Читать книгу Der exzellente Butler Parker 14 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3

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Agatha Simpson zog die Nase kraus und schnupperte argwöhnisch. »Was ist das für ein merkwürdiger Geruch, Mister Parker?«

Auch dem Butler fielen die Duftschwaden auf, die zum halboffenen Seitenfenster hereinwehten und von Minute zu Minute intensiver wurden.

»Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte es sich um das Aroma frisch gerösteten Kaffees handeln, Mylady«, antwortete Josuah Parker, während er sein hochbeiniges Monstrum im rückflutenden Ausflugsverkehr Richtung Innenstadt lenkte.

»Kaffee?« wiederholte die ältere Dame verdutzt. »Wird denn in London so viel Kaffee getrunken, daß die Röstereien schon am heiligen Sonntag arbeiten müssen?«

»Auch die Nation der Teetrinker spricht dem genannten Getränk in steigendem Maße zu, Mylady«, gab der Butler Auskunft. »Im vorliegenden Fall dürfte es sich aber kaum um einen normalen Arbeitsvorgang handeln, sofern man eine Vermutung äußern darf.«

Inzwischen war der Geruch so penetrant geworden, daß Parker rasch die Scheibe hochkurbelte. Beißender Qualm trieb quer über die Straße. Der zuckende Widerschein eines Feuers erhellte den Abendhimmel...

»Mit Vermutungen gibt eine Lady Simpson sich nicht zufrieden, Mister Parker«, beschied die passionierte Detektivin ihren Butler. »Deshalb werde ich der Ursache dieses infernalischen Gestanks unverzüglich auf den Grund gehen.«

Eigentlich hatte sich Agatha Simpson nach einer leicht verregneten Landpartie auf die Rückkehr ins heimische Shepherd’s Market gefreut – zumal dort ein opulentes Nachtmahl wartete, das Parker vor der Abfahrt zubereitet und kaltgestellt hatte. Doch im Moment war Lady Agathas Neugier stärker als ihr sprichwörtlicher Appetit.

»Man wird sich bemühen, Mylady einen ungehinderten Blick auf den Brandherd zu ermöglichen«, versprach Parker und bog von der Hauptstraße ab. Doch so ohne weiteres war das Versprechen nicht einzulösen.

Die enge Seitenstraße, an der die Kaffeerösterei Ball lag, war mit Feuerwehrfahrzeugen und Schaulustigen derart verstopft, daß der Butler sein schwerfällig wirkendes Gefährt schon zwei Ecken vorher abstellen mußte.

Diskret half er seiner Herrin beim Aussteigen und achtete fürsorglich darauf, daß Mylady sich auf dem Weg zur Brandstelle nicht in den kreuz und quer verlegten Löschschläuchen verstrickte.

»Das Feuer dürfte beträchtlichen Schaden angerichtet haben«, bemerkte Parker nach einem Blick auf die qualmenden Reste der hölzernen Lagerschuppen. »Inzwischen scheint der Brand jedoch unter Kontrolle zu sein.«

Der Feuerwehr war es gelungen, ein Übergreifen der Flammen auf die eigentliche Rösterei und den Bürotrakt zu verhindern. Schon rollten die ersten Löschmannschaften ihre Schläuche ein und traten den Rückzug an. Nur eine Brandwache blieb zurück und spritzte schwelende Balken ab, um ein erneutes Aufflammen zu verhindern.

Enttäuscht wollte Agatha Simpson umkehren, doch in diesem Augenblick entdeckte Parker auf dem Hof der Rösterei ein bekanntes Gesicht.

Bei dem untersetzten Mittfünfziger mit dem geröteten Teint und den vorstehenden Basedowaugen handelte es sich zweifelsfrei um Chief-Superintendent McWarden, einen einflußreichen Yard-Beamten, der das Sonderdezernat zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens leitete. Er unterhielt sich gerade mit einem schätzungsweise vierzigjährigen Mann, dem die blonden Haarsträhnen wirr ins Gesicht hingen.

Unauffällig machte Parker seine Herrin auf die beiden Männer aufmerksam. Im selben Moment hatte auch McWarden das skurrile Paar aus Shepherd’s Market entdeckt und winkte. Rasch verabschiedete er sich von dem Blondschopf und kam näher.

Der Chief-Superintendent, häufiger Gast im Hause Simpson, hatte sich bei Parker schon manch wertvollen Tip geholt. Er begrüßte Mylady und den Butler mit ausgesuchter Höflichkeit.

»Sind Sie zufällig hier vorbeigekommen, Mylady?« erkundigte er sich.

»Was ich tue, ist nie zufällig, mein lieber McWarden«, belehrte Agatha Simpson den Yard-Beamten. »Und was hat Sie hierher geführt?«

»Wie Sie sich denken können, Mylady, bin ich dienstlich hier«, gab McWarden zurück.

»Was Sie nicht sagen!« stichelte die passionierte Detektivin. »Ich dachte schon, Sie wollten sich an diesem kühlen Abend ein wenig wärmen.«

»Natürlich hätte mich der Brand allein nicht vom Schreibtisch weggelockt, Mylady«, antwortete McWarden gelassen. »Aber...«

»Aber...?« unterbrach Agatha Simpson neugierig.

»Seit Wochen hält eine Serie von Bränden Polizei und Feuerwehr in Atem«, teilte der Kriminalist mit gedämpfter Stimme mit.

»Darf man die Vermutung äußern, daß Sie an Brandstiftung denken, Sir?« schaltete der Butler sich ein.

»In der Tat, Mister Parker«, bestätigte der Chief-Superintendent. »Alle Fälle, die wir bisher untersucht haben, riechen geradezu nach Versicherungsbetrug. Inhaber maroder Firmen wollen sich sanieren, indem sie ihre veralteten Gebäude und Anlagen ›warm abreißen‹, wie man so sagt. Nur haben wir noch keinen einzigen stichhaltigen Beweis.«

»Das wundert mich nicht im geringsten, mein Lieber«, kommentierte Agatha Simpson, die aus ihrer Meinung über die Polizei nie ein Hehl machte – schon gar nicht in Gegenwart eines Angehörigen von Scotland Yard.

»Falls es wirklich Brandstiftung war – und davon bin ich fest überzeugt – wurde mit ungewöhnlicher Raffinesse gearbeitet«, fuhr McWarden fort. Er war fest entschlossen, sich von der resoluten Lady nicht provozieren zu lassen.

»Einen entsprechenden Verdacht hegen Sie auch im konkreten Fall der Kaffeerösterei Ball, Sir?« hakte Parker nach, und McWarden nickte.

»Der Mann, mit dem ich eben sprach, ist Daniel Ball, der Inhaber«, teilte McWarden mit. »Angeblich kann er sich nicht erklären, wodurch der Brand ausgebrochen ist, zumal am Sonntag alle Anlagen abgeschaltet sind. Aber ich traue dem Kerl nicht über den Weg und werde seine Angaben bis zum letzten i-Punkt überprüfen.

»Daß der Lümmel was auf dem Kerbholz hat, sieht man ihm doch schon an der Nasenspitze an«, behauptete die ältere Dame im Brustton der Überzeugung. »Wenn Sie über den unfehlbaren kriminalistischen Instinkt verfügen würden, mein geschätzter McWarden ...«

»Als Beamter bin ich verpflichtet, bei der Ermittlung rechtsstaatliche Grundsätze einzuhalten, Mylady«, entgegnete der Chief-Superintendent leicht gereizt. »Das dauert zwar manchmal etwas länger, führt aber auch zum Ziel.«

»Bisweilen, mein lieber McWarden, bisweilen«, schränkte die passionierte Detektivin ein. »In allen wirklich brisanten Fällen hätten Sie ohne meine Hilfe passen müssen.«

»Ihnen und Mister Parker habe ich wirklich einiges zu verdanken«, gestand McWarden brummig. »Dennoch ...«

Er sprach seinen Satz nicht zu Ende, weil in diesem Augenblick ein junger Polizist herbeieilte. »Ein dringender Funkspruch, Sir«, meldete er.

»Ich komme«, nickte McWarden und verabschiedete sich von Lady Simpson und ihrem Butler.

»Falls es recht ist, komme ich morgen zum Frühstück vorbei, um mit Ihnen über diese Brandserie zu sprechen«, kündigte der Chief-Superintendent im Weggehen noch an.

Postwendend wollte Agatha Simpson protestieren. Grundsätzlich hatte sie gegen einen Besuch McWardens nichts einzuwenden. Aber mußte er denn immer zum Frühstück erscheinen?

Für eine Ausladung war es jedoch zu spät. McWarden war bereits eiligen Schrittes zwischen den Feuerwehrautos verschwunden.

*

»Für wen ist denn das zweite Gedeck bestimmt, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha mißtrauisch, als sie am nächsten Morgen am Frühstückstisch Platz nahm.

»Fraglos dürften Mylady sich erinnern, daß Mister McWarden gestern abend den Wunsch äußerte, mit Mylady über die Brandserie zu sprechen«, erläuterte Parker.

»Wenn er sich einen Rat bei mir holen will – nun gut. Ich bin ja kein Unmensch«, entgegnete die Hausherrin. »Als alleinstehende Frau kann ich es mir aber nicht erlauben, das Geld zum Fenster hinauszuwerfen und McWarden mitdurchzufüttern.«

»Wie Mylady wünschen«, sagte der Butler mit einer angedeuteten Verbeugung und schickte sich an, das zweite Gedeck wieder abzuräumen.«

»Ihre Verschwendungssucht treibt mich hoch in den Ruin, Mister Parker«, klagte die ältere Dame und machte sich mit herzhaftem Appetit über die Forellenfilets her, die Parker als Auftakt servierte, »Eines Tages werde ich völlig mittellos dastehen.«

»Eine Vorstellung, die man nur als schrecklich bezeichnen kann und muß, Mylady«, erwiderte der Butler. »Selbstverständlich wird meine bescheidene Wenigkeit nach Kräften bemüht sein, eine derartige Entwicklung zu verhindern.«

Seine Antwort entsprach den Geboten der Höflichkeit. In Wahrheit hielt Parker die Befürchtungen seiner Herrin zumindest für übertrieben. Er wußte, daß Agatha Simpsons Vermögen ebenso unermeßlich war wie ihre immer wieder betonte Sparsamkeit.

Beflissen legte er Lady Agatha Fasanenbrüstchen in Blätterteig vor, schenkte Kaffee nach und trat in seiner unnachahmlichen Art einen halben Schritt zurück.

Die Hausherrin verdoppelte ihr ohnehin eindrucksvolles Verzehrtempo und zeigte denselben Eifer bei den Rindermedaillons und der Hirschkalbpastete, die der Butler anschließend servierte.

Als es schließlich an der Haustür klingelte, wartete nur noch eine mit exotischen Früchten garnierte Käseplatte darauf, abgeräumt zu werden.

»Das wird McWarden sein«, vermutete die Detektivin. »Den Sherry werde ich heute etwas später zu mir nehmen, Mister Parker. Schließlich will ich einen Yard-Beamten ja nicht zum Trinken im Dienst verführen.«

»Ein Vorsatz, der von außerordentlichem Verantwortungsbewußtsein zeugt, Mylady«, merkte Parker an, ehe er seine Schritte in Richtung Vorflur lenkte. Im stillen argwöhnte er jedoch, daß seine Herrin sich in diesem Fall weniger von moralischen Grundsätzen leiten ließ. Sie wurde einfach von dem Verdacht gepeinigt, McWarden habe es bei seinen Besuchen einzig darauf abgesehen, sich an ihrem feinen, alten Sherry zu laben.

»Das Herz einer Dame schlägt höher, wenn sie sieht, daß es noch wahre Gentlemen gibt, mein lieber McWarden«, säuselte Agatha Simpson im lieblichsten Tonfall, der ihr zu Gebote stand, als der Chief-Superintendent mit einem üppigen Bukett lachsfarbener Rosen durch die geräumige Wohnhalle auf sie zusteuerte. »Leider habe ich mein bescheidenes Frühstück gerade beendet. Sonst hätte ich Ihnen natürlich ein Häppchen angeboten.«

»Davon bin ich überzeugt, Mylady«, entgegnete McWarden. »Alle Welt rühmt ja Ihre Gastfreundschaft.«

»Sie übertreiben, mein Bester«, antwortete die ältere Dame sichtlich geschmeichelt. »Alle Welt...«

»Was die Serie mutmaßlicher Brandstiftungen angeht, fange ich allmählich an, meine eigene Theorie in Zweifel zu ziehen«, wechselte der Chief-Superintendent abrupt das Thema.

»Darf man sich erkundigen, wie Sie diese Äußerung verstanden wissen möchten, Sir?« schaltete Parker sich ein.

»Bei den beiden Bränden von gestern abend scheidet Versicherungsbetrug mit größter Wahrscheinlichkeit aus«, gab der Mann vom Yard Auskunft.

»Verzeihung, Sir«, vergewisserte sich der Butler. »Hat man korrekt vernommen, daß Sie von zwei Bränden zu sprechen beliebten?«

»Richtig, Mister Parker«, bestätigte McWarden. »Als der junge Kollege mich gestern abend zum Funkgerät holte, erfuhr ich, daß gleichzeitig eine Villa in Mayfair lichterloh brannte.«

»Zweifellos wäre Mylady Ihnen sehr verbunden, Sir, wenn Sie sagen könnten, warum Sie in beiden Fällen Versicherungsbetrug für unwahrscheinlich halten«, bohrte Parker auf seine höfliche Art weiter.

»Bei Ball ist die Versicherungssumme viel zu niedrig«, erläuterte der Chief-Superintendent. »Er hätte seinen Vertrag aufstocken müssen, wenn der Brand sich rentieren sollte. Das Geld, das er bekommen wird, deckt nicht mal den tatsächlichen Schaden.«

»Und die Villa in Kensington?« fragte die ältere Dame neugierig.

»Mayfair, Mylady«, korrigierte McWarden. »Die Villa gehört einem angesehenen Richter namens Gerald Marble.«

»Hoffentlich ist der gute Mann nicht mit verbrannt?« erkundigte sich Lady Agatha besorgt.

»Richter Marble ist seit zwei Tagen mit seiner Familie in Urlaub, Mylady«, antwortete der Yard-Beamte. »Wir haben ihn bisher nicht mal erreichen können, da er mit seiner Segeljacht auf dem Mittelmeer kreuzt.«

»Darf man dennoch von der Annahme ausgehen, Sir, daß Sie die Ursachen beider Brände ermitteln lassen?« wollte Parker wissen.

»Unsere Experten haben sich gründlich umgesehen, aber sie kommen zu keinem klaren Urteil«, teilte der Chief-Superintendent mit. »Brandstiftung ist in beiden Fällen wahrscheinlich. Nur fehlt das Motiv, wenn Versicherungsbetrug ausscheidet, Mister Parker.«

»Meiner Wenigkeit steht es nicht zu, Ihnen zu widersprechen, Sir«, blieb der Butler beharrlich am Ball. »Dennoch könnte man unter Umständen auch ein anderes Motiv in Betracht ziehen.«

»Das wollte ich auch gerade bemerken«, schaltete Agatha Simpson sich geistesgegenwärtig ein. »An welches Motiv denke ich dabei, Mister Parker?«

»Falls man sich nicht gründlich täuscht, erwägen Mylady, daß es sich zumindest im Fall des Richters Marble auch um einen Racheakt handeln könnte«, gab Parker die gewünschte Auskunft.

»Der Gedanke kam mir auch schon, Mister Parker«, stimmte McWarden zu. »Wirklich ärgerlich, daß wir mit dem Mann nicht sprechen können. Statt dessen habe ich zwei Kollegen eingeteilt, die die Listen aller schweren Jungs durchgehen, die in letzter Zeit aus der Haft entlassen wurden. Beim Vergleich mit den Urteilen, die Richter Marble gefällt hat, könnte sich möglicherweise eine Spur ergeben.«

»Ein etwas mühseliges Verfahren, falls die Anmerkung erlaubt ist, Sir«, meinte der Butler.

»Stimmt«, nickte der Yard-Beamte bekümmert. »Aber was sollen wir denn machen?«

»Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, machen Sie nur so weiter, McWarden«, fiel die Detektivin ein. »In der Zwischenzeit werde ich die Brandstifter zur Strecke bringen.«

»Sie können es ja versuchen, Mylady«, stimmte McWarden gut gelaunt zu. »Für mich steht jedenfalls fest, daß die Brände von gestern abend mit der Serie nichts zu tun haben. Da würde ich jede Wette eingehen.«

»Ich nehme Sie beim Wort, McWarden«, reagierte Agatha Simpson sofort. »Eine Kiste Sherry! Vom feinsten, natürlich.«

»Moment mal«, bremste der Chief-Superintendent. »Was ist überhaupt Inhalt unserer Wette, Mylady?«

»Daß ich Ihnen die Brandstifter liefere.«

»Die von gestern abend?«

»Alle!«

»Alle?« McWarden setzte einen belustigten Gesichtsausdruck auf. »Dann freue ich mich schon jetzt auf den Sherry, den Sie mir zukommen lassen werden, Mylady.«

»Davon war nicht die Rede, McWarden.« Agatha Simpsons Tonfall wurde ausgesprochen eisig. »Sie werden mir eine Kiste Sherry zukommen lassen. Und zwar vom feinsten, wie ich schon betonte.«

»Aber nur, wenn Sie Ihr Versprechen wahrmachen, Mylady.«

»Was für ein Versprechen?« Die ältere Dame runzelte die Stirn.

»Daß Sie die ganze Serie von Brandstiftungen einschließlich der Brände von gestern abend aufklären werden, Mylady.«

»Ein anderer Fall ist überhaupt nicht denkbar, McWarden. Natürlich, werde ich Ihnen die Lümmel liefern. Sie können den Sherry ruhig schon bestellen. Mister Parker wird Ihnen die Anschrift meines Lieferanten mitteilen.«

»Danach wollte ich Sie ohnehin fragen, Mylady«, antwortete der Chief-Superintendent. »Ihr Sherry ist wirklich vorzüglich.«

»Bedauerlich, daß Sie im Dienst nichts trinken dürfen, McWarden«, entgegnete die Hausherrin schadenfroh. Sie hatte das Kompliment als Wink mit dem Zaunpfahl verstanden.

»Manchmal nehme ich das nicht so genau«, gestand der Yard-Beamte. »Aber heute hätte ich ohnehin abgelehnt. Es wird wieder ein heißer Tag. Da muß ich auf meinen Blutdruck achten.«

»Sie sollten wirklich kein Risiko eingehen, mein lieber McWarden«, bestärkte die Lady ihn eilig. »Aber ich könnte mir jetzt ein Schlückchen genehmigen.«

Während Parker zum Wandschrank schritt und die Kristallkaraffe mit dem Sherry holte, erhob sich McWarden und verabschiedete sich von der Hausherrin.

»Und vergessen Sie den Sherry nicht«, rief Mylady noch hinterher, als Parker den Gast schon zur Tür geleitete.

*

»Mylady haben den Zielort erreicht, sofern der Hinweis gestattet ist.«

Gemächlich ließ Parker sein hochbeiniges Monstrum am Straßenrand ausrollen.

Der schwarze Kasten hatte früher als Taxi gedient. Viel mehr als die äußere Gestalt war aber nicht geblieben. Es lag an dem temperamentvollen Renntriebwerk unter der eckigen Haube und einigen anderen Überraschungen, daß das schwerfällig wirkende Gefährt bei Freund und Feind respektvoll »Trickkiste auf Rädern« genannt wurde.

»Passen Sie gut auf, wie ich dem Burschen auf den Zahn fühlen werde, Mister Parker«, ermahnte Mylady den Butler, während sie schnaufend ihre eindrucksvolle Körperfülle durch die Türöffnung zwängte. »Vielleicht können Sie auf Ihre alten Tage noch etwas lernen.«

»Meine Wenigkeit wird es nicht an der nötigen Aufmerksamkeit fehlen lassen, Mylady«, beteuerte Parker, während man den Hof der Kaffeerösterei Ball betrat.

»Darf man sich höflich erkundigen, ob Mister Daniel Ball anwesend ist?« wandte Parker sich an einen Arbeiter im grauen Kittel, der verkohlte Balkenreste zu einem Haufen zusammentrug.

»Der hat keine Zeit«, gab der Mann mürrisch zurück, ohne die Arbeit zu unterbrechen.

»Mister Mall kann es sich gar nicht erlauben, für mich keine Zeit zu haben«, herrschte Lady Agatha den Arbeiter mit ihrem sonoren Organ an.

»So? Wer sind Sie denn überhaupt?« gab der Mann gedehnt zurück und musterte das skurrile Paar mit einem langen Blick, der halb belustigt, halb verunsichert wirkte.

In der Tat boten Agatha Simpson und ihr Butler einen nicht ganz alltäglichen Anblick. Die korpulente Detektivin trug ein sommerliches Kostüm, das mal sehr modern gewesen sein mußte. Dagegen war ihr Hut ein zeitloses Gebilde. Zwei Nadeln, die das Format von Grillspießen besaßen, steckten in dem Ungetüm.

Mehr praktisch als schick wirkten die sportlichen Halbschuhe mit den derben Profilsohlen. Ein perlenbestickter Pompadour von beachtlichem Maß vervollständigte die Ausstattung der Detektivin, die im übrigen die Sechzig schon überschritten hatte.

Josuah Parker, ein wenig mehr als mittelgroß, mit leichtem Bauchansatz, wirkte trotz der grauen Schläfen alterslos. Möglicherweise rief sein glattes, undurchdringliches Pokergesicht diesen Eindruck hervor.

Gekleidet war er in einen konservativ geschnittenen Zweireiher aus schwarzem Tuch und schwarz-grau gestreifte Beinkleider. Der steife, weiße Eckkragen, die Melone und der altväterlich gebundene Regenschirm am angewinkelten Unterarm korrespondierten mit tadellosen Umgangsformen alter Schule. Mit einem Wort: Parker war von, Kopf bis Fuß und Zoll für Zoll ein hochherrschaftlicher Butler, wie man ihn eigentlich nur noch im Film zu sehen bekam.

»Darf man Sie höflichst ersuchen, Mister Ball unverzüglich mitzuteilen, daß Lady Simpson ihn zu sprechen wünscht«, riß Parker den Mann aus seinen Betrachtungen.

Der Arbeiter steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen gellenden Pfiff ertönen.

»He, Chef?« rief er anschließend in den Hof.

»Was ist, Tom?« antwortete eine Stimme aus dem massiven Teil des Gebäudes, der den Brand unversehrt überstanden hatte.

»Da sind zwei, die wollen Sie sprechen, Chef.«

»Wer denn?«

»So ’ne komische alte Schachtel, angeblich ’ne echte Lady, und ein Butler, der aussieht, als käme er aus dem Wachsfigurenkabinett.«

Daß Parker alles andere als eine starre Wachsfigur war, sollte der Mann zu seinem Leidwesen wenig später erfahren. Zuerst aber hatte Lady Agatha das Wort.

»Habe ich mich verhört, Mister Parker, oder hat dieser Lümmel mich eben in unflätiger Weise beleidigt?« erkundigte sie sich genießerisch und ließ schon den ledernen Pompadour kreisen. Die martialischen Hutnadeln wippten bedrohlich.

»Beleidigt?« wiederholte der Arbeiter und setzte ein unverschämtes Grinsen auf. »Das war doch noch geschmeichelt, was ich ...«

Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment ereilte ihn das Geschick in Gestalt von Lady Simpsons sogenanntem Glücksbringer. Dabei handelte es sich um ein ansehnliches Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereipferd stammte. Dieses Eisen hatte die ältere Dame in eine dünne Lage Schaumstoff gewickelt und in ihrem Pompadour verstaut.

Dem Mann blieb augenblicklich die Luft weg, als sich der perlenbestickte Beutel mit der Zärtlichkeit einer Dampframme an seine Brust schmiegte. Sein gebräuntes Gesicht nahm eine ungesunde gelbliche Färbung an. Schweißtropfen traten auf seine Stirn.

Zitternd stand er auf schwankenden Beinen und bedachte die Detektivin mit Blicken, die ebenso haßerfüllt wie fassungslos waren. Röchelnde Laute entrangen sich seiner Kehle, während er vorsichtig seine Rippen abtastete.

Der Befund dieser Untersuchung schien ihm Mut zu geben. Blitzschnell griff der Arbeiter nach einem schweren Vorschlaghammer und stürzte sich mit einem dumpfen Schrei in Myladys Richtung.

Parker blieb auch in dieser Situation gelassen und verzog keine Miene. Er tippte nur mit der bleigefüllten Spitze seines schwarzen Universal-Regenschirmes auf das Handgelenk des Angreifers.

Der Mann reagierte mit einem Jaulen, das an einen einsamen Wolf bei Vollmond erinnerte. Er vergaß den Hammer in der höllisch schmerzenden Hand und wurde erst wieder an ihn erinnert, als seine Hühneraugen die Ankunft des gewichtigen Werkzeuges meldeten.

Jämmerlich heulend begann er eine Pirouette auf einem Bein zu drehen. Da er gleichzeitig das rasch schwellende Handgelenk massierte, mußte die Darbietung mißglücken. Schon nach wenigen Umdrehungen geriet der ungeübte Tänzer ins Pendeln. Er torkelte vor und zurück, ehe er sich erschöpft gegen den Stapel verkohlter Balken fallen ließ.

Dabei zeigte sich, daß der Mann bei seiner Arbeit offenbar elementare statische Prinzipien vernachlässigt hatte. Jedenfalls geriet der recht ansehnliche Stapel ins Rutschen und sorgte für eine erneute Hühneraugenmassage, die noch lautere Jaultöne auslöste.

Für die Nerven des nicht mehr ganz jungen Arbeiters schien das etwas zu viel zu sein. Planlos wollte er flüchten, stolperte aber über einen Balken und suchte so temperamentvoll den Kontakt zum gepflasterten Hof, daß er jedes Interesse an dem Paar aus Shepherd’s Market verlor.

Dafür zeigte sich sein Chef, der in diesem Moment über den Hof kam, um so interessierter...

*

»Was ist denn hier passiert?« Ungläubig musterte Daniel Ball seinen friedlich schlummernden Arbeiter. Offensichtlich fiel es ihm schwer, Toms Mißgeschick mit Agatha Simpson und Parker in Zusammenhang zu bringen.

»Der dreiste Lümmel hat es gewagt, eine Dame zu beleidigen«, erläuterte Mylady mit verächtlichem Seitenblick auf den gemaßregelten Arbeiter. »Ich mußte ihm deshalb eine kleine Lektion erteilen.«

»Sie waren das?« vergewisserte sich der Kaffeeröster. Entgeistert sah er die Detektivin an.

»Mylady pflegt auf Beleidigungen außerordentlich sensibel zu reagieren, Mister Ball«, setzte Parker den Mann ins Bild.

»Unglaublich«, murmelte der Sommersprossige. Er ließ seine Blicke zwischen dem am Boden liegenden Arbeiter und der selbstbewußten älteren Dame hin- und herschweifen. »Unglaublich!«

»Falls Sie mir wirklich nicht glauben wollen, Mister Mall, könnte ich Sie durch eine Kostprobe schnell überzeugen«, bot Agatha Simpson an und schwenkte unternehmungslustig ihren perlenbestickten Pompadour.

»Lieber nicht«, wehrte Ball ab.

»Sie scheinen immerhin etwas einsichtiger zu sein als dieser unverschämte Bursche«, entgegnete Mylady und ließ enttäuscht ihre »Waffe« sinken.

»Tom ist ein netter Kerl, aber manchmal etwas ruppig«, räumte der Kaffeeröster ein. »Vielleicht hat er sich wirklich im Ton vergriffen, Mylady. Aber: Was führt Sie eigentlich zu mir?«

»Ich bin Detektivin, Mister Mall«, antwortete Agatha Simpson.

»Detektivin?« unterbrach der Blondschopf. »Richtig, ich habe Sie gestern zusammen mit Chief-Superintendent McWarden gesehen. Sie arbeiten also auch bei Scotland Yard?«

»Ich – bei Scotland Yard?« wiederholte die energische Dame entrüstet. »Das ist eine Unterstellung, Mister ...«

»Pardon, Mylady«, entgegnete Ball irritiert. »Ich wußte nicht...«

»Eine Privatdetektivin ist nicht von beamteten Schnüffelnasen abhängig, Mister Mall«, konstatierte die Detektivin. »Das kann Ihnen auch mein Butler bestätigen.«

»Nichts liegt meiner Wenigkeit ferner, als Myladys Äußerungen zu widersprechen«, versicherte Parker mit einer höflichen Verbeugung. »Dennoch sollten Mylady Mister Ball keinerlei beleidigende Absicht unterstellen, falls die Anmerkung erlaubt ist.«

»Na gut«, lenkte Ball ein. »Sie haben also nichts mit Scotland Yard zu tun, Mylady. Um so weniger verstehe ich, was Sie überhaupt hier wollen.«

»Mister Parker wird Ihnen die Fragen stellen, die ich ausgearbeitet habe, Mister Mall«, kündigte die Detektivin an.

»Moment mal, was für Fragen?« protestierte der Kaffeeröster.

»Es handelt sich um den Brand, von dem Ihr Unternehmen bedauerlicherweise betroffen wurde, Mister Ball«, gab der Butler Auskunft.

»Kann ich mir denken«, bestätigte sein Gegenüber. »Aber ich habe der Polizei schon alles gesagt, was ich weiß. Im übrigen haben Sie gar kein Recht, mir irgendwelche Fragen zu stellen.«

»Anscheinend sind Sie doch nicht so einsichtig, wie ich zunächst annahm, Mister Mall«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen. »Sollten Sie sich tatsächlich weigern, wahrheitsgemäß auf meine Fragen zu antworten, hätte das außerordentlich negative Folgen für Sie.«

»Das ist doch der Gipfel der Unverschämtheit«, empörte sich Ball. »Wer hat Sie denn überhaupt beauftragt?«

»Eine Lady Simpson braucht keinen Auftraggeber, junger Mann«, belehrte ihn die Detektivin. »Ich lasse mich nur von meinem kriminalistischen Instinkt leiten.«

»Den können Sie sich an den Hut stecken!« brauste der Kaffeeröster auf. »Ich habe Sie jedenfalls nicht gebeten, ihre Nase in meine Angelegenheiten zu stecken. Also verschwinden Sie schleunigst, sonst...«

»Sonst?« wiederholte Agatha Simpson erwartungsvoll.

»Sonst werfe ich Sie eigenhändig auf die Straße«, vollendete Daniel Ball seinen Satz.

»Das geht zu weit«, entschied die resolute Dame und holte blitzschnell zu einer ihrer berüchtigten Ohrfeigen aus. »Dieser Lümmel wagt es, eine Lady zu bedrohen, Mister Parker.«

Ball ließ einen Klagelaut hören, als sein Unterkiefer mit der muskulösen Linken der älteren Dame Bekanntschaft machte. Stöhnend taumelte er einige Schritte zurück, stolperte über ein herumliegendes Bett und landete rücklings im Gewirr der verkohlten Balken, die Tom zusammengetragen hatte.

Mühsam raffte sich der Kaffeeröster wieder auf und tastete mit kohlrabenschwarzen Fingern seinen aus den Angeln geratenen Kiefer ab. Wimmernd massierte er die linke Wange, auf der sich Lady Agathas gespreizte Finger abzeichneten.

Die unausweichliche Folge war, daß sein blasser, sommersprossiger Teint sich zusehends schwarz färbte. Sekunden reichten, um Balls Gesicht in das eines Schornsteinfegers zu verwandeln.

»Das war nur eine kleine Warnung, Mister Mall«, stellte Agatha Simpson ungerührt fest. »Sollten Sie sich weiterhin verstockt zeigen, müßte ich andere Saiten aufziehen.«

»Also gut«, preßte Ball hervor. Sein Gesicht war von Wut und Schmerz verzerrt. »Kommen Sie mit in mein Büro. Dort können wir uns unterhalten.«

*

»Mylady wäre Ihnen sehr verbunden, Mister Ball, wenn Sie sich zu der Ursache des Brandes von gestern abend äußern könnten«, begann Parker, nachdem man im Büro des Kaffeerösters Platz genommen hatte.

»Fragen Sie doch die Polizei!« reagierte Ball trotzig. »Ich habe keine Ahnung.«

»Der Lümmel lügt, Mister Parker«, fuhr Agatha Simpson wütend dazwischen. »Aber bei mir verfangen seine Ablenkungsmanöver natürlich nicht.«

»Ablenkungsmanöver?« protestierte der Blondschopf mit dem rußverschmierten Gesicht. »Wovon sollte ich denn ablenken?«

»Für mich steht längst fest, daß Sie eigenhändig den Brand gelegt haben, um die Versicherungssumme zu kassieren«, ließ die Detektivin wissen. »Entweder Sie gestehen unverzüglich oder...«

»Unsinn!« knurrte Daniel Ball. »Wenn es so wäre, hätte ich vor dem Brand die Versicherungssumme erhöht. Was ich von der Feuerversicherung bekomme, reicht nicht mal aus, um die abgebrannten Lagerschuppen zu ersetzen, ganz zu schweigen von zehn Tonnen Rohkaffee, die auch verbrannten.«

»Ihre Äußerung deckt sich mit den Erkenntnissen, die auch Scotland Yard vorliegen, falls der Hinweis gestattet ist«, übernahm der Butler wieder die Regie. »Daraus ergibt sich jedoch die Frage, wer ein Interesse haben könnte, Ihnen Schaden zuzufügen, Mister Ball«, ließ Parker sich vernehmen. »Ein Kurzschluß kann und muß jedoch als wenig wahrscheinlich gelten, weil alle elektrischen Anlagen am Wochenende abgeschaltet waren.«

»Stimmt, Mister Parker«, räumte der Mann ein. »Trotzdem glaube ich nicht an Brandstiftung.«

»Darf man diese Äußerung so deuten, daß Sie keine persönlichen Feinde zu haben glauben, Mister Ball?« hakte Parker nach.

»Feinde?« wiederholte Ball. Sein Mienenspiel drückte Verblüffung aus, als hätte der Butler eine völlig abwegige Frage gestellt. »Ein seriöser Geschäftsmann wie ich hat keine Feinde.«

»Auch die seriösen Geschäftsgebahren schützen nicht vor Neidern, falls die Anmerkung erlaubt ist«, gab Parker zu bedenken, aber Ball schüttelte heftig den Kopf.

»Nein, nein«, beharrte er. »Weder geschäftlich noch privat habe ich irgendwelchen Anlaß geliefert, der als Vorwand für eine Brandstiftung dienen könnte. Sie sind auf dem Holzweg, Mister Parker. In dieser Richtung weiter zu bohren, ist reine Zeitverschwendung.«

»Eine Einschätzung, die Mylady wohl kaum teilen dürfte, Mister Ball«, bemerkte der Butler gelassen.

»Ist mir egal«, konterte sein Gegenüber. »Bleiben Sie bei Ihrer Meinung. Ich bleibe bei meiner.«

»Die Zukunft wird zeigen, welche Ansicht der Wahrheit näherkommt, Mister Ball«, prophezeite Parker und erhob sich.

»Moment, warten Sie!« rief Ball hinterher, als der Butler seine Herrin zur Tür geleitete. »Mir ist etwas eingefallen.«

»Darf man vermuten, daß Sie sich jetzt doch einer Feindschaft erinnern, Mister Ball?« erkundigte sich Parker.

»Von Feindschaft kann keine Rede sein«, schwächte der Blondschopf ab. »Aber vielleicht interessiert es Sie, daß ich am Freitag einen Arbeiter fristlos entlassen mußte. Der Bursche erschien immer wieder betrunken zum Dienst. Da hatte ich keine andere Wahl.«

»Darf man aus Ihrem Hinweis schließen, daß Sie den Genannten einer Brandstiftung für fähig halten, Mister Ball?« wollte der Butler wissen. »Gewissermaßen als Racheakt?«

»Das habe ich nicht gesagt«, wich Ball aus. »Der Mann fiel mir nur ein, weil Sie so hartnäckig gefragt haben. Am besten fahren Sie hin und sprechen persönlich mit ihm. Er heißt Al Doolittle und wohnt an der Myrdle Street 223 in Whitechapel.«

»Eine Anregung, der man die Beachtung schenken sollte, die sie verdient, Mister Ball«, sagte Parker mit einer angedeuteten Verbeugung. »Man dankt in aller Form für das aufschlußreiche Gespräch und wünscht noch einen angenehmen Tag.«

*

»McWarden wird blaß werden vor Neid, wenn ich ihm den Brandstifter präsentiere, nach dem er vergeblich gefahndet hat«, frohlockte Agatha Simpson, als sie wieder im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz genommen hatte.

»Darf und muß man vermuten, daß Mylady den entlassenen Arbeiter namens Al Doolittle zu meinen geruhen?« vergewisserte sich der Butler, während er sein schwerfällig wirkendes Gefährt anrollen ließ.

»Selbstverständlich, Mister Parker«, nickte die Detektivin. »Der Fall ist doch sonnenklar. Mister Poomickle wollte sich an seinem Arbeitgeber rächen. Das ist ein geradezu klassisches Motiv.«

»Eine Feststellung, der meine bescheidene Wenigkeit keinesfalls widersprechen möchte, Mylady«, pflichtete Parker seiner Herrin bei.

»Mich wundert nur, daß Mister Ball erst im letzten Moment darauf gekommen ist«, fuhr Lady Agatha fort. »So vergeßlich kann doch kein Mensch sein.«

»Zweifellos haben Mylady auch in Betracht gezogen, daß Mister Balls Vergeßlichkeit gewisse Hintergründe haben könnte«, warf der Butler ein.

»Allerdings habe ich das in Betracht gezogen, Mister Parker«, schwindelte die ältere Dame eilig. »Von welchen Hintergründen gehe ich aus?«

»Mylady dürfte kaum entgangen sein, daß Mister Ball zunächst bemüht war, von dem Verdacht auf Brandstiftung überhaupt abzulenken«, meinte Parker.

»Selbstverständlich habe ich das bemerkt, Mister Parker«, behauptete Agatha Simpson. »Was schließe ich daraus?«

»Mylady dürften verschiedene Erklärungen für dieses Verhalten in Betracht gezogen haben, falls man sich nicht gründlich täuscht.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel könnte Mister Ball an einer Vertuschung des wahren Sachverhalts interessiert sein, weil die Ergreifung des Täters auch für ihn selbst kompromittierende Folgen hätte«, ließ der Butler sich vernehmen.

»Papperlapapp, Mister Parker«, fuhr Lady Agatha ihrem Butler über den Mund. »Mister Mall hat sich nichts vorzuwerfen. Was soll denn Kompromittierendes daran sein, wenn er einen trunksüchtigen Arbeiter entläßt?«

»Möglicherweise erwägen Mylady auch, daß eine bisher nicht genannte Person als Brandstifter in Frage kommen könnte«, versuchte Parker, seinen eigenen Verdacht der Detektivin in den Mund zu legen.

»Und was sollte das für eine Person sein, Mister Parker?«

»Jemand, der über belastendes Wissen verfügt, Mylady«, antwortete der Butler. »Mister Ball dürfte fürchten, daß diese Person im Fall der Ergreifung ein Motiv nennt, das ein ungünstiges Licht auf Mister Ball werfen könnte.«

»Das ist ja abenteuerlich, Mister Parker!« rief Lady Simpson und begann zu kichern. »Lassen Sie Ihre Phantasie beiseite und halten Sie sich streng an die Tatsachen, wie ich es tue.«

»Unablässig ist meine Wenigkeit bemüht, Myladys leuchtendem Beispiel nachzueifern«, versicherte der Butler und bog in die Commercial Road ein, die nach Whitechapel führte.

»Tatsache ist«, dozierte Lady Agatha, »daß der entlassene Arbeiter ein handfestes Motiv hat. Alle Verdachtsmomente konzentrieren sich auf Mister Poomickle.«

»Verzeihung, Mylady«, korrigierte Parker vorsichtig. »Darf man vermuten, daß Mylady Mister Al Doolittle zu meinen belieben?«

»Wie auch immer, Mister Parker«, fuhr die resolute Dame unbeirrt fort. »Der Bursche ist hochverdächtig. Mister Mall dagegen ist ein ausgesprochen integrer Charakter, ein seriöser Geschäftsmann. Ich bin Detektivin genug und irre mich nicht.«

»Nicht mal im Traum würde man‘ es wagen, Mylady zu widersprechen«, entgegnete der Butler durchaus wahrheitsgetreu.

»Das will ich auch nicht hoffen«, sagte Agatha Simpson. »Im übrigen – was sollte Mister Mall für einen Grund haben, einen Unschuldigen zu belasten?«

»Mister Ball dürfte sich der vergeblichen Hoffnung hingeben, Mylady auf eine falsche Spur locken zu können«, gab der Butler zur Antwort.

»Warten Sie’s ab, Mister Parker«, beendete Mylady die unbequeme Diskussion. »Sie dürfen anwesend sein, wenn ich Mister Poomickle wie eine Zitrone ausquetsche. Danach werden auch Sie überzeugt sein.«

»Mister Doolittles Wohnung dürfte in kürzester Frist erreicht sein, Mylady«, meldete Parker und fädelte sich auf die Abbiegespur ein.

Daß während der halbstündigen Fahrt von Daniel Balls Kaffeerösterei bis zur Myrdle Street immer wieder ein weißer Porsche im Rückspiegel aufgetaucht war, verschwieg er seiner Herrin. Die Zeit für handfeste Auseinandersetzungen schien dem Butler noch nicht reif.

Niemand anderes als Ball konnte die Verfolger in Marsch gesetzt haben. Offenbar sollten die Männer, die vorsichtige Distanz einhielten, feststellen, ob das Duo aus Shepherd’s Market tatsächlich die angegebene Adresse aufsuchte.

Mochte der Kaffeeröster sich ruhig in dem Glauben wiegen, Mylady und ihr Butler seien ihm auf den Leim gegangen und hätten die falsche Fährte aufgenommen...

*

Bei dem Haus, vor dem Parker wenig später sein hochbeiniges Monstrum ausrollen ließ, handelte es sich um eine Mietskaserne, die man nur als häßlich und heruntergekommen bezeichnen konnte. Auf dem mit Unrat übersäten Gehweg tobte eine Kinderschar, die in andächtigem Staunen verharrte, als der Butler in seinem schwarzen Zweireiher zum Eingang steuerte.

Aufmerksam studierte Parker die Klingelschilder. Der Name Doolittle war nicht dabei. Hatte Daniel Ball den Verdacht auf einen Mann gelenkt, den es überhaupt nicht gab?

»Suchen Sie jemand?« fragte ein schätzungsweise achtjähriges Mädchen mit kaffeebrauner Haut und schwarzem Kraushaar, das die Scheu vor dem fremden Mann als erste überwunden hatte.

»Mylady wünscht einen gewissen Mister Doolittle zu sprechen«, antwortete der Butler. »Allem Anschein nach wohnt der Herr aber nicht hier.«

»Doch«, entgegnete die Kleine. »Mister Doolittle wohnt auf dem Hof. Meine Mama hat mir zwar verboten, mit Mister Doolittle zu sprechen, aber ich kann Sie bis zu seiner Tür bringen.«

Unbefangen legte das Mädchen seine Hand in die schwarz behandschuhte Rechte des Butlers und zog ihn zu einer Toreinfahrt, die zum Hinterhof führte.

Der exzellente Butler Parker 14 – Kriminalroman

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