Читать книгу Butler Parker 151 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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Lady Agatha Simpson befand sich in blendender Laune, als sie sich über das Sterben verbreitete. Sie saß zusammen mit Butler Parker im eleganten Speisesaal eines feudalen Hotels und ließ sich mit einer Fülle von Köstlichkeiten der italienischen Küche verwöhnen. An diesem Abend verzichtete die ältere Dame, die das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte, auf ihre Diät. Sie hatte ohnehin das Gefühl, ein wenig vom Fleisch gefallen zu sein, was man ihrer majestätischen Erscheinung allerdings nicht ansah. Wie eine regierende Herrscherin saß sie an dem kostbar gedeckten Tisch. Im Kristall der Gläser spiegelte sich das Licht der Lüster. Lady Agatha trug an diesem Abend erstaunlicherweise ein Gebilde, das entfernt an ein Abendkleid erinnerte. Auf einen Hut hatte sie allerdings auch jetzt nicht verzichtet. Auf ihrem Kopf saß ein neckisches Gebilde, das mit Sicherheit aus der Zeit der Jahrhundertwende stammte. Zwei lange Hutnadeln, die an Bratspieße erinnerten, hielten diese Schöpfung auf dem grauweißen Haar fest.

Josuah Parker, ein Mann undefinierbaren Alters, der, was seine Haltung anging, einen Ladestock verschluckt zu haben schien, hatte nur äußerst widerstrebend am Tisch seiner Herrin Platz genommen.

Als Butler hochherrschaftlicher Schule lehnte er es normalerweise ab, sich mit seinen Arbeitgebern an einen Tisch zu setzen. In Anbetracht der Ausnahmesituation aber hatte er dem Wunsch der Lady nachgegeben.

Josuah Parker war der Prototyp des englischen Butlers, wie man ihn nur noch in älteren Filmen zu sehen bekommt. Er trug einen schwarzen Zweireiher, darunter ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Auf einem Nebenstuhl lagen seine schwarze Melone und der altväterlich gebundene Regenschirm.

»Ich hasse dieses endlose Sterben, Mr. Parker«, dozierte Agatha Simpson, »es geht mir einfach gegen den Strich, daß man nach einem Messerstich in den Rücken noch minutenlang in den schönsten Tönen singt.«

»Sachlich gesehen, Mylady, widerspricht dies allerdings den physischen Möglichkeiten«, antwortete Parker in seiner so überaus höflichen Art.

»Nach einem Messerstich fällt man um und stöhnt«, meinte die Lady, »falls man überhaupt noch einen Laut von sich geben kann. Aber sie sehen und hören genau das Gegenteil.«

»Es dürfte sich, mit Verlaub gesagt, um einen Akt künstlerischer Freiheit handeln, Mylady«, stellte der Butler dagegen. Während er antwortete, registrierte er eine seltsame Bewegung in dem großen Speisesaal. Die Bedienung machte plötzlich einen nervös-aufgeregten Eindruck. Diese Reaktion wurde durch das Erscheinen von vier Männern ausgelöst, die mit der Selbstsicherheit von Potentaten den Saal betreten hatten. Im Mittelpunkt dieser Vierergruppe stand ein kurzbeiniger, dicker Mann mit blassem Gesicht, der eine Sonnenbrille trug. Die drei anderen Männer waren groß, schlank und machten einen sehr wachsamen, dennoch servilen Eindruck, was den Dicken betraf. Dieser Mann suchte nach einem passenden Tisch und steuerte dann wie selbstverständlich auf eine Nische zu, die nur wenige Meter von der entfernt lag, in der die Lady Platz genommen hatte.

»Eben erst habe ich gesehen, wie man zwei Menschen einmauerte«, fuhr Agatha Simpson inzwischen in ihrer Rede fort, »und was tun die beiden Leute, Mr. Parker? Sie singen! Das ist doch albern. Würden Sie in solch einer Situation singen, falls wir zusammen eingemauert würden?«

»Nicht unbedingt, Mylady«, lautete Parkers Antwort, »falls Mylady allerdings darauf bestünden, würde meine Wenigkeit sich bemühen, Wohllaute zu produzieren.«

»Was haben Sie eigentlich? Hören Sie mir auch zu?« Der passionierten Detektivin war nicht entgangen, daß Parker die Viererrunde diskret beobachtete. Die Männer hatten in der benachbarten Nische Platz genommen und benahmen sich ungeniert und recht laut. »Was sind das für Flegel?«

»Es scheint sich um Herrschaften zu handeln, Mylady, die man hier nicht nur respektiert, sondern offensichtlich fürchtet.«

»Aha.« Lady Agatha langte nach ihrer Stielbrille und faltete sie auseinander. Dann musterte sie völlig ungeniert die Runde. Der Rundliche bekam das mit, prostete der feinen Dame zu und erntete einen verächtlichen Gesichtsausdruck.

»Vulgäres Volk«, sagte sie. Ihre Stimme war dunkel und trug weit. »Wie kann man so etwas hier in diesem Haus nur dulden!«

Der Rundliche schien mehr als nur andeutungsweise mitbekommen zu haben, in welcher Form die Dame von nebenan sich geäußert hatte. Er prostete ihr erneut zu, stand auf und kam mit schnellen Schritten an den Tisch der Lady Agatha. Einer der drei anderen Männer erhob sich geschmeidig und folgte dem Kurzbeinigen.

»Paßt Ihnen mein Gesicht nicht?« fragte der Rundliche, als er am Tisch stand. Sein Englisch war stark eingefärbt und ließ deutlich erkennen, daß er gebürtiger Italiener war.

Lady Agatha übersah den Mann. Er war Luft für sie. Sie schaue förmlich durch ihn hindurch.

»Er hat Sie was gefragt«, schaltete der junge Begleiter sich aggressiv ein. Lady Agatha übersah auch ihn und griff nach ihrem langstieligen Weinglas. Genau in diesem Moment beging der junge Mann einen Kardinalfehler. Er fühlte sich veranlaßt, Mylady daran zu hindern, das Glas zum Mund zu führen und streckte schnell seine Hand aus.

»Er hat sie was gefragt«, wiederholte er, während der Kurzbeinige sich vorbeugte. Man konnte nun deutlich erkennen, daß er angetrunken war.

Lady Agatha fühlte sich belästigt und... goß mit Schwung den Inhalt ihres Glases in das Gesicht des jungen Mannes, der von dieser Reaktion total überrascht wurde. Bevor er sich sammeln konnte, schob der Kurzbeinige ihn zur Seite und wollte mit dem Inhalt seines Glases antworten. Agatha Simpson nahm ihren Oberkörper zur Seite und entging dem Naß. Dann drückte sie ihre Fülle hoch und verabreichte dem Kurzbeinigen eine schallende Ohrfeige.

Josuah Parker sorgte dafür, daß der junge Begleiter sich nicht einschalten konnte. Der Butler hatte längst nach seinem Universal-Regenschirm gegriffen und setzte die Spitze des Regenschutzes auf den Solarplexus des Mannes, der daraufhin sichtlich unter Luftknappheit litt und erst mal auf dem Parkett Platz nahm.

Danach wurde es turbulent im Speisesaal.

*

»Allmächtiger«, sagte Anwalt Mike Rander und warf Parker einen Blick zu, »ich fürchte, Mylady hat sich einen Mann ausgesucht, der nicht ohne Einfluß ist, wie?«

Der vierzigjährige, schlanke und große Anwalt erinnerte an einen bekannten James-Bond-Darsteller, gab sich aber noch lässiger und phlegmatischer als dieser Filmschauspieler. Rander war zu Parker ins Hotelzimmer gekommen und hatte gerade erfahren, was sich im Speisesaal zugetragen hatte.

»Mylady ohrfeigte einen gewissen Luciano Parcutti, Sir«, gab Josuah Parker höflich Auskunft.

»Parcutti, Parcutti... Ich weiß, daß ich diesen Namen schon mal gehört habe, Parker.«

»Luciano Parcutti, Sir, ist ein ehemaliger Pate der Cosa nostra, der hier in seinem Heimatland die Früchte seiner kriminellen Aktivitäten genießt.«

»Richtig, Luciano Parcutti«, meinte der Anwalt, der seit seiner Rückkehr aus den Staaten Vermögens Verwalter der immens reichen Agatha Simpson war, »ich muß schon sagen, unsere Lady hat Stil. Sie sucht sich keinen gewöhnlich Sterblichen aus. Wie sind Mylady und Sie entkommen, Parker? Es muß heiß hergegangen sein.«

»Dies, Sir, sollte und muß man verneinen«, antwortete der Butler, »Mylady setzte auch die beiden anderen Begleiter des Mafia-Gangsters mit geradezu spielerischer Leichtigkeit außer Gefecht.«

»Was mir da wieder mal entgangen ist«, seufzte Mike Rander. »Sie hat ihren Glücksbringer eingesetzt?«

»Mylady langte in der Tat einige Male mit ihrem Pompadour zu«, bestätigte der Butler, »danach konnten die Angestellten des Hauses die vier Männer nur noch abräumen, um es mal volkstümlich auszudrücken.«

»Sie, Parker, brauchten nicht einzugreifen?«

»Nur am Rand, Sir, als es galt, einige unbotmäßige Angriffe auf Mylady abzuwehren«, räumte der Butler ein, »meine Wenigkeit sah sich gezwungen, die heißspornigen Männer in die Schranken zu weisen.«

»Und was ist jetzt mit Lady Simpson?«

»Mylady befindet sich in ihrer Suite und pflegt der Meditation, Sir. Mylady bereitet sich innerlich auf die Festvorstellung vor.«

»Sie will tatsächlich die Freilichtoper besuchen?« Mike Randers Gesicht drückte Verwirrung aus.

»Mylady möchte zur Kenntnis nehmen, daß das eingemauerte Liebespaar singt«, erklärte Josuah Parker, »Mylady ließ sich bereits zu einigen Bemerkungen herab, als am Vormittag die Generalprobe der ›Aida‹ in ihrem Beisein stattfand.«

»Sie will ins Amphitheater«, meinte der Anwalt und schüttelte den Kopf, »selbst nach diesem Auftritt mit Parcutti?«

»Auf gewisse Gefahrenmomente erlaubte ich mir Mylady bereits hinzuweisen«, erwiderte der Butler, »Mylady sollte davon ausgehen, daß Mr. Parcutti nachtragend ist.«

»Was ihr natürlich nichts ausmacht, wie?« Mike Rander seufzte.

»Mylady besteht darauf, die Eingemauerten singen zu hören, Sir.»

»Das kann aber verdammt ins Auge gehen«, sorgte sich der Anwalt, »Miß Porter und ich verzichten gern auf den Opernbesuch. Sicher ist sicher.«

»Auch dies erlaubte ich mir bereits anzudeuten, Sir, doch Mylady wies darauf hin, daß der Grund dieser Reise gerade der erwähnte Opernbesuch ist. Mylady verlangt, daß diesem Kunstgenuß gefrönt wird.«

»Treiben Sie schuß- und stoßsichere Westen auf, Parker«, meinte der Anwalt, »ein Luciano Parcutti wird eine Ohrfeige nicht vergessen.«

»Der Wahrheit die Ehre, Sir, genaugenommen handelte es sich um drei Ohrfeigen. Mr. Parcutti befand sich danach unter den Trümmern eines gedeckten Tisches und war garniert mit einigen Scampi und reichlich Salat. Es steht kaum zu hoffen, daß er dieses kleine Intermezzo verdrängen wird.«

»Für eine überstürzte Flucht dürfte es längst zu spät sein«, meinte der Anwalt, »ich denke, dieses Hotel ist inzwischen total abgeriegelt worden.«

»Mylady würde einer Flucht auch niemals zustimmen, Sir.«

»Eben. Wird die gesamte Polizei von Verona ausreichen, Mylady zu schützen, Parker?«

»Kaum, Sir, auch die Polizei von ganz Oberitalien könnte den Schutz Myladys nicht garantieren, falls Mr. Parcutti etwas plant, das gegen Mylady gerichtet ist.

»Tja, dann kann man nur sagen: Schicksal, nimm deinen Lauf! Oder sehen Sie es anders, Parker?«

»Man könnte das Schicksal möglicherweise ein wenig beeinflussen und korrigieren, Sir«, schickte Josuah Parker voraus, »ich war so frei, mich nach der hiesigen Adresse des Mr. Parcutti zu erkundigen.«

»Sie haben seine Adresse bekommen?« Mike Rander hatte sofort verstanden.

»Einer der Bediensteten des Hauses war so entgegenkommend, einen entsprechenden Hinweis zu liefern, Sir.«

»Wie teuer war denn dieser Hinweis, Parker?«

»Die Adresse wurde völlig kostenfrei genannt, Sir. Der Betreffende gehört zum Kreis jener Personen, die durch Mr. Parcutti nachhaltig geschädigt wurden.«

»Ich warte auf Ihre Vorschläge, Parker.« Rander lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. Er wußte bereits im vorhinein, daß Josuah Parker mit einem fertigen Plan dienen konnte.

*

Kathy Porter befand sich in der Suite der älteren Dame und sah zum Fenster hinaus auf den freien Platz. Kathy Porter, achtundzwanzig, groß, schlank und sportlich durchtrainiert, war eine attraktive Frau, die freundlich-zurückhaltend wirkte und es normalerweise auch war. Schon seit Jahren war sie die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady, gleichzeitig auch so etwas wie eine Tochter.

Kathy Porter liebte Parkers Herrin und schätzte deren unkonventionelle Art. Sie konnte sich in eine Pantherkatze verwandeln, wenn man auch nur den Versuch wagte, Lady Simpson Schaden zuzufügen. Die junge Frau war in so gut wie allen Künsten der fernöstlichen Selbstverteidigung erfahren und darüber hinaus zu einer gelehrigen Schülerin des Butlers geworden, was gewisse Kriegslisten betraf. Sie amüsierte sich insgeheim über die hartnäckigen Versuche der Lady, sie mit Mike Rander ehelich zu verbinden. Solch ein Versuch war es auch, der zur Reise nach Verona geführt hatte. Lady Agatha hoffte, die »jungen Leute« würden der Romantik und dem Charme Italiens verfallen und sich endlich erklären.

»Wieviel Zeit habe ich noch, Kindchen?« erkundigte sich Agatha Simpson. Sie lag auf einer Couch und blätterte in einem Katalog. Sie interessierte sich für Sportbogen, einem Sportzweig, dem sie huldigte.

»Bis zum Einlaß in die Arena, Mylady, sind es noch knapp anderthalb Stunden«, antwortete Kathy Porter, »und draußen auf dem Platz stehen wenigstens vier Männer, die den Hoteleingang überwachen.«

»Sie glauben, daß es sich um Gangster handelt, Kindchen?« hoffte die ältere Dame. Sie hatte ihrer Gesellschafterin von ihrem Auftritt im Speisesaal des Hotels ausgiebig erzählt.

»Es sind Gangster, Mylady«, sagte Kathy Porter, »der Mafiaboß wird sich an Ihnen rächen wollen.«

»Wie schön«, erwiderte Agatha Simpson, »endlich eine Abwechslung. Aber selbstverständlich werden wir in dieses Freilufttheater gehen und uns die Opfer ansehen. Daran ändert sich überhaupt nichts.«

»Bitte, Mylady, wir sollten diesen Besuch aufschieben«, antwortete Kathy eindringlich, »für die Gangster wird es eine Kleinigkeit sein, sich an Mylady heranzumachen.«

»Eine Lady Simpson weicht niemals der Gewalt«, gab die Detektivin streng zurück, »gerade Sie, Kindchen, sollten das längst wissen. Die Mafia lebt von der Angst der Menschen. Ich werde dieses Prinzip durchbrechen und ein Beispiel geben.«

Als Kathy Porter antworten wollte, klingelte das Telefon. Kathy hob den Hörer ab, hörte kurz zu und bedeckte die Sprechmuschel dann mit der Hand.

»Luciano Parcutti«, sagte sie danach schnell und leise, »er will Sie sofort sprechen.«

»Man bittet mich, etwas zu dürfen.« Sie räusperte sich dröhnend und nahm den Hörer entgegen. »Lady Simpson. Sie möchten mich sprechen?«

»Parcutti«, kam vom anderen Ende eine erstaunlich hohe Stimme, »Sie haben mich geohrfeigt, Sie haben es gewagt ...«

»Halten Sie gefälligst Ihren Mund, Parcutti«, fiel Lady Simpson dem Mafiaboß in die Rede, »Sie haben Glück gehabt, daß ich gut gelaunt war, Sie Lümmel! Was wollen Sie?«

»Sie sind wahnsinnig, nicht wahr?« erkundigte sich Parcutti.

»Durchaus denkbar, ich hätte Ihnen nämlich noch einen Tritt gegen das Schienbein verabreichen sollen, Sie Flegel!«

»Sie können nicht alle Tassen im Schrank haben«, entgegnete Parcutti mit schriller Stimme, »Sie ahnen wahrscheinlich noch nicht mal, mit wem Sie sich eingelassen haben, wie?«

»Mit einem dummen und eingebildeten Subjekt habe ich mich eingelassen«, erklärte die ältere Dame, »kein Wunder, daß man Sie als untragbar nach Italien zurückgeschickt hat.«

Auf der Gegenseite wurde es daraufhin sehr still, dann aber folgte ein erregtes Schnaufen.

»Ich werde Sie stückweise umbringen, Sie altes Miststück«, geiferte der Gangsterboß. Er vergaß sein Englisch und verfluchte die ältere Dame in der Sprache seiner Heimat. Er tat es ausgiebig und pointiert.

Lady Agatha hatte aber bereits den Hörer auf den kleinen Tisch gelegt und widmete sich wieder dem Katalog. Sie war an einem weiteren Dialog nicht interessiert. Kathy Porter schaute wieder nach unten auf den Vorplatz. Die vier jungen, verdächtigen Männer waren nicht mehr zu sehen.

*

Sie verließen den Fahrstuhl, orientierten sich kurz an der Beschriftung, suchten offensichtlich nach bestimmten Zimmernummern und fanden das, was sie brauchten, setzten sich auch sofort in Bewegung. Sie trugen dunkle, gut geschnittene Anzüge und hatten gebräunte, harte Gesichter. In einem Kriminalfilm hätten die vier jungen Männer mit Sicherheit Killer und Gangster verkörpert.

Sie bogen in einen Seitentrakt und stießen hier auf einen schnauzbärtigen Zimmerkellner, der eine weiße Stewardjacke trug und damit beschäftigt war, Silbergeschirr auf einem fahrbaren Tisch zu ordnen.

»Wo ist die Suite von Lady Simpson?« fragte einer der vier jungen Männer barsch, während die drei anderen bereits vorausgingen.

»Die übernächste Haupttür«, erwiderte der bejahrt aussehende Kellner respektvoll, »soll ich die Herren anmelden?«

Sein Italienisch klang ein wenig lispelnd, was dem jungen Mann allerdings nicht auffiel.

»Den Hauptschlüssel für die Suite«, verlangte der junge Mann ungeduldig. »Wir sind von der Mafia.«

Der Etagenkellner knickte förmlich ein und schien weiche Knie bekommen zu haben. Er nickte mehrfach und ausgesprochen hastig, griff dann in seine rechte Außentasche und holte einen Gegenstand hervor, der allerdings nicht gerade einem Schlüssel glich. In der weiß behandschuhten Hand des Kellners befand sich ein Sprühfläschchen, wie es zur Bekämpfung des Schnupfens verschrieben und verkauft wird. Nur ein feines Zischen war zu vernehmen, als der Kellner die unter Druck stehende Flüssigkeit in die Augen des Mannes spritzte.

Der Getroffene rang umgehend nach Luft und fühlte eine nachhaltige Schwäche. Tränen füllten seine Augen. Er bekam überhaupt nicht mit, wie blitzschnell er seine schallgedämpfte Automatik aus der Schulterhalfter verlor.

Die drei anderen jungen Männer hatten hinter sich ein Geräusch gehört, fuhren herum und ... sahen sich einer Waffe gegenüber, deren Lauf auf sie gerichtet war. Diese Waffe wurde vom Etagenkellner gehalten, der nicht die Spur von Unsicherheit zeigte.

»Darf man anregen und empfehlen, sich mit ausgebreiteten Armen auf den Teppichboden zu legen?« forderte der Etagenkellner in passablem Italienisch. »Falls sie diesem Wunsch nicht nachkommen sollten, müssen Sie mit Schüssen rechnen, die Sie als äußerst peinlich bezeichnen würden.«

Die Männer kamen dem Wunsch des Etagenkellners unverzüglich nach, knieten zuerst vorsichtig nieder und breiteten sich anschließend auf dem Boden aus. Sie hatten herausgehört, daß sie es mit einem Mann zu tun hatten, der sich auf der Höhe der Situation befand und sicher kein Amateur war.

Eine Zimmertür öffnete sich. Mike Rander trat auf den Korridor und winkte dem Etagenkellner, der höflich und korrekt zurücknickte.

»Erfreuliche Arbeit, Parker«, rief Mike Rander dann, »die einfachen Tricks sind doch immer wieder überzeugend.«

»Sie beschämen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann, Sir«, bedankte sich der Etagenkellner und entfernte seinen Schnauzbart. Er warf einen Blick auf den ersten Mann, der noch immer Tränen vergoß und nach Luft schnappte. Mike Rander machte sich daran, die drei Gangster zu entwaffnen. Jetzt zeigte sich, daß er keineswegs phlegmatisch war. Geschickt und schnell barg er drei weitere Waffen und forderte die Männer danach auf, langsam hochzukommen. Obwohl Rander Englisch sprach, wurde er gut verstanden. Die immer noch entgeisterten Männer erhoben sich und verstanden die Welt nicht mehr. Sie waren als Sieger gekommen und standen nun als Verlierer da.

»Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir, könnte man die vier Besucher im Bad meines Zimmers abstellen«, schlug Parker vor.

»Setzen Sie mein Einverständnis voraus«, erwiderte der Anwalt lächelnd, »besser hätte es übrigens gar nicht kommen können, finden Sie nicht auch?«

»Die Herren kamen gewissen Absichten freundlichst entgegen«, faßte der Butler zusammen. Dann nahm Parker eine Wärme-Abdeckhaube und setzte sie nachdrücklich auf den Kopf des Mannes, der immer noch Tränen vergoß, dennoch aber angreifen wollte. Parker erledigte dies fast beiläufig und sorgte dafür, daß der weinende Mann unverzüglich in die Knie ging.

»Sie sollten sich mit den Tatsachen abfinden«, schlug Josuah Parker dann vor, »ich werde Ihnen meine hilfreiche Hand leihen, damit Sie nicht vom Weg abirren.«

Mike Rander und Josuah Parker dirigierten die Besucher in das Hotelzimmer, in dem der Butler wohnte. Anschließend wurden sie in dem fensterlosen Baderaum abgestellt.

»Verständigen wir Lady Simpson?« fragte Rander, nachdem der Butler die Tür verschlossen hatte.

»Vielleicht könnte man dies noch hinauszögern, Sir«, antwortete der Butler, »Mylady könnte die Absicht hegen, zeitraubende Verhöre anzustellen.«

»Bleibt es bei unserem Plan?« fragte Rander weiter.

»Die Voraussetzungen dafür haben sich erheblich gesteigert und verbessert«, lautete Parkers Antwort, »Mr. Luciano Parcutti dürfte mit solch einer dramatischen Wende kaum rechnen, wenn ich es so ausdrücken darf.«

*

Etwa eine Viertelstunde später schritten Lady Simpson, Butler Parker und zwei der vier jungen Männer durch die Halle des Hotels. Man hatte dicht aufgeschlossen. Ein aufmerksamer Beobachter und Kenner krimineller Szenen hätte schnell herausgefunden, daß es sich hier um eine Art Zwangsgemeinschaft handelte, die das Hotel verlassen wollte. Die beiden jungen Männer hatten die ältere Dame in die Mitte genommen und benahmen sich ausgesucht höflich, sorgten aber dafür, daß Lady Agatha keinen Spielraum für eigene Aktivitäten besaß. Josuah Parker folgte dieser Dreiergruppe dichtauf, gemessen und kerzengerade. Auf seinem Kopf saß die schwarze Melone, über dem angewinkelten linken Unterarm hing der Universal-Regenschirm.

Der Chef der Hotelrezeption versuchte sein Gesicht unter Kontrolle zu halten. Er übersah krampfhaft die vier Personen, obwohl er ahnte oder sogar wußte, was sich da vor seinen Augen abspielte. Für ihn stand fest, daß man die englische Lady und ihren Butler zwangsweise aus dem Hotel führte. Liebend gern hätte er eingegriffen und die Polizei angerufen, doch er hatte einfach und schlicht Angst, etwas für seine Gäste zu tun. Ihm war bekannt, zu welcher Organisation die beiden jungen Männer gehörten. Nein, mit der Mafia wollte er sich auf keinen Fall anlegen ...

Die Vierergruppe hatte inzwischen die Außentreppe erreicht und schritt zum nahen Parkplatz. Man hielt auf einen großen Fiat zu, der etwas abseits stand. Parker und einer der jungen Männer nahmen vorn Platz, Lady Agatha und ihr Begleiter belegten den Fond des Wagens. Nach wenigen Augenblicken setzte der schwarze Fiat sich in Bewegung.

»Ich hoffe, Sie halten sich an gewisse Abmachungen«, sagte Parker zu dem Fahrer. Er benutzte die englische Sprache.

»Und ich hoffe, Sie legen sich mit mir an«, meinte die ältere Dame und maß ihren Begleiter mit eisigem Blick. Man sah in ihrer Hand eine ihrer Hutnadeln. Die Spitze dieses ›Bratspießes‹ war auf die Hüfte des Mannes gerichtet.

»Hören Sie«, meinte der Fahrer zu Parker, »noch haben Sie eine Chance.«

»Und wie würden Sie die umschreiben?«

»Wir könnten sagen, Sie wären nicht im Hotel gewesen. Noch können sie verschwinden.«

»Mylady wird Mr. Parcutti einen Besuch abstatten«, antwortete der Butler, »Mylady wird diese Absicht ausführen.«

»Sie haben doch überhaupt keine Chance«, redete der Fahrer hastig weiter, »und wer weiß, ob Parcutti überhaupt in seiner Villa ist.«

»Dies wird sich an Ort und Stelle ergeben.« Parker richtete den Rückspiegel so ein, daß er die Straße hinter dem Fiat gut einsehen konnte. Er entdeckte sofort einen zweiten, dunkelgrünen Fiat, der ihnen folgte.

»Ich warte auf einen Angriff, junger Mann«, sagte Lady Agatha und nickte ihrem Beisitzer ermunternd zu.

»Ich bin doch nicht lebensmüde«, gab der Mann zurück und schielte nervös nach der langen Hutnadel in Myladys Hand, »ich laß mich nicht aufspießen.«

»Wie schade«, fand Agatha Simpson, »Sie enttäuschen mich.«

»Ich weiß eigentlich gar nicht, wo der Pate jetzt ist«, warf der Fahrer in Richtung Parker ein. Er hatte mitbekommen, daß der Butler den Rückspiegel neu eingerichtet hatte.

»Ich werde mir erlauben, Ihnen rechtzeitig die Adresse zu nennen«, antwortete Parker höflich, »ich war so frei, eine Stadtkarte von Verona zu befragen.«

»Von wem wollen Sie denn die Adresse bekommen haben?« drängte der Fahrer.

»Einer Ihrer Freunde war so entgegenkommend, mir damit zu dienen«, behauptete Parker. Dies stimmte zwar keineswegs, doch es sorgte dafür, daß die jungen Männer sich später wechselseitig mißtrauten und anklagten.

»Unter uns gibt es keinen Verräter«, sagte der Fahrer.

»Sie kennen meine Hutnadel nicht«, meinte Agatha Simpson, »vielleicht war es dieser junge Lümmel neben mir.«

»Ich habe kein Wort gesagt«, rief der umgehend und aufgebracht.

»Oder sollte diese wichtige Information sogar von Ihnen stammen?« Parker nickte dem Fahrer zu.

»Von mir? Niemals! Dann müßte ich davon ja was wissen.«

»Wir sollten das Thema ausklammern«, schlug Parker vor, »widmen Sie sich weiterhin dem Straßenverkehr. Mylady wünscht in Richtung Gardasee zu fahren. Sie können später mit weiteren Richtungsangaben rechnen.«

»Was Sie da machen, ist heller Wahnsinn«, warnte der Fahrer eindringlich, »glauben Sie etwa, man hätte nicht gemerkt, daß wir reingelegt worden sind? Wissen Sie überhaupt, wie sich ’ne Maschinenpistole anhört?«

»Sie spielen offenbar und vermutlich auf den dunkelgrünen Fiat an, nicht wahr?« fragte Parker gemessen.

»Dunkelgrüner Fiat?« Der Fahrer reagierte erstaunt.

»Ein Fiat mit zwei Personen«, präzisierte der Butler, »seien Sie versichert, daß dieser Wagen bald in gewisse Schwierigkeiten geraten wird.«

Während der Butler diese Versicherung abgab, langte er in die rechte Tasche seines schwarzen Covercoats und holte seltsame Gebilde hervor, die aus starkem Stahldraht bestanden und an kleine Kettenglieder erinnerten.

*

»Mylady wünscht, von der Uferstraße abzubiegen«, sagte Parker nach einigen Minuten, »wählen Sie eine Straße, auf der man unter sich ist.«

Der italienische Fahrer verstand den Butler inzwischen recht gut. Er bremste kurz und verließ die Uferstraße der Etsch. Der dunkelgrüne Fiat folgte augenblicklich, Josuah Parker machte sich daran, die eigenartigen Kettenglieder aufzubiegen. Es zeigte sich, daß sie spezial angefertigte Knickstellung besaßen. Nachdem Parker solch ein ›Kettenglied‹ hochgeklappt hatte, wurden drei dolchartige Dornfortsätze erkennbar, die etwa fünf bis zehn Zentimeter lang waren. Der Butler kurbelte sein Wagenfenster hinunter und benutzte den Außenspiegel auf seiner Seite, um den Verfolger noch genauer unter Kontrolle nehmen zu können. Der dunkelgrüne Fiat schloß etwas dichter auf, was wohl mit dem fehlenden Verkehr auf dieser Seitenstraße zusammenhing. Parker faltete weitere ›Kettenglieder‹ auseinander und verwandelte sie in kleine ›Krähenfüße‹, die bestens geeignet waren, sich in Autopneus zu bohren. Nachdem er sich einen kleinen Vorrat angelegt hatte, bedeutete er dem Fahrer seines Wagens, noch langsamer zu werden.

Der dunkelgrüne Fiat folgte diesem Beispiel, schloß aber noch enger auf und kam somit den Absichten des Butlers entgegen. Lady Agatha hatte natürlich bemerkt, daß Parker etwas plante. Sie richtete sich auf und beugte sich vor. Der junge Mann neben ihr mißverstand das gründlich, rechnete sich plötzlich eine Chance aus und war bereit, die neben ihm sitzende Lady mit einem harten Fausthieb in die Wagenecke zu schicken.

Er holte aus, doch er kam nicht mehr dazu, seinen finsteren Plan in die Tat umzusetzen. Er brüllte auf und krümmte sich. Lady Agatha hatte nämlich sein Vorhaben durchkreuzt und äußerst genußvoll mit ihrer Hutnadel zugestochen.

»Endlich«, sagte sie erleichtert und nickte dem Getroffenen wohlwollend zu, »Sie haben mich nicht enttäuscht, junger Mann.«

»Meine Hüfte, meine Hüfte«, jammerte der Gemaßregelte in italienischer Sprache. Dann produzierte er Töne, die denen einer Arie nicht ganz unähnlich waren. Lady Agatha hörte überrascht zu.

»Erstaunlich«, sagte sie zu Parker, »er singt, hören Sie doch, Mr. Parker!«

»Nach der herrschenden Volksmeinung in Europa, Mylady, pflegen Italiener in allen Lebenslagen zu singen«, antwortete Parker und öffnete seine Wagentür um Zentimeter. Dann ließ er die seltsamen Stahldrahtgebilde auf den Asphalt gleiten. Es handelte sich um insgesamt acht ›Kettenglieder‹, die über die Straße rollten.

Sechs davon landeten am Straßenrand, doch zwei ›Krähenfüße‹ bohrten sich erfolgreich in die beiden linksseitigen Pneus des dunkelgrünen Fiats. Der Wagen schlingerte ein wenig, brach andeutungsweise aus und konnte wegen der geringen Geschwindigkeit mühelos vom Fahrer abgefangen werden. Der Fiat blieb luft- und lustlos am Straßenrand stehen.

»Reißen Sie sich gefälligst zusammen«, herrschte Lady Agatha inzwischen den jammernden Mann an, der sich die Hüfte hielt, »das Gift an der Nadelspitze braucht wenigstens zwei Stunden, bis es Sie umbringt.«

Der Getroffene hatte verstanden, schaute die ältere Dame aus großen Augen an und schluchzte. Er rang seine Hände, erzählte ausgiebig von seiner Familie und von einer Zukunft, die er sich ausgemalt hatte. Er sprach von seiner Jugend und von einer gewissen Julia, der er ein Heiratsversprechen gegeben hatte.

Parker übersetzte dies alles, und Lady Agatha versprach dem jungen Mann, nicht noch mal zuzustechen. Dafür verlangte sie aber die Angabe jener Adresse, unter der der Pate der Mafia, Luciano Parcutti, zu erreichen war. Sie bekam umgehend das Geforderte geliefert. Die Adresse deckte sich mit der, die Parker bereits kannte.

»Beeilen Sie sich jetzt«, schlug der Butler dem Fahrer vor, »Mylady möchte die Todesarie nicht versäumen.«

»Todesarie, Sir?« Der Fahrer fuhr zusammen.

»Den Schluß der Aida«, präzisierte Parker, »es könnte sich übrigens ergeben, daß Mr. Parcutti dem geplanten Opernbesuch sich anschließen wird.«

*

Die Villa lag auf einer sanften Anhöhe und wurde von Pinien und Zypressen umrahmt. Es gab zwei Terrassen, die zum Eingang führten. Blumen und saftig grünes Strauchwerk schufen einen zusätzlichen Rahmen. Das Haus, das an einen kleinen Palazzo erinnerte, war schon alt und zeichnete sich durch die Harmonie seiner Architektur aus.

Weniger harmonisch hingegen wirkte Luciano Parcutti, der auf der oberen Terrasse saß und sich gerade Bericht erstatten ließ. Der Kurzbeinige hatte vor einem runden Eisentisch Platz genommen, kaute auf einer Zigarre und musterte die Auffahrt zum Haus. Er wartete auf Besuch.

»Diese Lady Simpson ist steinreich«, faßte Cäsare Fermo zusammen, der Sekretär des Mafiagangsters, ein schmaler, agiler Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, »sie ist seit vielen Jahren Witwe und bezeichnet sich als Amateurkriminalistin.«

»Nicht mehr lange«, warf der Gangsterboß ein.

»Unsere Freunde in London berichten, daß diese Lady allerdings sehr erfolgreich ist«, redete Cäsare Fermo weiter, »aber die Erfolge gehen auf das Konto ihres Butlers, der Josuah Parker heißt.«

»Für mich ist auch dieser Amateur bereits gestorben«, sagte Parcutti.

»Mike Rander ist Anwalt und war vor seinen Jahren in den USA mit dem Butler zusammen«, erläuterte Fermo, »sie waren gefürchtet wegen ihrer Methoden.«

»Was stell’ ich mir darunter vor?« wollte der ehemalige Mafiaboß wissen.

»Die Methoden waren ungewöhnlich«, sagte Fermo, »sie taten immer genau das, was man nicht erwartete.«

»Bei mir werden sie auflaufen«, versprach Parcutti und lächelte siegessicher. »Da soll’s noch eine Frau geben, wie?«

»Kathy Porter, Sekretärin der Lady und Freundin des Anwalts«, bestätigte Fermo, »sie ist gefährlich, obwohl man’s ihr nicht ansieht.«

»Das werde ich testen«, versprach Parcutti, der nun ein wenig schmierig lächelte, »die Kleine wird nicht angerührt, die nehme ich mir selbst vor. Wie viele Leute haben das Hotel eingekreist?«

»Insgesamt acht Spezialisten«, erwiderte Fermo, »erstklassige Leute. Sie müßten gleich auftauchen. Bevor sie das Hotel verließen, haben sie angerufen.«

»Und warum sind diese vier Briten hier in Verona«, fragte Parcutti. »Hat der Besuch was mit mir zu tun?«

Auf keinen Fall. Nach meinen Erkundigungen wollen sie sich die Opernaufführung in der Arena ansehen.«

»Sie werden die Oper aus nächster Nähe nachvollziehen«, versprach Parcutti, »ich habe nachgedacht, Fermo. Ich weiß jetzt, wie wir die vier Barbaren verschwinden lassen.«

»Ihnen ist bestimmt was Einmaliges eingefallen.« Fermos Gesicht drückte Höflichkeit aus.

»Ich werde die Briten einmauern lassen«, redete der Mafiaboß weiter, »wissen Sie, Fermo, genau wie in der Oper. Ich werde sie einmauern lassen. Sorgen Sie dafür, daß ich für diesen Zweck was Passendes finde.«

»Geht in Ordnung«, antwortete Fermo, »das läßt sich leicht arrangieren. Man wird die vier Amateure niemals finden.«

»Was hat man sonst noch aus London berichtet?«

»Man nennt die Briten das ›Quartett‹ und wäre sehr froh, wenn es nicht nach London zurückkäme.«

»Unvorstellbar, daß man dieses ›Quartett‹ nicht schon längst begraben hat«, wunderte sich Luciano Parcutti, »wir in den Staaten hätten da verdammt kurzen Prozeß gemacht, das können Sie mir glauben. Vier Amateure können doch keine ernstzunehmenden Gegner sein.«

»Natürlich nicht«, lautete die Antwort von Cäsare Fermo. Er deutete hinunter auf die Auffahrt, »sie werden angeliefert. Der erste Fiat kommt.«

»Gießen Sie mir was ein, Cäsare«, verlangte der ehemalige Mafiaboß, und Fermo kam diesem Verlangen nach. Ein aufmerksamer Betrachter hätte mitbekommen, wie widerwillig er es tat. Luciano Parcutti lehnte sich im Sessel zurück und beobachtete den Fiat, der in schneller Fahrt sich der Villa näherte und dann für einen Moment unterhalb der zweiten Terrasse verschwand. Wenig später tauchte der Wagen wieder auf, befand sich bereits auf der eigentlichen Auffahrt und nahm Richtung auf den Hauseingang.

»Ein schöner Nachmittag«, meinte Parcutti und erhob sich, »jetzt werde ich meinen Freunden in London mal zeigen, wie man mit Amateuren umgeht, Fermo. Kommen Sie, begrüßen wir sie! Diese Lady wird ihre Ohrfeige noch sehr bereuen ...«

*

Mit schnellen Schritten ging der ehemalige Mafiaboß auf den Fiat zu, der inzwischen stand. Parcutti kam gar nicht auf den Gedanken, seine Leute könnten vielleicht überlistet worden sein. Cäsare Fermo benahm sich ebenfalls sehr sorglos. Er verzichtete darauf, Parcuttis Leibwächter in der Villa zu informieren. Für ihn gab es keinen Zweifel daran, daß zwei Mitglieder des ›Quartetts‹ im Fiat saßen, und zwar gegen ihren Willen. Was hatte man also zu befürchten?

Es fehlten Parcutti noch etwa fünf bis sechs Meter bis zum Schlitten, doch plötzlich blieb er stehen und faßte reflexartig nach seinem linken Oberschenkel. Irgendetwas hatte ihn gestochen, er glaubte an ein stacheliges Insekt. Dann aber stutzte er, senkte den Blick und starrte in einer Mischung aus Entsetzen und Unglauben auf einen bunt gefiederten Pfeil, der kaum länger war als eine kleine Stricknadel. Die Spitze dieses Blasrohrpfeils saß fest im Fleisch, der Schaft wippte noch ein wenig.

Parcutti sog scharf die Luft ein und sah zu seinem Sekretär hinüber, der allerdings ähnlich geschockt war. Cäsare Fermo zog gerade angewidert und mit spitzen Fingern seinen dünnen, kleinen Pfeil aus dem allerdings rechten Oberschenkel und warf ihn auf den Kies der Auffahrt.

»Was ... Was ist das?« fragte Parcutti. Er traute sich nicht, seinen Pfeil aus dem Oberschenkel zu ziehen.

»Sie sollten unnötige und hastige Bewegungen tunlichst vermeiden«, war die Stimme des Butlers zu vernehmen, der neben dem Wagen stand, »ein zu schneller Transport des Pfeilgiftes könnte sich unter Umständen tödlich auswirken.«

»Gift?« Luciano Parcutti sprach ein amerikanisch gefärbtes Englisch. Er starrte den Butler an.

»Von durchaus verträglicher Konzentration, falls man sich nicht zu betont bewegt.«

»Was Sie von mir aus ruhig machen können«, schaltete die ältere Dame sich ein. Sie hielt in der rechten Hand eine schallgedämpfte Automatik aus den Beständen der jungen Gangster.

»Gift, Fermo«, hechelte Parcutti.

»Bluff«, meinte der Sekretär des ehemaligen Mafiabosses und versuchte vorsichtig, an seine eigene Schußwaffe heranzukommen. Parker beobachtete dieses Unterfangen. Er hatte seinen Universal-Regenschirm auf das Wagendach des Fiats gelegt und die Spitze des Regenschirmes auf Fermo gerichtet.

Parcutti hielt sich an die Warnung des Butlers und bewegte sich nicht. Er blieb wie eine Statue aus Bronze stehen und atmete schnell. Cäsare Fermo aber wollte den Dingen unbedingt doch noch eine andere Wendung geben. Er hatte seine Hand in Brusthöhe gebracht und wollte schnell nach der Waffe in der Schulterhalfter greifen.

Die Hand erstarrte inmitten dieser Bewegung, und zwar nicht ohne Grund. Plötzlich bohrte sich nämlich ein zweiter Pfeil in seinen Körper und traf den Oberarm. Dies war für Parcuttis Sekretär doch zuviel. Er stöhnte und fand nicht mehr die Kraft, den Pfeil aus dem Muskelfleisch zu ziehen. Dann fiel er auf die Knie und riß die Augen auf. Er sah wie durch milchigen Nebel zu Parker hinüber, dessen Umrisse sich immer mehr verflüchtigten. Der Sekretär kippte auf die Seite und scharrte ein wenig mit den Füßen im Kies.

»Meine bescheidene Warnung erfolgte nicht ohne Grund«, verlautbarte der Butler höflich in Richtung Parcutti«, falls Sie an einem Weiterleben interessiert sein sollten, wird Mylady sich dazu herablassen, Sie zu einem Arzt zu bringen.«

»Ich rühr’ mich nicht von der Stelle«, schwor Parcutti, auf dessen Stirn sich dicke Schweißtropfen bildeten.

»Eile ist geboten«, meinte Parker, »Sie sollten im Wagen Platz nehmen und Ihren Leuten mitteilen, daß ihr Einsatz im Moment nicht gefragt ist.«

»Haut ab, Waffen runter«, rief Parcutti mit halblauter Stimme, »nicht schießen!«

Er spürte wohl die Nähe einiger seiner Männer, die im Hauseingang erschienen waren, allerdings nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten. Parker zählte drei Männer, die einen ratlosen Eindruck machten. Sie hatten die Befehle ihres Herrn und Meisters gehört und blieben stehen, während Parcutti langsam und mit staksigen Schritten auf den Fiat zuging.

Lady Agatha räumte inzwischen den Fiat aus. Mit harter Hand und erstaunlicher Kraft zerrte sie die beiden Gangster ins Freie und rollte sie auf den Kiesweg. Parcutti gönnte ihnen kaum einen Blick, hielt auf den Fond des Wagens zu und nahm vorsichtig auf dem Rücksitz Platz.

»Ich blas’ alles ab, was ich vorhatte«, versicherte er dann, als Lady Agatha neben ihm Platz nahm, »mein Ehrenwort, Lady, ich schwör’s.«

»Ich halte nichts von Meineiden, Parcutti«, erwiderte Agatha Simpson ungnädig, »falls Sie mich attackieren wollen, werde ich Ihnen meine Hutnadel in die Seite rammen.«

»Bitte, fahren Sie doch endlich los«, beschwor der ehemalige Mafiaboß den Butler, der inzwischen am Steuer des Fiat saß, »beeilen Sie sich! Ich brauche das Gegengift ...«

»Darf man sich nach Ihrem Befinden erkundigen?« fragte Parker, als er den Fiat in Bewegung setzte.

»Mir is’ schlecht«, erklärte Parcutti, »und ich hab’ Sehstörungen. Beeilen Sie sich, das Gift wirkt bereits ...«

»Das will ich auch hoffen«, schaltete die ältere Dame sich grimmig ein, »Sie haben ja die beiden Flegel gesehen, die ich aus dem Wagen geholt habe. Sie haben es bereits hinter sich.«

Parcutti vergaß sein angelerntes Amerikanisch. Er bediente sich seiner italienischen Muttersprache, als er alle ihm bekannten Heiligen anrief und um Hilfe flehte.

»Werde ich es schaffen?« fragte er danach und meinte mit Sicherheit sein Überleben.

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, gab Josuah Parker Auskunft, »möglicherweise werden Sie sogar später mit Andacht und Vergnügen an jene Stunde zurückdenken, die auf Sie warten.«

»Nun ja«, meinte die Detektivin etwa eine Stunde später und nickte wohlwollend Parker zu, »so hatte ich mir dieses Schauspiel allerdings nicht vorgestellt.«

»Nach den letzten Erhebungen, Mylady, befinden sich etwa fünfundzwanzigtausend Zuschauer in der Arena.«

»Eine recht hübsche Einnahme, Mr. Parker. Was haben Sie für die fünf Plätze zahlen müssen?«

»Hier im Innenraum, Mylady, beträgt der Preis für einen Platz etwa zwanzig Pfund«, lautete Parkers Antwort, »die Plätze auf den Steinstufen kosten durchschnittlich drei bis fünf Pfund. Den Besuch der Arena kann sich jeder Kunstbeflissene leisten.«

»Aber die Besucher stammen doch nicht nur aus Verona und Umgebung, oder?« Die ältere Dame schaute sich im riesigen Rund des römischen Amphitheaters um, das um 290 nach der Zeitenwende von Kaiser Diokletian erbaut worden war.

»Freunde der Kunst, Mylady, reisen selbst von Amerika an«, erläuterte Parker höflich, »darf man sich gestatten, Mylady schon jetzt auf das Lichterfest zu verweisen?«

»Aha.« Sie nickte und warf einen kurzen Blick auf Luciano Parcutti, der neben ihr mehr hing als saß. Der Mafiaboß machte einen abgeschlafften Eindruck und hatte die Augen geschlossen. Rechts von ihm hatten Kathy Porter und Mike Rander Platz genommen.

»Zu Beginn der Vorstellung werden die Zuschauer Kerzen entzünden«, sagte der Butler und griff in seine Rocktasche. Er reichte seiner Herrin eine Kerze.

»Kerzen?« Lady Agatha stutzte.

»Eine Huldigung«, meinte Parker, »nach besonders gelungen Arien pflegt man nicht nur zu applaudieren, sondern auch Streichhölzer anzureißen und diese kleinen Miniaturfackeln hochzuhalten.«

»Was für eine Verschwendung«, räsonierte Lady Agatha. Dennoch nahm sie das Streichholzbriefchen entgegen, das Parker ihr überreichte.

Sie benutzte das stumpfe Ende ihrer Kerze, um damit Parcutti anzustoßen. Selbstverständlich besorgte sie das mit Nachdruck, und der Mafiaboß zuckte zusammen.

»Lassen Sie sich gefälligst nicht gehen«, raunzte sie ihn verhalten an, »gleich beginnt die Oper. Sehen Sie sich wenigstens diesen einmaligen Sternenhimmel an.«

»Entschuldigung«, murmelte Parcutti und gähnte, »ich fühlte mich nicht gut, ich bin hundemüde.«

Das Gift dürfte noch nachwirken«, schwindelte die ältere Dame, »bewegen Sie sich nicht, Parcutti!«

Sie hätten gern noch mehr gesagt, doch in diesem Augenblick ertönten Fanfaren, die den Beginn der Oper ›Aida‹ ankündigten. Die letzten Klänge waren noch nicht verhallt, als plötzlich ein Lichtermeer aufflammte. Die Besucher im weiten Rund zündeten ihre Kerzen an und schufen eine traumhafte Kulisse. Selbst Lady Agatha, solchen Dingen kaum zugetan, ließ sich mitreißen und hatte nichts dagegen, daß Parker ihr die Kerze anzündete.

»Recht hübsch«, meinte die Lady und schluckte eine gewisse Rührung hinunter, »es ist zwar eine schreckliche Verschwendung – aber immerhin.«

Dann schaute sie an Parcutti vorbei hinüber zu Kathy Porter und Mike Rander. Er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt und sie an sich gezogen.

»Sehr wirkungsvoll«, flüsterte die ältere Dame zufrieden, »man sollte doch wohl öfter in eine Oper gehen. Die Kinder scheinen romantisch zu sein.«

Schließend verpaßte sie dem ehemaligen Mafiaboß einen derben Stoß in die Rippengegend und forderte ihn auf, gefälligst eine Kerze anzuzünden.

Parker war mit der Gesamtentwicklung der Dinge recht zufrieden. Es war geschafft worden, daß Kathy Porter und Mike Rander sich die Aufführung der »Aida« ansehen konnten, ohne von Gangstern belästigt zu werden. Nach der Auffassung des Butlers war nicht damit zu rechnen, daß Parcuttis Angestellte es wagen würden, sich jetzt und hier um die Befreiung ihres Paten zu kümmern. Gefährlich wurde es wohl nur, wenn die Aufführung beendet war und das Publikum die riesige Arena verließ. Doch auch dafür hatte Josuah Parker selbstverständlich gewisse Weichen gestellt.

*

»Was habe ich Ihnen gesagt, Mr. Parker? Sie haben wieder gesungen«, meinte Agatha Simpson nach Schluß der Oper, als das liebende Paar gemäß dem Libretto eingemauert worden war.

»Es ließ sich möglicherweise nicht vermeiden, Mylady«, antwortete Parker, »Mylady genossen hingegen vielleicht das Feuerwerk der Streichhölzer nach den einzelnen Arien und Duetten?«

»Nun ja.« Sie nickte gnädig. »Aber was das wieder für einen Abfall gibt, Mr. Parker.«

Der Butler verzichtete darauf, weitere Fragen zu stellen, zumal seine Herrin sich Kathy Porter und Mike Rander zuwandte und sie forschend betrachtete.

»So kann man enden, wenn man sich nicht rechtzeitigt einigt«, sagte sie bedeutungsschwanger und deutete mit ihrer linken Hand zur Bühne, die sich inzwischen geleert hatte. Die Lady verwies zusätzlich auf die Mauersteine, die sich hinter dem Paar geschlossen hatten.

»Das Liebespaar sitzt inzwischen in der Garderobe«, antwortete der Anwalt, »aber wir müssen erst mal mit heiler Haut aus dem Amphitheater raus.«

»Mr. Parker wird sich in meinem Sinn etwas einfallen lassen«, gab die Detektivin gewohnt optimistisch zurück.

»Wie geht es dem Mafiaboß?« erkundigte sich Kathy Porter.

»Er ist inzwischen völlig eingeschlafen«, sagte Lady Agatha. »In ein paar Stunden wird er begreifen, daß Parkers Pfeile nur mit einem Schlafmittel und nicht mit Gift präpariert worden waren.«

»Darf ich höflichst anfragen, Sir, ob Sie meiner Wenigkeit eine gewisse Hilfestellung geben würden?« Parker hatte sich beigesellt.

»Und was gibt’s zu tun?« fragte der Anwalt.

»Mr. Parcutti müßte entfernt werden«, erwiderte der Butler, »da er seiner Beine nicht mehr Herr ist, müßte man ihn vielleicht ein wenig unterstützen und so dazu bringen, die Arena zu verlassen.«

»Warum lasse ich dieses Subjekt nicht, einfach hier sitzen?« wollte Lady Agatha wissen.

»Man müßte Mr. Parcutti vielleicht bis zur Bühne schaffen, Mylady«, redete Parker weiter, »er allein bietet die Gewähr dafür, daß man darauf verzichten wird, auf Mylady zu schießen.«

»Mit einer Ohrfeige könnte ich diesen Gangster leicht wecken«, meinte die ältere Dame.

»Man könnte solch eine Handlungsweise leicht mißverstehen, Mylady«, entgegnete Parker, »darüber hinaus würde man die allgemein festliche Stimmung vielleicht jäh unterbrechen.«

Festliche Stimmung herrschte tatsächlich.

Das immer noch ergriffene und von Verdis Musik erfüllte Publikum strebte geduldig und schweigend den Ausgängen zu. Parker hatte bisher zwar noch keinen Gangster ausmachen können, doch ihm war klar, daß sie sich bereits heranschoben. Seiner Ansicht nach durfte keine Zeit verloren werden.

»Okay, schnappen wir uns Parcutti«, meinte Mike Rander und nickte dem Butler zu, »und wohin genau soll’s gehen?«

Butler Parker 151 – Kriminalroman

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