Читать книгу Butler Parker 144 – Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 3
ОглавлениеButler Parker war ungemein besorgt, ließ es sich allerdings nicht anmerken. Das glatte und ausdruckslose Gesicht blieb unbeweglich. Höflich und distanziert zugleich stand er seitlich hinter Lady Agatha Simpson, seiner Herrin, die gerade mit baritonaler Stimme verkündete, selbstverständlich sei sie noch durchaus in der Lage, einen Achttausender zu erstürmen.
Lady Agatha Simpson, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, war eine stattliche Erscheinung, die Autorität ausstrahlte. Die große, durchaus als füllig zu bezeichnende Dame, hatte mit Sicherheit das sechzigste Lebensjahr überschritten. Sie besaß ein ausdrucksstarkes Gesicht, eine männliche Nase und ein Kinn, das Energie und Entschlossenheit verriet.
Lady Agatha befand sich zusammen mit ihrem Butler in den altehrwürdigen Räumen eines Clubs, zu dem normalerweise weibliche Wesen keinen Zutritt haben. In ihrem Fall aber hatte man wohlweislich eine Ausnahme gemacht, denn die »alte« Dame war dafür bekannt, daß sie Hindernisse, gleich welcher Art, souverän überwand. Um ihr jedoch einen Streich zu spielen, hatten einige ältere Semester sie herausgefordert und nagelten sie nun zielstrebig auf eine Wette fest.
»Sprachen Sie eben von einem Achttausender, Mylady?« fragte Sir Rupert, der Präsident des Clubs, in dem sich Globetrotter zu treffen pflegten, Männer, die noch Zeit und Geld hatten, um sich Abenteuerreisen zu leisten.
»Ich sprach von einem Achttausender«, antwortete Agatha Simpson munter. Ihre grauen Augen blitzten, »Sie haben sich nicht verhört.«
»Schafft ein Hubschrauber solch eine Höhe?« fragte ein anderes Clubmitglied ironisch.
»Selbstverständlich werde ich auf einen Hubschrauber verzichten«, grollte Mylady augenblicklich, ich bestieg bereits das Matterhorn, junger Mann, als Sie noch gar nicht geboren waren!«
»Ich denke, wir sollten auf eine Wette verzichten«, meinte Sir Rupert, ein zäh aussehender, drahtiger Fünfziger, listig.
»Natürlich werde ich wetten«, antwortete die ältere Dame prompt und tappte damit in die gestellte Falle, »schneller kann eine arme Frau wie ich kein Geld verdienen.«
Der Hinweis auf ihre Armut löste allgemeines Schmunzeln aus. Lady Agatha Simpson war immens vermögend, ihr Geiz allerdings nicht weniger bekannt.
»Zehntausend Pfund, daß Sie einen Achttausender nie schaffen«, sagte Sir Rupert augenblicklich.
»Papperlapapp, junger Mann«, antwortete Agatha Simpson wegwerfend, »fünfzigtausend Pfund und keinen Penny weniger, sonst interessiert diese Wette mich nicht.«
»Abgemacht«, gab Sir Rupert klein bei, »Sie bezwingen den bewußten Achttausender noch in diesem Jahr, das ist die Bedingung.«
»Eine Kleinigkeit für mich, nicht wahr, Mr. Parker?« Die Lady wandte sich zu ihrem Butler um.
»Wie Mylady zu meinen belieben«, lautete Parkers ausweichende Antwort.
»Noch in diesem Jahr«, wiederholte Lady Agatha triumphierend, »ich habe also noch vier Monate Zeit, das müßte eigentlich reichen.«
»Das werden Sie nie schaffen«, sagte Sir Rupert, »Lady Agatha, noch können Sie die Wette kündigen.«
»Niemals, junger Mann«, grollte die ältere Dame, »ich nehme die kleine Herausforderung selbstverständlich an. Gibt es noch weitere Herren, die sich an dieser Wette beteiligen möchten? Falls ja, dann setzen Sie sich mit Mr. Parker in Verbindung. Er wird die Einzelheiten erledigen.«
Sie nickte hoheitsvoll und schlenderte in die große Halle, die mit Marmor verkleidet war. Sie hielt dabei ein Longdrinkglas in der Hand, aus dem sie nachhaltig getrunken hatte. Ihre Wangen waren leicht gerötet, sie machte einen animierten Eindruck.
»Nun, Mr. Parker, was halten Sie von dieser Wette?« fragte sie leutselig, als sie mit ihrem Butler allein war. »Schneller kann ich wirklich kein Geld verdienen, nicht wahr?«
»Mylady werden sich in den Himalaya begeben müssen«, antwortete Parker in seiner gewohnt höflichen Art.
»Das macht doch nichts«, lautete ihre leicht gereizte Antwort.
»Mylady werden sich einem sogenannten Konditionstraining unterziehen müssen«, zählte Josuah Parker weiter auf.
»Unsinn«, raunzte sie, »ich bin in Hochform ... Erst vorgestern habe ich Golf gespielt und bin wenigstens eine ganze Meile gegangen.«
»Ein Achttausender verlangt möglicherweise ein wenig mehr«, sagte der Butler gemessen.
»Was wollen Sie mir da einreden, Mr. Parker?« Sie sah ihn streng an und runzelte die Stirn. »Ich habe erst vor einigen Tagen im Fernsehen einen Film gesehen. Ob Sie es nun glauben oder nicht, Mr. Parker, da wurde ein Bergsteiger gezeigt, der einen Achttausender sogar ohne Sauerstoffgerät erstieg, quasi mit der linken Hand. Ich werde mich doch von solch einem Jüngling nicht beschämen lassen!«
»Myladys Wünsche werden meiner Wenigkeit selbstverständlich stets Befehl sein und bleiben«, erklärte Josuah Parker und deutete eine knappe Verbeugung an.
»Sehr schön.« Sie nickte wohlwollend. »Sie, Mr. Parker, werden mich bei diesem Gipfelsturm natürlich begleiten.«
»Meine Wenigkeit erlaubte sich, Mylady, dies bereits zu erahnen«, gab der Butler höflich zurück. Auch jetzt blieb sein Gesicht glatt und ausdruckslos wie das eines professionellen Spielers. Ein Butler Parker war eben durch nichts zu erschüttern.
*
»Du lieber Gott«, meinte Mike Rander am anderen Morgen. Parker hatte dem Anwalt den Morgenkaffee im altehrwürdigen Fachwerkhaus der Lady Simpson serviert und ihm einen knapp gefaßten Bericht von den Ereignissen im Club gegeben, »selbstverständlich wird Mylady nie einen solchen Berg schaffen.«
»Auch hinsichtlich meiner bescheidenen Wenigkeit gibt es erhebliche Bedenken«, antwortete Parker gemessen, »Mylady scheint sich ein wenig zu überschätzen.«
»Wie konnte es nur zu dieser Wette kommen?« Der etwa vierzigjährige Rander, groß, schlank und durchaus an einen bekannten James-Bond-Darsteller erinnernd, verwaltete neben seiner Praxis als Anwalt das Vermögen der älteren Dame, die er schon seit Jahren gut kannte.
»Mylady befand sich möglicherweise in einem Zustand der Euphorie«, versuchte der Butler die verrückte Wette zu erklären, »zudem wurde Mylady geschickt herausgefordert.«
»Dieser Sir Rupert ist eben ein gerissener Fuchs«, meinte Rander, »er hat sie voll ins Messer laufen lassen, Parker.«
»Dem möchte und kann meine Wenigkeit nicht widersprechen, Sir.«
Das Verhältnis zwischen Josuah Parker und Mike Rander war ausgezeichnet. In früheren Jahren hatten die beiden, von Grund auf verschiedenen Männer, gemeinsam viele Abenteuer überstanden, und zwar zu einer Zeit, als Parker noch Mike Randers Butler gewesen war.
»Man müßte mal mit Sir Rupert reden«, meinte Rander nachdenklich, »man müßte ihn dazu bringen, daß er auf diese verrückte Wette verzichtet.«
»Sir Rupert dürfte nur höchst ungern auf diesen sicheren Wettgewinn verzichten wollen.«
»Das fürchte ich allerdings auch. So leicht läßt sich kein Geld verdienen wie hier.«
»Mylady könnte sich theoretisch geschlagen geben und die fünfzigtausend Pfund zahlen, bevor weitere Wetten angeboten werden.«
»Freiwillig wird Lady Simpson nie zahlen«, erwiderte der Anwalt und winkte ab, »aber wie, zum Teufel, können wir die Achttausender vor Mylady bewahren?«
»Man könnte in Mylady eine gewisse Allergie Bergen gegenüber auslösen, Sir.«
»Und wie stellen Sie sich das vor? Haben Sie eine Idee?«
»Mylady wird freiwillig kaum ein sogenanntes Konditionstraining durchführen, aber im Zusammenhang mit einem Kriminalfall würde Mylady sich selbstverständlich jeder Anstrengung unterziehen.«
»Haben Sie denn einen passenden Kriminalfall auf Lager, der dazu noch in den Bergen spielt?« Parker nickte andeutungsweise. »Vor einigen Tagen brachte eine große Tageszeitung einen kleinen Artikel über eine Tauchunternehmung in Österreich, In diesem Zusammenhang wurde ein Taucher das Opfer rätselhafter Umstände.«
»Ich hätte es gern deutlicher, Parker.«
»Besagter Taucher, Sir, gehörte zu einer Gruppe von Schatzsuchern, wenn man so sagen darf. Man tauchte in einem kleinen Bergsee nach Barrengold und wurde von einem Berggeist nachdrücklich vertrieben.«
»Berggeist? Eine Erfindung dieser Zeitungsleute, nicht wahr?« Rander lachte spöttisch.
»In der Region, wo der kleine Bergsee sich befindet, spricht man schon seit Jahren von einem Berggeist, Sir. Dies ging aus dem erwähnten Artikel deutlich hervor. Danach scheint dieser Berggeist mehr als nur eifersüchtig über den kleinen See zu wachen.«
»Und woher sollen die Goldbarren stammen?«
»Sie sollen in den Wirren der letzten Kriegstage dort versenkt worden sein, Sir.«
»Nun ja, davon liest man doch immer wieder«, meinte der Anwalt wegwerfend, »mal geht es um Banknoten, dann um Diamanten und jetzt eben um Goldbarren.«
»Insgesamt wurden bisher vier Opfer verzeichnet, Sir«, sagte Josuah Parker, »und in allen Fällen handelt es sich um Amateurtaucher, wenn man so sagen will und darf.«
»Sie gehen davon aus, daß dort Feuer sein muß, wo Rauch aufsteigt, wie?« Mike Rander lächelte.
»Ein passenderes Sprichwort, Sir, ließe sich kaum zitieren.«
»Und wie wollen Sie Lady Simpson für diesen Fall interessieren?«
»Man müßte eine kleine Manipulation vornehmen.«
»Okay, Einzelheiten interessieren mich nicht«, erwiderte der Anwalt, »Sie wissen schon, wie man so etwas hinzaubert, Parker. Hauptsache, Mylady strampelt sich für einige Tage in den Bergen ab und sieht ein, daß ein Achttausender nicht gerade das Passende für sie ist.«
*
Er war die Höflichkeit in Person, hieß Paul Karoly und mochte etwa sechzig sein. Er trug einen Trachtenanzug aus Loden, war groß, schlank und sprach ein ausgezeichnetes Englisch.
Paul Karoly hatte sich vorgestellt, Lady Agatha mit einem vollendeten Handkuß begrüßt und lächelte gewinnend. Er deutete auf zwei Landrover.
»Ich hoffe, Mylady, Sie werden zufrieden sein«, sagte Karoly, »ich habe mich strikt an Ihre Anweisungen gehalten.«
»Sie haben die Tauchausrüstungen besorgt?« erkundigte sich Agatha Simpson.
»Und an die Kletterausrüstungen«, erwiderte Karoly, »auch mit der Unterkunft werden Sie gewiß zufrieden sein.«
»Man wird sehen«, entgegnete die ältere Dame, die erstaunlicherweise nicht grollte. Sie stand noch völlig unter dem Eindruck des Handkusses. Soviel Charme und Höflichkeit hatte sie nicht erwartet.
»Es handelt sich um einen ehemaligen Bauernhof, der in ein Ferienhaus umgewandelt worden ist«, berichtete Karoly, »vom Gebirgshof aus haben Sie einen wundervollen Blick auf den kleinen See. Und dort oben werden Sie völlig ungestört sein.«
»Sie haben meine Ankunft diskret behandelt, junger Mann?«
»Selbstverständlich, Mylady. Diskretion ist mein Beruf.«
»Sehr schön, Mr. Karoly.« Lady Agatha war äußerst zufrieden. »Was halten Sie übrigens von diesem Berggeist?«
»Es soll ihn geben, Mylady.«
»Nonsens«, reagierte Lady Agatha verächtlich, »das sind doch Ammenmärchen, mein Bester.«
»Dazu möchte ich mich lieber nicht äußern«, erwiderte Paul Karoly, »Sie wissen sicher, daß bisher vier Taucher unten im See ihr Leben verloren.«
»Weil es Amateure waren«, erwiderte die ältere Dame, während sie zusammen mit Karoly zu den beiden Landrovern schritt, »wie tief ist denn dieser See?«
»Hundertfünfzehn Meter, Mylady«, ließ Josuah Parker sich vernehmen, der sich bisher vornehm zurückgehalten hatte. Er trug über seinem schwarzen Zweireiher den schwarzen Covercoat. Auf seinem Kopf saß eine sogenannte Melone in ebenfalls schwarzer Farbe. Am angewinkelten linken Unterarm hing sein altväterlich gebundener Regenschirm.
»Das klingt nicht besonders aufregend«, meinte die passionierte Detektivin lässig, »da bin ich schon in ganz andere Tiefen getaucht, nicht wahr, Mr. Parker?«
»Wie Mylady zu meinen belieben.« Parker enthielt sich bewußt jeder zusätzlichen Äußerung.
»Tief unten im See liegen Baumstämme, Mylady, die eine Art Sperre bilden«, berichtete Karoly weiter, »dort scheiterten bisher alle Tauchversuche.«
»Ich werde das kleine Hindernis selbstverständlich beseitigen«, wußte die ältere Dame bereits im vorhinein, »es soll aber stimmen, daß man in den Bergesee Goldbarren versenkt hat?«
»Dies wird hier überall so gesagt«, meinte Karoly vorsichtig, »aber ob es stimmt, ist natürlich fraglich. Sie müssen übrigens erstklassige Beziehungen haben, Mylady. Der See wurde für Tauch- und Bergungsversuche eigentlich gesperrt. Man möchte keine weiteren Opfer beklagen.«
»Ein weiser Entschluß, junger Mann. So etwas ist eben nur für Profis.«
»Mylady bemühte die Regierung dieser bemerkenswerten Republik«, fügte Josuah Parker hinzu, »Mylady erhielt eine Sondergenehmigung, was die geplanten Tauchversuche betrifft.«
»Erzählen Sie mir etwas über diesen Berggeist, Mr. Karoly«, wünschte die ältere Dame unternehmungslustig, »man hat ihn also schon einige Male gesehen? Wie sieht er aus? Ich wette, er trägt einen Vollbart?«
»So wird er beschrieben«, antwortete Paul Karoly, »der Berggeist soll übergroß und breitschultrig sein und einen weiten Umhang tragen. Auf seinem Kopf soll ein breitkrempiger Hut sitzen.«
»Ich hoffe sehr, daß dieses Subjekt sich möglichst bald vorstellen wird«, sagte Agatha Simpson spöttisch, »wie sind denn die Taucher eigentlich umgekommen?«
»Sie tauchten und kamen nie wieder ans Tageslicht, Mylady.«
»Dann muß der Berggeist aber auch recht gut schwimmen und tauchen können.« Die ältere Dame zog die Augenbrauen hoch und winkte dann abfällig, »nun ja, man wird sehen, Mr. Karoly. Kommen Sie, fahren wir hinauf zum Gebirgshof! Vielleicht hat der komische Berggeist bereits alles zum Empfang vorbereitet.«
»Ich kann Ihren Spott durchaus verstehen, Mylady«, sorgte sich Karoly, »Sie kommen aus einer Millionenstadt, wo man kaum etwas von Geistern weiß, doch hier in den Bergen ist das anders, glauben Sie mir.«
»Glauben Sie denn etwa an einen Berggeist?«
»Ich weiß nicht recht.« Karoly hob ratlos die Schultern, »aber hier passieren Dinge, die man mit dem Verstand nicht erklären kann. Hoffentlich erleben Sie keine bösen Überraschungen.«
»Papperlapapp, junger Mann.« Agatha Simpson winkte ab und nahm auf dem Beifahrersitz des Landrover Platz, während Parker sich auf die Rückbank setzte. Karoly übernahm das Steuer und winkte dann durch das geöffnete Wagenfenster nach hinten. Kurz danach setzte sich auch der zweite Rover in Bewegung. Er wurde von einem Angestellten Karolys gesteuert.
»Wie lange werden Mylady fahren müssen?« erkundigte sich Parker, als man durch das hübsche Gebirgsdorf rollte.
»In einer halben Stunde müßten wir oben sein, falls nichts dazwischen kommen sollte.«
»Und was sollte schon dazwischen kommen?«
»Wer weiß?« Karoly atmete tief durch. »Wie gesagt, ich glaube an diesen Berggeist, auch wenn Ihnen das vielleicht lächerlich erscheint.«
*
»Sie wissen hoffentlich, Mylady, daß wir verfolgt werden«, sagte Kathy Porter beiläufig.
»Seitdem wir den Gasthof verlassen haben.« Mike Rander nickte. »Es handelt sich um den kleinen Fuchs mit dem roten Haar, nicht wahr?«
»Genau der, Mike.« Kathy hatte sich bei Mike Rander eingehakt und schmiegte sich an ihn. Das junge Paar war vor einigen Stunden im Edener Tal in den Stubaier Alpen angekommen und hatte sich in einem altertümlichen Gasthof eingemietet. Mike Rander und Kathy Porter hatten sich als Schriftsteller und Privatsekretärin ausgegeben. Sie gingen davon aus, daß man ihnen das nicht abnahm, doch das kümmerte sie nicht weiter. Ja, sie wollten sogar, daß man sich mit ihnen beschäftigte. Und daß dies bereits der Fall war, zeigte die Tatsache, daß sie beschattet wurden.
Nach ihrer Ankunft im Wagen in Edenes hatten sie Kaffee getrunken und erkundeten nun die nähere Umgebung. Es ergab sich fast wie zufällig, daß sie sich, wenn auch auf Umwegen, dem kleinen Bergsee näherten.
Kathy Porter, die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Simpson, war um die achtundzwanzig, etwas über mittelgroß und schlank. Sie hatte braunes Haar mit einem leichten Rotstich und ein exotisch geschnittenes Gesicht, was mit ihren betonten Wangenknochen zusammenhing. Sie war eine attraktive Erscheinung, schien davon aber nichts zu wissen. Kathy Porter machte einen zurückhaltenden, manchmal sogar etwas scheuen Eindruck, doch sie konnte sich in eine wilde Pantherkatze verwandeln, wenn man sie angriff. Dann zeigte sie in Sekundenschnelle, daß sie sich in den fernöstlichen Künsten der Selbstverteidigung auskannte.
Mike Rander und Kathy Porter waren eng miteinander befreundet, und Lady Simpson tat alles, um aus ihnen ein Paar zu machen. Sie wartete ungeduldig darauf, endlich die Hochzeit ausrichten zu können. Deshalb sorgte sie immer wieder dafür, daß Mike Rander und Kathy Porter möglichst oft zusammen waren. Sie hoffte, dadurch die anvisierte Hochzeit schneller zu erreichen.
Aus diesem Grund hatte sie auch Kathy Porter und Mike Rander vorausgeschickt. Sie sollten sich in der Nähe des bewußten Bergsees einlogieren und Informationen über den Berggeist sammeln. Josuah Parker war mit solcher Arbeitsteilung durchaus einverstanden. Doch ihm ging es überhaupt nicht um den Berggeist, sondern er wollte seine Herrin mit schroffer Bergwelt konfrontieren und sie so dazu bringen, auf die Erstürmung eines Achttausenders zu verzichten.
»Wollen wir uns diesen Rotschopf kaufen, Mike?« fragte Kathy Porter. Sie befanden sich auf einem schmalen, abschüssigen Weg, der zum Seeufer hinunterführte.
»Werden wir uns damit nicht verraten, Kathy? Man hält uns vorerst noch für ein Liebespaar, das im Tal ungestört turteln möchte.«
»Können wir die Tarnung lange durchhalten, Mike?«
»Stimmt auch wieder.« Rander nickte. »Okay, schnappen wir uns den kleinen Fuchs. Dort hinten kommt ein Knick, sieht gut für unsere Zwecke aus.«
Sie brauchten sich nicht besonders zu verständigen, schlenderten weiter, als seien sie völlig ahnungslos, erreichten den Wegeknick und verschwanden dann links und rechts im Unterholz. Es dauerte nicht lange, bis schnelle Schritte zu hören waren. Der schmale, kleine Mann, dessen Gesicht tatsächlich einen fuchsähnlichen Zuschnitt besaß, kam um den Knick und suchte optischen Anschluß an die beiden Touristen, die er ganz eindeutig verfolgte.
»Hallo, Mann«, rief Mike Rander und trat aus seinem Versteck hervor. Der etwa Fünfundzwanzigjährige fuhr herum und wollte die Flucht ergreifen.
Er kam nicht weit.
Kathy Porter, unhörbar aus ihrem Versteck gekommen, stellte ihm geschickt ein Bein, worauf der junge Mann das Gleichgewicht verlor und fiel. Er sprang aber sofort wieder auf und hatte plötzlich ein Springmesser in der linken Hand.
Mike Rander trat mit dem rechten Fuß zu und beförderte diese Waffe in hohem Bogen ins nahe Gesträuch.
*
»Sie hatten Glück, Mylady, daß der Gebirgshof noch frei war«, sagte Paul Karoly, während er den Landrover geschickt die kurvenreiche Strecke durch den Wald lenkte, »normalerweise sind die Ferienhäuser stets besetzt.«
»Sie beschäftigen sich, wenn man höflich fragen darf, mit dem Fremdenverkehr?« wollte Parker vom Rücksitz des Wagens aus wissen.
»Ich habe das Sporthotel auf der anderen Seeseite«, erwiderte Karoly, »und im Lauf der Zeit sind noch einige ehemalige Bauernhäuser dazugekommen.«
»Von Ihrem Hotel aus wurden sicher die bereits erwähnten Tauchunternehmen gestartet, Sir?«
»Das ist richtig, Mr. Parker«, bestätigte Karoly, »und vier davon endeten tragisch. Es gab aber noch mehrere Versuche, an den Goldschatz heranzukommen. Gefunden wurde nie etwas. Ineinander verkeilte Baumstämme über dem Grund versperren den Zugang zum eigentlichen Grund.«
»Konnte man die Stämme nicht mittels einiger Sprengladungen aus dem Weg räumen?« lautete Parkers nächste Frage.
»Das wurde einige Male versucht, aber es klappt nicht. Und dann traten ja immer wieder die seltsamen Störungen auf. Sie werden davon gehört haben, denke ich.«
»Nichts habe ich gehört«, ließ die Detektivin sich vernehmen.
»Es könnte sich dabei immer um ganz normale technische Störungen gehandelt haben«, erwiderte Paul Karoly, »aber ich glaube, daß es so nicht war, Mylady.«
»Sie denken an den ulkigen Berggeist?« Spott war in der Stimme der älteren Dame.
»An den Berggeist, Mylady.« Karoly nickte ernst. »Einmal versagten die Sauerstoffventile, dann wieder trieb ein Bergungsfloß ab, dann verschwanden Taucherkleidungen, und dann wieder war das Seewasser undurchsichtig wie Milch. Eine normale Erklärung dafür kann ich nicht anbieten.«
»Man hat den Leuten einen Streich gespielt«, vermutete die ältere Dame und lächelte mokant, »mit einer Lady Simpson wird man sich das nicht erlauben. Ist es nicht so, Mr. Parker?«
»Falls es einen Berggeist geben sollte, müßte er Mylady bereits jetzt fürchten«, antwortete der Butler in seiner stets höflichen Art, »in diesem Zusammenhang wären, wenn es erlaubt ist, zwei Fragen möglich.«
»Richtig«, schnappte Lady Agatha sofort zu, obwohl sie überhaupt keine Ahnung hatte, wie die Fragen lauteten.
»Könnte der bewußte Goldschatz nicht längst schon geborgen worden sein?« stellte Parker die erste Frage. »Und falls nicht, muß dieser Schatz sich unbedingt im Wasser befinden?«
»Eben.« Die ältere Dame nickte nachdrücklich. »Das alles habe ich mich bereits insgeheim gefragt, Mr. Karoly.«
»Wann sollte der Goldschatz geborgen worden sein?« Karoly sah die Lady erstaunt an. »Seit 1945 weiß man von diesen Goldbarren, seit dieser Zeit wird nach ihnen getaucht.«
»Wer hat gesehen, daß das Gold im See versenkt wurde?« erkundigte sich Agatha Simpson streng. »Gibt es noch Augenzeugen?«
»Einige alte Menschen, die schwören, alles gesehen zu haben«, sagte Paul Karoly, »und diese Zeugen haben nie davon gesprochen, daß die Goldbarren oben im Fels versteckt wurden.«
»Die Zeugen können gelogen haben«, deutete die Detektivin an, »man könnte sie aber auch hinters Licht geführt haben. Ist es nicht so, Mr. Parker?«
»In der Tat, Mylady«, entgegnete Josuah Parker, »man lenkte die Aufmerksamkeit auf den See, um den Schatz in Wirklichkeit oben im Fels zu verstecken.«
Parker kam es einzig und allein darauf an, seine Herrin für ausgedehnte Klettertouren zu interessieren. Mit dem Hinweis auf den Zeitungsartikel und den Berggeist war es ihm gelungen, sie nach Österreich zu locken, und hier nun sollte Lady Simpson möglichst oft in die Bergwelt steigen, um im Lauf ihrer Ferientage zu erkennen, daß sie für einen Achttausender nicht geschaffen war.
»An diese hübsche Felswand dachte ich bereits die ganze Zeit«, behauptete Lady Agatha inzwischen, »dort muß es doch eine Unmenge von Verstecke geben.«
»Offen gesagt, an solch eine Möglichkeit hat hier bisher noch kein Mensch gedacht«, bekannte Paul Karoly und schüttelte verwundert den Kopf. Unmittelbar darauf trat er hart aufs Bremspedal, legte krachend den Rückwärtsgang ein und ließ den Landrover zurückrollen.
Kurz danach krachten und sprangen Felsbrocken von der hohen Böschung nach unten, erreichten den schmalen Weg und blockierten ihn.
»Der ... Der Berggeist«, stöhnte Karoly, drückte die Wagentür auf seiner Seite auf und sprang ins Freie.
»Eine ausgemachte Frechheit«, kommentierte die ältere Dame den Zwischenfall, »es ist völlig klar, daß man mich gerade umbringen wollte. Oder sind Sie etwa anderer Meinung, Mr. Parker?«
»Dies, Mylady, würde meine Wenigkeit sich nie erlauben«, gab Josuah Parker zurück. Er war bereits ausgestiegen und öffnete Myladys Wagentür, »es ist vielleicht angebracht, sich in Sicherheit zu bringen. Mit einer zweiten Geröll-Lawine ist durchaus zu rechnen.«
*
Parker hatte sich keineswegs verrechnet.
Kaum hatte Agatha Simpson den Landrover verlassen, da war auf dem Steilhang rechts vom Weg wieder Steinschlag zu vernehmen. Josuah Parker drängte die ältere Dame hinüber zum zweiten Rover, hinter dem Karoly und der Fahrer dieses Wagens bereits Deckung genommen hatten. Kurz danach polterten Steine aller Größe auf den ersten Landrover und deckten ihn ein. Nach wenigen Sekunden waren die Scheiben zerschlagen, das Blech zerschrammt und eingebeult.
Staub wallte von der geschotterten Straße auf und nahm die Sicht. Der Fahrer des zweiten Rover hatte sich geduckt und hielt sich die Ohren zu, Karoly starrte entsetzt auf den ersten Wagen, der im Staub nur noch in Umrissen auszumachen war.
»Man sollte Ihrem Berggeist keineswegs eine gewisse Anerkennung versagen«, urteilte Parker, als nur noch wenige Steine auf die schmale Strecke kollerten, »sein Ahnungsvermögen, um es mal so auszudrücken, ist geradezu beachtlich zu nennen.«
»Wie meinen Sie das?« Karoly wischte sich dicke Schweißperlen der Angst von der Stirn.
»Der sogenannte Berggeist muß gewußt haben, daß Mylady beabsichtigt, nach dem sagenhaften Goldschatz zu fahnden.«
»Von mir hat er jedenfalls nichts erfahren«, meinte Karoly in einem schüchternen Anflug von Spott.
»Ich wiederhole noch mal: Man wollte mich gerade umbringen«, ließ Agatha Simpson sich grollend vernehmen, »und das nehme ich dem Berggeist übel!«
»Natürlich könnte es sich auch um einen völlig normalen Zwischenfall gehandelt haben«, warf Josuah Parker ein.
»Papperlapapp, Mr. Parker.« Sie sah ihren Butler streng an. »An solch einen Zufall glaube ich einfach nicht. Mit wem, Mr. Karoly, haben Sie über meinen Besuch hier und über meine Absichten gesprochen?«
»Mit dem Personal«, gab Karoly Auskunft, »aber für meine Angestellten lege ich die Hand ins Feuer.«
»Ich werde mir die Leute genau ansehen«, drohte Lady Agatha, um dann auf das Geröll zu deuten, das die schmale Straße blockierte, »und wie soll es jetzt weiter gehen?«
»Haben Mylady Bedenken, den Restweg zu Fuß zurückzulegen?« fragte der Butler höflich.
»Unsinn, wieso sollte ich Bedenken haben?« Sie lächelte mild. »Die paar Meter schaffe ich natürlich ohne jede Verschnaufpause. Mir nach!«
Sie stieg erstaunlich geschickt und energisch über die Felsbrocken und sah sich dann den Landrover genauer an. Er war von Geröll förmlich eingekeilt worden und sah aus wie nach einem mittelschweren Unfall.
»Das war kein Zufall«, stellte sie fest, »das war reine Absicht. Der Berggeist fürchtet sich vor mir, er weiß genau, was auf ihn zukommt. Wie gut, Mr. Parker, daß ich noch im letzten Moment auf diesen Zeitungsartikel aufmerksam wurde.«
Sie war nach wie vor ahnungslos und wußte nicht, wie geschickt Josuah Parker ihr den Artikel über den Berggeist zugespielt hatte. Er hatte die Zeitungsseite so unter das Anmachholz im großen Kamin ihres Hauses geschoben, daß sie die Überschrift unbedingt sehen mußte. Nachdem Parker dann noch versucht hatte, ihr den Ausflug nach Österreich auszureden, hatte es für sie kein Halten mehr gegeben.
»Sie sind rein zufällig auf diesen Bergsee mit seinem Goldschatz gestoßen?« fragte Karoly.
»Im Grund natürlich nicht«, schwindelte die ältere Dame prompt, »ich beschäftige mich schon seit Jahren mit dem Thema. Ist es nicht so, Mr. Parker?«
»Mylady pflegt kaum etwas zu entgehen, was von Interesse ist«, behauptete der Butler. Sein glattes Pokergesicht blieb ausdruckslos wie stets.
»Eben«, meinte Sie und marschierte weiter, »im Grund hat der seltsame Berggeist bereits verloren, Er weiß es nur noch nicht.«
»Hoffentlich behalten Sie recht, Mylady«, sagte Karoly, der einen nervösen Eindruck machte. Er blickte immer wieder zum Steilhang hinauf und schien sich vor weiteren Überraschungen zu fürchten.
*
»Sie sollten uns was erzählen«, schlug Mike Rander vor und sah den jungen Mann lächelnd an, »Ihre Geschichte soll aber glaubhaft sein.«
Mike Randers Deutsch war beachtlich. Er brauchte Kathy Porter nichts zu übersetzen. Auch sie kannte die Landessprache des kleinen Fuchses recht gut.
»Was wollen Sie? Warum haben Sie mich angegriffen?« fragte der kleine Fuchs zurück und rieb sich die verstauchte Hand.
»Sie haben uns nicht verfolgt?« wunderte sich Rander ironisch.
»Warum sollte ich Sie verfolgen? Ich kenne Sie ja überhaupt nicht«, gab der junge Mann zurück, »und das mit dem Messer haben Sie falsch verstanden. Ich wollte mich nur wehren. Ich hab’ gedacht, Sie wollten mich angreifen.«
»Also ein Mißverständnis auf der ganzen Linie«, warf Kathy Porter ein.
»Ein Mißverständnis.« Der junge Mann mit dem Fuchsgesicht nickte. »Sie haben meine Hand ganz schön verstaucht.«
»Ein Mißverständnis«, wiederholte Mike Rander Kathy Porters Feststellung. »Sie stammen hier aus der Gegend?«
»Ich wohne in Edenes«, erwiderte der junge Mann, »ich arbeite als Kellner.«
»In welchem Hotel?« stellte Kathy Porter die nächste Frage.‘
»Im Sporthotel auf der anderen Seeseite«, erklärte das Fuchsgesicht bereitwillig, »aber ich muß jetzt weiter.«
»Kann man erfahren, wie Sie heißen?« erkundigte sich Mike Rander.
»Peter Villach«, sagte der junge Mann, »übrigens sollten Sie da unten am See aufpassen.«
»Wieso? Was könnte denn passieren?« wollte Mike Rander wissen.
»Hier soll ein Berggeist sein Unwesen treiben.«
»Was soll er, bitte? Ich verstehe nicht recht.«
»Ein Berggeist soll hier spuken«, erklärte das Fuchsgesicht eifrig, »ein Phantom, verstehen Sie? Am See lebt ein Geist, der nicht gestört werden will.«
»Ach so, jetzt verstehe ich.« Rander lächelte spöttisch. »Und dieser Berggeist ist schon mal gesehen worden?«
»Er soll vier Taucher umgebracht haben.«
»Wir haben nicht die Absicht, im See zu schwimmen oder zu tauchen.« Rander lächelte. »Was ist denn los mit diesem kleinen See?«
»Sie haben wirklich noch nichts vom Goldschatz gehört?« Der Fuchs sah das Paar ungläubig an.
»Wir sind schließlich erst vor wenigen Stunden drüben in Edenes angekommen.«
»Man sucht im See ständig nach Goldbarren«, erklärte das Fuchsgesicht, »und der Berggeist schaltet sich immer wieder ein. Er bewacht den Schatz.«
»Wie der Drachen die Jungfrau, wie?«“
»Richtig.« Der junge Mann nickte. »Der Berggeist greift jeden an, der dem See zu nahe kommt.«
»Wie interessant.« Rander blickte Kathy Porter aufmunternd an. »Dann können wir ja mit netten Überraschungen rechnen. Und wie soll dieser Geist nun aussehen? Hat er sich Ihnen schon mal gezeigt?«
»Ich habe ihn mal gesehen.« Der junge Mann zeigte ein ernstes Gesicht. »Er ist riesengroß, trägt einen wilden Bart und einen Schlapphut.«
»Mehr nicht? Für dieses Klima hier eine ziemlich spärliche Bekleidung.«
»Außerdem trägt er einen weiten Umhang«, zählte das Fuchsgesicht weiter auf, »und er hat oft eine mächtige Keule bei sich.«
»Das alles haben Sie gesehen?«
»Nur in Umrissen, denn ich bin sofort weggerannt und habe mich in Sicherheit gebracht.«
»Sie haben nicht versucht, mit dem Messer nach ihm zu werfen? Darin scheinen Sie sich ja auszukennen.«
»Er hätte mich wahrscheinlich umgebracht, wenn ich das versucht hätte«, antwortete der junge Mann, »ich merke schon, daß Sie das alles nicht glauben, aber ich wünsche Ihnen nicht, daß Ihnen der Berggeist über den Weg läuft.«
»Grüßen Sie ihn von uns, falls Sie ihn noch mal sehen sollten«, meinte der Anwalt spöttisch.
»Ich will ihn nicht noch mal sehen, glauben Sie mir.«
»Und darum gehen Sie runter zum See, wie?«
»Bis an den See bekommt mich kein Mensch«, erwiderte der junge Mann, »wer da unten den Ringweg um den See überschreitet, der bekommt es mit dem Berggeist zu tun.«
»Versuchen wir doch mal unser Glück.« Rander blickte seine Begleiterin aufmunternd an. »Stellen Sie sich vor, Kathy, wir könnten in London von einem echten Berggeist erzählen?«
»Man sollte sein Schicksal vielleicht nicht herausfordern«, gab sie gespielt beeindruckt und ängstlich zurück.
»Es gibt keine Berggeister«, behauptete der Anwalt nachdrücklich, »in welchem Jahrhundert leben wir denn… ?!«
*
»Sehr hübsch, sehr ansprechend«, faßte Agatha Simpson ihr Urteil zusammen, nachdem sie den ehemaligen Gebirgshof besichtigt hatte, »ich glaube, hier werde ich mich wohl fühlen, oder, Mr. Parker?«
»Selbst ein Fernsehgerät und ein Video-Rekorder stehen Mylady zur Verfügung«, erwiderte Parker.
»Das sah ich auf den ersten Blick.« Sie war sehr zufrieden. »Ich werde mir die heimischen Kriminalfilmproduktionen ansehen.«
»Sie lieben Kriminalfilme?« fragte Paul Karoly interessiert. Er hatte sich inzwischen von dem Zwischenfall wieder erholt.
»Mylady arbeitet an einem Drehbuch für das britische Fernsehen«, warf Parker ein.
»Ach ja?« Karoly stand mit seinen Gästen auf der kleinen Terrasse und blickte hinunter auf den Bergsee, der von hohen Felswänden und Tannenwäldern umschlossen wurde. Es gab nur diesen schmalen Ausblick auf das fast kreisrunde Gewässer, das aus der Entfernung wie ein riesiges, dunkles Auge wirkte.
»Haben Sie was entdeckt?« erkundigte sich die ältere Dame und trat neben Karoly.
»Erstaunlich, daß schon am Nachmittag Nebel aufkommt«, wunderte sich Karoly. »Sehen Sie doch, Mylady!«
Er deutete mit ausgestreckter Hand nach unten. Dichte Nebelschwaden quollen aus den Wäldern und trieben über den See, der plötzlich drohend und unheimlich wirkte.
»Es gibt eine Telefonleitung hinunter in den Ort und zu mir hinauf ins Sporthotel«, sagte Karoly weiter, »ich denke, ich werde mich jetzt um Ihr Gepäck kümmern. Ich wünsche guten Erfolg. Wann werden Sie tauchen, wenn man fragen darf?«
»Mylady wird sich möglicherweise erst mal mit den Felswänden befassen«, erwiderte der Butler, »man wird Sie rechtzeitig informieren, wann Mylady mit der Erkundung des Sees beginnt.«
»Dann stelle ich Ihnen nämlich erfahrene Männer zur Verfügung, die sich auf dem Wasser bestens auskennen«, meinte Karoly, »Anruf genügt.«
Er küßte Mylady formvollendet die Hand, nickte Parker zu und verließ die Terrasse. Bald darauf war er auf der schmalen Straße zu sehen, die nach unten führte. Agatha Simpson holte tief Luft und genoß die einmalige Aussicht. Weit über dem See und den Steilflanken eines kleinen Bergmassivs waren die schneebedeckten Berge und der Teil eines Gletschers zu sehen. Die Sonne senkte sich andeutungsweise, die Luft war rein und klar.
»Was halten Sie von diesem Karoly?« fragte die ältere Dame ihren Butler. Sie blickte versonnen auf die Hand, die der Hotelier eben erst geküßt hatte.
»Mr. Karoly dürfte ein überaus höflicher Mensch sein, Mylady.«
»Glaubt er an diesen Berggeist?«
»Die Geröll-Lawine dürfte ihn überrascht haben, Mylady.«
»Er hatte Angst, das habe ich genau gesehen... Was halten Sie übrigens von meiner Theorie, Mr. Parker? Könnten die Goldbarren nicht dort drüben in der Felswand hinter dem See versteckt worden sein? Sie wissen, auf meine Intuition habe ich mich bisher noch immer fest verlassen können.«
»Mylady müßten, um dies zu überprüfen, immerhin die Felswand untersuchen«, schickte Josuah Parker voraus, »eine Besteigung dieser wilden Felsformationen dürfte nicht einfach sein, falls meiner Wenigkeit dieser laienhafte Hinweis gestattet ist.«
»Schwierige Felsformation?« Mylady lachte spöttisch. »Mr. Parker, für Sie mag das sicher zutreffen, aber doch nicht für mich! Aber machen Sie sich nur keine Sorgen, ich werde Ihnen beibringen, wie man sich im Fels verhält. Wenn wir Österreich wieder verlassen, werden Sie ein ganz passabler Bergsteiger sein.«
»Mylady machen meine Wenigkeit bereits im vorhinein glücklich«, behauptete der Butler und schob den Kopf ein wenig vor, als plötzlich einige Vögel kreischend und protestierend aus dem nahen Hangwald emporstiegen.
»Sagen Sie nichts«, meinte die ältere Dame, die wie elektrisiert wirkte, »da unten hat sich etwas getan.«
»Mylady dürften den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen haben.«
»Ich denke an diesen Karoly«, redete Agatha Simpson weiter, »der Weg führt doch durch das Waldstück, nicht wahr?«
»In der Tat, Mylady. Normalerweise reagieren die Vögel wohl kaum auf etwas, das auf dem Weg zu sehen ist.«
»Ob dieser Berggeist nicht doch existiert?« fragte sie sich leise, »Mr. Parker, ich werde den Dingen sofort auf den Grund gehen und nachsehen. Sie dürfen mich begleiten.«
»Mylady sind wieder mal zu gütig.«
»Ich werde den Weg natürlich meiden und durch den Wald schleichen. Sie wissen, daß ich Pfadfinderin war und mich im Gelände auskenne.«
»Mylady dürften mit Sicherheit kaum etwas verlernt haben.«
»Natürlich nicht«, sagte sie, »ich habe in mir so etwas wie einen Kompaß, Mr. Parker. Folgen Sie mir!«
*
»Sie glauben doch nicht etwa, ich hätte mich verlaufen, oder?« Lady Agatha schnaufte diskret und musterte Parker streng. Sie hatte die Führung durch den dunklen Wald übernommen und bahnte sich ihren Weg durch das dichte Unterholz. Dabei verursachte sie Geräusche, die weithin zu hören waren. Es gab keinen dürren Ast am Boden, den sie mit ihren übergroßen Schuhen nicht nachdrücklich geknackt hätte.
»Meine Wenigkeit erkühnt sich, voll und ganz auf Myladys Fähigkeiten zu setzen und ihnen zu vertrauen«, lautete Parkers Antwort.
»Was ich mir aber auch ausgebeten haben möchte ...« Sie blickte um sich und suchte nach einem Anhaltspunkt, hatte sich selbstverständlich total verlaufen und wußte noch nicht mal andeutungsweise, wo sie sich befand.
»Wir werden den Weg gleich erreicht haben«, verkündete sie nach einigen Sekunden, »und noch etwas, Mr. Parker: Sie sollten sich bemühen, vorsichtig aufzutreten.«
»Wie Mylady wünschen.« Der Butler deutete eine knappe Verbeugung an.
»Sie verscheuchen mir sonst den Berggeist«, redete sie lautstark weiter. »Mir nach!«
Sie schob ihre majestätische Fülle wieder durch das dichte Gesträuch und brach sich ihren Weg. Vor Parker bildete sich eine breite Schneise, die er bequem zu nutzen verstand.
Parker hätte seiner Herrin einen Hinweis geben können, was den gesuchten Weg betraf, doch er hütete sich, dies zu tun. Er kannte Lady Simpsons verwegenen Ehrgeiz und ihren Eigensinn. Sie ließ sich grundsätzlich nicht raten und wußte stets alles besser.
Es ging übrigens wieder bergauf, was Lady Agatha aber kaum auffiel. Sie wurde allerdings ein wenig langsamer und schnaufte nun deutlich hörbar. Mit ihrer Kondition war es auf keinen Fall weit her. Sie blieb immer häufiger stehen, atmete krampfhaft und tief durch, schnappte nach Luft und fingerte an ihrer skurrilen Hutschöpfung herum. Parker enthielt sich jeden Kommentars.
»Weit kann es wirklich nicht mehr sein«, sagte sie, nachdem sie etwas verschnauft hatte.
»Wie Mylady zu meinen belieben.«
»Dort hinter dem Hügel ist die schmale Zufahrtstraße. Oder sind Sie etwa anderer Meinung?«
»Keineswegs und mitnichten, Mylady.«
»Sie, Mr. Parker, hätten sich ja längst verlaufen.«
»Mit letzter Sicherheit, Mylady.«
»Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wo wir sind?«
»Meine Wenigkeit muß gestehen, jede Übersicht verloren zu haben.«
»Ja, was haben Sie denn die ganze Zeit über getan?« grollte sie sofort, »Sie sind mir so ganz einfach nachgelaufen?«
»Meine Wenigkeit vertraute sich Myladys Führung an.«
»Und wo ist Ihrer Ansicht nach der Bergsee?« Sie sah ihn hoffnungsfrohlistig an und erwartete einen Hinweis.
»Meine Wenigkeit wäre ohne Myladys pfadfinderische Kenntnisse rettungslos verloren.«
»Wissen Sie denn wenigstens, wo Westen ist?«
»Meine Wenigkeit muß erneut zutiefst bedauern.«
»Suchen Sie an einem beliebigen Baumstamm nach Moosen und Flechten, dort ist dann immer Westen«, erklärte sie und ging auf einen dicken Baumstamm zu, der dummerweise glatt und sauber war.
»So ist es in der Regel«, korrigierte sie sich, »es geht eben nichts über britische Bäume, Mr. Parker. Diese hier halten sich nicht an die Spielregeln. Nun denn, weiter! Sie werden überrascht sein, wohin ich Sie führen werde.«
Ihre Fülle brach eine weitere Schneise durch das Unterholz. Die ältere Dame arbeitete sich weiter hangaufwärts und ... blieb dann plötzlich wie angewurzelt stehen.
Mylady haben eine Entdeckung gemacht?« erkundigte sich der Butler.
»Der Gebirgshof«, sagte sie und bemühte sich, die Überraschung in ihrer Stimme zu überdecken.
»Mylady meinen jenen Hof, in dem Mylady Quartier bezogen haben?«
»Natürlich«, sagte sie und nickte. Dann wandte sie sich zu ihrem Butler um und sah ihn triumphierend an, »zielgenau, Mr. Parker. Das soll mir erst mal einer nachmachen.«
»In der Tat, Mylady.«
»Ohne Kompaß habe ich Sie zum Haus zurückgeführt«, redete sie munter weiter, »und das in extrem schwierigem Gelände.«
»Mylady sind und bleiben bewunderungswürdig.«
»Ich hatte von Anfang an nämlich nicht die Absicht, diesen Berggeist aufzuspüren«, schwindelte sie, »man soll immer das tun, Mr. Parker, was man von einem eben nicht erwartet. Das ist eine subtile Art der Taktik.«
»Mylady sehen in meiner Wenigkeit einen gelehrigen Schüler.« Parker fiel es nicht schwer, ernst zu bleiben. Er war trainiert, was das betraf. Ihn vermochte nichts zu erschüttern, wenn es um Mylady ging.
*
»Das hier dürfte also die Bannmeile sein«, sagte Rander. Er und Kathy Porter hatten den Ringweg erreicht, der um den Bergsee führte. Der Wanderweg kreuzte diesen Ringweg und führte weiter hinunter zu einem langen Steg, der vor einem Bootshaus endete.
»Haben Sie eben diesen eigenartigen Dunst mitbekommen?« fragte Kathy.
»Sah nach künstlichem Nebel aus«, erwiderte der Anwalt, »man will eindeutig abschrecken und macht sich die Sache verdammt einfach.«
»Ob Lady Simpson und Mr. Parker bereits im Gebirgshof sind?«
»Ich denke schon, der Zeit nach müßte man sich bereits eingerichtet haben, Kathy. Kommen Sie, sehen wir uns das Bootshaus mal an.«
»Was halten Sie von diesem Fuchsgesicht?«
»Der Bursche ist uns eindeutig nachgeschickt worden. Man will herausfinden, wer wir wirklich sind und was wir planen.«
»Dann dürften wir beobachtet werden.«
»Natürlich, Kathy. Irgendwo im Unterholz hockt der Berggeist und nimmt Maß.« Rander setzte sich in Bewegung und schritt zum Bootssteg hinunter. Er prüfte die Bohlen, über die man zum Bootshaus ging.
»Sieht solide aus«, sagte er, »muß aber nicht sein.«
»Achtung!« rief Kathy Porter fast unmittelbar darauf. Sie hatte hinter und über sich im Hang ein Geräusch gehört, als seien Zweige brutal zur Seite gerissen worden. Die junge Dame brachte sich sofort hinter einem Baumstamm in Deckung, und Mike Rander, der herumgewirbelt war, sah einen länglichen Gegenstand, der mit viel Fahrt direkt auf ihn zukam.
Er wich dem Gegenstand geschickt aus und blickte dann überrascht auf eine Art überdimensional große Lanze, die ins Wasser zischte und dann federnd im Ufergeröll stecken blieb.
»Der Berggeist«, sagte er trocken, »das nenne ich prompte Bedienung.«
Rander suchte mit Blicken den Hang ab, konnte dort aber keine Bewegung feststellen. Er hielt Ausschau nach Kathy, doch die war erstaunlicherweise nicht mehr zu sehen. Sie hatte ihre Deckung verlassen und war im dichten Unterholz des Steilhanges untergetaucht.
Mike Rander betrat den Bootssteg und konnte von hier aus nach der mächtigen Lanze greifen. Er wollte mit den Fingern bereits den unterarmdicken Schaft umfassen, als eine innere Stimme ihn davor warnte. Man konnte ja schließlich nicht wissen, ob das nur oberflächlich entrindete Holz nicht präpariert war. Er beugte sich vor, um besser sehen zu können und entdeckte einen rötlichen Belag auf dem frisch geschälten Holz. Rander holte sein Ziertuch aus dem Blazer und benutzte es als Handschuh. Erst dann griff er zu und zog die schwere Lanze aus dem seichten Ufergrund. Er mußte sich gehörig anstrengen, um das zu schaffen. Die Lanze war mit erstaunlich großer Wucht geschleudert worden und hatte sich tief in den Untergrund gebohrt.
Die Lanzenspitze bestand aus einer Art Faustkeil aus Stein, war scharf geschliffen und spitz wie eine Nadel. Diese steinerne Lanzenspitze war vorn in das Schaftholz eingeklemmt worden und mit Bast umwickelt.
Rander trug das schwere Gerät ans Ufer zurück und faltete dann das Ziertuch sorgfältig zusammen. Danach ließ er es wieder in der oberen Tasche seines Blazers verschwinden.
Als er sich aufrichtete, hörte er Hundegebell. Wenig später erschienen zwei Männer in weitem Umhängen und mit geschulterten Gewehren. Ein langohriger Jagdhund hatte den Anwalt natürlich längst ausgemacht und jagte auf Rander zu. Das Tier machte einen sehr aggressiven Eindruck.