Читать книгу Butler Parker Special Edition - Kriminalroman - Gunter Donges - Страница 5
ОглавлениеJosuah Parker sah auf den ersten Blick, daß die junge Frau sich ängstigte.
Sie befand sich auf dem Gehweg der gegenüberliegenden Straßenseite, wandte sich in immer kürzer werdenden Abständen um und wurde schneller. Sie versuchte zweimal ihr Glück mit einem vorbeifahrenden Taxi, doch die beiden Wagen waren besetzt. Die Fahrer reagierten nicht auf ihr Winken.
Sie mochte knapp zwanzig sein, war kaum mehr als mittelgroß und wirkte ein wenig füllig. Sie preßte ihre Handtasche fest an sich, überquerte hastig die Straße und hielt genau auf jenen Wagen zu, in dem der Butler am Steuer saß. Erwartete auf die Rückkehr seiner Herrin, die in einem nahegelegenen Fachgeschäft Butter, Eier und Käse einkaufte. Parkerwartete schon seit geraumer Zeit und ging davon aus, daß die ältere Dame ausgiebig probierte und um Mengenrabatte feilschte. Sie war eine ungemein sparsame Frau, die jede Chance nutzte, Geld zu sparen. Zwei Männer folgten der jungen Frau und überquerten ebenfalls die Straße.
Es handelte sich um recht handfest aussehende Typen, die sportliche Straßenkleidung trugen und keineswegs wie Kriminelle aussahen.
Die junge, verängstigte Frau hielt Parkers Wagen verständlicherweise für ein Taxi. Das Gefährt des Butlers war tatsächlich ein Taxi gewesen, machte jetzt aber einen mehr als betagten Eindruck. Die junge Frau übersah in ihrer Angst, daß das Schild fehlte.
Josuah Parker stieg aus und legte sich den eng zusammengerollten Regenschirm über den linken angewinkelten Unterarm. Er bot jetzt das Urbild eines englischen, hochherrschaftlichen Butlers. Er trug zum schwarzen Covercoat eine schwarze Melone und strahlte gemessene Würde aus.
»Taxi!« rief die junge Frau und wandte sich noch mal hastig zu ihren Verfolgern um. Dann passierte sie Parker, öffnete die hintere Wagentür und stieg ein.
Der Butler ließ dies ohne weiteres geschehen und machte keineswegs auf den Irrtum aufmerksam. Er wollte erst mal helfen, sich den Verfolgern zu entziehen. Fragen konnte man immer noch stellen.
Die beiden Männer wollten ebenfalls zusteigen, doch diesmal hatte der Butler etwas dagegen. Er schob sich vor die Wagentür und lüftete höflich die schwarze Melone.
»Die Herren haben es keineswegs mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zu tun«, sagte er. »Es handelt sich um einen Privatwagen.«
»Halt die Klappe und fahr los!« erwiderte der schmalere der beiden Männer und beging den Fehler, Parker abdrängen zu wollen. Während er noch sprach, zielte er auf den Türgriff des Wagens.
Aus Zeitgründen verzichtete Parker auf eine klärende Diskussion. Er grüßte noch mal mit der schwarzen Melone und setzte dabei die Wölbung auf die Nase des Mannes.
Das Riechorgan war nicht in der Lage, der plötzlichen Belastung standzuhalten, und verformte sich. Dadurch wurden Tränenfluten ausgelöst, die dem Mann die Sicht raubten.
Der zweite Verfolger wollte durchaus profihaft reagieren und leitete eine typische Geste ein. Er hatte die Absicht, nach einer Waffe zu greifen, die sich in einer Schulterhalfter befinden mußte.
Er ließ es dann aber sein, als der Bambusgriff von Parkers Universal-Regenschirm seinen Unterkiefer traf. Der Butler hatte den angewinkelten Unterarm nur energisch gehoben und so den Griff zielsicher plaziert.
Da dieser Griff mit Blei ausgegossen war, erwies sich die Berührung als geradezu niederschmetternd. Der Mann ging in die Knie, klammerte sich an seinen Begleiter und zog ihn mit sich zu Boden.
Dies alles war sehr schnell vor sich gegangen und wurde von den Passanten so gut wie nicht zur Kenntnis genommen. Parker zeigte sich hilfreich und kümmerte sich um die beiden Männer, die eindeutig benommen waren. Er tat so, als hätte er die Absicht, ihnen zu helfen.
Dabei gab er seinen schwarz behandschuhten Fingern freien Lauf. Sie verschwanden blitzschnell unter den Jacketts der Verfolger und bargen je eine Schußwaffe. Brieftaschen waren leider nicht vorhanden.
»Falls meine Wenigkeit ein wenig zu spontan reagiert haben sollte, bittet man die Herren um Entschuldigung«, sagte Parker gemessen und überaus höflich. »Sie müssen allerdings einräumen, daß Sie durchaus provokant auftraten.«
Er wartete ihre Antwort nicht ab, setzte sich ohne Hast ans Steuer und fuhr davon. Im Rückspiegel nahm er zur Kenntnis, daß die beiden Männer sich langsam erhoben und davonstahlen. Mit diesem Resultat ihrer Verfolgung hatten sie sicher nicht gerechnet.
*
»Nur ruhig, meine Liebe«, sagte Lady Agatha etwa zehn Minuten später zu der jungen Frau, die neben ihr im Fond des Wagens saß. »Ihnen wird überhaupt nichts passieren. Sie befinden sich in meiner Obhut.«
Die Angesprochene hatte Mühe, ihr Beben unter Kontrolle zu bringen. Immer wieder schaute sie sich um und blickte durch das Rückfenster auf die Straße. Parker hatte seine Herrin eben erst vor dem Spezialitäten-Geschäft abgeholt und ihr in den Wagen geholfen.
Lady Agatha Simpson war eine bemerkenswerte Dame, die das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte. Sie war eine voluminöse Erscheinung, die nicht zu übersehen war. Sie verfügte über eine tiefe, baritonal gefärbte und oft grollende Stimme, trug ein derbes Kostüm aus Tweed und einen überaus neckischen Hut, der eine Kreuzung zwischen Südwester und Napfkuchen zu sein schien.
»Ich möchte Sie nicht in Schwierigkeiten bringen, Mylady«, antwortete die junge Frau, die sich als Norma Landby vorgestellt hatte. »Sie lassen mich besser an der nächsten Straßenecke heraus.«
»Ich liebe Schwierigkeiten«, erwiderte die ältere Dame und lächelte wohlwollend. »Und ich liebe darüber hinaus gute Geschichten.«
»Sie wurden eindeutig gezielt verfolgt, Miß Landby«, schaltete Josuah Parker sich vom Steuer her ein. »Sind die beiden Männer Ihnen bekannt?«
»Sie haben mich schon mal belästigt«, gab Norma Landby zu. »Auch eben haben sie mir aufgelauert.«
»Man dürfte dies sicher kaum aus einer gewissen Laune heraus getan haben, Miß Landby.«
»Ich ... ich möchte Sie da nicht in private Dinge hineinziehen«, gab die junge Frau ausweichend zurück, wandte sich aber erneut um und beobachtete die Fahrbahn durch die Rückscheibe.
»Papperlapapp, Kindchen«, meinte Lady Agatha grollend. »Private Dinge trägt man nicht mit zwei Schußwaffen aus. Ich verlange jetzt eine klare Antwort, sonst kann ich sehr unangenehm werden.«
»Es... es geht um meinen Vater«, lautete die Antwort. »Er hat sich mit einigen Leuten angelegt. Mehr möchte ich nun aber wirklich nicht sagen, bitte, verstehen Sie mich.«
»Wohin darf man Sie bringen?« erkundigte sich Parker. Die Trennscheibe zwischen den Vorder- und Hintersitzen war von ihm per Knopfdruck versenkt worden. Man konnte sich ohne Wechselsprechanlage unterhalten.
»Der nächste Taxistand reicht mir bereits«, gab die junge Frau zurück.
»Aber mir nicht, meine Liebe.« Lady Agatha schüttelte den Kopf. »Nennen Sie mir gefälligst Ihre Adresse! Ich fühle mich für Sie verantwortlich und werde Sie bis vor die Haustür Ihrer Familie bringen.«
»Stepney.« Der eingeschüchterten Antwort folgte eine genaue Adresse.
»Sehen Sie, es geht doch«, meinte Lady Agatha. »Weshalb hat sich Ihr Vater mit einigen Leuten angelegt?«
»Bitte, Mylady, warum mischen Sie sich da ein?« reagierte Norma Landby.
»Ich bin Ihnen ja sehr dankbar, daß Sie mir geholfen haben, aber Sie haben damit bereits genug getan.«
»Auf keinen Fall.« Agatha Simpson beschäftigte sich leidenschaftlich mit Kriminalaffären und witterte einen neuen Fall.
»Darf man sich nach dem Beruf Ihres Herrn Vaters erkundigen?« ließ Parker sich vernehmen.
»Er ist Bauunternehmer«, lautete die Antwort. »Er hat eine kleine Firma in Stepney.«
»Wie viele Mitarbeiter zählt dieses Unternehmen, um auch diese Frage noch zu klären, Miß Landby?«
»So um die zwanzig Personen, es wechselt von Auftrag zu Auftrag«, gab die junge Frau Auskunft.
»Man belästigt Sie, Miß Landby, um damit Ihre Familie zu treffen?«
»Warum hält man sich nicht an Ihren Vater?« forschte die ältere Dame grimmig.
»Den belästigt man ja auch, Mylady«, entgegnete Norma Landby fast verzweifelt. »Es ist eine richtige Treibjagd ... Diese Kerle sind überall, verstehen Sie? Sie sind Tag und Nacht unterwegs.«
Sie konnte nicht weitersprechen, schluchzte auf und schlug dann beide Hände vors Gesicht.
»Mister Parker«, kündigte Lady Agatha mehr als deutlich an. »Ich werde mich der Sache annehmen.«
»Eine Absicht, Mylady, die mehr als verständlich ist«, sagte Josuah Parker in seiner höflichen und gemessenen Art. Er wußte bereits seit einer Viertelstunde, daß wieder mal aufregende Stunden und Tage auf ihn zukommen würden.
*
Vor dem einfachen, zweistöckigen Bürogebäude der Baufirma stand eine teure Jaguar-Limousine. Neben diesem Wagen hatte sich ein breitschultriger Mann aufgebaut, der gelangweilt rauchte und mit nur mäßigem Interesse das nahende hochbeinige Gefährt zur Kenntnis nahm.
Er entdeckte am Steuer des ehemaligen Taxis einen Mann, der augenscheinlich ein Butler sein mußte. Im Fond des Wagens saß eine Frau, die er nicht einzuordnen wußte. Eine Gefahr aber ging seiner Schätzung nach von niemand aus.
Die Baufirma Martin Landby zeichnete sich nicht gerade durch einen immensen Wagenpark aus. Es gab zwei kleine Lastwagen, einen Betonmischer, einige Gabelstapler und eine Remise, die mit Langholz und Schalbrettern bestückt war. Unter einem Vordach stand ein ramponiert aussehender Jeep.
»Sie haben Pech«, meinte der Rauchende, nachdem Parker ausgestiegen war und sich ihm näherte. »Geschlossen!«
»Lady Simpson ist mit Mister Martin Landby verabredet«, antwortete der Butler. »Als geeigneter Zeitpunkt wurde fünf Uhr vereinbart.«
»Wennschon! Hier läuft im Moment nichts«, erwiderte der Mann. »Versuchen Sie’s später noch mal, klar?«
»Sie tragen einen bemerkenswert schlechtsitzenden Anzug.« Josuah Parker wechselte das Thema.
»Was trag’ ich?« Der stämmige Mann traute seinen Ohren nicht.
»Sie tragen einen zu engen und zu knapp sitzenden Anzug«, präzisierte der Butler. »Ihr Schulterhalfter ist deutlich zu erkennen.«
Der Stämmige holte tief Luft und verfärbte sich. Ein tiefes Rot kennzeichnete sein Gesicht.
»Man kann sicher davon ausgehen, daß Sie auf keinen Fall zur Polizei gehören«, redete Parker höflich weiter. »Jaguar-Limousinen dürften auf keinen Fall zur Ausstattung dieser Behörde zählen.«
»Jetzt reicht’s mir aber!« Der Mann verzichtete klugerweise darauf, die Waffe zu ziehen. Er hatte die Absicht, Parker mit der Faust zu attackieren. Er ging davon aus, daß Parkers Kinnlade das beste Ziel wäre.
Der Mann traf natürlich nicht, wie sich umgehend zeigte.
Parker hatte blitzschnell seinen Universal-Regenschirm gehoben und setzte die Schirmspitze auf die Armbeuge des Gegners. Der Butler besorgte dies mit einigem Nachdruck und paralysierte den Arm.
Der Stämmige zog zischend die Luft in die Lungen, schnappte dann verzweifelt nach Luft und blickte auf den eng gerollten Schirm, der steil in die Höhe stieg.
Als er ein bestimmtes Maß erreicht hatte, griff Parker mit der rechten Hand zu und umfaßte das untere Drittel des Schirmes. Er verfügte somit über ein Schlaginstrument, gegen das kein Kraut gewachsen war.
Dies spürte der Stämmige auch wenige Augenblicke später.
Als die Schirmkrümmung sich für einen Moment auf seiner Stirn niederließ, wurden seine Knie weich. Er knickte ein und verdrehte dabei die Augen. Anschließend nahm er auf den Steinplatten vor dem Eingang zum Bürohaus Platz.
»Recht passabel«, meinte die ältere Dame, die den Wagen inzwischen verlassen hatte. »Dieser Lümmel wird vorerst kaum stören.«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, versicherte Parker ihr. »Wenn meine Wenigkeit vielleicht vorausgehen darf?«
»Nur zu!« Sie nickte und lächelte wohlwollend. »Ich denke, ich bin wieder mal zur rechten Zeit gekommen.«
»Myladys Instinktsicherheit ist stets von neuem zu bewundern«, behauptete Parker.
»Man hat es, Mister Parker, oder man hat es eben nicht.« Sie versetzte ihren perlenbestickten Pompadour in erste Schwingung und folgte dann Parker, der das Bürogebäude betrat. Schon nach wenigen Schritten wußte er, wohin er sich zu orientieren hatte.
Er hörte dumpfe Schläge und Stöhnen.
*
»Ihre Manieren sind ausgesprochen beklagenswert«, sagte Josuah Parker zu den beiden Männern, die sich intensiv mit einer Person befaßten, die hilflos in einem Sessel saß. Einer der Männer hatte die Arme seines Opfers nach hinten gedreht. Der zweite Mann schlug mit dem Handrücken zu und bearbeitete das Gesicht.
Die beiden Kerle wurden völlig überrascht.
Sie wandten sich zur Tür um und musterten Lady Simpson und Parker, die den Raum betreten hatten. Das Erscheinen der Besucher verstanden sie nicht, sie hatten schließlich eine Art Wache vor dem Haus zurückgelassen.
»Wer... wer seid denn ihr?« fragte der Mann, der gerade die verdrehten Arme des Opfers losließ.
»Lady Simpson in Begleitung ihres Butlers«, stellte Parker in gewohnt höflicher Weise vor und lüftete dazu die schwarze Melone.
»Was geht hier vor?« herrschte die ältere Dame die Schläger an. Sie setzte sich in Bewegung und hielt auf den Mann zu, der mit dem Handrücken zugeschlagen hatte. Dieser Bursche runzelte die Stirn und machte einen ratlosen Eindruck. Er wußte wohl nicht, wie er sich der resoluten Frau gegenüber verhalten sollte.
Der andere Schläger kam um den Bürosessel herum und ging langsam auf den Butler zu. Auch er schien überfordert und vermochte nicht, die beiden Besucher einzuordnen.
Mylady sorgte für klare Verhältnisse.
Sie konnte sehr undamenhaft sein, wenn es die Lage erforderte. Agatha Simpson trat ohne jede Vorwarnung an das Schienbein ihres Gegenübers und löste dort eine jähe Schmerzwelle aus, die den Schläger überflutete. Er jaulte und riß das mißhandelte Bein hoch. Anschließend tanzte er auf dem gesunden und vergaß für einen Moment die Anwesenheit der Lady.
Sie war indes nie für halbe Sachen.
Agatha Simpson hatte mit ihrem neckisch aussehenden Handbeutel zugelangt und setzte den darin befindlichen sogenannten Glücksbringer auf die linke Gesichtshälfte des Tanzenden.
Das veritable Hufeisen wirkte niederschmetternd im wahrsten Sinn des Wortes. Der Schläger verlor jeden Halt und legte sich bäuchlings über den Schreibtisch.
Parker war selbstverständlich nicht untätig geblieben. Er stieß mit der Schirmspitze auf den Solarplexus des anderen Schlägers und setzte ihn damit elegant außer Gefecht.
Der Mann keuchte, verfärbte sich und schleppte sich in Richtung Wand. Hier wollte er sich an der Tapete festhalten, schaffte es aber nicht und ging zu Boden. Er hatte den Boden noch nicht ganz erreicht, als er bereits ausgiebig hüstelte.
Der Butler nahm eine schnelle Durchsuchung der beiden Kerle vor und barg zwei Klappmesser. Dann holte er zwei Plastik-Fesseln aus der Innenseite seiner Melone und fesselte die Schläger. Dies geschah alles mit bemerkenswerter Schnelligkeit und Routine.
»Kann man Ihnen irgendwie behilflich sein?« fragte Parker das Opfer. »Geht man von der richtigen Annahme aus, daß Sie mißhandelt wurden?«
Der Mann starrte Mylady und Parker aus leicht verglasten Augen an und schüttelte erstaunlicherweise vorsichtig den Kopf.
»Sie sind Mister Martin Landby?« vergewisserte sich Parker.
»Landby«, bestätigte der Mann heiser. Er hatte Mühe, die geschwollenen Lippen zu bewegen.
»Oder sollte man vielleicht eine geschäftliche Unterredung gestört haben?« meinte Parker.
»Alles... in... Ordnung«, behauptete Landby mühsam. »Wir hatten ’nen kleinen Streit, aber jetzt ist alles in Ordnung.«
»Sie sorgen sich um Ihre Tochter Norma?« tippte der Butler an.
»Was ist mit ihr?« Martin Landby wurde wacher. Seine Stimme hatte einen besorgten Unterton angenommen.
»Ihrer Tochter geht es gut«, versicherte Parker dem Bauunternehmer. »Sie wird sich gleich um Sie kümmern können, Mister Landby.«
»Vielen Dank!« Landby entspannte sich sichtlich und atmete tief durch.
»Wer sind diese Subjekte?« schaltete die passionierte Detektivin sich grollend ein. »Kommen Sie mir nicht mit einer kleinen Streiterei, junger Mann! Man hat Sie schließlich zusammengeschlagen. Um was geht es?«
»Es ist jetzt alles in Ordnung«, versicherte Landby, wich aber dem grimmigen Blick der älteren Dame aus. »Wo ist Norma, meine Tochter?«
»Ich werde das Kind holen«, meinte Lady Agatha. »Mister Parker wird Ihnen inzwischen einige Fragen in meinem Sinne stellen. Haben Sie mich verstanden?«
Sie verließ das Büro und warf dabei einen Blick auf die beiden Schläger, die ziemlich bedrückt auf dem Boden saßen. So hatten sie sich den Dialog mit den unerwarteten Besuchern wirklich nicht vorgestellt.
Parker wandte sich an sie.
»Meine Wenigkeit möchte Sie keineswegs psychisch unter Druck setzen«, schickte er voraus, »aber reißen Sie sich gleich ein wenig zusammen, wenn Mylady Sie verhört. Man wird rechtzeitig eingreifen, falls Myladys Hutnadel lebenswichtige Organe treffen würde.«
»Lebenswichtige Organe?« fragte der Mann, der Landbys Gesicht mit dem Handrücken bearbeitet hatte. »Was... was wollen Sie damit sagen?«
»Zu Ihrer Beruhigung möchte meine Wenigkeit Ihnen versichern, daß man über ein gut ausgestattetes Erste-Hilfe-Set verfügt«, antwortete der Butler. »Zudem werden Ihnen ärztliche Grundkenntnisse in diverser Wundversorgung zur Verfügung stehen.«
Die beiden Schläger schauten Parker entgeistert an und ließen sich seine Hinweise durch den Kopf gehen.
*
Norma Landby war mit ihrem Vater im Waschraum. Sie hatte auf dem Wagenboden gelegen, als Mylady und Parker den Bauhof der Firma angesteuert hatten. Sie kümmerte sich jetzt um ihren Vater, kühlte sein geschwollenes Gesicht.
Lady Agatha und Parker befaßten sich mit den Schlägern. Der Butler hatte den Mann draußen an der Tür höflich gebeten, doch ins Haus zu kommen. Der Mann war diesem Wunsch gefolgt und trug inzwischen ebenfalls eine Handfessel.
Mylady hielt eine ihrer Hutnadeln in der Hand und prüfte interessiert die Spitze dieses bratspießähnlichen Gegenstandes. Agatha Simpson machte einen sehr konzentrierten Eindruck.
»Mylady wünscht zu erfahren, wer Sie sind und in wessen Auftrag Sie Mister Landby besucht haben«, schickte der Butler voraus.
»Seid ihr verrückt?« sagte der Wortführer der Männer. Er war wesentlich teurer gekleidet als seine beiden Partner. Er war es auch gewesen, der geschlagen hatte. »Habt ihr überhaupt eine blasse Ahnung, in was ihr euch einmischt?«
»Sie werden es Mylady sicher sagen«, hoffte der Butler.
»Das sind ... private Dinge«, redete der Schläger weiter. »Die gehen nur uns und Landby was an. Haltet euch raus, dann passiert euch auch nichts.«
»Sie ergehen sich in Andeutungen«, stellte der Butler fest. »Nun aber sollten Sie tunlichst zur Sache kommen.«
»Auf welchem Stern lebt ihr eigentlich?« brauste der Mann auf.
»Auf einem Planeten«, korrigierte Parker, »aber dies nur am Rande. Sie vertreten eine Organisation, die man wohl der kriminellen Szene zurechnen muß.«
»Genug«, entschied Lady Agatha, die die Inspektion der Hutnadelspitze beendet hatte. »Ich werde jetzt das Verhör übernehmen, Mister Parker. Sie sind wieder mal zu verbindlich.«
»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Der Butler trat zur Seite und beobachtete seine Herrin, die sich dem Wortführer näherte. Sie lächelte boshaft, ihre Augen glitzerten.
»Ich werde Sie akupunktieren, junger Mann«, wurde sie deutlich. »Aber reißen Sie sich gefälligst zusammen und schreien Sie nicht.«
»Wenn Mylady erlauben, wird meine Wenigkeit das Notversorgungs-Set holen«, machte der Butler sich bemerkbar.
»Akupunktieren?« Der Wortführer schielte angestrengt auf die Hutnadel und machte sich klein. »Was ... was soll das heißen?«
»Mylady wird Sie zu einer Aussage ermuntern«, übersetzte der Butler. »Sie sollte aber auf der Basis der völligen Freiwilligkeit erfolgen.«
»Charly Cantner hat uns geschickt«, sagte der Wortführer hastig. »Charly Cantner...«
»Ein Name, der Mylady mit Sicherheit nichts sagt«, fürchtete Parker.
»Cantner hat ein Job-Vermittlungsbüro in Limehouse«, fuhr der Wortführer fort. »Wir sollten Landby zu ihm bringen, aber der wollte nicht.«
»Sie mußten den genannten Herrn deshalb einer körperlichen Tortur unterziehen?« fragte der Butler. »In Ihren Kreisen pflegt man widerspenstige Personen außer Gefecht zu setzen und wegzuschaffen. Könnte es nicht so gewesen sein, daß Mister Landby Ihnen gewisse Hinweise geben sollte? Fragten Sie ihn nicht vielleicht nach speziellen Unterlagen?«
»Ich denke, ich werde mit meiner Akupunktur jetzt beginnen«, schaltete die ältere Dame sich ungeduldig ein. »Ich hasse es, wenn man mich belügen oder hinhalten will.«
Lady Agatha machte das sehr wirkungsvoll. Sie stach mit der Nadel zu und versenkte sie in die lederbezogene Rücklehne eines Sessels. Die Nadel glitt durch das Leder wie durch Butter.
*
»Ich mache Ihnen natürlich keine Vorwürfe, Mister Parker, aber das hätte Ihnen nicht passieren dürfen«, räsonierte die ältere Dame zwanzig Minuten später. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums, wie Parkers Gefährt spöttisch-respektvoll genannt wurde.
»Mit einer Flucht Mister Martin Landbys und seiner Tochter war kaum zu rechnen, Mylady«, gab der Butler zurück.
»Ich wollte Sie auf diese Möglichkeit aufmerksam machen, Mister Parker, aber ich wollte Sie nicht verunsichern«, redete die resolute Dame munter weiter. »Nun gut, ich werde dies Thema nicht vertiefen.«
»Mylady sind zu gütigst.« Parkers Pokergesicht zeigte auch jetzt keine Regung. »Immerhin weiß man, in wessen Auftrag die drei Schläger nach Unterlagen in Mister Landbys Büro suchten.«
»Ich habe mir diesen Namen genau gemerkt«, behauptete Agatha Simpson. »Wie heißt er noch?«
»Es handelt sich um einen Mister Charly Cantner, Mylady, der ein Job-Vermittlungsbüro in Limehouse betreibt.«
»Ich weiß, ich weiß«, gab sie leicht gereizt zurück. »Dieses Subjekt werde ich jetzt zur Rede stellen. Nach welchen Unterlagen wurde da eigentlich gesucht, Mister Parker? Hoffentlich ist Ihnen das nicht entfallen.«
»Es handelt sich um Angebote zu einem Bauobjekt, Mylady«, antwortete der Butler. »Es geht um ein sogenanntes Kulturzentrum, das von städtischen Behörden errichtet werden soll.«
»Was immer das sein mag.« Sie winkte ab. »Kann ich mich darauf verlassen, daß die drei Lümmel sich nicht vorzeitig befreien können?«
»Ohne fremde Hilfe dürften die Personen sich nicht aus dem sogenannten Staub machen können, Mylady«, versicherte Parker ihr. Die Schläger saßen in einem bunkerähnlichen Raum, in dem die Öltanks für die Heizung untergebracht waren. Parker hatte die Einstiegluke von außen noch zusätzlich gesichert.
Mylady rückte sich in den Polstern zurecht und schloß die Augen. Sie wollte intensiv über ihren neuen Fall nachdenken, wie sie sagte. Tatsächlich aber schlief sie ein wenig ein und produzierte erstaunliche Schnarchtöne. Sie erinnerten an die einer angerosteten Trillerpfeife, wie Parker fand.
Der Butler wälzte natürlich ebenfalls seine Gedanken. Es ging um Angebotsunterlagen, wie sich herausstellte.
Eine städtische Behörde hatte eine der üblichen Ausschreibungen veranstaltet und wartete auf die Reaktion interessierter Firmen.
Martin Landby schien einer gewissen Konkurrenz unangenehm zu sein. Man wollte wohl erfahren, wie sein Angebot lautete. Oder man hatte sogar die Absicht, ihn an der Ausschreibung zu hindern.
Josuah Parker brauchte diese Dinge nur mit Berichten in Zusammenhang zu bringen, von denen die Zeitungen immer wieder voll waren. Mehr oder weniger deutlich wurde von verbotenen Absprachen und Bauskandalen gesprochen.
War man per Zufall auf eine solche Absprache gestoßen? In der Vergangenheit hatte er schon einige Male mit ähnlichen Dingen zu tun gehabt. Seinerzeit hatte er Gangster bekämpft, die eine Art Zement-Kartell gegründet hatten.
Diese Kriminellen hatten Preisabsprachen getroffen und den wichtigen Baustoff zu überhöhten Preisen verkauft. Außenseiter waren brutal niedergeknüppelt worden.
Parker hatte nichts dagegen, sich erneut mit Gangstern dieser Provenienz anzulegen. Es ging schließlich um das Geld der Steuerzahler.
»Die Arbeitsvermittlung des Mister Charly Cantner«, meldete der Butler nach hinten, als er das Ziel erreicht hatte. Die ältere Dame fuhr zusammen und gähnte ungeniert.
»Endlich«, sagte sie dann. »Das hat ja fast eine Ewigkeit gedauert, Mister Parker. Ich habe manchmal das Gefühl, daß Sie dem Verkehr nicht mehr gewachsen sind.«
»Wie Mylady meinen.« Parker stieg aus dem Wagen und öffnete den hinteren Schlag. Lady Agatha schob ihre majestätische Fülle ins Freie und reckte sich unternehmungslustig. Sie freute sich auf eine muntere Unterhaltung.
*
Es handelte sich um eine private Job-Vermittlung, die sich auf Bauarbeiter im weitesten Sinn des Wortes spezialisiert hatte. Die Firma befand sich im Souterrain eines grauen Wohnblocks, das einen heruntergekommenen Eindruck machte. Von der Straße aus erreichte man den Eingang über eine Steintreppe, die in das Basement führte.
In einem etwa zwanzig Quadratmeter großen Vorraum, der gleichzeitig als Warteraum diente, gab es zwei Schalter, die allerdings unbesetzt waren. Eine Tür im Hintergrund war halb geöffnet. Man hörte schrille Musik, Stimmen und Gelächter.
Parker pochte mit dem Bambusgriff seines Schirmes gegen den Türrahmen, um auf Mylady und sich aufmerksam zu machen. Dann schob er seinen Oberkörper vor und entdeckte in einer Art Büro zwei Männer, die ihre Füße auf einer Aktenablage und einem Schreibtisch gelagert hatten.
Die etwa fünfundzwanzigjährigen Angestellten blätterten in Magazinen und schienen sich über Sex-Fotos zu amüsieren.
»Darf man in aller Bescheidenheit ein wenig stören?« schickte Josuah Parker voraus. »Wäre es möglich, mit Mister Cantner einige Worte zu wechseln?«
»Ich glaub’, ich werd’ verrückt«, sagte einer der beiden Angestellten und starrte den Butler entgeistert an. Parker hatte die Melone gelüftet und bot das Bild eines perfekten Butlers. Der junge Mann nahm seine Füße vom Aktenbock und erhob sich langsam.
»Sie wollen zu Charly Cantner?« fragte er sicherheitshalber. »Hören Sie, Mann, wir vermitteln keine Butler und so ...«
»Dies konnte man bereits den Hinweisschildern links und rechts vom Eingang entnehmen«, gab der Butler zurück.
»Auch keine Köchinnen«, fügte der junge Mann hinzu. Er hatte Lady Agatha erspäht, die jetzt neben Parker auftauchte.
»Sie schätzen mich falsch ein, junger Mann«, widersprach die Detektivin. Sie war gefährlich freundlich und marschierte energisch auf den Angestellten zu. »Ich bin Erzieherin und vermittle Manieren.«
»Schwirrt ab!« meldete der zweite Angestellte sich zu Wort. »Hier gibt’s keine Jobs für euch.«
»Sollte man darüber nicht sicherheitshalber mit Mister Cantner persönlich sprechen?« schlug Parker vor.
»Der Boß hat keine Zeit«, entschied der junge Mann. »Und überhaupt, wir vermitteln nur Bauarbeiter.«
»Vielleicht zusätzlich auch noch das, was man gemeinhin Schläger zu nennen pflegt?« tippte Parker an.
»Schläger?« Die beiden Männer tauschten einen schnellen Blick. Der junge Mann, der Parkers Hinweis wiederholt hatte, baute sich vor dem Butler auf. »Wie kommen Sie auf Schläger? Wer, zum Teufel, seid ihr?«
»Sie haben die Ehre und den Vorzug, Lady Simpsons Fragen beantworten zu dürfen«, erklärte der Butler. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker.«
»Okay, ihr habt euren Spaß gehabt«, meinte der junge Mann. »Jetzt zieht Leine, bevor wir ärgerlich werden.«
Der zweite junge Mann wollte diesen Worten einigen Nachdruck verleihen und griff nach dem linken Oberarm der älteren Dame. Er hatte die Absicht, sie relativ sanft wieder in den Vorraum zu drängen.
Er knirschte hörbar mit den Zähnen, als Mylady ihm ohne Vorankündigung gegen das linke Schienbein trat. Er knickte ein und blickte die resolute Dame dann ausgesprochen ungläubig an.
»Wagen Sie es ruhig noch mal, mich belästigen und angreifen zu wollen«, donnerte sie mit ihrer tiefen, sonoren Stimme.
»Haben ... haben Sie mich gerade getreten?« fragte der Angestellte.
»In Notwehr«, bestätigte Agatha Simpson freundlich. »Ich überlege mir gerade, ob Sie mich nicht auch noch unsittlich belästigt haben könnten, junger Mann.«
Der Getretene hatte sich auf seinen Bürostuhl zurückfallen lassen und massierte sich das schmerzende Bein. Sein Partner machte einen recht ratlosen Eindruck. Er wußte einfach nicht, wie er sich diesen nicht gerade taufrischen Besuchern gegenüber verhalten sollte.
»Ich will ja keine Gewalt anwenden«, sagte er schließlich, »aber wenn Sie nicht sofort verschwinden, können Sie was erleben, klar?«
»Was denn, junger Mann? Nennen Sie mir ein Beispiel«, verlangte Lady Agatha hoffnungsfroh.
»Ich werde euch... Also, raus jetzt!« Er plusterte sich auf und langte entschlossen nach einem Elektrokabel, das an einem Nagel an der Wand hing. Er ließ es durch die Hand gleiten und formte eine Art Peitsche daraus. Die zischte nun durch die Luft.
»Sie würden tatsächlich physische Gewalt anwenden?« erkundigte sich der Butler.
»Raus jetzt, oder es setzt Hiebe!« brüllte der junge Mann und holte zu einem ersten gezielten Schlag aus.
*
»Was ist denn hier los?« erkundigte sich der Eintretende. Es handelte sich um einen etwa vierzigjährigen Mann mit leichter Stirnglatze und hellgrauen Augen. Er trug einen grauen, sicher teuren Zweireiher, dazu eine grelle Krawatte und blickte erstaunt auf die beiden jungen Männer, die sichtlich unter einem Formtief litten.
Der junge Angestellte, dessen Schienbein erschüttert worden war, rieb sich vorsichtig das Brustbein, sein Partner massierte sich oberflächlich die Kinnlade.
»Mister Charly Cantner, wie zu vermuten ist?« Parker lüftete höflich die schwarze Melone.
»Cantner«, stellte der Graugekleidete sich vor.
»Sie sollten Ihren Angestellten Manieren beibringen«, schaltete die ältere Dame sich grimmig ein. »Eine erste Lektion habe ich den beiden Lümmeln bereits verpaßt.«
»Jener Mitarbeiter lief in Lady Simpsons Pompadour«, erläuterte der Butler und deutete mit der Schirmspitze auf den Mann, der Schwierigkeiten mit seinem Brustbein hatte. »Und jener Mitarbeiter fiel mit dem Kinn auf den Griff meines Schirmes.«
»Suchen Sie eine Stellung?« fragte Cantner, der auf die Hinweise des Butlers nicht eingehen wollte.
»Mylady suchte Sie, Mister Cantner«, antwortete der Butler. »Wie zu erfahren war, schickten Sie drei Ihrer Mitarbeiter zu einem gewissen Mister Landby.«
»Wer... wer sind Sie?« Cantner blieb vorsichtig.
»Lady Simpson«, stellte Parker vor. »Parker, Josuah Parker mein Name.«
»Lady ... Simpson?« Cantner stutzte und musterte dann die ältere Dame. Er merkte sofort, daß hier nicht geblufft wurde. Sein weiblicher Gast strahlte beeindruckende Autorität aus.
»Mylady ermittelt in Sachen Preisabsprachen«, kam Parker direkt auf das von ihm vermutete Thema zu sprechen. »Mylady hat die Absicht, den Sumpf an Korruption trockenzulegen.«
»Und was habe ich damit zu tun?« wollte Cantner wissen. Seine wasserhellen Augen verengten sich ein wenig. »Was faseln Sie da von drei Leuten, die ich wohin geschickt haben soll? Seien Sie vorsichtig mit solchen Behauptungen! Sie haben schneller einen Prozeß am Hals, als Sie es sich vorstellen können.«
»Ich hoffe, daß dies eine Drohung ist«, warf die energische Dame erfreut ein.
»Nur eine Feststellung, Lady«, gab Cantner zurück. »Ich weiß nichts von Preisabsprachen und schon gar nichts von drei Leuten, die ich irgendwohin geschickt haben soll. Ich schlage vor, daß Sie meine Räume jetzt verlassen.«
»Ist es richtig, Mister Cantner, daß Sie eine Jaguar-Limousine fahren?« fragte Parker ohne jeden Übergang. Anschließend nannte er das Kennzeichen jenes Wagens, den er vor dem Bürogebäude von Martin Landby gesehen hatte.
»Ja, das ist mein Wagen«, erwiderte Cantner nach kurzem Zögern. »Weshalb fragen Sie? Was ist mit ihm? Er steht drüben auf dem Parkplatz, neben dem Pub.«
»Ihr Wagen befindet sich in einem Zustand, den man nur als desolat bezeichnen kann«, antwortete der Butler. »Die angesprochene Jaguar-Limousine scheint von den Auslegern eines Gabelstaplers nachhaltig demoliert worden zu sein. Meine Wenigkeit entdeckte ihn vor dem Bürogebäude der Firma Landby, die Sie ja nicht kennen.«
Daraufhin verfärbte sich Cantner intensiv.
*
»Wie gut, daß ich diesen Jaguar ein wenig angeschrammt habe«, freute sich die ältere Dame wenige Minuten später. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und war mit sich und der Welt zufrieden. »Haben Sie mitbekommen, wie er zuerst bleich und dann rot wurde, Mister Parker?«
»Das Farbenspiel seines Gesichtes war in der Tat bemerkenswert«, erklärte Josuah Parker. »Mylady bestehen darauf, zur Firma des Mister Martin Landby zurückzufahren?«
»Richtig«, meinte sie. »Ich will sehen, wie er seine Lümmel aus dem Ölkeller holt. Diesen Tip hat er ja von mir bekommen.«
»Der Zustand seiner Limousine wird Mister Cantner zutiefst erschüttern, Mylady.«
»Der neue Kriminalfall beginnt ganz zu meiner Zufriedenheit«, sagte Lady Agatha. »Mehr konnte ich wirklich nicht erwarten. Ich werde mir allerdings Gedanken darüber machen, wie es nun weitergehen soll, Mister Parker.«
»Mylady werden sicher Kontakte mit Firmen aufnehmen wollen, die in der Bau-Branche tätig sind.«
»Das ist meine feste Absicht«, bestätigte sie. »Ich muß wissen, wie solche Preisabsprachen gehandhabt werden, Mister Parker. Nennen Sie mir bei Gelegenheit entsprechende Adressen.«
»Sehr wohl, Mylady. Darüber hinaus wird es sicher eine Art Dachverband der Bauindustrie geben.«
»Darauf wollte ich gerade hinweisen«, behauptete sie. »Sehr schön, daß Sie mitdenken, Mister Parker, nur weiter so!«
»Mylady beflügeln immer wieder meine bescheidene Wenigkeit«, behauptete Butler Parker und verzog dabei keine Miene.
*
Es dauerte knapp zehn Minuten, bis Charly Cantner erschien.
Er stieg aus einem Ford und näherte sich fast zögernd seiner Jaguar-Limousine, die tatsächlich ein wenig ramponiert aussah.
Die beiden Ausleger des Gabelstaplers hatten den sündhaft teuren Wagen mehrfach an der Seite perforiert, wobei einige Scheiben zu Bruch gegangen waren. Der Deckel des Kofferraumes war aufgesprungen und ragte anklagend zum Himmel.
Lady Agatha, die sich als technisch versiert betrachtete, hatte mit dem Gabelstapler auch die Kühlerhaube behandelt. Diese machte einen leicht gequetschten Eindruck.
Die Detektivin hatte sich vor dem Verlassen der Firma Landby von den drei Männern sagen lassen, wem die Limousine gehörte. Daraufhin hatte sie spontan wie stets reagiert.
Cantner ging langsam um den Wagen herum und stieß wilde Verwünschungen aus. Lady Agatha und Parker konnten ihn genau beobachten. Sie hielten sich im Treppenhaus eines nahen Wohnblocks auf und sahen den Vorplatz ein.
Die beiden Angestellten, die Cantner mitgebracht hatte, waren bereits im Bürogebäude verschwunden. Es dauerte etwa fünf Minuten, bis sie in Begleitung der Schläger wieder zurückkehrten.
Cantner baute sich vor diesen Männern auf und schien sie mit ausgesuchten Schimpfworten zu belegen.
Seine Gesten fielen entsprechend aus. Er tippte sich mehrfach an die Stirn und schien nicht verstehen zu können, daß drei ausgewachsene Schläger sich von älteren Herrschaften ausschalten ließen.
Dabei mußte Cantner inzwischen wissen, daß Mylady und ihr Butler gefährliche Gegenspieler waren. Er selbst hatte ja in seiner Job-Vermittlung mitbekommen, daß seine beiden Angestellten ebenfalls ausgeschaltet worden waren.
Nach intensiver Absprache marschierte Cantner erneut um seinen demolierten Wagen herum und faßte sich dabei mehrmals an den Kopf. Sein Wagen schien ihm viel bedeutet zu haben.
»Ich hätte die Limousine noch ein wenig mehr frisieren sollen, Mister Parker«, fand Lady Agatha. Ein boshafter Unterton beherrschte ihre Stimme.
»Er dürfte kaum noch reparierbar sein, Mylady«, gab Parker zurück.
»Dieses Subjekt weiß jetzt, daß eine Lady Simpson nur mit größer Vorsicht zu genießen ist«, meinte die ältere Dame sehr zufrieden.
»Und Mylady konnten sich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß Mister Cantner tatsächlich jene Person ist, die die drei Schläger in das Büro des Mister Landby schickte.«
»Daran habe ich keinen Moment gezweifelt«, behauptete die resolute Dame. »Für die Zukunft werde ich mir noch mehr einfallen lassen, was dieses Subjekt betrifft. Was steht jetzt auf meinem Programm, Mister Parker?«
»Mister Landbys Privatwohnung befindet sich in der Nähe, Mylady«, sagte der Butler. »Vor dem Verlassen des Büros informierte meine Wenigkeit sich entsprechend. Darüber hinaus war man so frei, einige Korrespondenz-Unterlagen sicherzustellen.«
»Korrespondenz-Unterlagen?« Sie schaute ihren Butler irritiert an.
»Sie stammen aus einem Aktenordner, Mylady, der Bauausschreibungen enthält.«
»Das bringt zwar nichts«, entschied sie und machte eine abwertende Handbewegung, »aber ich will Ihnen die Freude nicht verderben, Mister Parker. Sie werden sich dabei etwas gedacht haben.«
»Diesen Unterlagen könnte man entnehmen, mit welchen Baubehörden Mister Landby Briefwechsel pflegte. Die Zeit fehlte bisher, sich mit dem Text dieser Briefe zu befassen.«
»Wie auch immer.« Sie war an diesem Thema eindeutig nicht interessiert. »Dieses Subjekt dort unten fährt jetzt weg. Ich habe große Lust zu folgen.«
»Mylady könnten es möglicherweise am oder im Privathaus des Mister Landby treffen«, entgegnete der Butler.
»Worauf warte ich dann noch, Mister Parker?« Sie blickte ihn unternehmungslustig an. »Er kann sich schon jetzt auf den nächsten Gang freuen. Ich werde ihm einige nette Überraschungen servieren.«
»Myladys Überraschungsreichtum ist und bleibt unerschöpflich«, erklärte Parker höflich wie stets.
»Das ist allerdings richtig«, meinte sie und lächelte wohlwollend. »Sie verfügen über eine gute Beobachtungsgabe, Mister Parker: Nur weiter so!«
*
Martin Landbys privates Wohnhaus war recht klein und stand in einem Garten, der über eine Stichstraße zu erreichen war. Bescheidener Wohlstand prägte dieses Viertel in Bethnal Green.
»Weit und breit nichts von diesen Kriminellen zu sehen«, sagte die ältere Dame enttäuscht, als Parker sein hochbeiniges Gefährt auf dem Parkplatz vor dem Haus abstellte.
»Mit dem Erscheinen des Mister Cantner und seiner Mitarbeiter ist nach wie vor zu rechnen, Mylady«, gab Parker zurück und lieh der älteren Dame seine hilfreiche Hand, als sie den Fond des Wagens verließ. »Möglicherweise aber wartet man bereits im Haus.«
»Das wäre zu schön, um wahr zu sein«, reagierte Lady Agatha. »Dann hat man also den Ford irgendwo in der Nähe abgestellt, nicht wahr?«
Parker ging auf diesen Hinweis nicht näher ein. Er schritt bereits gemessen zur Haustür und knöpfte dabei seinen schwarzen Covercoat auf. Er entnahm einer seiner vielen Westentaschen eine Plastik-Kapsel, die ausgiebig perforiert war. In ihr befand sich eine Glasampulle, die mit einer wasserklaren Flüssigkeit gefüllt war.
Parker zerbrach diese Ampulle zwischen seinen schwarz behandschuhten Fingern und beeilte sich, die Kapsel durch den Briefschlitz ins Haus zu werfen. Dann trat er diskret zur Seite und harrte der Dinge, die da kommen mußten.
Er hörte wenige Sekunden später ein erstes Husten, das in quälendes Bellen überging. Dann wurde die Haustür aufgerissen. Cantner und zwei junge Männer – es waren die Angestellten aus seiner Arbeitsvermittlung – stürzten ins Freie und hatten es ungemein eilig.
Josuah Parker war die Würde in Person, als er mit seinem bleigefüllten Schirmgriff die drei Männer kurz nacheinander zu Boden schickte. Sie purzelten über die beiden Stufen hinunter in den Kies und blieben nach Luft schnappend liegen.
»Recht ansprechend, Mister Parker«, lobte die ältere Dame, wenn auch verhalten. »Ich frage mich, ob ich mit meinem Pompadour noch etwas nachhelfen sollte.«
»Vielleicht später, Mylady«, gab der Butler zurück, »falls die drei Herren sich als wenig hilfreich zeigen.«
Cantner hatte sich aufgerichtet und blickte Agatha Simpson aus tränenden Augen an. Er wollte etwas sagen, hustete aber ausgiebig und ließ sich wieder zurücksinken. Seine Mitarbeiter, die von den freigesetzten Dämpfen aus der Ampulle mehr mitbekommen hatten als ihr Dienstherr, blieben flach auf dem Kies liegen und verzichteten auf jede Einmischung.
»Nach einer alten Spruchweisheit aus dem Volk ist die Welt klein«, schickte Parker in Richtung Cantner voraus. »Irgendwo und irgendwann sieht man sich immer wieder.«
Der Job-Vermittler wollte antworten, doch die Luft war noch zu knapp. Zudem litt er ein wenig unter dem Schirmgriff.
Er riß sich zusammen, wollte nach seinem Hosengürtel greifen, doch er schaffte es nicht. Er leistete keinen Widerstand, als Parker ihm die dort vorhandene Waffe wegnahm. Es handelte sich um eine kleinkalibrige Automatic, die in Parkers Manteltasche verschwand.
»Sie hatten doch hoffentlich vor, auf mich zu schießen, junger Mann«, war Agatha Simpson zu vernehmen. Sie hatte sich vor Cantner aufgebaut und ließ ihren Pompadour schwingen. »Schaffen Sie die Kriminellen ins Haus, Mister Parker. Ich möchte unbeobachtet sein, wenn ich mich mit diesem Subjekt befasse.«
Es dauerte einige Zeit, bis die drei Männer untergebracht waren. Im Wohnraum des zweistöckigen Hauses angekommen, litten sie noch immer unter gewissen Konditionsschwierigkeiten. Sie leisteten keinen Widerstand, als Parker ihnen Plastik-Handfesseln anlegte.
»Und nun zu Ihnen, junger Mann«, meinte Lady Agatha, die sich inzwischen mit ihrem Kreislauf beschäftigt hatte. Mit sicherem Instinkt hatte sie eine Art Hausbar und darin einen trinkbaren Brandy gefunden. . Sie blickte Cantner an und wandte sich dann an ihren Butler.
»In welcher Art soll ich gleich in Notwehr handeln, Mister Parker?« wollte sie wissen. »Dieser Lümmel braucht einen ordentlichen Denkzettel.«
»Denken Mylady an eine spätere ärztliche ambulante Behandlung, oder wünschen Mylady einen längeren Hospital-Aufenthalt, was Mister Cantner betrifft?« wollte der Butler in seiner stets höflichen Art wissen.
*
Er war in Schweiß gebadet und hatte offensichtlich sein bisheriges Weltbild verloren.
Ein Gangster wie Cantner kannte nur Brutalität und hatte damit bisher stets seine Wünsche durchgesetzt. Seine Schläger hatten bisher die grobe Arbeit für ihn geleistet und alle Widerstände aus dem Weg geräumt. Wahrscheinlich hatte Cantner sich wie ein kleiner Gott gefühlt und entsprechend aufgespielt.
Nun aber mußte er sich mit zwei Personen auseinandersetzen, wie sie seinen Weg bisher noch nie gekreuzt hatten. Zwei eindeutig ältere Personen hatten ihn das Fürchten gelehrt, zwei Personen, die er nicht einzuordnen wußte.
Hemmungen schienen diese Lady und ihr Butler nicht zu kennen. Sie diskutierte sach- und fachkundig über gezielte Schüsse in Notwehr und hatten sich bisher noch nicht darüber einigen können, welche Körperstellen getroffen werden sollten.
Mylady erwog auch die Möglichkeit, sich mit einem langen Tranchiermesser zu wehren. Parker hatte es auf ihren Wunsch aus der Küche des Hauses geholt. Lady Agatha prüfte die Schnittfähigkeit der Klinge und benutzte dazu die Seite eines Magazins, die sie sorgfältig aufschlitzte.
»Werden Myladys Erwartungen erfüllt?« erkundigte sich der Butler ernst. »Falls nötig, könnte man die Klinge noch ein wenig nachschärfen.«
»Es wird reichen«, gab sie zurück und widmete sich wieder Cantner, der im Takt den Kopf schüttelte.
»Das ... das können Sie doch nicht machen«, stieß er endlich hervor. »Ich hab’ Sie doch überhaupt nicht angegriffen, Lady.« »Sie hatten es aber vor, junger Mann«, grollte die ältere Dame gekonnt.
»Ich... ich hätt’ doch niemals geschossen«, meinte Cantner.
»Aber gewiß doch«, sagte Lady Agatha gefährlich freundlich. »Selbst jetzt fühle ich mich noch bedroht.«
»Vielleicht sollte man Mister Cantner den Hauch einer Chance einräumen«, machte der Butler sich bemerkbar.
»Was wollen Sie wissen?« erkundigte sich der Gangster.
»Ihre Mitarbeiter suchten im Büro des Mister Landby nach gewissen Unterlagen«, schickte Parker voraus. »Dazu möchte Mylady ein wenig mehr hören. Könnte es sich um Ausschreibungen zu geplanten Bauvorhaben gehandelt haben?«
»Ausschreibungen«, wiederholte Cantner und nickte. »Es geht da um ein Kulturzentrum in Hackney, mehr weiß ich wirklich nicht.«
»In wessen Auftrag, Mister Cantner, wurden Sie tätig?« lautete Parkers nächste Frage.
Lady Simpson hielt das Tranchiermesser oben am Griff mit Daumen und Zeigefinger. Sie ließ es jetzt fallen und nickte anerkennend, als die Spitze der Klinge sich tief ins Parkett bohrte. Cantner zuckte natürlich zusammen und erinnerte sich umgehend.
»Les Maliers hatte mich da um einen Gefallen gebeten«, sagte er schleunigst.
»Was kann oder soll Mylady sich unter diesem Namen vorstellen, Mister Cantner?« fragte Parker weiter.
»Maliers hat ’ne Baustoffhandlung«, bekannte der Mann. »Seine Firma steht in Millwall. Halten Sie sich an den.«
»Das wird umgehend geschehen, junger Mann«, dröhnte Mylady dazwischen.
»Sie haben sicher die Absicht, noch ein wenig hier zu verweilen, Mister Cantner«, erkundigte sich Parker.
»Landby ist abgehauen«, erwiderte der Gangster, »und wird bestimmt vorerst nicht mehr auftauchen.«
»Sie sollten es sich hier bequem machen«, schlug der Butler vor.
»Wieso? Was verstehen Sie darunter?« Cantner sah den Butler mißtrauisch an.
»Man wird Sie rechtzeitig wieder aus dem Haus bitten«, erklärte Parker. »Bis dahin sollten Sie und Ihre beiden Mitarbeiter vielleicht einen geeigneten Kellerraum aufsuchen.«
»Sie sind heute am Drücker«, kam die Antwort. Cantner wollte zwar noch etwas hinzufügen, doch er verkniff sich das. Er hatte inzwischen mitbekommen, daß die ältere Dame das Tranchiermesser wieder an sich genommen hatte.
Er traute Mylady nicht über den Weg.
*
Josuah Parker hatte die drei Männer in einem geeigneten Raum untergebracht und war in die Wohnung zurückgekommen, als das Telefon sich meldete. Er hob ab und genierte sich nicht, seinen Namen zu nennen.
»Mister Parker? Sie?!« Es handelte sich eindeutig um Martin Landbys Stimme, die echte Überraschung erkennen ließ.
»Sie taten durchaus gut daran, Ihr Haus zu verlassen, Mister Landby«, antwortete Parker. »Mister Cantner und zwei seiner Mitarbeiter hatten sich hier eingefunden. Sie wurden inzwischen ruhiggestellt, um es mal so auszudrücken.«
»Ich wußte, daß diese Gangster bei mir zu Hause erscheinen würden, Mister Parker«, entgegnete Landby. »Ich habe mit meiner Tochter die Stadt verlassen und werde erst mal untertauchen.«
»Ein Entschluß, den man nur als vernünftig bezeichnen kann, Mister Landby«, urteilte der Butler. »Sie dürften sich den Unmut eines gewissen Mister Les Maliers zugezogen haben.«
»Maliers ist doch nur vorgeschoben«, lautete die Antwort. »Maliers springt, wenn gewisse Leute pfeifen.«
»Könnten Sie sich möglicherweise dazu näher äußern, Mister Landby?«
»Warum wollen Sie sich Schwierigkeiten einhandeln?« fragte der Bauunternehmer zurück. »Es geht um Schiebungen und Betrug in der gesamten Branche. Und da gibt es Leute, die sehr viel Macht haben. Gegen die kommen Sie nicht an, Mister Parker.«
»Ein vager Versuch würde sich wahrscheinlich lohnen, Mister Landby. Darf man davon ausgehen, daß es um Ausschreibungen geht, die manipuliert werden?«
»Genau, Mister Parker. Sie werden es mit einer Art Mafia zu tun bekommen, glauben Sie mir. Halten Sie sich lieber raus, dann leben Sie länger.«
»Sie sind dieser Bau-Mafia unbequem geworden, Mister Landby?«
»Und ob, Mister Parker! Ich wollte mich nicht einspannen lassen und selbständig bleiben, aber jetzt passe ich. Sie wissen ja, daß man sich nicht scheut, auch meine Tochter miteinzubeziehen. Damit ist für mich die Grenze erreicht.«
»Sie sind Witwer, wie zu vermuten ist.«
»Richtig, Mister Parker. Meine Frau starb vor einigen Jahren, was aber nichts mit der Bau-Mafia zu tun hat.«
»Sie beschäftigen in Ihrem Betrieb etwa zwanzig Mitarbeiter?«
»Beschäftigte«, korrigierte Landby. »Die werden sich jetzt nach einem anderen Job umsehen müssen. Ich gebe auf. Mein Leben ist mir lieber als ein Auftrag.«
»Sie denken sicher an das geplante Kulturzentrum, für das Sie ein Angebot einreichen wollten, nicht wahr?«
»Das können Sie vergessen, Mister Parker. Ich werde es erst gar nicht einreichen.«
»Sie wären sicher recht preiswert gewesen, wie weiter zu vermuten ist, Mister Landby. Warum hätte die von Ihnen zitierte Bau-Mafia sieh sonst wohl eingeschaltet?«
»Die wollte wissen, wie meine Zahlen sind«, bestätigte Landby. »Aber ich muß jetzt Schluß machen. Wenn Sie mehr erfahren wollen, dann wenden Sie sich an Stew Webster. Das ist ein Journalist, der die Mafia kennt.«
»Und wo, bitte, Mister Landby, könnte man diesen Journalisten erreichen?«
»Er arbeitet freiberuflich und wohnt in einem Atelier in Wapping.«
Im Anschluß an diesen Hinweis nannte Landby noch eine genaue Adresse. Bevor der Butler jedoch weitere Fragen stellen konnte, wurde auf der Gegenseite aufgelegt.
»Eine Falle, Mister Parker«, urteilte die ältere Dame, als Parker sie ins Bild gesetzt hatte. »Man will mich so schnell wie möglich ausschalten.«
»Mylady haben allerdings bisher noch nie das Aufsuchen einer möglichen Falle gescheut«, meinte Parker in seiner höflichen Art.
»Das ist allerdings richtig«, gab sie postwendend zurück und nickte grimmig. »Die Nacht beginnt gerade erst, Mister Parker. Ich denke, ich habe noch viel zu erledigen. Folgen Sie mir!«
*
Die Baustoffhandlung des Les Maliers war auf dem Gelände einer ehemaligen Werft untergebracht. Neben einer langgestreckten Bürobaracke aus Beton-Fertigteilen standen einige Hochbehälter für Kalk und Zement. Links von der Bürobaracke parkten einige Lastwagen und Schnelltransporter.
Vor den Hochbehältern erhob sich ein kleiner, spitzkegeliger Berg, der in Segmente aufgeteilt war. Diese enthielten Sand und Kies in verschiedener Korngröße. Einige Lastwagen mit drehbaren Zementtrommeln parkten hier. Die Firma war ansehnlich groß, und sie war auch um diese Zeit offensichtlich noch besetzt. Hinter zwei Fenstern der Bürobaracke brannte Licht.
»Nach Lage der Dinge scheint man auf die Rückkehr Mister Cantners zu warten, Mylady«, sagte Parker.
»Ich werde für eine hübsche Überraschung sorgen«, gab Lady Simpson zurück. »Ich werde das Büro selbstverständlich im Sturm nehmen. Sie werden gleich sehr schnell sein müssen, Mister Parker.«
»Mylady könnten in der Tat wartende Gangstern provozieren«, meinte der Butler, »sollten Mylady Neigung zeigen, die beiden Fenster einzuwerfen.«
»So etwas liegt mir.« Die energische Dame war sofort einverstanden und schloß sich Parker an, der zur Bürobaracke schritt und dabei erst mal die Lastwagen ansteuerte. Aus Gründen der Sicherheit hatte er seine Gabelschleuder hervorgeholt und machte sie betriebsklar. Es handelte sich dabei um die Weiterentwicklung jener Schleudern, wie sie von Jungen aus ypsilonförmigen Astgabeln geschnitzt werden und die man zum Verschießen von Trockenerbsen benutzt.
Parkers Gerät bestand aus zähem Stahl. Die beiden Gummistränge, die als Katapult dienten, waren ungewöhnlich stark. Entsprechend fiel auch die Lederschlaufe aus, die zur Aufnahme der jeweiligen Munition diente.
Der Butler verschoß je nach Lage hart oder weich gebrannte Erbsen aus Ton oder aber seit einiger Zeit Geschosse aus Hartgummi, die bis zur Größe eines Squash-Balles reichten. Er war damit ungewöhnlich treffsicher und konnte die Aufschlag-Energie durch entsprechendes Spannen der beiden Gummistränge genau dosieren.
In diesem Fall nun lag ein rundes Geschoß aus Hartgummi in der Lederschlaufe. Parker rechnete mit einem Außenposten, der die Bürobaracke bewachte. Solch ein Wachposten mußte sich in jedem Augenblick melden, denn Lady Agatha marschierte stramm und lautstark durch die einfallende Dunkelheit, die hier noch vom Abendhimmel ein wenig aufgehellt wurde.
Erstaunlicherweise ließ sich kein Wachposten sehen. In der Baracke schien man sich seiner Sache völlig sicher zu sein. Nun, man konnte ja nicht ahnen, daß Parker sich inzwischen mit Cantner und den beiden Mitarbeitern befaßt hatte.
Lady Agatha hatte sich inzwischen ebenfalls mit Munition versorgt. Sie war an einer Ziegelstein-Palette vorbeigekommen und hatte sich eingedeckt. Fast liebevoll drückte sie vier dieser Steine an ihren üppigen Busen.
Parker verständigte sich kurz mit seiner Herrin und wechselte hinüber zum Eingang der Baracke. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, als die ältere Dame bereits das Feuer eröffnete.
Machtvoll warf sie den ersten Ziegelstein durch die berstende Fensterscheibe in das Innere der Baracke. Da sie leidenschaftlich Golf spielte und den Sportbogen schoß, war ihre Armmuskulatur entsprechend ausgebildet.
Im Inneren der Baracke wurden Stühle gerückt, laute Stimmen waren zu vernehmen.
Lady Agatha hatte bereits den zweiten Ziegelstein auf den Weg gebracht und das Ziel verfehlt. Es war ihre Absicht gewesen, das noch heile Fenster zu zertrümmern, doch der Ziegelstein nahm einen anderen Weg und krachte durch das bereits zertrümmerte Fenster. Und dieser kantige, nicht gerade leichte Stein landete auf der Brust einer Person, die sich leichtsinnigerweise dem Fenster genähert hatte.
Der Mann ächzte dumpf, als der Ziegelstein auf seiner Brust Platz nahm. Dann kippte der Mann nach hinten weg und landete krachend auf dem Boden. Dabei riß er hörbar einen Tisch um, auf dem Flaschen und Gläser gestanden hatten. Der Lärm war dementsprechend.
Josuah Parker hatte neben der Eingangstür Position bezogen und brauchte nicht lange zu warten, bis er schnelle Schritte hörte. Dann wurde die Tür vorsichtig aufgezogen. Ein Kopf schob sich langsam vor.
Parker wartete höflich, bis der Besitzer des Kopfes seinen Körper folgen ließ. Erst dann langte der Butler kurz und knapp mit seinem Schirmgriff zu.
*
»Falls die Herren zu hart getroffen worden sein sollten, mögen Sie dies entschuldigen«, schickte der Butler voraus, als die beiden Männer wieder zu sich kamen. Sie saßen auf einer gepolsterten Eckbank, die in einer Art Privatbüro stand. Parker hatte die Kerle mit Handfesseln aus Plastik bedacht.
Einer der beiden – es war der, der mit Parkers Schirmgriff Bekanntschaft geschlossen hatte – trug einen nicht gerade billigen, modischen Sportanzug, der zweite Mann hingegen steckte in einem blauen Overall. Er war von Myladys Wurfgeschoß zu Boden gestreckt worden.
»Mister Les Maliers, wie zu vermuten ist.« Parker wandte sich an den Mann im Sportanzug. »Sie warten sicher auf eine Meldung des . Mister Charly Cantner, nicht wahr?«
»Für diesen Überfall werdet ihr noch bluten«, drohte Maliers, der auf Parkers Frage hin leicht genickt hatte. »Was soll der ganze Quatsch? Habt ihr keine Ahnung, auf was ihr euch da eingelassen habt? Wer hat euch geschickt?«
»Sie werden sich mit Myladys Gerechtigkeitssinn auseinanderzusetzen haben«, erwiderte Parker.
»Das soll ’ne Lady sein?« Les Maliers lachte höhnisch und kassierte umgehend eine Ohrfeige der älteren Dame. Maliers fiel seitlich gegen den Overallträger und schnappte nach Luft. Tränen schossen ihm in die Augen.
»Weiter so, junger Mann«, meinte die ältere Dame und lächelte einladend. »Genieren Sie sich nicht.«
»Sie sind ein Strohmann der Bau-Mafia, Mister Maliers«, sagte Parker im Ton einer Feststellung. »Mylady wünscht zu erfahren, wie die Namen der Verantwortlichen lauten.«
»Sie sind wirklich ’ne echte Lady?« wunderte sich Maliers und zog sicherheitshalber den Kopf ein. »Ich meine, ich glaub’s fast...«
»Und dies ist Mister Parker«, stellte die ältere Dame vor. »Er fragt in meinem Sinn, junger Mann.«
»Namen zur Bau-Mafia?« Maliers verdrehte die Augen. »Wenn ich Namen wüßte, würd’ ich doch längst nicht mehr leben.«
»Sie haben für die erwähnte Bau-Mafia Mister Cantner zu Mister Landby geschickt, um dort Unterlagen zu erpressen«, fuhr der Butler fort. »An wen sollten diese Unterlagen weitergereicht werden?«
»Die wären hier abgeholt worden.«
»Nachdem Sie den Vollzug auf welche Art gemeldet hätten, Mister Maliers?«
»Ich hätte in ’nem Privatclub einen Mister Servans ausrufen lassen. Das hätte schon gereicht.«
»Eine Art Codewort, Mister Maliers?«
»Nehme ich doch an«, bestätigte der Baustoffhändler. »Ein Servans hätte sich bestimmt nicht gemeldet, aber der hätte Bescheid gewußt und dann seinerseits irgendwo angerufen.«
»Demnach scheint man sich sehr gut abzuschotten.«
»Wie gut die Bau-Mafia ist, werden Sie noch merken, darauf können Sie sich verlassen.« Maliers drohte schon wieder. Er schien die Ohrfeige bereits vergessen zu haben.
»Glaube ich diesem Subjekt, Mister Parker?« fragte die ältere Dame ihren Butler.
»Mylady bestehen selbstverständlich darauf, Einsicht in gewisse Geschäftsunterlagen nehmen zu können.«
»Moment mal, was für Geschäftsunterlagen?« protestierte Maliers.
»Mylady interessiert sich dafür, wen Sie hauptsächlich beliefern, Mister Maliers. Daraus wird man dann gewisse Schlüsse ziehen.«
»Was Sie da machen wollen, ist ungesetzlich«, empörte sich Maliers.
»Ich weiß, junger Mann«, entgegnete die ältere Dame süffisant.
»Ich werde Sie verklagen«, drohte der Baustoffhändler.
»Das ist Ihr gutes Recht«, sagte Agatha Simpson. »Mister Parker, die Unterlagen. Ich werde mir Notizen machen, das heißt, eigentlich könnten Sie dies für mich erledigen. Ich kann mich schließlich nicht um jede Kleinigkeit kümmern.«
Josuah Parker betrat das angrenzende Büro und blieb vor einem hohen Aktenschrank stehen. Dann machte er sich daran, nach Spuren zu suchen.
*
Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis ein Mini-Cooper auf dem Bauhof erschien und sich der Bürobaracke näherte.
Der Butler hatte Les Maliers gebeten, den Pub anzurufen und nach einem Mr. Servans zu fragen. Der Baustoffhändler war dem Wunsch nachgekommen und hob jetzt den gesenkten Kopf. Auch er hatte den sich nähernden Wagen gehört.
»Der Bote, der die bewußten Unterlagen abholen soll«, vermutete Josuah Parker.
»Sie legen sich da mit Leuten an, die Ihnen überlegen sind«, warnte Les Maliers noch mal.
»Reden Sie keinen Unsinn, junger Mann«, schaltete die energische Dame sich ein. »Falls Sie gleich einen Warnruf ausstoßen, bekommen Sie Ärger mit meiner Hutnadel.«
Sie hielt das betreffende Instrument bereits stoßbereit in der rechten Hand und machte Les Maliers deutlich, wie gefährlich er momentan lebte.
Butler Parker stand bereits vorn am Eingang. Die Tür war spaltbreit geöffnet. Er beobachtete zwei Männer, die sich aus dem Mini-Cooper schälten, sich hochreckten und dann zum Eingang schritten. Sie hatten keinen Verdacht geschöpft und redeten munter miteinander.
»Hallo, jemand im Bau?« rief einer der beiden Boten, während er die Tür aufstieß.
»Man erwartet Sie bereits«, gab Josuah Parker zurück und benutzte den bleigefüllten Bambusgriff seines Regenschirmes, um die beiden Männer blitzschnell außer Gefecht zu setzen. Bevor sie überhaupt begriffen, was los war, lagen sie bereits leicht betäubt auf dem Boden.
Als sie wieder zu sich kamen, merkten sie erst mit einiger Verspätung, daß ihre Hände gefesselt waren. Sie blickten Parker aus großen, erstaunten Augen an.
»Die Begrüßung wird Ihnen sicher unpassend vorgekommen sein«, schickte der Butler voraus. »Aber meine Wenigkeit wollte verhindern, daß Sie nach Ihren Waffen griffen, die sich inzwischen im Besitz meiner Person befinden.«
»Hast du uns das eingebrockt?« fragte der Wortführer der beiden Boten Les Maliers mit giftigen Blicken.
»Ich bin genauso reingefallen wie ihr«, verteidigte sich der Baustoffhändler wütend.
»Schuldzuweisungen sollten die Herren vielleicht später vornehmen«, schlug Parker vor und wandte sich an die Boten. »Sie sollten gewisse Unterlagen wohin bringen?«
»Was für Unterlagen?« tat der Wortführer arglos. Er war mittelgroß, schlank und hatte ein schmales Gesicht mit flinken Augen.
»Wer von Ihnen ist Servant?« wollte Mylady wissen.
»Mylady spricht von einem Mister Servans«, korrigierte Parker beiläufig.
»Nie von gehört«, behauptete der Mann mit dem Fuchsgesicht.
»Sollten Sie es vielleicht sein?« Josuah Parker besorgte sich die Brieftasche des Mannes und brauchte nicht lange zu suchen. Er entdeckte in ihr einige Rechnungen, die auf den Namen Servans lauteten. Sie waren noch nicht bezahlt und stammten von zwei Wäschereien.
»Das werden Sie noch bereuen«, drohte der Mann gereizt, als Parker die Brieftasche in die Innentasche des Jacketts zurückschob.
»Der Wortschatz in Ihren Kreisen scheint recht beschränkt zu sein«, stellte der Butler gemessen fest. »Sie benutzen fast ohne Ausnahme stets die gleichen stereotypen Redewendungen.«
»Aus uns bekommen Sie nichts raus«, erklärte Servans.
»Hoffentlich nehmen Ihnen Ihre Arbeitgeber dies ab«, antwortete der Butler. »Sie könnten Zweifel daran hegen, falls sie morgen in den Zeitungen lesen, daß ein Bote der Bau-Mafia interessante Hinweise ausplauderte.«
»Die werden...« Servans verstummte und kaute anschließend an seiner Unterlippe.
»Sie werden mir sicher in den Nebenraum folgen«, bat Parker. »Dort wird man sich anschließend in aller Ruhe und gebotener Höflichkeit miteinander über das eigentliche Ziel Ihrer Botenfahrt unterhalten, Mister Servans. Im Anschluß daran wird man Ihren Begleiter bemühen.«
»Mit diesem Trick kommen Sie niemals durch«, brüllte Servans aufgebracht.
»Eine gewisse Aussagebereitschaft ist bei Ihnen bereits deutlich auszumachen«, anerkannte der Butler. »Sie werden sicher gleich zur Sache kommen.«
Servans sperrte sich, als Parker ihn anschließend ins Nebenzimmer dirigieren wollte, doch die Spitze des Regenschirmes veranlaßte ihn, diesem Wunsch zu entsprechen.
*
Das altehrwürdige Haus der Lady-Simpson stand in Shepherd’s Market und bildete mit der Auffahrt und dem kleinen Vorplatz eine Oase der Ruhe in der Millionenstadt. Das Fachwerkhaus stand auf den labyrinthartigen Gewölben einer ehemaligen Abtei und wurde zur nahen Durchgangsstraße hin von zwei Reihen kleinerer Fachwerkhäuser flankiert, die sich ebenfalls in ihrem Besitz befanden.
Um etwaigen Mietern Ungemach zu ersparen, hatte die ältere Dame diese Häuser nicht vermietet. Sie beherbergten Gästewohnungen, die nur selten genutzt wurden.
Myladys Anwesen war immer wieder das Ziel leichtsinniger Unterweltler, die sich gerade hier eine Chance ausrechneten, die passionierte Detektivin und ihren Butler zu stören oder gar auszuschalten.
Doch es gab eine Mauer aus Sandsteinquadern und ein zweiflügeliges Gittertor, und alles war elektronisch abgesichert. Dies galt natürlich auch für die Rückseite des Hauses.
Hier befand sich ein schmaler Wirtschaftsweg, der zwischen der Hauswand und einer Mauer angelegt war. Auch diese Sandsteinmauer war so gut wie unbezwingbar, was in der Vergangenheit schon mancher Kriminelle hatte erfahren müssen.
In diesem Anwesen befanden sich Lady Simpson und Butler Parker. Die ältere Dame hatte gerade den nächtlichen Imbiß zu sich genommen, saß in der riesigen Wohnhalle vor dem Kamin und stabilisierte ihren Kreislauf mit einem Cognac. Dabei blickte sie ungeduldig zu Parker hinüber, der gerade ein Telefongespräch führte.
»Darf man noch mal nach Ihrem Namen fragen?« gab er gerade zurück. »Sie sind der Sprecher einer Interessentengruppe?«
»Mein Name tut nichts zur Sache«, erwiderte die männliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Sie war dank des Raumverstärkers deutlich zu hören. »Ich habe Ihnen nur mitzuteilen, daß Sie verdammt gefährlich leben, Parker. Das gilt auch für Ihre komische Lady.«
»Eine Unverschämtheit«, ließ die Hausherrin sich grollend vernehmen, hörte dann aber weiter zu.
»Sie mischen sich da in Dinge ein, die Sie einen Dreck angehen, Parker. Wir haben Cantner und seine Leute aus dem Keller von Landbys Wohnhaus geholt und wissen jetzt auch von Servans, was gespielt wird.«
»Sie reden gewiß von der sogenannten Bau-Mafia«, vermutete Josuah Parker.
»Ob Bau-Mafia oder nicht, Parker, wir lassen uns nicht die Tour vermasseln. Verschwinden Sie schleunigst aus der Stadt, bevor wir ernst machen!«
»Kann man davon ausgehen, daß Sie jetzt eindeutig drohen?« wollte der Butler weiter wissen. Seine Stimme klang höflich-verbindlich wie stets.
»Wollen Sie uns etwa auf den Arm nehmen, Parker? Okay, versuchen Sie’s! Ihre Lebenserwartung ist Verdammt gering. Und was Servans angeht, so kriechen Wir Ihnen nicht auf dem Leim. Dieser Mann hat nicht gesungen, das wissen wir.«
»Natürlich nicht«, erwiderte Parker. »Sie konnten und können sich fest auf Mister Servans verlassen. Er sagte mit keiner einzigen Silbe, wohin er die Unterlagen des Mister Landby bringen sollte.«
Auf der Gegenseite wurde es für einen Moment ruhig. Dann war wieder die Stimme des Anrufers zu vernehmen.
»Wir wollen Ihnen entgegenkommen, Parker, Ihnen und Ihrer ulkigen Lady. Wir werden Landby in Ruhe lassen und ihn vergessen. Damit haben Sie ja Wohl ihr Ziel erreicht, wie?«
Lady Agatha war aufgestanden, baute sich neben ihrem Butler auf und nahm ihm den Hörer aus der Hand.
»Die komische und ulkige Lady wird Ihre Machenschaften aufdecken, junger Mann«, schmetterte sie mit ihrer tiefen Stimme in die Sprechmuschel. »Sie werden noch viel Freude an Lady Simpson haben, das verspreche ich Ihnen.«
Sie legte auf und blitzte Parker mit ihren Augen an.
»So, Mister Parker, spricht man mit diesem Gelichter«, meinte sie dann. »Ich werde ab sofort lästig und unangenehm werden. Lassen Sie sich etwas Entsprechendes einfallen.«
Parker deutete eine zustimmende Verbeugung an.
*
Sie versuchten es wenige Stunden später – drei Gestalten, die munter über das geschlossene Gittertor steigen wollten und keine Ahnung hatten, daß sie bereits per elektronischer Überwachung gemeldet worden waren.
Parker War durch einen Piepton geweckt worden. Er hatte angekleidet in einem Ledersessel vor dem Kamin geruht, stand ohne jede Hast auf und betätigte die Fernbedienung der hausinternen Kontrollanlage.
Auf einem Monitor im Wandschrank neben dem verglasten Vorflur erschien ein erstaunlich klares Bild. Es zeigte die drei Gestalten, die die nächtliche Verkehrsruhe in Shepherd’s Market nutzen wollten. Sie waren bereits dabei, das Gittertor zu entern, und bewegten sich recht flink.
Josuah Parker griff nach der Gabelschleuder, die auf dem Couchtisch lag, und versorgte sich mit Munition. Er hatte sich diesmal für hart gebrannte Ton-Erbsen entschieden. Ihm ging es darum, die Übersteiger schlagartig außer Gefecht zu setzen.
Der Butler machte sich diesmal die Sache recht einfach.
Er passierte den verglasten Vorflur und öffnete die schwere Stahltür, die als Eingang diente. Man sah dieser Tür nichts davon an. Sie paßte sich durch entsprechende Verblendung dem Stil des Fachwerkhauses an. Parker trat unter das Vordach und spannte die Schleuder.
Zwei der Besucher saßen bereits rittlings oben auf dem Gittertor und fühlten sich völlig sicher. Sie konnten nicht ahnen, daß man sie bereits ins Visier genommen hatte.
Die erste Ton-Erbse zischte durch die Luft, überwand spielend den gesamten Vorplatz und landete seitlich im Nacken des ersten Gipfelstürmers. Der Mann ließ die Hände vom Gitterwerk, griff verzweifelt in die Luft, versuchte Balance zu halten und kippte dann seitlich weg. Wie durch Zauberei verschwand er und wurde nicht mehr gesehen.
Der zweite Übersteiger war völlig verdutzt und konnte sich das Verschwinden seines Partners nicht erklären. Bevor er darüber nachzudenken vermochte, wurde auch er von einer Ton-Erbse erwischt Im Gegensatz zu seinem Mitbesteiger griff er keineswegs haltsuchend in die Luft, sondern kippte seitlich weg und landete auf den Steinplatten vor dem Gittertor.
Butler Parker ging zurück in den Vorflur, schloß die Haustür und nahm wieder im Ledersessel Platz. Er beobachtete von hier aus die Szene, die der Monitor lieferte, und erkannte schemenhaft drei Gestalten, die sich schleunigst in Richtung der gegenüberliegenden Straßenseite absetzten und dann in einem Wagen Platz nahmen.
Sie beeilten sich, doch sie litten eindeutig unter gewissen Konditionsschwierigkeiten. Zwei der drei Männer humpelten und machten einen angeschlagenen Eindruck. Nachdem sie im Wagen verschwunden waren, schoß dieser mit durchtourenden Pneus davon.
Der Butler beendete die Übertragung, begab sich hinunter ins Souterrain des Hauses und betrat hier sein privates Refugium. Er verfügte über zimmerhohe, großzügig geschnittene Räume: einen Wohnraum, ein Schlafzimmer und eine kleine Teeküche für persönlichen Bedarf.
Neben dem Bad und der Toilette befand sich die Tür zu seinem sogenannten Labor. In diesem mit moderner Technik ausgestatteten Raum entwickelte der Butler seine vielen kleinen Überraschungen, mit denen er seine Gegner düpierte. Er war ein sehr begabter Erfinder und Bastler.
Josuah Parker las noch ein wenig in einem technischen Magazin, ging dann zu Bett und rechnete mit weiteren Überraschungen in dieser Nacht nicht mehr. Seiner Schätzung nach waren die drei Besucher gemietete Spezialisten, die keine Ahnung hatten, für wen sie tätig wurden. Die Bau-Mafia hatte Unbedarfte vorgeschickt, um für sie die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
*
Nach ihrer Panne in der Nacht versuchten sie es am anderen Morgen erneut. Man hatte wohl ihre Erfolgsprämie erhöht und sie neu motiviert.
Drei Männer saßen in einem Austin und nahmen die Verfolgung auf, als Parker mit seinem hochbeinigen Gefährt Myladys Anwesen verließ.
»Eine Verfolgung?« freute sich die ältere Dame, nachdem Parker ihr diesen Tatbestand gemeldet hatte. »Das klingt recht gut, Mister Parker. Natürlich werde ich den Lümmeln einen ordentlichen Denkzettel verpassen.«
»Haben Mylady in dieser Hinsicht besondere Wünsche?« fragte Parker.
»Ich werde Ihnen freie Hand lassen«, lautete ihre Antwort. »Überraschen Sie mich, Mister Parker.«
»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker steuerte sein Gefährt in Richtung City, um hier die ein wenig lästige Verfolgung so schnell wie möglich zu beenden. Er kannte eine Tiefgarage, die er gern aufsuchte, um lästige Beobachter abzuschütteln.
»Zu wem bin ich eigentlich unterwegs?« wollte Agatha Simpson nach einer Weile wissen.
»Mylady haben die Absicht, Mister Stew Webster aufzusuchen«, erinnerte der Butler. »Mister Webster ist laut Mister Martin Landby mit den Machenschaften der Bau-Mafia vertraut.«
»Ich weiß, ich weiß«, entgegnete sie ungeduldig. »Und ich rechne mit einer Falle, Mister Parker.«
»Darauf wird man sich sicherheitshalber einrichten müssen«, sagte der Butler. »Eine gewisse Vorsicht kann in der Tat nie schaden. Darüber hinaus wollen Mylady sicher aber auch noch einen Vertreter der Baubehörde aufsuchen.«
»Richtig. Hatte ich das nicht bereits vorgeschlagen?« behauptete sie schleunigst.
»Mylady ließen dies in der Tat anklingen«, meinte der Butler in seiner höflichen Art. »Bauausschreibungen und Angebote der Firmen werden von einer zentralen Behörde bearbeitet.«
»Das sagte ich wohl auch«, fügte sie hinzu. »Sie haben sich inzwischen um eine entsprechende Adresse gekümmert, Mister Parker?«
»Sehr wohl, Mylady.« Parker verzichtete darauf, jetzt bereits einen Namen zu nennen. Agatha Simpson haßte es, mit Namen gefüttert zu werden. Um solche Details kümmerte sie sich grundsätzlich nicht, wie sie immer wieder betonte.
Man hatte inzwischen die Einfahrt zur Tiefgarage erreicht.
Parker hielt vor der Sperre, zog ein Ticket und wartete, bis der Balken hochschnellte. Als er anfuhr, blickte er in den Rückspiegel seines Wagens.
Der Austin hatte sich herangeschoben. Die linken Türen waren aufgestoßen worden, wurden aber schnell wieder zugeschlagen. Die beiden Mitfahrer hatten wohl die Absicht gehabt, das hochbeinige Gefährt bereits hier zu entern.
Doch Parker zeigte Entgegenkommen.
Er fuhr langsam weiter und schob sich auf die Wendel, die nach unten führte. Er wollte den Austin nicht abhängen, sondern im Gegenteil dazu animieren, dicht aufzuschließen. Dies gehörte mit zu seinem Plan.
Der Fahrer des Austin gab Gas, als er freie Fahrt hatte, und schloß erneut auf. Parker wurde immer schneller, schien erst jetzt zu bemerken, daß er verfolgt wurde, schraubte sich mit seinem Wagen hinunter auf das erste Parkdeck, wurde hier noch schneller, beschrieb einen Bogen durch das Deck und näherte sich dann wieder der Wendel, um das nächste Parkdeck zu erreichen.
Der Austinfahrer paßte sich der Geschwindigkeit an und merkte nicht, wie er von Parkers hochbeinigem Gefährt nachgezogen wurde. Als der Butler fast das nächste Parkdeck erreicht hatte, legte er einen der vielen Kipphebel auf dem damit reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett um und ließ eine schwarze Rußwolke unter dem Heck seines Wagens hervorschießen.
Dieser fette Film klatschte förmlich gegen die Windschutzscheibe des Austin und nahm dem Fahrer jede Sicht. Der Mann verriß automatisch das Steuer und ließ die Längsseite seines Wagens entlang der Betonwand schrammen.
Er produzierte damit ein mehr als häßliches Geräusch. Blech knirschte und Glas splitterte. Dann war ein Hupton zu vernehmen, der irgendwie anklagend-quälend klang.
Parker fuhr weiter, als wäre nichts geschehen.
Er befuhr die Wendel, die nach oben führte, und schob sein Ticket in die Zahl-Automatik. Gleichzeitig drückte er die Ruftaste für den Notdienst.
Der Lautsprecher krächzte und wimmerte, dann war eine menschliche Stimme zu vernehmen. Parker machte auf einen kleinen Unfall auf der Abfahrwendel aufmerksam, zahlte den Betrag für die Fahrt durch die Tiefgarage und fuhr zurück ans Tageslicht.
Die Verfolger waren abgehängt.
*
»Wer ist da?« fragte eine helle, nervös klingende Stimme, nachdem Parker an der Tür des Ateliers geläutet hatte. Diese Wohnung befand sich im Dach eines ehemaligen Hafengebäudes und schien recht geräumig zu sein.
»Lady Simpson mit ihrem Butler«, beantwortete Parker die Frage.
»Bauen Sie sich vor dem Spion auf«, verlangte die Stimme.
»Eine Falle«, flüsterte Agatha Simpson, doch Parker schien nichts gehört zu haben. Er ging ein wenig zurück, trat genau vor die Tür und zeigte sich. Dann lüftete er höflich und gemessen die schwarze Melone.
»Einen Moment«, kam es von drinnen. Danach wurden wenigstens drei Riegel zurückgezogen und eine Sperrkette ausgehakt. Spaltbreit öffnete sich die Tür, ein rundliches Gesicht war zu sehen.
»Lady Simpson ... Butler Parker«, hörte Stew Webster noch mal. »Sie können versichert sein, Mister Webster, daß Ihnen kein Ungemach droht.«
»Kommen Sie rein«, erwiderte der Mann. Er war untersetzt, ein wenig dicklich, etwa dreißig Jahre alt und hatte eine graue Gesichtsfarbe. Als Mylady und Parker im Korridor standen, schlug er die Tür hastig zu und verriegelte sie wieder. Es handelte sich tatsächlich um drei Riegel, wie Parker sah.
»Entschuldigen Sie mein Mißtrauen«, sagte Webster, »aber ich lebe seit einiger Zeit gefährlich. Man hat schon etliche Male versucht, mich in ein Hospital zu bringen.«
»Die Bau-Mafia scheint Ihre Recherchen nicht sonderlich zu schätzen, Mister Webster«, vermutete der Butler. Er folgte dem Journalisten in einen fast riesigen Wohnraum, der früher wohl als Maler-Atelier gedient hatte.
Es handelte sich um eine Art Einraum-Wohnung mit einer Schlafecke, einem Küchenabteil und einem Badezimmer, dessen Tür halb geöffnet war. Ein Teil der Ziegel war auf der Steilseite des Daches durch große Fensterscheiben ersetzt worden. Alles in diesem Atelier sah ein wenig unordentlich aus.
Unter dem riesigen Schrägfenster hatte Webster sich seinen Arbeitsplatz eingerichtet. Es gab eine Schreibtisch-Kombination in Winkelform, einen PC-Computer und einige Aktenböcke, die mit Zeitschriften und Magazinen beladen waren. Auf dem Teppich lagen Manuskripte und Papierknäuel.
»Martin Landby hat mich in der Nacht angerufen und von Ihnen erzählt«, sagte Webster. »Ich hatte mit Ihrem Kommen gerechnet Sie haben sich mit den ›Nullen‹ angelegt, nicht wahr?«
»Mit wem, Mister Webster?« fragte der Butler, ohne zu antworten.
»Mit den ›Nullen‹«, erwiderte der Journalist. »So nennen sich diese Gangster.«
»Ein ungewöhnlicher Name«, fand Parker.
»Nur dann ungewöhnlich, wenn man nicht weiß, wie diese Gauner arbeiten«, entgegnete Stew Webster und lächelte flüchtig. »Die Nullen spielen bei diesen Kriminellen eine sehr wichtige Rolle.«
»Die Sie Mylady erklären sollten«, schlug Josuah Parker vor.
»Alles zu seiner Zeit«, machte die ältere Dame sich bemerkbar. »Haben Sie nicht einen Kreislauf-Stabilisator zur Hand?«
»Einen was?« Webster blickte Mylady entgeistert an.
»Einen Cognac«, übersetzte sie, »oder von mir aus auch einen Brandy. Guter Gott, Sie wohnen ja fast unter dem Himmel, so viele Treppen mußte ich steigen.«
»Ich verstehe.« Webster lächelte wieder flüchtig. »Ich könnte mit einem Sherry dienen, Mylady.«
»Wie schön«, sagte Agatha Simpson und nickte wohlwollend. »Wenn er trinkbar ist, können Sie zur Sache kommen, junger Mann.«
Sie hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als es an der Tür läutete.
*
»Sind Sie... sind Sie beschattet worden?« fragte Webster, der zusammengezuckt war.
»Dies ist selbstverständlich nicht auszuschließen, Mister Webster, obwohl man drei Verfolger ausschalten konnte.«
»Die wollen mich mürbe machen«, flüsterte der Journalist. »Die läuten in unregelmäßigen Abständen und verschwinden dann wieder im Treppenhaus.«
Parker verzichtete auf eine Antwort und schritt zur Tür, hielt sich aber an der Wand des kleinen Ganges. Sein Instinkt sagte ihm, daß dies im Moment sicherer war.
Es klingelte erneut. Dann rief eine Stimme, man hätte ein Telegramm abzugeben.
Parker hatte die Tür erreicht, hütete sich aber, durch den Spion nach draußen zu blicken. Seine innere Alarmanlage signalisierte ihm höchste Gefahr. Seine Haut war wie elektrisiert, ein sicheres Zeichen dafür, daß Lebensgefahr bestand.
Josuah Parker hielt inzwischen eine kleine Spraydose in der rechten, schwarz behandschuhten Hand. Sie stammte aus einer seiner vielen Westentaschen. Er führte die Spray-Düse dicht an das recht große, normale Schlüsselloch heran und sprühte nach draußen. Er sorgte für eine große Dosis, denn er ging davon aus, daß ein Teil des Sprays im Schlüsselloch festgehalten wurde.
Plötzlich war ein Hüsteln zu vernehmen, das sich von Sekunde zu Sekunde steigerte und in quälendes Husten überging. Parker nutzte die Geräuschkulisse, um die drei Riegel zurückzuziehen. Doch vorerst hielt er die Tür noch geschlossen.
Lady Agatha und Stew Webster standen am Ende des Korridors und beobachteten Parker. Er hatte sich dünn gemacht und blieb hart an der Wand stehen. Er rechnete noch immer mit Schüssen durch die Tür, obwohl das Kribbeln auf seiner Haut sich inzwischen wieder gelegt hatte.
Das Husten ging fast schon in ein Röcheln über. Dann war ein dumpfer Aufschlag zu hören. Und genau jetzt riß Parker die Tür auf und sah sich einem Mann gegenüber, der auf die Knie gefallen war und den es durchschüttelte.
Neben dem Mann lag eine Schrotflinte, deren Läufe abgesägt waren. Der Mann spürte wohl, daß die Tür geöffnet worden war. Er wollte nach der Schußwaffe greifen, doch ein neuer Hustenanfall hinderte ihn daran.
Parker, der die Luft angehalten hatte, langte nach der Flinte und brachte sie erst mal in Sicherheit. Dann zog er sich zurück und versorgte sich im Korridor mit frischer Luft. Er schritt zurück, richtete die beiden Läufe auf den Hustenden und winkte ihn mit der linken Hand zu sich in den vorderen Teil des Korridors.
Der Mann verstand.
Er rutschte im Zeitlupentempo auf den Knien in die Wohnung, deren Tür Parker schloß und sicherte. Dann bat er Webster, für viel frische Luft zu sorgen. Der Journalist lief zurück zu der schrägen Fensterfront und zog einige der oberen Fensterpartien auf.
»Man wollte mich also wieder mal ermorden«, stellte die ältere Dame grimmig fest und versuchte energisch auf den Knieenden zuzugehen.
»Mylady sollten den Dunstkreis der Person vorerst tunlichst meiden«, warnte Josuah Parker. »Der Kleidung des Gastes könnten immer noch hustenauslösende Dämpfe entsteigen.«
»Papperlapapp«, meinte sie wegwerfend. »Ich bin gegen so etwas gefeit, Mister Parker, das sollten Sie doch wissen.«
Sie beugte sich über den Mann und hüstelte dann leicht.
*
»Das werde ich Ihnen so leicht nicht verzeihen, Mister Parker«, grollte Lady Agatha noch eine halbe Stunde später. Sie saß im Fond des Wagens neben Stew Webster und hüstelte noch immer. Sie hatte sich aber von ihrem veritablen Hustenanfall inzwischen erholt.
»Vielleicht hätte meine Wenigkeit noch eindringlicher warnen sollen und müssen«, erwiderte Parker höflich und gemessen wie stets.
»Darüber wird noch zu reden sein, Mister Parker«, räsonierte sie und wandte sich an Webster. »Daß Sie mir Ihr Leben zu verdanken haben, wissen Sie doch hoffentlich.«
»Die ... die werden mich umbringen, wenn sie mich erwischen«, meinte Webster leise. »Die scheuen vor nichts zurück.«
»Darum bot Mylady Ihnen auch an, die Umgebung zu wechseln«, erinnerte der Butler. »Sie haben den Vorzug, sich als Myladys Gast betrachten zu dürfen, falls Sie kein sicheres Ausweichquartier haben sollten.«
»Ich setze mich ab«, antwortete Webster. »Ich verschwinde ...«
»Vorher werde ich aber noch von Ihnen hören, junger Mann, wer diese Ziffern sind«, verlangte die ältere Dame energisch.
»Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch was sagen soll«, überlegte Webster halblaut.
»Ob Sie etwas sagen oder nicht, Mister Webster, man wird seitens der von Ihnen erwähnten Nullen alles daransetzen, Sie zum Schweigen zu bringen«, warnte der Butler. »Sicher sind Sie erst in dem Moment, in dem die sogenannten Nullen überführt und abgeurteilt sein werden.«
»Ziffern oder Nullen, was spielt das für eine Rolle?« machte die ältere Dame sich bemerkbar. »Ich will endlich Tatsachen hören, junger Mann. Ich habe mein Leben schließlich nicht umsonst riskiert.«
»Sie ließen anklingen, Mister Webster, das sprichwörtliche Weite suchen zu wollen«, erinnerte der Butler. »Darf man erfahren, was Sie sich konkret darunter vorstellen?«
»Ich habe Bekannte im Süden von London, da kann ich erst mal verschwinden.«
»Sind Sie sicher, daß man Sie dort nicht finden wird?«
»Ich denke schon«, meinte Stew Webster, »doch, doch, ich bin mir da absolut sicher.«
»Man wird Sie ein Stück des Weges begleiten und die Zeit nutzen, sich über die von Ihnen erwähnten Nullen zu unterhalten«, schlug Josuah Parker vor. »Den Zeitungen werden Sie dann später entnehmen können, wann Sie wieder nach London zurückkehren können.«
»Eine gute Lösung«, fand die Detektivin spontan. Ihre Stimme klang erleichtert und zufrieden. »In meinem Haus hätten Sie sich doch nur gelangweilt. Viel zu bieten habe ich wirklich nicht, das bezieht sich auch auf die Lebensumstände, junger Mann. Ich führe ein frugales Leben.«
Parker hatte die Fahrtrichtung gewechselt und steuerte nach der Überquerung der Themse Londons südliche Stadtteile an. Er benutzte eine der großen Ausfallstraßen und blieb während der Fahrt sehr wachsam. Er blickte immer wieder in den Rückspiegel und hielt Ausschau nach etwaigen Verfolgern.
Später verließ er dann die Ausfallstraße und benutzte wesentlich stillere Routen. In einer bereits ländlichen Umgebung in der Nähe von Croydon bog er noch mal ab und hielt dann vor einem kleinen Hotel.
»Es wurde aber auch wirklich höchste Zeit«, meinte Lady Agatha. »Ich muß unbedingt eine Kleinigkeit zu mir nehmen, Mister Parker. Aber Sie, junger Mann, müssen meinem Beispiel ja nicht unbedingt folgen.«
In dem Landhotel war man unter sich.
Vom Erker des Hauses aus, in dem man Platz genommen hatte, konnte der Butler die Zufahrtstraße und auch den Parkplatz einsehen. Er blieb wachsam und mißtrauisch. Die Tatsache, daß man Webster hatte ermorden wollen, ließ die Vermutung zu, daß dieser Journalist eine Menge zu sagen hatte.
Mylady bestellte sich eine Schlachtplatte und ließ sie noch mit einigen Köstlichkeiten anreichern. Sie runzelte mißbilligend die Stirn, als auch Stew Webster eine Bestellung aufgab. Obwohl er sich nur ein Steak ausgesucht hatte, warnte sie ihn vor der Erhöhung seines Cholesterinspiegels. Josuah Parker begnügte sich indes mit einer Fleischbrühe.
»Nun zu den erwähnten Nullen«, sagte der Butler, als die Bestellung aufgegeben war, und blickte den Journalisten interessiert an. »Sie sollten sich Mylady voll und ganz anvertrauen, Mister Webster.«
*
»Die Bau-Mafia arbeitet mit Nullen«, erzählte Webster und genoß sichtlich den erstaunten Blick der Dame. »Und diese Nullen haben mit den Angeboten zu tun, Mylady.«
»Das ist mir selbstverständlich klar, junger Mann«, gab sie zurück, »aber Sie sollten mir das dennoch erklären.«
»Die Behörden schreiben ein Bauvorhaben aus, Mylady, und legen dazu Leistungsverzeichnisse aus«, setzte Webster ihr und Josuah Parker auseinander. »Die Bewerberfirmen setzen ihre Preisangaben in die entsprechenden Spalten und reichen sie der Verwaltung ein, die dann später in einer Verdingungsverhandlung darüber entscheidet, welcher Anbieter am preiswertesten und günstigsten eine ausgeschriebene Arbeit übertragen bekommt.«
»Aha!« Agatha Simpson nickte heftig. »Völlig klar, junger Mann. Und was passiert dann? Wann erzählen Sie mir endlich etwas über diese Nullen?«
»Sofort, Mylady«, antwortete Webster und lächelte. »Der preiswerteste Anbieter bekommt also den Auftrag. Keiner der Anbieter aber, weiß, wie seine Konkurrenten kalkuliert haben. Findet er jetzt aber heraus, daß er weit unter seinen Konkurrenten liegt, könnte er Anpassungen nach oben vornehmen und die von ihm ursprünglich eingesetzten Preise entsprechend hinaufkorrigieren.«
»Was ist mit den Nullen?« verlangte die passionierte Detektivin energisch zu wissen.
»Aus hochgestellten Nullen, Mylady, die von Hand oder Schreibmaschine eingefügt wurden, kann man leicht die Ziffer Eins machen. Durch das nachträgliche Einfügen von Kommas kann man Summen natürlich verzehnfachen, oder aber bei Bedarf um ein Zehntel mindern.«
»Sehr gerissen«, urteilte Lady Agatha. Wenn es um Geld und Zahlen ging, war sie voll auf der Höhe. »Erzählen Sie weiter, junger Mann. Gibt es noch andere Tricks, um solche Angebote zu fälschen?«
»Nun ja, aus einer Eins kann man ohne weiteres eine Vier oder auch Sieben machen«, erwiderte Stew Webster. »Undeutliche Zahlen lassen sich leicht entsprechend manipulieren. Man arbeitet aber auch nach folgenden Methoden, Mylady: Man reicht einzelne Blätter der ausgefüllten Leistungsverzeichnisse einfach doppelt ein und läßt später die Seiten verschwinden, die nicht mehr interessant sind.«
»Faszinierend«, fand Lady Agatha. »Dem Betrug sind alle Türen und Tore geöffnet.«
»Die Frage erhebt sich, Mister Webster, wie die betreffenden Bauunternehmer an ihre eingereichten Leistungsverzeichnisse wieder herankommen«, stellte der Butler fest. »Und woher wissen sie, welche Zahlen ihre Konkurrenten eingesetzt haben?«
»Genau das ist der Punkt«, sagte Webster. »Die Betrüger müssen natürlich an die Konkurrenz-Unterlagen herankommen. Wissen Sie, wie sicher die eingereichten Leistungsverzeichnisse verwahrt werden?«
»Sie werden es Mylady bestimmt gleich sagen, Mister Webster.«
»Die einfachste Methode ist natürlich, man arbeitet mit einer Person im Amt zusammen, die Zugang zu den Angeboten hat«, äußerte Stew Webster. »Dann kann man in aller Ruhe vergleichen und Korrekturen vornehmen. Oder aber man verschafft sich einfach diesen Zugang.«
»Man stattet diesen Ämtern nächtliche Besuche ab, wie anzunehmen ist, nicht wahr, Mister Webster?«
»Genau, Mister Parker«, bestätigte Webster. »Durch Schmieren, Schlamperei oder auch Einbruch kommt man an die Angebote heran. Und die Nullen, von denen ich sprach, erledigen das für ihre Mitglieder.«
»Ein demnach wirklich nicht unpassender Name einer kriminellen Vereinigung«, urteilte Josuah Parker.
»Gab es früher nicht sogenannte Firmenabsprachen? Mylady hatten geruht, sich mal mit solchen Machenschaften zu beschäftigen.«
»Tatsächlich?« staunte Agatha Simpson, nickte dann aber nachdrücklich. »Richtig, Mister Parker, ich war damals ebenfalls sehr erfolgreich.«
»Ich kenne diese Masche natürlich«, gab Webster zurück. »Innerhalb der einreichenden Firmen verständigt man sich darüber, wer das preiswerteste Angebot abgeben durfte. Derjenige, der den Auftrag erhielt, zahlte an seine angeblichen Mitbewerber dann sogenannte Ausfallprämien.«
»Wobei zu betonen ist, daß der preiswerteste Anbieter immer noch wesentlich überhöhte Preise offerieren konnte, die die Prämien an seine Mitbewerber bereits enthielten«, sagte Parker. »Wird nach dieser Methode nicht mehr gearbeitet, Mister Webster?«
»Nicht mehr, seitdem die Ausschreibungen überregional vorgenommen werden«, antwortete der Journalist. »Preisabsprachen sind da nur noch schwer möglich. Jetzt bevorzugt man die neue Methode. Ich will natürlich nicht ausschließen, daß es nach wie vor interne Preisabsprachen gibt. Diese Kriminellen arbeiten mit allen Maschen.«
»Und ich als Steuerzahler muß dafür bluten«, seufzte die ältere Dame geradezu tragisch.
»Selbstverständlich geht das alles zu Lasten der Steuerzahler«, pflichtete Webster ihr bei. »Einige wenige bereichern sich auf Kosten der Gesamtheit.«
»Falls man Sie recht verstanden hat, Mister Webster, sind die erwähnten Korrekturen und Manipulationen nur in den entsprechenden Bauämtern vorzunehmen?« wollte der Butler wissen.
»Dort liegen schließlich die eingereichten Leistungsverzeichnisse«, stimmte der Journalist zu. »Diese Unterlagen werden nach dem Einreichen pro Seite abgestempelt und gesichert. Wie sicher dieses Verfahren aber wirklich ist, habe ich Ihnen ja gerade erzählt.«
»Sie verfügen über Namen jener Personen, die man in den entsprechenden Ämtern korrumpiert, Mister Webster?«
»Es gibt gewisse Verdachtsmomente«, erwiderte der Journalist. »Beweisen kann ich aber vorerst noch nichts.«
»Das überlassen Sie mir, junger Mann«, warf Lady Agatha grimmig ein. »Ich werde diese Durchstechereien aufdecken, nicht wahr, Mister Parker?«
»Mylady sprachen in der Tat von einem Sumpf, den es auszutrocknen gilt«, erinnerte der Butler, der sich dann wieder Webster zuwandte. »Sie wollten einige Namen nennen.«
»Ray Stifton«, lautete die lakonische Antwort. »Er leitet die überregionale Baubehörde.«
»Sie hegen demnach einen bestimmten Verdacht gegen Mister Stifton?« setzte Parker nach.
»Ich will’s mal so sagen, Mister Parker: In seinem Büro landen die Angebote und Leistungsverzeichnisse, die dann von seinen Mitarbeitern registriert, bearbeitet und verglichen werden.«
»Sie sollten weitere Namen niederschreiben, Mister Webster«, schlug der Butler vor. »Mylady wünscht vor allen Dingen zu erfahren, wer Ihrer Ansicht nach die Bau-Mafia leitet.«
»Artie Bellow«, antwortete Webster und senkte unwillkürlich die Stimme. »Er ist selbständiger Statiker, war früher aber mal bei der Baubehörde tätig. Der Mann scheint sehr gut zu verdienen.«
»Und aus welchen Gründen halten Sie Mister Bellow für den Kopf der Bau-Mafia?«
»Er hat ein paar Lagerhäuser aufgekauft und umbauen lassen. Draußen in Wapping. Ich nehme an, daß er Mafia-Gelder aus dem Handel mit Drogen gewaschen und angelegt hat. Bellow ist ein sehr dubioser Typ, der sich auf den Partys der Unterwelt blicken läßt und bei diesen Leuten ganz gut angesehen ist.«
»Hoffentlich ist Ihr angestrebter Aufenthaltsort sicher«, meinte der Butler.
»Hoffentlich wird bald serviert«, fügte Lady Agatha grollend hinzu. »Ich werde noch drei Minuten warten, länger nicht.«
»Der Imbiß, Mylady«, meldete Parker, der zur Küche hinübergeblickt hatte. Der Wirt erschien mit der Schlachtplatte. Myladys Gesicht entspannte sich und wurde weich. Sie leckte sich verstohlen die Lippen.
*
Man hatte Stew Webster an einem Bahnhof abgesetzt und war dann in die Stadt zurückgefahren. Der Journalist war in Richtung Seebad Brighton unterwegs und wollte sich telefonisch melden, sobald er sein Ziel erreicht hatte.
»Was hatte ich denn noch für den Rest des Tages geplant, Mister Parker?« wollte die ältere Dame von ihrem Butler wissen. »Da war doch etwas, oder?«
»Mylady dachten sicher, Mister Artie Bellow einen Besuch abzustatten«, vermutete Parker zielsicher.
»Völlig richtig«, stimmte sie sofort zu. »Und wer ist das, Mister Parker?«
»Mister Artie Bellow ist Statiker, Mylady, er war früher bei der Baubehörde tätig«, gab Parker Auskunft.
»Und er ist der Kopf dieser Nullen«, behauptete sie umgehend und mit viel Nachdruck. »Wer sonst als er sollte die Unterlagen manipulieren, Mister Parker? Ich hoffe, Sie sind meiner Meinung.«
»Wie Mylady zu wünschen geruhen.«
»Ich werde dieses Subjekt überführen, Mister Parker.«
»Es dürfte gegen Mylady so gut wie keine Chance haben.«
»Ich brauche nur noch ein paar handfeste Beweise«, verlangte sie. »Sie werden dafür sorgen, Mister Parker.«
»Meine Wenigkeit wird sich immer strebend bemühen, Mylady.«
»Zudem werde ich auch noch die Handlanger dieses Kriminellen hinter Schloß und Riegel bringen.«
»Chief-Superintendent McWarden wird wieder mal ungemein dankbar sein müssen.«
Agatha Simpson nickte, lächelte versonnen und teilte ihrem Butler mit, sie habe die Absicht, noch ein wenig zu meditieren. Dann kuschelte sie sich wie eine Riesenglucke in der Ecke zurecht, schloß die Augen und gab sich ihren Gedanken hin. Sie besorgte das sehr gründlich, wie erste Schnarchtöne bewiesen.
Parker dachte über die Hinweise des Journalisten nach. Was er da gehört hatte, war neu für ihn. Er kannte von ähnlich gelagerten Fällen her die Preisabsprachen, daß nun aber die Angebote selbst gefälscht Wurden, war ihm neu. Ein kleiner Kreis von Anbietern wollte damit überregionale Firmen ausschalten, die sich an Ausschreibungen beteiligten.
Ging es hier um Korruption, waren Angestellte der überörtlichen Baubehörden daran beteiligt? Oder verschaffte man sich heimlich Zugang zu den bereits eingereichten Unterlagen?
Wie groß mochte der Kreis der kriminellen Anbieter sein? Wie konnte man die Gangster überführen?
Der Journalist Webster hatte ihm noch einige Namen genannt und niedergeschrieben. Dabei handelte es sich um Mitarbeiter im überregionalen Büro der Baubehörde.
Gab es hier eine undichte Stelle? Stew Webster hatte nur Vermutungen geäußert und sich auf keine bestimmte Person festlegen wollen.
Der Überfall aber auf ihn sprach Bände. Man wollte diesen unbequemen Journalisten ausschalten, fürchtete seine weiteren Ermittlungen. Webster schien demnach auf der richtigen Fährte zu sein.
Die Nullen – Parker blieb bei dieser Bezeichnung – wußten nun nach dem mißglückten Attentat, daß Mylady und er, Josuah Parker, den Journalisten aufgesucht hatten. Sie konnten sich also leicht ausrechnen, daß Webster Namen genannt hatte. Folglich hatten die Gangster inzwischen Zeit, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.
Demnach erwartete ein gewisser Artie Bellow baldigen Besuch. Parker hatte vor, diesen Mann nicht zu enttäuschen.
*
Artie Bellow mochte etwa vierzig sein, war groß, schlank und hatte ein gutgeschnittenes, tief gebräuntes Gesicht. Er schien regelmäßig eine Sonnenbank aufzusuchen. Sein Statik-Büro befand sich in der obersten Etage eines ehemaligen Lagerschuppens, den man umgebaut und innen neu ausstaffiert hatte.
Alles war jetzt auf dem modernsten Stand. Die Messingschilder links und rechts am Eingang zu diesem Bürohaus zeigten an, daß viele Firmen hier ansässig waren. Wapping war in jüngster Zeit zu einer guten Adresse geworden.
Bisher hatte der Stadtteil von seiner Vergangenheit gezehrt, war aber heruntergekommen. Die vielen großen und kleinen Lagerhallen an den Kais der ausgedehnten Hafenanlagen waren jahrelang gemieden worden, doch nun blühte Wapping neu auf. Es herrschte ein wahrer Bauboom.
Artie Bellows Firma bestand aus einem Großraum-Büro und einigen abgetrennten Arbeitsräumen. Der Statiker, der laut Webster für die Mafia tätig war, empfing seine Besucher privat und gab sich überaus höflich. Er bot sofort Erfrischungen an, und Lady Simpson konnte wieder mal nicht widerstehen. Sie verlangte einen französischen Cognac, den Artie Bellow umgehend reichte.
»Kann Lady Simpson davon ausgehen, Mister Bellow, daß dieser Besuch bereits angekündigt wurde?« fragte Parker.
»Angekündigt? Wer sollte das getan haben?« Artie Bellow blickte den Butler erstaunt an und schüttelte den Kopf.
»Es könnte sich um den Besitzer einer doppelläufigen Schrotflinte gehandelt haben, deren Ladung für einen gewissen Mister Stew Webster gedacht war.«
»Ich verstehe kein Wort«, erwiderte Bellow und runzelte die Stirn. »Das heißt, einen Webster kenne ich. Ist das nicht ein freier Journalist, der sich auf Enthüllungen spezialisiert hat?«
»Er muß Sie in jüngster Vergangenheit einige Male kontaktiert haben, Mister Bellow.«
»Richtig«, bestätigte der Statiker. »Er ist da Leuten auf der Spur, die sich die Nullen nennen, was immer man sich darunter auch vorstellen mag.«
»Diese Nullen, Mister Bellow, sollen Leistungsverzeichnisse für ausgeschriebene Bauvorhaben fälschen«, präzisierte der Butler.
»Davon hat er geredet«, bestätigte Artie Bellow erneut. »Offen gesagt, es handelte sich um ungereimtes Zeug und wilde Vermutungen.«
»Sie können sich demnach solche Manipulationen überhaupt nicht vorstellen, Mister Bellow?«
»Möglich ist schließlich alles«, erwiderte der Statiker und grinste. »Aber ich wundere mich, wieso er ausgerechnet von mir Details zu diesen Ausschreibungen erwartet. Sie müssen wissen, daß ich damit überhaupt nichts zu tun habe. Mein Büro reicht keine Angebote ein, ich werde von den Firmen beauftragt, die von den Behörden einen Zuschlag bekommen haben.«
»Sie sind also ein reines Unschuldslamm, wie?« schaltete die ältere Dame sich ein und lächelte hintergründig.
»Nur, was die Ausschreibungen betrifft, Mylady«, gab Bellow lächelnd zurück. »Ansonsten lege ich für mich keine Hand ins Feuer, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Man hält Sie für den Kopf einer Gang«, fügte die Detektivin hinzu. »Sie sollen sogar für die Mafia arbeiten. Ihr Cognac ist übrigens recht passabel, junger Mann.«
»Hat dieser Webster behauptet, ich würde für die Mafia arbeiten?«
Artie Bellow stand auf und füllte Myladys Cognacschwenker.
»Dies stammt aus anderen Quellen, Mister Bellow«, schwindelte der Butler. »Sie haben beruflich mit einem gewissen Mister Ray Stifton zu tun, nicht wahr?«
»Sehr oft sogar«, bestätigte Bellow. »Seine Behörde prüft schließlich die statischen Unterlagen, die die Firmen einreichen und die ich erstellt habe. Es gibt sogar enge Kontakte mit Stiftons Büro. Will man ihm auch etwas anhängen?«
»Es soll Beweise dafür geben, daß in dem überregionalen Planungsbüro des Mister Stifton Angebotsfälschungen vorgenommen wurden, Mister Bellow.«
»Und weshalb geht man dann nicht zur Polizei und erhebt Anzeige?« fragte Bellow.
»Mister... Sie verzeihen, wenn meine Wenigkeit den Namen nicht nennen möchte, Mister X also, um es mal so zu umschreiben, fürchtet um sein Leben, nachdem er von Gangstern belästigt und auch seine Tochter erheblich behelligt worden ist.«
»Ich weiß natürlich nicht, wovon Sie sprechen«, entgegnete Bellow. »Aber glauben Sie mir als Insider, daß in der gesamten Baubranche Futterneid herrscht. Und das ist aus meiner Sicht heraus sogar verständlich. Die Firmen, die keinen Auftrag erhalten, werden natürlich immer vermuten, man habe sie ausgetrickst. Es geht schließlich bei öffentlichen Bauvorhaben um immense Summen.«
»Sie haben nichts dagegen, junger Mann, daß Sie auf meiner Liste der verdächtigen Personen bleiben, ja?« Lady Simpson lächelte freundlich.
»Überhaupt nicht, Mylady«, meinte Bellow und lächelte ebenfalls. »Ich kann Sie schließlich nicht daran hindern, einer falschen Spur nachzugehen.«
*
»Ein sehr enttäuschender Besuch, Mister Parker«, sagte die ältere Dame verärgert. Man hatte sich von Artie Bellow verabschiedet und befand sich inzwischen wieder im Treppenhaus des ehemaligen Lagerhauses. »Er hat ja noch nicht mal versucht, mir richtig zu drohen.«
»Mister Artie Bellow weiß inzwischen längst, wer Mylady sind«, gab der Butler zurück. »Ihm dürfte längst bekannt sein, daß man Mylady mit Drohungen keineswegs zu beeindrucken vermag.«
»Und wo sind seine Schläger?« grollte sie enttäuscht. »Weit und breit war nichts zu sehen.«
»Hier im Haus dürfte mit solchen Überraschungen kaum zu rechnen sein, Mylady«, entgegnete der Butler. »Eine echte Gefahr droht ab sofort auf den nahen Straßen.«
»Genau darauf wollte ich hinweisen«, behauptete sie. »Ich rechne mit Scharfschützen, Mister Parker.«
»Oder vielleicht auch mit Baufahrzeugen, die einen Unfall herbeiführen sollen.«
»Das natürlich auch«, sagte die Detektivin. »Sie werden also sehr wachsam sein müssen, Mister Parker.«
»Auch einen Überfall knapp vor dem Haus sollte man nicht ausschließen, Mylady.«
»Oder bereits hier im Haus.« Sie deutete nach unten. Auf der Treppe waren Stimmen und schnelle Schritte zu vernehmen.
Parker beugte sich ein wenig über das Eisengeländer und überprüfte die Situation. Er hatte einen günstigen Augenblick gewählt. Er entdeckte zwei Männer in weißen Overalls, die gerade einen Treppenabsatz erreicht hatten. Sie machten einen durchaus schlagkräftigen Eindruck.
Wenig später kam man sich bereits entgegen.
Die beiden Männer blickten neugierig zu Mylady und Parker hoch, wechselten einige Worte und lachten dann verstohlen. Agatha Simpson hatte ihren perlenbestickten Pompadour bereits in erste Schwingungen versetzt und wartete darauf, ihn einsetzen zu können. Auch Parker bereitete sich auf ein Scharmützel vor.
Die beiden Männer kamen näher und gingen dann hintereinander, um Platz auf der Steintreppe zu schaffen. Lady Agatha ließ plötzlich ihren Pompadour kreisen und erregte damit natürlich Aufmerksamkeit.
»Man wünscht einen freundlichen guten Morgen«, sagte Josuah Parker, als die Kontrahenten sich fast erreicht hatten.
Lady Agatha wünschte den Entgegenkommenden überhaupt nichts. Sie gab die langen Lederschnüre frei, die den Pompadour mit ihrer Hand verbanden.
Der neckisch aussehende Handbeutel schwang kraftvoll nach vorn und senkte sich zugleich. Er landete ungewöhnlich zielsicher auf der rechten Schulter des ersten Mannes, der völlig überrascht wurde.
Der Getroffene ging automatisch in die Knie und fiel dann gegen den Begleiter hinter ihm. Auch dieser Mann strauchelte, verlor das Gleichgewicht und rutschte auf der Kante einer Stufe aus. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die beiden Männer übereinander nach unten purzelten und spitze Schreie ausstießen.
»Sie haben hoffentlich mitbekommen, Mister Parker, daß ich angegriffen wurde«, wandte sich die passionierte Detektivin an ihren Butler.
»Es hatte zumindest den Anschein«, erwiderte Parker in seiner bekannt höflichen Art. Dann stieg er nach unten und kümmerte sich um die Treppensteiger, die inzwischen damit beschäftigt waren, ihre Glieder einem ersten Sortieren zu unterziehen.
*
»Aber es hätten Gangster sein können«, meinte die ältere Dame zehn Minuten später hartnäckig. »Hoffentlich streiten Sie das nicht ab, Mister Parker.«
»Man nahm Myladys Entschuldigung freundlicherweise an«, erinnerte der Butler.
»Und pro Person zehn Pfund Schmerzensgeld«, ärgerte sich Lady Agatha noch mal nachträglich. »Sie waren wieder zu großzügig mit meinem sauer verdienten Geld, Mister Parker. Fünf Pfund oder nur drei hätten es auch getan.«
»Die beiden Männer waren ein wenig empört«, gab der Butler zu bedenken.
»Nun, wie auch immer.« Sie hatte mit Parker die Eingangshalle des Bürokomplexes erreicht und hielt auf die Glastür zu. »Ich werde dieses Thema nicht weiter vertiefen, Mister Parker, aber ich erwarte jetzt einen wirklichen Überfall.«
»Könnten Mylady sich dazu entschließen, ihn vom Kellergeschoß des Hauses aus zu beobachten?« Parker deutete mit der Schirmspitze diskret auf die Treppe, die in die unteren Räume führte. Es gab hier eine farbdurchwirkte Sperrkette, die diese Treppe sicherte.
»Und was verspreche ich mir davon?« fragte die ältere Dame lustlos.
»Eine Entlarvung möglicher Schützen, Mylady.«
»Sie glauben, daß sie sich zeigen werden?« Agatha Simpson lächelte ironisch.
»Man wird die Geduld verlieren, wenn Mylady nicht im Eingang zu erscheinen geruhen. Sie werden sich vielleicht zeigen.«
»Ein hübscher Trick, der von mir sein könnte, Mister Parker.« Sie war einverstanden. Der Butler hob die Kette hoch, damit seine Herrin bequem die dahinter liegende Treppe erreichte. Dann folgte er, übernahm die Führung und entdeckte unten an der Stirnwand einer kleinen Halle Hinweistafeln in Schablonenschrift.
Parker bog nach links ab, folgte Richtungspfeilen und erreichte eine Tür, hinter der ein Treppenaufgang zu sehen war. Die Tür blieb nur wenige Augenblicke verschlossen.
Parker benutzte sein kleines Spezialbesteck, um das Schloß zu öffnen, und trat nach draußen. Er hielt bereits die Gabelschleuder in den schwarz behandschuhten Händen, stieg einige Stufen hoch und beobachtete von hier aus die Fenster- und Dachfront des gegenüberliegenden Lagerhauses, das noch nicht umgebaut war.
Ein Baugerüst war bereits vorhanden. Es gab leere Fensterhöhlen und Mauereinrisse in den oberen Etagen. Für einen Scharfschützen war das der geeignete Ort, hier auf seine Opfer zu warten.
Und es gab einen Scharfschützen, wie Parker ausmachte!
In einem ausgebrochenen Fenster erschien eine Gestalt, die sich vorsichtig vorbeugte, um die Straße besser einsehen zu können. Für Parkers Schleuder war die Entfernung allerdings zu groß.
Der Butler hatte es immerhin mit fast hundert Metern zu tun. Über eine solche Distanz konnte er keinen Wirkungstreffer anbringen.
Er entschied sich für die Geduld, trat vorsichtig wieder nach unten und lieferten der älteren Dame einen knappen Situationsbericht.
»Und wie werde ich jetzt reagieren?« wollte sie ungeduldig wissen.
»Hätten Sie nicht besser eine Schußwaffe mitnehmen sollen, Mister Parker?«
»Sie könnte irreparable Verletzungen hervorrufen oder gar den Tod herbeiführen, Mylady«, entgegnete der Butler. »In diesem speziellen Fall setzen Mylady sicher auf die Neugier des Schützen, der seinen bezahlten Auftrag erfüllen möchte.«
Seine Rechnung ging auf.
Es dauerte etwa fünf Minuten, bis aus dem gegenüberliegenden Lagerhaus ein Mann trat, der einen leichten Staubmantel trug, den er nicht geschlossen hatte. Er hatte den linken Arm gegen Mantel und Körper gepreßt und schien etwas festzuhalten. Parker tippte auf ein Gewehr.
Der Unbekannte näherte sich dem Parkplatz, auf dem das hochbeinige Gefährt des Butlers stand.
Als der Mann die richtige Position erreicht hatte, verschoß Parker mit seiner Gabelschleuder eine hart gebrannte Ton-Erbse.
*
Es riß ihm die Beine unter dem Leib weg.
Der Mann fiel seitlich zu Boden, überschlug sich fast und blieb regungslos auf dem Gehweg liegen. Dabei fiel sein Staubmantel auf und gab ein Gewehr mit Zielfernrohr frei.
Josuah Parker hatte diesen potentieller Schützen oder auch Mörder gerade erreicht, als aus dem modernisierten Lagerhaus zwei weitere Männer kamen, die ihren Schwung bremsten und erstaunt auf den Liegenden und dann auf Parker blickten.
»Was ... was ist denn hier passiert?« fragte einer der beiden, die einen durchaus unverdächtigen Eindruck machten.
»Es dürfte sich um einen bedauerlichen Kreislaufkollaps handeln«, antwortete der Butler. »Würden Sie die Güte haben, die Person in den Wagen dort zu setzen? Sie bedarf sofortiger ärztlicher Hilfe.«
Er ließ die beiden Männer nicht aus den Augen. Es schienen Angestellte aus einem Büro des Hauses zu sein.
Parker öffnete die hintere Tür seines hochbeinigen Monstrums und lüftete überaus dankbar die schwarze Melone, als der Schütze nach wenigen Augenblicken auf dem Rücksitz lag. Parker hielt das Gewehr in Händen und stellte es vorn zwischen die beiden Sitze.
»Was wollte der Mann mit dem Gewehr?« fragte einer der beiden Hilfsbereiten ein wenig mißtrauisch.
»Kennen Sie keinen Kammeijäger?« blaffte Lady Agatha die Männer an und nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
»Kammeijäger?« fragte der Mann verblüfft.
»Es geht um die Rattenplage«, fügte Parker hinzu. Er war bereits um den Wagen herumgegangen und setzte sich ans Steuer. Bevor weitere Fragen gestellt werden konnten, fuhr der Butler schon an.
Er sorgte dafür, daß die Trennscheibe zwischen Fond und Vordersitzen aus ihrer Versenkung nach oben schoß. Es handelte sich dabei um schußsicheres Glas, das keine Überraschung zuließ.
»Mylady waren überzeugend, wenn meine Wenigkeit dies sagen darf«, ließ Parker sich vernehmen.
»Ich weiß, Mister Parker«, erwiderte sie selbstzufrieden. »Meine Geistesgegenwart verblüfft mich selbst immer wieder. So etwas ist angeboren.«
Parker blickte in den Rückspiegel.
Der potentielle Schütze, der nun keiner mehr war, regte sich bereits, stöhnte verhalten und faßte sich dann mit einer fahrigen Geste an den Hinterkopf. Dort war die Stelle, an der die Ton-Erbse gelandet war. Dann richtete der Mann sich mühsam auf und brauchte einige Sekunden, bis er sich zurechtgefunden hatte.
»Man wird sich intensiv um Sie kümmern«, sagte Parker über die Wechselsprechanlage nach hinten. »Sie werden in jedem Fall einige Fragen beantworten müssen.«
Der Mann langte nach dem linken Griff und wollte die Wagentür aufstoßen. Da das hochbeinige Monstrum relativ langsam fuhr, hatte er wohl‘ die Absicht, sich auf die Fahrbahn fallen zu lassen.
Die hinteren Wagentüren waren natürlich zentral verriegelt worden. Der Mann rüttelte wütend an der Klinke, gab dann die Versuche auf und hielt plötzlich einen Schuh in der rechten Hand. Damit wollte er die Trennscheibe einschlagen.
»Sie werden sich Ihre Fußbekleidung ruinieren«, meinte Parker gemessen. »Gehen Sie davon aus, daß es sich um eine Scheibe aus Panzerglas handelt. Rechnen Sie aber auch zusätzlich damit, daß es möglicherweise gleich zu einem schweren Verkehrsunfall kommt. Mylady setzt zumindest auf einen schweren Lastwagen, der nur darauf wartet, dieses Fahrzeug hier rammen zu können.«
»Sie werden danach nicht gut aussehen, junger Mann«, schaltete die ältere Dame sich ein.
»Stopp, fahren Sie zurück«, erwiderte der Mitfahrer umgehend. Er hatte sich bereits entschieden. »Halten Sie doch schon! Fahren Sie zurück! Nehmen Sie die Straße in Richtung Stepney, aber schnell.«
»Gibt es einen stichhaltigen Grund für diese Empfehlung?« wollte Josuah Parker wissen.
»Zwei Laster«, lautete die nervöse Antwort, »stehen drüben in den Seitenstraßen.«
*
Chief-Superintendent McWarden leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit dem organisierten Verbrechen befaßte. Er war dem Innenministerium direkt unterstellt, ein sehr fähiger Kriminalist und zugleich ein Freund des Hauses Simpson.
McWarden war untersetzt, füllig und hatte das Gesicht einer stets gereizten Bulldogge. Seine leicht hervorstehenden Basedowaugen unterstrichen diesen Eindruck noch besonders. Er mochte an die fünfundfünfzig sein und suchte und fand immer wieder Rat bei Butler Parker, wenn er mit seinen Ermittlungen nicht weiterkam.
Darüber hinaus schätzte er Lady Simpson, die auf alle Konventionen pfiff und vor allen Dingen die finanziellen Mittel besaß, die seine Dienststelle nicht zur Verfügung hatte. Agatha Simpson konnte sich Dinge leisten, von denen er nur träumte. McWarden war an dienstliche Weisungen gebunden, an die er sich strikt halten mußte. Dadurch waren ihm oft die Hände gebunden.
An diesem frühen Nachmittag hatte er sich in Shepherd’s Market eingefunden und war zu seiner Überraschung von Mylady zu einer Tasse Tee eingeladen worden. Er kannte schließlich ihre ausgeprägte Sparsamkeit.
»Wir haben diesen Burschen schnell identifizieren können, Mylady«, sagte er. »Er ist ein langgesuchter Killer, dem wir jetzt den Prozeß machen.«
»Diese Person, Sir, deren Name wohl unwichtig ist, lehnt es sicher ab, den Namen des Auftraggebers zu nennen.«
»Stimmt haargenau, Mister Parker«, antwortete der Chief-Superintendent. »Aus solchen Typen ist grundsätzlich nichts herauszuholen. Aber ich kann wohl davon ausgehen, daß Sie mir einen Tip geben können, oder? Es ist ja klar, daß er Mylady und Sie niederschießen wollte.«
»Mylady erfreut sich in der Unterwelt besonderer Aufmerksamkeit, Sir.«
»Es geht demnach nicht um einen aktuellen Fall?« Er blickte Agatha Simpson betont an.
»Geht es um einen aktuellen Fall, Mister Parker?« fragte die Hausherrin umgehend in Richtung Parker.
»Mylady dürften sich den Unmut einer sogenannten Bau-Mafia zugezogen haben«, antwortete Parker.
»Bau-Mafia? Nie von gehört.« McWarden schüttelte langsam den Kopf. »Sie bieten mir eine falsche Spur an, wie?«
»Es handelt sich um eine sogenannte Bau-Mafia«, wiederholte der Butler. »Es geht um Korruption und Angebotsabsprachen, um es pauschal mal so zu nennen.«
»Ich bin ehrlich verblüfft«, bekannte der Chief-Superintendent. »So etwas ist auf meinem Schreibtisch bisher noch nie gelandet.«
»Es geht um Ziffern, mein Bester«, schaltete die ältere Dame sich ein. »Es wundert mich übrigens überhaupt nicht, daß Sie wieder mal nicht Bescheid wissen.«
»Es handelt sich um sogenannte Nullen, wie diese kriminelle Vereinigung genannt wird«, präzisierte der Butler. »Einzelheiten dazu später, falls es gewünscht wird.«
»Handelt es sich um verbotene Preisabsprachen, Mister Parker?«
»Auch dies, Sir«, redete der Butler weiter. »In diesem Zusammenhang wäre es von außerordentlichem Nutzen, könnte Mylady etwas über einen Mister Artie Bellow erfahren. Möglicherweise ist er Ihrer Behörde bereits bekannt.«
»Artie Bellow?« McWarden ließ den Namen förmlich auf der Zunge zergehen. »Und ob dieser Name mir etwas sagt, Mister Parker! Bellow legt für die sattsam bekannte, reguläre Mafia gewaschene Gelder an. Sie wissen, was ich mit dem Ausdruck regulär meine, nicht wahr?«
»Sie denken an die international agierende Mafia, Sir, der man bisher noch nicht beikommen konnte.«
»Die genau meine ich. Bellow legt mit Sicherheit Drogengeld hier in London an. Aber zurück zu dieser Bau-Mafia! Lohnt es sich denn, mit Angebotsabsprachen zu arbeiten?«
»Durchaus, Sir«, gab Parker zurück. »Es geht um Millionenbeträge innerhalb Londons.«
»Es geht um meine Steuern«, entrüstete sich die ältere Dame. »Ich denke nicht daran, damit diese Bau-Mafia zu fördern, McWarden.«
»Sie verfügen bereits über gewisse Erkenntnisse?« tippte der hohe Yard-Beamte an. Er blickte gespannt auf Lady Simpson.
»Wenden Sie sich an Mister Parker«, sagte sie. »Um Details pflege ich mich nie zu kümmern.«
»Spuren deuten darauf hin, Sir, daß Mister Bellow seine Hand im Spiel hat«, entgegnete Parker. »Er könnte gewisse Verbindungen zur überregionalen Bau- und Planungsbehörde der Stadt haben.«
»Mit anderen Worten, Mister Parker, ich sollte ihn von meinen Leuten beschatten lassen, ja?« McWarden war hellhörig geworden.
»In der Tat, Sir«, erwiderte der Butler. »Es würde durchaus nicht schaden, wenn Mister Bellow merkte, daß man ihn behördlicherseits beschattet.«
»Und was bezwecken Sie damit?« McWarden wußte bereits die Antwort und lächelte wissend. »Bellow soll wohl die Überwacher abschütteln und sich sicher fühlen, ja?«
»Eine Interpretation, Sir, die man nur als richtig bezeichnen kann.«
»Bellow wird darüber hinaus aber auch noch von Ihren Bekannten observiert, oder?«
»Wie könnte man auch nur andeutungsweise hoffen, Sir, Sie täuschen zu können?!«
»Nun gut, ich werde Ihnen Schützenhilfe leisten«, meinte der Chief-Superintendent. »Ich werde meine Leute anweisen, sich ein wenig tolpatschig zu benehmen.«
»Darauf brauchen sie nicht besonders hingewiesen zu werden, mein lieber McWarden«, stichelte Lady Agatha ironisch.
»Passen Sie auf sich auf«, warnte der Chief-Superintendent, der die Anspielung überhörte. »Denken Sie an den Killer, den man auf Sie angesetzt hat. Dieser Mann gehört zur Meisterklasse in seiner Laufbahn.«
»Ein blutiger Anfänger ist das, den ich mit leichter Hand ausschalten konnte«, gab die ältere Dame zurück. »Er hatte gegen mich nicht den Hauch einer Chance. War es nicht so, Mister Parker?«
»Mylady setzten geradezu neue Maßstäbe«, behauptete Josuah Parker. Sein glattes Pokergesicht zeigte auch jetzt keine Regung. Er war der hochherrschaftliche Butler, den nichts zu erschüttern vermochte.
*
McWarden war gerade gegangen, als das Telefon läutete. Der Butler hob ab und meldete sich.
»Man wünscht ebenfalls einen guten Tag, Mister Webster«, sagte er, nachdem er einen Augenblick zugehört hatte. Er schaltete den Raumverstärker ein, damit Lady Agatha vom Sessel in der Halle aus die Unterhaltung mitverfolgen konnte.
»Ich bin bestens angekommen, Mister Parker«, sagte der Journalist. »Keine Probleme. Ich bin hier sicher und habe nichts zu befürchten. Wie weit sind Sie inzwischen gekommen? Haben Sie Bellow unter die Lupe genommen?«
»Mister Bellow erwies sich als das, was man gemeinhin einen glatten Typ zu nennen pflegt, Mister Webster. Er weiß natürlich nicht, welches Material Mylady bereits über seine Aktivitäten sammeln konnte.«
»Während der Eisenbahnfahrt habe ich mir alles noch mal gründlich durch den Kopf gehen lassen, Mister Parker. Und dabei bin ich auf einen Mann gestoßen, der früher mal in der überregionalen Baubehörde gearbeitet hat und von Stifton gefeuert wurde.«
»Mister Stifton ist der Leiter der gerade erwähnten Behörde, nicht wahr?« fragte Parker, um Mylady einen Hinweis zu geben.
»Er ist der Mann, über dessen Tisch die eingereichten Leistungsverzeichnisse der Anbieter gehen«, antwortete der Journalist. »Dieser entlassene Mitarbeiter hat mir die ersten Tips geliefert. Mit ihm sollten Sie sich mal gründlich unterhalten. Er ist ein Insider.«
»Welchen Namen sollte man sich in diesem Zusammenhang merken, Mister Webster? Und wo kann man den betreffenden Herrn finden?«
»Dieser Insider heißt MacLean, John MacLean, und wohnt in Warlingham, nahe bei Croydon. MacLean arbeitet dort als Grundstücksmakler.«
Parker erbat sich die genaue Adresse, erhielt sie, wechselte noch einige Sätze mit dem Journalisten und legte dann auf.
»Ein sehr interessanter Anruf, Mister Parker, der mich weiterbringen wird«, sagte Lady Agatha.
»Zumal Mister Stew Webster sich eindeutig in Schwierigkeiten befindet, Mylady.«
»Wie habe ich das zu verstehen, Mister Parker?« Agatha Simpson runzelte die Stirn.
»Mister Webster verzichtete darauf, daß Codewort zu nennen, Mylady.«
»Aha!« Sie räusperte sich leicht, was aber immer noch an eine kleine Explosion erinnerte.
»Meine Wenigkeit und Mister Webster hatten ein Codewort vereinbart, Mylady. In jedem normalen Gespräch sollte Mister Webster zusammenhanglos den Begriff ›Sonnenfinsternis‹ erwähnen. Dies war als Hinweis dafür gedacht, daß alles in Ordnung ist. Da dieses Stichwort nun aber fehlte, muß Mister Webster sich in gewissen Schwierigkeiten befinden.«
»Ich ... ich verstehe.« Die ältere Dame nickte zögernd.
»Für etwaige Zuhörer sprach Mister Webster gerade völlig regulär mit meiner Wenigkeit«, präzisierte der Butler. »Man dürfte mit Sicherheit keinen Verdacht geschöpft haben.«
»Ich vermute also, daß dieser Journalist von den Gangstern entdeckt wurde?«
»Und daß man Mylady eine Falle zu stellen gedenkt«, führte der Butler weiter aus.
»Wir fahren sofort los«, entschied die Detektivin. »Eine Lady Simpson nimmt grundsätzlich jede Herausforderung an.«
»Vielleicht sollte man vor Antritt dieser längeren Ausfahrt Mister Ray Stifton noch einen Besuch abstatten«, schlug der Butler vor.
»Und der gute Webbling?« wollte sie wissen.
»Mister Webster dürfte so lange nichts passieren, Mylady, als man nicht in Warlingham erscheint.«
»Genau das wollte ich gerade sagen.« Sie hatte sich längst erhoben und strahlte Energie aus. »Stifton ist dieser...?«
»Mister Ray Stifton ist der Leiter der Bau- und Planungsbehörde, Mylady«, erinnerte der Butler diskret.
»Wer sonst?!« Sie räusperte sich erneut. »Gehen Sie davon aus, Mister Parker, daß man mich wieder verfolgen wird.«
»Man wird entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten, Mylady. Mit einer wirklichen Verfolgung dürfte aber erst dann zu rechnen sein, wenn Mylady nach Warlingham fahren.«
»Man wird jede Möglichkeit nutzen, mich zu ermorden«, gab sie zurück. »Sie neigen wieder mal zu Leichtsinn, Mister Parker. Wie gut, daß ich stets in Ihrer Nähe bin und Sie immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückhole.«
»Ein Vorzug, Mylady, den man nicht hoch genug einschätzen kann«, bedankte sich der Butler in gewohnter Höflichkeit.
*
Ray Stifton zählte etwa fünfzig Jahre, war mittelgroß, schlank und bewegte sich mit steifer Würde. Er war als Leiter des Bau- und Planungsbüros sich seines Amtes wohlbewußt. Er hatte ein rundes Gesicht, große Augen und eine ausgeprägte Glatze.
»Ich habe leider nur wenig Zeit«, bedauerte er nach der Vorstellung. »Ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht. In ein paar Stunden muß ich wieder eine Verdingungsverhandlung führen.«
»Im Rahmen einer solchen Verhandlung werden die von den Firmen errechneten Endsummen öffentlich bekanntgemacht, Sir?« erkundigte sich der Butler.
»Dabei stellt sich heraus, welche Firma den Zuschlag für ein Bauvorhaben erhält«, bestätigte Ray Stifton, der sich recht wichtig nahm. »Sie können sich ja vorstellen, mit welcher Spannung solche Verhandlungen erwartet werden. Offen gesagt, wäre ich nicht von meiner Verwaltungsspitze angerufen worden, hätte ich kaum Zeit für Sie gehabt, Mylady. Es geht hier zu wie in einem Ameisenhaufen.«
»Sie können sich nicht vorstellen, Sir, daß die eingereichten Leistungsverzeichnisse gefälscht wurden?« tippte der Butler an.
»Unmöglich und ausgeschlossen.« Stifton winkte ab. »Die von den Firmen eingereichten Angebote werden in einem Panzerschrank verwahrt, nachdem sie ihre Eingangsstempel bekommen haben. Zusätzlich werden die einzelnen Blätter der Angebotslisten noch abgezeichnet.«
»Und wer, wenn man fragen darf, nimmt diese Abzeichnungen vor, Sir?«
»Das besorge ich natürlich«, antwortete Ray Stifton, um dann auf einen Panzerschrank zu deuten, der in einer Ecke seines Büros stand. »Ich allein besitze einen Schlüssel.«
»Und wenn der verlorengeht, junger Mann?« wollte Lady Simpson wissen.
»Ich fürchte, dann muß man den Tresor wohl aufschweißen«, gab Stifton fast amüsiert zurück. »Sicherheit hat in meiner Dienststelle oberste Priorität, verstehen Sie?«
»Sie schützen sich damit gegen die sogenannten Nullen, Sir?«
»Die sogenannten Nullen?« Stifton stutzte. »Richtig, da werden von Zeit zu Zeit ja immer wieder Vorwürfe erhoben, man könnte die Angebote manipulieren. Selbst die Presse hat sich vor Monaten mal eingeschaltet. Aber alle Vorwürfe sind haltlos, glauben Sie mir.«
»Ihr Amt beschäftigte vor geraumer Zeit einen gewissen Mister Artie Bellow«, sagte Parker. »Mister Bellow arbeitet inzwischen als freier Statiker, wie zu vernehmen ist.«
»Bellow arbeitet in der Vorprüfung«, gab Stifton zurück. »Er gehörte zu einer Gruppe von Spezialisten, die die Einzelposten der Angebote auf Seriosität hin untersuchten. Er machte einige haarsträubende Fehler, worauf wir uns von ihm trennen mußten.«
»Mister Bellow manipulierte Zahlen, Mister Stifton?«
»So ungefähr«, bestätigte der Leiter der Bau- und Planungsbehörde. »Wir konnten diesen kleinen Skandal begrenzen, aber wir trennten uns.«
»Sie erwähnten gerade eine Gruppe von Spezialisten, die die Angebotseingänge vorprüfen«, schickte der Butler voraus. »Diesen Spezialisten ist demnach also bekannt, welche Angebote die jeweiligen Firmen vorlegen und anbieten?«
»Nur streckenweise«, schränkte Stifton schleunigst ein. »Aber damit können meine Mitarbeiter nichts anfangen, denn die Leistungsverzeichnisse landen hier auf meinem Schreibtisch und dann im Tresor.«
»Ein bemerkenswertes Gerät, Sir«, stellte der Butler fest und blickte auf den altertümlichen Geldschrank, der einen unnahbar-soliden Eindruck machte.
»Damals wurden wirklich noch richtige Tresore gebaut«, lobte Stifton den Geldschrank. »Beste britische Ware. Dieser Tresor würde einer Sprengladung standhalten, glauben Sie mir.«
»Wie groß ist die Gruppe Ihrer Spezialisten für die Vorprüfung der Angebote?« Parker wechselte wieder abrupt das Thema.
»Ich habe vier ausgezeichnete Mitarbeiter«, lautete Stiftons Antwort. »Und ich kann mich selbstverständlich rückhaltlos auf sie verlassen.«
»Sie selbst überprüfen wahrscheinlich noch mal die von Ihren Mitarbeitern kontrollierten Angebots-Einreichungen, Sir?«
»Dazu bleibt kaum Zeit«, kam die ein wenig verblüffende Reaktion. »Ich beschränke mich auf Stichproben, bevor ich die Listen unter Verschluß nehme. Sie ahnen ja nicht, mit welchem Arbeitsanfall wir es hier zu tun haben. Wir sind hoffnungslos unterbesetzt.«
»Wie alle Behörden, Sir«, erwiderte der Butler in seiner höflichen Art und verzog keine Miene.
»Das stimmt leider.« Stifton nickte ernst.
*
Warlingham – südöstlich von Croydon – entpuppte sich als ein hübsches Städtchen, in dem die Tradition des Inselreiches noch unverfälscht vorherrschte. Es gab viele schmucke Läden, alte Fachwerk- und Steinhäuser, Baumbestand und eine gemessene Ruhe. Von der Hektik der Großstadt war nichts zu verspüren.
Butler Parker fand auf Anhieb das Maklerbüro John MacLeans, auf den der Journalist hingewiesen hatte. Das Büro befand sich in einem ehemaligen Ladenlokal. Auf schreiende Reklame hatte man verzichtet. Nur ein diskretes Hinweisschild war rechts vom Eingang zu sehen.
Parker stieg aus Und übersah den Ford, der ihnen seit London vorsichtig gefolgt war. In ihm saßen zwei Männer, die sich um einen unbeteiligten Eindruck bemühten.
Der Butler ging davon aus, daß die »Nullen« die Verfolgung inszeniert hatten. Mit einem plötzlichen Eingreifen rechnete Parker allerdings nicht. Schlagzeilen konnten die Gangster nämlich nicht brauchen. Ein Feuergefecht war nicht zu erwarten, darauf ließen die Gangster es wohl nicht ankommen.
Parker betrat das Büro und lüftete höflich die schwarze Melone. Er sah sich einem jungen Mann gegenüber, der als Angestellter seiner Ansicht nach ein wenig zu nachlässig gekleidet war. Der knapp Fünfundzwanzigjährige trug Jeans und eine dazu passende Weste.
»Man wünscht einen ungemein schönen Nachmittag«, sagte der Butler, »und man wünscht Mister MacLean zu sprechen.«
»Da haben Sie Pech, Sir«, gab der Angestellte leichthin zurück. »Der Chef bleibt heute zu Hause.«
»Aber er ist dort zu erreichen?«
»Das denke ich schon.« Der Mann nickte. »Sie wissen, wo er privat wohnt?«
»Nicht unbedingt. Ein Hinweis wäre ratsam.«
»Mister MacLean wohnt in einem alten Bauernhaus südlich der Stadt«, kam die glatte Antwort. »Sie brauchen nur in Richtung Westerham zu fahren und müssen dann nach Duke Hill abbiegen. Es ist der erste Hof vor der Heide. Überhaupt nicht zu verfehlen.«
»Könnten Sie Mister MacLean anrufen und das Kommen meiner Wenigkeit avisieren?«
»Kein Problem, Sir.« Der Jeansträger ging ans Telefon und wählte eine Nummer. Parker schien sich für die Wählscheibe überhaupt nicht zu interessieren, tatsächlich aber prägte er sich die Reihenfolge der Nummern genau ein.
»Hier Bert«, sagte der junge Angestellte, nachdem auf der Gegenseite abgehoben worden war. »Ein Mister ...«
»Parker mein Name, Josuah Parker«, warf der Butler ein.
»Ein Mister Parker will Sie sprechen, Sir. Ich werde ihn zu Ihnen schicken, ja? Sie sind zu Hause? Natürlich, Sir. Sofort.«
Er reichte dem Butler den Hörer.
»Parker«, meldete sich der Butler. »Sie wurden Lady Simpson empfohlen, Sir. Man wünscht ein privates Gespräch ... Sehr wohl, Sir... Meine Wenigkeit wird dies umgehend ausrichten.«
Josuah Parker legte wieder auf und nickte dem Angestellten zu.
»Alles in Ordnung?« fragte der junge Mann.
»Besser könnten die Dinge sich gar nicht anlassen«, erwiderte Josuah Parker höflich. »Sie werden sicher dem Wohl und auch dem Umsatz Ihrer Firma dienen.«
Er grüßte und ging zu seinem hochbeinigen Gefährt zurück, in dem Agatha Simpson bereits ungeduldig wartete. Bei dieser Gelegenheit nahm er zur Kenntnis, daß der Ford verschwunden war.
Gewisse Leute gingen sicher in Lauerstellung.
*
Parker fuhr nicht weit.
An der nächsten Telefonzelle hielt er, stieg aus und suchte im Telefonbuch die Nummer John MacLeans. Sie war verzeichnet, deckte sich aber keineswegs mit der, die der junge Mann im Büro gewählt hatte. Es gab übrigens nur die eine Nummer, einen Zweitanschluß hatte MacLean nicht.
Der junge Mann hatte also demnach mit jenen Gangstern telefoniert, die inzwischen wohl bereits ungeduldig auf Mylady und ihn warteten. Sie wußten jetzt, daß mit dem Kommen des Paares aus Shepherd’s Market fest zu rechnen war.
»Worum ging es mir gerade, Mister Parker?« fragte die ältere Dame streng, als Parker wieder in den Wagen stieg. Der Butler setzte seine Herrin ins Bild.
»Sie hätten diesen Lümmel im Büro niederstrecken sollen, Mister Parker«, tadelte sie.
»Er wird sich mit Sicherheit noch einfinden, Mylady.«
»Man will mir also eine Falle stellen«, redete sie weiter. »Hoffentlich haben Sie alles mitgenommen, was ich brauchen werde.«
»Mylady dürften jeder Situation gewachsen sein«, versicherte der Butler.
»Das möchte ich mir auch ausgebeten haben.« Sie nickte grimmig. »Und was ist mit diesem jungen Mann, der mir die Informationen geliefert hat?«
»Mylady sprechen von Stew Webster«, gab der Butler zurück. »Man wird ihn sicher in jenem Bauernhaus vorfinden, zu dem Mylady nun fahren.«
»Ich schließe daraus, daß man ihn aufgespürt haben muß«, stellte sie unnötigerweise fest.
»Davon muß man ausgehen, Mylady«, pflichtete der Butler ihr bei. »Mister Webster hat sicher Spuren hinterlassen oder sich durch einen Anruf in London verraten.«
»Oder er steckt mit den Gangstern unter einer Decke«, vermutete sie und richtete sich auf. »Haben Sie daran schon mal gedacht?«
»Andeutungsweise, Mylady«, sagte Parker. »Man sollte die ›Nullen‹ keineswegs unterschätzen.«
Er hatte die Hauptstraße von Warlingham bereits hinter sich gelassen und befand sich auf der Straße in Richtung Westerham. Parker, der immer wieder in den Rückspiegel blickte, konnte den Ford nicht ausmachen. Man schien Seitenwege zu benutzen.
»Welche Subjekte hoffen, mich überraschen zu können, Mister Parker?« stellte sie ihre nächste Frage.
»Es könnte sich um die bereits bekannten Mitarbeiter des Mister Charly Cantner handeln, Mylady.«
»Daran dachte ich natürlich auch schon, Mister Parker. Und wer ist dieser Canner?«
»Mister Charly Cantner, Mylady, schickte drei Schläger in das Büro des Mister Landby, die dort nach Unterlagen fahndeten«, erinnerte der Butler. »Man verbrachte sie nach einer speziellen Intensivbehandlung in einen Ölkeller.«
»Ich weiß, ich weiß«, reagierte sie unwirsch. »Ich vergesse nie auch nur das geringste Detail, Mister Parker, das sollten Sie inzwischen wissen.«
»Darf man Mylady auf einen Jeep hinweisen?« Parker wechselte das Thema.
»Ich habe ihn längst gesehen«, behauptete sie. »Wo steht er?«
»In einer Haltebucht hinter der Abzweigung nach Duke Hill«, informierte Josuah Parker.
»Die Lümmel aus dem Ford, Mister Parker?«
»Oder auch zusätzliche Mitglieder der ›Nullen‹, Mylady.« Parker hatte die Abzweigung erreicht und bog von der Hauptstraße ab. Er passierte den Jeep, der übrigens leer war.
Wollte man bereits hier zur Sache kommen?
Hinter der Haltebucht gab es dichtes Strauchwerk. Darin konnten Schützen sich gut verbergen. Aber würde man hier in der Nähe der Durchgangsstraße bereits einen Feuerüberfall riskieren? Wesentlich bessere Möglichkeiten gab es bestimmt auf dem flachen Land.
Parkers Vermutung bestätigte sich.
Man passierte die Haltebucht, und nichts tat sich. Parker fuhr langsam weiter und beobachtete den Jeep im Rückspiegel. Dort geschah nichts. Man wartete Sicher, bis man jenseits eines kleinen Hügels verschwunden war, der mit schütterem Wald bedeckt war.
»Jetzt könnte sich aber endlich etwas tun, Mister Parker«, grollte die ältere Dame ungeduldig wie stets. »Offen gesagt, ich langweile mich bereits.«
»Myladys Erwartungen dürften bald gestillt werden«, antwortete der Butler. Er hatte gerade den Hügel erreicht und blickte auf eine weite Talsenke, die mit Wacholderbäumen und Heidekraut besetzt war. Weit und breit war kein Haus zu sehen.
Die Gangster schienen nicht ohne Grund auf einen Jeep umgestiegen zu sein. Sie wollten geländegängig sein.
*
Butler Parker benutzte nicht ohne Grund den hochbeinigen Wagen, der es mit der Geländegängigkeit eines Jeeps aufzunehmen vermochte. Er blieb vorerst auf einem nur oberflächlich geschotterten Fahrweg und steigerte die Geschwindigkeit. Er wollte einen gewissen Vorsprung herausfahren, um den Jeep dann gebührend in Empfang zu nehmen.
Das ehemalige Taxi bewies wieder mal seine Qualitäten.
Parker steuerte den Wagen in hoher Fahrt durch die Schlaglöcher und überhörte die Proteste seiner Herrin, die wie ein übergroßer Spielball die Rücksitze attackierte. Er hielt auf eine Weide zu, die im Hintergrund vor einer Abzweigung in einem Tal zu sehen war. Dort gab es Wälle aus Feldsteinen und Deckung in Form von Wacholdersträuchern.
Als er die Stelle erreichte, blickte er in den Rückspiegel. Die ältere Dame setzte sich mit ihrem skurrilen Hutgebilde auseinander, das ihr tief in die Stirn gerutscht war. Mylady riß und zerrte an dem Wunderwerk einer phantasiebegabten Putzmacherin und holte tief Luft, als sie endlich wieder ungestört sehen konnte.
»Das haben Sie absichtlich gemacht, Mister Parker«, räsonierte sie dann. »Darüber wird man sich noch unterhalten müssen.«
»Wie Mylady wünschen.« Parker.
ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, stieg aus und öffnete den Kofferraum. Er bemühte sich um seine schwarze Reisetasche, klappte sie auseinander und zog völlig regulär aussehende Hosenträger hervor, die vielleicht ein wenig lang und breit aussahen.
Er arbeitete schnell und konzentriert, befestigte die beiden langen Enden der Hosenträger an günstig stehenden Weidepfählen und zog die breiten Gurte prüfend zurück, um damit den Feldweg anzuvisieren. Danach bemühte er sich um handliche Steinbrocken, die er als Geschosse zu verwenden gedachte.
Früher hatte Parker mal mit seinen eigenen Hosenträgern improvisiert und sie als eine Art Schleuder benutzt. Inzwischen aber hatte er daraus eine schnell montierbare Schleuder gemacht, die völlig harmlos aussah, wenn man sie in die Hand nahm.
»Das hier sollten Sie nicht vergessen«, ließ die Detektivin sich vernehmen. Sie hatte tief in Parkers Reisetasche gegriffen und zeigte ihm einige geriffelte Eierhandgranaten.
»Wennschon, Mister Parker, den schon!« Sie war stets für ganze Sachen. »Wird dieser Jeep auch tatsächlich erscheinen?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« Parker war sich seiner Sache sicher. Er hatte die Gedankenwelt seiner Gegner erfühlt und hätte an ihrer Stelle hier im Heidegelände einen Überfall ausgeführt.
Er hatte Mylady gerade geantwortet, als der erwartete Jeep bereits erschien. Der Wagen hüpfte in voller Fahrt über die Kuppe des Hügels, krachte zurück auf den Feldweg und nahm Kurs auf das hochbeinige Monstrum.
»Endlich«, sagte die ältere Dame erleichtert. »Laden Sie die Schleuder, Mister Parker, ich werde mit dem Beschuß beginnen.«
Der Butler legte einen handlichen Steinbrocken in die Lederschlaufe der überdimensional großen Schleuder und reichte Mylady das Gerät.
Sie strammte die beiden Längsträger, trat dabei einen Schritt zurück und schickte den Steinbrocken auf die Reise. Kraftvoll wurde das Geschoß durch die Luft katapultiert und nahm Kurs auf eine Hinweistafel, auf der ein Rauchverbot für die Region ausgesprochen wurde.
Das Schild platzte förmlich auseinander.
*
Agatha Simpson war für einen Augenblick verblüfft und blickte ihren Butler an.
»Mylady entwickelten eine erstaunliche Treffsicherheit«, sagte Josuah Parker. »Darf man sich die Freiheit nehmen, eine Gratulation auszusprechen?«
»Man muß sich eben nur auf sein Ziel konzentrieren«, meinte die resolute Dame, drückte aber sicherheitshalber die beiden Hosenträger. »Jetzt sind Sie an der Reihe. Ich bin gespannt, ob Sie halbwegs so treffsicher sind wie ich.«
»Meine Wenigkeit wird sich bemühen.« Parker legte einen faustgroßen Steinbrocken in die improvisierte Schlaufe, spannte die beiden Stränge und trat dazu sehr weit zurück. Er visierte kurz den Jeep an und ließ dann los.
In der Luft war ein deutliches Zischen und Gurgeln zu vernehmen. Der Steinbrocken, der viel Energie mitbekommen hatte, jagte durch die Gegend und klatschte gegen die Motorhaube des Jeeps.
Der Fahrer verriß ein wenig das Steuer, hatte einige Mühe, seinen Wagen auf Kurs zu halten und trat dann verblüfft auf die Bremse. Er konnte sich wohl nicht erklären, was für ein Gegenstand das Blech der Motorhaube deformiert hatte.
Parker verschoß bereits den nächsten Steinbrocken. Er hatte mit der Riesenschleuder eine ungewöhnlich günstige Position bezogen, wie sich zeigte. Er konnte von hier aus ein ganzes Stück des Feldweges bestreichen. Der Jeep hatte keine Möglichkeit, sich in Deckung zu bringen. Er befand sich wie auf dem Präsentierteller.
Der zweite Steinbrocken traf das Reserverad, das hinten am Aufbau des Jeeps festgemacht war. Es kam zu einem Abpraller.
Das Geschoß stieg steil zum Himmel und landete irgendwo auf der Heide. Der dritte Steinbrocken hingegen klatschte gegen die Wanne des Jeeps und hinterließ eine tiefe Einbuchtung.
Butler Parker schaffte es mit weiteren Schüssen, die Windschutzscheibe des Jeeps zu zertrümmern und die Motorhaube aus ihrer Verankerung zu brechen. Der Wagen war längst gestoppt worden. Die beiden Insassen rannten wie um ihr Leben und suchten im Gelände Schutz.
»Und jetzt die Eierhandgranaten, Mister Parker«, verlangte die ältere Dame und reichte ihrem Butler ein.
entsprechendes Gerät. Parker hatte nichts dagegen, zumal es nicht in seiner Absicht lag, die Flüchtlinge direkt unter Beschuß zu nehmen. Er riß den Zünder auf, trat wieder zurück und feuerte das zischende Geschoß ab.
Die Flugbahn war weit, die Sekunden verrannen. Die Eierhandgranate befand sich noch in der Luft, als sie detonierte. Er gab ein kurzes, reißendes Krachen, dann war ein kleiner Feuerball etwa sechs Meter über dem Boden zu sehen.
Die beiden Männer hatten sich niedergeworfen und waren entnervt. Mit solch aktiver Gegenwehr hatten sie nicht gerechnet. Parker, der die Riesenschleuder bereits abgebaut hatte, lieh Mylady seine hilfreiche Hand, als sie in das hochbeinige Gefährt stieg.
»Und nun auf zur Hetzjagd«, sagte sie. »Bringen Sie die beiden Lümmel außer Atem, Mister Parker.«
Der Butler fuhr durch eine Lücke im Steinwall und nahm die Verfolgung auf. Geschickt umsteuerte er natürliche Hindernisse und hielt auf die beiden Flüchtlinge zu, die sich inzwischen zu Langstreckenläufern entwickelt hatten.
Sie preschten durch das Heidekraut, verfingen sich im Wurzelwerk, stolperten, fielen zu Boden, rafften sich wieder auf und zeigten schon recht bald deutliche Konditionsschwächen. Einer von ihnen konnte plötzlich nicht mehr, blieb liegen und keuchte hörbar, als Parker mit seinem Wagen neben ihm auftauchte.
Der Butler hielt scharf und ließ Mylady aussteigen. Sie schwang bereits ihren perlenbestickten Pompadour, während Parker die Spitze seines Schirmes präparierte.
Lady Agatha hatte den Mann noch nicht ganz erreicht, als er plötzlich unter sein Jackett griff. Wahrscheinlich wollte er eine Faustfeuerwaffe ziehen, doch Parker, der mit einer solchen Möglichkeit gerechnet hatte, verschoß einen seiner bunt gefiederten Pfeile aus dem hohlen Schirmstock.
Der Blasrohrpfeil landete in der entsprechenden Armbeuge des Mannes und löste dort verständlicherweise einigen Schmerz aus. Doch diesen verspürte er nicht lange, denn Mylady narkotisierte ihn mit ihrem sogenannten Glücksbringer im Handbeutel. Anschließend setzte sie ihren linken, nicht gerade kleinen Fuß samt Schuh auf die Hüfte des Mannes.
Sie erinnerte Parker in diesem Augenblick an eine Großwildjägerin, die sich stolz mitsamt ihrer Beute einem Fotografen präsentiert.
*
Josuah Parker hatte auch noch den zweiten Mann eingefangen. Beide saßen jetzt neben ihrem beschädigten Jeep und trugen Handfesseln. Sie machten einen entnervten Eindruck, und dies hing mit den beiden Gewehren zusammen, die Parker samt Zielfernrohren in ihrem Jeep gefunden hatte.
»Mylady geht davon aus, daß die Herren die Absicht hegten, gezielte und damit auch tödliche Schüsse abzugeben«, sagte Josuah Parker.
»Und darin bin ich sehr nachtragend und empfindlich«, ließ die energische Dame sich vernehmen. »Ich denke, ich werde gleich in Notwehr handeln.«
»Wir ... wir sollten euch nur nervös machen«, erklärte einer der beiden Männer, die man übrigens bereits in Martin Landbys Büro kennengelernt hatte. Sie wußten daher aus einschlägiger Erfahrung, mit wem sie es zu tun hatten. Sie hatten zusammen mit einem dritten Mann einige Stunden in einem Ölkeller verbracht.
»Ich werde Sie auch nur etwas nervös machen«, erklärte die Detektivin und lächelte gefährlich freundlich. »Mister Parker, haben wir noch einige Eierhandgranaten?«
»Mylady brauchen sich nur zu bedienen«, versicherte der Butler.
»Dann zurück in den Wagen mit den beiden Subjekten«, ordnete Lady Agatha in überzeugendem Tonfall an. »Ich werde diesen Wagen mit einigen Eierhandgranaten stoppen.«
»Sie ... Sie wollen uns umbringen?« stotterte der Gangster.
»Ich habe keine Bedenken«, erwiderte Agatha Simpson.
»Der Jeep könnte anschließend ausbrennen, Mylady«, sorgte sich der Butler.
»Das wird dann sehr überzeugend aussehen, Mister Parker«, fand die ältere Dame. »Die Polizei wird annehmen, daß die beiden Lümmel die Handgranaten mit sich führten.«
»Ein Argument, Mylady, das man nur als überzeugend bezeichnen kann«, entgegnete der Butler, der sich dann wieder dem Wortführer der beiden Jeep-Benutzer zuwandte. »Sie vertreten die Interessen des Mister Charly Cantner, nicht wahr?«
»Cantner hat uns geschickt«, räumte der Mann umgehend ein und nickte heftig.
»Sollte es da nicht noch einen dritten Mann geben?«
»Der ist drüben auf dem Bauernhof«, erwiderte der Gangster.
»Zusammen mit Mister Cantner?«
»Der ist auch mitgekommen«, lautete die interessante Antwort. »Wir sollten uns hier für ein paar Tage festhalten.«
»Und wo befindet sich der Journalist namens Stew Webster?«
»Webster ist auch auf dem Bauernhof«, gestand der Mann äußerst eifrig. »Den haben wir aus ’ner Pension geholt.«
»Bleibt noch die Frage nach einem gewissen Mister Landby«, schickte der Butler voraus. »Man traf sich ja in seinem Büro, als Sie und Ihre Partner ihn nach Unterlagen befragten, nicht wahr?«
»Landby ist verschwunden«, sagte der Gangster. »Den haben wir noch immer nicht aufgespürt.«
»Mylady wünscht noch einige Angaben zur Person des Mister Les Maliers«, ließ der Butler sich vernehmen.
»Wer ist Maliers?« warf die ältere Dame leicht gereizt ein.
»Der Baustoffhändler, der als Strohmann der Bau-Mafia oder auch der ›Nullen‹ gilt, Mylady«, erinnerte der Butler diskret und blickte dann wieder den Aussagefreudigen an.
»Maliers und seine Leute suchen nach Landby«, bekannte der Gangster, der erfreulich gut informiert war.
»Und in wessen Auftrag geschieht das alles?« wollte Josuah Parker wissen und wog eine Eierhandgranate in seiner schwarz behandschuhten Hand.
»Für den Chef«, erwiderte der Gangster. »Wer das ist, wissen wir nicht. Da müssen Sie sich schon an Cantner oder Maliers halten. Hören Sie, vergessen Sie doch das mit der Notwehr, ja? Wir haben doch ausgepackt und gesungen.«
»Lasse ich Gnade vor Recht ergehen, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson wissen. »Ich bin mir da nicht so sicher.«
»Mylady zeichneten sich schon immer durch Großzügigkeit aus«, meinte der Butler.
»Dann ketten Sie also die beiden Lümmel an den Jeep«, meinte sie lässig. »Ein paar ruhige Tage hier in der Heide können nicht schaden, Mister Parker.«
»Eine Entscheidung, Mylady, die man nur als weise bezeichnen kann und muß«, lautete Parkers Antwort. »Zwei Handschellen werden ausreichen, um die Bewegungsfähigkeit der beiden Herren einzuschränken.«
»Machen Sie aber den Motor unbrauchbar«, fügte Lady Agatha hinzu, »das heißt, das werde ich übernehmen. Ich muß mich jetzt ein wenig betätigen.«
*
Charly Cantner war deutlich auszumachen.
Er saß auf einer Holzbank neben dem Eingang zum Farmhaus und las Zeitung. Auf einem Tisch neben ihm standen eine Flasche und ein Glas. Er rauchte mit sichtlichem Genuß eine Zigarre und ahnte nicht, daß er intensiv beobachtet wurde.
Butler Parker und Lady Agatha hatte das ländliche Anwesen nach einem kleinen Fußmarsch erreicht. Die ältere Dame saß in der Höhe einer Remise auf einer Ackerwalze und tupfte sich dünne Schweißperlen von der Stirn.
Sie nickte kurz, als Parker ihr einen Kreislaufbeschleuniger reichte, der aus einer flachen, mit Leder bespannten Taschenflasche stammte. Sie schnupperte am ovalen Trinkbecher, der gleichzeitig als Verschluß diente, und schien sichtlich erleichtert.
»Mylady werden in wenigen Minuten richtig entspannen können«, versprach der Butler ihr. Er hielt bereits die Gabelschleuder in Händen und belegte die Lederschlaufe mit einer hart gebrannten Ton-Erbse.
Sie jagte mit Höchstgeschwindigkeit auf Cantner zu, der gerade nach seinem Glas greifen wollte.
Es blieb bei dieser Absicht. Cantner kippte seitlich weg, als wäre er von einer riesigen, unsichtbaren Handkante getroffen worden.-Das Glas blieb auf dem Tisch stehen.
Er lag gerade auf den Steinplatten, als jener Mann erschien, der sich ebenfalls in Martin Landbys Büro aufgehalten hatte. Er rief nach Cantner, erhielt keine Antwort, beugte sich dann vor und entdeckte seinen Arbeitgeber auf dem Boden.
Der Mann kam gar nicht auf den Gedanken, Cantner sei durch Fremdeinwirkung auf die Steinplatten geschickt worden. Er baute sich ungemein günstig auf und ließ den Butler zu einem weiteren Schuß kommen.
Die zweite Ton-Erbse traf ihn am Hinterkopf.
Der Angeschossene stieß sich förmlich vom Boden ab und legte sich anschließend flach auf jenen Mann, auf dessen Lohnliste er stand. Er zappelte noch ein wenig mit den Beinen, bevor er endgültig Ruhe gab.
»Mit Myladys Erlaubnis.« Parker wartete diese Erlaubnis allerdings nicht ab, sondern setzte sich sofort in Bewegung und pirschte an das Farmhaus heran. Er dachte an mögliche zusätzliche Hausbewohner.
Dies war jedoch nicht der Fall, wie sich bald zeigte. Man hatte es nur mit Charly Cantner und seinen drei Kumpanen zu tun gehabt. Und sie alle waren ausgeschaltet.
Der Journalist befand sich in einem Kellerraum und sah ein wenig mitgenommen aus. Er blinzelte, als Parker ihn ans Tageslicht beförderte. Er ließ sich erschöpft auf einem Stuhl nieder und starrte auf Cantner und dessen Leute.
»Sie müssen es diesen ›Nullen‹ ein wenig zu leichtgemacht haben, Mister Webster«, meinte Parker. »Wie konnte man Sie derart schnell ausfindig machen?«
»Ich Idiot habe mit meiner Freundin gesprochen. Und die hat man dann unter Druck gesetzt«, gestand der Journalist.
»Ist der Dame etwas passiert?« fragte Parker besorgt.
»Nein, nichts«, lautete die Antwort. »Man hat sie nur geschickt ausgefragt. Sie hat keine Ahnung, was da gelaufen ist. Guter Gott, bin ich froh, daß Sie mich gefunden haben.«
»Ihr Anruf alarmierte Lady Simpson, Mister Webster.«
»Gut, daß wir dieses Codewort ausgemacht haben«, bedankte sich der Journalist. »Die Kerle haben überhaupt nichts gemerkt.«
»Weil Sie völlig normal reden konnten«, meinte der Butler. »Mylady suchte inzwischen Mister Bellow und Mister Stifton auf.«
»Bellow ist der Boß der ›Nullen‹«, behauptete der Journalist. »Ich kann’s eben nur nicht beweisen.«
»Er arbeitet mit dem Leiter des Bau- und Planungsbüro der Behörden zusammen, Mister Webster?«
»Über Stiftons Schreibtisch geht alles, was die Firmen einreichen«, bestätigte der Journalist. »Ob er aber der Mann ist, den wir suchen, weiß ich nicht mit letzter Sicherheit.«
»Mister Stifton ist ungewöhnlich stolz auf seinen Tresor.«
»Ich kenne dieses alte Möbel«, amüsierte sich Webster. »Sollte man es nicht mit ’ner Haarnadel aufsperren können?«
»Diesen Eindruck vermittelte der Geldschrank in der Tat, Mister Webster«, bestätigte der Butler. »Sie nannten vor Ihrer Abfahrt noch einige Namen, darunter auch den eines gewissen Mister Herbert Elsham.«
»Einer von Stiftons Mitarbeitern«, sagte Webster und nickte. »Er kontrolliert die eingereichten Leistungsverzeichnisse, aber er eben nicht allein.«
»Halten Sie diesen Mister Elsham für besonders verdächtig?«
»Nicht mehr oder weniger als die anderen, Mister Parker. Ich tippe auf Ray Stifton.«
»Sie wurden gezwungen, am Telefon auf Mister John MacLean zu verweisen. Er arbeitete tatsächlich im Bau- und Planungsbüro?«
»Ich habe keine Ahnung. Cantner zwang mich, diesen Namen und die Adresse zu nennen. MacLean kenne ich nicht.«
»In seinem Büro drüben in Warlingham fand Mylady einen jungen Mann, der auf diese Farm hier verwies.«
»Das wird der Gangster sicher nicht ohne Grund getan haben, Mister Parker«, vermutete der Journalist.
»Eine Schlußfolgerung, Mister Webster, der man sich anschließen sollte«, antwortete der Butler. »Mister MacLean ist entweder ein Opfer der ›Nullen‹ geworden, oder aber er steckt mit ihnen unter einer Decke. Falls dem aber so sein sollte, so fragt man sich, warum er nicht selbst auf Mylady und meine bescheidene Wenigkeit wartete und die erforderlichen Hinweise auf die Farm hier gab.«
»Vielleicht war er nicht zu erreichen, Mister Parker.«
»Er könnte sich in London aufhalten«, tippte der Butler an.
*
Später befragte er Cantner zu diesem Thema.
Der Betreiber der privaten Arbeitsvermittlung machte einen niedergeschlagenen Eindruck. Er hockte in der Küche des Farmhauses und wirkte leicht beunruhigt, als Parker erschien.
»Sie wurden Ohrenzeuge der Unterhaltung mit Mister Webster«, schickte der Butler voraus. »Es geht um Mister MacLean. Dazu wünscht Mylady einige Angaben zu hören, Mister Cantner.«
»Ich ... ich kenne den Mann überhaupt nicht.«
»Obwohl Sie Mister Webster zwangen, diesen Namen zu nennen?« wunderte sich Parker andeutungsweise.
»Überlassen Sie mir das Verhör, Mister Parker«, schaltete die ältere Dame sich grimmig ein. »Ich bin es leid, immer wieder Ausflüchte zu hören. Suchen Sie mir ein hübsches Tranchiermesser.«
»Mylady wollen ...?« Parker beendete seinen Satz nicht und atmete tief durch. Cantner bekam dies durchaus mit.
»Sie können ja so lange hinausgehen, Mister Parker. Ich weiß, daß Sie kein Blut sehen können«, schlug die energische Dame ihrem Butler vor.
»Meine Wenigkeit möchte sich für die Großherzigkeit bedanken«, meinte Parker weiter.
»Messer... Kein Blut sehen ...? Was haben Sie vor, Lady?« Cantner ahnte es bereits und schluckte nervös.
»Ich werde mich gleich angegriffen fühlen und dementsprechend verteidigen«, setzte die Detektivin dem Gangster auseinander.
»Moment«, wandte Cantner heiser ein. »Wer sagt denn, daß ich nicht reden will, Lady? Okay, ich kenne MacLean.«
»Sie sollten möglichst schnell antworten«, bat Parker den Mann eindringlich, als Lady Agatha hinüber zu einem Küchenschrank ging und eine Schublade aufsperrte. Man hörte deutlich, daß sie im Besteck wühlte.
»MacLean war früher mal ein Schränker«, erwiderte Cantner hastig. »Er arbeitet auch jetzt noch für die ›Nullen‹, das heißt, er sperrt diesen Tresor bei Stifton auf und besorgt die Unterlagen.«
»Die dann von Fall zu Fall gefälscht werden, wie anzunehmen ist, nicht wahr?«
»Und MacLean bringt die korrigierten Papiere auch wieder zurück in den Tresor«, gestand Cantner weiter. »Bisher hat kein Mensch was davon gemerkt.«
»Mister Ray Stifton hat demnach nichts mit den ›Nullen‹ zu tun? Gilt das auch für seine Mitarbeiter?«
»Für ihn und seine Mitarbeiter«, bestätigte Cantner.
»Und wer gilt als der Kopf der ›Nullen‹?«
»Artie Bellow«, erklärte Cantner hastig und schielte zu Mylady hinüber, die sich bereits mit einigen Schneidwaren aus der Schublade befaßte und sie miteinander verglich.
»Wäre noch zu klären, welche Rolle Mister Les Maliers spielt«, wollte der Butler wissen.
»Les Maliers ist der Verbindungsmann«, erwiderte Cantner. »Der reißt die Interessenten auf, die unbedingt einen Auftrag haben wollen. Die vermittelt er dann an die ›Nullen‹, eben an Bellow, ohne aber seinen Namen zu nennen.«
»Man könnte Mister Maliers als den Strohmann der ›Nullen‹ bezeichnen?«
»Er ist der Verbindungsmann«, wiederholte Cantner und senkte dann die Stimme. »Sorgen Sie dafür, daß die Lady die verdammten Messer wieder einpackt. Der trau’ ich glatt zu, daß sie drauflosschneidet.«
»Sie haben ein gutes Gefühl für das, was Sie unter Umständen erwartet, Mister Cantner«, erwiderte Josuah Parker sehr ernst. »Mylady pflegt fürchterlich zu sein, wenn man Mylady herausfordert und ärgerlich macht.«
»Aber ich habe doch gesagt, was ich weiß«, beschwor Cantner den Butler.
»Sie sollten vielleicht noch Stellung zu Ihrer sehr persönlichen Rolle innerhalb der ›Nullen‹ nehmen, Mister Cantner.«
»Na ja, meine Leute und ich springen ein, wenn’s mal irgendwo Ärger gibt.«
»Wie im Fall des Mister Landby und seiner Tochter?«
»Landby wollte den ›Nullen‹ eine Falle stellen und ein Angebot einreichen, das meilenweit unter den normalen Kosten liegt. Er wollte rausfinden, was aus seinem Angebot wird und wie man andere Leistungsverzeichnisse angleicht. Er hatte Bellow damit gedroht, und deshalb waren wir hinter ihm her. Aber ich schwöre ihnen, viel sollte ihm nicht passieren. Wir wollten ihn nur... na ja, wir wollten ihn nur ruhigstellen.«
»Noch eine letzte Frage«, meinte der Butler. »Weshalb wählten Sie diese einsam gelegene Farm für ein Treffen mit Mylady und meiner Wenigkeit? Wem gehört sie?«
»Mir«, sagte in diesem Moment eine Stimme, die Parker bekannt war.
Im Türrahmen stand ... Artie Bellow und hielt eine Maschinenpistole in den Händen.
*
»Ein drehbuchreifer Auftritt, Mister Bellow«, räumte Josuah Parker ein.
»Und wie in einem Action-Film wird es auch weitergehen, Parker«, drohte der Statiker. »Sie glauben doch wohl nicht, noch mal mit heiler Haut davonzukommen, oder?«
»Sie haben die Unterhaltung mit Mister Cantner mitverfolgt, Mister Bellow?«
»Der wußte, daß ich hier erscheinen würde«, sagte der Statiker und lächelte schadenfroh. »Deshalb auch seine Aussagen.«
»Die aber den Tatsachen entsprechen, wie anzunehmen ist.«
»Natürlich, warum sollte er sie verschweigen? Aber sicherheitshalber werde ich ihn und seinen Mann ebenfalls umlegen.«
»So etwas traue ich Ihnen ohne weiteres zu, junger Mann«, machte die ältere Dame sich grimmig bemerkbar.
»Gerade Sie, Lady, gehen mir verdammt auf die Nerven«, blaffte der Statiker wütend. »Wenn Sie mir mit einem Messer kommen, sind Sie sofort geliefert.«
»Sie haben keine Sorge, eventuell verfolgt worden zu sein?« erkundigte sich Parker in Richtung Bellow.
»Und ob ich verfolgt wurde!« Bellow lachte. »Diese Pflastertreter haben sich zwar alle Mühe gegeben, doch ich habe sie bereits innerhalb der Stadt abgeschüttelt. Ich erkenne Bullen sofort.«
Parker war mit dieser Auskunft ungemein zufrieden, zeigte es jedoch nicht. Er hatte mit Chief-Superintendent McWarden nicht ohne Grund ein Arrangement getroffen.
»Ist es Mister Maliers inzwischen gelungen, Mister Landby und Tochter aufzuspüren?« fragte Parker weiter, um Bellow zu beschäftigen.
»Den erwischen wir noch«, sagte der Statiker. »Kein Problem, Parker. An Ihrer Stelle würde ich mir andere Sorgen machen.«
»Wie zu erfahren war, lassen Sie Mister Stiftons Tresor nach Belieben öffnen und schließen.«
»Dieser Trottel hat doch keine Ahnung, was wirklich geschieht«, redete der Statiker genüßlich weiter. »Sobald ich kassiert habe, lasse ich ihn auffliegen. Dann kann er sich in ’nem Zuchthaus die Zeit vertreiben. Und erst dann wird er wohl kapieren, wem er das alles zu verdanken hat.«
»Sie wollen Ihre Tätigkeit als Null beenden, Mister Bellow?«
»Noch ein paar Bauvorhaben, dann bin ich saniert«, fügte der Statiker munter hinzu und fühlte sich als Herr der Situation. »Arbeitslos werde ich deshalb aber bestimmt nicht.«
»Es gilt ja, Mafia-Geld anzulegen, nicht wahr?«
»Jede Menge«, sagte Bellow. »Ich brauche dann diesen Kleckerkram nicht mehr.«
»Werden Sie auch Mister MacLean abhalftern?« erkundigte sich der Butler.
»Man soll immer möglichst wenig Spuren hinterlassen«, gab der Statiker zurück. »Das gilt auch für Maliers, nach dem Sie sicher gleich fragen werden, oder?«
»Sie verfügen über erstaunlich viel kriminelle Intelligenz, Mister Bellow.«
»Man muß sehen, wo man bleibt, Parker. Und Sie und die komische Lady sind verdammt hartnäckig und auch nicht gerade ungeschickt, das will ich durchaus zugeben.«
Er hatte behauptet, Lady Simpson wäre komisch und begab sich damit in akute Gefahr.
Die ältere Dame stand immer noch am Küchenschrank und hielt einige Schneidwaren in den Händen. Da sie gereizt worden war, reagierte sie umgehend und ... warf ein Tranchiermesser.
Bevor Bellow die Waffe herumreißen und abfeuern konnte, landete die Klinge erstaunlicherweise in seinem Unterschenkel.
Der Mann brüllte und wurde anschließend sehr still. Josuah Parker hatte mit dem Bambusgriff seines Schirmes nachgeholfen und beendete damit erst mal das Gespräch.
Bellow landete auf dem Küchentisch und gab keinen Laut mehr von sich.
»Haben... haben Sie das gesehen, Mister Parker?« fragte Lady Agatha und schüttelte unwillkürlich den Kopf. »Ich brauche noch nicht mal zu zielen und treffe dennoch. Das muß mir erst mal einer nachmachen.«
»Dem möchte meine Wenigkeit nichts hinzufügen«, antwortete der Butler und lüftete den Bowler. »Darf man Mylady zu diesem Wurf gratulieren und tiefsten Respekt zollen?«
*
»Wir kommen doch hoffentlich nicht zu spät?« fragte ein gewisser Horace Pickett einige Minuten später. Der große, schlanke Mann mit dem Aussehen eines pensionierten Offiziers erschien mit einem Begleiter in der Farmhausküche.
Horace Pickett, ein ehemaliger Taschendieb und längst auf der Seite des Gesetzes, blickte konsterniert auf Bellow und dann auf Mylady, die gerade einen Kreislaufbeschleuniger zu sich nahm.
»Mylady verkürzten das Verfahren, Mister Pickett«, beruhigte Parker den ehemaligen Eigentumsumverteiler. »Ihr Erscheinen wäre in jedem Fall recht wirkungsvoll und beruhigend gewesen.«
»Bellow schüttelte die Polizei ab«, berichtete Pickett. »Wir hatten keine Schwierigkeiten, uns an ihn zu hängen. Nur hier draußen im Gelände mußten wir sehr vorsichtig sein.«
»Sie sind mir stets willkommen, mein lieber Pickett«, ließ die ältere Dame sich freundlich vernehmen. »Bei Gelegenheit sollten Sie bei mir mal den Tee nehmen. Mister Parker, erinnern Sie mich daran.«
»Sehr wohl, Mylady«, gab der Butler zurück. »Sollte man jetzt nicht Chief-Superintendent McWarden informieren, Mylady?«
»Und ihm wieder mal einen fertig gelösten Fall übergeben«, meinte sie ironisch. »Nun gut, verständigen Sie ihn, Mister Parker. Vielleicht weiß er inzwischen etwas über diesen jungen Mann, dessen Tochter ich beschützte.«
»Mister Landby«, erinnerte der Butler diskret.
»Oder so.« Sie nickte.
»Mister Landby wird sich sicher umgehend melden, wenn er den Zeitungen entnehmen kann, daß die ›Nullen‹ nicht mehr existieren«, vermutete der Butler. »Mister Les Maliers dürfte schon recht bald von der Polizei gestellt werden.«
»Habe ich Ihnen schon gesagt, mein lieber Pickett, daß ich dieses Subjekt mit einem Wurfmesser außer Gefecht gesetzt habe?« Die ältere Dame griff nach einer weiteren Schneidware und holte aus. »Einfach so aus dem Handgelenk heraus.«
Sie schleuderte das Messer und ... traf die Hängelampe, deren Glasschirm sich in Scherben auflöste.
»Konzentration ist alles«, sagte sie in einem Ton, als wäre sie überhaupt nicht überrascht. »Ich wollte die Lampe treffen und traf sie auch. So einfach ist das!«
Pickett und Parker blickten sich kurz an und suchten sich dann schnell andere Fixpunkte für ihre Augen. Um Parkers Lippen spielte die Andeutung eines feinen Lächelns, aber eben nur die Andeutung. Er war und blieb der beherrschte, hochherrschaftliche Butler, der unerschütterlich im Leben stand.