt, helfend einzugreifen«, verkündete Josuah Parker, ein Mann, der das fünfzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten hatte. Er war etwas über mittelgroß, fast schlank und sah rein äußerlich aus wie das Urbild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers. Parker trug einen schwarzen Zweireiher, ein weißes Hemd und einen schwarzen Binder. Den Bowler, ebenfalls natürlich in schwarzer Farbe, hatte er im Krankenzimmer abgenommen. In der schwarz behandschuhten Hand hielt der Butler seinen altväterlich gebundenen Regenschirm.
»Im Klartext heißt das also, daß Sie sich bereits eingeschaltet haben, Mr. Parker, wie?« fragte McWarden, der an eine stets leicht gereizte Bulldogge erinnerte.
»Ich war so frei, Sir, meine privaten Ermittlungen in die Wege zu leiten«, versicherte Parker dem Chief-Superintendenten, »in diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß in Kreisen der Unterwelt eine deutlich spürbare Nervosität um sich gegriffen hat.«
»Das kann ich mir vorstellen.« McWarden nickte. »Diese Herrschaften fürchten um ihre Ruhe, wie?«
»So könnte man es in der Tat ausdrücken, Sir«, gab Josuah Parker zurück, »es gehört nicht gerade zu den Gepflogenheiten der Unterwelt, auf Polizeioffiziere schießen zu lassen. Man weiß nur zu gut, was man damit an Razzien auslöst, die das sogenannte normale Arbeiten erschweren.«
»Man hat mich zwar erwischt, aber nicht ausgeschaltet«, erklärte McWarden, »hier vom Bett aus werde ich ermitteln. Und ich werde diese Mörder finden!«
»Meiner Wenigkeit fiel auf, Sir, daß Ihr Krankenzimmer nicht bewacht wird.«
»Das fehlte noch, Mr. Parker. Ich habe selbstverständlich eine Waffe bei mir. Hoffentlich versucht der Mörder, sich noch mal mit mir zu befassen. Er wird dann was erleben!«
»Dürfte ich mir dennoch eine Anregung erlauben, Sir?«
»Natürlich, Mr. Parker, Sie wissen doch, wie sehr ich Sie und Ihr Urteilsvermögen schätze.«
»Vom Dach der gegenüberliegenden Häuser aus könnte man mittels eines Spezialgewehres durchaus Ihr Zimmer und damit auch Sie erreichen.«
»Das klingt aber ziemlich weit hergeholt«, meinte McWarden, der sich nun allerdings leicht aufrichtete und durch das Fenster auf die Rückfront jener Häuser blickte, die Parker gerade erwähnte.
»Es wäre zu empfehlen, Sir, das Bett dort an die gegenüberliegende Wand zu rücken«, schlug der Butler vor, »wenn Sie erlauben, werde ich dies sofort in die Tat umsetzen.«
»Unsinn, Mr. Parker«, sträubte sich McWarden und ... zuckte verständlicherweise zusammen, als genau in diesem Augenblick die Fensterscheibe splitterte.
*
»Sehr schön, Mr. Parker«, fand Agatha Simpson und nickte erfreut, »und was geschah?«
Josuah Parker war nach Shepherd’s Market in das altehrwürdige Fachwerkhaus seiner Herrin zurückgekehrt und hatte bis zu diesem Punkt Bericht erstattet. Er stand einer großen, fülligen und majestätisch aussehenden Frau gegenüber, die wenigstens sechzig Jahre zählte. Sie verfügte dennoch über die Robustheit und Energie eines Bulldozers, dessen Motor auf Höchsttouren arbeitet. Lady Agatha, immens vermögend, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, hielt sich für eine gottbegnadete Kriminalistin und eine Bestseller-Autorin der nahen Zukunft. Sie war eine Frau voller Widersprüche, konnte grob sein wie der sprichwörtliche Fuhrknecht, konnte aber auch einen bestrickenden Charme entfalten. Sie nannte die Dinge stets beim Namen und entzog sich jeder Konvention.
»Chief-Superintendent McWarden, Mylady, kam mit einem leichten Schrecken davon«, erzählte ihr Butler weiter, »McWarden hatte nach diesem Schuß, der offensichtlich aus einem Gewehr abgefeuert wurde, nichts mehr dagegen, daß meine Wenigkeit das Bett in eine andere und damit sichere Position schob.«
»Wie lange wird man ihn im Hospital festhalten, Mr. Parker?« wollte Agatha Simpson wissen.
»Vor zwei Wochen ist mit Mr. McWardens Entlassung nicht zu rechnen, Mylady«, erwiderte der Butler, »danach wird der Chief-Superintendent sich noch für weitere Wochen zu Hause pflegen müssen.«
»Ausgezeichnet, das wird reichen, Mr. Parker. Bis dahin habe ich diese Serie längst gestoppt und den Täter gefaßt.«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« Das glatte Pokergesicht des Butlers zeigte keine Reaktion.
»Ich habe es selbstverständlich mit einem Psychopathen zu tun, Mr. Parker«, redete sie animiert weiter, »der Täter ist eine Person, die sich von der Polizei ungerecht behandelt fühlt und jetzt Rache nimmt. Sie sind hoffentlich nicht anderer Meinung!«
»Dies, Mylady, käme meiner bescheidenen Wenigkeit nicht zu«, erklärte Josuah Parker in seiner höflichen Art.
»Ich werde mir überlegen, wo ich den Hebel ansetze«, sagte die passionierte Detektivin, »lassen Sie sich dazu etwas einfallen, Mr. Parker.«
»Mylady können sich auf meine Wenigkeit verlassen.«
»Ich werde noch in der kommenden Nacht einen Streifzug durch die Unterwelt unternehmen«, verkündete die ältere Dame, »dort wird es inzwischen schon die ersten Spuren und Hinweise geben, oder?«
»Gerüchte könnten sich bereits andeutungsweise verdichtet haben, Mylady.«
»Lassen Sie doch mal feststellen, ob man in Kreisen der Unterwelt nicht schon von einem Geisteskranken spricht«, schlug sie weiter vor, »vielleicht ist dieser Mann von einer geschlossenen Anstalt entwichen, Mr. Parker. Ja, das erscheint mir möglich.«
»Entsprechende An- und Nachfragen werden ergehen, Mylady.«
»Ich könnte es natürlich auch mit der Mafia zu tun haben«, gab sie plötzlich zu bedenken, »was meinen Sie dazu?«
»Es gibt der Möglichkeiten mehrere, Mylady«, lautete Parkers Antwort. Auch jetzt blieb sein Gesicht ausdruckslos. Er kannte die Sprunghaftigkeit seiner Herrin und war nicht mehr zu erschüttern.
»Ich denke aber natürlich auch an einen Mann, der von dem guten McWarden mal zufällig gefaßt und ins Gefängnis gebracht wurde«, weitete die ältere Dame ihre Theorien aus, »und dieser Entlassene will sich nur rächen.«
»Ein Tatmotiv, das immer wieder in Erscheinung tritt, Mylady.«
»Wie auch immer.« Agatha Simpson schaute auf die Standuhr in ihrem Salon. »Sobald es dunkel geworden ist, Mr. Parker, werde ich in der Unterwelt für einige Unruhe sorgen.«
»Dessen darf man sicher sein, Mylady«, wußte Parker im vorhinein, »Mylady werden Spuren hinterlassen, wenn man so sagen darf.«
»Sie haben meine Grüße an McWarden überbracht, Mr. Parker?«
»In der Tat, Mylady, Mr. McWarden zeigte sich gerührt.«
»Ich werde ihn vielleicht morgen besuchen«, redete die Detektivin weiter, »sorgen Sie dann für ein hübsches Geschenk, Mr. Parker. Es muß ja nicht gerade ein Vermögen kosten.«
»Mylady hegen bestimmte Vorstellungen?« erkundigte sich Josuah Parker. Er wußte aus Erfahrung, wie ungemein sparsam seine Herrin sein konnte.
»Ich habe oben in meinem Studio noch eine Packung mit Likörpralinen«, gab sie zurück, »Sie wissen, ich bekam sie von einer dankbaren Klientin.«
»Gewiß, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an, »Mylady erhielten diese Aufmerksamkeit vor etwa sechs Wochen von Lady Chanters.«
»Das macht ja nichts«, sagte sie, »McWarden wird sich freuen, nicht wahr?«
»Mr. McWarden wird zu Tränen gerührt sein«, vermutete der Butler optimistisch. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel.
*
»Du liebe Zeit, was ist denn das für ein Schlachtroß?« fragte Mike Rickman verblüfft und sah seinen Gastgeber an.
»Lady Agatha Simpson«, erwiderte Benny Waiden und schluckte, »die hat mir hier gerade noch gefehlt.«
»Eine echte Lady?« Mike Rickman lächelte spöttisch. »Das ist ein Spitzname, nicht wahr?«
»Eine waschechte Lady«, sagte Benny Waiden, »typischer kann keine Lady sein.«
»Und so was besucht deinen Nachtclub?« wunderte sich Mike Rickman.
»Sie war schon seit ein paar Monaten nicht mehr hier«, meinte Benny Waiden, ein kleiner, rundlicher Mann von etwa fünfzig Jahren, der in einem Smoking steckte, »und diese Monate habe ich genossen, Rickman, das können Sir mir glauben.«
»Und wer ist der Butler neben ihr? Der muß doch von irgendeiner Leinwand gesprungen sein.«
»Das ist ebenfalls ein echter Butler«, erklärte Benny Waiden, der Besitzer des Nachtclubs, in dem auch gespielt werden konnte, »der Bursche heißt Parker, Josuah Parker.«
»Wieso sind Sie nervös?« wollte Mike Rickman wissen. Er war gut zehn Jahre jünger als sein Gastgeber, mittelgroß, schlank und machte einen dynamischen Eindruck. Auch er trug einen Smoking.
»Warum ich nervös bin?« Benny Waiden beugte sich vor, um besser sehen zu können. »Ich kenne dieses Duo. Es sind Amateur-Kriminalisten, Rickman. Wo Lady Simpson und Butler Parker auftauchen, gibt es früher oder später immer Ärger.«
»Sie wollen mich auf den Arm nehmen, wie?« Rickman schmunzelte. »So etwas erledigt man doch mit der linken Hand, wenigstens bei uns in New York. Haben Sie denn keine Angestellten, die das kleine Problem lösen können? Falls nicht, werde ich meinen Leuten Bescheid sagen.«
»Kleines Problem?« Benny Waiden war da erheblich anderer Meinung und ließ es auch am Klang seiner Stimme erkennen. »Haben Sie schon mal mit einem Liter Nitroglyzerin gespielt?«
»Kommen Sie, Waiden«, schickte Mike Rickman voraus, »Sie wollen mich wohl verschaukeln, wie?«
»Ich werde mich hüten.« Waiden zündete sich eine Zigarette an, wobei seine Hände leicht vibrierten. Mike Rickman, gerade aus Neu York gekommen, beobachtete es erstaunt. Er kannte seinen Gastgeber seit einigen Jahren und wußte, daß Waiden ein harter, rücksichtsloser und erfolgreicher Unternehmer in der Unterwelt war.
»Was dagegen, wenn ich mich mal an dieses Duo ranpirsche?« erkundigte sich Mike Rickman. Er war New Yorker und vermietete sich und seine beiden Mitarbeiter gegen horrende Honorare an gut zahlende Kunden. Rickman bezeichnete sich als Privatdetektiv, obwohl er keine Lizenz besaß. Er löste verzwickte Fälle für die Unterwelt und pflegte dabei lautlos zu arbeiten.
Am Nachmittag war er in London angekommen, engagiert von Benny Waiden, der eine Interessengruppe vertrat. Worum es genau ging, sollte er jetzt und hier in diesem Nachtclub erfahren. Doch im Moment dachte Mike Rickman nicht an seinen Auftrag. Er fühlte sich irgendwie herausgefordert von dieser mehr als stattlichen Frau, die sich ungeniert bewegte und auf die Tür zusteuerte, hinter der sich der eigentliche Spielclub befand. Selbstverständlich interessierte er sich für diesen Mann, der wie ein hochherrschaftlicher Butler aussah und es auch sein sollte.
Benny Waiden wollte seinen Gast aus den Staaten zurückhalten, doch Mike Rickman hatte bereits die Nische verlassen und ging auf das seltsame Duo zu. Er wußte natürlich bereits im vorhinein, wie man solch eine Affäre anzupacken hatte. Wie gesagt, er kam aus New York und verfügte über eine umfangreiche Praxis. Er nahm zur Kenntnis, daß seine Mitarbeiter auf ihn aufmerksam geworden waren und sich von ihrem Tisch erhoben. Er konnte sich fest auf sie verlassen, sie waren ein eingespieltes Team.
»Geschlossene Gesellschaft«, sagte Mike Rickman deutlich herablassend und musterte die ältere Dame, »ich schlage vor, Sie hauen umgehend wieder ab.«
»Wer sind Sie, junger Mann?« erkundigte sich Agatha Simpson mit baritonal gefärbter, bereits etwas grollender Stimme.
»Der neue Manager, der den Laden hier steuert. Also, worauf warten Sie noch? Gehen Sie!«
»Mr. Benny Waiden ist zufällig nicht anwesend?« schaltete sich Josuah Parker in seiner höflichen Art ein.
»Keine Fragen, hauen Sie endlich ab, Sie stören hier«, meinte der Spezialist aus den Staaten ruppig. Er wollte das Duo um jeden Preis provozieren.
»Mr. Parker, finden Sie nicht auch, daß der Ton dieses Flegels ungehörig ist?« fragte Lady Agatha ihren Butler.
»Ich möchte und könnte kaum widersprechen, Mylady«, lautete Parkers Antwort. Der Butler hatte bereits die beiden Mitarbeiter des angeblich neuen Managers wahrgenommen.
»Dann fühle ich mich beleidigt«, stellte Lady Simpson fest und ... setzte ihren Pompadour ein.
*
Es handelte sich um einen Handbeutel, der mit Zierperlen bestickt war, die allerdings keine waren. Sie sahen zwar bunt und leichtgewichtig aus, bestanden jedoch aus kleinen Stahlkugeln. Im Pompadour selbst befand sich der sogenannte »Glücksbringer« der Dame, ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich in Schaumstoff eingewickelt war. In Lady Agathas Händen war dieser Handbeutel eine Waffe, die an einen abgewandelten Morgenstern erinnerte.
Agatha Simpson, die mit Begeisterung Golf spielte und dem sportlichen Bogenschießen hildigte, war eine trainierte Frau, die mit ihrem Pompadour hervorragend umzugehen verstand. Der Handbeutel hing an langen Lederschnüren, die für den notwendigen Schwung sorgten, falls die ältere Dame die Absicht hatte, ihren Glücksbringer einzusetzen.
Und sie hatte diese Absicht!
Der Pompadour klatschte auf die lange Backenseite des US-Gangsters, der mit dieser Reaktion nicht rechnete. Mike Rickman verlor augenblicklich den Boden unter den Schuhsohlen, legte sich flach auf die Luft und war bereits benommen, als er anschließend zu Boden fiel. Als er sich instinktiv mit der linken Hand vom Boden abstemmen wollte, nutzte Agatha Simpson die Gelegenheit, ihren Schuh auf die Außenhand zu stellen. Mike Rickman hatte das Gefühl, eine Dampfwalze rolle über seine Hand und stöhnte gequält.
»Wie ungeschickt von Ihnen, junger Mann«, grollte die ältere Dame, »können Sie nicht aufpassen?«
Mike Rickman wollte noch etwas sagen, doch ihm wurde schwarz vor Augen. Er fiel zurück und beschloß, erst mal ohnmächtig zu werden. Er bekam allerdings gerade noch mit, wie seine Mitarbeiter sich einschalteten.
Sie standen schräg hinter dem Butler und beeilten sich, an ihre Schußwaffen zu kommen, die sie in eigens gefertigten Schulterhalftern herumtrugen. Die beiden Männer, jeder etwa um die dreißig, hatten mit einigem Staunen zur Kenntnis genommen, daß ihr Boß von einer Frau zu Boden geschickt worden war. Da sie diese Tatsache erst mal seelisch verdauen mußten, griffen sie zu spät nach ihren Waffen, was sich als entscheidend herausstellte. Als sie zur Sache kommen wollten, lernten sie den Universal-Regenschirm des Butlers kennen. Josuah Parker hatte seinen Schirm hochgeworfen, ließ ihn in der Luft drehen und hielt dann das untere Ende des Regenschutzes in seiner rechten, schwarz behandschuhten Hand. Er hatte dies blitzschnell und mit der Geschicklichkeit eines Jongleurs besorgt.
Der Bambusgriff des Regenschirms war mit Blei ausgegossen, doch das wußten die beiden Leibwächter und Mitarbeiter von Mike Rickman natürlich nicht. Sie spürten es erst, nachdem sie getroffen worden waren. Der erste Leibwächter schielte zur Decke des Clubs, als dieser Bambusgriff sich auf seine Stirn gelegt hatte. Der zweite Leibwächter erhielt einen fast leichten Schlag auf den Kopf und schielte hinunter zum Boden. Dann gingen beide Männer fast synchron in die Knie, fielen gegeneinander und nahmen anschließend neben ihrem Boß Platz.
»Unverschämt, eine hilflose Frau belästigen zu wollen«, stellte die ältere Dame fest, »was sagen Sie dazu, Mr. Parker?«
»Eine allgemeine Verrohung der Sitten, Mylady«, kommentierte Josuah Parker, »man sollte vielleicht einen Leserbrief an die ›Times‹ schreiben.«
»Erinnern Sie mich daran, Mr. Parker«, verlangte die resolute Dame, »räumen Sie mir aber jetzt erst mal die beiden Subjekte aus dem Weg.«
»Ein Mißverständnis, Mylady«, bedauerte Benny Waiden, der angewieselt kam und die Hände rang, »ich möchte mich entschuldigen. Ich bin gerade erst aus meinem Büro gekommen.«
»Aus jener Nische, wenn ich höflichst korrigieren darf«, antwortete der Butler und wies mit der Spitze seines Schirms auf den kleinen Raum, aus dem Benny Waiden gekommen war.
»Oder so«, meinte der Nachtclubbesitzer hastig, »der Mann dort scheint etwas zuviel getrunken zu haben.«
»Er machte den Eindruck eines Mannes, den der Volksmund so treffend als stocknüchtern bezeichnen würde«, korrigierte Josuah Parker erneut, »der Gast stammt aus New York, falls mein bescheidenes Ohr mich nicht trog?«
»Ich ... Ich habe keine Ahnung«, behauptete Benny Waiden und scheuchte mit einem fast verzweifelten Blick zwei seiner Angestellten zurück, die helfend eingreifen wollten. Waiden fürchtete um seine Einrichtung.
»Möchten Mylady nach diesem Zwischenfall noch dem Spiel frönen?« erkundigte sich Parker bei seiner Herrin und deutete zur Tür, hinter der gespielt werden konnte.
»Ich werde wohl lieber etwas mit Waiden spielen«, gab sie zurück, »kommen Sie, junger Mann, ich habe ein paar Fragen, die Mr. Parker Ihnen stellen wird. Ich rate Ihnen bereits, mir nicht mit läppischen Ausreden zu kommen. Sie sehen hoffentlich, daß ich etwas verstimmt bin.«
Benny Waiden sah es und nickte eifrig. Er wußte, daß ihm schweißtreibende Minuten bevorstanden.
*
»Lösen Sie kleine Probleme immer so?« stichelte Benny Waiden eine halbe Stunde später. Er befand sich in seinem Privatbüro und wischte mit einer Serviette den Schweiß von der Stirn. Er schaute Mike Rickman ironisch an, der einen lädierten Eindruck machte.
»Sie hätten mich warnen müssen, Waiden«, beschwerte sich der Gast aus den Staaten. Er sprach undeutlich und hütete sich, seinen brummenden Schädel abrupt zu bewegen.
»Ich hatte Sie gewarnt, Rickman«, erinnerte der Nachtclubbesitzer, »aber wir sind hier in Ihren Augen ja nur tiefste Provinz, wie?«
»Diese Lady ist schrecklich«, beschwerte ich der Spezialist, »wer konnte denn ahnen, daß Sie mit diesem Handbeutel zuschlagen würde!?«
»Wie geht’s denn Ihren beiden Mitarbeitern, Rickman?« wollte Benny Waiden wissen.
»Joe und Will? Die haben mit Eiswürfeln ihre Köpfe behandelt, denn dieser Butler hatte sie restlos überrascht.«
»Sie haben Lady Simpson und den Butler kennengelernt, Rickman, aber da gibt es noch zwei weitere Personen.«
»Noch zwei Amateurdetektive?« Mike Rickman zog vorsichtig den Kopf ein.
»Mike Rander und Kathy Porter«, bestätigte der Nachtclubbesitzer, »Rander ist Anwalt und vor ein paar Monaten aus den Staaten zurückgekehrt. Der Bursche sieht aus wie ein James-Bond-Darsteller, die Frau scheint ’ne ahnungslose Jungfrau zu sein.«
»Sie machen mich neugierig, Waiden.«
»Parker hat früher mal für diesen Mike Rander als Butler gearbeitet. Als der Anwalt dann in die Staaten ging, wechselte er zu Lady Simpson. Der Anwalt sieht phlegmatisch aus, Rickman, wirkt fast arrogant, aber hüten Sie sich vor ihm.«
»Diesmal werde ich’s mir merken, Waiden, darauf können Sie sich verlassen. Und was ist mit dieser Kathy Porter?«
»Sie ist die Sekretärin der Lady, Rickman. Sie scheint kein Wässerchen trüben zu können, doch sie hat’s faustdick hinter den Ohren. Vergleichen Sie sie mit ’ner Pantherkatze, dann liegen Sie richtig.«
»Haben Sie mich wegen dieses Quartetts aus den Staaten kommen lassen, Waiden?«
»Natürlich nicht, Rickman. Ich habe ganz andere Sorgen, aber nicht nur ich. Ich sagte Ihnen doch schon, daß hier höhere Polizeibeamten zusammengeschossen werden. Bisher sind’s fünf gewesen, zwei davon tot. Was jetzt los ist, können Sie sich ja wohl vorstellen.«
»Okay, wir sprachen ja bereits davon. Da treibt sich bestimmt irgendein privater Rächer herum – oder wir haben es mit einem Irren zu tun.«
»Was er auch sein mag, Rickman, Sie müssen ihn so schnell wie möglich finden. Wir brauchen Ruhe, wir können uns weiteren Ärger mit der Polizei nicht leisten.«
»Und keiner aus der Branche hat einen Verdacht?« fragte Rickman weiter.
»Bisher ist nichts durchgesickert, Rickman«, erwiderte Benny Waiden, »erstaunlich, daß die Lady und ihr Butler auch nach einem Hinweis gefragt haben. Darum sind sie überhaupt hierher in den Club gekommen.«
»Was haben die mit den Polizeioffizieren zu tun?«
»Chief-Superintendent McWarden ist mit dem Quartett befreundet«, erklärte der Nachtclubbesitzer, »und dieser McWarden gehört zu den fünf Polizeioffizieren, von denen ich eben gesprochen habe.«
»Alles klar, Waiden, aber Sie werden kaum was dagegen haben, wenn ich mich am Rand mit der Lady und mit diesem Butler befassen werde, oder?«
»Übernehmen Sie sich nur nicht, Rickman.«
»Ich weiß jetzt Bescheid«, meinte der Spezialist aus den Staaten, »noch mal legt man mich nicht rein.«
»Was haben Sie denn vor, Rickman?«
»Ich werde denen zeigen, wer der Chef im Ring ist«, redete Mike Rickman weiter, »haben Sie und Ihre Freunde was dagegen, wenn ich dieses komische Quartett ausschalte?«
»Ganz sicher nicht.« Waiden lächelte versonnen. »Es wäre zu schön, um wahr zu sein, Rickman, wenn Sie das schaffen könnten.«
»Ist es denn schon mal versucht worden?«
»Mehr als nur einmal.«
»Ihr seid doch Provinz«, behauptete Rickman großspurig, »bei uns in den Staaten würde schon kein Aas mehr von diesen Leuten sprechen.«
»Damit wir uns richtig verstehen, Mord scheidet aus. Das Quartett kann sich von mir aus den Hals brechen oder sonstwas, aber es muß immer nach ’nem Unfall aussehen. Wir hier lieben keine Schlagzeilen.«
»Es wird nur einen kurzen Nachruf geben«, versicherte Rickman seinem Gastgeber und Klienten, »so, und nun zur Sache! Wo finde ich Spitzel, die Nachrichten handeln? Genau da werde ich nämlich den Hebel ansetzen. Eine Figur, die inzwischen fünfmal erfolgreich auf Polizeioffiziere geschossen hat, wird niemals den Mund halten – kann ich mir einfach nicht vorstellen. So ein Typ wird früher oder später prahlen.«
»Ich werde Ihnen ein paar Namen und Adressen aufschreiben, Rickman. Ja, und dann viel Glück! Und sorgen Sie dafür, daß Sie nicht von Butler Parker hochgenommen werden.«
»Unsinn, Waiden.« Rickman lächelte schief. »Seine Stunde hat bereits geschlagen, er weiß es nur noch nicht!«
*
»Die Londoner Unterwelt hat sich einen Spezialisten einfliegen lassen?« staunte Mike Rander.
»Einen gewissen Mike Rickman«, bestätigte Josuah Parker, »die hiesige Unterwelt scheut offensichtlich keine Ausgaben, um dem Schützen das Handwerk zu legen.«
»Ich bin sicher, daß dieser Benny Waiden die Wahrheit gesagt hat«, fügte die Detektivin hinzu, »ich brauchte ihm übrigens nicht lange gut zuzureden.«
»Die Unterwelt von London ist in der Tat alarmiert«, berichtete Josuah Parker weiter, »durch die bereits bekannten Schüsse ist in diesen Kreisen an ein normales Arbeiten nicht mehr zu denken.«
»Klingt logisch«, räumte der Anwalt ein, der tatsächlich wie ein bekannter James-Bond-Darsteller aussah, »und wie will dieser Spezialist den Schützen finden? Weiß die Unterwelt wenigstens in etwa, wo der Schütze zu finden ist?«
»Dies, Sir, wird von Mr. Benny Waiden mehr als nur nachdenklich bestritten«, entgegnete der Butler, »vorerst scheint man vor einem Rätsel zu stehen.«
»Und dann will ein Ortsfremder Erfolg haben?« schaltete sich Kathy Porter ein, die sich ebenfalls im Salon des Hauses der Lady Simpson befand. Sie sah in der Tat ein wenig zurückhaltend, fast scheu aus, erinnerte an ein Reh, das nur zu gern bereit war, schleunigst die Flucht zu ergreifen.
»Besagter Mr. Rickman aus den Staaten wird sich wahrscheinlich erst mal mit sogenannten Spitzeln in Verbindung setzen«, meinte Josuah Parker, »dieses Verfahren bietet sich sozusagen an, wenn ich es mal so ausdrücken darf.«
»Aha«, meinte Lady Agatha, »und was stelle ich mir darunter vor?«
»Nachrichtenhändler der Unterwelt«, antwortete Mike Rander, »sie leben davon, Informationen zu kaufen und zu verkaufen. Sie haben ihrerseits wieder Spitzel, die ihre Ohren an jede Wand drücken.«
»Und wo finde ich diese Subjekte?« fragte Lady Agatha. »Es ist ja klar, daß ich mich sofort einschalten werde.«
»Mylady regten dies bereits an«, behauptete der Butler, »ich war so frei, Kontakt mit Mr. Horace Pickett aufzunehmen.«
»Unser ehemaliger Taschendieb, Parker, ja?« Mike Rander lächelte.
»Mr. Pickett wandelt seit geraumer Zeit nur noch auf dem sprichwörtlichen Pfad der Tugend«, erläuterte Parker, »er hat sein Hobby aufgegeben, wenn ich es mal so umschreiben darf.«
»Sind Sie sicher, Parker?« wollte Rander amüsiert wissen.
»Vor einigen Tagen, Sir, brachte Mr. Pickett eine gefundene Brieftasche zur nächsten Polizeistation«, versicherte der Butler, »er trennte sich von ihr ohne Bedauern.«
»Ich schätze den guten Pickett«, meinte die ältere Dame, »er hat tadellose Manieren. Vielleicht werde ich ihn und sein Leben literarisch verwerten. Kathy, erinneren Sie mich daran, daß ich mir in den nächsten Tagen bereits entsprechende Notizen mache. Ein guter Stoff, Mr. Parker, finden Sie nicht auch?«
»Bemerkenswert, Mylady«, antwortete der Butler, »Mr. Pickett wird sich geehrt fühlen.«
»Hoffentlich ist er schneller als dieser Spezialist aus den Staaten«, sagte Mike Rander, »falls Rickman nämlich Erfolg hat, wird der geheimnisvolle Schütze sang- und klanglos von der Bildfläche verschwinden.«
»Darf ich mich erkühnen, Sir, in diesem Zusammenhang einen Hinweis zu geben?« schickte Parker voraus.
»Ich ahne bereits, was Sie sagen wollen«, behauptete die Detektivin, obwohl sie natürlich keine Ahnung hatte.
»Mr. Rickman wird gegen Mylady einen gewissen Groll hegen«, redete der Butler weiter, »man sollte davon ausgehen, daß er und seine Begleiter alles daransetzen werden, eine gewisse Scharte auszuwetzen.«
»Das wäre ja wunderbar«, freute sich die ältere Dame, »ich hatte schon befürchtet, dieser Fall könnte langweilig werden. Hoffentlich läßt der Lümmel aus den Staaten nicht zu lange auf sich warten.«
Ihre Augen blitzten unternehmungslustig.
*
»Ob er gegen Schlagzeilen ist oder nicht, kann uns nicht kratzen«, sagte Mike Rickman zu Joe und Will, die erstaunlich unauffällig aussahen. Die drei Männer hielten sich in der kleinen Bar jenes Hotels auf, in dem sie von Benny Waiden untergebracht worden waren. Sie hatten sich vorn am Tresen Whisky ohne Soda gekauft und konnten sich in einer stillen Ecke ungestört unterhalten.
»Wir pusten sie also um, wie?« fragte Joe.
»Selbstverständlich«, gab Mike Rickman zurück, »ihr habt doch mitbekommen, wer so alles in Waldens Nachtclub gewesen ist. Da waren nur Leute aus unserer Branche vertreten. Die alle wissen doch, wie wir abserviert worden sind.«
»Weil man uns vorher nicht richtig Bescheid gestoßen hat, Boß«, beschwerte sich Will, »sonst wäre die Panne niemals passiert.«
»Genau, Jungens«, pflichtete Rickman seinen Mitarbeitern bei, »aber das ändert nichts an den Tatsachen. Wetten, daß spätestens übermorgen in New York bekannt wird, was hier mit uns über die Bühne gegangen ist?«
»Die reinste Geschäftsschädigung«, ärgerte sich Joe.
»Wenigstens«, meinte Mike Rickman, »unser Image ist schwer angeschlagen worden. Wir werden also erst mal mit diesem komischen Duo abrechnen.«
»Möglichst noch in dieser Nacht«, schlug Will vor, »ich kenne die Adresse dieser alten Fregatte, ich hab’ sie von einem Typ, der für Waiden arbeitet.«
»Und ob wir’s noch in dieser Nacht packen werden!« Mike Rickman nickte nachdrücklich. »Die Sache kann ja nicht besonders kompliziert sein. Gegen ’nen Schuß ist kein Kraut gewachsen.«
»Und wie kommen wir ins Haus?« Joe lächelte und sah seinen Partner an.
»Das ist meine Sache«, erklärte Will und lächelte zurück, »länger als drei Minuten werde ich kaum brauchen, bis ich das Türschloß geknackt habe. So was mach’ ich im Halbschlaf.«
»Dann wollen wir nicht lange fackeln.« Rickman stand auf und trank sein Glas leer. »Nachdem wir das Duo zu Schlagzeilen verarbeitet haben, machen wir uns an den Irren, der hier die Polizeioffiziere zusammenknallt.«
»’ne ulkige Kiste, Boß, daß wir im Grund für die Polizei arbeiten«, meinte Joe.
»Ich kann die Brüder ja verstehen.« Rickman ging zum Ausgang der Hotelbar. »Sie haben keine ruhige Minute mehr und können praktisch nicht mehr arbeiten. Bei uns in den Staaten ist es doch auch so. Sobald mal ein Cop draufgegangen ist, konzentriert sich alles auf unsere Szene. Man kommt einfach nicht mehr zur Ruhe.«
Die drei Männer trennten sich in der Halle des kleinen Hotels. Joe und Will fuhren in ihre Zimmer, um ihre Ausrüstung zu holen. Ihr Boß Rickman blieb in der Halle zurück, warf sich in einen Sessel und zündete sich eine Zigarette an. Er dachte immer wieder an Lady Simpson, die ihn mit ihrem Pompadour so zielsicher bearbeitet hatte. Er dachte aber vor allen Dingen an Butler Parker, der seine beiden Mitarbeiter mit dem Regenschirm außer Gefecht gesetzt hatte. Laut Benny Waiden war dieser Butler die eigentliche Schlüsselfigur.
Joe und Will kamen zurück. Die drei Männer verließen die Hotelhalle und übersahen einen seriösen, schätzungsweise sechzig Jahre alten Herrn. Dieser Mann hielt sich straff, schien pensionierter Militär zu sein und strahlte Autorität aus. Der Gast verließ ebenfalls die Halle und beobachtete vom Eingang aus, wie die drei Reisenden aus den USA in ein Taxi stiegen. Als es losfuhr, löste sich vom Straßenrand ein zweiter Wagen, der die Verfolgung des Taxis aufzunehmen schien.
Der seriöse Herr ging zurück in die Hotelhalle und verschwand in einer Telefonzelle. Er wählte aus dem Gedächtnis eine Nummer und nannte seinen Namen.
»Ich habe eine erste Nachricht für Sie, Mr. Parker«, sagte er dann, »Mr. Rickman und seine beiden Begleiter haben gerade ihr Hotel verlassen. Meiner Schätzung nach fahren sie zu Ihnen nach Shepherd’s Market. Die beiden Begleiter waren vorher kurz oben in ihrem Zimmer und kamen mit umgeschnallten Schulterhalftern zurück. Das konnte ich deutlich ausmachen. Sie wissen, für so etwas habe ich einen Blick.«
»Vielen Dank für Ihre äußerst rege Aufmerksamkeit, Mr. Pickett«, erwiderte der Butler in seiner höflichen Art, »ich kann davon ausgehen, daß die drei Männer auch weiterhin unter Beobachtung stehen?«
»Natürlich, Mr. Parker«, gab Horace Pickett zurück, »ein früherer Schüler von mir folgt dem Trio. Er wird Sie umgehend anrufen, sobald die Dinge konkret werden.«
»Ich darf mich auch in Myladys Namen zutiefst bedanken«, erklärte der Butler, »darf ich Ihnen noch mal raten, ungemein vorsichtig zu sein? Man hat es im Grund mit drei sogenannten Berufsmördern und Killern zu tun.«
»Ich werde schon aufpassen, Mr. Parker«, lautete Picketts Antwort, »ich gehe jetzt rüber nach Soho und streckte dort meine Fühler aus. Wissen Sie, eigentlich bedaure ich diese drei Kerle aus den Staaten. Die haben ja keine Ahnung, auf was sie sich da einlassen!«
*
»Mann, ist das eine Bruchbude«, stellte Mike Rickman abfällig fest und musterte das langgestreckte Fachwerkhaus, das den Abschluß des kleinen, intim gehaltenen Platzes bildete. Rechtwinklig dazu, links und rechts, schlossen sich weitere Fachwerkbauten an, die den Platz säumten.
»So was sollte man in die Luft sprengen«, sagte Joe amüsiert, »die Tür wird entsprechend sein.«
»Und das Schloß stammt bestimmt noch aus der Steinzeit«, fügte Will hinzu, »gebt mir eine Minute, dann wird’s wie geölt aufgehen.«
Die drei Besucher aus den Staaten hatten das Taxi weit vor Shepherd’s Market verlassen und waren zu Fuß weitergegangen. Sie standen vor dem Platz, der einen stillen, fast oasenhaften Eindruck machte. Vom üblichen Verkehrslärm war hier nichts mehr zu vernehmen.
»Wir nehmen die linke Häuserseite«, ordnete Rickman an, »die Leute dürften alle schon in den Betten sein.«
Sie konnten nicht wissen, daß diese Häuser Bestandteile des Hauptbaus waren und nicht bewohnt wurden. Sie alle standen untereinander in Verbindung, was jedoch nur Eingeweihte wußten. Aus Gründen der Sicherheit waren diese Fachwerkhäuser nicht vermietet worden. Im Lauf der Zeit fanden sich hier immer wieder Gangster aller Schattierungen ein, die eine Gefahr für mögliche Mieter dargestellt hätten.
Rickman hatte inzwischen den überdachten Vorbau des Haupthauses erreicht und trat zur Seite. Will, der Spezialist für Türschlösser aller Art, schaute sich das Schloß an und lächelte überlegen. Er hatte die Lage richtig eingeschätzt. Dieses Schloß stammte tatsächlich noch aus der Steinzeit. Es zu öffnen, war für ihn nur ein Klacks.
Rickman und Joe hatten inzwischen ihre Schußwaffen gezogen und schraubten die unvermeidlichen Schalldämpfer auf. Ihr Plan war einfach. Nach dem Öffnen der Tür wollten sie sich ins Haus stehlen und die beiden Insassen, nämlich Agatha Simpson und Josuah Parker, schlicht ermorden. Danach wollten sie Feuer legen, um Spuren zu verwischen. Nach dieser Methode hatten sie bereits drüben in den Staaten oft gearbeitet.
»Wie sieht’s aus?« erkundigte sich Mike Rickman, als Will noch immer am Schloß herumbastelte.
»Ich hab’s gleich, Boß«, erwiderte Will, dem bereits leichter Schweiß auf der Stirn stand. Er konnte sich nicht erklären, warum das Schloß sich nicht öffnen ließ. Normalerweise hätte er die Tür längst aufdrücken müssen.
»Nur nichts überstürzen«, meinte Rickman gelassen, »auf ein paar Minuten mehr oder weniger kommt’s nicht an.«
»Ich hab’s wirklich gleich, Boß«, behauptete Will, »da klemmt was, aber das is’ gleich erledigt.«
Es blieb bei seinem Versprechen. Er mühte sich verzweifelt ab, doch das Schloß aus der Steinzeit ließ sich einfach nicht öffnen.
»Jetzt wird’s aber langsam Zeit«, sagte Rickman schließlich ungeduldig und sah auf seine Armbanduhr, »ich will hier nicht anwachsen.«
»Wäre den Herren möglicherweise mit einigen Sitzgelegenheiten gedient?« war in diesem Augenblick die beherrschte und höfliche Stimme des Butlers zu vernehmen.
Rickman fuhr herum und riß seine Waffe hoch. Joe folgte seinem Beispiel, Will richtete sich auf.
»Darüber hinaus könnte man auch Tee servieren«, schlug die Stimme des Butlers weiter vor.
»Wo ... Wo stecken Sie?« fragte Rickman, der sich bereits von seiner Überraschung erholt hatte.
»Sie brauchen nur den Kopf ein wenig anzuheben«, erläuterte die beherrschte Stimme, »ja, so ist es gut, wenn ich so sagen darf. Ein hübscheres Gruppenbild, allerdings ohne Dame, kann man sich kaum vorstellen.«
Rickman begriff endlich.
Er und seine beiden Mitarbeiter waren soeben fotografiert worden. Und dann entdeckte der Gangsterboß auch die Linse der kleinen Fernsehkamera, die unter dem Vordach angebracht war. Er riß seine schallgedämpfte Waffe hoch, um die Optik wenigstens zu vernichten, doch er war nicht schnell genug. Blitzschnell schob sich eine rechteckige Stahlplatte vor das Objektiv.
»Darf ich mir gestatten, Sie ein wenig zu erfrischen?« Die Stimme des Butlers wartete die Erlaubnis nicht ab. Der Nachhall der Worte war noch zu vernehmen, als die drei Gangster förmlich eingenebelt wurden. Ein penetranter Geruch von billigem Parfüm fraß sich in die Kleidung der drei verdutzten Touristen aus den Staaten. Die Männer schnappten nach Luft und setzten sich anschließend ab. Sie hatten es ungemein eilig.
Eine Duftspur hing noch nach Stunden in der Luft und verflüchtigte sich erst gegen Morgen etwas.
*
»Ein hübscher Schnappschuß, Parker«, sagte Mike Rander amüsiert und sah sich das Foto an. Auf dem Bild waren die drei Gangster aus den USA zu sehen, die ein wenig hilflos vor der Haustür standen.
»Warum haben Sie diese Flegel nicht ins Haus geholt?« fragte die ältere Dame grollend. »Ich hätte sie liebend gern verhört.«
»Die Herren hätten kaum einen Beitrag zur augenblicklichen Problematik liefern können, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, »auch sie sind ja erst im Begriff, gewisse Ermittlungen aufzunehmen.«
»Sie wollten die drei Männer nur ins Abseits bringen, nicht wahr?« Kathy Porter sah den Butler lächelnd an.
»Trefflicher und präziser hätte man es nicht auszudrücken vermögen, Miß Porter«, entgegnete der Butler, »nach dem Eintauchen in die Parfümwolke werden die drei Männer Stunden damit verbringen, sich nur einigermaßen von diesem Duft zu befreien. Mylady können also völlig ungestört diese Nacht für sich beanspruchen.«
»Das klingt schon besser.« Sie nickte und gab sich wohlwollend. »Dann wollen wir aber auch keine Zeit verlieren.«
»Darf man empfehlen, den rückwärtigen Ausgang zu benutzen?« Parker deutete in die Tiefe des Hauses. »Die Haupttür wird im Augenblick wegen gewisser Parfümschwaden kaum begehbar sein.«
»Und wohin soll die Fahrt gehen?« erkundigte sich Mike Rander. »Könnte man nicht getrennt marschieren?«
»Sehr gut, mein Junge«, fiel die ältere Dame ihm ins Wort, »genau das wollte ich gerade vorschlagen. Sie könnten zusammen mit Kathy ein paar Clubs aufsuchen, die mich doch nur langweilen würden.«
»Ich wette, Parker, Sie haben bereits ein paar Vorschläge zu machen«, sagte der Anwalt.
»Es gäbe in der Tat einige verbotene Spielclubs, Sir, in denen sich die sogenannte Creme der Unterwelt ein Stelldichein zu geben pflegt.«
»Wäre das nicht etwas für mich?« Agatha Simpson sah den Butler gereizt an.
»Mylady sollten sich dagegen, wenn ich höflichst raten darf, mit den Insidern der Szene auseinandersetzen«, redete Parker weiter.
»Natürlich, Mr. Parker.« Sie war bereits wieder besänftigt, »ich habe ja auch wohl einen besseren Draht zum einfachen Volk, nicht wahr?«
»Mylady bewegen sich auf jedem Parkett mit traumwandlerischer Sicherheit«, machte Josuah Parker seiner Herrin ein Kompliment, wobei sich in seinem Gesicht wieder mal kein Muskel regte.
»Das stimmt.« Sie sah ihn freundlich an. »Hin und wieder treffen Sie den Nagel tatsächlich auf den Kopf. Gehen wir also, ich will die Unterwelt nicht länger warten lassen.«
Das Quartett benutzte den Hinterausgang, eine schmale Gasse, die von der Rückseite des Fachwerkhauses und einer hohen Brandmauer gebildet wurde. Diese Mauer war selbstverständlich entsprechend gesichert und ließ es nicht zu, daß man sie ungesehen übersteigen konnte.
Lady Agatha hatte im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum Platz genommen. Die schußsichere Trennscheibe zwischen Parker und ihr war herabgelassen worden. Man konnte sich ohne die eingebaute Wechselsprechanlage miteinander verständigen.
Mike Rander und Kathy Porter waren in ihrem Mini-Cooper bereits in der Dunkelheit verschwunden. Hinter Parkers Wagen, einem ehemaligen Taxi betagter Bauart, hatte sich das Tor zur Gasse wieder geschlossen. Der Butler steuerte seine Trickkiste auf Rädern langsam zur City hinüber und vergewisserte sich hin und wieder, ob es Verfolger gab. Bisher konnte er allerdings nichts ausmachen.
»Ich hoffe, Sie haben mir jetzt eine gute Adresse zu bieten, Mr. Parker«, sagte sie, »ich brauche endlich Informationen.«
»Mylady sollten gütigst bedenken, daß selbst in Kreisen der Unterwelt Ratlosigkeit herrscht«, antwortete der Butler, »aus diesem Grund wurden ja auch die drei Gangster aus den Staaten eingeflogen.«
»Ihnen wird schon etwas einfallen, Mr. Parker, ich verlasse mich da ganz auf Sie.«
»Mylady beschämen meine Wenigkeit«, lautete Parkers Antwort, »vielleicht sollte man es in einem gewissen Filmclub versuchen.«
»Sie mißverstehen mich, Mr. Parker, ich will mir keinen Film ansehen«, tadelte die Detektivin umgehend.
»In diesem privaten Filmclub, Mylady, werden Nachrichten gehandelt«, antwortete Parker höflich, »die gezeigten Filme allerdings stehen auf einem Niveau, das man nur als äußerst beklagenswert bezeichnen kann.«
»Aha, und was stelle ich mir darunter vor?«
»Mylady werden schockiert sein.«
»Das überlassen Sie ruhig mir, Mr. Parker. Welche Filme werden gezeigt? Doch hoffentlich keine Pornos?«
»Mylady sollten sich allerdings mit dieser Tatsache abfinden.«
»Was tut man nicht alles, um einen Fall zu klären«, sagte sie, »auch das werde ich auf mich nehmen, Mr. Parker. Entrüsten kann ich mich später immer noch.«
*
»Ich glaube, ich kann Ihnen da einen Tip geben«, sagte Paul Radnor eine halbe Stunde später und flüsterte fast, »und dieser Tip ist noch brandheiß, Mr. Parker.«
»Von wem stammt er, wenn man fragen darf?« Parker sah seinen Gesprächspartner höflich abwartend an. Er, Lady Simpson und Paul Radnor saßen in einer Art Loge, die nur von einer Kerze erhellt wurde. Radnor, mittelgroß und schlank, sah sich verstohlen nach allen Seiten um. Er schien eindeutig Angst zu haben.
»Er ist mir von einem Unbekannten angeboten worden«, redete er dann weiter, »ich habe den Mann hier im Filmclub vorher noch nie gesehen.«
»Kommen wir auf ihn später noch mal zurück, wenn ich vorschlagen darf«, meinte Josuah Parker, »wie lautete das erwähnte Angebot?«
»Können Sie mit dem Namen ›Eismann‹ etwas anfangen, Mr. Parker?«
»Sagten Sie Eismann?«
»Eismann«, wiederholte Paul Radnor, »er soll der Mann sein, der auf die Polizei schießt.«
»Wurde nur dieser sogenannte Spitzname genannt, Mr. Radnor?«
»Mehr nicht, Mr. Parker, und das ist die Wahrheit. Falls ich an weiteren Informationen interessiert bin, kann ich kaufen, aber ich habe mir Bedenkzeit ausgebeten.«
»Wieviel verlangt dieser Informant für weiteres Material?«
»Tausend Pfund. Sie können sich vorstellen, Mr. Parker, daß ich mir erst mal Bedenkzeit ausgebeten habe.«
»Wann war dieser Informant hier, Mr. Radnor?«
»Vor gut anderthalb Stunden. Er will mich noch im Lauf dieser Nacht anrufen.«
»Etwas leiser, wenn ich bitten darf«, rügte die ältere Dame, die sich an diesem Gespräch nicht beteiligte. Sie hatte sich ablenken lassen und verfolgte die dramatischen Ereignisse, die auf der Filmleinwand zu sehen waren.